Einleitung
Das neutestamentliche Zitat der Verse 11 und 12 zeigt, dass sich dieser Psalm auf den Herrn Jesus bezieht (Mt 4,5.6). Der vorhergehende Psalm, Psalm 90, beschreibt die Vergänglichkeit des ersten Menschen im Gegensatz zum ewigen Gott. Dies wird durch das Sterben des Volkes Israel in der Wüste veranschaulicht. Psalm 91 beschreibt die vollständige Hingabe des Herrn Jesus, des zweiten Menschen, an Gott. Er ist der wahre Josua, der den Überrest in das verheißene Land bringt.
Nach dem schwachen, sterblichen Menschen in Psalm 90, auf dem der Zorn Gottes ruht, sehen wir in diesem Psalm den vollkommenen Menschen, auf den Gott mit großer Freude schaut. Christus ist der vollkommen abhängige zweite Mensch im Gegensatz zum vergänglichen Menschen. Damit ist Er ein Vorbild für den Überrest, der in der großen Drangsal und im Gericht und Zorn Gottes verschont bleiben wird.
In den Versen 1–13 sprechen der Psalmist und der Überrest abwechselnd. Dies wird durch den Wechsel der Personenformen erste, zweite und dritte Person deutlich:
Vers 1 Der Psalmist
Vers 2 Der Messias als Beispiel für den Überrest
Verse 3–8 Der Psalmist spricht zum Messias
Vers 9a Der Messias als Vorbild für den Überrest
Verse 9b–13 Der Psalmist
Verse 14–16 Der HERR über den Messias
1 Schutz und Schatten
1 Wer im Schutz des Höchsten sitzt, wird bleiben im Schatten des Allmächtigen.
Der Psalm beginnt mit einer schönen Aussage des Psalmisten, die wie ein Glaubensbekenntnis klingt. Es ist eine Wahrheit, die wir im Leben Christi sehen und die auch für den gläubigen Überrest gilt, der Christus zum Vorbild hat und Ihm nachfolgt. Dieses Glaubensbekenntnis weist auch auf das Thema dieses Psalms hin. Der Überrest ist sozusagen inmitten der Gefahren der großen Drangsal und der Gerichte Gottes sicher und versiegelt.
Gott wird hier als „der Höchste“ und „der Allmächtige“ dargestellt. Der Name „der Höchste“ ist der Name Gottes im Friedensreich. Wir haben ein Bild davon in der Begegnung von Melchisedek mit Abraham (1Mo 14,18–22). Was dann von allen gesehen werden wird, gilt bereits für den Gläubigen, der eine Zeit schwerer Prüfungen durchmacht. Deshalb sitzt er „im Schutz des Höchsten“.
Gott ist auch „der Allmächtige“, was die Garantie bedeutet, dass Er alle seine Verheißungen erfüllen wird. Mit diesem Namen hat Er sich Abraham, Isaak und Jakob zu erkennen gegeben, denen Er seine Verheißungen gegeben hat (1Mo 17,1; 28,3; 35,11; 2Mo 6,2). Die Erfüllung der Verheißungen scheint nicht zu geschehen. Diejenigen, die „im Schatten des Allmächtigen“ bleiben, zweifeln jedoch nicht einen Augenblick daran, dass die Erfüllung kommen wird.
Die große Gewissheit dieses ersten Verses gilt für jeden Gläubigen ohne Ausnahme. Jeder Gläubige, der dies tut, wird sie erfahren. Sie gilt in Vollkommenheit für den Herrn Jesus als Mensch auf der Erde. Er saß „im Schutz des Höchsten“. Sitzen bedeutet Ruhe, sich zu Hause fühlen. Er verbrachte seine Zeit in dieser feindlichen Welt „im Schatten des Allmächtigen“.
Der gläubige Überrest wird diese Erfahrung in der großen Drangsal machen. Wir, die neutestamentlichen Gläubigen, in denen der Geist Jesu wohnt, dürfen Gott als Vater kennen. Als Vater ist Er für uns der Höchste und Allmächtige. Wir dürfen beim Vater Zuflucht vor Gefahren nehmen und in der Finsternis, in die die Welt gehüllt ist, Tag und Nacht in seinem Schatten verbringen.
Ein „Schutz“ bietet Schutz vor einer Vielzahl von Gefahren. Hier liegt der Schwerpunkt auf der feindlichen Umgebung. Der „Schatten“ bringt die Person, die der Schatten ist, in die Nähe (vgl. Klgl 4,20). Den „Schatten“ sehen wir auch im Flügel eines Vogels, unter dem er seine Jungen versteckt und warm hält (Verse 3.4; vgl. Ps 17,8; 36,8; 57,2; 63,8). Hier steht der Gedanke an den Beschützer und seine Fürsorge für die Seinen im Vordergrund. Diejenigen, die im Schutz des Höchsten wohnen, können zu Gott sagen: „Mein Gott“ (Vers 2).
Die große Ermutigung dieses Verses ist eine Einleitung für den gesamten Psalm. Der Psalm wird diese Ermutigung ausführlicher erläutern. Er beschreibt die Umstände, die den Gläubigen dazu bringen, Schutz beim Höchsten zu suchen und den Schatten des Allmächtigen zu erfahren.
2 - 8 Schutz in Gefahr
2 Ich sage von dem HERRN: Meine Zuflucht und meine Burg; mein Gott, auf ihn will ich vertrauen.
3 Denn er wird dich erretten von der Schlinge des Vogelfängers, von der verderbenden Pest.
4 Mit seinen Fittichen wird er dich decken, und du wirst Zuflucht finden unter seinen Flügeln; Schild und Schutz ist seine Wahrheit.
5 Du wirst dich nicht fürchten vor dem Schrecken der Nacht, vor dem Pfeil, der am Tag fliegt,
6 vor der Pest, die im Finstern umgeht, vor der Seuche, die am Mittag verwüstet.
7 Tausend werden fallen an deiner Seite und zehntausend an deiner Rechten – dich wird es nicht erreichen.
8 Nur schauen wirst du es mit deinen Augen und wirst sehen die Vergeltung an den Gottlosen.
In Vers 2 hören wir eine Person, nämlich Christus selbst, der persönlich auf das antwortet, was der Psalmist in Vers 1 sagt. Ihm folgend wird jeder einzelne Gläubige des Überrestes Israels so antworten. Die Schreiber und die Leser dieses Kommentars werden auch in der Lage sein müssen, jedem einzelnen persönlich diese Antwort zu geben.
Es beginnt mit dem Aussprechen eines offenen Bekenntnisses, einer laut ausgesprochenen Erklärung. Es ist der Ausdruck dessen, was im Herzen ist. Der Gläubige sagt von dem HERRN: „Meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf ihn will ich vertrauen.“ Wer das von ganzem Herzen sagen kann, wird gleichsam automatisch die Erfahrung von Vers 1 machen.
Es ist persönlich, erste Person Singular, „mein“ und „ich“. Das ist bei Christus vollkommen der Fall. Er ist ein Beispiel dafür, sowohl für den treuen Überrest Israels in der Zukunft als auch für uns. Die Unterweisung des Glaubensvertrauens ist nie kollektiv, sondern immer persönlich. Wir sehen es zum Beispiel im Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen: Man kann nicht einem anderen Öl geben (Mt 25,1–11). Genauso kann man sich im Glauben nicht auf den Glauben eines anderen verlassen.
Dreimal verwendet er das Wort „mein“. Dies spricht von einer persönlichen Beziehung zu „dem Herrn“, Jahwe, dem Gott des Bundes mit seinem Volk. Er ist, wie er sagt, „meine Zuflucht und meine Burg“. Eine „Zuflucht“ ist ein vorübergehender Schutz vor unmittelbarer Gefahr für die Zeit der Gefahr (vgl. 1Sam 22,3.4). Eine „Burg“ ist ein Ort der Zuflucht bei ständiger Gefahr. Das hebräische Wort matsuda bezieht sich auf einen sicheren Ort zwischen Felsen. Es handelt sich nicht um ein bestimmtes Bauwerk, das man verteidigen kann. Es ist eine natürliche Bergfestung (vgl. Ps 71,3). Die beiden Schutzräume verstärken sich gegenseitig. Sie stellen den undurchdringlichen Schutz und die unbesiegbare Stärke gegen den Angriff eines jeden Feindes dar.
Dies ist „mein Gott, auf ihn will ich vertrauen“. Welcher Friede und welche Geborgenheit spricht aus diesem Bekenntnis. Man kann durchaus von einer offenen Verkündigung der schützenden Macht Gottes gegenüber allen möglichen Feinden und Prüfungen sprechen. Man kann sich keinen stärkeren Schutz, keine größere Ruhe und Sicherheit vorstellen, als sich einer persönlichen Beziehung zu Gott im vollen Vertrauen auf Ihn bewusst zu sein. Was könnte jemanden, der in dieser Beziehung lebt, noch verwirren oder verzweifeln lassen?
Auch Vers 2 ist, wie Vers 1, vollkommen wahr für den Herrn Jesus während seines gesamten Lebens auf der Erde. Er kam auf die Erde, um von seinem Volk als Messias angenommen zu werden. Aber Er wurde gehasst und abgelehnt. Seine Antwort darauf ist das, was in diesem Vers steht. Er sagt als Mensch zum HERRN, Jahwe, dass er seine Zuflucht und seine Burg ist. Er sagt von Gott „mein Gott“, Er lebt in enger Gemeinschaft mit seinem Gott. Er kennt Gott als denjenigen, dem Er in allem, was Er tut, vollkommen vertrauen kann.
Wir hören den Herrn Jesus als Messias seines irdischen Volkes, der zum HERRN als seinem Gott spricht. Wir hören den treuen Überrest, der in Nachahmung von Ihm über den HERRN sprechen. Wir, die wir das neutestamentliche Volk Gottes, die Gemeinde, sind, sprechen zu dem Vater. Wir tun dies auch in Nachahmung des Herrn Jesus, denn auch Er ist der Sohn des Vaters. Er hat uns durch sein Werk am Kreuz in diese Beziehung gebracht (Joh 20,17). Was Gott als HERR für sein irdisches Volk ist, das ist Gott als Vater für sein himmlisches Volk.
Ab Vers 3 hören wir die Antwort auf das Vertrauen, das der Messias auf seinen Gott ausgesprochen hat. Die Antwort ist eine Aufzählung des Schutzes vor allen Arten des Bösen. Der HERR selbst – „er“, mit Nachdruck – wird Ihn „erretten von der Schlinge des Vogelfängers“ (Vers 3). Diese Antwort gilt auch für den Gläubigen, der diese Aussage gemacht hat. Dieser Abschnitt soll vor allem den Überrest Israels ermutigen, der während der letzten Jahrwoche, von der Daniel spricht (Dan 9,27), eine sehr schwierige Zeit und schwere Verfolgung durchmachen muss.
Dass es hier speziell um den Messias geht, ist offensichtlich und geht, wie bereits in der Einleitung des Psalms erwähnt, aus den Versen 11 und 12 hervor. Wie oft haben Menschen auf Betreiben des Teufels versucht, Ihn wie einen Vogel in der Schlinge zu fangen (Mt 22,15; Mk 12,13; Lk 20,26). Das alles scheiterte, weil Er auf seinen Gott vertraute.
Dass er schließlich gefangen genommen und sogar getötet wurde, hat nichts mit einem Versagen des Schutzes zu tun, sondern mit dem Plan Gottes. Dieser Plan geht weiter, gerade durch die Gefangennahme und Tötung des Messias. Gottes Pläne für die Seinen können niemals durch eine Schlinge zunichte gemacht werden. Es ist eine Falle, ein Netz, mit Verwendung eines Köders (vgl. Amos 3,5). Sie ist heimtückisch, aber der HERR errettet selbst von dieser gefährlichen Falle (Ps 124,7.8).
In gleicher Weise wird Er den Gläubigen vor Menschen schützen, die ihn beseitigen wollen (vgl. Ps 38,13). Gott sorgt dafür, dass das Zeugnis über Ihn weitergeht, indem Er die Seinen schützt. Selbst wenn sie gefangen genommen werden, sind sie keine Beute für den Feind. Er kann ihnen die Hände binden, aber nicht das Wort Gottes (2Tim 2,9). Gott befreit sie aus der Schlinge böser Absichten. Menschen können dem Körper schaden und ihn sogar töten, aber sie können Gottes Plan nicht zerstören. Gegen ihren Willen helfen sie mit, ihn zu erfüllen.
Gott errettet ihn auch „von der verderbenden Pest“. Die Pest – eine hochgradig ansteckende, lebensbedrohliche Krankheit – wird von Gott als Gericht über Menschen verhängt, die sich gegen Ihn auflehnen. Dieses unsichtbare Gericht ist zugleich eine Aufforderung Gottes, zu Ihm zurückzukehren.
Aber Gott errettete den Messias von der verderbenden Pest, weil Er auf Ihn vertraute. Ebenso ist Gott dem Gläubigen immer nahe, wenn die „verderbende Pest“ ihn bedroht. Auch wenn ein Mensch von einer schweren Krankheit heimgesucht wird, vereitelt dies in keiner Weise Gottes Absichten.
Der Herr Jesus heilte die Kranken und nahm dabei die Krankheit auf sich. Er war nicht krank, aber Er hat sich mit den Kranken identifiziert (Mt 25,36a.40). Damit erfüllte Er den Plan Gottes, denn damit erfüllte Er eine der Prophezeiungen über Ihn (Mt 8,16.17). Die Ursache, die Sünde, hat Er am Kreuz beseitigt, indem Er zur Sünde gemacht wurde. Die Folgen der Sünde, einschließlich der Krankheit, nimmt Er manchmal weg oder hilft uns, sie zu tragen.
Gottes Schutz für seinen auserwählten Messias und auch für sein auserwähltes Volk wird mit einem Vogel verglichen, der seine Jungen mit seinen Fittichen deckt und auf diese Weise vor drohender Gefahr beschützt (Vers 4). Zu diesem Schutz nehmen der Messias und die Seinen Zuflucht. Sie nehmen Zuflucht unter seinen schützenden Flügeln (vgl. Rt 2,12; Mt 23,37). Sein Schutz besteht in „seiner Wahrheit [oder: Treue]“. Er steht treu zu seinem Bund. Für den gläubigen Überrest und für uns gründet sich seine Treue auf das Blut des neuen Bundes. Gott ist treu aufgrund des Werkes Christi (vgl. 1Joh 1,9).
Jeder Angriff des Feindes zielt darauf ab, den Gläubigen dazu zu bringen, Gottes Treue, Vertrauenswürdigkeit oder Wahrheit in Frage zu stellen. Das ist seit dem Paradies immer die Taktik des Feindes gewesen. Bei Eva hatte er damit Erfolg, und so kam die Sünde in die Welt.
Wer aber unter Gottes Flügeln Zuflucht genommen hat, wird keinen Augenblick an seiner Treue zweifeln. Gottes weiche Flügel, unter denen er sicher, geborgen und warm wohnt, haben gegen die Angriffe des Feindes die Kraft eines „Schildes und Schutzes“. Sie sind unempfindlich gegen seine Eindringlinge, seien sie listig oder gewalttätig. Der Schild ist kein kleines Schild, sondern ein großes Schild, hinter dem der Körper sicher ist. Der Schutz ist eher ein umschließender Schutzraum, ein sicherer und geschützter Bereich, in dem man gemeinsam sicher ist.
In den Versen 5 und 6 geht es um die verschiedenen Teile des Tages. Es geht um die Nacht, den Tag, die Finsternis und den Mittag. Er umfasst einen Zeitraum von vierundzwanzig Stunden und bedeutet „immer“. Wir brauchen keinen Augenblick des Tages oder der Nacht Angst vor dem Unbekannten zu haben, vor dem, was uns erwartet, was uns an Leid und Kummer widerfahren kann. In der Nacht hat man es mit unsichtbaren Gefahren zu tun, am Tag mit sichtbaren Gefahren (Vers 5). Die Pest ist unsichtbar, während die Zerstörung durch ihre Verwüstung sichtbar ist (Vers 6).
Die Nacht macht alles unkenntlich und hat etwas Beängstigendes. Wer in der Nacht hinausgehen muss, fürchtet sich vor den Gefahren, die in der Finsternis verborgen sind. Diejenigen, die unter Gottes Flügeln sind, erhalten die Zusicherung, dass sie sich nicht vor dem fürchten müssen, was in der Zukunft verborgen ist. Wer auf Gott vertraut, geht im Licht, während es in der Welt Nacht ist.
Es ist nicht nur die Nacht, die plötzlich auftauchendes Leid beherbergt. In der Anwendung können wir an Verleumdungen denken, die hinter unserem Rücken über uns verbreitet werden. Auch am Tag können sichtbare Dinge geschehen, die uns schaden. Da ist zum Beispiel „der Pfeil, der am Tag fliegt“. Hier können wir an eine plötzliche Konfrontation mit jemandem denken, der uns etwas vorwirft, an dem wir keinen Anteil haben. Diejenigen, die ihre Zuflucht zu Gott nehmen, brauchen sich davor nicht zu fürchten. Gott ist da, deshalb regen sie sich nicht auf oder werden unruhig. Sie übergeben es vertrauensvoll an Gott. Er hört sie und wird zu seiner Zeit gerecht damit handeln (1Pet 2,23b).
Dann wird wieder „die Pest“ erwähnt (Vers 6; Vers 3), jetzt als eine Krankheit, „die im Finstern umgeht“. Es gibt hier eine Drohung. Sie ist vorhanden, aber es ist unbekannt, wann sie zuschlagen wird. Es gibt auch die Drohung „der Seuche, die am Mittag verwüstet“. Dies ist eine offenkundige, sichtbare Drohung. Diese beiden Drohungen werden sie nicht erschrecken, weil sie auf Gott vertrauen.
Was ebenfalls Angst auslösen kann, ist der Massentod von Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung (Vers 7). Wie der nächste Vers sagt, sind dies gottlose Menschen. Hier geht es um die strafende Hand Gottes über Israel, wenn der Antichrist an der Macht ist. Wenn die Gottlosen von Gott mit allen möglichen Plagen bestraft werden, gibt es die Gewissheit, dass dieses Unglück die versiegelten Gottesfürchtigen nicht treffen wird. Sie bleiben unversehrt (vgl. Off 7,3). Das macht das Wunder des Schutzes Gottes groß.
Nur ihre Augen werden daran teilhaben, denn sie werden es schauen (Vers 8; vgl. Jes 66,24). In den Plagen, die die Gottlosen töten, sehen sie die Vergeltung Gottes an ihnen (vgl. Ps 37,34). Gott vergilt den Gottlosen, was sie aufgrund ihres gottlosen Verhaltens verdient haben. Nun mag es so aussehen, dass die Gottlosen ungestört ihren Geschäften nachgehen können und immer ungestraft davonkommen. Diejenigen, die auf Gott vertrauen, wissen, dass der Moment der Vergeltung kommen wird, wenn Gott gerecht richten wird (vgl. Off 6,10.11).
9 - 13 Schutz des Messias
9 Weil du den HERRN, meine Zuflucht, den Höchsten, gesetzt hast zu deiner Wohnung,
10 so wird dir kein Unglück widerfahren und keine Plage deinem Zelt nahen;
11 denn er wird seinen Engeln über dir befehlen, dich zu bewahren auf allen deinen Wegen.
12 Auf den Händen werden sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
13 Auf Löwen und Ottern wirst du treten, junge Löwen und Schlangen wirst du niedertreten.
Bemerkung: Vers 9 kann auch wie folgt übersetzt werden: „Denn du, HERR, bist meine Zuflucht. – Du hast den Höchsten gesetzt zu deiner Wohnung.“ Diese Variante folgen wir in der Erklärung.
In diesem Abschnitt geht es vor allem um den Messias. Zuerst hören wir, wie der Messias zu dem HERRN spricht (Vers 9a). Dann spricht der Psalmist zu dem Messias (Verse 9b–13). Dies geht aus der in der Einleitung erwähnten Tatsache hervor, dass der Teufel diese Verse bei der Versuchung in der Wüste zitierte und auf Christus anwandte. Dieser Abschnitt bezieht sich zwar speziell auf den Messias, aber er gilt auch für den treuen Überrest Israels, und wir können ihn auch auf uns selbst anwenden.
Mit dem Wort „denn“, mit dem Vers 9 beginnt, knüpft dieser Vers an den vorherigen Abschnitt an und leitet zum nächsten Abschnitt über. Weil der HERR seine Zuflucht ist (Vers 2), ist Er vor all den Gefahren geschützt, die im vorigen Abschnitt erwähnt wurden. Auch dieser neue Abschnitt beginnt damit, dass der HERR seine Zuflucht ist. Es ist eine Wiederholung von Vers 2, und wie dieser Vers ist er eine Einleitung für den folgenden Abschnitt. Weil der HERR seine Zuflucht ist, ist Er auch vor den in diesem Abschnitt erwähnten Gefahren geschützt. Der HERR ist immer bei Ihm, um Ihn zu schützen und zu bewahren. Das ist das Geheimnis für ein Leben ohne Furcht und Angst für jeden Gläubigen.
Wie bereits erwähnt, wechselt in Vers 9b der Sprecher. Es spricht nicht mehr der Messias, sondern der Psalmist, der durch den Geist Christi die Verheißungen Gottes an den Messias weitergibt. Es ist eine Wiederholung und Zusammenfassung der früheren Verheißungen der Verse 3–8. Bei „dem Höchsten“ findet der Messias nicht nur Zuflucht (Vers 1), sondern Er hat „den Höchsten“ selbst zu seiner „Wohnung“ gesetzt. Dort findet Er nicht nur Schutz, sondern auch ein Zuhause. Er spricht von vollständiger und ungestörter Ruhe. Das ist der Höchste für Ihn.
Daher kann die Gewissheit ausgedrückt werden, dass „kein Unglück“ Ihm widerfahren und „keine Plage“ sich seinem Zelt nähern wird (Vers 10). Sein „Zelt“ spricht von seinem vorübergehenden Aufenthalt auf der Erde. Er „wohnte“ auf der Erde in einem Leib (Joh 1,14), was wörtlich „zeltete“ bedeutet, d. h. in einem Zelt wohnte.
Er ist während seines Lebens als Mensch auf der Erde von allem Bösen und jeder Plage unberührbar, weil Er volle Ruhe in Gott hat. Wir sehen ein Beispiel im Sturm auf dem See. Er kann während des Sturms friedlich schlafen (Mk 4,36–38a). Er ist nicht im Sturm, sondern im Höchsten als seiner Wohnung, wo kein Sturm kommen kann, wo völlige Ruhe ist.
Die Verse 11 und 12 werden vom Teufel in einer seiner Versuchungen des Herrn Jesus zitiert. Dabei führt er den Herrn auf die Zinne des Tempels (Mt 4,5.6; Lk 4,9–12). Als der Herr auf der Zinne des Tempels steht, fordert der Teufel Ihn auf, jetzt zu beweisen, dass Er der Sohn Gottes ist, indem Er sich von der Zinne hinabwirft.
Vers 11 beginnt mit dem Wort „denn“, dann wird erzählt, wie der Messias vor Unglück und Plage bewahrt werden wird. Denn Gott wird seinen Engeln den Auftrag geben, Ihn auf allen seinen Wegen zu bewahren. Diese Wege sind die Wege, die Gott mit Ihm gehen will. Auf diesen Wegen sichert Gott Ihm seinen Schutz durch seine Engel zu. Gott gibt ihnen den Auftrag, Ihn auf ihren Händen zu tragen, damit Er seinen Fuß nicht an einen Stein stößt (Vers 12).
Das Wort „stoßen“ bedeutet „zerschmettert werden“ (vgl. Ps 89,24). Man stößt sich nicht nur den Zeh an irgendetwas und holt sich einen blauen Fleck, sondern man stolpert über einen gefährlichen Berghang und wird durch den Sturz zerschmettert. Daher sehen wir, wie der Teufel diesen Vers anwendet, um sich von der Zinne des Tempels hinabzuwerfen. Die Zinne des Tempels ist die höchste Traufe des Säulengangs, die über einem tiefen Abgrund liegt. Von dort sollte sich der Herr hinabwerfen, um den Juden zu zeigen, dass Er der verheißene Messias ist. Denn „die Juden fordern Zeichen“ (1Kor 1,22).
Wenn Er wirklich Gottes Sohn ist, so fordert Ihn der Teufel heraus, wird Gott nach diesen Versen aus Psalm 91 seinen Engeln den Auftrag geben, Ihn zu bewahren. Ist Er nicht der Gegenstand der Anbetung durch die Engel? Der Herr leugnet nicht, dass diese Verse von Ihm handeln. Er weiß auch, dass Er seinen Vater um Engel bitten kann, wie Er bei einer anderen Gelegenheit sagt (Mt 26,53).
Aber der Herr durchschaut die wahre Bedeutung dieser Versuchung. Sie ist in Wirklichkeit eine Versuchung zur Selbsterhöhung in den Dingen, die Gott gegeben hat. Doch der Herr Jesus sucht nicht sich selbst. Auch Er kennt das Wort, und zwar vollkommen, denn Er hat es gegeben. Er sitzt, wie es in diesem Psalm heißt, im Schutz des Höchsten (Vers 1). Das ist der Ort, den Er bewohnt, und deshalb gibt es in Ihm keinen Gedanken, Gott zu versuchen. Er vertraut Gott vollkommen. Es gibt für Ihn keinen Grund, Gott zu prüfen, ob das, was Er gesagt hat, wahr ist.
Hinzu kommt, dass der Teufel wie immer selektiv aus der Bibel zitiert. Der Teufel kennt die Bibel. Er zitiert aus Psalm 91. Wir können jedoch sicher sein, dass er bei seinen Bibelzitaten immer Verse verfälscht oder nur teilweise zitiert. Hier lässt er absichtlich die Worte „auf allen deinen Wegen“ weg. Der Teufel spricht nicht von den Wegen des HERRN, denn Er geht seinen Weg im Gehorsam gegenüber Gott.
Das Wesen dieser Versuchung besteht darin, den Herrn an der Treue Gottes zweifeln zu lassen. Es ist eine Prüfung, ob Gott tun wird, was Er in seinem Wort gesagt hat. In der Antwort des Herrn – die wie bei den anderen Versuchungen aus der Schrift stammt (5Mo 6,16) – wird sein völliges Vertrauen in Gott deutlich. Der Herr widersteht der Versuchung mit der Schrift, die davor warnt, den HERRN, seinen Gott, nicht zu versuchen. Es ist eine Beleidigung für Gott, wenn wir Ihm in seinem Wort nicht vertrauen, auch wenn die Umstände noch so sehr darauf hinzudeuten scheinen, dass man Gott nicht vertrauen kann.
Der Teufel zitiert Vers 13 dieses Psalms nicht. Das liegt daran, dass dieser Vers von ihm und seiner völligen und erniedrigenden Beseitigung durch den Messias handelt. Der Teufel oder Satan ist wie „Löwen und Ottern“ und wie „der junge Löwe und die Schlange“. Er ist der brüllende Löwe, der mit Gewalt beeindrucken und verschlingen will, und er ist die listige Schlange, die mit List verführen und töten will (Joh 8,44; 1Pet 5,8; 2Kor 11,3.14; Off 12,9).
Löwen und Ottern sind lebensbedrohliche Tiere, die aus ihren Verstecken heraus angreifen. Unerwartet greifen sie dich an. Das eine reißt dich in Stücke und das andere vergiftet dich. Das eine tut es mit Gewalt, das andere mit Verderbtheit. Das sind die beiden Merkmale der Welt von jeher: „Und die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat“ (1Mo 6,11).
Der Messias überlebt nicht nur, Er überwindet. Das gilt auch für alle, die seinem Beispiel folgen und dem Teufel widerstehen. Diejenigen, die seinem Beispiel folgen, entkommen nicht nur der rohen Gewalt und dem tödlichen Gift des Widersachers, sondern unterwerfen ihn. Wir sehen das Endergebnis, als der Herr Jesus den Teufel ohne Prüfung erst in den Abgrund und dann in die Hölle wirft (Off 20,1–3.10). Die Nachfolger des Herrn Jesus sind an der Vollstreckung dieses Gerichts beteiligt. Gott wird „in kurzem den Satan unter“ ihre „Füße zertreten“ (Röm 16,20).
14 - 16 Was Gott tun wird
14 Weil er Wonne an mir hat, will ich ihn erretten; ich will ihn in Sicherheit setzen, weil er meinen Namen kennt.
15 Er wird mich anrufen, und ich werde ihm antworten, ich werde bei ihm sein in der Bedrängnis; ich werde ihn befreien und ihn verherrlichen.
16 Ich werde ihn sättigen mit Länge des Lebens und ihn schauen lassen meine Rettung.
In diesem Abschnitt spricht Gott zu dem Messias. Er garantiert, dass Er das Vertrauen des Messias auf mächtige Weise belohnen wird. Zu diesem Zweck macht Er Ihm acht Verheißungen. Dieser Abschnitt gilt auch für alle, die durch den Glauben mit Christus verbunden sind.
„Hat Wonne“ und „kennt meinen Namen“ (Vers 14) bilden die Grundlage der acht Verheißungen Gottes. „Hat Wonne“ ist ein Wort, chasaq, und bedeutet hingegeben.
1. Gott wird Ihn „erretten“, weil der Messias Wonne an Ihm hat (Vers 14a). Der Ausdruck „hat Wonne“ impliziert die Kraft der Liebe, die der Messias zu seinem Gott hat, und dass Er auf Ihn allein vertraut. In diesem Ausdruck steckt also der Gedanke des „Anhängens, des Festhaltens an Ihm“. Er weist auf das große Vertrauen hin, das der Messias in seinem Gott hat, an dem Er Wonne hat. Deshalb wird Gott Ihn aus jeder Gefahr, die Ihn bedroht, erretten und seine Verheißungen an Ihm erfüllen.
2. Gott wird Ihn „in Sicherheit setzen“ und gibt als Grund an, „weil er meinen Namen kennt“ (Vers 14b). Nach der Befreiung setzt Er Ihn in Sicherheit und macht Ihn unverwundbar für Angriffe. Hier geht es in erster Linie um den Namen Jahwe, den Bundesnamen Gottes. Das bedeutet eine innige Beziehung auf der Grundlage dessen, wer Er ist und was Er versprochen und getan hat, wie es im Bund zum Ausdruck kommt. Dass der Messias seinen Namen kennt, bedeutet, dass Er weiß, wer Gott in der Fülle seiner Eigenschaften ist. Es weist auf eine intime Kenntnis durch die Gemeinschaft mit Ihm hin (Mt 11,27a).
3. Gott wird Ihm „antworten“, denn Er „wird mich anrufen“ (Vers 15a; Ps 50,15). Aufgrund dieser innigen Gemeinschaft, weil Er seinen Namen kennt, wird der Messias Ihn anrufen. Er wird niemanden sonst anrufen, denn der, den Er anruft, wird Ihm antworten. Wir können dies auf den Ruf des Messias in Gethsemane anwenden. Und Er wurde um seiner Frömmigkeit willen erhört (Heb 5,7).
4. Gott wird „bei ihm sein in der Bedrängnis“ (Vers 15b). Dies ist eine kostbare Verheißung für den Messias und für alle, die in Bedrängnis sind, aber ihre Zuflucht in Gott haben. Gott verlässt Ihn nicht, sondern ist bei Ihm, steht Ihm zur Seite. Er ist nicht allein. Dass Gott bei Ihm ist, sorgt dafür, dass die Bedrängnis nicht zum Erdrücken führt. Wir können dies auch auf Gethsemane anwenden.
5. Gott wird Ihn „befreien“ (Vers 15c). Gott ist nicht nur bei Ihm, sondern hilft Ihm auch aus der Bedrängnis. Seine Anwesenheit in der Bedrängnis ist nicht nur ein Versprechen, sondern Gott verspricht auch seine Hilfe, Ihn zu befreien. Wir können dies auf die Auferstehung des Herrn Jesus anwenden.
6. Gott wird Ihn „verherrlichen“ (Vers 15d). Das ist es, was Gott getan hat, nachdem Christus auferstanden ist. Er hat Ihn in die Herrlichkeit aufgenommen und Ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Joh 13,31.32; Heb 2,9).
7. Gott wird „ihn sättigen mit Länge des Lebens“ (Vers 16a). Der Herr Jesus ist auferstanden zu einem unauflöslichen Leben (Heb 7,16). Er hat den Tod besiegt und wird ihn nie wieder sehen. Im Gegenteil, Gott schenkt Ihm zur Belohnung „ein langes Leben“, d. h. ein Leben, das kein Ende hat.
8. Gott sagt, Er werde „ihn schauen lassen meine Rettung“ (Vers 16b). Dies bezieht sich auf das Endergebnis von Gottes Wegen mit dem Messias auf der Erde im Friedensreich. Dann wird das Heil Gottes auf der Erde eine Tatsache sein. Dieses Heil wird vom Messias gesehen und an alle verteilt, die durch den Glauben an Ihn daran teilhaben.
So endet Psalm 91 als Antwort auf das Problem in Psalm 90. In Psalm 90 sehen wir die Unbeständigkeit des Lebens und die Mühen und Leiden unter dem Zorn Gottes während der Wüstenreise und der großen Drangsal. In Psalm 91 wandelt sich die Unbeständigkeit des Lebens in die Sättigung mit einem langen Leben, und die Mühen und Leiden wandeln sich in das Erleben des Heils des HERRN.
Wir können in diesen acht Verheißungen auch den Verlauf des Lebens des Herrn Jesus sehen, von seinem Kommen auf die Erde bis zu seiner Verherrlichung im Himmel und seiner Herrschaft im Friedensreich. Zugleich ist dies der Weg, den jeder Gläubige aufgrund seiner Verbindung mit Ihm durchläuft. Er ist diesen Weg zuerst gegangen, damit auch jeder Gläubige diesen Weg gehen kann. Das Geheimnis des Segens dieses Weges sehen wir in Ihm: völliges Vertrauen auf Gott (vgl. Jes 7,9b), mit dem Er als Mensch auf der Erde in einer innigen Beziehung lebte.