Einleitung
Das Thema dieses Kapitels ist der Aufruf an den gläubigen Überrest, umzukehren und an den Herrn Jesus zu glauben. Sie glauben an den HERRN und zittern vor seinem Wort (Jes 66,2), aber sie erkennen nicht, dass der Herr Jesus ihr verheißener Christus, ihr Messias ist. So wie das Gewissen der Brüder Josephs durch ihren Aufenthalt im Gefängnis geweckt wurde, so wird auch das Gewissen dieses treuen Überrestes geweckt werden.
Um dies zu tun, benutzt Gott drei Dinge, die wir in diesem Kapitel finden:
1. Sein Wort (Verse 1–8, worin sie dreimal aufgefordert werden zuzuhören.
2. Die Bedrängnis durch das Tier aus dem Meer und das Tier aus der Erde (Verse 9–16; Off 13,1–10.11–18)
3. Der Assyrer, der König des Nordens (Verse 17–23)
Das Thema zieht sich bis Jesaja 52,12 durch und kann in sieben Teile gegliedert werden. Jeder dieser Teile beginnt mit einer gebietenden Aufforderung, die ab dem vierten Teil auch doppelt ausgesprochen wird.
1. „Hört auf mich!“ (Jes 51,1) ist auf die Vergangenheit bezogen
2. „Hört aufmerksam auf mich!“ (Jes 51,4) ist auf die Zukunft bezogen
3. „Hört auf mich!“ (Jes 51,7) ist auf die Gegenwart bezogen
4. „Wache auf, wache auf!“ (Jes 51,9)
5. „Erwache, erwache!“ (Jes 51,17)
6. „Wache auf, wache auf!“ (Jes 52,1)
7. „Weicht, weicht!“ (Jes 52,11)
Es beginnt mit einer dreifachen Aufforderung, auf das Wort zu hören und es zu beherzigen (Verse 1.4.7). In Vers 9 folgt ein vierter und erster doppelter Aufruf. Dieser kommt vom Volk und ist an Gott gerichtet, damit Er sie vor den beiden Tieren rettet. In Vers 17 ertönt der fünfte Aufruf, in dem der HERR wieder zu seinem Volk spricht, und zwar um aufzuwachen infolge seines Zorns durch den König des Nordens. Im sechsten Aufruf (Jes 52,1) spricht der HERR erneut zu seinem Volk, damit es aufwacht. Das siebte Mal (Jes 52,11) ist eine Art Zusammenfassung und Höhepunkt mit einem ebenfalls doppelten Aufruf, um aus der Mitte des Volkes hinauszugehen wegen aller Verunreinigung. Beide Kapitel arbeiten auf diesen Höhepunkt hin.
Der ganze Abschnitt bezieht sich auf die Zeit kurz vor dem Ende der Gefangenschaft. Sie sollen aufwachen und sich bereit machen, Babel zu verlassen und zurück nach Jerusalem zu gehen. Hier ist wieder der doppelte Sinn, in dem wir nicht nur an die unmittelbar bevorstehende Vorerfüllung denken, sondern auch an die endgültige Erfüllung, die sich auf die Endzeit bezieht. Dann wird Israel aus den Nationen in das Land zurückkehren, und die Feinde werden vertilgt werden. Sie aber werden in den Frieden und die Freude des Reiches eingehen. Neben der wörtlichen und prophetischen Aussage gibt es auch die praktische Anwendung für uns.
1 - 3 Beispiel von Abraham und Sara
1 Hört auf mich, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt, die ihr den HERRN sucht! Blickt hin auf den Felsen, aus dem ihr gehauen, und auf die Höhlung der Grube, aus der ihr gegraben seid. 2 Blickt hin auf Abraham, euren Vater, und auf Sara, die euch geboren hat; denn ich rief ihn, den Einen, und ich segnete ihn und mehrte ihn. 3 Denn der HERR tröstet Zion, tröstet alle ihre Trümmer; und er macht ihre Wüste wie Eden, und ihre Steppe wie den Garten des HERRN. Wonne und Freude werden darin gefunden werden, Danklied und Stimme des Gesangs.
Der Überrest wird aufgerufen, auf den HERRN zu hören (Vers 1). Zuhören ist das Merkmal des gläubigen Überrestes. Der Herr Jesus sagt von seinen Schafen, dass sie seine Stimme hören (Joh 10,16; vgl. Amos 3,12). In Offenbarung 2 und 3 heißt es siebenmal: „Wer ein Ohr (Einzahl) hat, der höre.“ Darin folgt man dem Beispiel des Erlösers, der selbst sagte: „Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet“ (Jes 50,5). Bevor jedoch der Same des Wortes keimen kann, muss der Boden gepflügt werden, das heißt, bevor sie auf das Wort hören, müssen sie erst durch Not und Trübsal gehen.
Der HERR wendet sich an den treuen Überrest unter seinem Volk, der der Gerechtigkeit nachjagt und Ihn sucht. Der ungläubige Teil ist stolz im Herzen und weit entfernt von Gerechtigkeit (Jes 46,12). Der Überrest hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Zu ihnen kann der Herr Jesus sagen, dass sie „glückselig“ sind (Mt 5,6). Dieses Verlangen nach Gerechtigkeit kommt hervor aus einer inneren Verbindung mit Christus, der die Gerechtigkeit Gottes ist (1Kor 1,30).
Im Friedensreich ist es nicht nötig, der Gerechtigkeit nachzujagen (Jes 32,1), aber jetzt schon. Wir müssen das in der Zeit des Verfalls, in der wir leben, tun, und wir werden dazu auch angespornt (2Tim 2,22a). Die Gläubigen zeigen ihren Geist des Glaubens, indem sie sich irdischer Vergnügungen enthalten, um die Gegenstände ihres Verlangens zu verfolgen.
Abraham ist der Fels, aus dem die Steine herausgeschlagen wurden, mit denen das Haus Israel gebaut wurde. Sara ist „die Höhlung der Grube, aus der ihr gegraben seid.“ Hier wird auf die Tatsache verwiesen, dass Abraham und Sara Einzelgänger sind. Gott rief Abraham allein und konnte ihn segnen und sich vermehren lassen. Er kann dies auch mit dem Überrest tun, der sich ebenfalls als Einzelgänger in der Menge fühlt.
Was hier als Ermutigung für das Volk gedacht ist, wird vom ungläubigen Volk missbraucht, um sich das Land im Ungehorsam anzueignen (Hes 33,24). Der Überrest wird nun als Einzelgänger ermutigt, sich nicht an der Anbetung des Bildes des Tieres zu beteiligen, wie sie in der Zeit der großen Drangsal üblich sein wird. Nur dann kann der HERR seinen Segen geben.
Für den gläubigen Überrest ist der Hinweis auf Abraham auch in einem anderen Sinn bedeutsam. Es hat mit dem hohen Alter und dem unfruchtbaren Zustand der Ehe von Abraham und Sara zu tun. In diesen Zustand hinein wirkte der HERR durch seine eigene übernatürliche Kraft als Antwort auf Abrahams Glauben (Vers 2; Röm 4,19–21). Ähnlich unfruchtbar und trostlos sah Israel ursprünglich aus. Dies ist der Ursprung des Volkes Israel, und der HERR ruft sie im Bild des Felsens und der Höhlung der Grube auf, sich daran zu erinnern. Wie der HERR mit dem einsamen Abraham und der unfruchtbaren Sara verfahren ist, so wird Er auch mit dem zerstörten und einsamen Zion verfahren (Vers 3).
Auch der Herr Jesus war auf der Erde ein Einzelgänger. Er ist der Gerechtigkeit in vollkommener Weise nachgejagt und hat sie erfüllt, mit dem Höhepunkt seines Werkes am Kreuz der zugleich ein Tiefpunkt war. Das Ergebnis ist eine gewaltige Frucht. Unzählige Menschen sind durch Ihn gerettet worden, weil Er wie das Weizenkorn in die Erde gefallen und gestorben ist (Joh 12,24).
So wie die Freude zu Sara nach einer langen Zeit der Unfruchtbarkeit gekommen ist, so wird Israel nach einer langen Zeit der Not und des Verlassenseins wieder Freude und Frohsinn erfahren. Der Vergleich mit Eden weist darauf hin, dass es um die Zukunft gehen muss, denn Israel hat nie eine solche Situation gekannt, nicht einmal in den glorreichen Tagen Salomos, geschweige denn in den Tagen Jesajas.
4 - 8 Die Rettung des HERRN ist nahe
4 Hört aufmerksam auf mich, mein Volk, und meine Nation, horcht auf mich! Denn ein Gesetz wird von mir ausgehen, und mein Recht werde ich aufstellen zum Licht der Völker. 5 Nahe ist meine Gerechtigkeit, mein Heil ist ausgezogen, und meine Arme werden die Völker richten. Auf mich werden die Inseln hoffen, und sie werden harren auf meinen Arm. 6 Erhebt eure Augen zum Himmel und blickt auf die Erde unten! Denn die Himmel werden zergehen wie Rauch, und die Erde wird zerfallen wie ein Kleid, und ihre Bewohner werden dahinsterben. Aber meine Rettung wird in Ewigkeit sein, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerschmettert werden. 7 Hört auf mich, die ihr Gerechtigkeit kennt, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist: Fürchtet nicht den Hohn der Menschen, und erschreckt nicht vor ihren Schmähungen! 8 Denn wie ein Kleid wird sie verzehren die Motte, und wie Wolle sie verzehren die Schabe; aber meine Gerechtigkeit wird in Ewigkeit sein und meine Rettung durch alle Geschlechter hindurch.
Der HERR spricht hier sein Volk mit „mein Volk“ an (Vers 4). Indem Er es so nennt, ermutigt Er den gläubigen Überrest. Dann wird das Volk nicht mehr „Lo-Ammi“ genannt werden, was „nicht mein Volk“ bedeutet (Hos 1,9), und Gottes Gericht wird nicht länger auf ihnen ruhen. Das Band zwischen Israel und dem HERRN ist wiederhergestellt. Der Bund, gemeint ist der neue Bund, wird nun auf der Grundlage des Preises geschlossen, den der Mittler bezahlt hat. Israel merkt dies erst später. Nachdem sie auf die Vergangenheit zurückgeblickt haben, lässt Gottes Wort sie nun in die Zukunft blicken. Das sind die Arten von Sichtweisen, die man erhält, wenn man anfängt, durch Gottes Wort eine höhere Sicht zu bekommen. In diesen Beschreibungen wird der Zustand des Friedensreichs vor ihren Augen entfaltet (Verse 5.6).
Der Abschnitt, der mit Vers 4 beginnt, spricht von den Zeiten, in denen die Wiederherstellung Israels zu einem Segen für die ganze Welt führen wird und später zum Verschwinden der ganzen Welt der alten Schöpfung. Das Gesetz ist hier nicht das vom Sinai, sondern stellt die Lehre dar, die Gott den Nationen durch Israel geben will. Dadurch wird seine Gerechtigkeit den Völkern nahegebracht, und die Völker werden ihre Hoffnung auf seinen Arm, d. h. auf seine Stärke, setzen und sich nicht mehr auf ihre eigene Kraft verlassen (Vers 5; vgl. Jes 40,11). „Meine Arme“, die die Nationen richten werden, bezieht sich möglicherweise auf die Regierung Gottes, die Er durch die verherrlichten Heiligen ausüben wird (Mt 19,28).
Die Macht, dargestellt in „meinem Arm“, die Er bei der Ausübung seines Gerichts gezeigt hat (Jes 51,9; 52,10), wird Er zum Segen und zum Heil für die übrigen Völker einsetzen, auch für die weit entfernten (Jes 40,10). Nicht nur die Sünde wird im Friedensreich noch existieren, sondern die gesamte alte Schöpfung ist davon betroffen. Deshalb müssen die Himmel wie Rauch vergehen, die Erde wird zerfallen wie ein mottenzerfressenes Gewand, und die Bewohner werden wie Mücken sterben (Vers 6; vgl. 2Pet 3,13). Nichts davon wurde in den Tagen von Kores erfüllt. Diejenigen, die gerettet werden, werden niemals untergehen, und Gottes Gerechtigkeit wird für immer bestehen.
Für diejenigen, die Gottes Gerechtigkeit kennen, folgt die Aufforderung, sich nicht vor dem Hohn der Menschen zu fürchten (Vers 7), denn diese Unterdrücker werden vergehen wie ein Kleid, das von Motten und Schaben zerfressen wird (Vers 8). Die Bildersprache zeigt, dass Gott kleine, verachtenswerte Dinge benutzt, um große Absichten zu erfüllen. Die Reihenfolge ist hier Gerechtigkeit und Rettung, während in Vers 6 die Reihenfolge Rettung und Gerechtigkeit ist.
Der treue Überrest wird sehr unter der Macht des Tieres leiden. Während die Menschen sagen: „Wer ist dem Tier gleich? Und wer vermag mit ihm zu kämpfen?“ (Off 13,4), sagt der HERR: „Sie sind nur Menschen; ihr braucht sie nicht zu fürchten.“ Die Furcht vor Menschen verschwindet erst, wenn wir vor dem Herrn stehen.
9 - 10 Schrei nach dem Eingreifen des HERRN
9 Wache auf, wache auf! Kleide dich in Macht, du Arm des HERRN! Wache auf wie in den Tagen der Vorzeit, in den Geschlechtern vor alters! Bist du es nicht, der Rahab zerhauen, das Seeungeheuer durchbohrt hat? 10 Bist du es nicht, der das Meer, die Wasser der großen Flut, trockengelegt, der die Tiefen des Meeres zu einem Weg gemacht hat, damit die Erlösten hindurchzögen?
Der vorherige Aufruf zum Hören mit der Verheißung der Errettung muss in den Herzen der Getreuen eine Sehnsucht nach der verheißenen Errettung geweckt haben (Vers 9). Sie wissen, dass der Arm des HERRN es bewirken kann. Deshalb rufen sie Ihn an, aufzuwachen und ihnen zu Hilfe zu kommen. Sie bitten um die Offenbarung seines Arms (Vers 5), seiner Macht (Jes 53,1). Hat nicht sein Arm den Pharao und seine Truppen niedergeschlagen?
Rahab ist nicht nur ein poetischer Name für Ägypten, sondern steht auch für die finsteren Mächte, die hinter Ägypten stehen (Ps 87,4; 89,11). Das Seeungeheuer bezieht sich auf den Pharao als Werkzeug des Satans. Daraufhin befreite der HERR sein Volk und legte den See als Fluchtweg trocken (Vers 10). Die Erinnerung an die Befreiung in der Vergangenheit und die Gewissheit der Befreiung in der Zukunft bewirken den dreifachen Ausruf zum Erwachen des Arms des HERRN. Rahab ist ein Bild des Tieres in der Zukunft (Off 13,1–8) mit dem Drachen (Satan) im Hintergrund (Off 12,3–5). Aber der HERR wird Israel helfen (Off 12,6).
Es ist gut für den Gläubigen, sich an die vergangenen Barmherzigkeiten des Herrn zu erinnern. Es ist auch notwendig, sich nicht nur mit der Vergangenheit zu beschäftigen, sondern die Kraft der Hoffnung ihr reinigendes Werk tun zu lassen. Diese doppelte Betrachtungsweise – von Vergangenheit und Zukunft – gibt die Kraft, nicht nur um Befreiung zu beten, sondern vor allem um das, was der Herrlichkeit Gottes dient. Dies wird eine Antwort von Gottes Seite hervorbringen, die weit über die Erwartung der Erlösung hinausgeht.
11 Die sichere Zukunft für Gottes Volk
11 Und die Befreiten des HERRN werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupt sein; sie werden Wonne und Freude erlangen, Kummer und Seufzen werden entfliehen.
Was in diesem Vers ausgedrückt wird, wird in der Schrift kaum übertroffen an sprachlicher Schönheit und an Feinheit der Zusicherung, die dem Volk Gottes in Bezug auf seine Zukunft gegeben wird. Es spricht alles in einer herrlichen Weise von dem tausendjährigen Segen, den Israel genießen wird. Diese Aussicht wird durch den Rückblick auf die Prüfungen und Leiden, in denen sie sich befunden haben, vergrößert und verstärkt.
Inmitten der großen Drangsal wird der Überrest im Glauben ein Loblied singen, noch bevor der Feind zerbrochen ist. Es erinnert an König Josaphat, der ein Loblied singt, bevor der Feind vom HERRN besiegt wird (2Chr 20,21.22), und an Paulus und Silas, die ein Loblied singen, bevor das Erdbeben und die Erlösung kommen (Apg 16,25.26). So ist es auch mit der noch herrlicheren Aussicht, die wir als Glieder der Gemeinde genießen dürfen. Unsere gegenwärtigen Erfahrungen tiefer Prüfungen und Bedrängnisse werden von der Hoffnung erhellt, einer Hoffnung, die „jeden Kummer mildert“.
12 - 16 Der HERR ist für sein Volk
12 Ich, ich bin es, der euch tröstet. Wer bist du, dass du dich vor dem Menschen fürchtest, der hinstirbt, und vor dem Menschenkind, das wie Gras dahingegeben wird, 13 und dass du den HERRN vergisst, der dich gemacht, der die Himmel ausgespannt und die Erde gegründet hat, und dich beständig, den ganzen Tag, vor dem Grimm des Bedrängers fürchtest, wenn er sich rüstet, um zu verderben? Wo ist denn der Grimm des Bedrängers? 14 Der [in Fesseln] Gekrümmte wird sogleich losgelassen werden und wird nicht hinsterben in die Grube, und sein Brot wird ihm nicht fehlen. 15 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das Meer erregt, und seine Wogen brausen; HERR der Heerscharen ist sein Name. – 16 Und ich habe meine Worte in deinen Mund gelegt und dich bedeckt mit dem Schatten meiner Hand, um die Himmel aufzuschlagen und die Erde zu gründen und zu Zion zu sagen: Du bist mein Volk!
Diese Verse setzen auf andere Weise den Trost fort, den der HERR gewährt. Viele seines Volkes sind in Furcht vor dem Unterdrücker (Babel), und zweifellos wird die Unterdrückung durch den Antichristen, den Mensch der Sünde am kommenden Tag (2Thes 2,3–4), in der Zeit der „Bedrängnis Jakobs“, die gleiche Wirkung haben. Es ist diese kommende Zeit, auf die sich dieser Abschnitt besonders zu beziehen scheint. Aber wenn der Mensch der Sünde da ist, ist auch der HERR mit seinem Trost da. Deshalb spricht Er von sich selbst als dem, der tröstet (Vers 12). Wenn dem so ist, warum sollten sie dann Angst vor einem sterblichen Menschen haben?
Die Tyrannei des Antichristen wird von kurzer Dauer sein. Der HERR hatte schon immer seine eigene Weise und Zeit für die Befreiung seines irdischen Volkes gehabt. Furcht ist die Ursache dafür, dass Gott vergessen wird (Vers 13). Das Bewusstsein der Gegenwart und der Macht des HERRN ist das ausreichende Abwehrmittel gegen Angst. Immer wieder erinnert der HERR Israel daran, dass Er ihr Schöpfer ist und dass Er mit seiner Macht den Himmel ausgespannt und die Erde gegründet hat. Warum sollten sie jedes Mal die Bedrohung durch den Unterdrücker fürchten, selbst wenn er darauf aus ist, sie zu vernichten?
Der Unterdrücker, Babel, wird bald von Kores, dem Perser, besiegt werden. Dann werden die Gefangenen freigelassen werden (Vers 14). Dies bezieht sich auf die unmittelbar bevorstehende Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft. Diese Prophezeiung wird aber ihre endgültige Erfüllung finden, wenn in der Zukunft die Juden von den Leiden unter den Nationen wegen des Tieres und des Antichristen befreit und sie in Anerkennung ihres Messias in ihr Land zurückkehren werden. Wiederum können wir hier Kores als ein Bild für Christus sehen, der als Überwinder kommen wird.
Der HERR zeigt, dass Er dazu die Macht hat, indem Er darauf hinweist, dass Er das Meer erregt und dieses Ihm unterworfen ist (Vers 15). Es ist das Bild des Völkermeeres, das gegen sein Volk wütet, was sich letztendlich auf das Kommen des Tieres aus dem Meer bezieht (Off 13,1). Ebenso wie das buchstäbliche Meer kann der HERR auch die Völker zum Schweigen bringen (Ps 65,8; Jes 17,12.13). In der Endzeit wird der Herr Jesus alle Nationen richten und durch sein persönliches Eingreifen bei seinem Erscheinen zum Schweigen bringen.
Vers 16 berichtet, wie die Juden zu Botschaftern des HERRN werden. Sie werden das Evangelium des Reiches Gottes verkündigen (Mt 24,14). Er hat ihnen seine Worte in den Mund gelegt – hier wird die vollendete Zeitform prophetisch verwendet (vgl. Mt 10,19.20). Wir sehen das Ergebnis ihrer Predigt in der Bekehrung vieler Juden (Off 7,1–8) und vieler aus den heidnischen Nationen (Off 7,9–17).
Er wird sie mit dem Schatten seiner Hand bedecken, wie Er es mit dem Messias tat (Jes 49,2). Er tut dies nicht nur, um sie zu schützen, sondern auch, um sie für den Zweck, den Er im Sinn hat, passend zu machen. Dieser Zweck ist es, Himmel und Erde in einen Zustand zu bringen, in dem sein Königreich der Gerechtigkeit und des Friedens errichtet werden kann und sein Volk wirklich sein Volk sein wird. Dann werden die Naturgewalten des Himmels und der Erde nicht mehr gebraucht, um die göttlichen Gerichte auszuführen, wie es so oft der Fall war und noch sein wird, bevor der Herr in Herrlichkeit erscheint.
Der Bote des heute verkündeten Evangeliums der Gnade darf diese Worte auf sich selbst anwenden, in der Gewissheit, dass der Herr auch seine Worte in seinen Mund legen wird. Er ist ein Bote des Herrn mit der Botschaft des Herrn. Den Himmel aufzuschlagen bedeutet, einen Zustand himmlischen Segens zu bewirken. Dies geschieht, wenn das Evangelium angenommen wird. Die Erde zu gründen bezieht sich darauf, ein Fundament der Gerechtigkeit zu legen, auf dem sich das Leben des Glaubens entwickeln kann.
Das Zeugnis des Botschafters ist nur dann zuverlässig und wirksam, wenn er an der Wahrheit der Schrift festhält. Auch der Überbringer des Evangeliums darf sich unter seinem Schutz wissen, bedeckt unter dem Schatten seiner Hand.
17 - 23 Ende des Leidens des Volkes Gottes
17 Erwache, erwache; steh auf, Jerusalem, die du aus der Hand des HERRN den Becher seines Grimmes getrunken hast! Den Kelchbecher des Taumels hast du getrunken, hast [ihn] ausgeschlürft. 18 Da war niemand, der sie leitete, von allen Kindern, die sie geboren hatte; und niemand, der sie bei der Hand nahm von allen Kindern, die sie großgezogen hatte. 19 Zweierlei war es, was dir begegnete – wer sollte dir Beileid bezeigen? –: die Verheerung und die Zerschmetterung und die Hungersnot und das Schwert. Wie könnte ich dich trösten? 20 Deine Kinder sind ohnmächtig hingesunken, sie lagen an allen Straßenecken wie eine Antilope im Netz; sie, die voll waren vom Grimm des HERRN, vom Schelten deines Gottes. 21 Darum höre doch dies, du Elende und Betrunkene, aber nicht von Wein! 22 So spricht der HERR, dein HERR, und dein Gott, der die Rechtssache seines Volkes führt: Siehe, ich nehme aus deiner Hand den Taumelbecher, den Kelchbecher meines Grimmes; du wirst ihn fortan nicht mehr trinken. 23 Und ich gebe ihn in die Hand deiner Peiniger, die zu deiner Seele sprachen: Bücke dich, dass wir darüber hinschreiten! Und du machtest deinen Rücken der Erde gleich, und gleich einer Straße für die, die darüber hinschreiten.
Dieser letzte Abschnitt des Kapitels beschreibt in anschaulicher Sprache die Folgen der Gerichte, die durch den Einfall des Königs des Nordens über das Volk kommen. Dies ist das Ergebnis ihres anhaltenden Aufstands gegen Gott, der in der Verwerfung von Christus gipfelte. Das Volk ruft zum HERRN, um aufzuwachen und zu handeln (Vers 9), woraufhin der HERR seinem Volk zuruft, aus dem Todesschlaf ihrer Sünde aufzuwachen.
Das Volk muss aufwachen und sich fragen, warum ihnen diese Dinge widerfahren sind. Nach zweitausend Jahren des Leidens, dessen Tiefpunkt die Vernichtungslager der Nazis waren, sind sie in ihr Land zurückgekehrt. Der nächste Tiefpunkt ist der zukünftige König der Juden, der Antichrist. Er wird den schrecklichsten Götzendienst im Land einführen. Schließlich wird Israel von einer Koalition angegriffen, die vom König des Nordens angeführt wird und mehrere islamische Länder als Verbündete hat. Dieser Angriff wird Israel wieder Millionen von Menschenleben kosten (Sach 13,8).
Jerusalem wird als eine Frau dargestellt, die berauscht auf dem Boden liegt und den Kelch des Grimmes des HERRN getrunken hat. Nicht einer von all ihren Söhnen ist in der Lage, sie zu führen, sie bei der Hand zu nehmen, sie aufzurichten (Vers 18). Es ist die Zeit der Bedrängnis Jakobs. In kurzer Zeit werden zwei Drittel des Volkes, das ist die gottlose Masse, zugrunde gehen (Sach 13,8). Der Prophet sieht keine Möglichkeit, sie zu trösten in der Verwüstung, Zerstörung, Hungersnot und dem Schwert, die über sie gekommen sind (Vers 19). Dabei ist ein doppeltes Leid über sie gekommen: Verlust von Eigentum durch Zerstörung und Verwüstung und Verlust von Leben durch Hunger und Schwert.
So geschieht es auch mit der Gemeinde Gottes unter der Zucht, die Er über sie bringen muss. Ihre geistlichen Güter, wie z. B. das Wissen um ihre geistlichen Segnungen, werden ihr genommen. Auch das geistliche Leben verschwindet, es gibt kein Wachstum, keine Zunahme und keine neuen Bekehrungen. In dieser Situation ist es wichtig, Gottes Hand darin zu erkennen.
Die Söhne Jerusalems liegen hilflos da, unfähig zu helfen, wie eine Antilope, die erschöpft ist von dem vergeblichen Kampf, sich aus dem Netz des Jägers zu befreien, in dem sie gefangen ist (Vers 20). Die Befreiung kann nur von Gott kommen. In seiner Barmherzigkeit und seinem Erbarmen verspricht Er, ihnen diese zu geben (Verse 21–23). Er erinnert sie daran, dass sie sein Volk sind, und Er beschreibt sich selbst als Fürsprecher, der ihre Sache verteidigt (Vers 22).
Er wird auch mit den Nationen abrechnen, die Er als Zuchtrute für sein Volk benutzt hat und benutzen wird. Diese Nationen haben die Grenzen der Macht überschritten, die Gott ihnen gesetzt hat. Sie haben sich in den Dienst des Feindes stellen lassen, um seinen Grimm über das Volk Gottes zu bringen. Deshalb wird Gott diesen Völkern den Becher seines Grimmes zu trinken geben (Vers 23). Sie haben gedacht, das Volk wie Staub auf den Straßen zertrampeln zu können. Gott wird diese Situation umkehren und den Stolz der Menschen völlig erniedrigen. Dies wird in der Zukunft geschehen, wenn die Versuche Satans, Israel zu zerstören, ihren Höhepunkt erreicht haben.
Davor wird Israel zunächst – wie der verlorene Sohn (Lk 15,17–19) – mit sich selbst und mit dem HERRN ins Reine kommen müssen. Sie müssen sich – wie Jesaja – im Licht eines dreimal heiligen Gottes sehen (Jes 6,2–5), bevor der HERR sie in Zukunft als Diener gebrauchen kann. Sie müssen – wie damals die Brüder Josephs in Bezug auf Joseph – zu der Erkenntnis kommen, dass das Leid durch das kommt, was sie Christus angetan haben. Erst danach werden sie – wie damals Josephs Brüder – zu der Erkenntnis kommen, dass Gott ihre Sünde, Christus abzulehnen, zum Guten gewendet hat, um ein großes Volk zu retten (1Mo 50,20).