1 - 3 Verachtung
1 Wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des HERRN offenbar geworden? – 2 Und er ist wie ein Reis vor ihm aufgeschossen und wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir ihn begehrt hätten. 3 Er war verachtet und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, und wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt; er war verachtet, und wir haben ihn für nichts geachtet.
Vers 1. Direkt auf das Erstaunen der irdischen Herrscher über das, was sie sehen und hören, wovon der letzte Vers des vorhergehenden Kapitels spricht (Jes 52,15), folgt nun der Grund, warum Israel es nicht glaubte. Die Ursache liegt bei ihnen selbst. Sie sind die trauernden und bereuenden Redner in den folgenden Versen. Sie anerkennen klagend ihren Unglauben. Sie haben die Propheten wohl zu ihnen reden gehört, aber doch nicht geglaubt. Diesen Unglauben an diese Verkündigung bekennt der Überrest hier. Etwas so „Unglaubliches“ wie das Werk des Messias kann nur durch das Wirken des Heiligen Geistes angenommen werden, der später auch Demut und Glauben in dem Überrest bewirken wird, wenn sie ihren Messias sehen werden (Hes 36,25–27; Sach 12,10–14).
Wir haben dieses Bekenntnis durch das Wirken des Heiligen Geistes, der vom Himmel gesandt wurde, schon ablegen dürfen. Wir haben bereits, ohne Ihn gesehen zu haben, unsere Sünden bekannt und Ihn als den von Gott gegebenen Heiland anerkannt (Eph 1,12).
Als Volk hat sich Israel geweigert, die Botschaft zu glauben, die ihnen verkündet wurde. Sie waren auch blind für den offenbarten Arm des HERRN. Sein Arm spricht von seiner gewaltigen Majestät und Macht (Jes 40,10; 50,2; 51,5.9; 52,10). Vers 1b kann seiner Bedeutung nach wie folgt gelesen werden: „Wer hat Augen für die Offenbarung der gewaltigen Taten Gottes, die Er in und an dem Messias gewirkt hat?“
In ihrem Unglauben haben sie nicht erkannt, was Gottes Macht in dem Leiden und der Auferstehung Christi von den Toten gewirkt hat (Röm 1,4; Eph 1,20). Bald wird der Überrest es sehen, wenn sie auf den schauen werden, den sie durchbohrt haben (Off 1,7a; Sach 12,10). Sie bekennen hier, prophetisch durch den Mund des Propheten, dass sie es nicht gesehen haben.
Die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24,13–35) sind auch ein Typus des gläubigen Überrestes. Sie glauben an den verherrlichten Christus, können aber nicht an einen leidenden und gestorbenen Christus glauben. Sie glauben, dass der Arm des HERRN offenbar wird, wenn Christus regiert, aber sie können und wollen nicht glauben, dass derselbe Arm des HERRN im Leiden und Sterben von Christus offenbar werden kann. So lehrte sie der Herr Jesus: „O [ihr] Unverständigen und trägen Herzens, an alles zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,25.26).
Der Evangelist Johannes zitiert den ersten Vers dieses Kapitels, um darauf hinzuweisen, dass der Unglaube der Juden in den Tagen des Herrn Jesus die Wahrheit dieses Verses beweist und diesen Vers auch erfüllt (Joh 12,37.38). Übrigens beweist Gottes Wort hier auf sehr deutliche Weise, dass der HERR, von dem Jesaja spricht, derselbe ist wie der Herr Jesus. Johannes beginnt das Zitat mit: „Herr, wer …?“ Er stellt diese Frage als ein Botschafter Gottes. Es ist auch die Frage des treuen Überrestes, der das Evangelium in der großen Drangsal gepredigt hat und so wenig Ergebnisse sieht.
Es ist die Beobachtung so vieler Evangelisten heute (Röm 10,16). Wenn das Predigen keine Frucht zu bringen scheint, ist die Gefahr groß, entmutigt zu werden. Aber Paulus macht in diesem Zitat deutlich, dass das Evangelium nicht nur geglaubt, sondern auch durch Gehorsam befolgt werden muss.
Vers 2. Hier wird der Messias, Christus, in seiner Erniedrigung auf der Erde beschrieben. Der Prophet schreibt in der Vergangenheitsform, als ob die Ereignisse bereits hinter Ihm liegen. Israel hat die Botschaft über den Messias nicht geglaubt und die Macht Gottes in und an Ihm nicht erkannt, weil Er ein erniedrigter und für das Fleisch unattraktiver Knecht ist. Aber Er wuchs vor Gott Angesicht auf, unter seinem Schutz und in seinem Wohlgefallen (vgl. 1Pet 2,4). Gott kümmerte sich um dieses zarte Leben.
Der Baumstamm Isais ist gefällt worden, aber ein Stumpf bleibt übrig (Jes 11,1a), unscheinbar und unerkennbar. Der Stumpf steht in trockener Erde. Das spricht von dem Unglauben des Volkes. Aber aus der Wurzel dieses Stumpfes wächst ein Spross (Jes 11,1b) – ein Spross wächst nicht an einem Baumstamm, sondern an der Wurzel eines Baumes. Es gibt noch Leben. Während Israel nichts merkt, wächst der Spross vor Gott. Dieser unbedeutende Spross ist der Arm des HERRN.
Sie haben nicht realisiert, dass Christus vor Gottes Angesicht aufgewachsen ist. Die Annehmlichkeit Christi in den Tagen seiner Jugend und sein Heranwachsen als zarter Spross zu einem Menschen wird dem Zustand der Unfruchtbarkeit, der religiösen Unfruchtbarkeit, und der Sklaverei des Volkes gegenübergestellt. Sie sahen in seiner Erscheinung nichts, was sie eine natürliche Anziehung zu Ihm verspüren ließ, nichts von Glanz oder Schönheit, an dem sich ihre natürlichen Gefühle erfreut hätten (vgl. 1Sam 16,6.7).
Als sie Ihn ansahen, gab es nichts zu sehen, so wenig war da, was für das natürliche Auge des Menschen attraktiv war. Für den Unglauben gab es nichts in Ihm, was Ihn unter den Menschen hervorhob. Es gab wohl eine innere Schönheit in Ihm, aber sie blieb der Masse des Volkes durch ihren Unglauben verborgen und wurde nur durch den Glauben wahrgenommen (Joh 1,14). „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5).
Vers 3. Als „der Verachtete unter den Menschen“ wurde Er von den Menschen abgewiesen und verlassen. Als „Mann der Schmerzen“ wurde sein Leben als das eines Menschen charakterisiert, der von innerem Leid geprägt ist, wenn er die Auswirkungen der Sünde und des Leids um sich herum erfährt. Seine ganze Existenz war von Trauer geprägt. Dass Er „mit Leiden vertraut“ ist, charakterisiert Ihn als den Einen, der allein in der Lage ist, eine vollkommene Kenntnis von Leiden als Folge der Sünde zu erlangen.
Der letzte Teil des Verses drückt noch stärker die Haltung des Volkes als Ganzes aus. Es zeigt den Charakter ihrer Verachtung. Menschen verbergen ihr Gesicht vor oder wenden sich ab von dem, was sie als unerträglich empfinden anzusehen. Sie hielten Ihn für einen Aussätzigen. Sie betrachteten Ihn als ein Nichts. All dies weist auf die tiefe Reue hin, mit der sich die Menschen später – wenn ihre Augen geöffnet werden – an ihre Haltung erinnern werden, die sie in den Tagen seines Fleisches Ihm gegenüber eingenommen haben.
Wir können die Verse 1–3 wie folgt zusammenfassen:
1. Die Verkündigung über den Knecht, der nicht geglaubt wird (Vers 1).
2. Die Person des Knechtes, der nicht begehrt wurde (Vers 2).
3. Der Höhepunkt ist: Der Knecht wird verachtet (Vers 3).
4 - 6 Stellvertretendes Leiden
4 Doch er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. Und wir, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt; 5 doch um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. 6 Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen Weg; und der HERR hat ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit.
Wir kommen nun zum Kern der Botschaft in diesem zweiten Hauptteil des Buches Jesaja, Jesaja 40–66, der aus drei Teilen mit jeweils neun Kapiteln besteht. Von diesen drei Teilen befinden wir uns in dem mittleren Teil von neun Kapiteln, Jesaja 49–58. In diesem Teil sind wir jetzt ebenfalls im mittleren Kapitel davon, das ist Jesaja 53. Dieses Zentrum besteht aus fünf Teilen oder Strophen zu je drei Versen, von denen wir uns jetzt im dritten und mittleren befinden (Verse 4–6). Ihr Inhalt ist der Herr Jesus, der als der vollkommene Knecht an die Stelle des versagenden Knechtes Israel tritt, sowohl in seinem Leben als auch in seinem Tod. In diesem ganzen Lied nimmt der Knecht in seinem Leiden stellvertretend den Platz Israels ein.
Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass es sich nicht um ein Leiden in „Solidarität“ mit dem Leiden der Menschheit handelt, wie moderne Theologen behaupten, sondern um ein stellvertretendes Leiden für bußfertige Sünder. Es ist, wie Vers 10 unzweideutig erklärt, ein Schuldopfer.
Vers 4. In den Versen 4–6 geht der Überrest noch tiefer auf das Thema ein. Sie bekennen, dass seine Leiden von einer ganz anderen Art waren, als sie unterstellt haben. Er hat nicht wegen seiner eigenen Sünden gelitten, wie sie Ihm unterstellt haben. Er hat keine Gotteslästerung begangen, als Er sich selbst als Sohn Gottes bezeichnete. Christus hat um ihrer Sünden willen gelitten. Die Leiden des Kreuzes sind nun im Blick. Die Veränderung in ihrer Auffassung wird durch das einleitende Wort „doch“ markiert.
Die Beschreibung „unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen“, drückt noch deutlicher aus, was im vorherigen Vers im Zusammenhang mit Ihm erwähnt wurde. Wir erkennen daraus, wie der Herr in seiner eigenen Person Leiden ertragen hat, die nicht von Ihm waren. Matthäus zitiert dies im Zusammenhang mit seinen Taten der Heilung und Befreiung (Mt 8,16.17). Diese Beschreibung spricht nicht von seiner stellvertretenden Versöhnung, bezieht sich aber darauf. Der Herr Jesus wäre nicht in der Lage gewesen, Krankheiten wegzunehmen, wenn Er nicht ihren Kern, die Sünde, am Kreuz weggenommen hätte.
Vers 4 bringt uns zum Kreuz, denn darauf allein kann sich die Aussage „wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt“ beziehen. „Bestraft“ erinnert an die Plage des Aussatzes. Was bei Ihm nicht der Fall war, war bei Mirjam (4Mo 12,10), Gehasi (2Kön 5,27) und Ussija (2Chr 26,20) der Fall. In ihrer Verblendung sahen die Juden sein Leiden als die Strafe für seine eigenen Sünden, die ihrer Meinung nach besonders zahlreich und groß gewesen sein mussten. Insbesondere müssen wir besonders an den Vorwurf der Gotteslästerung denken, die Er begangen haben soll, indem Er sich selbst mit Gott gleichstellte.
Vers 5. Aber jetzt, unter dem Eindruck der Offenbarung der großen Tatsachen, kommen sie zu einer völligen Änderung ihrer Ansichten. Dies bemerken wir in besonderer Weise in der Reihe der nachdrücklichen persönlichen Ausdrücke im Plural, die folgen. „verwundet“ oder „durchbohrt“ und „zerschlagen“ sind die stärksten Worte, um einen gewaltsamen und schrecklichen Tod zu beschreiben. Die Betonung liegt auf „unser“.
In klaren Worten wird hier die Lehre von der Stellvertretung beschrieben: Jemand empfängt die Strafe, die andere verdient haben, damit diese frei ausgehen können (1Pet 2,24a). Eine einfache Lehre, aber eine unvorstellbare Wahrheit.
Die Strafe, die Gott Ihm auferlegt hat, ist eine, die unserem Frieden gedient hat – das hebräische Wort für Frieden, schalom, ist eine Zusammenfassung und beschreibt nicht nur einen friedlichen Zustand, sondern ein allgemeines Wohlbefinden, Wohlstand und Gedeihen sowie innere Ruhe und Gelassenheit. Es ist eine Bestrafung, die diese Wirkung für uns hat.
Dieser bemerkenswerte Gegensatz findet sich auch in den Wunden oder Striemen, die Ihm zugefügt wurden und aus denen Heilung für uns hervorkam. Die Striemen sind die, die Gott Ihm zufügte (1Pet 2,24b), und nicht die der römischen Soldaten, die Ihn gegeißelt haben. Es sind die Striemen des göttlichen Gerichts. Die Heilung und die geistliche Gesundheit, die wir empfangen haben, werden ausdrücklich im Gegensatz zu den Schlägen gesehen, die Gott Ihm zufügte.
Vers 6. Jetzt kommt der Höhepunkt des Bekenntnisses aus einem tief berührten Gewissen des reuigen Volkes. Wer den Herrn verlässt, hat auch keinen Kontakt zu anderen. Jeder geht seinen eigenen Weg. Sie anerkennen, dass sie wie Schafe umhergeirrt sind, und bringen ihr Bewusstsein der großen Barmherzigkeit in der überwältigenden Tatsache zum Ausdruck, dass „der HERR ihn hat treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit“. Sie ist wie eine enorme Last auf Ihn gefallen. Er nahm sich unser Los zu Herzen, aber welch ungeheure Last kam dadurch auf Ihn. Alle unsere Sünden wurden von Gott auf Ihn gelegt. Er bekannte sie alle einzeln vor Gott. So verschwand die ganze Last aus den Augen Gottes (vgl. 3Mo 16,21).
Der HERR ergreift hier die Initiative. Er wollte das Leiden seines Knechtes für die Rettung des sündigen Volkes, das von Ihm abgewichen war. Israel wandte sich von Ihm ab, aber Er wandte sich nicht von seinem Volk ab. Er ließ die Sünde des Volkes auf den Mann seines Wohlgefallens herabkommen. In Vers 4 ist das stellvertretende Leiden des Knechtes die Wahl des Knechtes selbst. Hier in Vers 6 ist es das, was der HERR zu tun beschlossen hat. Das Leiden des Knechtes liegt nicht außerhalb des Willens des Knechtes und des Willens des HERRN. Im Gegenteil, es ist der ausdrückliche Wille des Knechtes, der bei seinem Kommen in die Welt sagt: „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Heb 10,5.9).
Was das Volk in Bezug auf das Beschreiten ihres eigenen Weges bald erkennen wird, gilt für die gesamte Menschheit. Der Mensch hat den Willen Gottes durch seinen eigenen Willen ersetzt. Er ist seinen „eigenen Weg“ gegangen und hat sich selbst anstelle Gottes in den Mittelpunkt gestellt. In diesen allgemeinen Zustand von Schuld und Elend griff die Gnade Gottes ein. Er hat seinen Sohn gesandt, um die ganze Last der Schuld und den damit verbundenen gerechten Zorn auf Ihn zu legen (Röm 8,3; 2Kor 5,21). Jeder Mensch, der seine Sünden bekennt, darf wissen, dass Christus dieses Werk für ihn vollbracht hat und er Anteil hat an diesem gnädigen Handeln Gottes. Die Sünden des unbußfertigen Sünders sind nicht Teil dieses Versöhnungswerkes.
7 - 9 Leiden, Tod und Begräbnis
7 Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf. – 8 Er ist weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht. Und wer wird sein Geschlecht aussprechen? Denn er wurde abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen: Wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen. 9 Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen [ist er gewesen] in seinem Tod, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.
Vers 7. Der vierte Teil oder die vierte Strophe, die Verse 7–9, beschreibt wie der zweite Teil (Verse 1–3) die Leiden des Knechtes, fügt aber seinen Tod und sein Begräbnis hinzu. Er „beugte sich“ und wurde schwer geschlagen und misshandelt, ohne dass Ihm irgendetwas erspart blieb. Es bezieht sich auch auf das Treiben oder Antreiben von Sklaven oder Tieren, die mit schweren Lasten beladen sind (2Mo 3,7; Hiob 39,10). Der Knecht war so ein „Lasttier“, aber Er tat den Mund nicht auf, Er beugte sich unter die Last, Er litt bereitwillig und ließ sich misshandeln. Bileams Lasttier öffnete seinen Mund, als Bileam es zu Unrecht schlug, um es anzuspornen (4Mo 22,28; 2Pet 2,16). Auch Jeremia vergleicht sich mit einem Lamm, aber er hielt seinen Mund nicht und schrie nach Rache (Jer 11,19.20; 12,1–4).
Für den Herrn Jesus war der Weg zur Schlachtbank vielfach schwerer. Er wusste völlig, wo Er hinging, aber Er öffnete seinen Mund nicht. Er wusste alles, was über Ihn kommen würde (Joh 13,1; 18,4). Zweimal heißt es in diesem Vers, dass Er seinen Mund nicht öffnete, was die Bedeutung der freiwilligen Hingabe Christi unterstreicht. Er schwieg nicht aus Schwäche, als wüsste Er nicht, was Er sagen sollte. Er wusste, dass Er mit einem Wort alle seine Feinde vertilgen konnte (Joh 18,6). Er schwieg nicht aus Machtlosigkeit, sondern weil Er sich entschieden hatte, zu schweigen. Es war Teil seines Gehorsams bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,8).
Das „Scheren“ bezieht sich auf die Entfernung von allem, was die Würde eines Menschen ausmacht. Er hat nicht gegen die menschunwürdige und menschenentehrende Behandlung protestiert, die Ihm angetan wurde. Alles drückt sein freiwilliges Ausharren auf eine Weise aus, in der Er einzigartig ist. Keiner kann mit Ihm verglichen werden. Es steht in deutlichem Gegensatz zum Umherirren des Menschen am Anfang von Vers 6.
Vers 8. Von der ungerechten Behandlung und dem ungerechten Gerichtsurteil werden wir direkt nach Golgatha versetzt. „Weggenommen worden aus der Angst und aus dem Gericht“ bedeutet, dass Er „durch ein unterdrückendes / demütigendes / ungerechtes Gerichtsurteil“ weggenommen wurde (Mt 26,66; 27,22–31; Apg 8,33). Er erhielt keine ehrliche Verhandlung, sondern wurde vollkommen zu Unrecht durch eine politische Verschwörung verurteilt.
Er wurde „weggenommen“ aus der „Gerichtsverhandlung“ und zum Kreuz gebracht und dort in aller Eile gekreuzigt, damit diese schreckliche Missetat noch vor dem Sabbat beendet werden konnte. Der Kern dieses Abschnitts ist, dass keiner seiner Zeitgenossen eine Vorstellung davon hatte, geschweige denn darüber nachdachte, was Christus durchlitten hat. Er wurde aus dem Land der Lebendigen abgeschnitten und damit war für seine Zeitgenossen alles vorbei. Der Vers endet mit der Anerkennung der wahren Ursache seines Leidens.
„Und wer wird sein Geschlecht aussprechen?“ Das hebräische Wort dor bedeutet Geschlecht oder Generation (1Mo 6,9). Die Bedeutung ist also: Wer wird seine königliche Abstammung und seine Rechte als Sohn Davids (Mt 1,1) aussprechen?
Der Ausruf „wegen der Übertretung meines Volkes hat ihn Strafe getroffen“ kommt nicht nur aus dem Mund des treuen Überrestes in Israel, sondern hier auch aus dem Mund des Gottes Israels selbst. Das Wort „Strafe“ oder „Plage“ (vgl. Vers 4) unterstreicht dies noch einmal, denn die Strafe ist das Unheil, das Gott selbst bewirkt hat.
Der Kämmerer, der auf dem Rückweg von Jerusalem in sein Land ist, liest gerade diesen Abschnitt, als Philippus sich ihm anschließt (Apg 8,30–35). Dem Kämmerer fällt die Erklärung dessen, was er liest, nicht leicht, aber doch hat er über das Gelesene nachgedacht. Er versteht, dass das Lamm, von dem er liest, eine Person sein muss. Seine Frage darüber ist ein wunderbarer Anlass für Philippus, um ihm „Jesus“ zu verkünden.
Vers 9. Dieser vierte Abschnitt (Verse 7–9), der den Charakter der Leiden des Knechtes und die Art und Weise seines Todes beschrieben hat, schließt mit der Erwähnung seines Begräbnisses ab. Der erste Teil des Verses spiegelt die Absicht der Sünder wider, die Ihn in der Anonymität verschwinden lassen wollten, indem sie Ihn in einer Art Massengrab zusammen mit den beiden Räubern, die mit Ihm gekreuzigt worden waren, begruben. Aber Gott hatte es anders bestimmt und für eine geeignete Möglichkeit gesorgt. Deshalb erlaubte die römische Regierung, dass sein Leichnam in der Gruft eines „reichen Mannes“, Joseph von Arimathia, beigesetzt wurde (Mt 27,57).
Normalerweise wird ein Grab mehrmals benutzt, um den Leichnam verwesen zu lassen und ihn dann im Beinhaus (Knochenkasten) aufzubewahren. Nur eine sehr reiche Person konnte in einem neuen Grab begraben werden. Es war ein Grab, „wo noch nie jemand gelegen hatte“ (Lk 23,53b). Er, der aus einem jungfräulichen Mutterschoß kam, konnte nur in ein jungfräuliches Grab gelegt werden.
Das Wort „Tod“ steht Plural und drückt das Qualvolle der Todesart aus. Die Tatsache, dass Er vollkommen frei von Sünde war – „kein Unrecht getan hat“, „kein Trug in seinem Mund gewesen ist“ (1Pet 2,22) – machte es passend, dass Er ein ehrenvolles Begräbnis erhalten sollte, anstatt in einem Mördergrab verstoßen zu werden, wie es seine Feinde im Sinn hatten. Dieses Ehrengrab wurde Ihm im Hinblick auf die Auferstehung gegeben. Die Auferstehung wird im nächsten Abschnitt besprochen.
10 - 12 Ergebnisse für den Knecht
10 Doch dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen. Wenn seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird er Samen sehen, er wird seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen des HERRN wird in seiner Hand gedeihen. 11 Von der Mühsal seiner Seele wird er [Frucht] sehen [und] sich sättigen. Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen, und ihre Ungerechtigkeiten wird er auf sich laden. 12 Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.
Vers 10. Der letzte Teil des Kapitels, und zugleich die letzte Strophe, gibt ein dreifaches Zeugnis über die Erfahrungen seiner Seele. Wir werden in das innerste Heiligtum seines Wesens gebracht. Bis hierher haben wir vor allem die menschliche und äußere Seite der Leiden des Knechtes gesehen. Jetzt kommt die göttliche Seite dazu. Vers 10 und Vers 12 sprechen von den Handlungen des HERRN mit Ihm, in einem richterlichen Sinn im Hinblick auf seinen Tod und in einem ausgleichenden Sinn im Hinblick auf die Belohnung. Vers 11 spricht von dem Ergebnis seines Opfers zu seiner eigenen Befriedigung und der rechtfertigenden Gnade, die Er anderen schenkt.
Der Überrest muss die Lektion lernen, dass das Kreuz zwei Seiten hat. Die erste Seite, die wir im Detail gesehen haben, ist die Seite des Menschen. Darin sind die Menschen im Allgemeinen und die Juden im Besonderen für die Kreuzigung des Herrn Jesus verantwortlich. Dies muss in das Herz und das Gewissen des Überrestes eindringen, was vollständig geschehen wird, wenn sie den sehen, den sie durchbohrt haben (Sach 12,10–14). Die andere Seite ist die Seite Gottes. Gott wollte dieses Leiden für einen höheren Zweck verwenden (vgl. 1Mo 45,5; Apg 2,23).
Wenn wir, wie der Überrest, verstehen wollen, wie Gott Sünder rechtfertigen kann, müssen wir Gottes Seite des Leidens des Knechtes verstehen. Nur dann können wir Frieden mit Gott haben und erfahren.
Die Erwähnung „es gefiel dem HERRN, ihn zu zerschlagen“ spricht von der Entschlossenheit des HERRN, die Sünde des Menschen für die Taten seiner Gnade zu benutzen. Er tut dies, indem Er die Sühneleiden zu den Leiden des sündlosen Knechtes am Kreuz hinzufügt. Das Wohlgefallen des HERRN liegt in der Tatsache begründet, dass durch das Zerbrechen seines Sohnes sein Wohlgefallen „gedeihen“ kann. Die Strophe beginnt und endet damit.
Bei diesem „Wohlgefallen“ geht es um das Wegnehmen der auf Ihn gelegten Sünden durch das Gericht, auf Ihn, der selbst ohne Sünde war. Es geht um eine vollständige Befriedigung der Ansprüche des heiligen und gerechten Gottes in Bezug auf die durch die Sünde verursachte Schuld. Diese volle Genugtuung wurde Gott zuteil durch das wahre Schuldopfer für die Sünde (Vers 10), das einzige Schuldopfer, das die Schuld der Menschen sühnen kann.
„Zerschlagen“ bedeutet, das schreckliche, zerstörerische Gericht über Ihn zu bringen. Er starb nicht nur wegen dem, was die Menschen Ihm angetan haben, sondern wegen dem, was der HERR Ihm angetan hat. Es könnte so gelesen werden: Es gefiel dem HERRN, die Zerschlagung seines Christus nicht den Menschen zu überlassen, sondern sie selbst auszuführen. „Er hat ihn leiden lassen“ ist die Umschreibung für alle Schmerzen der versöhnenden Leiden auf dem Kreuz.
Die Darbringung seiner Seele als Schuldopfer bedeutet, dass Er sich selbst, sein ganzes Wesen, als Schlachtopfer für Gott darbrachte, um den Sünder von seiner Schuld zu reinigen. Das Schuldopfer wurde im Hinblick auf die Forderungen der Gerechtigkeit Gottes gebracht, damit dieser Genüge getan werden konnte. Dies ist die erste Erwähnung mit Bezug auf seine Seele. Diese freiwillige Handlung der Hingabe seines Lebens, eines Lebens, das Gott ohnegleichen erfreute, um Gottes gerechte Forderungen angesichts der Schuld des Menschen zu erfüllen, hat mehrere Auswirkungen. Es sind Ergebnisse, die Christus bei der Auferstehung sehen wird.
1. Er wird Nachkommen oder Samen sehen (Ps 22,31). Das ist es, worauf sich die Israeliten als großen Segen freuten (1Mo 48,11; Ps 128,6). Es schien, als ob Christus gestorben wäre. Hier haben wir jedoch einen Hinweis auf die große Freude Christi, wenn Er die unzählbare Menge seiner geistlichen Nachkommen unter Juden und Heiden sieht (Joh 12,24; Heb 2,13b).
2. Er wird die Tage verlängern oder ein langes Leben haben. Dies ist ein weiterer Segen, den die Israeliten besonders schätzten (Ps 91,16; Spr 3,2.16). Hier ist es jedoch ein Hinweis auf das endlose Auferstehungsleben des Herrn (Off 1,18).
3. Die beabsichtigten Ratsbeschlüsse werden ihre freudige Verwirklichung entfalten. „In seiner Hand“ bezieht sich auf sein Wirken als Fürsprecher und Hoherpriester und auch auf die Ausübung seiner Autorität und Macht in seinem Königreich. Es ist das Wohlgefallen des HERRN, seine Geschöpfe zu segnen. Das findet nun Erfüllung in Christus.
4. Vers 11. Die ganze nachfolgende Herrlichkeit wird von Ihm als das Ergebnis seiner mühevollen Anstrengungen oder Leiden gesehen, eine Herrlichkeit, die seiner Aufmerksamkeit nie entgehen wird, als absolut notwendig und vollkommen ausreichend, um sein Herz in der Erlösung derer zu sättigen, die sein Eigentum geworden sind.
5. „Von der Mühsal seiner Seele“ bezieht sich auf all das, was Er innerlich bis auf den Grund seines Herzens erlitten hat, all die Kämpfe und Leiden in Ihm, die sich dem Auge des Menschen entzogen haben. Auf dieser Grundlage wird „er Frucht sehen“, Er wird es sehen und „gesättigt werden“ (Ps 17,15).
6. Es kann keine Rechtfertigung anderer geben, keine Zurechnung der Gerechtigkeit, wenn Er nicht vollkommen gerecht wäre, denn allein dadurch konnte Er sich bereitwillig als Sündopfer hingeben. „Durch seine Erkenntnis“ kann bedeuten „durch das Wissen über oder von Ihm“ (objektiv) oder „durch das Wissen, das Ihm innewohnt“, das Wissen, das Er selbst hat (subjektiv). Die zweite Bedeutung hat unsere Präferenz. Schließlich geht es in dem ganzen Abschnitt um Ihn und seine Vorzüge.
7. Die Bedeutung von „die Vielen zur Gerechtigkeit weisen“ kann auch lauten: Er wird viele in der Gerechtigkeit unterrichten. Durch den Unterricht, den Er gibt, kommt es zu geistlichem Wachstum. Dieses geistliche Wachstum zeigt sich darin, dass wir Ihm mehr und mehr ähnlich werden. Er macht alle, die durch Ihn zu Gott kommen, zu Gerechten, was nur durch das Folgende möglich ist: dass Er ihre Ungerechtigkeiten am Kreuz getragen hat. Wieder werden wir zum Kreuz zurückgeführt.
Zusammenfassend finden wir in diesem letzten Punkt zwei Aspekte von dem Werk des Herrn. Erstens unterwies Er in seinem Leben viele in Gerechtigkeit, so wie in der Bergpredigt (Matthäus 5–7). Zweitens nahm Er in seinem Sterben die Ungerechtigkeiten derer, die glauben, auf sich und trug sie fort.
Vers 12. Es gibt noch eine weitere herrliche Folge seines Opfertodes. Was nun folgt, ähnelt dem Triumphzug der Römer nach einem errungenen Sieg. Nachdem das Werk des Knechtes vollbracht ist, wird nun aufgezählt, was Er getan hat. Was dort über seinen Anteil gesagt wird, kann auf zwei Arten übersetzt werden: „Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen“, oder: Er wird die Vielen als Erbe erhalten, Er wird die Mächtigen als Beute verteilen, oder besser: Er wird die Beute mit den Mächtigen teilen, das heißt mit allen, die mit Ihm verbunden sind. Unter „die Beute“ ist die gesamte Schöpfung zu verstehen.
Und wieder werden wir zu der Basis dafür geleitet, nämlich zu seinem Opfer der Versöhnung. Die Errichtung seiner souveränen Macht auf der Erde wird auf seinem vollendeten Werk ruhen. Alle zukünftige Herrlichkeit ist ein Ergebnis und eine Belohnung für das, was in vier Teilen beschrieben ist. Er
1. hat seine Seele oder sein menschliches Leben ausgeschüttet in den Tod – dies ist die dritte Erwähnung seiner „Seele“ (Joh 10,17; 19,30),
2. wurde den Übeltretern beigezählt (Lk 22,37),
3. trug die Sünden vieler (Heb 9,28) und
4. betete für die Übeltreter (Lk 23,34a).
Die letzten beiden Teile stehen im Kontrast zu den ersten beiden. Die ersten beiden Teile beziehen sich auf die ungerechte Meinung derer, die Ihn verurteilten und zum Tod überlieferten. Sie waren sich nicht bewusst, dass Er in dem, was Er am Kreuz erlitt, der Träger der Sünden „vieler“ war – das heißt: nicht aller Menschen, sondern nur der Gläubigen. Der letzte Teil bezieht sich speziell auf seine Fürbitte für die Übertreter, als Er am Kreuz hing (Lk 23,34a).
So erreichen die Details dieser Prophezeiung in diesem Kapitel ihren Höhepunkt in den letzten drei Versen. Jesaja selbst hat die Tragweite seiner Prophezeiung nicht verstanden (1Pet 1,10). Aber der Geist Christi erhob ihn zu großen Höhen, indem Er ihm erlaubte, das Werk des Knechtes, das Er stellvertretend als Schuldopfer für andere vollbrachte, in allen Einzelheiten zu schildern.
Das Kapitel endet mit dem Kreuz und der Fürbitte des Herrn Jesus, denn das wird uns in alle Ewigkeit als der Ursprung allen Segens vor Augen stehen.