Einleitung
Während der Überrest – und dazu gehören ausdrücklich auch die zehn Stämme – auf die Erlösung durch den HERRN wartet, verharrt er im Gebet. Dreimal wird gebetet: „Führe uns zurück und lass dein Angesicht leuchten, so werden wir gerettet werden“ (Verse 4.8.20). Dieses Gebet richtet sich
in Vers 4 an „Gott“,
in Vers 8 an den „Gott der Heerscharen“ und
in Vers 20 an den „HERRN, Gott der Heerscharen“.
Die Benennung Gottes deutet auf eine Zunahme der Offenbarung seiner Macht hin. Dies hat mit der zunehmenden Intensität des Gebets des Überrestes zu tun. Das Gebet des Überrestes lässt sich mit den Worten zusammenfassen: „Lass dein Angesicht leuchten“ (Vers 4). Die Antwort auf dieses Gebet findet sich in Psalm 81.
Wir können den Psalm wie folgt unterteilen:
1. in ihrem Gebet vergleicht sich der Überrest mit kraftlosen Schafen, die den Hirten brauchen, um erlöst zu werden (Verse 2.3).
2. Sie sehen sich als ein Volk, dessen Gebet wegen seines Zorns nicht zu Gott kommt (Verse 5–7).
3. Sie sehen sich auch als einen Weinberg, der von den Ebern (dem König des Nordens) des Waldes zertreten und vom Feuer verbrannt wird (Verse 9–17).
4. Deshalb liegt ihre einzige Hoffnung in dem Mann zur Rechten Gottes, der von seiner Macht spricht (Verse 18.19). Er, der gesagt hat: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18), ist allein in der Lage zu retten (vgl. Off 5,1–10).
1 Überschrift
1 Dem Vorsänger, nach „Schoschannim-Edut“. Von Asaph, ein Psalm.
Für den Ausdruck „Vorsänger“ siehe die Erklärung zu Psalm 4,1.
Für den Ausdruck „nach „Schoschannim-Edut““ siehe die Erklärung zu Psalm 45,1 und Psalm 60,1. In Psalm 60 steht „Schuschan“, „Lilie“, in der Einzahl (Ps 60,1).
„Edut“ bedeutet „ein Zeugnis“ im Sinne einer Offenbarung, die jemand macht oder die jemand über das, was er erlebt hat, weitergibt. Es ist ein anderes Wort als das Wort „Edut“, „Zeugnis“, das in der Überschrift von Psalm 60 steht.
Für den Ausdruck „von Asaph“ siehe die Erklärung zu Psalm 50,1.
2 - 4 Gebet um Erlösung
2 Hirte Israels, nimm zu Ohren, der du Joseph leitest wie eine Herde, der du thronst zwischen den Cherubim, strahle hervor!
3 Vor Ephraim und Benjamin und Manasse erwecke deine Macht und komm zu unserer Rettung!
4 Gott, führe uns zurück und lass dein Angesicht leuchten, so werden wir gerettet werden!
In Asaph wendet sich der treue Überrest an dem „Hirten Israels“ (Vers 2). In der Vergangenheit führte der HERR als Hirte sein Volk durch Mose und Aaron aus Ägypten heraus (Ps 77,21). Israel ist die Herde, die von Gott selbst geweidet wurde (Ps 79,13). Prophetisch gesehen wird sich dies erfüllen, wenn der HERR selbst der Hirte über Israel sein wird, um sie zu weiden (Hes 34,23). Israel steht hier sowohl für das Zweistämmereich als auch für das Zehnstämmereich (Hes 37,15–28).
Der Name „Hirte“ als Name Gottes erscheint zum ersten Mal in Jakobs Segen für Joseph (1Mo 49,24). Joseph, der das Zehnstämmereich repräsentiert, wird stark hervorgehoben. Das Zweistämmereich und das Zehnstämmereich sind nun vereint (vgl. Hes 37,15–17; Off 7,4–8). Der Überrest kommt aus den zwei Stämmen und aus den zehn Stämmen. Dieser eine Überrest in der Endzeit ist ganz Israel, das gerettet wird (Röm 11,26).
Sie bitten Gott, ihre Not „zu Ohren“ zu nehmen, denn sie haben den Eindruck, dass Er sich von ihnen abgewandt hat. In der zweiten Zeile von Vers 2 sagen sie zu Ihm, dass Er Joseph „wie eine Herde“ leitet. Joseph, der Vater von Ephraim und Manasse, steht hier für das ganze Volk. Das geht aus der Parallele zur ersten Zeile von Vers 2 hervor, wo von Israel die Rede ist. Der Überrest sowohl aus den zwei als auch aus den zehn Stämmen sieht sich als Schafe, die von Ihm damals aus Ägypten geführt wurden. Aber sie sind in Not und vermissen den Schutz des Hirten. Ein Appell an Gott als Hirten kann nur von einem Schaf seiner Herde gemacht werden.
Er „thront zwischen den Cherubim“. In der Vergangenheit befand sich der Ort der Begegnung mit Gott zwischen den beiden Cherubim auf dem Sühnedeckel (2Mo 25,22). Er musste diesen Ort wegen der Untreue seines Volkes verlassen (Hes 9,3; 10,4.18.19; 11,23). Der Überrest hat das verstanden. Der HERR aber thront noch immer zwischen den Cherubim im Himmel.
Der Überrest bittet nun durch den Psalmisten den HERRN, auf die Erde zurückzukehren (vgl. Hes 43,1–5). Sein Erscheinen bedeutet gleichzeitig die Erlösung für sein Volk (Verse 3.4).
Der Überrest bittet Ihn, „hervorzustrahlen“, d. h. offen als Herrscher in der jetzt herrschenden Finsternis zu erscheinen. Sein Erscheinen vertreibt die Finsternis. Der Ruf „strahle hervor!“ bezieht sich auf das Erscheinen des HERRN auf der Erde, um zu richten und zu erlösen (vgl. Ps 50,2; 94,1).
Er, der die Welt regiert, wohnt inmitten seines Volkes zwischen den Cherubim auf der Lade (2Mo 25,22; 1Chr 28,18; Hes 10,1), die in Vers 3 „deine Macht“ genannt wird. Der Überrest ruft Gott an, seine Macht zu erwecken (vgl. 4Mo 10,35.36; Ps 35,23), d. h. sich zu erheben und gegen die Feinde vorzugehen, um sie aus ihrem Griff zu befreien.
„Ephraim und Benjamin und Manasse“ befinden sich im Lager in der Wüste unter dem gleiche Banner, dem Banner Ephraims, an der Westseite der Stiftshütte (4Mo 2,17–24). Das sind die Stämme, die während der Wüstenreise direkt nach der Bundeslade aufbrachen und sich auch nach ihr als erste lagerten (4Mo 10,21–24). Zusammen mit den Kehatitern leben sie mit der Lade oder der Macht Gottes direkt vor ihren Augen.
In ihnen sehen wir auch das ganze Volk vertreten: Ephraim repräsentiert das Nordreich, Benjamin das Südreich. Ein Teil von Manasse wohnt auf der anderen Seite des Jordans. Er repräsentiert die zweieinhalb Stämme. Die drei Namen sind die Namen der Nachkommen Rahels, die im Land wiederhergestellt werden (vgl. Jer 31,15).
Die Bitte der zehn Stämme an Gott ist, sie wieder in ihr Land zu bringen (Vers 4). Aufgrund ihrer Untreue befinden sie sich jetzt außerhalb des Landes. Mit ihrer Bitte erkennen sie an, dass sie kein Recht und keine Macht haben, in das Land mit seinen Segnungen zurückzukehren. Gleichzeitig impliziert ihre Frage, dass Gott in seiner Gnade es tun kann und auch die Macht hat, es zu tun. Sie drückt das Vertrauen in die Gnade und Macht Gottes aus.
Mit der Frage „lass dein Angesicht leuchten“ bitten sie, dass Gott wieder in ihrer Mitte gegenwärtig sein möchte. Wenn Er bei ihnen ist, dann werden sie „gerettet werden“. Sie verbinden im Glauben seine Gegenwart in ihrer Mitte mit der Befreiung ihrer Feinde. Wenn Er anwesend ist, werden die Feinde fliehen oder besiegt werden.
Der hebräische Ausdruck „lass dein Angesicht leuchten“ bedeutet, dass das freundliche, gütige Gesicht lächelt, im Gegensatz zu dem Gesicht, das dunkel, düster oder zornig ist. Zweifellos dachte der Psalmist dabei an den priesterlichen Segen aus 4. Mose 6 (4Mo 6,24–26; vgl. Ps 31,17; 67,2).
Aus Johannes 1 wissen wir, dass Gott seine Gnade nur geben kann, weil Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus geworden ist. Aus seiner Fülle empfangen wir, sowohl die Christen als auch der künftige Überrest Israels, Gnade um Gnade (Joh 1,16.17).
5 - 8 Bis wann?
5 HERR, Gott der Heerscharen, bis wann raucht dein Zorn gegen das Gebet deines Volkes?
6 Du hast sie mit Tränenbrot gespeist und sie maßweise getränkt mit Tränen.
7 Du setztest uns zum Streit unseren Nachbarn, und unsere Feinde spotten untereinander.
8 Gott der Heerscharen, führe uns zurück und lass dein Angesicht leuchten, so werden wir gerettet werden!
Der Überrest wendet sich an den „HERRN, Gott der Heerscharen“ (Vers 5). Er ist der HERR, das heißt der Gott des Bundes. Das ist ihre Beziehung zu Ihm, auch wenn sie diese Beziehung jetzt nicht erleben. Er ist auch der „Gott der Heerscharen“, der Gott, der über allen himmlischen und irdischen Mächten, guten und bösen, steht.
Sie stellen Ihm die Frage, die sie quält: „Bis wann raucht dein Zorn gegen das Gebet deines Volkes?“ Sie erkennen an, dass ihre Not die Folge des Zornes Gottes ist und dass sie die Folge ihrer Sünden ist. Diese Situation steht im Einklang mit dem Bund. Aber die Frage, die sie quält, lautet: „Bis wann?“ Würde Gott nicht irgendwann mit seinem Zorn aufhören? Er ist doch der Hirte seines Volkes, oder nicht? Dann dürfen sie erwarten, dass Er sie weidet (Ps 79,13), was bedeutet, dass Er ihnen Nahrung und erfrischendes Wasser gibt (Ps 23,1.2).
Aber Er hat „sie mit Tränenbrot gespeist sie maßweise getränkt mit Tränen“ (Vers 6). Das ist eine „Mahlzeit“, die besonders hart für sie ist. Die eigenen Tränen zu trinken, ist eine bittere Sache. Es ist die Folge davon, seinen eigenen Weg zu gehen. Wir können uns auch daran erinnern, dass das Leiden des Volkes aufgrund seiner Sünden und der Ablehnung Christi so groß war, dass der Herr selbst darüber Tränen vergoss (Lk 19,41–44).
Gleichzeitig ist es aber auch eine heilsame „Mahlzeit“, denn sie kommt aus der Reue über ihre Sünden. Dass sie „maßweise“ trinken sollen, bedeutet, dass Gott das Maß dafür bestimmt. Das hebräische Wort für „maßweise“ bedeutet wörtlich „ein Drittel eines Maßes“, d. h. ein Drittel eines Epha (etwa sechsunddreißig Liter), das sind zwölf Liter. Zwölf Liter Tränen zum Trinken zu geben, ist sehr viel.
Hinzu kommt, was ihre Nachbarn, die benachbarten Völker, über sie sagen (Vers 7). Sie streiten sich darüber, wer von ihnen am meisten von ihrem Elend profitieren kann. Zugleich machen sie sich über das Elend lustig, das über sie gekommen ist. Sie spotten untereinander darüber.
Aber Gott ist doch der „Gott der Heerscharen“ (Vers 8), der Gott, der über allen irdischen und himmlischen Heerscharen steht, ob gut oder böse, nicht wahr? Wieder (vgl. Vers 5) appelliert der Psalmist an den HERRN, den Gott des Bundes, und unterstreicht nun seine Macht, für sein Volk zu handeln. Er möge es wiederherstellen, indem Er es in sein Land zurückbringt und es segnet. Wenn Er sein Angesicht leuchten lässt, das heißt, wenn Er sie annimmt und zu ihnen kommt, werden sie erlöst sein. Dessen sind sie sich sicher.
Die Frage ist nicht, ob Gott es tun kann, sondern ob Er es will (vgl. Mt 8,2.3). Dass Gott es tun kann, steht für sie nicht in Frage. Immerhin nennen sie Ihn den „Gott der Heerscharen“. Aber wird Gott auch ihnen gegenüber gnädig sein? Das ist es, was sie von Ihm verlangen. Für uns, die wir an das Neue Testament glauben, gibt es keinen Zweifel. Wir sind des Reichtums seiner Gnade, die wir empfangen haben, gewiss: „Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und [zwar] Gnade um Gnade“ (Joh 1,16).
9 - 14 Der Weinstock Israel
9 Einen Weinstock zogst du aus Ägypten, vertriebst Nationen und pflanztest ihn.
10 Du machtest Raum vor ihm, und er schlug Wurzeln und erfüllte das Land;
11 die Berge wurden bedeckt von seinem Schatten, und seine Äste [waren wie] Zedern Gottes.
12 Er streckte seine Reben aus bis ans Meer, und bis zum Strom hin seine Schösslinge.
13 Warum hast du seine Mauern niedergerissen, sodass ihn alle berupfen, die auf dem Weg vorübergehen?
14 Es zerwühlt ihn der Eber aus dem Wald, und das Wild des Feldes weidet ihn ab.
Asaph erinnert Gott an sein gnädiges Handeln bei der Befreiung seines Volkes aus Ägypten. Gott hat Israel aus Ägypten herausgeführt als „einen Weinstock“ (Vers 9; vgl. Hos 10,1a; Hes 19,10). Die Frucht des Weinstocks, der Wein, steht für Freude. In Ägypten konnte das Volk für Ihn keine Freude sein. Es konnte nur in dem Land sein, das Er als sein Eigentum erwählt hatte. Deshalb vertrieb Er „Nationen und pflanzte ihn“ (vgl. 5Mo 7,1; 2Mo 23,28). Jesaja, der ein Lied über Gottes Volk als Weinberg singt, drückt es so aus: Er „säuberte ihn von Steinen“ (Jes 5,1.2).
Wir finden hier, in wenigen Versen zusammengefasst, die lange Geschichte Israels in einem Gleichnis. Darin wird betont, dass die Geschichte Israels auf das Handeln des HERRN zurückzuführen ist. Er hat gezogen. Wir finden das im 2. Buch Mose. Er hat die Nationen vertrieben. Wir finden das im Buch Josua.
Gott pflanzte den Weinstock, sein Volk, nicht irgendwo hin, sondern auf den Boden, der von Gott „vor ihm Raum“ gemacht war (Vers 10; Jer 2,21). Er bereitete einen Platz für ihn vor. Das tut Gott immer. Bevor Er den Menschen ins Paradies setzte, bereitete Er diesen Ort für ihn vor (1Mo 2,8). Er hat alles gut vorbereitet. Weil der Herr Jesus uns in das Haus des Vaters bringen will, ist Er zuerst dorthin gegangen, um einen Platz für uns zu bereiten (Joh 14,2.3).
Gott gab sich alle Mühe, den Weinstock so zu pflanzen, dass er reiche Früchte tragen würde (vgl. Jes 5,2a; 57,14). Der Weinstock „schlug Wurzeln“. Infolgedessen „erfüllte“ er „das Land“. Alles spricht von seiner Fürsorge für seinen Weinstock, damit Er die volle Freude an ihm habe. Er pflanzte Israel an einem Ort, den Er zubereitet hatte. Er segnete Israel, sodass das Volk Wurzeln schlug und das Land erfüllte. Er streckte seine Reben aus. Dies bringt uns in die Zeit der Regierungen Davids und Salomos.
Das Wachstum des Weinstocks ist sein Werk. Dieses Wachstum, d. h. das Wachstum der Bevölkerung, war üppig. „Die Berge“ im Süden „wurden bedeckt von seinem Schatten“ (Vers 11). Das deutet auf ein zahlreiches Volk hin. Es ist auch ein mächtiges Volk geworden: „Seine Äste [waren wie] Zedern Gottes“ auf dem Libanon im Norden (vgl. 4Mo 24,6; Ps 104,16).
Das Wachstum ist auch von Westen nach Osten sichtbar. „Er streckte seine Reben aus bis ans Meer“ (Vers 12), das heißt zum Mittelmeer im Westen und zum Roten Meer im Osten. Dasselbe gilt für „seine Schösslinge“, die „bis zum Strom hin“ gingen, womit der Euphrat gemeint ist. Dies sind die Grenzen des Gebiets, das Israel im Friedensreich besitzen wird, gemäß der Verheißung, die Gott den Vätern gegeben hat (1Mo 15,18; 5Mo 1,7.8; 11,24). Dieses Bevölkerungswachstum und diese Gebietserweiterung gab es für kurze Zeit in den Tagen Salomos (1Kön 4,20; 5,4).
Nachdem Gott all dies für sein Volk getan hat, stellt sich dem Überrest die Frage, warum Er seine Mauern niedergerissen hat, die Er um seinen Weinberg gebaut hat (Vers 13; vgl. Jes 5,5). Den Grund finden wir im vorhergehenden Psalm (Ps 79,8; vgl. Jes 5,1–7). Eine Mauer dient dem Schutz. Gott bricht diesen Schutz ab. Er tut dies durch die Babylonier, die Jerusalem zerstören. Die Stadt liegt in Trümmern. Alle, die „auf dem Weg vorübergehen“, können plündern, so viel sie wollen.
Ein „Eber“ oder Schwein (Vers 14) ist ein unreines Tier (3Mo 11,3.4.7) und steht für die Nationen. Die Nationen sind „aus dem Wald“ gekommen, der ihre eigene Behausung ist, um Jerusalem zu zerwühlen, d. h. von seinem Fundament loszureißen. Die wilden Nationen sind gekommen, um sich alles anzueignen, was sie für wertvoll erachten. So ist Jerusalem „abgeweidet“ worden, und es ist nichts Essbares, nichts Wertvolles mehr übrig.
Viele Nationen haben Jerusalem mit Füßen getreten. Assyrien ist die Vorahnung dessen, was in der Zukunft geschehen wird. Von Nebukadnezar an haben in den Zeiten der Nationen (Lk 21,24) viele Völker über Jerusalem geherrscht und die Stadt mit Füßen getreten. Prophetisch gesehen wird dies in der Zukunft der prophetische Assyrer, der König des Nordens, tun.
15 - 17 Sieh, und nimm dich dieses Weinstocks an
15 Gott der Heerscharen, kehre doch wieder! Schau vom Himmel und sieh, und nimm dich dieses Weinstocks an
16 und des Setzlings, den deine Rechte gepflanzt hatte, und des Reises, das du dir gestärkt hattest!
17 Er ist mit Feuer verbrannt, er ist abgeschnitten; vor dem Schelten deines Angesichts kommen sie um.
Der Überrest bittet nun Gott als den „Gott der Heerscharen“, wieder in sein Land zurückzukehren (Vers 15). Wiederkehren bedeutet, dass der HERR den Bund wiederherstellen wird (Jer 31,31–33). Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass dies auf der Grundlage des Werkes des Herrn Jesus am Kreuz geschehen wird (Heb 8,1–13). Und aus Gnade wird auch das Volk zum HERRN wiederkehren (Vers 19; Hos 3,5).
Sie rufen zu Gott als „Gott der Heerscharen“, weil heidnische Heerscharen Jerusalem zerstört haben. Gott steht über allen Heerscharen, nicht nur über denen Israels, sondern auch über denen der Nationen, wie auch und über allen guten und bösen himmlischen Heerscharen.
Der Überrest bittet Gott, „vom Himmel“, wo Er wohnt, zu schauen, und zu sehen, was auf der Erde geschieht. Er möge sich „diesen Weinstock“ annehmen, d. h. mit Mitleid auf sein Volk schauen. Denn es ist „der Setzling“, den seine „Rechte gepflanzt hatte“ (Vers 16; 2Mo 15,6.17). Es ist eine Erinnerung an sein ursprüngliches Handeln mit seinem Volk. Als Er sie pflanzte, benutzte Er seine rechte Hand, die Hand der Stärke. Ist diese Hand nicht immer noch genauso stark?
„Das Reis [besser: der Sohn], den du für dich gestärkt hast“, ist Israel. Israel wird mehrmals als „Sohn“ bezeichnet (2Mo 4,22; Hos 11,1). Dies spiegelt die tiefere Beziehung Gottes zu seinem Volk wider. Israel als Weinstock soll für Gott eine Freude sein. Er wünscht sich, diese Freude in dem Volk als seinem Sohn zu finden. Er möchte, dass das Volk ein „Sohn seines Wohlgefallens“ ist.
Gott hat Israel gestärkt. Gestärkt bedeutet „erzogen“. Der Psalmist appelliert an Gott auf der Grundlage dessen, was Gott in der Vergangenheit getan hat. Immerhin hat Er Israel wie einen Weinstock gepflanzt; Er ist der Eigentümer Israels. Schließlich hat Er Israel wie einen Sohn großgezogen. Er ist der Vater Israels. Ist das nicht ein Grund, den Bund wiederherzustellen? Er soll also vom Himmel herabschauen und Israel, seinen Weinstock und seinen Sohn, betrachten.
Dieser Sohn bereitete Gott jedoch keine Freude. Deshalb wurde er nicht nur mit Feuer verbrannt (vgl. Hes 15,1–5; Joh 15,6), sondern der Weinstock wurde auch abgeschnitten (Vers 17). Der Überrest erkennt, dass diese Situation durch „das Schelten“ des „Angesichts“ Gottes eingetreten ist. Gott musste sie züchtigen, weil sie sich von Ihm abgewandt und rebelliert hatten. Seine Anwesenheit unter ihnen erforderte diese Maßnahme, denn Er kann nicht mit ihren Sünden zusammengehen. Das gilt sowohl für die Sünden des Volkes hier als auch für die Sünden der Feinde des Volkes (Ps 75,9; 76,7).
Israel hat als Sohn versagt. Der Herr Jesus hat den Platz Israels als Sohn eingenommen (vgl. Hos 11,1; Mt 2,11). Er ist auch der wahre Weinstock (Joh 15,1), d. h. anstelle des Weinstocks Israel, und schenkt dem Vater die Freude, die Er vergeblich bei Israel suchte. Wenn die Beziehung zwischen dem Herrn Jesus und Israel durch die Bekehrung des Volkes wiederhergestellt ist, wird Gott seine Freude an diesem Volk finden.
18 - 20 Der Menschensohn
18 Deine Hand sei auf dem Mann deiner Rechten, auf dem Menschensohn, den du dir gestärkt hast!
19 So werden wir nicht von dir abweichen; belebe uns, und wir werden deinen Namen anrufen.
20 HERR, Gott der Heerscharen, führe uns zurück! Lass dein Angesicht leuchten, so werden wir gerettet werden.
Der Überrest bittet Gott, seine Hand „auf den Mann deiner Rechten“ zu legen, also auf den Herrn Jesus (Vers 18). Die rechte Hand symbolisiert sowohl Macht als auch Ehre. Der Herr Jesus ist die Kraft Gottes und hat jetzt den Ehrenplatz im Himmel zur Rechten Gottes (Ps 110,1). Die rechte Hand Gottes ruht auf Ihm. Er ist der Messias. In Ihm wird Gott sein Werk der Erlösung vollbringen.
Auf dem Weg nach Bethlehem brachte Rahel einen kleinen Jungen zur Welt. Während sie im Sterben lag, nannte sie ihn Ben-oni oder „Sohn des Leidens“. Jakob jedoch änderte seinen Namen in Benjamin oder „Sohn der rechten Hand“ (1Mo 35,16–20). Wir finden hier ein wunderschönes Bild des Herrn Jesus, der kam, um zu leiden und als „Sohn des Leidens“ zu sterben und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben. Danach wurde Er von den Toten auferweckt, fuhr in den Himmel und wurde der Mann zur Rechten Gottes (vgl. Ps 110,1).
Ihm, dem „Menschensohn“, hat Gott alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben (Mt 28,18). Gott hat Ihn für sich selbst gestärkt. In den Evangelien nennt Er sich oft „Menschensohn“. Es ist der Name seiner Erniedrigung, aber auch seiner Erhöhung (Mt 26,64). Er übernimmt diesen Namen aus diesem Psalm, und aus Daniel 7, wo Er ebenfalls einmal vorkommt (Dan 7,13).
Das, worum der Überrest in Vers 18 bittet, wird in der Zukunft geschehen. Dann wird Gottes Hand öffentlich auf „dem Mann“ seiner „Rechten“, Christus, sein. Wenn Christus kommt und als Menschensohn regiert, werden sie nicht mehr von Ihm abweichen, denn sie sind fest mit Ihm verbunden (Vers 19; Jer 31,33; 32,40). Sie werden belebt und werden seinen Namen anrufen, d. h. Ihn anbeten.
Im letzten Vers (Vers 20) sprechen sie den „HERRN“ an, den Namen Gottes in seiner Beziehung zu seinem Volk. Im Glauben nennt der Überrest Ihn so. Die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk ist noch nicht wiederhergestellt, aber sie schauen auf den, der sich mit ihnen verbunden hat. Er muss sie wieder in diese Beziehung bringen. Das wird geschehen, wenn Er wieder bei ihnen ist, wenn sein Angesicht über ihnen leuchtet. Dann werden sie erlöst sein und die verheißenen Segnungen empfangen.
Nachdem sie in Vers 4 zu Gott und in Vers 8 zum Gott der Heerscharen um Wiederherstellung gebetet haben, beten sie hier, in Vers 20, zum HERRN, dem Gott der Heerscharen. Dass sie nun zu „dem HERRN“ beten, bedeutet, dass sie sich auf die Bundesbeziehung zwischen Gott und seinem Volk berufen. Wir wissen, dass diese Beziehung durch das Blut des neuen Bundes wiederhergestellt wird, das durch den Vermittler, den Mann zur Rechten Gottes, den Menschensohn, vergossen wurde.