Kapitel
Einleitung
Micha bedeutet: „Wer ist wie Jahwe?“ Er macht seinem Namen alle Ehre. In seinem Buch stellt er den HERRN – hebräisch Jahwe – als den gerechten Richter und den treuen Hirten Israels dar. Er zeigt, dass Gott Sünde, Gesetzlosigkeit, Götzendienst und religiösen Formalismus hasst. Wegen dieser Ungerechtigkeiten muss Gott sein Volk als gerechter Richter richten. Aber Gott ist auch der Gott, der mit niemandem verglichen werden kann. Wer ist wie Er (Mich 7,18)? Als ein Gott der Vergebung ist Er bereit, seinem Volk eine herrliche Zeit des Friedens unter der Herrschaft des Messias zu schenken.
Wie gesagt, der Name Micha bedeutet: „Wer ist wie Jahwe?“ Als Michas Mutter ihren kleinen Jungen bei seinem Namen rief, um nach Hause zu kommen, schallte ein lautes Zeugnis durch die Straßen von Moreschet, dass der HERR – unsere Übersetzung des Wortes Jahwe – mit niemandem verglichen werden kann.
Als dieses Zeugnis so durch die Stadt klang, mag es den frommen Israeliten an das Lied erinnert haben, das Mose und die Israeliten nach ihrer Erlösung aus Ägypten sangen. In diesem Lied erklingt das gleiche Zeugnis (2Mo 15,11). Leider wird diese Erinnerung nur bei wenigen Menschen vorhanden gewesen sein. Die Masse des Volkes denkt nicht mehr an den HERRN, an seine Erlösung und seine Absicht damit. Sie leben für sich selbst und tun ihren Nächsten Unrecht.
Deshalb ist mehr nötig als das Zeugnis seines Namens, als seine Mutter ihn rief oder als er sich später als „Micha“ vorstellte. Sein Name gewinnt an Substanz durch eine kraftvolle Predigt, mit der Sünde zu brechen und zu tun, was der HERR verlangt (Mich 6,8). Er beschließt diese Predigt mit einem kraftvollen Zeugnis über die Bedeutung seines Namens: „Wer ist ein Gott wie du, der die Ungerechtigkeit vergibt“ (Mich 7,18a).
Der Micha dieses Bibelbuches ist nur noch in Jeremia 26 zu finden (Jer 26,18). Dort, wie auch hier (Mich 1,1), wird er „Micha, der Moraschtiter“ genannt. Das unterscheidet ihn deutlich von allen anderen in der Bibel erwähnten Michas, von denen wir oft nur den Namen ihres Vaters lesen. Es gibt zwei Namensgeber, von denen wir mehr lesen.
Einer ist „Micha, der Sohn Jimlas“ (1Kön 22,8–22). In diesem Sohn Jimlas hat Micha von Moreschet einen inspirierenden Vorläufer. Der Sohn Jimlas war furchtlos darin, Gottes Wort zu Königen und Propheten zu bringen, die Gott nicht beachteten. Dieser Mann ließ sich nicht von der Pracht der Könige und der drohenden Sprache der falschen Propheten beeindrucken. Denn jenseits dieser hochgestellten Personen hat er die Majestät des HERRN gesehen, in der alle irdische Herrlichkeit verblasst und ihre drohende Wirkung verliert. Micha aus Moreschet wird sich als ein würdiger Namensvetter erweisen, weil er seine Botschaft ebenso furchtlos bringt.
Der andere Micha steht in krassem Gegensatz zu diesen beiden treuen, hingebungsvollen Michas. Wir treffen ihn in Richter 17–18. Dieser Mann hat seine ganz eigene Vorstellung davon gehabt, wie er Gott dienen wollte. Sein Götzendienst hat einen ganzen Stamm dazu gebracht, ihm in seinem Götzendienst zu folgen (Ri 17,1–13; 18,1–6.27.30.31).
Moreschet, die Stadt, aus der der Micha dieses Bibelbuches stammt, ist eine kleine Stadt südwestlich von Jerusalem, die direkt an das Philistergebiet grenzt. Der Zusatz „Gat“ weiter hinten in Micha 1 deutet darauf hin (Mich 1,14). Es ist eine gewöhnliche ländliche Stadt in der Provinz. Genau wie Amos, der ein paar Jahrzehnte vor ihm lebte, ist er jemand vom Land.
Das soll nicht heißen, dass er isoliert lebte und an dem alle Weltnachrichten vorbeiziehen. Er lebte an dem Weg, der von den Philistern zu den judäischen Bergen führt. Dieser Weg ist ein Zufahrtsweg zum Land. Micha lebte an einem Ort, wo er von den Vorübergehenden über alles informiert wurde. Er ist kein Fremder in der Welt, in der er lebt, und kann deshalb ein angemessenes Zeugnis geben.
Was seine Herkunft betrifft, so besteht Ähnlichkeit mit Amos. Was den Inhalt seiner Botschaft betrifft, gibt es eine deutliche Ähnlichkeit mit Jesaja, von dem er ein Zeitgenosse ist. Sie haben beide viel über den Messias gesprochen. Micha wird manchmal auch „der kleine Jesaja“ genannt. Dass es eine Ähnlichkeit mit Jesaja gibt, zeigt auch die Anzahl ähnlicher Passagen beider Propheten:
Mich 1,9–16 – Jes 10,28–32
Mich 2,1–2 – Jes 5,8
Mich 2,6.11 – Jes 30,10–11
Mich 2,12 – Jes 10,20–23
Mich 3,5–7 – Jes 29,9–12
Mich 3,12 – Jes 32,14
Mich 4,1 – Jes 2,2
Mich 4,4 – Jes 1,19
Mich 4,7 – Jes 9,7
Mich 4,10 – Jes 39,6
Mich 5,2–4 – Jes 7,14
Mich 5,6 – Jes 14,25
Mich 6,6–8 – Jes 43,6–7
Mich 7,7 – Jes 8,17
Mich 7,12 – Jes 11,11
Die Tatsache, dass es eine deutliche Ähnlichkeit zwischen Micha und Jesaja gibt, bedeutet nicht, dass Micha eine Kopie von Jesaja ist. Er ist kein Nachsprecher Jesajas. Was er sagt, „leiht“ er sich nicht von Jesaja, sondern es ist vom HERRN angeordnet. Die Menschen, die Jesaja hören, hören dasselbe von Micha. Der eine Prophet unterstreicht also, was der andere gesagt hat. So wird das Zeugnis, das der HERR gegeben hat, bestätigt. Übrigens: Gott lässt niemals widersprüchliche Töne hören. Seine Boten sind immer in Harmonie miteinander, weil sein Geist sie leitet. Dabei bleibt der individuelle Stil eines jeden Boten immer gewahrt.
Im Vergleich zu Jesaja ist Micha ein kleiner Prophet. Wir sehen Jesaja regelmäßig am Hof des Königs, während Micha eher der Mann des Volkes ist. Eine solche Position kann eine besondere Übung des Glaubens bedeuten. Schließlich ist es nicht leicht, im Schatten eines großen Propheten zu stehen. Doch Micha dachte nicht: „Jesaja macht die ganze Arbeit. Ich brauche nichts zu tun.“ Er weiß sich persönlich vom HERRN zu seiner Aufgabe berufen und erfüllt sie deshalb mit Hingabe.
Die Anwendung für die Gemeinde heute ist, treu den Dienst zu tun für den Herrn. Jede Gabe ist wichtig, auch die in unseren Augen „kleine“ Gabe. Jeder mit einer „kleinen“ Gabe sollte nicht denken: „Die großen Gaben werden es schon tun.“ Das ist auch heute in der Gemeinde ein oft benutztes Argument, um sich nicht für Gottes Reich zu engagieren. Nicht dass es immer laut gesagt wird, aber die Praxis beweist es.
Paulus zeigt, dass eine solche Sichtweise in der Tat aus Eifersucht herrührt. Dazu benutzt er das Bild eines menschlichen Körpers: „Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, so bin ich nicht von dem Leib – ist er deswegen nicht von dem Leib?“ (1Kor 12,15). Hier sehen wir, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Platz in der Gemeinde, die als ein Leib gesehen wird, aus der Eifersucht auf den Platz eines anderen herrührt. Diese Haltung führt zu der törichten Vorstellung, nicht dazuzugehören, keine Aufgabe zu haben.
Auf jeden Fall benutzt Micha nicht die Ausrede: „Weil ich nicht Jesaja bin, bin ich kein Prophet.“ Es stört ihn nicht, auch seine „kleine“ Aufgabe auszuführen. Noch einmal: Gott hat jedem seiner Kinder eine Aufgabe zugewiesen. Wenn jeder der vielen mit sogenannter kleinen Gaben sich dessen bewusster wird, wird es viel mehr Frucht für Gott in der Gemeinde geben und viel weniger Kampf und Spaltung.
Wie die Prophezeiungen von Hosea und Amos befasst sich auch die Prophezeiung Michas mit dem geistlichen Zustand des Volkes der Juden, der zwei Stämme. Er prangert auch deutlich die sozialen Missstände an. Auch Samaria wird erwähnt, die zehn Stämme, es geht also um ganz Israel. Er prophezeite etwa zehn Jahre vor dem Fall Samarias, verursacht durch die Assyrer im Jahr 722 v. Chr., ein Ereignis, über das er auch prophezeite (Mich 1,6.7).
Wegen all des Unrechts in den Beziehungen, das in Israel entstanden ist, ist das Volk reif für die Sichel der Assyrer geworden. Diese Ungerechtigkeiten sind in 2. Könige 17 zusammengefasst (2Kön 17,6–23). Das Gericht, das Micha zu verkünden hatte, wurde von ihm nicht mit trockenen Augen ausgesprochen. Es ging ihm sehr zu Herzen (Mich 1,8.9).
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass in Jeremia 26 (Jer 26,18) das zitiert wird, was Micha in Micha 3 (Mich 3,12) angekündigt hat. In den Tagen Jeremias erinnert man sich an Michas Worte. Das ist mehr als ein Jahrhundert später, nachdem er sie gesprochen hat. Die Priester und Propheten wollen Jeremia töten, weil er ihnen das Gericht verkündet, wenn sie ungehorsam bleiben. Aber die Fürsten zitieren die Prophezeiung Michas und wie Hiskia darauf reagierte.
Für Jeremia bedeutet diese Erinnerung, dass die Drohung, ihn zu töten, beseitigt ist. Die Ehrfurcht vor Hiskia ist groß. Immerhin hat dieser gottesfürchtige König Micha nicht für seine Worte töten lassen. Wenn sie Jeremia für seine Worte töten würden, käme das einer Verurteilung des gottesfürchtigen Hiskia gleich, als hätte er Micha zu Unrecht leben lassen.
Interessant ist auch, dass Micha mehrfach in der Bibel zitiert wird.
1. Das erste Zitat, das schon vorher erwähnt wurde (Jer 26,11–19), findet hundert Jahre nach seinem Auftritt statt.
2. Danach gibt es einen Verweis auf Micha in der Zeit des Herrn Jesus. So wird aus Micha zitiert, um die Weisen aus dem Osten an den Ort der Geburt des Messias zu bringen (Mich 5,1 – Mt 2,5.6).
3. Der Herr Jesus selbst benutzt Micha, als er die Siebzig aussendet. Bei dieser Gelegenheit sagt der Herr selbst seinen Boten, dass sich die Prophezeiung Michas in ihrer Verkündigung erfüllen wird (Mich 7,6 – Mt 10,21.35.36).
4. Als Christus sich als der gute Hirte vorstellt, so finden wir auch das bei Micha (Mich 2,12.13 – Joh 10,9.11.14).
Einteilung des Buches
Das Buch lässt sich in drei Teile gliedern, wobei jeder Teil mit „hören“ beginnt:
1. Ermahnung bezüglich der Sünde (Micha 1 und 2)
2. Verkündigung des Gerichts (Micha 3–5)
3. Verheißung des Segens durch den Messias (Micha 6 und 7)