Einleitung
Joel wies in Kapitel 1 auf die verheerende Heuschreckenplage hin und warum sie von Gott gesandt wurde. In Joel 2 schließt er daran an mit der Ankündigung, dass Gott eine neue Plage schicken wird, weil sich das Volk nicht bekehrt hat. Diesmal sind es aber keine buchstäblichen Heuschrecken, sondern Soldaten. Obwohl es viele Ähnlichkeiten zwischen den Heuschrecken und den feindlichen Soldaten gibt, geht es in Joel 2 nicht darum, was das Volk alles frisst, sondern um das Volk selbst.
Joel weist auf den Tag des HERRN hin, der kommt, ein Tag, an dem der Herr Jesus wiederkommt. Es ist buchstäblich sein Tag, da Er mit seinen Gerichten kommt. Dieser Tag wirft seine Schatten voraus. Es ist ein Tag, den niemand ertragen kann, der nicht im Frieden mit Gott ist. Doch dieser Tag ist noch nicht gekommen und das Gericht kann noch abgewendet werden.
Deshalb hat Joel noch eine weitere Botschaft: Er ruft zur Umkehr auf. Denn noch ist es der Tag des Heils (vgl. 2Kor 6,2). Eine Umkehr ist also noch möglich auf der Grundlage dessen, wer Gott ist, also auf der Grundlage seiner Gnade und Barmherzigkeit. Die Folgen ihrer Reue und Umkehr sind ein großer Segen für das Volk.
Dieser Segen hat zwei Aspekte. Er drückt sich in einem reichlichen Ertrag des einst verwüsteten Landes aus. Das bezieht sich auf die äußeren Umstände. Das Volk wird in Wohlstand und Überfluss leben. Der Segen zeigt sich auch in einer Ausgießung des Geistes (Joel 3,1–5). Das bezieht sich auf eine innere Beziehung zum HERRN und auf ein Leben in Frieden und Ruhe, ohne Angst vor feindlichen Völkern.
1 Der Tag des HERRN ist nahe
1 Stoßt in die Posaune auf Zion, und blast Lärm auf meinem heiligen Berg! Beben sollen alle Bewohner des Landes; denn es kommt der Tag des HERRN, denn er ist nahe:
Die geistlichen Augen von Joel nehmen eine neue Plage wahr. Eine neue Gefahr droht. Es geht jetzt nicht mehr um eine Plage, bei der buchstäblich Heuschrecken die Hauptrolle spielen – das ist vorbei. In dieser Plage spielt ein Heer von Menschen die Hauptrolle. Joel sieht voraus und prophezeit, dass ein feindliches Volk das Land Israel zerstören wird. Hierfür muss ein Alarm geblasen werden. Die bevorstehende Zerstörung ist eine Vorahnung dessen, was mit Israel in der Endzeit, kurz vor der Wiederkunft Christi, geschehen wird.
Joel fordert, dass in die Posaune gestoßen wird, aber er sagt nicht, wer das tun soll. Denkbar ist, dass es Priester sein werden, da dies eine ihrer Aufgaben ist (4Mo 10,1–10). Dabei wird auch das Blasen des Alarms mit den Trompeten aus Silber genannt, wenn der Feind im Land ist (4Mo 10,9). Dann wird der HERR an sie denken.
Die Posaune wird in diesem Kapitel auch in Vers 15 wieder geblasen. Dort geht es darum, das Volk zusammenzurufen, um vor dem HERRN zu erscheinen. Hier ist es hingegen als Alarm gemeint, weil der Feind kommt (vgl. Hos 5,8; 8,1). Wie bereits erwähnt, bedeutet das Wort „Tag“, dass Er offenbart wird. Joel stellt „den Tag des HERRN“ als nahe vor. Er liegt nicht in der fernen Zukunft, so dass die Menschen denken könnten: Nach uns die Sintflut. Daher handelt es sich hier um ein Alarmsignal. Sie sollen erkennen, wie nahe dieser Tag ist!
Wo immer von Gerichten die Rede ist, ist es klar, dass sie bald stattfinden werden. „Die Zeit ist gedrängt“ (1Kor 7,29). „Es ist [die] letzte Stunde“ (1Joh 2,18). „Der Richter steht vor der Tür“ (Jak 5,9). „Die Zeit ist nahe“ (Off 1,3).
2 Die Assyrer
2 ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und der Wolkennacht. Wie die Morgendämmerung ist es ausgebreitet über die Berge, ein großes und mächtiges Volk, wie seinesgleichen von Ewigkeit her nicht gewesen ist und nach ihm nicht mehr sein wird bis in die Jahre der Geschlechter und Geschlechter.
Die Heuschreckenplage wird als Anlass und auch als Beispiel für die Ankunft eines feindlichen Heeres genommen. Dieses Heer wird noch kommen. Das Heer, von dem Joel spricht, ist das assyrische Heer, das von Norden her kommt (Vers 20). Assyrien wird von Gott die „Rute meines Zorns“ genannt (Jes 10,5; Mich 5,4.5). Die Invasion der Assyrer wird als eine Wolke von Heuschrecken gesehen, die die Sonne verdunkelt (vgl. Zeph 1,15.16; Jes 60,2a; Hes 34,12; Amos 5,18). Diese Invasion erfolgt auch mit der Geschwindigkeit und Unwiderstehlichkeit der Morgenröte, die sich über den Bergen ausbreitet.
Die Heuschreckenplage ist für das Volk ein Zeichen der Zeit (vgl. Mt 16,2.3). Und wenn Joel deshalb von einem noch abscheulicheren Feind spricht, kann er das Kommen des Feindes mit der Morgenröte des kommenden Tages des Herrn vergleichen. Aber dieser Tag wird dem abgefallenen Volk nicht Licht und Wohlstand bringen, sondern Finsternis und einen verheerenden Sturm.
3 Paradies und Wüste
3 Vor ihm her verzehrt das Feuer, und hinter ihm lodert die Flamme; vor ihm ist das Land wie der Garten Eden, und hinter ihm eine öde Wüste, und auch keine Entronnenen lässt es übrig.
Nach dem plötzlichen und massiven Auftauchen des mächtigen Heeres wird nun dessen vernichtendes Auftreten beschrieben. Alles, was diesem Heer auf dem Weg begegnet, wird von ihm völlig zerstört. Feuer ist in der Bibel oft der Ausdruck für Gottes Gericht. Es ist auch die Bezeichnung für eine Kraft, die alles in der Natur verzehrt.
Sieh dir ein Feld an, auf dem die Heuschrecken noch nicht gewesen sind. Es sieht aus wie der Garten Eden, das Paradies, der Stolz und die Herrlichkeit des Landes. Sieh dir dieses Feld am nächsten Tag an, wenn die Heuschrecken dort gewesen sind, danach sieht es aus wie eine öde Wüste, wo es keine Erinnerung an den Reichtum und die Schönheit gibt, die das Feld am Tag zuvor hatte. Alle Handlungen der Assyrer ähneln dem, was durch eine Heuschreckenplage verursacht wird. Es gibt kein Entrinnen vor diesem Feind, indem man vor ihm flieht oder sich vor ihm versteckt, genauso wie es kein Entrinnen vor Gottes Gericht am Tag des HERRN gibt.
„Der Garten Eden“ ist ein Hinweis auf eine paradiesische, äußerst blühende Gegend, auf das Gegenteil einer Wüste (Hes 28,13; 31,9–18). Dieser Gegensatz zwischen Paradies und Wüste findet sich auch in Jesaja 51 und Hesekiel 36 (Jes 51,3; Hes 36,35) – dort allerdings umgekehrt: die Wüste wird zum Paradies.
4 Heuschrecken und Pferde
4 Sein Aussehen ist wie das Aussehen von Pferden; und wie Reitpferde, so rennen sie.
Obwohl es hier um das Heer der Assyrer geht, um Menschen also und nicht mehr um Heuschrecken, wird dennoch der Vergleich zwischen diesem Heer und Pferden gezogen. Weshalb aber mit Pferden? Weil es Ähnlichkeiten zwischen der Heuschrecke und dem Pferd gibt (Hiob 39,19.20; Off 9,7). Der Vergleich kann sich auf die Tiere selbst beziehen. Die vergrößerte Heuschrecke sieht aus wie ein Pferd, vor allem wegen der Form ihres Kopfes. Der Vergleich kann aber auch mit der Art des Heranstürmens, der Schnelligkeit und Sprungfähigkeit der Heuschrecke zu tun haben, die auch bei einem Pferd vorhanden sind.
5 Ein gewaltiger Lärm
5 Wie Wagengerassel hüpfen sie auf den Gipfeln der Berge, wie das Prasseln der Feuerflamme, die Stoppeln verzehrt; [sie sind] wie ein mächtiges Volk, zum Kampf gerüstet.
Nicht nur der Anblick dieser Armee ist beeindruckend und beängstigend, sondern auch der Lärm der Streitkräfte. Dieser geht durch Mark und Bein. Beim Vergleich mit den zweirädrigen Streitwagen geht es um das Hören, das einen herannahenden Heuschreckenschwarm charakterisiert. Bei den Pferden indes, die wie Wagengerassel hüpfen, geht es um das Sehen, denn deren Anblick erinnert an Heuschrecken.
Wenn sich die Schwärme in der Ferne über die Berggipfel nähern, klingt es wie das dumpfe Getöse von Kriegswagen, die über unebene Bergpfade zwischen den klangverstärkenden Bergwänden „hüpfen“. Je näher der Schwarm kommt, desto aufdringlicher wird das Geräusch und gleicht immer mehr dem Prasseln „der Feuerflamme, die Stoppeln verzehrt“. In gleicher Weise ist das Grollen des Gerichts aus der Ferne als Warnung zu hören, als eine, die sich schnell nähert.
6 Furcht und Zittern
6 Vor ihm zittern die Völker, alle Angesichter erblassen.
Der Eindruck dieses „mächtigen Volkes“ (Vers 5) ist so überwältigend, dass überall, wo es auftaucht, ganze Völker vor Furcht zittern und die Angesichter erblassen. In Vers 1 ist die Furcht noch auf Juda und Jerusalem beschränkt. Hier aber werden auch andere Völker von der Furcht vor den Assyrern ergriffen. In Vers 10 umfasst die Furcht das ganze Universum.
7 - 9 Wie das Heer vorrückt
7 Sie rennen wie Helden, wie Kriegsleute ersteigen sie die Mauer; und sie ziehen jeder auf seinem Weg, und ihre Pfade wechseln sie nicht. 8 Und keiner drängt den anderen, sie ziehen jeder einzeln auf seiner Bahn; und sie stürzen zwischen den Waffen hindurch [und] verwunden sich nicht. 9 Sie laufen in der Stadt umher, rennen auf die Mauer, steigen in die Häuser; durch die Fenster dringen sie ein wie der Dieb.
Lebhaft, mit kurzen, nachdrücklich klingenden Sätzen berichtet Joel, wie das Heer vorrückt, die Stadtmauern stürmt, in die Stadt eindringt und in die Häuser eindringt. Man sieht es vor sich. Unaufhaltsam rücken sie vor. Nichts kann sie aufhalten (vgl. Jes 33,4). Sie sind unverwundbar und deshalb unwiderstehlich, denn wer nicht verwundet werden kann, den kann man auch nicht aufhalten. In ihren Reihen gibt es keine Lücken.
Um hineinzukommen, gehen sie den Weg des Diebes. Auch das gehört zum Tag des Herrn (1Thes 5,2). Ein Dieb kommt unerwartet und unwillkommen, aber nur für diejenigen, die nicht mit ihm rechnen. Wenn dem Kommen Warnungen vorausgegangen sind, kann man nicht mehr behaupten, dass es unerwartet ist. Trotzdem müssen wir immer daran erinnert werden, wie plötzlich das vorhergesagte Ereignis eintreten wird.
Für uns, die Christen, geht die Entrückung der Gemeinde dem Tag des Herrn voraus. Diese Tatsache bedeutet nicht, dass wir uns keine Sorgen um diesen Tag machen sollen. Gewiss, wir sollen uns nicht vor dem Gericht fürchten, das mit diesem Tag verbunden ist. Aber wenn wir die Zeichen der Zeit und die Nähe dieses Tages sehen, ist das Kommen des Herrn für seine Gemeinde noch näher.
Das sollte uns ermutigen, uns auf Ihn zu freuen und uns Ihm zu widmen. Es sollte uns ermutigen, die Menschen zu warnen, Buße zu tun und an Ihn zu glauben, bevor es zu spät ist. Die Unerschütterlichkeit und Schnelligkeit, mit der die Assyrer vorgehen, sollte auch den Christen in seiner Arbeit und seinem Kampf für den Herrn charakterisieren und anspornen.
10 Erde und Himmel beeindruckt
10 Vor ihnen erbebt die Erde, erzittert der Himmel; Sonne und Mond verfinstern sich, und die Sterne verhalten ihren Glanz.
Mit der Erwähnung von Erde und Himmel ist die weitläufigste Umgebung angedeutet, die dieses Heer beeindruckt. Sogar die Himmelskörper hören auf, ihre normalen Funktionen zu erfüllen, als sie dieses schreckliche Gericht sehen: „Sie verhalten [d. i. verlieren] ihren Glanz.“
11 Das Heer des HERRN
11 Und der HERR lässt vor seiner Heeresmacht her seine Stimme erschallen, denn sein Heerlager ist sehr groß, denn der Vollstrecker seines Wortes ist mächtig; denn groß ist der Tag des HERRN und sehr furchtbar, und wer kann ihn ertragen?
Hier ist die Erklärung für den Erfolg dieses Heeres: Der HERR selbst steht an seiner Spitze. In dem heranstürmenden Heer erscheint niemand anderes als der zornige HERR selbst. Das feindliche Heerlager ist „sein Heerlager“, das Er zur Züchtigung seines Volkes einsetzt (Jes 10,5). Das ist das Schrecklichste von allem und zugleich die einzige Quelle der Hoffnung für jeden, der glaubt. Wer anerkennt, dass es sich um Gottes Gericht handelt, kann sich gemäß seiner Liebe zu seinem Volk an Ihn wenden. Das ständige Zählen auf seine Liebe ist der wahre Charakter des Glaubens durch alle Zeiten hindurch. Der Glaube unterwirft sich den Handlungen Gottes und findet darin sein Heil. Wer sich Gottes Handeln widersetzt, unterschreibt sein eigenes Todesurteil.
Das Volk ist nicht dazu aufgerufen, diesem Feind zu widerstehen. Dieser Feind führt das Wort des HERRN aus – und „sehr schnell läuft sein Wort“ (Ps 147,15). Deshalb ist jeder Widerstand gegen dieses Heerlager nichts anderes als Auflehnung gegen Ihn. Die Tatsache, dass dieses Heerlager „sein Wort“ vollstreckt, bedeutet nicht, dass es eine zuvor ausgesprochene Prophezeiung erfüllt. Es bedeutet nur, dass dieses Heerlager seinen Willen, seine Befehle ausführt (vgl. Ps 103,20).
Gott will nicht, dass wir uns verzweifelt gegen seine Zucht wehren und Lösungen suchen, um ihr zu entgehen. Er will immer, dass wir uns vor Ihm beugen und das Werkzeug anerkennen, das Er schickt, wer oder was auch immer dieses Werkzeug sein mag (Mich 6,9; vgl. 1Kön 12,24). Das gilt sowohl für das persönliche Leben als auch für das gemeinschaftliche Leben.
Die Antwort auf die Frage „Wer kann ihn ertragen?“ (vgl. Off 6,17; Nah 1,6; Mal 3,2; Jer 10,10), nämlich „den Tag des HERRN“, ist in der Frage enthalten. Die Antwort ist, dass niemand diesen Tag ertragen kann. Dennoch ist ein Entrinnen möglich. Die folgenden Verse zeigen dies.
12 Ein Aufruf
12 Aber auch jetzt [noch], spricht der HERR, kehrt um zu mir mit eurem ganzen Herzen und mit Fasten und mit Weinen und mit Klagen.
Durch die Worte „aber auch jetzt [noch], spricht der HERR“ leuchtet die Hoffnung auf, dass das angekündigte Gericht noch abgewendet werden kann. „Kehrt um zu mir“ weist darauf hin, dass es sich um eine Umkehr handelt, die zu einer neuen Verbundenheit mit dem HERRN führt. Es geht nicht nur um eine Hinwendung, sondern um ein wirkliches Zugehen auf den HERRN. Deshalb „mit eurem ganzen Herzen“, d. h. mit allem, worauf das Leben gerichtet ist, mit dem ganzen Denken und Wollen (vgl. 1Sam 7,3; 1Kön 8,48).
Der HERR richtet einen ernsten Appell an das Volk, sich zu Ihm zu bekehren, und zwar radikal, ohne jede Zurückhaltung. Das Erste, was zählt, ist das Herz, das ganze Herz. Halbherzigkeit ist ein Gräuel für Gott. Eine echte Bekehrung geht nicht ohne erkennbare Äußerungen. „Fasten“, „Weinen“ und „Klagen“ werden bei jemanden, der sich von ganzem Herzen Gott zuwendet, sichtbar und hörbar werden.
Joel sagt nicht, welche konkrete(n) Sünde(n) das Volk bereuen muss. Wir hören zum Beispiel nichts von Götzendienst, sozialer Ungerechtigkeit, von dem Vertrauen auf die eigene militärische Macht oder von Bündnissen mit Nachbarländern. Es kann eine Bekehrung sein von einer oberflächlichen, selbstsicheren, ritualisierten Religion zu einem neuen intensiven Hören auf das Wort Gottes als auch zu einem Leben nach dem Wort Gottes.
Wenn das ganze Leben in die Gegenwart Gottes gestellt wird, in dem Wissen, dass Er alles weiß und beurteilt, hat das Konsequenzen. Auf der einen Seite wird es uns wegen der Heiligkeit Gottes niederbeugen, weil wir sehen, wie sündhaft unser Leben ist. Auf der anderen Seite wird es uns vor Erleichterung aufstehen lassen wegen der Liebe Gottes, weil wir sehen, dass Er auf Reue mit Vergebung unserer Sünden antwortet. Er kann jedem, der Buße tut, die Sünden vergeben, weil der Herr Jesus sein Blut am Kreuz für reuige Sünder vergossen hat (Heb 9,22b).
13 Kein Schein
13 Und zerreißt euer Herz und nicht eure Kleider, und kehrt um zu dem HERRN, eurem Gott; denn er ist gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Güte und lässt sich des Übels gereuen.
Das Volk kann mit äußerer Frömmigkeit bestimmte Zeichen der Trauer zeigen. Das Zerreißen der Kleider ist ein solches Zeichen. Aber wenn das Herz nicht zerrissen ist, hat das äußere Zeichen für Gott keinerlei Wert. Gott „begehrt die Wahrheit im Innersten“ (Ps 51,8.19; Jes 57,15). Es ist eine Umkehr zu „dem HERRN, eurem Gott“, mit der der Prophet betont, dass der HERR kein fremder Gott ist, sondern der Gott des Bundes mit seinem Volk.
Die drohende Katastrophe wird die ganze Nation betreffen, und deshalb gibt es einen Aufruf zu nationaler Demütigung. Im Allgemeinen gibt es bei nationalen Katastrophen Raum für ein nationales Gedenken, aber nicht für nationale Demütigung. Manche Ereignisse schockieren alle Teile der Bevölkerung, und manchmal gibt es eine große allgemeine Empörung. Und das oft zu Recht. Man denke nur an Terroranschläge oder an den Missbrauch und dann die Ermordung von Kindern. Es werden Protest- und Gedenkmärsche, Protest- und Gedächtnisveranstaltungen organisiert, an denen sich Massen von Menschen beteiligen. Leider konzentriert sich der Protest aber nur auf das Verbrechen, den Exzess, das Ereignis.
Der Ruf lautet: „Das darf nie wieder passieren und der oder die Täter müssen gefunden und bestraft werden.“ Dieser Ruf ist verständlich. In der Gruppe findet man sich in dem Gefühl der Ohnmacht wieder. Gemeinsam will man dem Unkontrollierbaren die Faust zeigen. Aber wo bleibt die allgemeine Demütigung? Wo ist der allgemeine Ruf zu Gott um sein Erbarmen? Wo ist der gemeinsame Ruf nach seiner Gnade und seinem Erbarmen, um uns mehr von dem Elend zu ersparen? Wo ist das gemeinsame Gebet: „Errette uns von dem Bösen“ (Mt 6,13b)? [Während ich diesen Kommentar wegen der Übersetzung ins Englische noch einmal lese, plagt die Covid-19 Pandemie die Welt. Wir können die oben genannten Reaktionen auch auf diese Plage anwenden].
Natürlich wird die Welt erst unter der Herrschaft Christi im Tausendjährigen Friedensreich wirklich frei sein von den dramatischen Ereignissen, die regelmäßig ganze Menschenmassen aufrütteln. Doch alle diese Ereignisse sind ebenso viele Aufrufe an den Menschen, zu Gott umzukehren und für Ihn zu leben.
Wie Mose es nach den Ereignissen um das goldene Kalb tat, so tut es auch Joel. Er beruft sich auf die Eigenschaften Gottes. Immer wieder sind wir beeindruckt, wenn wir uns daran erinnern, dass es in Gott Quellen gibt, die angezapft werden können, wenn die Situation bei dem Menschen aussichtslos ist. Deshalb kann Mose, nachdem das Volk mit dem goldenen Kalb gesündigt und dadurch seine Existenzberechtigung verloren hat, immer noch an Gott appellieren (2Mo 34,6–9). Deshalb kann Joel, während das Volk das Gericht verdient, das sich bereits bedrohlich ankündigt, auch hier einen Appell an Gott richten.
In seinem Appell an den HERRN erwähnt Joel fünf Eigenschaften von Ihm (vgl. Jona 4,2; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Neh 9,17):
1. „Gnädig“ ist Er in sich selbst, weil Er Taten der Güte tut, wenn alles Recht auf Segen verloren ist.
2. „Barmherzig“ ist Er, weil Er schnell zu Mitleid bewegt wird, wenn Er sieht, wie elend sein Volk ist.
3. Er ist „langsam zum Zorn“ in seinem Handeln gegenüber diesem sündigen Volk und
4. „groß an Güte“, weil alle Arten von Gunst und Güte bei Ihm vorhanden sind, einschließlich der Vergebung von Schuld.
5. Schließlich lesen wir von Ihm, dass Er „sich des Übels gereuen“ lässt. Das bedeutet, dass Er, wenn Er Bekehrung sieht, die angekündigte oder bereits teilweise vollzogene Strafe zurücknimmt.
Wenn man von Reue Gottes spricht, ist das eine menschliche Redeweise. Wenn Gott etwas bereut, heißt das nicht, dass Er eine frühere Entscheidung zurücknimmt, weil sie falsch gewesen wäre. Gott macht keine Fehler. Gottes Reue hat mit einer Absicht zu tun, zu der Er zurückkehrt, wenn das Verhalten des Menschen Anlass dazu gibt.
Wenn ein Mensch bereut, wird Gott die versprochene Strafe nicht ausführen. Wenn sich ein Mensch Gott gegenüber anders verhält, ändert Gott auch seine Handlungsweise gegenüber diesem Menschen. Ein starkes Beispiel dafür ist der Aufschub des Gerichts über Ahab und sein Haus nach der (vorübergehenden) Demütigung Ahabs (1Kön 21,27–29).
14 Wer weiß?
14 Wer weiß? Er könnte umkehren und es sich gereuen lassen, und er könnte Segen hinter sich zurücklassen: Speisopfer und Trankopfer für den HERRN, euren Gott.
Der Prophet hat gerade eine brillante Beschreibung einiger Eigenschaften Gottes gegeben. Er spricht nicht in theologischen Begriffen von Gott, sondern stellt Ihn so dar, wie er Ihn kennt. Doch in seinem Vertrauen auf Gottes Gnade lässt er sich nicht dazu verleiten, Aussagen zu machen, als ob er über Gottes Güte verfügen könnte. Deshalb heißt es in diesem Vers „wer weiß?“ Die göttliche Souveränität bleibt gewährleistet.
Die Frage „Wer weiß?“ ist kein Ausdruck des Zweifels an Gottes Güte, sondern zeigt vor allem menschliche Demut und Bescheidenheit gegenüber dem souveränen Gott, der jedes Recht hat, seine Gerichte auszuführen. Buße und Reue bedeuten nicht, automatisch Anspruch auf Gottes Gnade zu haben. Joel spricht, damit seine Hörer, wie jemand gesagt hat, „nicht an der Größe ihrer Sünden verzweifeln, aber auch, damit die Größe der Gnade sie nicht unvorsichtig macht“. Bei der Bekehrung gibt es Grund zur Hoffnung, dass Er sich vom Gericht abwendet.
Aber es gibt noch mehr. Nicht nur, dass das Gericht weicht – was schon eine große Gnade ist, wenn auch negativ –, sondern der Prophet kennt seinen Gott so gut, dass er weiß, dass Gott nach der Bekehrung seines Volkes auch einen Segen für sie hat. Mit diesem Segen kann das Volk Ihn wieder ehren. Der Segen kann sich auf die Wiederherstellung der Feldfrucht beziehen, die vom HERRN gegeben wird, so dass wieder „Speisopfer und Trankopfer“ gebracht werden können.
Das Ziel eines jeden Erlösungswerkes, das Er vollbringt, ist, dass Er geehrt wird. Ob es sich um eine irdische Errettung handelt, wie bei der Befreiung Israels von seinen Feinden, oder um eine geistliche Errettung, wenn ein Mensch von der Macht Satans und der Sünde befreit wird, das Endziel wird immer sein, Gott und seinen Christus zu verherrlichen.
15 Zum zweiten Mal die Posaune
15 Stoßt in die Posaune auf Zion, heiligt ein Fasten, ruft eine Festversammlung aus!
Hier wird zum zweiten Mal in die Posaune gestoßen. Das erste Mal geschieht dies in Vers 1. Dort dient es zur Warnung, dass der Feind kommt. Jetzt geschieht es, um das Volk zusammenzurufen (vgl. 4Mo 10,7). In der Posaune erklingt die Stimme Gottes. Er ruft, zu Ihm zu kommen. Bei allem, was dem Volk schon widerfahren ist (Joel 1), und bei allem, was dem Volk in Zukunft widerfahren wird, ist es gut, dass es erkennt, dass es mit Gott zu tun hat. Deshalb muss das Volk vor seinem Angesicht zusammenkommen.
Wenn das Volk in die Gegenwart Gottes kommt, bedeutet das in erster Linie, dass es sich demütigen muss. Dazu haben sie auch allen Grund. Kommt der Feind nicht zu ihnen, gerade weil sie dem HERRN untreu geworden sind? Gleichzeitig und in Anbetracht des Ernstes der Lage muss von den Bedürfnissen des Körpers abgesehen werden. Es muss gefastet werden, damit sich alle auf das konzentrieren können, was Gott zu sagen hat, ohne sich durch das tägliche Essen und Trinken ablenken zu lassen.
Außerdem, was wird sich ein Mensch um Essen und Trinken kümmern, wenn sein Leben auf dem Spiel steht? Wie eng Fasten und Demütigung miteinander verbunden sind, zeigen die Anweisungen für den Versöhnungstag (3Mo 23,27.29.32). Das dort verwendete Wort „demütigen“ kann auch mit „fasten“ oder „kasteien“ übersetzt werden.
Der letzte Teil des Verses entspricht wortwörtlich Joel 1,14a. Die Tatsache, dass es zwei Aufrufe zum Fasten und zur Versammlung gibt, zeigt die Dringlichkeit des Aufrufs.
16 Jeder soll kommen
16 Versammelt das Volk, heiligt eine Versammlung, bringt die Ältesten zusammen, versammelt die Kinder und die Säuglinge an den Brüsten; der Bräutigam trete aus seiner Kammer und die Braut aus ihrem Gemach!
Das ganze Volk, ohne Ausnahme, ist zu einer feierlichen Versammlung aufgerufen. Keine Ausreden für die Ältesten, die kleinen Kinder sollen nicht vergessen werden, sogar die Säuglinge an den Brüsten sollen versammelt werden. Von allen Gesellschaftsschichten wird erwartet, ob politisch, religiös oder familiär, dass sie ihre Gefühle über die Sünde ausdrücken, die sie gegen Gott begangen haben.
Wenn es Sünde vor Gott gibt, gibt es keine Unterscheidung. Jeder ist schuldig und wird bestraft. Das Gericht wird alle treffen, deshalb sind alle in den Ruf, zu Gott zu kommen, einbezogen. Auch Kinder und Säuglinge sind verbunden mit den Sünden des Volkes und deren Folgen (vgl. Klgl 4,4; Jona 3,5; 4,11).
Im allgemeinen Aufruf haben wir auch den Hinweis, unsere Kinder so jung wie möglich zu den Versammlungen der Gläubigen mitzunehmen. Es ist gut, sie zu allen Orten mitzunehmen, wo Gläubige zusammen sind. Das gilt für Versammlungen aller Art. Sie können schon in jungen Jahren in alles einbezogen werden, was mit dem Leben der Gemeinde Gottes zu tun hat.
Der Herr Jesus sagt zu den religiösen Führern, die es kritisieren, dass auch Kinder Ihn ehren: „Habt ihr nie gelesen: „Aus [dem] Mund [der] Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“?“ (Mt 21,16; Ps 8,3). Er schätzt, was aus dem Mund von Kindern und Säuglingen kommt. Obwohl Kinder wenig und Säuglinge kein Bewusstsein von dem haben, was sie ausdrücken, erkennt Gott es als Lobpreis für Ihn an, Lob, das Er selbst in ihren Mund gelegt hat. So ist es auch bei einer Demütigung. Die Kinder gehören dazu, und es ist wertvoll, wenn sie dabei anwesend sind.
Die Zusammenkünfte der Gemeinde haben ihre freudigen, aber auch ihre traurigen Anlässe und Momente. Sie sind daher ein Spiegelbild des Alltags. Wir sollten unsere Versammlungen nicht zu einem glänzenden Erlebnis aufpolieren, wenn es Grund zur Demütigung gibt. Wir sollen die Zusammenkünfte auch nicht in Traurigkeit versinken lassen, wenn es Grund zur Freude gibt. Manchmal wechseln sich Freude und Traurigkeit in einer Zusammenkunft ab. Es ist gut, wenn das Zusammenkommen der Gläubigen wirklich das wahre Spiegelbild dessen ist, was in den Herzen der Gläubigen lebt, die zusammenkommen, und dass auch die Kinder daran teilhaben.
Bräutigam und Braut, also der frisch verheiratete Mann und die frisch verheiratete Frau, werden in diesem Ganzen separat erwähnt. Sie denken überhaupt nicht daran, zu weinen und zu trauern, und auch nicht daran, für ein Hochzeitsmahl zu fasten. Aber auch sie können sich dem Ruf nicht entziehen, ihren Platz vor Gott einzunehmen. Sie verzichten auf ihr Recht zu jubeln, zu essen, zu trinken und sogar auf den Geschlechtsverkehr, den sie als frisch Verheiratete genießen dürfen, um am gemeinsamen Fasten und Beten teilzunehmen. Sich darauf zu berufen, ein Jahr frei zu sein für sein Haus und sich an seiner Frau zu erfreuen, die er genommen hat (5Mo 24,5), ist nicht möglich. Auch die Ausrede „Ich habe eine Frau geheiratet und darum kann ich nicht kommen“ (Lk 14,20) trifft hier nicht zu.
17 Auftrag an die Priester
17 Die Priester, die Diener des HERRN, sollen weinen zwischen der Halle und dem Altar und sprechen: Verschone, HERR, dein Volk und gib nicht dein Erbteil der Schmähung hin, dass sie den Nationen zum Sprichwort seien! Warum soll man unter den Völkern sagen: Wo ist ihr Gott?
Wenn das ganze Volk aufgerufen wird, wird den Priestern gesagt, wo sie stehen und was sie tun und sagen sollen. Die Priester repräsentieren das Volk vor dem HERRN. In ihnen sieht der HERR das ganze Volk. Ein Priester soll wissen, was dem HERRN gebührt, was Ihm angemessen ist. Er soll nicht nach eigener Einsicht handeln – denn er ist ein „Diener des HERRN“ –, sondern er soll sich ganz an die Vorschriften halten, die der HERR gegeben hat. Wenn er das tut, ist sein Priestertum zum Wohlgefallen des HERRN und zum Segen des Volkes Gottes.
Im Neuen Testament sind alle Gläubigen ein geistliches Priestertum und dürfen geistliche Opfer bringen (1Pet 2,5). Auch von ihnen wird erwartet, dass sie die Gedanken Gottes über den Zustand seines Volkes kennen. Aus geistlicher Sicht täten auch sie gut daran, sich die Aufgabe der Priester aus dem Buch Joel zu Herzen zu nehmen.
Die Priester nehmen ihren Platz in der Mitte des Volkes ein, außerhalb des Heiligtums, um gemeinsam mit dem Volk zu Gott zu rufen mit einem Appell an seine Treue. Sie müssen „zwischen der Halle und dem Altar“ stehen. Das sagt uns, dass sie in der Gegenwart des HERRN, der Vorhalle, nur ihren Platz einnehmen können, weil das Opfer auf dem Altar dargebracht worden ist. Sie können nur vor Ihm bestehen, weil Er sie im Wert des Opfers annimmt. Sie selbst haben nichts zu opfern. Aber indem sie diesen Platz einnehmen, ist es, als ob sie den HERRN und auch sich selbst an das Opfer erinnern.
Sie werden aufgefordert, zu weinen. Das bedeutet: Sie bereuen ihre Untreue und erkennen, dass sie dadurch Gottes Gericht verdient haben. Sie haben alle Rechte verloren, von Ihm angenommen zu werden. Dann müssen sie ihren Mund öffnen, um auszusprechen, was zu ihnen gesagt wird. Hier legt der Geist ihnen in den Mund, was gesprochen werden soll (vgl. Hos 14,3), um das Herz Gottes zu bewegen, für „dein Volk“ und „dein Erbteil“ einzugreifen.
Sie bitten Gott im Hinblick darauf, wer Er schon immer für sein Volk und sein Erbteil war; gleichzeitig bitten sie Gott im Hinblick auf seine Herrlichkeit gegenüber den Feinden. Dieses zweite Argument verwendet auch Mose, nachdem das Volk mit dem goldenen Kalb gesündigt hatte (2Mo 32,12; vgl. Ps 42,4; 115,2).
18 Die tröstliche Antwort
18 Dann eifert der HERR für sein Land, und er hat Mitleid mit seinem Volk.
Das „wer weiß“ von Vers 14, nach dem, was in Vers 17 geschah, bekommt hier seine schöne Antwort. Ist er nicht rührend, dieser Vers? Er ist mindestens so rührend wie die Reaktion des HERRN auf die Beseitigung der Götzen im Buch der Richter: „Und seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal Israels [oder: konnte die Mühsal Israels nicht länger ertragen]“ (Ri 10,16). Menschen, die ihre Demut zeigen und mit der Sünde brechen und so zu Ihm gehen, erfahren immer wieder sein Mitleid. Dann wird Er wieder zu Gunsten seines Landes und seines Volkes handeln.
Es gab schon immer eine Verbindung zwischen Land und Volk (1Mo 13,14–18; 17,6–8). Bei „Land“ liegt die Betonung auf dem nie endenden Eifer des HERRN für sein Wohlergehen. Beim „Volk“ liegt die Betonung auf seinem Erbarmen, seinen zarten Gefühlen für sie.
19 Zwei Verheißungen
19 Und der HERR antwortet und spricht zu seinem Volk: Siehe, ich sende euch das Korn und den Most und das Öl, dass ihr davon satt werdet; und ich werde euch nicht mehr zum Hohn machen unter den Nationen.
Dieser Vers enthält zwei Verheißungen. Die erste ist, dass es wieder Korn, Most und Öl geben wird. Sie werden davon leben können, nicht nur um am Leben zu bleiben, sondern sie werden es essen können, bis sie satt sind. Wenn der HERR etwas schickt, dann ist es nie dürftig. Er gibt immer in Hülle und Fülle (Mt 14,15–21; 15,32–38).
Die zweite Verheißung ist die Zusicherung, dass sie nie wieder zum Hohn unter den Nationen gemacht werden. Diese Zusicherung ist eine große Erleichterung. Hohn bedeutet eine enorme geistliche Last, durch die das Leben extrem schwierig werden kann. Das Gegenteil, gelobt zu werden, oder einfach im täglichen Leben geschätzt zu werden, kann beflügeln; es macht das Leben leichter und angenehm.
20 Eine dritte Verheißung
20 Und ich werde den von Norden [Kommenden] von euch entfernen und ihn in ein dürres und wüstes Land vertreiben, seinen Vortrab in das vordere Meer und seinen Nachtrab in das hintere Meer; und sein Gestank wird aufsteigen, und aufsteigen sein übler Geruch, weil er Großes getan hat.
Der HERR gibt eine dritte Verheißung: Er wird den Feind verjagen. Dieser Feind kommt aus dem Norden. Es ist Assyrien. Dieser Feind wird in drei Richtungen vertrieben werden, anders als bei den Heuschrecken, die nach Westen, ins Meer, vertrieben wurden. Ein Teil wird „in ein dürres und wüstes Land“ vertrieben, womit wahrscheinlich das Wüstengebiet südlich von Israel gemeint ist. Ein anderer Teil, sein Vortrab, wird „in das vordere Meer“ getrieben, das ist das Tote Meer. Der dritte Teil, sein Nachtrab, wird „in das hintere Meer“ getrieben, das ist das Mittelmeer.
Dieses Schicksal, das Assyrien trifft, kommt vom HERRN, weil dieser Feind sich rühmt, dass er „Großes“ getan hat. Das heißt, er hat mit Stolz gehandelt. Er hat hochmütig geredet und gehandelt. Seine zahllosen Leichen werden verwesen, sodass der Gestank aufsteigt und ihr übler Geruch die Luft verschmutzt (vgl. Amos 4,10a). Der Gestank und die Verschmutzung sind alles, was von ihm übrigbleibt.
Sobald die Zucht ihr Werk getan hat, wird sie entfernt. Anders ist es bei den Plagen, die über Ägypten gekommen sind. Dort hörte eine Plage auf, um einer neuen Plage Platz zu machen, weil es keine Umkehr gab (2. Mose 7–12).
21 Der HERR tut Großes!
21 Fürchte dich nicht, Erde; frohlocke und freue dich, denn der HERR tut Großes!
„Fürchte euch nicht.“ Was für ein Wort voller Trost! Aus diesem Aufruf oder Gebot, das uns in der Bibel oft begegnet, haben viele durch die Jahrhunderte hindurch Kraft geschöpft. Wie ängstlich können wir sein, wenn wir an die nahe oder ferne Zukunft denken. Wir haben sie nicht im Griff. Viele Dinge geschehen, ohne dass wir sie beeinflussen können. Aber dem, der auf Gott vertraut, wird gesagt: „Fürchte dich nicht!“
Hier wird dieses Wort gerade gesagt, nachdem das Land enorm gelitten hat, aber nun wieder vom HERRN gesegnet wird. Das Land bringt wieder viel Frucht, bis zur Sättigung. Aber gerade weil es so kurz zuvor durch die eigene Untreue unter der Züchtigung Gottes geseufzt hat, ist immer noch die Angst da, dass es wieder schief gehen könnte. Das Volk denkt zurück und erkennt, wie zerbrechlich und verletzlich dieser Segen sein kann.
Dann kommt eine weitere Ermutigung: Das Land darf sich freuen und frohlocken, weil der Segen nicht mehr von ihrer Treue abhängt, sondern weil der HERR Großes getan hat. In Vers 20 heißt es, dass Assyrien sich rühmt, Großes getan zu haben. Aber Großes zu tun, ist nur Gott vorbehalten. Er hat Großes getan in ihrer Errettung von den Feinden.
Und für uns? Wenn wir an das große Werk des Herrn Jesus am Kreuz denken ... Wie unfassbar groß ist das! Das gibt allen Erlösten aller Zeiten allen Grund, sich immer wieder zu freuen und zu frohlocken (vgl. Vers 23).
22 Wieder reichlich zu essen für die Tiere
22 Fürchtet euch nicht, ihr Tiere des Feldes, denn es grünen die Weideplätze der Steppe; denn der Baum trägt seine Frucht, der Feigenbaum und der Weinstock geben ihren Ertrag.
Ab diesem Vers kommt das Friedensreich in den Blick. Unter der Herrschaft des Friedensfürsten wird die gesamte Schöpfung – Land, Tiere und Menschen – in nie dagewesenem Frieden und in Ruhe alles genießen können, was Gott gegeben hat. Die Ermutigung „fürchtet euch nicht“ aus Vers 21 erklingt hier für die Tiere. Im gleichen Satz erklingt der Aufruf „freut euch und frohlockt“ von Vers 21 in Vers 23 für die Kinder Zions.
Die Tiere haben wegen der Sünde des Menschen gelitten. Aber wenn der Mensch, das Volk, sich bekehrt hat, haben auch die Tiere Anteil an den Ergebnissen der Sühne. Ihr Lechzen nach Gott (Joel 1,20) ist erhört worden. Sie können reichlich von dem essen, was das Feld hergibt. Sie müssen keine neue Knappheit befürchten.
Auch in unserer Zeit seufzt das Vieh noch unter dem Fluch der Sünde des Menschen, der auf der Schöpfung ruht. Wenn aber der Fluch weggenommen wird, werden die Tiere, wenn auch nicht in die Freude, wohl aber in die Freiheit der Kinder Gottes gebracht (Röm 8,18–22). So hat Gott, als Er Ninive verschont, auch ein Auge auf die Tiere, denn auch das Vieh hat gefastet (Jona 4,11; 3,7.8).
23 Die Kinder Zions
23 Und ihr, Kinder Zions, frohlockt und freut euch in dem HERRN, eurem Gott! Denn er gibt euch den Frühregen nach rechtem Maß, und er lässt euch Regen herabkommen: Frühregen und Spätregen wie zuvor.
Die Tatsache, dass das Volk mit „Kinder Zions“ angesprochen wird, muss wie Musik in ihren Ohren klingen. Zion ist einer der Berge, auf denen Jerusalem gebaut ist. Zion wird oft „die Stadt Davids“ genannt. Er wohnte dort. Wenn der wahre David, der Herr Jesus, dort wohnen und von dort aus regieren wird, wird der Berg Zion „eine Freude der ganzen Erde“ sein (Ps 48,3). Wie mit dem Berg Sinai das Gesetz verbunden ist, so ist mit dem Berg Zion die Gnade verbunden (Heb 12,18–22). Die „Kinder Zions“ sind also „Kinder der Gnade“.
Deshalb liegt die Ursache der Freude und des Frohlockens nicht in ihnen selbst, sondern im HERRN. Sie sehen Ihn als die Ursache ihrer Freude. Er hat ihnen Barmherzigkeit erwiesen, während sie jedes Recht auf Segen verwirkt haben. Sie dürfen sich wieder über den HERRN, ihren Gott freuen, worin das Bewusstsein einer erneuerten, wiederhergestellten Beziehung zum Gott des Bundes enthalten ist. Auf der Grundlage dieses neuen Bundes werden die Regenströme des Segens wieder herabkommen. Der Frühregen fällt im Oktober und November; der Spätregen fällt im März und April und ist für eine gute Ernte unabdingbar. Regen meint zunächst den Regen als natürlichen Segen, dann aber auch den geistlichen Segen in der Ausgießung des Heiligen Geistes (Joel 3,1).
„Der Lehrer zur Gerechtigkeit“ – wie „der Frühregen nach rechtem Maß“ auch übersetzt werden kann – ist niemand anders als der Herr Jesus. Er wird sie in der Gerechtigkeit unterrichten (Jes 53,11b). Es mag seltsam erscheinen, dass inmitten all der irdischen Segnungen plötzlich eine Person auftaucht. Doch das ist nicht seltsam, wenn wir bedenken, dass Gottes Volk auch in Gottes Weise und nach seinen Geboten leben soll, wenn der verheißene Zustand des Segens erhalten bleiben soll.
Da der Segen Israels mit dem Halten der Gebote Gottes verbunden ist, ist es von entscheidender Bedeutung, dass der HERR auch diese Gebote unterrichten lässt. Wenn durch den Unterricht des Lehrers das Leben nach dem Willen Gottes in Israel wieder ernst genommen wird, kann der Regen herabkommen, der als Segen von Gott kommt. In der Vergangenheit wurde die Gerechtigkeit gefordert, aber niemand konnte sie erfüllen. Jetzt, wo das neue Leben da ist, gibt es auch den Wunsch, in der Gerechtigkeit belehrt zu werden.
24 Der Segen
24 Und die Tennen werden voll Getreide sein und die Fässer überfließen von Most und Öl.
Das Kommen des Regens ist ein Beweis für den Segen, den Gott in seinem Herzen für sie hat. Er wird diesen Regen geben, wenn sie seine Gebote befolgen. Im fünften Buch Mose ist Mose ein Bild des Lehrers zur Gerechtigkeit (Vers 23; 5Mo 11,13.14). Getreide, Most und Öl, die drei Produkte des Landes, die zusammen den vollen Segen darstellen, werden im Überfluss vorhanden sein. All dies dank der Regenströme, die der HERR geben wird, jeden zu seiner bestimmten Zeit.
25 Wiederherstellung
25 Und ich werde euch die Jahre erstatten, die die Heuschrecke, der Abfresser und der Vertilger und der Nager gefressen haben – mein großes Heer, das ich unter euch gesandt habe.
Das ist Gott! Sobald sich sein Volk zu Ihm bekehrt hat, wird Er ihnen erstatten, was sie all die Jahre wegen seiner Zucht vermisst haben. Gott behält den Segen nicht für sich; Er ist der Gott, der Segen austeilt, vorausgesetzt, dass die Bedingungen, die Er gestellt hat, erfüllt werden. Er kann nur dort Segen geben, wo die Dinge nach seinem Willen geschehen. Selbst wenn eine Person oder ein Volk stur sind, kann Er sie dazu bringen, nach seinem Willen zu handeln. So macht es Gott immer.
Es ist an sich schon ein Segen, wenn ein Mensch nach einem rebellischen Leben zu der Erkenntnis kommt, dass Gott dieses rebellische Leben richten muss. Diese Anerkennung reicht Gott aus, um neues Leben zu schenken. Dieses neue Leben ist das Leben von Gott selbst. Dann zeigt Gott, wie viele Segnungen Er in seinem Herzen hat, um sie denen zu geben, die so mit Ihm durch neues Leben verbunden sind. Alles, was in der Rebellion gegen Gott gesagt und getan wurde, hat nur Schaden angerichtet. Die Bekehrung hat dem ein Ende gesetzt. Nach der Bekehrung Israels in der Zukunft werden sie alle verheißenen Segnungen in Besitz nehmen dürfen.
Wie viele Jahre unseres Lebens sind von Heuschrecken verzehrt worden? Selbstgenügsamkeit, Leichtsinn, Verschwendung von Zeit, Talent und Gelegenheit, Langsamkeit, Faulheit, gemischte und böse Motive, versteckte Sünde, sie alle spielten die Rolle der Heuschrecke. Sie sorgten dafür, dass es keine Kraft gab, für Gott zu leben und die Gemeinschaft mit Ihm zu genießen. Es gab auch keine Kraft, den Menschen um uns herum zu bezeugen, wer der Herr Jesus für uns ist. Aber Gott will vergeben und uns wieder eine hoffnungsvolle Zukunft schenken. Mehr noch: Er will uns zurückgeben, was die Heuschrecke gefressen hat.
Der Herr Jesus tat dasselbe mit Petrus. Nachdem Petrus den Herrn verleugnet hat (Mt 26,69–75), stellte der Herr ihn wieder her und betraut ihn mit der Sorge für seine Schafe (Joh 21,15–17). Er tat es auch mit Paulus. Nachdem Paulus in der Gemeinde Christi Verwüstung angerichtet hat und der Herr ihm begegnet ist, macht Er ihn zu einem Bauherrn der Gemeinde. Paulus hat sowohl in der Verkündigung des Evangeliums als auch in der Lehre gebaut (1Tim 1,12–14).
So möchte der Herr auch in unserem Leben handeln. Es beginnt damit, dass wir alles aus unserem Leben entfernen, was wichtiger ist als Christus. Wir sollen die Dinge verurteilen, die wir nicht für Ihn tun, insbesondere das Bekenntnis und die Vergebung der Sünden (Spr 28,13), die wir immer noch hegen. Dann werden wir sehen, dass wir Zugang haben zu „allen Schätzen der Weisheit und der Erkenntnis“, die in Christus verborgen sind (Kol 2,3).
26 Lobpreis für den HERRN
26 Und ihr werdet essen, essen und satt werden und werdet den Namen des HERRN, eures Gottes, preisen, der Wunderbares an euch getan hat. Und mein Volk soll nie mehr beschämt werden.
Es ist auffallend, dass immer von Überfluss und Sattwerden gesprochen wird, wenn es um den Segen Gottes geht. Wenn der erlittene Schaden durch den HERRN wieder gut gemacht wird, hat sein Volk anschließend wieder genug zu essen. Dann werden sie ihre Dankbarkeit dadurch ausdrücken, dass sie den Namen des HERRN, ihres Gottes, in Anbetung preisen. Das ist das Endziel von allem, was Gott mit und für sein Volk tut, sowohl in Israel als auch in der Gemeinde.
Jede Erlösung, sowohl einer Person als auch eines Volkes, wird zu dem Ausruf führen: „Von dem HERRN ist dies geschehen; wunderbar ist es in unseren Augen“ (Ps 118,23). Dieses Wunder konnte durch den Inhalt des vorhergehenden Verses in Psalm 118 geschehen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden“ (Ps 118,22). Dies ist die Ursache für die Anbetung des Gottes des Wunders. Der Herr Jesus wurde von den Menschen verworfen, aber von Gott zur Grundlage für sein Werk gemacht. Das Wunder der Erlösung wird durch das, was der Herr Jesus am Kreuz getan hat, möglich gemacht.
Auch alle irdischen Segnungen, die Israel erhalten wird, sind auf dieses Werk zurückzuführen. Die natürlichen Segnungen werden eine geistliche Wirkung haben, weil man den HERRN als die Ursache derselben ehren und Ihm danken wird.
27 Wissen, wo und wer der HERR ist
27 Und ihr werdet wissen, dass ich in Israels Mitte bin und dass ich, der HERR, euer Gott bin und keiner sonst. Und mein Volk soll nie mehr beschämt werden.
Das „Wissen“ dieses Verses ist ein Wissen durch Erfahrung. Sie werden sich bewusst, sie merken, dass der HERR in ihrer Mitte ist. Die Antwort auf das Gebet in Vers 17 und die Antwort des HERRN in der Rettung aus der Not zeigt sich in der erneuerten Beziehung Israels zum HERRN. Wenn Gott sagt, „dass ich, der HERR, euer Gott bin“, zeigt Er das exklusive Vorrecht Israels. Er ist der HERR, ihr Gott, weil Er sie aus Ägypten befreit hat (2Mo 20,2; 5Mo 5,6).
Der Zusatz „und keiner sonst“ (5Mo 4,35; Jes 45,5) betont die vorherige Aussage. Das ist notwendig, weil Israel sich in seiner Not oft an andere Götter gewandt hat. Dabei sind sie immer beschämt und erniedrigt worden, etwas, was sie in ihrer Beziehung zu Gott nie erlebt haben und auch in Ewigkeit nicht erleben werden. Dann ist kein Platz mehr für die spöttische Frage: „Wo ist ihr Gott? “