Einleitung
Der Psalm ist ein Lied des Dankes nach der Errettung aus großer Not, möglicherweise einer Krankheit, die der Krankheit Hiskias ähnelt (Jes 38,1–5). Es ist ein Bild der inneren Wiederherstellung des Volkes in der Zukunft, gefolgt von Lob.
1 Überschrift
1 Ein Psalm, ein Einweihungslied des Hauses, von David.
Für den Ausdruck „Psalm , … von David“ siehe die Erklärung zu Psalm 3,1.
Es ist „ein Einweihungslied des Hauses“. Nachdem der HERR das Gebet des Überrestes erhört hat (Psalm 28) und erschienen ist (Psalm 29), werden die Feinde besiegt (Psalm 30) und David kann sein Haus einweihen bzw. in seinen Palast einziehen. Zugleich wird die Einweihung als Heilung einer Krankheit dargestellt.
2 - 6 Dankeslied
2 Ich will dich erheben, HERR, denn du hast mich emporgezogen und hast nicht über mich sich freuen lassen meine Feinde.
3 HERR, mein Gott! Zu dir habe ich geschrien, und du hast mich geheilt.
4 HERR! Du hast meine Seele aus dem Scheol heraufgeführt, hast mich belebt aus denen, die in die Grube hinabfahren.
5 Singt dem HERRN Psalmen, ihr seine Frommen, und preist sein heiliges Gedächtnis!
6 Denn ein Augenblick [wird verbracht] in seinem Zorn, ein Leben in seiner Gunst; am Abend kehrt Weinen ein, und am Morgen ist Jubel da.
David erhebt den HERRN dafür, dass Er ihn von einer Krankheit, die ihn dem Grab nahe brachte, „emporgezogen“ hat (Vers 2; vgl. Vers 4). „Emporziehen“ wird auch für „aus dem Wasser aufgezogen“ (vgl. Jer 38,7–13) verwendet und bedeutet damit, vor dem Ertrinken gerettet werden. Seine Feinde hofften und freuten sich, dass er an seiner Krankheit sterben würde. Aber durch seine Heilung hat der HERR ihnen die Möglichkeit genommen, sich zu freuen.
In großer Bedrängnis hat er zu dem HERRN, seinem Gott, geschrien, und seine Heilung ist die Antwort auf sein Gebet (Vers 3). Der erhabene Gott ist herabgefahren und hat seine „Seele aus dem Scheol heraufgeführt“ (Vers 4). Gott hat ihn belebt und ihn deshalb von denen unterschieden, die in die Grube hinabgefahren sind. Er preist Gott für den Kontrast, dass er „heraufgeführt“ worden und nicht „hinabgefahren“ ist.
David dankt nicht nur selbst Gott, sondern ruft alle „Frommen“ Gottes auf, dies gemeinsam mit ihm zu tun (Vers 5). Der Sologesang soll zu einem Chorgesang werden. Und was ist hier zu preisen? Gottes heiliges Gedächtnis, das ist hier die Heiligkeit seines Namens in Verbindung mit seiner Bundestreue. „Fromme“ sind diejenigen, die dem Bund treu sind – Hebräisch chasidim, ein Begriff, der heute auch für orthodoxe Juden verwendet wird.
David ruft dazu auf, Gottes heiliges Gedächtnis zu preisen. Weil Gott heilig ist, will Er, dass auch die Seinen heilig sind. Wenn das fehlt, bringt Er Zucht in ihr Leben, sodass sie das Falsche loswerden und Er wieder Gemeinschaft mit ihnen haben kann und sie wieder glücklich sein können (Heb 12,9–11; 1Pet 1,14–19).
Der Zorn Gottes währt „einen Augenblick“ (Vers 6; vgl. Jes 54,7.8). Danach, wenn der Zorn sein Ziel erreicht hat, gibt es „ein Leben in seiner Gunst“. In der Nacht der Prüfung wird über die Sünden „geweint“. Aber nach der Nacht des Weinens gibt es am Morgen „Jubel“ über die Befreiung.
In den Tagen der Schöpfung sehen wir die gleiche Reihenfolge: „Und es wurde Abend, und es wurde Morgen“, und dann kommt der nächste Tag. Jeder neue Morgen wird aus der Nacht geboren. Nach dem Leiden kündigt der Anbruch der Morgendämmerung einen neuen Tag ohne Ende an.
Der Herr Jesus weinte nachts in Gethsemane, denn eine Nacht des Leidens kam über Ihn. Aber jubelte Er nicht danach in der Auferstehung? Er kam in die Mitte seiner Jünger und freute sich mit ihnen. Die Freude, die damals begann, wird niemals enden.
7 - 11 Ruf zum HERRN
7 Ich zwar sagte in meinem Wohlergehen: Ich werde niemals wanken.
8 HERR! In deiner Gunst hattest du meinen Berg festgestellt. Du verbargst dein Angesicht, ich wurde bestürzt.
9 Zu dir, HERR, rief ich, und zum HERRN flehte ich:
10 Was für Gewinn ist in meinem Blut, in meinem Hinabfahren in die Grube? Wird der Staub dich preisen? Wird er deine Wahrheit verkünden?
11 Höre, HERR, und sei mir gnädig! HERR, sei mein Helfer!
In diesem Abschnitt hören wir die Geschichte von der Not und der Rettung. Es beginnt mit einem emphatischen „ich“ (Vers 7). David erzählt von einer Periode in seinem Leben, die er als „mein Wohlergehen“ beschreibt. Während dieser Zeit sagte oder dachte er, dass er „niemals wanken“ würde. Er denkt nicht an die Möglichkeit einer Änderung dieser Umstände. Ist das eine Naivität, die Gottes Zucht erforderte, die ihn dem Tod nahe brachte? Ähnelt er hier Nebukadnezar, der ebenfalls einmal eine solche Periode des Stolzes kannte und von Gott für seinen Stolz bestraft wurde (Dan 4,4.5.29–31)?
Es ist nicht leicht, diese Frage zu beantworten. Es gibt einen Unterschied zwischen David und Nebukadnezar. David sagt in Vers 8, dass er sein Wohlergehen oder seine sorglose Ruhe der Gunst Gottes verdankte, denn Er hatte seinen „Berg festgestellt“. David scheint sein Königreich zu meinen, das die Festigkeit eines Berges hatte. Bei Nebukadnezar war es eindeutig nur Stolz.
Das Volk Gottes wird später auch von Gott über sein Wohlergehen angesprochen, aber Gott sagt, dass sie nicht zuhören wollen (vgl. Jer 22,21). Bei David ist das anders. Bei ihm klingt es, als sähe er Gottes Hand in seinem Wohlergehen. Es kann auch sein, dass er dies vergessen hat und dass er nachher hier den wahren Grund für seinen Wohlergehen anerkennt, nachdem er sich der Zucht Gottes unterworfen hatte.
Ganz gleich, wie wir sein Wohlergehen oder seine sorglose Ruhe interpretieren, die Lektion für uns ist, dass wir unser Vertrauen nicht auf das Wohlergehen setzen sollten, das wir haben können, sondern auf Gott. Wenn wir keine Sorgen haben, wenn wir gesund sind und alles haben, was wir brauchen, wenn es auch den Kindern und Enkelkindern gut geht, dann erleben wir sozusagen eine Zeit des „Wohlergehens“. Es kann dann leicht der Gedanke aufkommen, dass wir „niemals wanken“ werden.
Dieser Gedanke bedeutet nicht unbedingt, dass wir völlig von Gott getrennt sind, wie es hier bei David nicht der Fall zu sein scheint. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir es Ihm verdanken, und sagen zu ihm: „Herr, durch deine Gunst haben wir diese unerschütterliche Ruhe. Mein Berg steht fest.“ „Mein Berg“ können wir dann auf das „kleine Königreich“ anwenden, das wir haben können, einen Bereich, den wir unter unserer Kontrolle haben und dessen Verwaltung machen wir gut. Unsere Sicht hat sich mehr auf unsere Ruhe als etwas, das nicht wanken kann, als auf den Herrn konzentriert.
Der HERR macht David dies in seiner Gnade bewusst, indem Er sein Angesicht vor ihm verbirgt. Infolgedessen wird David „bestürzt“ (vgl. 2Sam 12,1–13). Dies ist auch der Beweis dafür, dass David nicht wirklich vom HERRN getrennt ist. Ohne Ihn kann er nicht leben. Seine Aufmerksamkeit war jedoch mehr auf sein sorgenfreies Leben gerichtet als auf den, der es ihm geschenkt hatte. Dies ist eine gefährliche Situation, die der Beginn eines anderen Kurses und damit auch eines anderen Endes sein könnte.
Bei David hat das Verbergen des Angesichts Gottes die gewünschte Wirkung: Er fängt an zu Ihm rufen (Vers 9). Ihm wird wieder bewusst, dass er von Gott abhängig ist. In der Zeit des Wohlergehens wird er auch gebetet haben, aber möglicherweise ein wenig gedankenlos. Wir können zum Beispiel beten: „Unser nötiges Brot gib uns heute“, weil es uns wirklich an täglichem Brot fehlt. Wenn wir alles haben, und sogar einen Vorrat für mehrere Tage, können wir das auch beten, aber es besteht die große Gefahr, dass es bedeutungslos wird.
Wir können dies auch auf Gesundheit und Krankheit anwenden. David scheint von einer Krankheit heimgesucht worden zu sein, und zwar von einer so schweren Krankheit, dass der Tod unmittelbar bevorstand. Was wird dann aller Wohlstand relativ. Er beginnt zu beten, zu weinen, Gott anzuflehen.
David weist Gott in seinem Gebet darauf hin, dass er Ihn nicht preisen kann, wenn er sterben wird (Vers 10). Der Staub, zu dem er zurückkehrt, wenn er stirbt, hat keine Stimme. Das bedeutet doch sicher keinen Gewinn für Gott, oder? Was Gewinn für Gott ist, ist, dass Er für seine Errettung gepriesen wird. Dies wird auch zu einer Verkündigung seiner Wahrheit nach außen hin führen.
An diesem Punkt seines Gebetes angelangt, drängt David Gott, auf ihn zu hören und ihm gegenüber gnädig zu sein (Vers 11). An der Schwelle des Todes weiß jeder, dass er selbst nichts tun kann. Dann braucht er Gnade von Gott und einen Helfer in Gott. Er spürt das Bedürfnis, dass Gott ihn von Augenblick zu Augenblick unterstützt und führt.
12 - 13 Wehklage verwandelt in Freude
12 Meine Wehklage hast du mir in einen Reigen verwandelt, mein Sacktuch hast du gelöst und mich mit Freude umgürtet,
13 damit [meine] Seele dich besinge und nicht schweige. HERR, mein Gott, ewig werde ich dich preisen!
Nur Gott kann Leiden in Freude verwandeln. Hier finden wir den Segen von Gottes wiederherstellender Gnade. Gott nimmt uns das „Sacktuch“, das Zeichen der Trauer und der Buße, ab. Nach der Errettung kann eine Zeit der Freude kommen. David sieht den Unterschied zwischen seiner Entfernung von Gott und seiner Heilung als den Unterschied zwischen der Wehklage bei einer Beerdigung und der Freude bei einer Hochzeit (Vers 12; Jes 61,3; Jer 31,13; Jes 3,24; Klgl 5,15).
Er hat allen Grund, vor Gott zu singen. Für die Erhaltung und Wiederherstellung seines Königtums dankt er Gott. Er kann dazu nicht schweigen. Sein Lobgesang ist nicht nur vorübergehend, nicht nur zur Zeit der Wiederherstellung und Erhörung des Gebets, sondern er wird den HERRN seinen Gott „ewig … preisen“. Was Gott in seiner Zucht über uns für uns getan hat, wird Anlass sein, Ihn ewig zu preisen.