Einleitung
Dieses Kapitel ist die Einleitung zum ganzen Buch. Es beschreibt die Anklageschrift des HERRN gegen Juda. Diese Anklageschrift macht die Notwendigkeit des Schreibens des Buches und die Notwendigkeit des Eingreifens Gottes wegen des geistlichen Zustandes seines Volkes deutlich. Dieses Eingreifen ist anders, höher, als wir es erwarten würden. Auch der Ruf zur Umkehr ertönt.
Die Anklageschrift zeigt uns den Zustand des Volkes aus der Sicht Gottes. In dieser Anklage sehen wir, dass Gott ihr gerechter Richter ist, der sie notwendigerweise richten muss. Der Grund dafür ist, dass sie den Bund mit Ihm gebrochen haben – der mit Himmel und Erde als Zeugen geschlossen ist (Vers 2). Die Anklageschrift zeigt uns aber auch, dass Gott immer noch ihr großer Erlöser und Retter sein will. Dieses Buch zeigt uns somit die Notwendigkeit des Gerichts und zudem, wie der HERR sein Volk inmitten des Gerichts bewahrt.
Das Buch zeigt uns darüber hinaus, was Prophetie ist. Prophetie ist das Reden im Namen Gottes, ein Reden, durch das das Gewissen des Volkes und des Einzelnen in das Licht Gottes gestellt wird. Deshalb ist Prophetie einerseits traurig, weil sie das Herz des sündigen und undankbaren Volkes Gottes entlarvt. Auf der anderen Seite ist Prophetie liebreich und herrlich, weil sie das Herz Gottes offenbart, das in Liebe nach seinem Volk Ausschau hält (Lk 15,20). Sie zeigt, dass Gott ihr Wohlergehen sucht und dass Er sie schließlich segnet – nachdem die Sünde entdeckt, bekannt und aufgrund des Werkes seines Sohnes vergeben wurde. Die Segnungen werden als Folge der Reue dargestellt, aber ursprünglich sind sie erst möglich geworden, nachdem die Strafe für die Sünde vom Mittler getragen wurde.
Wie in der Einleitung des Buches erwähnt, werden Propheten besonders dann gesandt, wenn Gottes Volk im Verfall begriffen ist. Sie rufen zur Umkehr auf, während sie gleichzeitig das Gericht ankündigen, wenn das Volk in der Sünde verharrt. Für diejenigen, die auf die Stimme Gottes hören, haben die Propheten eine ermutigende Botschaft. Sie erinnern sie an die Gewissheit des Segens, der auf sie wartet. Diese Aussicht gibt dem treuen Überrest die Kraft, inmitten der abtrünnigen Masse in der Heiligkeit auszuharren.
1 Überschrift
1 Das Gesicht Jesajas, des Sohnes des Amoz, das er über Juda und Jerusalem geschaut hat in den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas’, Jehiskias, der Könige von Juda.
Der Name „Jesaja“ mit der Bedeutung „die Rettung des HERRN“ weist schön auf das Kennzeichen seiner Prophetie hin. Sein Buch ist ein „Gesicht“, eine „Vision“, das heißt, er schreibt als echter „Seher“ über das, was er gesehen hat. Er hat seine Botschaft vom HERRN selbst erhalten. Er ist ein Prophet Gottes, das heißt ein Sprecher Gottes. Er verkündet nicht seine eigenen Gedanken, sondern gibt weiter, was er von Gott gehört und gesehen hat.
Jesaja wird zum Propheten berufen, als „Ussija“ noch König von Juda ist, das war um 740 v. Chr. Ussija wird nicht mehr lange König sein, denn das Jahr der Berufung Jesajas ist das Jahr seines Todes (Jes 6,1). Danach prophezeit er während der Regierungszeit der Könige „Jotham“, „Ahas“ und „Jehiskia“. Das bedeutet, dass der Bereich seines Dienstes das Zweistämmereich oder das Südreich ist. Wahrscheinlich hat er Hiskia überlebt, denn er beschreibt die Geschichte von Hiskia (2Chr 32,32).
Drei der vier genannten Könige werden als gute Könige angesehen. Nur Ahas ist ein sehr schlechter König. Doch auch unter den guten Königen ist der Zustand des Volkes schlecht. Das wird in diesem ersten Kapitel deutlich werden.
Es kann entmutigend sein zu erkennen, wie es wirklich um Gottes Volk in unseren Tagen steht. Äußerlich mag es gut aussehen, aber der Herr kennt das Herz (vgl. Verse 10–16). Deshalb brauchen wir den prophetischen Dienst, denn so kann Er den wahren Zustand des Herzens ans Licht bringen. Die ersten Kapitel dieses Buches halten uns einen Spiegel vor. Wenn wir aufmerksam und beobachtend in den Spiegel schauen, wird er uns dazu bringen, uns selbst im Licht des Wortes Gottes zu prüfen (vgl. Jak 1,22–24).
2 - 7 Die Schuld des Volkes festgestellt
2 Hört, ihr Himmel, und horche auf, du Erde! Denn der HERR hat geredet: Ich habe Kinder großgezogen und auferzogen, und sie sind von mir abgefallen. 3 Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis. 4 Wehe der sündigen Nation, dem Volk, belastet mit Ungerechtigkeit, den Nachkommen der Übeltäter, den bösen Söhnen! Sie haben den HERRN verlassen, haben den Heiligen Israels verschmäht, sind rückwärts gewichen. 5 Warum solltet ihr [noch] weiter geschlagen werden, da ihr [nur] den Abfall mehren würdet? Das ganze Haupt ist krank, und das ganze Herz ist siech. 6 Von der Fußsohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm: Wunden und Striemen und frische Schläge; sie sind nicht ausgedrückt und nicht verbunden und nicht mit Öl erweicht worden. 7 Euer Land ist eine Wüste, eure Städte sind mit Feuer verbrannt; eure Äcker – Fremde verzehren sie vor euren Augen; und eine Wüste ist es, wie eine Umkehrung durch Fremde.
Bevor Juda die Anklageschrift in der Rechtssache mit dem HERRN hört, werden zunächst Zeugen aufgerufen (Vers 2), nämlich „Himmel“ und „Erde“. Jesaja ruft die Schöpfungswerke Gottes auf, Zeugnis abzulegen in Bezug auf den Bund mit dem HERRN, den sie gebrochen haben Das hat auch Mose beim Schließen des Bundes getan (5Mo 32,1).
Jesajas Botschaft richtet sich nicht nur an Israel, sondern auch an die Nationen (Jes 49,6), ja, an die ganze Schöpfung. Schließlich wird auch der Herr Jesus eine neue Schöpfung herbeiführen. Dies geschieht auf eine Art und Weise, die völlig öffentlich ist und daher von jedem beurteilt werden kann. Jeder wird anerkennen, wie gerecht der HERR alles gemacht hat. Weder Freund noch Feind, nicht einmal der Teufel, wird den Finger auf eine Ungerechtigkeit legen können.
Jesaja lässt den HERRN selbst sprechen. Sofort stellt sich der HERR als Vater seines Volkes – nicht des einzelnen Israeliten! – vor und sagt, dass Er „Kinder großgezogen“ hat. Wir sehen das in der Geschichte während der Regierungszeit von David und Salomo, wo das Volk zahlenmäßig groß wurde, also ein stattliches Volk geworden ist. Er hat das Volk aber auch „auferzogen“. Das bedeutet, dass das Volk erwachsen geworden ist und eine Stellung über alle Völker erlangt hat.
Trotz aller Fürsorge, mit der Er sie als seine Kinder behandelt (5Mo 14,1a) und umgeben hat, muss Er ihnen sagen, dass sie von Ihm „abgefallen“ sind. Sie sind zu rebellischen Kindern geworden, die von Ihm abgefallen sind. Das Wort „abgefallen“ ist ein zentraler Begriff in diesem Buch bis hin zum letzten Vers (Jes 66,24).
Die Tatsache, dass das Wort „sie“ betont wird, unterstreicht die Ernsthaftigkeit ihres Abfalls. Gerade von denen, die vom HERRN so vorzüglich großgezogen und auferzogen wurden und zur Reife gekommen sind, ist ein solches Verhalten nicht zu erwarten. Der Vorwurf ist deshalb völlig gerechtfertigt.
Darin hält Israel uns einen Spiegel vor. Wie steht es mit uns, die wir das persönliche Recht haben, Kinder Gottes zu sein, weil wir an den Namen des Herrn Jesus geglaubt haben (Joh 1,12; 1Joh 3,1)? Kennen wir unseren Gott, den Vater, in unserem praktischen Glaubensleben und sind wir Ihm geweiht? Was Gott an Israel als Volk getan hat, das hat Er auch an uns, die wir zur Gemeinde des lebendigen Gottes gehören, persönlich und geistlich getan. Die Geschichte von Israels Undankbarkeit und ihr Abfall ist „geschrieben worden zu unserer Ermahnung“ (1Kor 10,11).
Nachdem die „unbelebte“ Natur – Himmel und Erde – angerufen ist, werden zwei eigenwillige Tiere mit den zwölf Stämmen Israels verglichen (Vers 3; vgl. Jer 8,7). „Ein Ochse“ und „ein Esel“ kennen jeweils ihren „Besitzer“ und „die Krippe ihres Herrn“; sie wissen, dass sie bei ihm bleiben müssen, um ihre Nahrung zu erhalten. Er kümmert sich um sie. Hat nicht auch Gott für sein Volk gesorgt?
Aber das Volk ist dümmer als diese Tiere (vgl. Ps 73,22). Als Volk sind sie seine Kinder – Gott spricht immer noch von „meinem Volk“ – aber sie kennen ihren Vater nicht mehr. „Keine Erkenntnis“ oder „nicht wissen“ hat die Bedeutung von „keine Beziehung zu Ihm haben“. Infolgedessen fehlt ihnen auch ein grundlegendes „Verständnis“ für das, was der HERR von ihnen verlangt, und für die Situation, in der sie sich befinden. Bei ihnen gibt es keinerlei Erwägung vor dem Angesicht Gottes im Hinblick auf ihr Handeln als sein Volk.
Diese Beschreibung zeigt, zusätzlich zu dem in Vers 2 erwähnten Abfall, die völlige Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem, was Gott zusteht. Das Volk, das sein Besitz ist und für das Er gesorgt hat, ignorieren seine Liebe völlig.
Der Herr Jesus hat als Schöpfer ein Anrecht auf jeden Menschen. Durch sein Werk am Kreuz hat Er alle Menschen – gläubige und ungläubige – erkauft (2Pet 2,1). Durch dasselbe Werk hat Er als Retter alle erlöst, die glauben (1Pet 1,18.19). Von ihnen ist Er der Eigentümer. Allerdings haben viele von Gottes Volk heute nicht das Bedürfnis nach der Nahrung, die Er für sie in seiner „Krippe“, die sein Wort ist, für sie zubereitet hat.
Die Doppelbeziehung des Volkes zum HERRN einerseits als Besitzer und andererseits als Herr ist ein Beispiel für uns:
1. Wir sind der Besitz des Herrn Jesus, Er hat uns gekauft, wir gehören Ihm und sind in allem, was wir benötigen, von Ihm abhängig;
2. Er ist unser Herr, wir sollen Ihm gehorchen.
In Vers 4 spricht Gott anhand von sieben Kennzeichen ihres verdorbenen Zustandes das „Wehe“ über sie aus. Diese Aufzählung kann in zwei Teile unterteilt werden.
In Teil 1 geht es um ihren Zustand als Volk (1 und 2) und als Familie (3 und 4):
1. Volk: „die sündige Nation“, ein Volk, dem das Ziel Gottes abhandengekommen ist. Sünde bedeutet im Hebräischen: das Ziel verfehlen, nämlich die Herrlichkeit Gottes (Röm 3,23).
2. Volk: „Volk, belastet mit Ungerechtigkeit“, das heißt ein verkehrtes und verdrehtes Volk.
3. Nachkommen: „Nachkommen der Übeltäter“, sie tun nur Böses und nichts Gutes.
4. Söhnen: „bösen Söhnen“, sie säen Bösartigkeit um sich herum.
In Teil 2 wird ihr innerer Zustand ausgedrückt: in ihren Herzen (5), in ihren Worten (6) und in ihren Taten (7). Sie haben
5. Ihn in ihrem Herzen verlassen,
6. Ihn mit ihrem Mund verschmäht, d. h. verachtet oder gelästert, und
7. sich in ihrem Wandel rückwärts ausgerichtet, sich von Ihm abgewandt, indem sie sich von Ihm entfernten und Ihm nicht mehr folgten.
Jeder Teil der aufgeführten Anklage steht in scharfem Kontrast zu dem, was Gott für sein Volk vorgesehen hat und auch erwarten durfte (2Mo 19,6a; 5Mo 14,1.2; 1Pet 2,9). Beeindruckend ist, dass Er hier „der Heilige Israels“ genannt wird, ein Titel, der für Jesaja charakteristisch ist und für den er eine Vorliebe hat (siehe Einleitung unter „Einige charakteristische Ausdrücke“). Es bedeutet, dass der HERR nicht nur der größte Gott ist, nein, Er ist der Erste und der Letzte, ja, Er ist der allein wahre und einzige Gott. Es bedeutet auch, dass sein Name durch die Wiederherstellung Israels geheiligt werden wird (Mt 6,9b; Hes 36,22.23).
Geistlich gesehen sind die Glieder des Volkes Gottes, wie Mose sagt, „ein Geschlecht voll Verkehrtheit …, Kinder, in denen keine Treue ist“ (5Mo 32,20b). Für sie gilt, was der Herr Jesus später in seinen Tagen auf der Erde zu den Juden sagt: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun“ (Joh 8,44a). Wir hören es auch in dem, was Er zu den Pharisäern und Sadduzäern sagt, wenn Er sie „Otternbrut“ nennt (Mt 3,7). Sie haben sich von Ihm abgewandt und Ihn verlassen, um den Götzen zu dienen.
Wegen ihrer Abweichung musste der HERR sie züchtigen. Er will sie dadurch zu sich selbst zurückbringen. Er fragt sie nun: „Warum solltet ihr [noch] weiter geschlagen werden?“ (Vers 5a). Er sagt gewissermaßen: „Ist es noch nicht genug gewesen? Hat es einen Sinn, euch noch mehr zu schlagen?“ (Jer 2,30a; 5,3).
Der HERR hat sie überall geschlagen, an allen Orten, durch Plagen und feindliche Völker. Er hat sie so oft geschlagen, sodass es keine Stelle mehr gibt, wo Er sie noch schlagen könnte. Auf immer neue Weise hat Gott sie seine Zucht spüren lassen, aber alles war vergeblich. Neue Züchtigung scheint keinen Sinn zu machen, denn sie fahren fort, nur den Abfall zu mehren. Sie sind völlig unempfindlich und gleichgültig gegenüber jeglicher Art von Zucht geworden. Und das trotz der Strenge und Härte aller Züchtigungen. Der Prophet weist in den Versen 5b–7 darauf hin.
„Das ganze Haupt“, „das ganze Herz“ (Vers 5b), ja der ganze Körper „von der Fußsohle bis zum Haupt“ (Vers 6a), also äußerlich und innerlich, ist von Gott abgefallen und hat seine Züchtigung zu spüren bekommen. Haupt und Herz regieren den Körper. Mit „dem Haupt“ ist möglicherweise der König gemeint (2Chr 28,22) und mit „dem Herzen“ das gesamte gesellschaftliche Leben. Sie sind krank im Kopf und abgestumpft im Herzen. Wenn Kopf und Herz krank sind, ist der ganze Körper krank. Es ist „nichts Gesundes“ vorzufinden. Sie können nicht mehr gut mit dem Kopf denken und sie sind mutlos im Herzen, sie haben keine körperliche Kraft mehr. Dennoch nehmen sie keine Zuflucht zu Ihm. Wenn sie überhaupt noch etwas empfinden, dann greifen sie zu den Götzen (2Chr 28,22.23).
Ihre nationale Existenz besteht aus offenen, schmerzhaften, eiternden „Wunden und Striemen und frischen Schlägen“. Aber sie bitten Gott nicht um Behandlung. Die Wunden werden „nicht ausgedrückt und nicht verbunden und nicht mit Öl erweicht“. Sie sind in einem so schlechten moralischen Zustand, dass ihre böse Verfassung sie überhaupt nicht stört und kein Bedürfnis nach Genesung vorhanden ist.
Nicht nur ihr Leben beweist ihre Untreue, sondern auch der Zustand des Landes bezeugt es, denn es „ist eine Wüste“ (Vers 7). Jesaja spricht von „eurem Land“. Der HERR hat ihnen dieses Land gegeben, damit sie darin wohnen und seine Früchte genießen können. Dass das Land eine Wüste ist, wird am Anfang und am Ende von Vers 7 gesagt. Es steht in direktem Zusammenhang mit dem Fluch, den Mose für den Fall der Untreue des Volkes voraussah (3Mo 26,33b; 5Mo 28,49–52). Der Prophet Jesaja verwendet die Worte Moses und wendet sie auf seine Zeit an. Die Verwüstungen sind die Folge des Angriffs der Assyrer (Jes 36,1).
Der Prophet spricht auch von „eure Städte“ und „eure Äcker“. Es ist ihnen alles gegeben, um in ihnen zu wohnen und von ihnen zu leben. Doch von den Städten ist nichts mehr übrig. Sie werden mit Feuer verbrannt, es gibt keinen Platz mehr zum Leben. Was die Äcker hergeben, wird vor ihren Augen von „Fremden“, d. h. dem Feind, der im Land ist, „verschlungen“. Sie haben das Land „umgekehrt“. Ihre Treulosigkeit hat alles auf den Kopf gestellt. Es gibt keinen Platz mehr für den HERRN, und deshalb werden sein Volk und die Früchte des Landes den Nationen überlassen. Das Land ist das Land des HERRN (3Mo 25,23), aber die Verwalter haben sich das Erbe widerrechtlich angeeignet (Mt 21,38).
8 - 9 Ein Überrest
8 Und die Tochter Zion ist übrig geblieben wie eine Hütte im Weinberg, wie eine Nachthütte im Gurkenfeld, wie eine belagerte Stadt. 9 Wenn der HERR der Heerscharen uns nicht einen kleinen Überrest gelassen hätte, wie Sodom wären wir, Gomorra gleich geworden.
Inmitten all der Untreue und Gottes Gericht darüber bezeugt der HERR seine Liebe zu Zion, indem Er von der Stadt als einer „Tochter“ spricht (Vers 8). Hier ist Zion die Tochter, eine junge Frau, die eigentlich die Braut Gottes ist. Zion ist der poetische Name für Jerusalem.
Gott verhindert, dass die Assyrer Jerusalem einnehmen. Inmitten des verwüsteten Landes steht nur noch Jerusalem. Doch von der einstigen Pracht der Stadt ist nicht mehr viel übrig. Sie gleicht „einer Hütte im Weinberg“ und „einer Nachthütte im Gurkenfeld“. Die Hütte ist für die Wächter des Weinbergs und die Nachthütte für die Wächter des Gurkenfeldes. Die Wächter sind die einzigen menschlichen Wesen in einer weitgehend menschenleeren Umgebung. Zion wird auch mit „einer belagerten Stadt“ verglichen. Eine Stadt, die belagert wird, hungert. Alle Kraft und Schönheit verschwindet.
Die wenigen Bewohner der in Vers 8 erwähnten Hütten werden durch den Ausdruck „einen kleinen Überrest“ (Vers 9) angedeutet. Dass es einen Überrest gibt, ist nur der Gnade Gottes zu verdanken. Er, „der HERR der Heerscharen“, hat dafür gesorgt, dass er „gelassen“ wurde. Wenn Er nicht eingegriffen und einen Überrest bewahrt hätte, wären sie „wie Sodom“ und „Gomorra“ geworden und buchstäblich untergegangen wie jene Städte. Indem Gott einen Überrest übrig lässt, verwirft Er sein Volk nicht völlig und nicht für immer. In der Tat erhält der kleine Überrest in diesem Buch den Platz des gesamten Volkes.
Prophetisch wird sich dies schließlich erfüllen, wenn das zukünftige Assyrien, das auch als König des Nordens bezeichnet wird, Israel vernichten wird. Selbst dann wird Gott einen Überrest, „ein Drittel“ (Sach 13,8c), für sich behalten.
Paulus zitiert Vers 9 in seinem Brief an die Römer, um darauf hinzuweisen, dass die Errettung der Geretteten allein Gott zu verdanken ist (Röm 9,29). Das gilt auch geistlich für uns als Gemeinde Christi. Wegen unserer Untreue wäre der Herr nicht in der Lage, uns als seine Zeugen auf der Erde zu erhalten. Dass wir noch da sind, obwohl wir nur wenige sind, ist nur seiner Gnade zu verdanken (vgl. Klgl 3,22–24). Die Erkenntnis dessen sollte uns zu größerer Hingabe führen.
Der Überrest erkennt diese Gnade an, weil er erkennt, dass er eine plötzliche und totale Zerstörung verdient hat. Das unausweichliche Gericht, das über die Masse des Volkes kommt, wird nach seiner Ausführung an das erinnern, was mit Sodom und Gomorra geschah (5Mo 29,22.23). Dies werden wir in der Endzeit sehen. Dann wird die gottlose Masse des Volkes durch das Feuer des Gerichts umkommen, während der Überrest als Knechte des HERRN unter Gottes gerechtem Knecht befreit und gesegnet werden wird.
Es ist wichtig, im Gedächtnis zu behalten, dass mit Zion das irdische Jerusalem gemeint ist und nicht die Gemeinde. Nirgendwo in den Prophezeiungen des Alten Testaments ist von der Gemeinde die Rede. In der Tat ist die Gemeinde in der Zeit des Alten Testaments ein Geheimnis (Eph 3,5). In den Prophezeiungen geht es um das Reich Gottes auf der Erde. Das wollte Gott in Israel Gestalt annehmen lassen. Wegen ihrer Untreue entsprachen sie Gottes Gedanken nicht und deshalb wurden sie für eine Zeit verworfen. Gottes ursprüngliche Absicht wird aber im Friedensreich unter der Herrschaft des Herrn Jesus in vollkommener Weise sichtbar werden.
Für die Gemeinde, die im Himmel ihr zu Hause hat, besteht das Reich Gottes derzeit nicht äußerlich, sondern geistlich (Röm 14,17). Alle, die sich als Christen bekennen, können aus den Prophezeiungen viele geistliche Lektionen für ihr praktisches Glaubensleben lernen (1Kor 10,6.11). Wir sehen dies, wenn wir die Ähnlichkeit zwischen Israel als einem versagenden Zeugnis Gottes auf der Erde damals und der Christenheit als einem versagenden Zeugnis Gottes in der jetzigen Zeit sehen (Röm 11,16–24).
10 - 15 Scheinheilige Schlachtopfer
10 Hört das Wort des HERRN, Vorsteher von Sodom; horcht auf das Gesetz unseres Gottes, Volk von Gomorra! 11 Wozu soll mir die Menge eurer Schlachtopfer?, spricht der HERR. Ich habe die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber satt, und am Blut von Stieren und Lämmern und jungen Böcken habe ich kein Gefallen. 12 Wenn ihr kommt, um vor meinem Angesicht zu erscheinen: Wer hat dies von eurer Hand gefordert, meine Vorhöfe zu zertreten? 13 Bringt keine wertlose Opfergabe mehr! Räucherwerk ist mir ein Gräuel. Neumond und Sabbat, das Berufen von Versammlungen: Frevel und Festversammlung kann ich nicht [ertragen]. 14 Eure Neumonde und eure Festzeiten hasst meine Seele; sie sind mir zur Last geworden, ich bin des Tragens müde. 15 Und wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch; selbst wenn ihr das Gebet vermehrt, höre ich nicht: Eure Hände sind voll Blut.
Jesaja gibt die Stimme des Überrestes wieder, wenn er in Vers 9 anerkennt, dass es Gottes Gnade zu verdanken ist, dass sie nicht wie Sodom und Gomorra geworden sind. Das gilt nicht für die gottlose Masse, an die er in den Versen 10–20 das Wort richtet. Geistlich gesehen ähnelt der Zustand Jerusalems und Judas dem von Sodom und Gomorra (Hes 16,49). Jerusalem und Juda weisen Eigenschaften wie Stolz, Übermut und sorglose Ruhe auf. In der Zukunft wird es den Juden in ihrem Tempel, den sie im Unglauben in Jerusalem wiederaufgebaut haben, geistlich so ergehen (Off 11,8).
Jesaja spricht an erster Stelle die Führer Jerusalems an (Vers 10). Er spricht sie wenig schmeichelhaft als „Vorsteher von Sodom“ an. Er wendet sich auch an das Volk Gottes, das er ebenso wenig schmeichelhaft „Volk von Gomorra“ nennt. Das bedeutet, dass ihr geistlicher Zustand unwiderruflich zu Gottes Gericht führen wird. Deshalb fordert er die Führer auf, „das Wort des HERRN“ zu hören, und ermahnt das Volk, „auf das Gesetz unseres Gottes“ zu horchen.
Obendrein, und das ist wirklich schockierend, bedecken sie ihre Verdorbenheit mit einem frommen Gewand. Es ist die Religion Kains. Sie bringen Gott eine „Menge … Schlachtopfer“ (Vers 11), aber Er lehnt sie ab. Sie sind wertlos für Ihn, weil sie mit einem heuchlerischen und kalten Herzen dargebracht werden (Jes 29,13; Hos 6,6; Amos 5,21–24; Mich 6,6–8).
Sie mögen eine „Menge Schlachtopfer“ bringen, aber Er verabscheut sie. Er hat ihre „Brandopfer von Widdern“ satt. Der Widder ist das Tier des Weiheopfers. Indem sie einen Widder bringen, geben sie vor, dass sie Ihm ihr Leben weihen wollen. „Das Fett“ und „das Blut“ von allen möglichen Tieren gefällt Ihm nicht. Sie geben vor, sein Recht darauf anzuerkennen, aber in der Praxis tun sie, was ihnen gefällt. Was für eine Vielfalt von Opfern bringen sie, und sie tun es genau so, wie es vorgeschrieben ist, doch Er hat kein Gefallen daran.
Sie kommen mit ernsten Gesichtern vor sein Angesicht und zertreten seine Vorhöfe (Vers 12). Seht, wie religiös sie sind! Aber wer hat das von ihnen verlangt? Gott sicher nicht. Es ist besser für sie, zu Hause zu bleiben, als heuchlerisch zu kommen, denn wenn sie das tun, sind die Opfergaben „wertlos“ (Vers 13). Sie haben überhaupt keinen Nutzen und bewirken nichts. Das „Räucherwerk“, das sie bringen, ist Ihm „ein Gräuel“. Der HERR zerschlägt ihren ganzen Dienst; Er lässt nichts davon übrig. Alles, womit sie meinen, Ihn zu ehren, ist nichts als geistlicher Egoismus. Es dient nur dazu, ihre religiösen Gefühle zu befriedigen. Es ist nichts für den HERRN dabei.
Auch die Festtage und die damit verbundenen Versammlungen sind Ihm ein Gräuel. „Ich kann sie nicht ertragen“ muss Er dazu sagen, denn Er ist der Gott des Rechts, und was sie tun, ist „Frevel“. Selbst wenn sie eine „Festversammlung“ berufen – das heißt die heiligen Versammlungen während der sieben jährlichen Festtage, die in 3. Mose 23 beschrieben werden –, ist das für Ihn eine verwerfliche Beschäftigung. Es sind Festtage, um sich selbst Gutes zu tun, während für den HERRN kein Platz ist.
Es sind also nicht mehr „Feste des HERRN“ (3Mo 23,2), sondern ihre eigenen Feste. Er nennt sie deshalb auch „eure Neumonde und eure Festzeiten“ (Vers 14; vgl. Joh 5,1; 6,4; 7,2). Er hasst sie von ganzer Seele. Sie sind Ihm eine Last und Er ist müde, sie zu tragen (vgl. Jes 7,13). Wir würden sagen: Er ist ihrer überdrüssig.
Die Sprache ist äußerst kraftvoll und eindringlich. Gott drückt in einer fast emotionalen Weise seine Verurteilung ihres verwerflichen Dienstes aus. Er will sein Volk von der Abscheu überzeugen, die Er empfindet. Ohne es zu wissen, sind viele blind für das, was vor dem HERRN angemessen ist (vgl. Off 3,17.18) und haben sich sogar gegen diese Vorwürfe gewehrt. Sie sind sehr zufrieden mit sich und ihrem Dienst.
Wer sich Gott heuchlerisch im Gebet nähert, den sieht und hört Er nicht (Vers 15). Er hört nur, wenn die Praxis – von der die Hände sprechen – rein ist (vgl. 1Tim 2,8; Ps 24,4.5; 66,18). Sie stehen im Tempel und beten mit ausgestreckten Händen, aber Gott hört nicht auf sie, denn ihre Hände sind mit Blut befleckt. Sie begehen im Verborgenen Ungerechtigkeiten, und so kommen sie vor Ihn. Schönes Beten in der Öffentlichkeit, während die Praxis im Widerspruch dazu steht, verabscheut Gott zutiefst.
Er sagt von ihrem Gottesdienst, dass sie sich Ihm mit ihrem Mund nähern und Ihn mit ihren Lippen ehren, aber ihr Herz weit von Ihm entfernt ist (Jes 29,13). Gott verabscheut einen rein äußerlichen Gottesdienst, damals, heute und in der Zukunft. Das Gewissen des Christen kann auch so verhärtet sein, dass der Anschein eines christlichen Verhaltens gewahrt bleibt (2Tim 3,5), während er in der Sünde lebt.
16 - 20 Aufruf zur Umkehr
16 Wascht euch, reinigt euch; schafft mir die Schlechtigkeit eurer Handlungen aus den Augen, hört auf, Böses zu tun! 17 Lernt, Gutes zu tun, trachtet nach Recht, leitet den Bedrückten; verschafft Recht der Waise, führt die Rechtssache der Witwe! 18 Kommt denn und lasst uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, wie Schnee sollen sie weiß werden; wenn sie rot sind wie Karmesin, wie Wolle sollen sie werden. 19 Wenn ihr willig seid und hört, so sollt ihr das Gute des Landes essen. 20 Wenn ihr euch aber weigert und widerspenstig seid, so sollt ihr vom Schwert verzehrt werden. Denn der Mund des HERRN hat geredet.
Gott ruft das Volk auf, sich zu waschen und sich zu reinigen (Vers 16; vgl. Ps 51,9). In diesem Aufruf hören wir die Aufforderung von Johannes dem Täufer an die religiösen Führer, die zu seiner Taufe kommen: „Bringt nun der Buße würdige Frucht“ (Mt 3,8). Alle Opfer, die sie heuchlerisch darbringen, reinigen ihre sündigen Taten vor Gott nicht.
Die Aufforderung zum Waschen setzt voraus, dass sie schmutzig sind. Das Waschen geschieht mit Wasser. Geistlich gesehen bedeutet dies, dass ein Mensch durch das Lesen oder Hören des Wortes Gottes, das mit Wasser verglichen wird (Joh 15,3; Eph 5,26), einsieht, dass er ein Sünder ist und dies auch als gerecht anerkennt. Das Bekenntnis der Sünden wird von Gott mit der Reinigung von den Sünden beantwortet. Diese Reinigung geschieht auf der Grundlage des Blutes Christi (1Joh 1,7b.9).
Wenn sie gewaschen und gereinigt sind, werden sie auch der Aufforderung nachkommen, „die Schlechtigkeit“ ihrer „Handlungen aus den Augen“ Gottes zu schaffen (Vers 16a). Dann wird auch die Gesinnung gefunden, mit bösen Handlungen aufzuhören (Vers 16b), wodurch der Weg frei wird, „Gutes zu tun“ (Vers 17; Jak 4,8b; Röm 12,9). Ein Mensch kann nicht lernen, Gutes zu tun, wenn er nicht vorher aufhört, Böses zu tun.
Wer Gutes tut, wird nach Gerechtigkeit streben, was sich in der Fürsorge für die Schwachen und Verletzlichen in der Gesellschaft ausdrückt. Nach Recht zu trachten bedeutet also, sagt Jesaja, „den Bedrückten“ zu leiten, „den Waisen“ Recht zu verschaffen und „die Rechtssache der Witwe“ zu führen. Gerade die Schwachen und Verletzlichen aber werden von ihnen zu ihrem eigenen Vorteil benachteiligt (Vers 23). Durch eine völlige Umkehrung dieses Verhaltens würden sie sich als sein Volk erweisen.
Um dies zu erreichen, ruft der HERR sie auf, mit Ihm zu rechten (Vers 18). Dann wird Er ihnen die Gerechtigkeit seiner Taten zeigen. Und wenn sie seine gerechten Taten anerkennen, wird Er sie von ihren Sünden reinigen und ihnen seine Vergebung gewähren. Er kann dies aufgrund des Werkes tun, das sein Sohn, der vollkommene Knecht des HERRN, als Schuldopfer am Kreuz vollbringen wird (Jes 53,7–12; Röm 3,25). Gott bietet auf der Grundlage der Gerechtigkeit in einzigartiger Weise volle Vergebung und Reinigung an, egal wie schlimm und wie oft jemand gesündigt haben mag.
Gott erinnert sie an ihre Sünden, die „wie Scharlach“ und „wie Karmesin“ sind. Scharlach und Karmesin sind beide blutrote Farben. Es ist die Farbe, die wie ihre Blutschuld ist. Ihre Hände sind rot von dem Blut, das sie vergossen haben und für das es kein Mittel gibt, mit dem sie es abwaschen könnten (Jer 2,22). Wenn sie jedoch ihre Sünden bekennen und um Gottes Gnade bitten, werden sie weiß durch die Vergebung, die sie von Gott nach ihrem Bekenntnis erhalten. Das Weiße wird mit Schnee und Wolle verglichen. Es verweist auf die unverfälschte Reinheit von frisch gefallenem Schnee und die wohltuende Wärme der Wolle, die vor der Kälte der Sünde und der Welt schützt.
Prophetisch gesehen ist das, was wir hier lesen, ein Aufruf an das Volk, seine beiden Sünden zu erkennen und zu bekennen. Diese beiden Sünden sind erstens die Ablehnung Christi und zweitens der Götzendienst, der in der Annahme des Antichristen gipfelt. Dieser prophetische Aspekt wird besonders im zweiten Teil von Jesaja besprochen.
Der HERR sagt ihnen, dass sie auf zwei Arten reagieren können. Er sagt ihnen aber zudem, welche Folgen jede Reaktion hat. Die erste Reaktion kann sein, dass sie willig sind, bereit, auf Ihn zu hören (Vers 19). Als Ergebnis wird es Segen geben, das heißt, sie werden „das Gute des Landes essen“. Die zweite mögliche Reaktion ist, dass sie widerspenstig und ungehorsam sind. In diesem Fall werden sie vom Schwert verzehrt werden (Vers 20). Sie können sicher sein, dass entweder der Segen oder der Fluch kommen wird, denn „der Mund des HERRN hat geredet“. Seine Aussprüche sind nie leere Aussagen, sondern voller wirksamer Kraft. Was Er sagt, das geschieht vollständig (Jes 34,16).
In den Versen 19 und 20 hören wir ein Wortspiel. Wenn sie willig sind und gehorchen, sollen sie das Gute des Landes essen; wenn sie sich aber weigern und ungehorsam sind, sollen sie vom Schwert gefressen werden. Im einen Fall dürfen sie die Nahrung zu sich nehmen, die Gott ihnen gibt; im anderen Fall dienen sie selbst als Nahrung für das Schwert ihrer Feinde.
Prophetisch gesehen gibt es hier zwei Gruppen von Menschen, die wir in der Endzeit finden. Wir erkennen in dem gehorsamen, treuen Überrest eine Gruppe, die „isst“. Die andere Gruppe, die „gefressen“ wird, erkennen wir in der großen, ungehorsamen Masse Israels. Als Christus kam, nahm das Volk als Ganzes Ihn nicht an (Joh 1,11), während der Überrest Ihn annahm (Joh 1,12).
Wenn der Antichrist kommt, wird das Volk ihn annehmen (Joh 5,43), während der Überrest ihn ablehnen wird. Deshalb wird der Überrest schließlich Segen empfangen und essen, während das ablehnende Volk vom Schwert gefressen wird. Das Schwert, das aus dem Mund des HERRN kommt (vgl. Off 19,15), ist Assyrien, das auch die Rute des Zornes Gottes genannt wird (Jes 10,5).
Für uns führt das Hören auf den Herrn zu geistlichem Segen. „Das Gute des Landes essen“ (Vers 19) bedeutet, dass wir uns ernähren mit „allen geistlichen Segnungen“ (Eph 1,3), die durch das Werk des Herrn Jesus unser Teil geworden sind. Wenn wir ungehorsam sind, wird unser geistliches Leben verdorren und unser Zeugnis verschwinden.
21 - 23 Die Ursache des Gerichts
21 Wie ist zur Hure geworden die treue Stadt! Sie war voll Recht, Gerechtigkeit weilte darin, und jetzt Mörder! 22 Dein Silber ist zu Schlacken geworden, dein edler Wein mit Wasser verdünnt. 23 Deine Fürsten sind Widerspenstige und Diebsgesellen, jeder von ihnen liebt Geschenke und jagt nach Belohnungen; der Waise verschaffen sie nicht Recht, und die Rechtssache der Witwe kommt nicht vor sie.
Diese Verse sind ein Klagelied Jesajas über die Untreue Jerusalems. Der Ausruf „wie ist“ (Vers 21) ist ein Ausdruck des Kummers über die entstandene Situation. Der Prophet hat dem Volk die Rechte Gottes vor Augen geführt und sie aufgefordert, mit Gott zu rechten. Er hat ihnen auch die Bereitschaft Gottes zur Vergebung gezeigt. Aber „wie ist“ die einst „treue Stadt“ durch ihre Liebe zu den Götzen zu einer Frau geworden, die „eine Hure“ genannt werden muss (5Mo 31,16). Prophetisch deutet dies darauf hin, dass das irdische Jerusalem durch die Annahme des Antichristen geistlich zu einer Hure geworden ist.
Sie ist so schlecht und verdorben, dass es keine Hoffnung auf Wiederherstellung gibt. Sie, die „voll Recht“ gewesen ist, in der „Gerechtigkeit weilte“, ist eine Stadt der „Mörder“ geworden. Tag und Nacht war die Stadt eine Wohltat für ihre Bewohner wegen der Gerechtigkeit, die in ihr geherrscht hat. Sie war ein sicherer Ort zum Leben. Aber die Gerechtigkeit hat sich in Gewalt verwandelt. Die Richter sind zu ungerechten Richtern geworden, zu Menschen, die das Gesetz verdrehen.
Infolgedessen sind sie selbst zu Mördern geworden und lassen auch Mörder ungestraft davonkommen, damit sie in der Stadt einen Wohnplatz haben. Infolgedessen hat die Stadt alles verloren, was sie angenehm und sicher machte. Der härteste Fall eines ungerechten Urteils und eines Mordes ist die Verurteilung des Herrn Jesus und die vollzogene Todesstrafe durch diese Stadt mit ihren Mördern.
Eine gottlose Vermischung hat stattgefunden (Vers 22). Was als Silber wertvoll sein sollte, womit die Leiter des Volkes Gottes gemeint sind, ist zu wertlosen Schlacken geworden. Die Führer sind durch ihre Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit zu verdorbenen, wertlosen Menschen geworden. Die Führer, die den Bewohnern eine Freude sein sollten wie der Wein, sind zu einem Getränk geworden, das nicht getrunken werden kann und ausgespuckt wird.
Als Anwendung können wir sagen, dass das, was für Gott wertvoll ist, das Silber, und das, was Ihm Freude bereitet, der Wein, einem gerechten Urteil nicht standhält. Schlacken, die wertlos sind, und Wasser, das den Wein verdünnt, zum Beispiel menschliche Traditionen, entfernen oder verdunkeln Gottes Recht.
Die Führer sind zu Tyrannen geworden. Sie haben sich gegen den HERRN erhoben und Ihn zur Seite geschoben (Vers 23). Sie ziehen die Gesellschaft von Dieben der Gesellschaft des HERRN vor. Sie begehen ihren Diebstahl, indem sie sich die sozial Schwachen herauspicken. Sie handeln nach dem Prinzip „quid pro quo“ (eine gute Tat verlangt eine Gegenleistung). Sie verdrehen das Recht, erwarten aber von denen, zu deren Gunsten sie das Gesetz verdrehen, eine Gegenleistung. Für Bestechungsgelder verdrehen sie das Recht und benachteiligen dadurch die armen und wehrlosen Waisen und Witwen noch mehr.
24 - 25 Das Gericht dient der Reinigung
24 Darum spricht der Herr, der HERR der Heerscharen, der Mächtige Israels: Ha, ich werde mir Genugtuung verschaffen an meinen Widersachern und Rache nehmen an meinen Feinden! 25 Und ich werde meine Hand gegen dich wenden und werde deine Schlacken ausschmelzen wie mit Laugensalz und werde all dein Blei wegschaffen.
Jesaja stellt den Übeltätern „den Herrn, den HERRN der Heerscharen, den Mächtigen Israels“ gegenüber (Vers 24). Es ist, als ob der HERR sich in seiner Empörung über die Ungerechtigkeit der Führer und des Volkes in der ganzen Macht seines Wesens erhebt.
Die Unterscheidung zwischen den Namen, die mit „Herr“ und „HERR“ übersetzt werden, ist wichtig und sollte im gesamten Alten Testament beachtet werden. Auch beim weiteren Studium des Buches Jesaja ist es notwendig, auf diese Unterscheidung zu achten. Jedes Mal, wenn der Name „Herr“, in Kleinbuchstaben, verwendet wird, ist es die Übersetzung des hebräischen Wortes Adonai. Mit diesem Namen wird Gott als der Befehlshaber, der Herr, der souveräne Autorität hat, bezeichnet.
Wenn da „HERR“ steht, mit Großbuchstaben, dann ist das die Übersetzung des hebräischen Wortes Jahwe. Das ist der Name Gottes als der Gott des Bundes, der Name, der seine Beziehung zur Schöpfung und zum Menschen und besonders zu seinem irdischen Volk anzeigt. Der Name „HERR“ wird zum ersten Mal in 1. Mose 2 erwähnt, zuerst im Zusammenhang mit der Schöpfung und dann im Zusammenhang mit dem Menschen (1Mo 2,4–22). Im Zusammenhang mit Israel gibt Er sich ihnen mit diesem Namen zu erkennen, als Er sie aus Ägypten befreit (2Mo 6,1–8). Dieser Name weist dann auf die besondere Beziehung hin, die Er mit diesem Volk eingeht.
„Der Mächtige Israels“, ein Titel, den Jesaja nur hier verwendet, kann die Untreue seines Volkes nicht ungestraft lassen. Er ist mächtig, mit denen, die Er „meine Widersacher“ nennt, so umzugehen, dass seiner Gerechtigkeit genüge getan wird. Erleichterung ist nötig bei Schmerzen. Er hat großen Schmerz und Kummer wegen ihres Abfalls. Seine „Genugtuung“ [oder: sein „Trost“] (Vers 24) liegt in dem Gericht über ihren Abfall, weil dadurch dieser Abfall entfernt wird.
Er muss Rache an seinen Widersachern und Feinden üben. Aber aufgepasst. Die Widersacher und die Feinde sind hier nicht die Assyrer, wie das Volk sie gerne sieht, sondern Gott spricht hier von ihnen, seinem Volk! Mit „meine Widersacher“ und „meine Feinde“ meint Er sie. Sie, die rebellischen Juden, sind Widersacher und Feinde seines Gesetzes und seiner Regierung.
Dass Er sich – wörtlich: seine Hand – gegen sein Volk wendet, ist dazu gedacht, sie von ihren Ungerechtigkeiten zu reinigen, sodass sie reines Silber werden (Vers 25). Die gottlose Masse sind zu Schlacken und Blei geworden (vgl. Vers 22). Die Schlacken sind wertlos, und das Blei sieht aus wie Edelmetall, ist aber unecht. Er wird beide Elemente durch das Gericht des Feuers entfernen. Was übrig bleibt, ist ein gottesfürchtiger Überrest, der seinem Herzen wohlgefällig ist (Sach 13,9a; Mal 3,2).
26 - 27 Wiederherstellung für Jerusalem
26 Und ich werde deine Richter wiederherstellen wie früher und deine Ratgeber wie im Anfang. Danach wird man dich nennen: Stadt der Gerechtigkeit, treue Stadt. 27 Zion wird erlöst werden durch Gericht, und seine Rückkehrenden durch Gerechtigkeit.
Nach der Vollstreckung des Gerichts werden vom HERRN gerechte „Richter“ eingesetzt „wie früher“, d. h. wie zur Zeit Davids und Salomos (Vers 26). Bei den „Ratgebern wie am Anfang“ können wir an Mose und Josua denken. Das wird zu einer völlig anderen Situation führen als die, die wir jetzt mit ungerechten Führern haben, die den Gottesdienst leiten und das Leben des Volkes kontrollieren. Infolgedessen kann Jerusalem wieder „Stadt der Gerechtigkeit, treue Stadt“ genannt werden (vgl. Vers 21; Sach 8,3). Wir können auch sagen, dass Jerusalem wieder eine treue oder vertrauenswürdige Stadt geworden ist – „Glaube“ und „Treue“ sind im Hebräischen das gleiche Wort.
Die herrlichen Eigenschaften von Vers 26 werden das Ergebnis der Rettung Zions durch Gott sein, einer Rettung, die auf seinen Gerichten beruht, die Er in Gerechtigkeit ausführt (Vers 27). Gottes gerechte Gnade führt zur Gerechtigkeit und Standhaftigkeit im Leben derer, die gerechtfertigt werden. Die Grundlage der Errettung ist das Werk Christi, der am Kreuz das gerechte Urteil Gottes über die Sünden aller, die Buße tun, empfangen hat.
28 - 31 Gericht auf der Grundlage des Rechts
28 Aber Zerschmetterung den Übertretern und den Sündern allesamt; und die den HERRN verlassen, werden untergehen. 29 Denn sie werden beschämt werden wegen der Terebinthen, die ihr begehrt. Und ihr werdet mit Scham bedeckt werden wegen der Gärten, an denen ihr Gefallen hattet. 30 Denn ihr werdet sein wie eine Terebinthe, deren Laub verwelkt ist, und wie ein Garten, der kein Wasser hat. 31 Und der Starke wird zum Werg werden und sein Tun zum Funken; und sie werden beide miteinander verbrennen, und niemand wird löschen.
Im Gegensatz zu denen, die Buße tun und in das Friedensreich eingehen und dessen Segen genießen werden (Verse 26.27), stehen diejenigen, die dem Antichristen folgen werden. Sie sind „Übertreter“ der Gebote Gottes (Vers 28). Damit ist die abgefallene Masse des Volkes Gottes gemeint. „Sünder“ bezieht sich auf die gesetzlosen Heiden, Menschen, die das Ziel Gottes nicht erfüllen – das Wort „Sünde“ bedeutet wörtlich „das Ziel verfehlen“. „Zerschmetterung“ wird sie treffen, denn sie haben alle „den HERRN verlassen“ und „werden untergehen“.
Die Mächtigen der Erde, auf die sie vertraut haben, dargestellt in „den Terebinthen“, werden sie enttäuschen (Vers 29), ebenso wie die Herrlichkeit der Welt, dargestellt in „den Gärten“. Sie haben geglaubt, durch ihre Verbindung mit „den Terebinthen“ und „den Gärten“ selbst eine „Terebinthe“ und ein „Garten“ zu werden, aber darüber werden sie „beschämt“ sein (Vers 30). Sie werden mit ihnen zusammen ein Ende finden.
Vers 31 weist auf das Endgericht am Ende des Buches hin (Jes 66,24) und unterstreicht den Gedanken, dass dieses erste Kapitel die Einleitung zum ganzen Buch ist. In „dem Starken“ erkennen wir das Tier aus dem Meer, den Herrscher über die Europäische Union, das wiederhergestellte Weströmische Reich (Off 13,1–10). In „sein Tun“, d. h. in dem, der es wirkt, erkennen wir das Tier aus der Erde, den Antichristen (Off 13,11–18).
„Sie werden beide [das Tier aus dem Meer und das Tier aus der Erde] miteinander verbrennen“, sie werden beide lebendig in die Hölle, den Feuersee, geworfen werden (Off 19,20). Das Feuer des Gerichts kommt hier nicht von außen, sondern von innen. So wie „Werg“, [das sind Flachsabfälle zum Feuermachen], das Feuer entfacht, Funken sprühen und die Flachsabfälle von innen heraus in Brand setzt, so trägt die Sünde das Gericht in sich und ruft das Gericht über sie herbei. Ihr Selbstvertrauen ist ihr Verhängnis.
Zusammenfassung Jesaja 1
Wir haben in diesem ersten Kapitel gesehen, dass es die Einleitung für das ganze Buch ist, weil es die Prinzipien des Handelns Gottes gegenüber dem Volk Israel darlegt. Es beginnt mit der Anklage ihrer Sünden und einem Aufruf zur Umkehr. Darauf folgt seine Verheißung, diejenigen zu segnen, die gehorchen, den gläubigen Überrest, und seine Drohung, diejenigen zu richten, die unwillig sind, die gottlose Masse des Volkes.
Nachdem das Gericht ausgeübt worden ist und die Reinigung stattgefunden hat, wird Gott im Friedensreich durch seinen Messias Segen für Israel geben und durch Israel wird dieser Segen zu den Nationen kommen. Wir werden das in den folgenden Kapiteln sehen.