Kapitel
Einleitung
Wer sich mit der Bibel ein wenig auskennt, weiß, dass Joel zu den Bibelschreibern und sodann zu den zwölf kleinen Propheten gehört, deren Bücher am Ende des Alten Testaments angereiht sind. Trotzdem ist es oft schwierig, sein Buch zu finden. Überhaupt scheint es mitunter einfacher zu sein, die elf Spieler des Lieblingsfußballvereins zu nennen, sogar mit deren Position, die sie in der Mannschaft einnehmen, als sich die Namen der zwölf kleinen Propheten in der richtigen Reihenfolge zu merken.
Allerdings haben wir in der Bibel auch nur neun Seiten über Joel. Von den insgesamt 1.308 Seiten, die meine Elberfelder Bibel zählt, ist das nicht viel. Kein Wunder also, dass man Joel leicht übersehen kann, wenn man die Bücher der Bibel nicht auswendig kennt.
Doch die Botschaft, die Joel weitergibt, verdient unsere Aufmerksamkeit voll und ganz – was allerdings für jedes Buch der Bibel gilt. Sein Buch enthält 73 Verse. Das ist nicht viel und erweckt den Eindruck, dass der Inhalt begrenzt sei. Aber wir werden sehen, wie reich der Inhalt dessen ist, was Joel im Namen des HERRN an sein Volk weitergibt. Wir werden auch sehen, wie er nach einer Beschreibung all des Elends, das er in seinen Tagen erlebt, einen wunderbaren Ausblick auf die herrliche Zukunft zeigt, die Israel erwartet.
Ger de Koning
Middelburg, Mai 2002 / überarbeitet Oktober 2020 / übersetzt Juni 2021
Wer war Joel?
Von Joel sind nur sein Name und der Name seines Vaters bekannt. Joel bedeutet „Jahwe ist Gott“. In der Elberfelder Übersetzung wird der Name Jahwe mit „HERR“ übersetzt, in Großbuchstaben geschrieben. Im Hebräischen, der Sprache, in der das Alte Testament ursprünglich zum größten Teil geschrieben wurde, heißt dieser Name Gottes JHWH.
Wenn seine Eltern ihm bewusst diesen Namen gegeben haben, können wir sicher sein, dass er in einer Familie aufgewachsen ist, die den HERRN fürchtete. Was der Name seines Vaters Pethuel bedeutet, ist hingegen nicht sicher. Einige sind der Ansicht, dass damit „junger Mann Gottes“ oder „der von Gott Überredete“ gemeint ist, andere meinen, der Name steht für „Offenheit Gottes“ oder „Einfalt Gottes“.
Über Joel wissen wir ferner, dass das Wort des HERRN zu ihm kommt mit der Absicht, dieses zum Volk zu sprechen. Das wiederum sagt etwas über seine Beziehung zu Gott und seine Beziehung zu dem Volk aus. Gott gibt seine Gedanken nicht einfach irgendeinem Mitglied seines Volkes bekannt. Gott sagt das, was Ihn beschäftigt, zu Menschen, die mit Ihm und für Ihn leben. Die Bedeutung des Namens Joel zeigt somit nicht nur den Glauben seiner Eltern, sondern auch, dass Joel selbst nach der Bedeutung seines Namens lebt. Er ist ein gottesfürchtiger Einzelgänger inmitten eines abtrünnigen Volkes.
Die Berufung Joels
Wir wissen nicht viel über die Berufung Joels. Ein Standardverfahren, das man zu Rate ziehen könnte, um zu sehen, wie man sich als Prophet verhält, gibt es auch nicht. Aber wenn wir uns auf die Bedeutung seines Namens verlassen und auf dieser Basis annehmen dürfen, dass er in Gemeinschaft mit Gott lebt, können wir davon ausgehen, dass der Geist Gottes irgendwann über Joel gekommen ist.
Der Grund für seinen Auftritt als Prophet ist in den Umständen der damaligen Zeit zu finden. Es herrscht große Not, als Joel geboren und vom HERRN gerufen wird. Plötzlich tritt er in die Öffentlichkeit, aber erst nachdem Gott ihn für seine Aufgabe vorbereitet hat. Er nimmt Anteil an der Trauer Gottes über sein Volk, weil es Ihm untreu geworden ist. Voller Mitgefühl verkündet er im Namen Gottes das Gericht, aber ohne sich darüber zu freuen, dass Gott sein untreues Volk richten wird.
Er wirft ihnen nicht vor: „Ihr seid selbst schuld!“ Vielmehr ruft er auf zur Umkehr zum HERRN. Das bevorstehende Gericht ist für ihn der Grund, dem Volk in diesem Augenblick das Wort Gottes zu bringen und auch als Fürsprecher zum HERRN zu rufen (Joel 1,19). Bei ihm ist eine brennende Liebe für den HERRN und auch für das Volk vorhanden, zu dem er gehört.
Joel und Elia
Bei Joel finden wir einige Dinge, die uns an Elia erinnern. Da ist zunächst einmal die Bedeutung seines Namens. Der Name Elia enthält die gleichen Gottesnamen wie Joel, denen das persönliche „mein“ hinzugefügt wurde. Nur die Reihenfolge ist anders. Elia bedeutet „mein Gott ist Jahwe“; bei Joel ist es umgekehrt: Jahwe ist Gott.
Zweitens sehen wir die Verbindung zwischen dem Namen und der Botschaft, die beide bringen. Der Name Joel, „Jahwe ist Gott“, passt zu der Botschaft, die der HERR ihm anvertraut. Joel soll durch seine Verkündigung das Volk zu der Erkenntnis bringen, dass es wirklich wahr ist, dass der HERR Gott ist. Auch Gott selbst weist darauf hin, dass sein Volk erkennen wird, dass „ich, der HERR, euer Gott bin“ (Joel 2,27; 4,17). Elia hingegen bringt durch seinen Auftritt auf dem Karmel das Volk zu dem Bekenntnis: „Der HERR, er ist Gott! Der HERR, er ist Gott!“ (1Kön 18,39).
Eine dritte Ähnlichkeit zwischen den beiden Propheten ist der Grund für ihren Auftritt. Der Anlass von Joels Predigt ist eine Naturkatastrophe. Das ist auch bei Elias Auftritt auf dem Karmel der Fall, denn dort handelt es sich um eine Dürre. Das Zeugnis des Elia auf jenem Berg, ein Zeugnis für den Namen des HERRN, setzt der dreieinhalbjährigen Dürre ein Ende. Elia bat Gott um diese Dürre (Jak 5,17a), damit das Volk durch sie zu Gott zurückkehrt.
Neben den Ähnlichkeiten in der Bedeutung ihrer Namen, ihrer Botschaft und dem Grund ihres Auftretens gibt es noch eine vierte Gemeinsamkeit zwischen diesen Propheten. In beiden Fällen spielt „der Tag des HERRN“, der yom JHWH, eine Rolle. In Joel gibt es fünf Hinweise auf diesen Tag. In Maleachi wird Elia ebenfalls im Zusammenhang mit dem Tag des HERRN erwähnt (Mal 3,23). Was dieser Tag bedeutet, werden wir in der Fortsetzung unserer Studie über diesen Propheten sehen.
Der Anlass seiner Predigt
Wie schon gesagt, ist der Anlass von Joels Predigt eine Naturkatastrophe. Genau genommen sind es sogar zwei: Heuschrecken und Dürre. In diesen Katastrophen, die als Plagen erlebt werden, soll die Stimme Gottes gehört werden. Er spricht zu seinem Volk, um es zur Umkehr zu Ihm zu bewegen (2Chr 7,13–15; 1Kön 8,37–40). Der Zweck von Joels Auftritt ist somit, dass das Volk durch diese Katastrophen die Botschaft Gottes versteht und sich zu Ihm bekehrt.
Darüber hinaus bringt Joel die Naturkatastrophen seiner Zeit – die Heuschrecken und die Dürre – und den zukünftigen Tag des HERRN in einen Zusammenhang. Indem er darauf hinweist, dass die Katastrophen Vorboten des kommenden Tages des HERRN sind, ruft der Prophet Joel seine Zeitgenossen dazu auf, die „Zeichen der Zeit“ nicht nur zu sehen, sondern sie auch zu beherzigen. Als Prediger des Tages des HERRN ist Joel ein Prophet, der seine Zuhörer mit dem nahenden Gericht konfrontiert.
In einem allgemeinen Sinn gilt das auch für uns Christen. Auch wir müssen die Menschen damit konfrontieren: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, [so] überreden wir die Menschen“ (2Kor 5,11). Joel drängt also – und das müssen auch wir tun – auf eine einschneidende Entscheidung: die Umkehr zu Gott.
Umkehren, aber wovon?
Wir hören aus Joels Mund nicht, von welchen Sünden Israel umkehren sollte. Joel erwähnt nicht, dass sie Götzen dienen oder soziale Ungerechtigkeit begehen und dulden. Die einzige Sünde, von der er spricht, ist die des Betrunkenseins (Joel 1,5). Wenn wir aber den Aufruf in Joel 2 (Joel 2,12) einbeziehen, wird deutlich, dass das Volk zu seinem eigenen Vergnügen lebt. Juda ist ein Volk geworden, das für die Unterhaltung lebt.
Wohin der Missbrauch von Wein führt, hören wir auch aus dem Mund anderer Propheten. Hosea weist darauf hin, dass übermäßiger Gebrauch von Wein den Verstand (oder: das Herz) wegnimmt (Hos 4,11). Amos malt aus, wie der Gebrauch von Wein ein Ausdruck einer luxuriösen und dekadenten Lebensweise ist (Amos 6,6). Und bei Jesaja hören wir, wie er den Gebrauch von Wein als ein Mittel beschreibt, das blind macht für „das Tun des HERRN“ und für „das Werk seiner Hände“ (Jes 5,11.12).
Joels Aufgabe ist es, das Volk wachzurütteln, damit sie sich wieder auf „das Tun des HERRN“ konzentrieren, das in den Katastrophen sichtbar ist. Ihr Herz ist nicht ganz dem HERRN zugewandt. Von einem Volk, das von Ihm aus der Macht des Feindes befreit wurde, könnte Er etwas anderes erwarten. Er hat sie erlöst, damit sie sein Volk sind, ein Volk, das Ihm mit allem dient, was in ihm ist, und mit allem, was es besitzt. Wenn das Volk nicht reagiert, wird Er nichts unversucht lassen, um es für sich zurückzugewinnen. Dabei hat Er auch ihr Glück und Wohlbefinden im Blick. Der Mensch, der nicht ganz für Ihn lebt, kann nicht glücklich sein.
Vergleich mit Hosea
Während sich Hosea an das Zehnstämmereich wendet (obwohl er manchmal auch Juda erwähnt), spricht Joel nur Juda und besonders die Juden in Jerusalem an (Joel 3,5; 4,1.17.18.20). Joel bezieht sich sodann auch auf ihre Bewohner (Joel 4,6.8.19), auf Zion (Joel 2,1.15; 4,17.21) und ihre Kinder (Joel 2,23; 4,6.8.20). Ebenfalls erwähnt er mehrmals den Tempel oder den Tempeldienst, mit dem er sehr vertraut ist (Joel 1,9.13.14.16; 2,14.17; 4,18).
Auch in der Art der Verkündigung unterscheiden sich die beiden Propheten. Hosea drückt sich in kurzen und kraftvollen Aussagen aus, mit plötzlichen Wendungen und vielen verschiedenen Aktionen. Joel ist gleichmäßiger in seiner Predigt; er hat ein abgerundetes Thema. Zudem zeigen die Sprache und der Stil Joels eine starke Fähigkeit, sich in den Zustand der Menschen einzufühlen, die unter den Plagen der Heuschrecken und der Dürre leiden. Sein Stil ist klar und fließend, sprachlich schön.
Die Prophezeiung
Joel kündigt das Gericht des „Tages des HERRN“ an. Er erwähnt diesen Tag fünfmal in seiner Prophezeiung; deshalb könnte man ihn auch „den Propheten des Tages des HERRN“ nennen. Ebenso kündigt er die endgültige Befreiung von Juda, Jerusalem und Israel an.
Wenn ein Prophet auftritt, kann man in der Regel voraussetzen, dass das Volk Gottes durch seine Untreue Ihm gegenüber in einen Zustand des Verfalls geraten ist. Prophetie ist dann das besondere Eingreifen Gottes. In der Prophetie zeigt Er, wie der Mensch konkret gesündigt hat und warum sein Gericht kommen muss. In der Prophetie gibt es allerdings auch das Zeugnis einer Wiederherstellung, die durch Gottes Gnade stattfinden und wodurch es Segen für sein Volk geben wird.
Joel bringt dem Volk Juda die Botschaft Gottes als scharfer Beobachter der Zeit, in der er lebt. Die Worte, in denen er dies tut, liefern viele prophetische Bausteine. Das bedeutet, dass in seiner kurzen Prophezeiung viel vorhanden ist, wodurch wir Einblick in die Ereignisse der Endzeit gewinnen können.
Thema seiner Predigt
Das Thema, um das sich seine Predigt dreht, ist die Invasion der Assyrer. Joel 1 beschreibt die Invasion der Heuschrecken und die Verwüstung, die darauf folgt. Diese Invasion und Zerstörung sind die Ankündigung der noch schrecklicheren Invasion der Assyrer und der Zerstörung, die sie verursachen werden. Dies wird in Joel 2 beschrieben (Joel 2,1–11). Die Hand des HERRN ist sowohl in der Heuschreckenplage als auch in der Invasion der Assyrer zu sehen.
Beide Einfälle und die anschließende Zerstörung werden von Joel mit dem kommenden Tag des HERRN als einem Tag, an dem das Gericht über sein abtrünniges Volk kommt, in Verbindung gebracht. Aber in der Fortsetzung von Joel 2 und 3 sehen wir, wie dieses Gericht auch über die Assyrer und alle Nationen kommt, die sich Israel gegenüber feindlich verhalten haben.
Historisch gesehen müssen wir den Einfall der Assyrer in die Zeit des Königs Hiskia einordnen (2. Könige 18 und 19). Prophetisch handelt es sich um den König des Nordens, der in der Zukunft meint, Israel vernichten zu können, der aber selbst durch den Herrn Jesus vernichtet werden wird (Dan 11,40–45).
Wann hat Joel geweissagt?
Joel ist einer der Propheten, über den die Meinungen bezüglich der Datierung weit auseinandergehen. Joel erwähnt keinen Namen oder ein anderes Ereignis, das stattgefunden hat, das einen Hinweis auf die Zeit geben könnte, in der er prophezeit.
Höchstwahrscheinlich prophezeite Joel in den Tagen von Ussija (792/791-740 v. Chr.). Er ist dann ein Zeitgenosse von Hosea und Amos, die beide in den Tagen Ussijas geweissagt haben (Hos 1,1; Amos 1,1). Auch hätte Joel nicht ohne Grund seinen Platz im Kanon des Alten Testaments zwischen Hosea und Amos bekommen.
Wenn Amos sich auf die gleiche Plage bezieht (Amos 4,9) wie Joel in seinem ersten Kapitel, wäre das ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass Joel und Amos Zeitgenossen waren. In der Zeit Ussijas erleben Israel und Juda eine Zeit großen Wohlstands. Eine Heuschreckenplage führt dazu, dass all dieser Wohlstand in kurzer Zeit zerstört wird.
Doch Gott hat es für besser befunden, die Zeit, in der er prophezeite, nicht bekannt zu geben. Das unterstreicht noch mehr die Zeitlosigkeit seiner Botschaft. Wir werden sehen, dass seine Prophezeiung denn auch für die Zeit, in der wir leben, sehr wichtig ist.
Zweck der Heuschreckenplage
Gott hatte Juda in den Tagen Ussijas reichlich gesegnet, das Volk aber hielt seinen Segen für selbstverständlich. So hat eine noch nie dagewesene Heuschreckenplage Juda heimgesucht und die gesamte Ernte vernichtet. Das hat die Wirtschaft des Landes komplett zum Erliegen gebracht. Aber nicht nur das: Das Schlimmste ist, dass es aufgrund dieses landwirtschaftlichen Verlustes nicht mehr möglich war, das Speisopfer und das Trankopfer in den Tempel zu bringen (Joel 1,13). In diesen katastrophalen Umständen erkannte Joel das Gericht Gottes über Juda.
Nachdem Damaskus von Assyrien zerstört wurde, kam Ussija an die Macht. Er baute eine mächtige Armee auf und förderte die Handelsbeziehungen. Im Norden war Jerobeam II. an der Macht. Er eroberte mehrere Gebiete, die zuvor in die Hände von Syrien gefallen waren. Diese Umstände waren der Grund dafür, dass nun ein goldenes Zeitalter für Juda und Israel anbrach, das nur mit der Zeit König Salomos verglichen werden kann.
Wirtschaftlich ging es gut, aber der Luxus und der Überfluss hatten Juda und Israel innerlich geschwächt. Von Dankbarkeit gegenüber dem HERRN war keine Rede mehr. Ihr Glaube war zu einer hohlen Form geworden, zum Ausführen von rein religiösen Handlungen. Ihr Leben war darauf ausgerichtet, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Geleitet von Gottes Geist, sagte Joel dem Volk, dass die Heuschreckenplage eine Warnung für ein größeres Gericht sei, das bevorstehe. Dieses könne nur vermieden werden, wenn sie Buße tun und zur vollen Gemeinschaft mit Gott zurückkehren.
Wie bei den meisten anderen Propheten können wir auch bei Joel davon ausgehen, dass er ein tatsächliches Ereignis als Anlass für seine Prophezeiung nahm. Er tat dies, um das Gewissen des Volkes zur Zeit des Ereignisses zu wecken. Er tat es noch mehr, um dieses Ereignis als Bild für noch dramatischere Ereignisse zu benutzen, die in den letzten Tagen stattfinden werden, genauer gesagt: beim Anbruch des Tages des HERRN. Der Geist Gottes warnte vor dem Gericht, das zu einer Zeit kommen wird, in der solche Katastrophen Land und Leute heimsuchen. Das Volk sollte dies beherzigen.
Gottes Stimme in Katastrophen
In Naturkatastrophen zeigt Gott seine Allmacht. Er hat „die Gewalt über diese Plagen“ (Off 16,9). Gott schickt nicht wahllos solche Katastrophen oder andere Unglücksfälle. Er hat immer ein bestimmtes Ziel vor Augen, nämlich dass der Mensch sich von seinem bösen und unheiligen Weg bekehrt (Off 16,8.9).
Gottes Handeln kann von Menschen oft nicht überprüft werden. Es ist daher sicher nicht richtig, in dem Sinn zu urteilen, dass derjenige, der von einer Katastrophe betroffen ist, schlecht ist, und dass derjenige, an dem sie vorbeigeht, gut ist. Der Herr Jesus warnt vor einer solchen unchristlichen Sichtweise (Lk 13,1–5). Der Herr macht deutlich, dass die Ereignisse zu jener Zeit nicht Botschaften sind, die das Recht geben, über die Opfer zu urteilen, sondern dass diese Botschaften alle zur Umkehr aufrufen, die sie hören.
Für die Niederlande können wir die Feuerwerkskatastrophe am 13. Mai 2000 in Enschede und den Brand eines Cafés in Volendam während des Jahreswechsels 2000 auf 2001 als Beispiele nennen. Dem Ereignis vom 11. September 2001 und dem Namen World Trade Center ist nichts hinzuzufügen, ebenso wenig wie dem Tsunami vom 26. Dezember 2004. National und international sind alle, die es mitbekommen haben, von diesen Ereignissen schockiert. Ein weiteres Ereignis ist die Katastrophe, die sich bei der Verfassung dieses Kommentars ereignet hat: Flug MH17 am 17. Juli 2014. Und welche dramatischen Katastrophen werden sich nach der Veröffentlichung dieses Kommentars noch ereignen?
In Enschede wurde durch die Explosion einer Feuerwerksfabrik ein Wohnviertel vollständig ausgelöscht. Dutzende Menschen starben, andere erlitten bleibende körperliche und/oder geistige Schäden. In einem Café in Volendam verursachte in der Silvesternacht ein plötzliches Flammenmeer Tod und Zerstörung und irreparable physische und psychische Schäden bei den meist jungen Partygästen. In New York starben Tausende von Menschen. Mehr als 200.000 Menschen starben durch den Tsunami. 298 Menschen starben bei der Katastrophe von Flug MH17.
Die Vorstellung, dass all diese Menschen die Katastrophe, die sie getroffen hat, irgendwie „verdient“ haben, ist verwerflich. Gut aber ist, dass jeder, der davon hört, erkennt, wie relativ das Leben ist. Was du nicht für möglich gehalten hast, kann plötzlich in dein Leben treten. Die Folgen sind dramatisch. Die Frage, die sich jeder stellen sollte, ist: „Wenn mich eine Katastrophe trifft, wie stehe ich dann vor Gott?“ Gottesfürchtige Menschen leiden unter Katastrophen und Unfällen genauso wie die Gottlosen, und genauso profitieren die Gottlosen von Gottes Güte auf der Erde.
Einteilung des Buches
Nach diesen einleitenden Bemerkungen kommen wir zu einer Einteilung dieses Bibelbuches. Das Buch kann in sieben Teile gegliedert werden:
1. Heuschreckenplage, Dürre und Aufruf zur Buße (Joel 1,1–20)
2. Invasion der Assyrer (Joel 2,1–11)
3. Erneuter Aufruf zur Umkehr und Buße (Joel 2,12–17)
4. Die Antwort des HERRN auf die Buße (Joel 2,18–27)
5. Die Ausgießung des Geistes in der Endzeit (Joel 3,1–5)
6. Gericht über die Feinde Israels (Joel 4,1–16)
7. Segen für Israel (Joel 4,17–21)
Van Leeuwen gibt eine interessante Einteilung in seinem Kommentar De Prediking van het Oude Testament (Die Predigt des Alten Testaments). Diese stimmt fast vollständig mit der soeben gegebenen Einteilung überein. Das Interessante dabei ist die Struktur, die Van Leeuwen sieht, nämlich die sogenannte konzentrische Struktur so wie auch die Erklärung dafür.
A Das durch Heuschrecken und Dürre zerstörte Land (Joel 1,4–20)
--B Das anrückende Heer am Tag des HERRN (Joel 2,1–11)
----C Aufruf zur Umkehr (Joel 2,12–14)
------D Alle zusammengerufen zur Buße (Joel 2,15–17)
----C Erhörung durch den HERRN, Segen und Rettung (Joel 2,18–27; 3,1–5)
--B Die vorrückenden Völker und der Tag des HERRN (Joel 4,1–17)
A Das Land fruchtbar und sicher (Joel 4,18–21)
Erläuterung: Hier sehen wir, dass der Aufruf zum gemeinsamen Fasten- und Gebetstag im Zentrum steht (D). Weiterhin sehen wir, dass die Buchstaben C, B und A unterhalb des Zentrums die Gegenstücke zu den Buchstaben oberhalb des Zentrums sind. Mit (D) tritt die Wende vom Gericht zur Rettung für Gottes Volk ein. Der Aufbau ist also: Zuerst gibt es Gericht für Gottes Volk durch Plagen und Feinde (A – C), aber durch Reue und Buße (D) gibt es Segen für Gottes Volk und Gericht über die Feinde (C – A).