Einleitung
In Psalm 102 sah der gläubige Überrest das Leiden Christi mit dem Volk Israel. In Psalm 103 sehen sie, dass Christus auch für das Volk gelitten hat. Der HERR öffnet das Verständnis des Überrestes und lässt ihn erkennen, dass Christus leiden musste, um in seine Herrlichkeit einzugehen (Lk 24,45.46). In Psalm 103 sehen sie, dass das Leiden Christi das Leiden des Knechtes des HERRN als Schuldopfer (Jes 53,10) und als Sündopfer des Versöhnungstages (3Mo 16,5–28) ist.
Es ist nicht möglich, die Bedeutung des Leidens Christi objektiv und distanziert zu betrachten. Wir sehen daher, dass der Überrest, sobald er die Bedeutung des Leidens zu verstehen beginnt, ein Loblied zu singen beginnt. Psalm 103 beginnt mit zwei Aufforderungen und endet mit vier Aufforderungen, den HERRN zu loben.
Wer kann schweigen, wenn er einer so großen Rettung teilhaftig geworden ist?
1 - 5 Preise den HERRN, meine Seele
1 Von David.
Preise den HERRN, meine Seele, und all mein Inneres seinen heiligen Namen!
2 Preise den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht alle seine Wohltaten!
3 Der da vergibt alle deine Ungerechtigkeit, der da heilt alle deine Krankheiten;
4 der dein Leben erlöst von der Grube, der dich krönt mit Güte und Erbarmungen;
5 der mit Gutem sättigt dein Alter; deine Jugend erneuert sich wie die des Adlers.
Für den Ausdruck „von David“ siehe die Erklärung zu Psalm 3,1.
David ruft sich selbst auf, den HERRN zu preisen. Seine „Seele“ meint seine Gefühle. Er will auch, dass „all mein Inneres“, sein ganzes Inneres, sein Wille, seine Gedanken und Überlegungen, den heiligen Namen Gottes preist. Sein Name umfasst alle seine Eigenschaften und Handlungen.
Wir können nicht halb verheiratet sein; wir können den Herrn, unseren Gott, nicht mit einem Teil unseres Herzens, unserer Seele und unserer Kraft lieben (5Mo 6,5). So kann David nicht – und so kann der Überrest nicht, und so können wir es nicht – in Psalm 103 Gott nur mit einem Teil dessen preisen, was in ihm ist.
Der Herr Jesus hat uns alles gegeben, Er hat sich selbst gegeben. Es ist unser vernünftiger Gottesdienst, unseren ganzen Leib als lebendiges Opfer vor Gott zu stellen und Ihn mit allem, was in uns ist, zu preisen. Er ist es wert, groß gemacht zu werden, und Er ist es wert, dass wir Ihm mit unserem ganzen Wesen dienen. Er ist würdig, von allem, was in uns ist, gepriesen zu werden.
Alle Handlungen Gottes ergeben sich aus dem, was Er ist, und tragen seine Überschrift. Wer Er ist und was Er tut, verlangt den Lobpreis von Davids ganzer Person. Vers 1 preist den HERRN dafür, wer Er ist, Vers 2 für das, was Er tut. Letzteres setzt sich bis Vers 18 fort. In Vers 19 wird dann das, was Er ist, zum Anlass genommen, Ihn in den Versen 20–22 zu preisen und Ihm zu danken.
Sein Name ist heilig, weil alles, was Er ist und tut, das Zeichen der Heiligkeit trägt. Es ist alles völlig frei von jeglichem Makel der Sünde oder auch nur dem Gedanken daran. Gott ist Licht und gar keine Finsternis ist in Ihm (1Joh 1,5). Das zeigt sich in allem, was Er tut.
Ein weiteres Mal sagt David, dass seine Seele den HERRN preisen wird (Vers 2). Das hat er auch in Vers 1 gesagt, aber jetzt sagt er es mit Bezug auf alle Wohltaten Gottes. Von diesen darf und will er keine einzige vergessen. Es geht sowohl um die materiellen als auch um die geistlichen Wohltaten. Es ist notwendig, dass wir uns daran erinnern, denn wir sind ziemlich vergesslich. Die Vergesslichkeit in Bezug auf alle Wohltaten, die Gott uns geschenkt hat, ist unentschuldbar und zeugt von Undankbarkeit.
Die größte und zuerst genannte Wohltat ist wohl die Vergebung „alle deine Ungerechtigkeit“ (Vers 3; vgl. Jes 53,4.5). Die Vergebung Gottes bezieht sich auf jede Ungerechtigkeit, ohne Ausnahme. Das Bekenntnis der Ungerechtigkeiten wird hier vorausgesetzt (1Joh 1,9). Wenn eine einzige Ungerechtigkeit nicht vergeben würde, würden das Werk Christi und die Vergebung Gottes für immer zu kurz kommen. Zum Glück ist es nicht so. Die Vergebung ist vollkommen, weil das Werk Christi vollkommen ist.
Das Wort „Vergebung“ ist hier nicht das gewöhnliche Wort für Vergebung, sondern ein Wort, das die göttliche Vergebung von schweren Übertretungen impliziert (vgl. Ps 25,11). Es handelt sich hier um die Grundlage der Vergebung, die wir im Bild des Versöhnungstages finden. Auf dieser Grundlage kann der Engel Gabriel zu Daniel über die Sühne der Ungerechtigkeit und die Herbeiführung der ewigen Gerechtigkeit sprechen (Dan 9,24).
Der HERR ist auch der Heiler (2Mo 15,26). In Verbindung mit der Vergebung der Ungerechtigkeiten heilt Er auch „alle deine Krankheiten“. Die vollständige Heilung aller Krankheiten, sowohl des Leibes als auch der Seele, wird im Friedensreich stattfinden, denn dann wird sein Volk Ihm dienen (2Mo 23,25). In der Heilung des Gelähmten durch den Herrn Jesus sehen wir dies dargestellt (Mt 9,2–7). Er vergibt dem Gelähmten zuerst seine Sünden und heilt ihn dann körperlich. So wird es auch in der Zukunft mit dem Überrest sein (vgl. Off 22,2).
In dem Zeitalter, in dem wir heute leben, kann es keinen Anspruch auf vollständige Heilung geben. Dass der Gläubige durch die Striemen des Herrn Jesus heil geworden ist (1Pet 2,24), bezieht sich auf die Gesundheit des geistlichen Lebens, das durch die Sünde beeinträchtigt und zerstört worden war. Die Striemen, auf die hier Bezug genommen wird, sind nicht die Striemen durch die Geißelung, die Ihm von den Soldaten des Pilatus zugefügt wurde, sondern die Striemen des Gerichts Gottes über die Sünde. Striemen, die von Menschen verursacht wurden, können unmöglich eine heilende Wirkung auf Menschen haben.
Der Herr Jesus hat am Kreuz das Gericht Gottes für die Sünde erlitten. Die Sünden derer, die glauben, sind dadurch weggenommen. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass dadurch auch die Folgen der Sünde, wie z. B. Krankheiten, beseitigt wurden. Dass Er die Gebrechen auf sich genommen und die Krankheiten weggetragen hat, bezieht sich nicht auf das Kreuz, sondern auf sein Leben auf der Erde (Mt 8,16.17). Es heißt nicht, dass der Herr Jesus die Krankheiten am Kreuz getragen hat und deshalb ein Gläubiger nicht mehr krank zu sein braucht. So wie der Herr mit den Gebrechen mitfühlen kann, kann Er auch bei den Krankheiten mitfühlen, was Er bei den Sünden nicht kann.
Der nächste Wohltat, für den Gott zu preisen ist, ist, dass Er „dein Leben erlöst von der Grube“ (Vers 4). Damit will der Psalmist sagen, dass er vom Tod erlöst wurde. Das passt zum Horizont des Gläubigen im Alten Testament. Als Nächstes sagt er, dass Er „dich krönt mit Güte und Erbarmungen“. Er erfährt während seines Lebens die Bundestreue oder Güte des HERRN. Dasselbe gilt für die Erbarmungen, d. h. das Mitgefühl mit der Not des Gläubigen in diesem Leben.
Es geht um die Umkehrung des Schicksals des Gläubigen: Statt vom Tod bedroht zu sein, ist er nun von Güte und Erbarmungen gekrönt, andere übersetzen „umgeben“. Er ist also unverwundbar gegenüber der drohenden Vernichtung. Dies ist nur möglich, weil das Leiden und Sterben Christi die Versöhnung herbeigeführt hat. Es ist die Erfüllung des Wortes: „Verschlungen ist der Tod in Sieg“ (1Kor 15,54b; Jes 25,8a).
Ganz allgemein weiß der Gläubige, dass die Verwesung ihn nicht im Griff hat. Er kann sterben, aber der Tod hat keine Macht über ihn. Der Herr Jesus hat durch seine Auferstehung den Tod für jeden besiegt, der an Ihn glaubt (Joh 11,25.26).
Gott sättigt „dein Alter“ – oder „Seele“, wie man es auch übersetzen kann – der Seinen „mit Gutem“ (Vers 5). Das bedeutet, dass Er den Gläubigen mit Segnungen, mit guten Dingen überhäuft. Daher können wir sagen, dass das, wovon das Herz voll ist, der Mund überfließt, dass Lobpreis die Folge sein wird. Das bezieht sich auch auf das Leben diesseits des Grabes.
Es geht nicht um Essen, sondern um Danken, um das Reden und Singen guter Worte über all die Wohltaten, die Gott erwiesen hat. Der Mund wird voll von Dankbarkeit sein. Das wird nie enden, denn in der Wiedergeburt, d. h. im Friedensreich, wird die ewige Jugend mit neuer Kraft genossen werden (vgl. Ps 110,3).
Der Adler, von dem auch Jesaja spricht (Jes 40,31), bestätigt das Bild der Erneuerung der Macht. Ein Adler ist ein mächtiger Vogel, der die Lüfte beherrscht. Er kann in freier Wildbahn bis zu dreißig Jahre und in Gefangenschaft bis zu sechzig Jahre alt werden. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr erhält dieser mächtige Vogel jedes Jahr ein neues Federkleid, sodass sein Alter an seinem Gefieder erkennbar ist.
6 - 12 Recht und Güte
6 Der HERR übt Gerechtigkeit und [verschafft] Recht allen, die bedrückt werden.
7 Er tat Mose seine Wege kund, den Kindern Israel seine Taten.
8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, langsam zum Zorn und groß an Güte;
9 er wird nicht immer rechten und nicht in Ewigkeit nachtragen.
10 Er hat uns nicht nach unseren Sünden getan und uns nicht nach unseren Ungerechtigkeiten vergolten.
11 Denn so hoch die Himmel über der Erde sind, ist gewaltig seine Güte über denen, die ihn fürchten;
12 so weit der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Übertretungen.
In den Versen 1–5 dankt David dem HERRN für alle Wohltaten, die Er an seiner Seele vollbracht hat. Es ist auch nicht irgendeine Wohltat, sondern eine große Wohltat, nämlich dass eine Umkehr in seinem Zustand stattgefunden hat. Zuerst war er auf dem Weg ins Verderben, krank wegen der Züchtigung durch Gott über seine Ungerechtigkeit. Die große Wohltat des HERRN besteht darin, dass Er ihn von all dem befreit und ihn mit so großen Segnungen überschüttet hat, dass es ihm unmöglich ist, über diese große Rettung zu schweigen.
Nun fährt er fort, die „Gerechtigkeit“ oder gerechten Taten des HERRN zu besingen (Vers 6). Zu diesen gerechten Taten gehören „Recht“ verschaffen „allen, die bedrückt werden“. Das zeigt sich darin, dass Er den Bedrückten erlöst, während Er gleichzeitig die Bedrücker bestraft. Wir leben auch heute noch in einer Welt, die voller Unrecht und Ungerechtigkeit ist. Das kommt nicht vom HERRN, sondern vom Menschen, der ohne Ihn lebt.
Wenn der HERR regiert, wenn Er sich auf seinen Thron setzt (Mt 25,31), wird alle Ungerechtigkeit ein Ende haben. Er wird ihr ein Ende setzen, indem Er „Gerechtigkeit übt“, d. h. die gerechte Gerichte übt, mit denen Er Ungerechtigkeit bestraft und beseitigt. „Alle, die bedrückt werden“, die um seines Namens willen Unrecht erlitten haben, wird Er Gerechtigkeit üben. Er wird sie in den Frieden und den Segen des Friedensreiches führen.
Gott hat Pläne für die Zukunft. Das beinhaltet zwei Dinge: erstens die Befreiung aus der Hand des Feindes und zweitens die Vergebung der Sünden. Er „tat“ die Pläne für die Zukunft seines Volkes und die Art und Weise, wie Er sie verwirklichen wird, „Mose kund“ (Vers 7). Mose ging zu Ihm, um sich die Stiftshütte zeigen zu lassen (2Mo 25,40; Heb 8,5). Darin offenbart Er seinen Plan, nämlich dass Er inmitten eines erlösten Volkes wohnen will. „Den Kindern Israels“ hat Er „seine Taten“ kundgetan. Er tat dies, indem Er sie aus der Knechtschaft Ägyptens befreite und in das verheißene Land brachte.
Das Volk musste von einem äußeren Feind, aber auch von seinen Sünden befreit werden. Erst dann konnte der HERR in ihrer Mitte wohnen. So ist es auch in der Zukunft. Es gibt eine Befreiung aus der Hand der Gottlosen, sowohl der Völker als auch des eigenen Volkes, aber vor allem eine Befreiung von ihren Ungerechtigkeiten.
Alle Wege und Taten des HERRN zeigen, dass Er „barmherzig und gnädig“ und „langsam zum Zorn und groß an Güte“ ist (Vers 8). Das ist die Herrlichkeit Gottes, die Er Mose zeigte, als dieser sich wunderte, wie der HERR das Volk nach der Sünde mit dem goldenen Kalb verschonen konnte (2Mo 34,6.7). Jedes Mal, wenn sich sein Volk von Ihm abwandte und begann, Götzen zu dienen, hat Er seine Barmherzigkeit und Gnade gezeigt, indem Er es verschonte. Wie oft ist seine Geduld auf die Probe gestellt worden. Dass Er sie nicht vernichtet hat, liegt daran, dass Er „groß an Güte“ ist.
Gott „wird nicht immer rechten“ (Vers 9; Jes 57,16). Bei dem Volk Israel konnte der HERR durch den Versöhnungstag in ihre Mitte kommen und wohnen (3Mo 16,1–34). Was an diesem Tag geschah, die Opfer, die dargebracht wurden, weisen auf das Werk des Herrn Jesus am Kreuz hin, wie in Hebräer 9 und 10 erklärt wird (Heb 9,1–28; 10,1–22). Dies gilt für alle, die ihre Sünden bekannt haben.
In dem Augenblick, in dem der Hohepriester, der stellvertretend für das Volk vor Gott auftrat, durch die Kraft des Blutes zurückkehrte, wusste das Volk mit Sicherheit, dass seine Sünden für dieses eine Jahr weggenommen waren. So wurde Christus, unser Hoherpriester, zu unserer Rechtfertigung von den Toten auferweckt (Röm 4,25).
Der Gläubige darf wissen, dass seine Sünden von dem Herrn Jesus am Kreuz getragen wurden (1Pet 2,24). Gott hat Ihm das gerechte Gericht für diese Sünden gegeben. Infolgedessen wurden sie ausgelöscht und weggetan. Die ganze Hitze seines Zorns über diese Sünden ist über seinen Sohn hinweggegangen. Deshalb lässt Er seinen Zorn nicht ewig auf dem reuigen Sünder ruhen, sondern vergibt ihm und segnet ihn.
In einem Gespräch mit jemandem, der dem Irrtum Allversöhnung anhängt, wurden diese Verse von ihm als Beweis dafür angeführt, dass Gott jeden rettet. „Denn“, so behauptete er, „Gott ist barmherzig und gnädig, geduldig und groß an Güte, und Er trägt nicht in Ewigkeit nach“. Diese Art der Bibelauslegung ist eine große Täuschung mit fatalen Folgen.
Wir werden vor einer solchen „eigenen Interpretation“ bewahrt, wenn wir verstehen, dass das Handeln Gottes in diesem Psalm durch das Fest des Versöhnungstages in 3. Mose 16 veranschaulicht wird. An diesem Tag wird etwas mit zwei Böcken gemacht. Der erste Ziegenbock wird geschlachtet. Das bedeutet, dass die Ehre Gottes wiederhergestellt wird. Das ist es, was der Herr Jesus getan hat. Auf dieser Grundlage kann allen Menschen Versöhnung angeboten werden.
Der zweite Bock wird in die Wüste geschickt, nachdem der Hohepriester die Sünden Israels bekannt hat, indem er seine Hände auf den Kopf dieses Bocks legte. Dies tat auch der Herr Jesus, indem Er die Sünden eines jeden Menschen auf sich nahm, der seine Sünden bereute und sie Gott bekannte. Dies bedeutet Stellvertretung, d. h. die Vergebung der Sünden findet tatsächlich nur für jeden Menschen statt, der seine Sünden mit Reue vor Gott bekennt. Nur diejenigen, die glauben, erhalten Vergebung der Sünden, denn nur von ihnen sind die Sünden durch das Opfer Christi tatsächlich gesühnt. Mit diesen Sünden wurde Er belastet, und über sie empfing Er das Gericht Gottes.
Wir dürfen nicht vergessen, dass David hier als der Mund des treuen Überrestes Israels in der Zukunft spricht. Er preist Gott für die Vergebung seiner Sünden. Er ist sich bewusst, dass seine Schuld vergeben ist. Er weiß, dass sein Leben von der Grube erlöst worden ist. Er erfährt, dass Gott aufgrund der Vergebung nicht ewig zürnt. Er ist befreit von dem Zorn, der jeden unbußfertigen Menschen trifft. Jeder Mensch, der glaubt, dass Christus den Zorn Gottes für ihn getragen hat, wird Gott dafür ewig preisen!
Psalm 103 spricht von einem Menschen, der bereut und Buße getan hat und sich der Vergebung bewusst ist. Was David darin sagt, sagt kein unbekehrter Mensch und wird in der Ewigkeit kein Mensch sagen, der nicht auf der Erde Buße getan hat. Auf der Erde muss Buße getan werden und auf der Erde müssen die Sünden vergeben werden und nicht im Jenseits (Mt 9,6).
Diejenigen, die ihre Sünden bekannt und Vergebung empfangen haben, sind sich zutiefst bewusst, dass es nur Gnade ist, dass Gott ihnen nicht nach ihren Sünden getan und nicht nach ihren Ungerechtigkeiten vergolten hat (Vers 10; vgl. 2Mo 34,7). David spricht hier im Plural, „uns“ und „unseren“. Er drückt hier die Gefühle des gläubigen Überrestes aus, der in den Segen des Friedensreiches eingegangen ist. Sie sind dort nicht aufgrund eines eigenen Verdienstes.
Was der gläubige Überrest sagt, gilt in noch stärkerem Maß für den neutestamentlichen Gläubigen. Auch er wird an allen Segnungen des Friedensreiches teilhaben (Heb 11,40). Darüber hinaus ist er mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern gesegnet. Diese wurden ihm aus reiner Gnade von Gott gegeben, „der reich ist an Barmherzigkeit“ und „wegen seiner großen Liebe“ (Eph 1,3; 2,1–10). Sollten wir Ihm dafür nicht ewiges Lob zollen und jetzt auf der Erde damit beginnen?
Wer kann die Entfernung zwischen der Erde und dem Himmel messen (Vers 11)? Es ist eine Entfernung, die für den Menschen unermesslich ist. Niemand war jemals in der Lage, die „Decke“ des Himmels zu entdecken. So unermesslich „hoch die Himmel über der Erde sind, ist gewaltig seine Güte [das heißt chesed, Bundestreue] über denen, die ihn fürchten“.
Alle, „die ihn fürchten“ – dieser Ausdruck kommt dreimal im Psalm vor (Verse 11.13.17) – sind Gegenstand der Macht seiner Güte. (Dies ist übrigens ein weiterer Beweis für die Lüge von der Allversöhnung.) Gott hat in ihnen die Furcht, d. h. die Ehrfurcht vor Ihm bewirkt. Es ist alles sein Werk.
Der Überrest preist hier die Macht seiner Güte. Jetzt, da Christus durch das Blut des neuen Bundes das Fundament des Bundes gelegt hat, ist die Macht der göttlichen Güte oder Bundestreue so unendlich groß, dass der Herr Jesus sagen kann: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18).
In der grenzenlosen Macht seiner Güte hat Gott alle seine Verheißungen gegenüber einem versagenden Volk erfüllt. Er hat sich ihrer auf mächtige Weise gnädig angenommen, während sie das Recht auf alle Verheißungen Gottes völlig verwirkt haben. Seine Macht ist in seinem Sohn, dem Vermittler des neuen Bundes, sichtbar geworden, der alle Bedingungen des Gottesbundes erfüllt hat. Was für den Menschen unmöglich ist, nämlich sich selbst zu retten, vermag Gott zu tun (Lk 18,25–27).
Auch für die Übertretungen des Volkes hat Er in der Kraft seiner Güte gesorgt (Vers 12). Übertretungen erfordern Vergeltung. Diese Vergeltung hat Er von seinem Sohn erbeten und erhalten. Christus hat die Übertretungen derer, die an Ihn glauben, Gott gegenüber als seine eigenen bekannt und für sie das Gericht Gottes erlitten (2Kor 5,21). Das bedeutet, dass Gott in denen, die sie bekannt haben, keine Sünde mehr sieht, weil Christus für sie gestorben ist. Er hat den Lohn dafür empfangen (Röm 6,23a).
Der Überrest ist sich bewusst, dass seine Sünden weggetragen sind. Sie weisen auf die Entfernung zwischen ihnen und ihren Übertretungen hin, indem sie auf die Entfernung zwischen „dem Osten“ und „dem Westen“ verweisen. Damit ist keine geografische Entfernung gemeint, sondern eine Entfernung zwischen dem Westen, wo der Opfernde steht, und dem Osten, in den der mit den Sünden des Volkes beladene Bock durch das Osttor Jerusalems in die Wüste im Osten weggeschickt worden ist. Der Ziegenbock wird in einer abgelegenen Wüste freigelassen und kehrt nie wieder zurück. Dass die vergebenen Übertretungen niemals zurückkehren werden, um sie heimzusuchen, wird auch in anderen Versen der Heiligen Schrift bestätigt (Jes 38,17b; Jer 50,20; Mich 7,19; Heb 8,12).
13 - 19 Erbarmung und Gerechtigkeit
13 Wie ein Vater sich über die Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.
14 Denn er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind.
15 Der Mensch – wie Gras sind seine Tage; wie die Blume des Feldes, so blüht er.
16 Denn ein Wind fährt darüber, und sie ist nicht mehr, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.
17 Die Güte des HERRN aber ist von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskinder hin
18 für die, die seinen Bund halten und sich an seine Vorschriften erinnern, um sie zu tun.
19 Der HERR hat in den Himmeln festgestellt seinen Thron, und sein Reich herrscht über alles.
David vergleicht den HERRN mit „einem Vater“, der „sich über die Kinder erbarmt“ (Vers 13). Es besteht jedoch der Unterschied, dass ein irdischer Vater seine kleinen Kinder trägt, während es bei Gottes Volk und bei uns der Fall ist, dass Gott alle die Seinen trägt, die kleinen und die großen, ein Leben lang (Jes 46,3.4).
Der HERR, Jahwe, der Gott des Bundes mit seinem Volk, erbarmt sich wie ein Vater „über die, die ihn fürchten“. Wir sehen hier die zärtliche Fürsorge Gottes für sein verletzliches Volk, d. h. für diejenigen, die Ehrfurcht vor Ihm haben und in Ehrfurcht vor Ihm leben. Sie sind von Ihm in diese Beziehung gebracht worden.
David kannte Gott nicht persönlich als Vater, und auch der gläubige Überrest wird Ihn nicht so kennen. Mehrere Male wird Gott als Vater seines Volkes bezeichnet. Dies hat die Bedeutung von „Ursprung“ und stellt nicht die Beziehung des einzelnen Israeliten zu Ihm dar (5Mo 32,6; Jes 63,16; 64,7; Jer 31,9; Hos 11,1). Es ist das Vorrecht des neutestamentlichen Gläubigen, Gott persönlich als Vater zu kennen und Ihn durch den Geist der Sohnschaft „Abba, Vater“ zu nennen (Röm 8,15; Gal 4,6).
Der Überrest ist sich seiner Schwäche bewusst. Und genau das ist der Grund für Gottes Erbarmen: „Denn er kennt unser Gebilde“, d. h. „woraus wir gemacht sind“ (Vers 14). Gott „ist eingedenk, dass wir Staub sind“, das wird Er nie vergessen, denn Er hat uns aus „Staub vom Erdboden“ gemacht (1Mo 2,7; 3,19). Wenn wir uns weiterhin daran erinnern, werden wir unsere Abhängigkeit von Ihm erkennen.
In den Versen 15 und 16 geht David auf die Schwäche und Vergänglichkeit des Menschen ein. Der Mensch ist nur ein „sterblicher Mensch“ mit einer kurzen Existenz auf der Erde (Vers 15). Er schildert seine Kürze und seine schnell verwelkende Pracht wie folgt: „Wie Gras sind seine Tage; wie die Blume des Feldes, so blüht er“ (vgl. Jes 40,7; 1Pet 1,24; Ps 90,5.6). Sein Leben ist so zerbrechlich, dass ein Windhauch es wegweht (Vers 16). Es ist der heiße, sengende Wüstenwind aus dem Osten Israels, der innerhalb von Stunden alles verbrennt, „und sie ist nicht mehr, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr“. Er ist für immer aus dem Blickfeld verschwunden, ohne eine Spur seiner früheren Anwesenheit zu hinterlassen.
Im Gegensatz dazu steht „die Güte des HERRN“ (Vers 17). Sie ist nicht flüchtig, vorübergehend, vergänglich, sondern „von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten“. Es ist ein Merkmal dessen, der der Ewige ist. Seine Güte hört nie auf. Zuvor wurde von seiner Barmherzigkeit gesagt, dass sie in ihrem Umfang unermesslich und unbegreiflich ist (Vers 11). Jetzt heißt es, dass seine Güte niemals endet, endlos ist und sich bis in alle Ewigkeit erstreckt. Wir verstehen, dass dies nur möglich ist, weil seine Bundestreue, seine Güte, auf dem Blut des neuen Bundes beruht, dem kostbaren Blut Christi.
Und über wen erstreckt sie sich? „Über denen, die ihn fürchten.“ Dies kennzeichnet den Gläubigen zu allen Zeiten und den gläubigen Überrest insbesondere in der Endzeit. Es ist der Beweis für das neue Leben. Sie betreten das Friedensreich. Diejenigen, die Gott fürchten, die in Ehrfurcht vor Ihm leben, sind der ewige Gegenstand seiner Güte.
In der zweiten Zeile von Vers 17 geht es nicht um die Güte des HERRN, sondern um „seine Gerechtigkeit“. Güte und Gerechtigkeit stehen niemals im Widerspruch zueinander. Die Güte beruht auf der Gerechtigkeit. Die „Kindeskinder“ sind die nachfolgenden Generationen. Sie müssen zunächst Gottes Gerechtigkeit anerkennen, in Bezug auf die Frage, wer sie sind. Dann werden sie an der Güte Gottes teilhaben und in ihr verweilen (vgl. Jes 59,21).
Die nächsten Generationen werden sich an Gottes „Bund halten und sich an seine Vorschriften erinnern, um sie zu tun“ (Vers 18). Sie werden dies tun und damit zeigen, dass sie sich vor Ihm gebeugt haben mit Bekenntnis ihrer Sünden. Sie haben eine neue Natur erhalten, mit der sie Ihm gehorchen werden. Von Natur aus kann und will der Mensch das nicht tun (Röm 8,6–8). Er kann es nur tun, wenn er ein neues Herz hat (vgl. Hes 36,25–27).
Vers 19 beginnt mit „dem HERRN“, was seine Person hervorhebt. Diese Person ist so herrlich, dass sie Anlass zu dem folgenden vierfachen Lobpreis gibt. Dies geschieht nicht mehr aufgrund dessen, was Er getan hat (Verse 2–18), sondern jetzt, wie in Vers 1, aufgrund dessen, was Er ist.
Der Abschnitt der Verse 19–22 beginnt und endet mit seiner Herrschaft. Dass der gütige Gott auch der herrschende Gott ist, wird durch die Bemerkung unterstrichen, dass Er „seinen Thron in den Himmeln festgestellt hat“ (Vers 19). Das ist jetzt, in diesem Zeitalter, der Fall und wird auch im Friedensreich der Fall sein. Ein festgestellter Thron ist ein fester, unerschütterlicher Thron. Er ändert sich nicht in seiner Herrschaft. Im Friedensreich wird sein Thron ebenfalls auf der Erde stehen. Zu dieser Zeit herrscht „sein Reich über alles“ im Himmel und auf der Erde.
20 - 22 Preist den HERRN
20 Preist den HERRN, ihr seine Engel, ihr Gewaltigen an Kraft, Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes!
21 Preist den HERRN, alle seine Heerscharen, ihr, seine Diener, Täter seines Wohlgefallens!
22 Preist den HERRN, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft! Preise den HERRN, meine Seele!
Wenn die Zeit gekommen ist, in der das Reich des HERRN über alles herrscht, folgt der Aufruf an alle und alles, den HERRN zu preisen. Die ersten, die aufgerufen werden, Ihn zu preisen, sind „seine Engel“, die „Gewaltigen an Kraft, Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes!“ (Vers 20). Sie sind Ihm nahe. Sie sind „mächtig an Kraft“ und führen im Gehorsam das Wort aus, das Er spricht, ohne zu widersprechen. Sie sind ausgesandt, um denen zu dienen, die die Errettung erben (Heb 1,14).
Nach der Aufforderung an die Engel, die Täter seines Wortes sind, wird der Kreis derer, die aufgerufen sind, den HERRN zu preisen, auf „alle seine Heerscharen“ erweitert (Vers 21). Seine Heerscharen sind alle himmlischen Heerscharen. Neben den Täter seines Wortes gibt es auch Engel, die sich in besonderer Weise um die Bewahrung der Heiligkeit Gottes kümmern, wie z. B. die Cherubim. Es werden auch Seraphim erwähnt (Jes 6,2). Alle Engel sind Gewaltige an Kraft. Welch ungeheure Kraft muss ein Heer von Engeln haben. Aber sie stehen alle unter dem Oberbefehl des HERRN, und sie dienen nur Ihm und tun seinen Willen.
Schließlich werden „alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft“ aufgerufen, Ihn zu preisen (Vers 22). Hier wird der Kreis der Gottpreisenden auf das gesamte Universum ausgedehnt. Denn es gibt keinen Bereich im Universum, der nicht unter seiner Herrschaft steht.
Wir finden diese Lobpreisungen in Offenbarung 5: zuerst die Engel (Off 5,12), dann alle Geschöpfe (Off 5,13) und schließlich die Anbetung ohne Worte der Ältesten, also der Gläubigen (Off 5,14). In Psalm 103 finden wir zweimal die Engel (Verse 20.21), dann alle Geschöpfe (Vers 22a) und schließlich den Psalmisten (Vers 22b).
In der letzten Zeile von Vers 22 wird es wieder persönlich. Alle werden Ihn preisen, aber werde ich es auch tun? Für den Psalmisten ist das keine Frage. Er schließt ab, womit er diesen Psalm in Vers 1 begonnen hat: die Aufforderung an seine Seele, den HERRN zu loben oder zu preisen. Der HERR ist es ewiglich wert.