Einleitung
Überblick über Hauptteil 2.2 – Jesaja 49–57
Das Evangelium vom Knecht des HERRN
Der zweite Teil des zweiten Hauptteils (Jesaja 40–66) umfasst Jesaja 49–57 und kann wie folgt unterteilt werden:
1. Der Knecht des HERRN und die Wiederherstellung Israels (Jesaja 49,1–26)
2. Die Sünde Israels und der Gehorsam des Knechtes (Jesaja 50,1–11)
3. Hört! Wacht auf! (Jesaja 51,1–23)
4. Geht hinaus! (Jesaja 52,1–52,12)
5. Der Mann der Schmerzen und seine Rechtfertigung (Jesaja 52,13–53,12)
6. Gottes glorreiche Zukunft für Jerusalem (Jesaja 54,1–17)
7. Die Wirksamkeit von Gottes Wort der Gnade (Jesaja 55,1–13)
8. Die Rettung ausgestreckt zu den Benachteiligten (Jesaja 56,1–8)
9. Gottes Botschaft an die Gottlosen (Jesaja 56,9–57,21).
Einleitung zu Jesaja 49
Das Ziel des zweiten Hauptteils von Jesaja (Jesaja 40–66) ist das Wirken Gottes in den Herzen seines Volkes, um Umkehr zu bewirken. Nur dann kann Gott den Überrest zurückführen und erlösen.
Im ersten Teil (Jesaja 40–48) dieses zweiten Hauptteils wird der Gegensatz zwischen Gott und Götzen ausführlich dargestellt. Dies wird in den Herzen des Überrestes eine totale Verurteilung des Götzendienstes bewirken, besonders im Hinblick auf den Götzendienst, der unter dem Antichristen in der Zeit der großen Drangsal offenbar werden wird.
Im zweiten Teil (Jesaja 49–57) werden die Augen des Überrestes, genauso wie die Augen des Saulus von Tarsus, für die Leiden des Christus geöffnet, den sie verfolgt und verworfen haben. Sie werden den sehen, den sie durchbohrt haben (Sach 12,10; Off 1,7). Dies wird, wie bei Saulus, eine totale Umkehrung bewirken. Sie werden über Ihn ein Wehklagen anstimmen, wie eine Wehklage über ein einziges Kind (Sach 12,10b). Sie werden sich demütigen.
Geradeso wie die Brüder Josephs, die ihren Bruder als Vizekönig von Ägypten erkennen und anerkennen, werden sie Christus annehmen. Das erkennen wir in den kommenden Kapiteln, die ihren Höhepunkt in Jesaja 53 haben. Nach der Wiederherstellung Israels sehen wir dann die Segnungen für Israel (Jesaja 54), danach hören wir, wie die Nationen aufgerufen werden, sich Israel anzuschließen, um an den Segnungen des Königreichs teilzuhaben (Jesaja 55–57).
Wir haben in diesem Kapitel, Jesaja 49, die zweite von vier Prophezeiungen oder Liedern über den Knecht des HERRN. In der vorhergehenden Prophezeiung (Jesaja 42) geht es um den Knecht als den Auserwählten. Hier geht es um Ihn als den Verworfenen.
Dieses Kapitel hat zwei Themen: das Zeugnis vom Knecht des HERRN, wer Er ist (Verse 1–13), und die tröstliche Verheißung für das verzweifelte Zion (Verse 14–26). Es gibt eine erneute Verbindung von Israel als dem Knecht des HERRN mit Christus als dem vollkommenen Knecht des HERRN. Israel kann nicht in dieser Beziehung als Knecht des HERRN stehen, abgesehen von der Identifikation mit dem wahren Knecht Christus als ihrem Messias kraft seines Sühne- und Erlösungswerks auf Golgatha.
Die Notwendigkeit der Buße, bevor eine Wiederherstellung möglich ist, selbst nach 2000 Jahren, zeigt, dass die Sünde niemals verschwindet. So mussten auch die Brüder Josephs nach so vielen Jahren erst zur Umkehr kommen, bevor der Segen kommen und die Beziehung zu ihrem verstoßenen Bruder, der nun Vizekönig war, wiederhergestellt werden konnte. Diese Reue zeigte sich erst in dem Moment, in dem ihnen die Gefühle ihres Vaters wichtiger waren als ihr eigenes Wohlbefinden.
So ist es auch mit dem Volk Israel heute. Bevor die verheißenen Segnungen Gottes diesem Volk von Ihm gegeben werden können, müssen sie sich erst mit Gott über die Sünde der Ablehnung Christi versöhnen. Sie müssen auch erkennen, was diese Sünde für Gott bedeutet. Dann werden sie plötzlich zu der Entdeckung kommen, dass Christus am Kreuz tatsächlich ihre Sünden ausgelöscht hat, so wie Josephs Brüder zu der Entdeckung kamen, dass Gott ihn wegen ihrer Ablehnung durch sie benutzte und sandte, um ein großes Volk zu retten (1Mo 45,5; 50,20).
1 - 7 Der Knecht des HERRN
1 Hört auf mich, ihr Inseln, und hört zu, ihr Völkerschaften in der Ferne! Der HERR hat mich berufen von Mutterleib an, hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen erwähnt. 2 Und er machte meinen Mund wie ein scharfes Schwert, hat mich versteckt im Schatten seiner Hand; und er machte mich zu einem geglätteten Pfeil, hat mich verborgen in seinem Köcher. 3 Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich mich verherrlichen werde. 4 Ich aber sprach: Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt; doch mein Recht ist bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. 5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht gebildet hat, um Jakob zu ihm zurückzubringen – und Israel ist nicht gesammelt worden; aber ich bin geehrt in den Augen des HERRN, und mein Gott ist meine Stärke geworden –, 6 ja, er spricht: Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen. Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um meine Rettung zu sein bis an das Ende der Erde. 7 So spricht der HERR, der Erlöser Israels, sein Heiliger, zu dem von jedermann Verachteten, zum Abscheu der Nation, zum Knecht der Herrscher: Könige werden es sehen und aufstehen, Fürsten, und sie werden sich niederwerfen um des HERRN willen, der treu ist, des Heiligen Israels, der dich erwählt hat.
In diesem Abschnitt geht es um die frohe Botschaft, nicht in erster Linie für Israel, sondern für die Nationen (Vers 1; Vers 6). Mit dem Ruf „hört auf mich“ werden sie zum Hören aufgerufen (Vers 1; vgl. Jes 46,3.12). Es ist die Aufgabe des Volkes Israel als Knecht des HERRN, die Errettung Gottes zu den fernen Völkerschaften zu bringen. Israel ist berufen (Jes 51,2), als Knecht des HERRN sein Lob (Jes 43,21) den Nationen zu verkünden (Röm 2,17–20). Darin hat Israel jedoch jämmerlich versagt (Röm 2,24). Der HERR ruft über diesen Knecht aus: „Wer ist blind als nur mein Knecht, und taub wie mein Bote, den ich sende?“ (Jes 42,19a).
Wie Adam, der erste Mensch, versagte Israel als Sohn, Knecht und Weinstock. Aber dann schickt Gott den Herrn Jesus. Er ist der letzte Adam und der zweite Mensch (1Kor 15,45–47), der wahre Sohn, den Er aus Ägypten gerufen hat (Mt 2,15), der wahre Knecht (Jes 42,1; 49,3.5.6.7; 50,10; 53,11) und der wahre Weinstock (Joh 15,1).
Der Rufende ist hier der wahre Knecht des HERRN, der Messias, der mit göttlicher Vollmacht die Völkerschaften zum Hören aufruft. Der Gerufene im zweiten Teil von Vers 1 bezieht sich ebenfalls auf den Herrn Jesus, den wahren Knecht, der an die Stelle Israels getreten ist. Hier sehen wir das Wunder seiner Person, das wir nicht verstehen können. Er ist wahrhaftig Gott und wahrhaftig Mensch. Er ist Gott von Ewigkeit, der in der Zeit zu dem von Gott bestimmten Zeitpunkt Mensch wurde.
Sein Name wird durch den HERRN „von seiner Mutter Schoß an“ genannt. Sein Name wird hier nicht erwähnt, sondern nur kurz vor und kurz nach seiner Empfängnis. Dann wird sowohl zu Joseph als auch zu Maria gesagt, dass der Sohn, der geboren werden wird, den Namen Jesus erhalten soll (Mt 1,21; Lk 1,35).
Christus ist berufen, seinem Volk und auch den Völkern das Heil zu bringen. Er tut dies, indem Er das Schwert des Wortes Gottes benutzt (Eph 6,17; Mt 10,34). Sein Mund ist ein scharfes Schwert, das unauffällig, aber immer einsatzbereit ist, um alles zu richten, was dem Willen Gottes widerspricht. Die Pharisäer und Sadduzäer erlebten die Schärfe seiner Worte. Er wuchs im Schatten der Hand Gottes auf, unter seinem Schutz. Wie einen spitzen Pfeil hielt Gott Ihn in seinem Köcher verborgen. Die Zeit, seine Feinde zu besiegen, war noch nicht gekommen.
Die Identifizierung von Christus mit Israel tritt in Vers 3 in den Vordergrund. Der HERR wird sich in Christus als das wahre Israel verherrlichen (vgl. Joh 13,31.32). Der wahre Knecht nimmt die Stelle des versagenden Israels ein und gibt Gottes Israel seine wahre Identität. So ist es auch mit Israel, das als Weinstock versagt hat (Jes 5,1–7), für das an seiner Stelle der Herr Jesus der wahre Weinstock geworden ist (Joh 15,1). Israel als Weinstock hat in Ihm Gott seine wahre Frucht gegeben.
Angesichts der bitteren Erfahrungen, die der Zeit der Herrlichkeit für Israel vorausgehen werden, der Zeit, in der Gott sich in seinem Volk verherrlichen wird in Christus, gibt es in Vers 4 einen Ausdruck, der wie große Niedergeschlagenheit aussieht. Hier wird die Verwerfung Christi vorhergesagt (Joh 1,11). Für einen Moment scheint es, als sei auch dieser Knecht vergeblich tätig gewesen. Dennoch ist es kein Ausdruck von Unglauben oder Verzweiflung, denn das Herz drückt unmittelbar die Gewissheit der Wahrheit aus, dass alle Gerechtigkeit in Gottes Hand liegt (vgl. Mt 11,20–24; Mt 11,25–30).
Der Dienst, den wir tun, scheint oft wenig oder gar keinen Erfolg zu haben. Zur Fruchtlosigkeit kommen noch besonders schwierige Umstände und Prüfungen hinzu, die das Herz wie eine große Last niederdrücken können. Wenn Satan seine Absicht durchsetzen könnte, würde er alles benutzen, um uns in Verzweiflung zu stürzen, damit wir aufhören, unsere Arbeit zu tun. Dann haben wir hier einen Gedanken, der vom Geist dazu bestimmt ist, uns zu leiten, alle Umstände im Licht des weisen Rates Gottes zu betrachten.
Das Ergebnis wird sein, dass wir inmitten des Kampfes ermutigt werden, an dem teilzuhaben, was Er im Sinn hat. Wir werden wissen, dass unser Recht bei Ihm liegt. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir, wie der Herr Jesus, alles „dem übergeben, der gerecht richtet“ (1Pet 2,23b). Dann dürfen wir darauf vertrauen, dass bei Ihm der Lohn für unsere scheinbar fruchtlose Arbeit liegt.
Die Sprache von Vers 5 und dem, was folgt, ist eindeutig die des Messias, der hier Zeugnis ablegt über den Zweck, für den Er Knecht des HERRN ist. Es ist deutlich, dass der Knecht hier nicht Israel ist, denn die Aufgabe des Knechtes ist es, Jakob, den gescheiterten Knecht, wiederherzustellen (Röm 15,8; Mt 15,24). Nur Christus kann das Werk des Zurückbringens und des Versammelns zu Ihm hin vollbringen. Dieses Werk ist ein besonderes Wohlgefallen für den Vater, der Ihn dafür ehrt. Von dem Volk hat Er diese Ehre nicht erhalten.
Es gibt auch eine Absicht, die noch weiter geht. Das steht in Vers 6. Das erfreute Herz des HERRN sehnt sich nach einem weltweiten Segen. Wenn Israel den Knecht verworfen hat, so wird Er doch viel mehr bekommen, wobei der Segen für Israel nicht verloren ist, sondern noch kommen wird. Die Rückführung Jakobs wird durch die Befreiung des Volkes aus Babel geschehen und durch das, was in der Endzeit geschehen wird. Die Aufrichtung „der Stämme Jakobs“ bedeutet die Wiederherstellung aller zwölf Stämme im Land. Dazu gehört in der Endzeit die Wiederherstellung des Zehnstämmereiches nach der großen Drangsal.
„Und die Bewahrten von Israel zurückzubringen“ beinhaltet, dass der Überrest des Zweistämmereiches, die Juden, zur Umkehr kommen werden. Sie haben Christus verworfen und werden bei der Wiederherstellung den ersten Platz einnehmen. Bildlich sehen wir das in der Geschichte Josephs mit Juda, der sowohl bei der Verwerfung Josephs als auch bei der Wiederherstellung der Beziehungen zu Joseph einen besonderen Platz einnimmt (1Mo 37,26.27; 44,18–34).
Vers 6 gibt auch eine Anwendung auf das Werk des Evangeliums her, das im Auftrag des Herrn in der ganzen Welt, bis an die Enden der Erde, gepredigt werden soll. So wendet Paulus diesen Vers für heute an (Apg 13,46.47). Gnade kann nicht aufgehalten werden, genauso wenig wie fließendes Wasser. Dieses Wasser wird, wenn es gestoppt wird, einen anderen Verlauf nehmen und woanders hingehen.
So fließt die Gnade Gottes, die von Israel verworfen wurde, nun zu den Nationen. Die volle Erfüllung wird im Friedensreich durch Christus geschehen, der „ein Licht zur Offenbarung für die Nationen und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel“ sein wird (Lk 2,32). Indem Er ein Licht für die Nationen ist, wird der Knecht die Aufgabe Israels erfüllen, ein Segen in dieser Welt zu sein.
In Vers 7 werden wir wieder an die Zeit der Erniedrigung des Knechtes erinnert. Der HERR spricht ein Wort direkt zu Ihm. Seine Erniedrigung ist die notwendige Grundlage, um das Werk der rettenden Gnade zu bewirken. Deshalb wird Er „der von jedermann Verachteten“ genannt (vgl. Jes 53,3). Das Volk hat Ihn verabscheut und dementsprechend behandelt. Als „Knecht der Herrscher“ hat sich der Herr Jesus mit seinem Volk identifiziert, denn auch dieses Volk war wie ein Knecht fremden Herrschern unterworfen (Neh 9,36). Es gibt jedoch einen Unterschied, denn sie waren aufgrund ihrer Untreue gegenüber ihrem Gott unterworfen, während Christus sich freiwillig unterwarf.
So unterwarf sich Christus in den Tagen seines Fleisches den römischen Herrschern und religiösen Machthabern und lieferte sich ihrem Willen aus. Er scheint der große Verlierer zu sein, aber das Ergebnis von all dem wird in der kommenden Herrlichkeit zu sehen sein. Dann werden die Herrschenden es „sehen und aufstehen“ und sich vor dem „niederwerfen“, der sich einst zu ihrem Knecht machen ließ. Sie werden entdecken, wer es ist, den sie ans Kreuz genagelt haben (vgl. 1Kor 2,8). Dieser Vers 7 ist eine Vorbereitung auf das, was uns in der dritten und vierten Prophezeiung über den Knecht des HERRN begegnen wird.
8 - 13 Befreit und auf dem Weg in ihr Land
8 So spricht der HERR: Zur Zeit der Annehmung habe ich dich erhört, und am Tag der Rettung habe ich dir geholfen. Und ich werde dich behüten und dich setzen zum Bund des Volkes, um das Land aufzurichten, um die verwüsteten Erbteile auszuteilen, 9 um den Gefangenen zu sagen: Geht hinaus!, zu denen, die in Finsternis sind: Kommt ans Licht! Sie werden an den Wegen weiden, und auf allen kahlen Höhen wird ihre Weide sein; 10 sie werden nicht hungern und nicht dürsten, und weder Luftspiegelung noch Sonne wird sie treffen. Denn ihr Erbarmer wird sie führen und wird sie zu Wasserquellen leiten. 11 Und alle meine Berge will ich zum Weg machen, und meine Straßen werden erhöht werden. 12 Siehe, diese werden von fern her kommen, und siehe, diese von Norden und von Westen, und diese aus dem Land der Siniter. 13 Jubelt, ihr Himmel, und frohlocke, du Erde; und ihr Berge, brecht in Jubel aus! Denn der HERR hat sein Volk getröstet, und seiner Elenden erbarmt er sich.
Vers 8 erzählt, wie der HERR das Gebet seines Auserwählten erhört hat, als Er in Demut unter seinem Volk war und Er „sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tod zu erretten vermochte, mit starkem Schreien und Tränen dargebracht hat“ (Heb 5,7). Wenn Gott Ihn aus dem Tod auferweckt, ist es „zur Zeit der Annehmung“. Dieses Wort wird von Paulus auf die Gläubigen angewandt (2Kor 6,1.2), wodurch wir hier in verschleierter Form die Vereinigung von Christus und seiner Gemeinde wahrnehmen, die teilhaben wird an den Segnungen des neuen Bundes. Diejenigen, die seine Verwerfung teilen, dürfen aus dieser Verheißung Trost schöpfen, während sie in einer Zeit der Verwerfung leben.
Weil Christus sich mit Israel identifiziert hat, werden diese Worte auch für das Volk wahr werden, das in dem wiederhergestellten Zustand in Gemeinschaft mit Ihm ist. Die Tatsache, dass Christus „zum Bund des Volkes“ gesetzt wurde, weist auf den neuen Bund hin, der bald mit Israel geschlossen werden wird. Dieser Bund ist neu und besser, weil er auf dem Werk des Herrn Jesus am Kreuz beruht und auf der Kraft seines vergossenen Blutes ruht, des Blutes des neuen Bundes.
„Die verwüsteten Erbteile“ weisen auf die Verwüstung hin, die Israel durch den Einfall des Königs des Nordens bzw. durch das Bündnis der arabischen Nationen erleiden wird. Was zerstört ist, wird wiederhergestellt, sie werden es wieder empfangen. Jeder Stamm des Volkes wird seinen ererbten Besitz zurückerhalten (3Mo 25,8–13; Hes 47,13.14; 48,29). Die Gefangenen in der Gefangenschaft werden befreit und in ihr Land zurückgebracht werden. Dort werden sie sich als sein Volk offenbaren (Vers 9a).
Die folgenden Verse geben eine wunderbare Beschreibung der Folgen des zweiten Kommens Christi. Diese Folgen gehen weit über alles das hinaus, was bei der Rückkehr ins Land unter Befehl von Kores geschah. Das Volk wird als eine Herde geschildert, die nach Hause zurückkehrt und auf dem Weg Weideplätze findet (Vers 9b). Sie werden genug Nahrung haben auf ihrer Heimreise und es nicht nötig haben, weit zu laufen, um Nahrung zu finden. Sie werden weder Hunger noch Durst kennen noch unter der Hitze leiden (Vers 10). Dies alles, weil der HERR „ihr Erbarmer“ ist, der sie persönlich führen wird.
Wenn sie aus allen Teilen der Welt zurückkehren, wird ihre Reise dadurch gekennzeichnet sein, dass sie nicht auf unüberwindliche Hindernisse und Schwierigkeiten stoßen werden (Vers 11). Der HERR spricht mit Nachdruck von „meinen Berge“ und „meinen Straßen“. Sie sind seine Schöpfung, und deshalb kann Er sie so verändern, dass alles die Rückkehr seines Volkes begünstigt und gedeiht.
Wir können dies auch auf unsere heutigen Erfahrungen anwenden. Die Berge von Schwierigkeiten, denen wir auf unserem Pilgerweg begegnen, können zu Höhen der Gemeinschaft mit Gott und von freudiger Gemeinschaft mit seinem Volk werden. Das wird so sein, wenn wir mit ganzem Herzen auf den Herrn vertrauen und unser ganzes Sein Ihm anvertrauen zur Erfüllung seines Willens.
Am kommenden Tag wird Israel aus allen Teilen der Welt zu dem ihm zugewiesenen irdischen Zentrum versammelt werden (Vers 12). Unter „Westen“ können wir Westeuropa und die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen, aber auch Gebiete in Afrika. Man hat angenommen, dass die Siniten Bewohner Chinas sind. Diese Aussicht auf eine so große und allgemeine Versammlung ruft zu Jubel und Frohlocken auf (Vers 13). Alles und jedes, Himmel, Erde und Berge, sollen in einen Freudentaumel geraten über das, was der HERR für sein Volk getan hat.
14 - 16 Der HERR vergisst sein Volk nicht
14 Und Zion sprach: Der HERR hat mich verlassen, und der Herr hat mich vergessen. 15 Könnte auch eine Frau ihren Säugling vergessen, dass sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Sollten sogar diese vergessen, ich werde dich nicht vergessen. 16 Siehe, in [meine] beiden Handflächen habe ich dich eingezeichnet; deine Mauern sind beständig vor mir.
Es scheint so, als ob das Volk das alles nicht glauben kann. Sie klagen darüber, dass der HERR sie in der Zeit der Drangsal verlassen hat, die der hier beschriebenen Wiederkunft vorausgeht. Die lange Zeit des Leidens hat dem Volk dieses Gefühl gegeben (Vers 14). Die Drangsal ist gerecht, ihre Klage ist es nicht. Auf die Klage folgt eine Erklärung und Zusicherung der Liebe Gottes als Trost. Diese Liebe ist nicht nur so groß wie die einer Mutter zu ihrem Kind, sondern geht noch weit darüber hinaus (Vers 15). Dass eine Mutter ihren Säugling vergisst, ist schwer vorstellbar; dass der HERR sein Volk vergisst, ist völlig unvorstellbar.
Weit davon entfernt, die Einwohner Zions zu vergessen, hat Er sie untrennbar an sich gebunden und steht durch sein Handeln für sie ein (Vers 16). Die Juden hatten den Brauch, das Zeichen der Stadt und des Tempels als Zeichen ihrer Hingabe und zur ständigen Erinnerung in ihre Hände oder an anderer Stelle einzugravieren. Gott in seiner Gnade nimmt dieses Bild an, um ihnen Sicherheit zu geben. Er hat sie in seine Handflächen eingezeichnet oder eingraviert.
Mit einer Hand hat Er die Erde gegründet (Jes 48,13), aber sein geliebtes Volk hat Er mit beiden Händen umgeben (vgl. Joh 10,28.29). Es spricht sowohl von absoluter Geborgenheit und Sicherheit als auch von der Tatsache, dass Er ständig für sie am Werk ist. Die Hände wurden einst für uns durchbohrt, als Er gekreuzigt wurde. Sie sprechen von einer vollkommenen Liebe. Daran dürfen wir jedes Mal denken, wenn Er uns seine Hände zeigt (Joh 20,19–29).
Im Altertum war es üblich, den Namen des Meisters auf die Hand seiner Sklaven zu gravieren. Der Sklave war damit untrennbar mit seinem Herrn verbunden. Hier ist es andersherum. Gott hat sich untrennbar mit ihnen verbunden. Er denkt unaufhörlich an sie und ist immer für sie tätig. Sie sollten nicht denken, dass die Dinge Ihm aus der Hand laufen, denn sie sind immer in seiner Hand. Die Mauern Zions, wie verwüstet sie auch vom Feind sein mögen, sieht Er immer in ihrem vollkommenen, zukünftigen Zustand vor sich.
In die Handfläche eingezeichnet zu sein, unterstellt die engste Verbindung mit Ihm selbst. Es weist auf seine unveränderliche Liebe hin und darauf, dass Er in allem, was Er fühlt und tut, ständig an uns denkt. Das Einzeichnen in die Handfläche ist eine höchst schmerzhafte Sache. Er hat den Schmerz des Kreuzes ertragen, um uns auf diese Weise mit sich selbst zu vereinen.
Bei allem, was Er tut, denkt Er an jeden der Seinen. In unserem Unglauben und unserer Vergesslichkeit verlieren wir oft aus den Augen, wie wertvoll wir für Ihn in Christus sind. Die Liebe Gottes findet ihre Fülle in der Liebe Christi. Wir erfahren diese Liebe, wenn Er seinen Jüngern hierüber sein Herz öffnet. Er sagt zu ihnen: „Wie der Vater mich geliebt hat, habe auch ich euch geliebt; bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9).
17 - 21 Erstaunen
17 Deine Kinder eilen herbei, deine Zerstörer und deine Verwüster ziehen aus dir weg. 18 Erhebe ringsum deine Augen und sieh: Sie alle versammeln sich, kommen zu dir. [So wahr] ich lebe, spricht der HERR, du wirst sie alle wie ein Geschmeide anlegen und dich damit gürten wie eine Braut. 19 Denn deine Trümmer und deine Wüsteneien und dein zerstörtes Land – ja, nun wirst du zu eng werden für die Bewohner; und die dich verschlingen, werden fern sein. 20 Die Kinder deiner Kinderlosigkeit werden noch vor deinen Ohren sagen: Der Raum ist mir zu eng; mach mir Platz, dass ich wohnen kann. 21 Und du wirst in deinem Herzen sprechen: Wer hat mir diese geboren, da ich doch der Kinder beraubt und unfruchtbar war, verbannt und umherirrend? Und diese, wer hat sie großgezogen? Siehe, ich war ja allein übrig geblieben. Diese, wo waren sie?
Diese Verse bekräftigen wiederum die Verheißung der endgültigen Sammlung der zerstreuten Verworfenen des Volkes in ihrem Land. Es findet ein Wechsel der Bevölkerung statt. Die ursprüngliche Bevölkerung zieht schnell in das Land, und diejenigen, die das Land erobert und zerstört haben, ziehen weg (Vers 17). Die Kinder, von denen Zion dachte, sie seien verloren, kehren in Scharen zurück (Vers 18). Sie werden wie eine Zierde für das Land sein, so wie eine Braut für ihren Mann geschmückt wird.
Der Grund, angedeutet durch „denn“ (Vers 19), dass die Verwüster in die Ferne getrieben werden, ist, dass es nicht genug Platz für alle seine Bewohner geben wird. So zahlreich wird das Volk sein, dass Raum geschaffen werden muss (Vers 20). Das Volk Zions ist in die Gefangenschaft gegangen, die Stadt war verlassen und einsam (Vers 21). Jetzt ist sie von einer Menge Kinder umgeben. Mit den „verbannten“ Kindern können durchaus die zwei Stämme und mit den „umherirrenden“ Kindern die zehn Stämme gemeint sein. Erstaunt fragen sie sich, wo sie gewesen sind und woher sie kommen. Die Antwort wird in den folgenden Versen gegeben.
Manchmal offenbart der Herr die Bedeutung seiner Handlungen nicht. Darin prüft Er unseren Glauben und lässt uns bis zu der von Ihm bestimmten Zeit warten, in der Er seine Handlungen und deren Bedeutung offenbart. Die Freude ist viel größer, wenn die Erfüllung kommt, als wenn es keine dunklen Umstände gegeben hätte. Auch die Herrlichkeit seiner Gnade wird viel größer sein.
22 - 23 Die den HERRN erwarten
22 So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich werde meine Hand zu den Nationen hin erheben und zu den Völkern hin mein Banner aufrichten; und sie werden deine Söhne in [ihrem] Schoß bringen, und deine Töchter werden auf der Schulter getragen werden. 23 Und Könige werden deine Wärter sein, und ihre Fürstinnen deine Ammen; sie werden sich vor dir niederwerfen mit dem Gesicht zur Erde und den Staub deiner Füße lecken. Und du wirst erkennen, dass ich der HERR bin: Die auf mich harren, werden nicht beschämt werden.
Von Vers 22 bis zum Ende des Kapitels antwortet der HERR auf die erstaunten Fragen, die bei Zion im vorherigen Vers aufgekommen sind. Er zeigt, wie die Menge der verstreuten Israeliten befreit werden aus der Gefangenschaft und der Hand derer, die sie unterdrückten, und wie Er sie in ihr Land bringen wird. Es kann sich nicht um die Rückkehr eines kleinen Überrestes aus der babylonischen Gefangenschaft handeln. Es geht auch nicht nur um eine äußere Rückkehr in das Land, sondern auch um eine innere Umkehr zum HERRN durch den Glauben an den Erlöser. Was hier beschrieben ist, wird sich in der Endzeit genau so ereignen.
Der HERR wird die Nationen benutzen, um die Sammlung seines Volkes herbeizuführen. Zu diesem Zweck wird Er seine Hand erheben (Vers 22). Das Erheben der Hand setzt ein Zeichen voraus, an dem die Völker erkennen, was sie tun sollen. Das Erheben eines Banners kommt in Jesaja häufiger vor (Jes 5,26; 11,10.12; 18,3; 62,10). Es hat mit Kampf zu tun. Wenn Er sein Banner erhebt, ist es ein Kampf, den Er zu bewältigen hat, und gleichzeitig ist der Ausgang sicher.
Die Völker werden Söhne und Töchter in ihrem Schoß und auf ihren Schultern zurückbringen. Könige und Fürstinnen werden sich der Fürsorge für das Volk Gottes widmen (Vers 23). Diejenigen, die selbst Gegenstände der Ehrerbietung sind, werden diesem Volk Ehre erweisen. Dabei werden sie nicht als großzügige Wohltäter auftreten, sondern sich diesem Volk bis in den Staub unterordnen, was eine totale Umkehrung der Verhältnisse bedeutet. Zu diesem Dienst der Reinigung der Füße werden sie gezwungen werden. Wir sollen dem Beispiel der Fußwaschung durch den Herrn Jesus folgen und uns gegenseitig die Füße waschen, wie Er es an seinen Jüngern tat (Joh 13,1–17). Das bedeutet, dass wir uns gegenseitig in Demut dienen sollen.
Früher haben die Herrscher der Welt dieses Volk bis in den Staub gedemütigt, aber jetzt sind sie es, die bis in den Staub gedemütigt werden (Mich 7,17). So tief werden sich die Feinde auch vor dem Messias beugen (Ps 72,9), woraus wiederum zu entnehmen ist, wie eng das Volk mit seinem Messias verbunden ist. Israel sollte ein Segen für die Nationen sein. Wenn sie das schlussendlich sind, dann werden die Nationen vom HERRN gebraucht, um Israel zu segnen.
In diesem allem wird Zion den HERRN und seine Wege anerkennen. Sie werden den gewaltigen Trost entdecken, dass diejenigen, die den HERRN erwarten, nicht beschämt werden. Das ist eher negativ, während Jesaja 40 positiver ist, wo mit „erwarten“ „Kraft“ verbunden ist (Jes 40,31). Hier geht es um die Übung der Geduld, das Ausharren inmitten von Schwierigkeiten und Widerständen, bis die Zeit der Befreiung durch den HERRN gekommen ist.
Wir erwarten es gegenwärtig von Ihm im Gebet. Wir warten auf Ihn, wenn es um zukünftige Dinge geht. Dabei dürfen wir die feste Zuversicht haben, dass sich die gegenwärtigen Umstände der Prüfung und des Kummers in Freude verwandeln und von Frieden geprägt sein werden. Diese Veränderung kann nur durch das direkte und öffentliche Eingreifen des Herrn selbst erfolgen.
24 - 26 Der HERR, Erretter und Erlöser
24 Sollte wohl einem Helden die Beute entrissen werden? Oder sollten rechtmäßig Gefangene entkommen? 25 Ja, so spricht der HERR: Auch die Gefangenen des Helden werden [ihm] entrissen werden, und die Beute des Gewaltigen wird entkommen. Und ich werde den bekämpfen, der dich bekämpft; und ich werde deine Kinder retten. 26 Und ich werde deine Bedrücker speisen mit ihrem [eigenen] Fleisch, und von ihrem Blut sollen sie trunken werden wie von Most. Und alles Fleisch wird erkennen, dass ich, der HERR, dein Erretter bin, und [ich], der Mächtige Jakobs, dein Erlöser.
In diesen Versen geht es um die Tyrannen mit all ihrer Macht und ihren bösen Absichten. Die rhetorische Frage in Vers 24 hat zwei Teile. Der erste Teil, das Wegnehmen der Beute von den Starken, bezieht sich nicht nur auf Babel, sondern gilt auch in der Zukunft für den Assyrer, den König des Nordens, und für die beiden Tiere aus Offenbarung 13 (Off 13,1–10.11–18).
Der zweite Teil, die Flucht der Gefangenen, bezieht sich nicht auf die legalen Gefangenen, sondern auf die, die dem HERRN gehören und die in der Zukunft der Hand des Antichristen entrissen werden, der unter dem Einfluss des Satans darauf aus ist, die Gläubigen zu töten. Es geht auch um diejenigen, die den Überrest der verlorenen zehn Stämme bilden und die dann von den Nationen zurückgebracht werden.
Es wird die Zusicherung gegeben, dass der HERR selbst sich darum kümmern wird (Vers 25). Dies wird geschehen, wenn der Herr Jesus zum zweiten Mal erscheint. Dann wird die ganze Welt entdecken und anerkennen, dass der HERR der „Erretter“ und „Erlöser“ Israels ist, „der Mächtige Jakobs“ (Vers 26).
Alle Versuche der Vereinten Nationen, Frieden und Sicherheit auf der Erde herzustellen, wie gut die Absichten auch sein mögen, sind zum Scheitern verurteilt. Die letzte große Schlacht in der Welt, in der die „Juden-Frage“ den zentralen Platz einnimmt, wird die Erfüllung der Schriften deutlich machen. Die Erfüllung besteht darin, dass Gerechtigkeit auf der Erde nur durch das persönliche Kommen Christi im Gericht über die Feinde Gottes und in der Befreiung seines Volkes hergestellt werden kann.