Einleitung
Dieses Kapitel setzt die Beschreibung der Missstände unter dem Volk fort, die im vorigen Kapitel begonnen hat. Im göttlichen Licht ist deutlich geworden, wie schmutzig der Mensch vor Gott ist (Jes 2,22), trotz seines Stolzes und seiner Eitelkeit. Aber das Volk Gottes weiß das noch nicht. Um sie das wissen zu lassen, nimmt der HERR ihnen nun alle Mittel weg. Durch dieses Gericht, das immer „bei dem Haus Gottes“ anfängt (1Pet 4,17), wird Zion gedemütigt.
So allgemein wie das Niederschlagen des menschlichen Stolzes im vorigen Kapitel ist, so präzise und tiefgreifend wird das Gericht über Zion sein. Das Gericht wird über die Stadt und das Volk kommen, wobei den Führern und den vornehmen Frauen besondere Aufmerksamkeit zuteil wird.
Der HERR zeigt, wie die Gerichte ablaufen. Die Gerichte werden hier auf eine Weise beschrieben, die man nur versteht, wenn man ein Auge dafür hat. Dann entdecken wir, dass Er Dinge, sowohl materiell als auch geistlich, zu einem bestimmten Zweck wegnimmt. Er will sein Volk gewissermaßen zwingen, wieder nach Ihm zu fragen. Der HERR führt sie deshalb in die abgelegene und trostlose Wüste ohne Hilfsmittel, um zu ihren Herzen zu sprechen (Hos 2,16).
1 - 7 Der HERR nimmt jede Stütze weg
1 Denn siehe, der Herr, der HERR der Heerscharen, nimmt von Jerusalem und von Juda Stütze und Unterstützung weg, jede Stütze des Brotes und jede Stütze des Wassers; 2 Held und Kriegsmann, Richter und Prophet und Wahrsager und Ältesten; 3 den Obersten über Fünfzig und den Angesehenen und den Ratgeber und den geschickten Künstler und den Zauberkundigen. 4 Und ich werde Jünglinge zu ihren Fürsten machen, und kleine Kinder sollen über sie herrschen. 5 Und das Volk wird sich gegenseitig bedrücken, der eine den anderen und jeder seinen Nächsten; der Knabe wird frech auftreten gegen den Greis und der Verachtete gegen den Geehrten. 6 Wenn jemand seinen Bruder im Haus seines Vaters ergreift [und sagt]: Du hast ein Oberkleid, unser Vorsteher sollst du sein; und dieser Trümmerhaufen sei unter deiner Hand!, 7 so wird er an jenem Tag seine Stimme erheben und sagen: Ich kann kein Wundarzt sein, ist doch in meinem Haus weder Brot noch Oberkleid.
Die Worte „denn siehe“, mit denen Vers 1 beginnt, schließen direkt an das vorherige Kapitel an. Sie sind die Einleitung zu den Gerichten, die Jerusalem und Juda wegen der oben beschriebenen Missstände treffen werden. Diese Gerichte werden von „dem Herrn, dem HERRN der Heerscharen“ ausgeführt (zur Bedeutung dieser Namen siehe die Erklärung zu Jesaja 1,24). Diese Gottesnamen verbinden die Erhabenheit, absolute Autorität und Allmacht Gottes als souveräner Herrscher und Richter und beinhalten nachdrücklich eine starke Gerichtsdrohung.
Das Wegnehmen von „Stütze und Unterstützung“ bedeutet, dass der HERR dem Volk – also Jerusalem und Juda –, das sein Vertrauen auf den Menschen und nicht auf den HERRN setzt, jede Form von Unterstützung entziehen wird, sowohl natürlich als auch geistig. Alles, wovon sie glauben, dass es ihnen Halt gibt, wird weggenommen werden, bis gar nichts mehr übrig bleibt, worauf sie sich verlassen können. Die natürliche Stütze ihres Leibes, „des Brotes und … des Wassers“, wird verschwinden, sodass ihre Kraft schwinden wird. Außerdem wird es an geistiger Unterstützung fehlen, denn Kampfkraft, kompetente Führung, Ratgeber und handwerkliches Können werden weggenommen (Verse 2.3).
Der HERR nimmt alles weg, worauf das Volk Vertrauen setzt, egal ob es von einer guten oder bösen (der „Wahrsager“) Quelle kommt. Er kann die Unterstützung durch den Tod wegnehmen. Er kann dies auch dadurch tun, dass der Feind nichts Essbares übrig lässt, die Anführer gefangen nimmt und in sein eigenes Land verschleppt. Das Volk wird kraftlos, weil es keine Nahrung mehr hat, und es wird in die Irre geführt, weil keine Führung mehr vorhanden ist (2Kön 24,14).
Völlige Verwirrung ist die Folge, eine Verwirrung, die durch eine Umkehrung von Werten und Normen noch verstärkt wird. Der HERR wird „Jünglinge zu ihren Fürsten machen“ (Vers 4). Er wird sein Volk zur Beute der „Willkür“ unreifer, unsensibler „Jünglinge“ machen, die meinen, sie hätten die Weisheit (Pred 10,16a; 1Kön 12,8–11). Der erst zwölfjährige König Manasse ist ein Beispiel dafür (2Chr 33,1–11).
Die inkompetente Führung und Willkür eines „kleinen Kindes“ als König fördert Anarchie und Verwirrung. Jedes Mitglied des Volkes wird sein eigenes Recht suchen (Vers 5). Jeder wird den anderen unterdrücken, um zu bekommen, was ihm nach seiner Meinung zusteht. Das Gebot der Nächstenliebe hat sich völlig in das Gegenteil verkehrt, nämlich in Selbstsucht und Eigenliebe. Das Ergebnis ist die Unterdrückung des anderen und das Niedertrampeln der Rechte des jeweils anderen.
Derjenige, dem aufgrund seines Alters und seiner Lebenserfahrung Respekt gebührt, „der Greis“, wird von einem unerfahrenen „Knaben“ gewaltsam von seinem Platz vertrieben (vgl. 1Pet 5,5a; 3Mo 19,32). „Der Verachtete“, der Mann, der nichts leistet und nichts zum Wohl der Gemeinschaft beiträgt, sondern ihr nur Schaden zufügt, zögert nicht, „den Geehrten“ anzugreifen, den Mann, der das Gute für die Gemeinschaft sucht und sich für sie einsetzt. Alter und Position, die einen gewissen Respekt implizieren, machen keinen Eindruck mehr.
Die gleiche Nivellierung sehen wir heute in der Gesellschaft und unter dem Volk Gottes. Kinder haben ein Mitspracherecht und geben den Ton an. Sie nähern sich älteren Menschen, wobei sie sie respektlos behandeln. Das Ergebnis ist eine zerrüttete Gesellschaft. Der Glaube sieht darin die Hand Gottes, der den Menschen sich selbst überlässt, weil dieser Ihn ablehnt.
Nun, vielleicht gibt die familiäre Beziehung noch etwas Hoffnung (Vers 6). Die Menschen werden Unterstützung bei einem Familienmitglied suchen, das einen Anschein von Ansehen hat, was im Tragen eines „Oberkleids“ deutlich wird. Jemand, der eine auffällige Erscheinung hat, wird von denen angesprochen werden, die verzweifelt nach einer Person suchen, die etwas Ordnung in das „Chaos“ bringen kann. Sie flehen ihn an, die Verantwortung zu übernehmen.
Allerdings ist die Hoffnung auf ein angesehenes Familienmitglied vergeblich (Vers 7). Auch Familienmitglieder können oder wollen sich nicht gegenseitig helfen. Niemand will die Verantwortung übernehmen, der „Wundarzt“ der kranken Gesellschaft zu sein. Jeder versteckt sich hinter dem Mangel an Nahrung und Führungsfähigkeiten. Er trägt zwar ein Oberkleid, aber er hat keins im Haus. Sein eigenes Interesse verbietet es ihm, auch nur den Versuch zu unternehmen, das Chaos zu bekämpfen. Er weigert sich, als Anführer aufzutreten. Er deutet an, dass die Gesellschaft zusammengebrochen und völlig verstört ist.
8 - 9 Anlass des Gerichts
8 Macht mich nicht zum Vorsteher des Volkes! Denn Jerusalem ist gestürzt und Juda gefallen, weil ihre Zunge und ihre Taten gegen den HERRN sind, um den Augen seiner Herrlichkeit zu trotzen. 9 Der Ausdruck ihres Angesichts zeugt gegen sie; und von ihrer Sünde sprechen sie offen wie Sodom, sie verhehlen sie nicht. Wehe ihrer Seele, denn sie bereiten sich selbst Böses!
Der Prophet erinnert seine Leser an die geistlichen und moralischen Ursachen für diese Anarchie in Jerusalem und Juda (Vers 8). Diese Situation ist das Ergebnis ihrer dreisten und schamlosen Rebellion gegen den HERRN, die sich in „ihrer Zunge und ihren Taten“ ausdrückt. Es gibt nicht nur Unzufriedenheit und Murren, sondern eine regelrechte Verhöhnung. Es ist ein allgemeiner Grundsatz, dass jeder, der sich in Wort und Tat gegen den HERRN erhebt, stolpert und fällt. Trotzig und frech verachten sie die Herrlichkeit des HERRN (vgl. Jud 1,9.10). Diese Herrlichkeit wird hier als eine dargestellt, die „Augen wie eine Feuerflamme“ hat und alles sieht, was sie tun (Off 1,14). Er sieht auch ihre Beweggründe. Es ist diese Herrlichkeit, die im vorherigen Abschnitt die Völker in die Flucht schlug (Jes 2,19).
Und doch kennen sie seine Herrlichkeit, denn Er hat sich seit vielen Jahrhunderten als der heilige und gnädige Gott offenbart. Obwohl sie seine Herrlichkeit kennen, ziehen sie die Sünde vor. Anstatt seine Herrlichkeit zum Thema ihres Gesprächs zu machen, sprechen sie offen und ohne Scham über ihre Sünden (Vers 9; vgl. Hos 5,5; 7,10; Röm 1,32). Frei wiedergegeben lautet Vers 9a: „Der Ausdruck ihrer Gesichter spricht Bände.“ Sie haben „die Stirn eines Hurenweibes“ und weigern sich, sich „zu schämen“ (Jer 3,3), „ja, Beschämung kennen sie nicht“ (Jer 6,15).
Sie „können von der Sünde nicht ablassen“ (2Pet 2,14). Deshalb spricht Jesaja das „Wehe ihren Seelen“ über sie aus. Diejenigen, die sich durch eine solche Frechheit auszeichnen, „bereiten sich selbst Böses“. Ein solcher Mensch bringt das Gericht über sich selbst und bewirkt damit seinen eigenen Untergang.
Wir sehen es auch heute in der Welt um uns herum und selbst in der sogenannten Christenheit. Homosexualität, die Praxis von Sodom, zählt nicht mehr als Sünde, sondern wird als normaler Ausdruck des Lebens gesehen. Selbst in einstigen Hochburgen der Orthodoxie wird homosexuellen Paaren gesagt: „Wir respektieren eure Treue in der Beziehung. In der Kirche ist Platz für euch. Wieder einmal zeigen sie ihre Ähnlichkeit mit Sodom und rufen damit das Gericht über sich selbst herbei (1Mo 18,20).
Tatsächlich ist diese Sicht das Maß der Sünde der Welt. Nicht nur, dass sie diese Sünden begehen, sondern sie geben auch denen, die sie praktizieren, herzliche Zustimmung (Röm 1,32). Letzteres zeigt sich auch in der Ablehnung und Unterdrückung von Menschen, die derartige Lebensformen ablehnen. Siehe dazu beispielsweise die Praxis der heutigen Antidiskriminierungsgesetze in vielen Ländern, die ehemals christlich geprägt waren.
10 - 11 Der Gerechte und der Gottlose
10 Sagt vom Gerechten, dass es ihm wohl ergehen wird; denn die Frucht ihrer Handlungen werden sie genießen. 11 Wehe dem Gottlosen! Es wird ihm schlecht ergehen; denn das Tun seiner Hände wird ihm angetan werden.
Inmitten all dieser Gottlosigkeit gibt es ein Wort für „den Gerechten“, nämlich für den, der Gott fürchtet und dies in seinem Leben zeigt (Vers 10; vgl. Jes 1,19). Egal wie schwer es für ihn in dieser Situation sein mag, er darf wissen, dass sein Leben Früchte bringen wird, die er einst genießen darf. Das ist für ihn eine ermutigende Erkenntnis angesichts des Schicksals „des Gottlosen“ (vgl. Jes 1,20). Letzterem wird es schlecht ergehen, weil er ohne Gott gelebt hat (Vers 11). Das Gericht als Lohn der Sünde hat er sich selbst verdient. Er hat es wegen seiner Sünden herausgefordert und wird es erhalten.
Diese beiden Wege und wo sie enden, finden wir viele Male im Buch der Sprüche. Es ist ein Naturgesetz: „Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7). Das gilt für jeden Menschen zu jeder Zeit, auch für uns jetzt.
12 - 15 Die Leiter führen irre
12 Mein Volk – seine Bedrücker sind kleine Kinder, und Frauen herrschen über es. Mein Volk, deine Leiter führen irre, und den Weg deiner Pfade haben sie zunichtegemacht. 13 Der HERR steht da, um zu rechten; und er tritt auf, um die Völker zu richten. 14 Der HERR wird ins Gericht gehen mit den Ältesten seines Volkes und dessen Fürsten. Und ihr habt den Weinberg abgeweidet, das dem Elenden Geraubte ist in euren Häusern; 15 was habt ihr, dass ihr mein Volk zertretet und das Angesicht der Elenden zermalmt?, spricht der Herr, der HERR der Heerscharen.
Eine weitere Verschlechterung des Zustandes des Volkes sehen wir in dem vor uns liegenden Abschnitt, der hier beginnt und mit Jesaja 4,1 endet.
Das Volk bekommt die Leiter, die es verdient. Diese Leiter gibt es in zwei Varianten: „kleine Kinder“ und „Frauen“ (Vers 12; vgl. 1Kön 15,13; 2Kön 11,1.13). In den Versen 12–15 werden die Leiter als kleine Kinder beschrieben, die unfähig sind zu regieren (vgl. 1Tim 3,2.6). Im Teil von Jesaja 3,16 bis Jesaja 4,1 werden sie als Frauen beschrieben, die unberechtigt sind zu regieren (vgl. 1Tim 2,12).
In beiden Fällen handelt es sich um Leiter, denen kein Platz der Autorität zusteht, sondern die sich diesen anmaßen. Wenn sie diesen Platz einnehmen, entpuppen sie sich als Tyrannen. Es kann auch sein, dass der Mann formell regiert, aber die Frau die Fäden in der Hand hat, wie wir es bei Ahab und Isebel sehen (1Kön 21,7).
Kleine Kinder lassen sich im Allgemeinen von ihren Lüsten und Leidenschaften leiten, ohne Sinn für Mitgefühl. Kinder können sehr zärtlich sein, aber auch sehr hart. Sie sind in der Lage, diejenigen, die in ihrer Macht stehen, zu misshandeln und zu unterdrücken. Frauen werden im Allgemeinen von ihren Gefühlen geleitet. Auch sie können sehr zärtlich, aber auch sehr grausam sein. In ihrem Bestreben, sich durchzusetzen, gehen sie über Leichen. In beiden Fällen fehlt es an der Fähigkeit, das Volk aus dem Zustand der Verwirrung zu befreien.
Welche Art von Leiter gibt es in der Christenheit? Viele Leiter lenken das Volk Gottes von Christus ab. Sie denken, dass sie qualifiziert sind, aber sie sind Verführer. Wenn Frauen die Führung übernehmen (oder bekommen!), kann nur Täuschung folgen. Sie können das Volk Gottes nur in die falsche Richtung führen. Ihnen fehlt eine klare Richtung, weil sie einen Platz einnehmen, der ihnen von Gott nicht gegeben wurde.
Indem der HERR sie als „mein Volk“ anspricht, will Er ihre Herzen erreichen, damit sie ihren Zustand erkennen und zu Ihm zurückkehren. Er erinnert sie daran, dass diese Leiter sie betrügen. Anstatt das Volk auf den richtigen Weg zu führen, führen sie es in die Irre.
Der HERR kann die Haltung der Leiter nicht ertragen. Er erhebt sich und bereitet sich auf einen Rechtsstreit gegen sie vor (Vers 13). Er ist entrüstet über ihre Haltung und ihr Handeln und nimmt die Haltung des Richters gegenüber „den Völkern“ ein, also den Stämmen Israels, dem ganzen Israel. [Die Septuaginta – die griechische Übersetzung des Alten Testaments – übersetzt „die Völker“ mit „sein Volk“.]
Nachdem der HERR das Gericht angekündigt hat, geht Er danach auch wirklich ins Gericht mit den Leitern, „den Ältesten seines Volkes und dessen Fürsten“ (Vers 14). Er tadelt sie besonders dafür, dass sie sich wie wilde Tiere im Weinberg verhalten haben (darüber steht mehr in Jesaja 5), den sie vor wilden Tieren hätten bewahren sollen. Sie haben den Weinberg zerstört, sodass Er keine Frucht davon bekommt, d. h. keine Freude, von der der Wein spricht. Seine Freude wäre eine ungestörte Gemeinschaft mit ihnen gewesen. Die Führer haben das unmöglich gemacht. Sie haben Gottes Volk geplündert, zertreten und zermalmt und ihre eigenen Häuser mit dem Geraubten gefüllt (Vers 15; vgl. Ps 94,5).
In dem Ausruf „was habt ihr“ kommt das Erstaunen des HERRN zum Ausdruck, als könne Er nicht verstehen, warum sich die Leiter so unbarmherzig gegenüber ihren Mitbürgern verhalten (vgl. Mt 18,21–35). Er selbst hat sie doch mit so viel Barmherzigkeit behandelt. Warum also diese unbarmherzige Handlungsweise? Er verschärft den Vorwurf, indem Er von denen, die sie misshandeln, als „mein Volk“ spricht. Was seinem Volk angetan wird, trifft Ihn ins Herz. Gleichzeitig stellt Er sich, genau wie in Vers 1, als „der Herr, der HERR der Heerscharen“ vor. Er ist es, mit dem sie zu tun haben.
16 - 26 Gericht über die stolzen Frauen
16 Und der HERR sprach: Weil die Töchter Zions überheblich sind und umhergehen mit gerecktem Hals und blinzelnden Augen und trippelnd umhergehen und mit ihren Fußspangen klirren, 17 so wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions kahl machen, und der HERR ihre Scham entblößen. 18 An jenem Tag wird der Herr den Schmuck der Fußspangen und der Stirnbänder und der Halbmonde wegnehmen; 19 die Ohrgehänge und die Armketten und die Schleier; 20 die Kopfbunde und die Schrittkettchen und die Gürtel und die Riechfläschchen und die Amulette; 21 die Fingerringe und die Nasenringe; 22 die Prachtkleider und die Mäntel und die Umhänge und die Beutel; 23 die Handspiegel und die Hemden und die Turbane und die Schleier. 24 Und es wird geschehen: Statt des Wohlgeruchs wird Moder sein und statt des Gürtels ein Strick und statt des Lockenwerks eine Glatze und statt des Prunkgewandes ein Kittel aus Sacktuch, Brandmal statt Schönheit. 25 Deine Männer werden durchs Schwert fallen und deine Helden im Kampf. 26 Und ihre Tore werden klagen und trauern, und entleert wird sie sich zur Erde niedersetzen.
Um seinem Volk ihre Sünden deutlich zu machen, beschreibt der HERR die Angeberei und Prahlerei der Frauen. Deshalb heißt es: „Und der HERR sprach“ (Vers 16). Er fährt also mit seinem Thema fort. Die Eitelkeit der Leiter wird durch ihre Frauen, „die Töchter Zions“, veranschaulicht und sichtbar gemacht. Die innere Verderbtheit offenbart sich immer. So wird der Stolz des Herzens im persönlichen Lebenswandel sichtbar.
Die Ursache für die verdorbenen Handlungen seines Volkes ist in den Wünschen und Begierden dieser „Töchter Zions“ nach dem Lebensstil der Welt. Frauen haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder, die sie den ganzen Tag über bei sich haben. Darum sind sie häufig die Ursache für die dramatische Abweichung ihrer Kinder von den Wegen des HERRN. Wenn es unter diesen Frauen ein Bewusstsein dafür geben würde, was Gott angemessen ist, wäre die Situation sicher nicht so hoffnungslos.
Doch diese Frauen haben kein Empfinden für das, was Gott wohlgefällig ist. Der arrogante Stolz der Leiter von Juda ist auch bei diesen Frauen, „den Töchtern Zions“, vorhanden. Sie „sind stolz“ und schauen mit Verachtung auf andere herab. Der „gereckte Hals“, also das Zurückstrecken des Halses, um länger und größer zu erscheinen, mit dem sie umhergehen, spricht von Stolz. Die „blinzelnden Augen“ beziehen sich auf ihre Art zu schauen. Ihr scheinbar unschuldiger Blick ist ein ausgesprochen sinnlicher Blick, ein Blick, der sexuelles Verlangen wecken soll. Sie trippeln umher, d. h mit kleinen Schritten, während sie beim Gehen „mit ihren Fußspangen klirren“.
Sie gehen, schauen und schmücken sich in einer Weise, die ihnen die Gewissheit gibt, dass jeder auf sie schauen muss. Mit der größten Selbstgefälligkeit wollen sie alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Gott verübelt es ihnen sehr. Ihm ist es nicht gleichgültig, wie und warum sich eine Frau so kleidet und schmückt, wie sie es tut. Auch im Neuen Testament gibt es dazu klare Anweisungen (1Pet 3,3.4; 1Tim 2,9.10). Christliche Frauen tun gut daran, darauf zu achten, zumindest wenn es sich um Frauen handelt, die sich zur Gottesfurcht bekennen.
Es ist auch klar, dass Frauen, die sich so verhalten wie diese Töchter Zions, Frauen also, die so sehr auf sich selbst und ihr Äußeres bedacht sind, keine guten Verwalterinnen ihrer Häuser sein können (vgl. 1Tim 5,14). Wenn sie nur auf sich selbst achten und ihr Bestes geben, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen, werden sie wenig Zeit für die Erziehung ihrer Kinder aufwenden. Eine Gesellschaft, in der Frauen Positionen einnehmen, die ihnen nicht zustehen, und darin sogar von der Regierung gefördert werden, wird zu einer unregierbaren Gesellschaft mit einer Fülle von Problemjugendlichen werden.
Das Verhalten dieser Töchter Zions ist ein Spiegelbild des geistlichen Zustands des ganzen Volkes. Der HERR beschreibt das Verhalten der Frauen in bildhafter Sprache und spottet über ihre Einbildung (Vers 17). Eine schreckliche Vergeltung wird stattfinden. Ihr frivoles Verhalten wird sich in Schorf verwandeln, der an Aussatz erinnert (3Mo 13,30–37; 14,54). Der Schorf wird ihren Schädel infolge des Gerichts des HERRN bedecken.
Möglicherweise können wir dabei an Jerusalem auf dem Berg Zion denken, wobei Zion „der Scheitel“ ist und Jerusalem das Ornament, das von der Schorfbildung betroffen sein wird. Ein vom Schorf befallener Scheitel muss rasiert werden. So wird Jerusalem, die Stadt der Schönheit, zerstört und ihre Bewohner weggeführt werden. Statt der Bewunderung der Umgebung, nach der sie streben, wird Abscheu alle erfüllen, die sie beobachten.
„Ihre Scham entblößen“ bedeutet, dass die Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird und die Fundamente freigelegt werden. Die Schande und Schmach wird von jedem gesehen werden.
„An jenem Tag“ (Vers 18) der äußersten Schande und Schmach wird „der Herr“, Adonai, der souveräne Befehlshaber und Meister, „den Schmuck … wegnehmen“. Alles, was sie zur Schau stellt, wird von ihr weggenommen werden, sodass sie nackt dasteht.
Als nächstes listet Jesaja im Teil der Verse 18b–23 eine Fülle von Toilettenartikeln, Schmuck und Kleidungsstücken auf. Jesaja ist hier sehr detailliert. Er tut dies, um den enormen Kontrast zwischen der ungezügelten Prahlerei falscher, weltlicher Herrlichkeit und der geistlichen, erhabenen Einfachheit der inneren, echten Herrlichkeit, die Gott wohlgefällig ist, zu zeigen. Schließlich geht es Jesaja darum, den Weg zu zeigen, der über das Gericht über die falsche Herrlichkeit zur wahren Herrlichkeit, der des Messias und seines Reiches, führt.
Es ist uns nicht möglich, zu jeder Dekoration etwas zu sagen. Dennoch können einige Bemerkungen gemacht werden, die etwas Licht auf diesen Teil werfen. Es ist bemerkenswert, dass Jesaja insgesamt 21 Schmuckteile erwähnt. Die Zahl 21 ist drei mal sieben, was symbolisch die Fülle (drei) und die Vollkommenheit (sieben) der Frivolität des Schmucks der Frauen anzeigt. In ihrem Aussehen sind diese Modepuppen ein Spiegelbild der Weichheit ihrer Männer.
Die Beschreibung des Schmucks beginnt mit den „Fußspangen“, die auch in Vers 16 erwähnt werden, und den „Stirnbändern“ (Vers 18), d. h. dem Schmuck der Füße und des Kopfes. Dies ist eine Erinnerung an das Gericht Gottes über sein Volk, das Er zu Beginn dieses Buches ausgesprochen hat: „Von der Fußsohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm“ (Jes 1,6a). Das Volk will diesen kranken Zustand nicht sehen, sondern will ihn mit allerlei Verzierungen am ganzen Körper, von Kopf bis Fuß, überdecken, um ihn attraktiv statt abstoßend zu machen.
Außerdem erfolgt die Aufzählung nicht von unten nach oben oder umgekehrt, auch nicht von außen nach innen. Es gibt darin keine bestimmte Reihenfolge. Die Aufzählung ist willkürlich und entspricht damit dem launischen Verhalten der Frauen.
Die „Halbmonde“ (Vers 18) sind Schmuckstücke in Form des Mondes, möglicherweise ein Hinweis auf den Mond als Gegenstand der Anbetung. Sie wurden von den Midianitern in den Tagen Gideons erbeutet, ebenso wie „die Ohrgehänge“ (Vers 19; Ri 8,26). Sie wurden um den Hals getragen und auch Kamele wurden damit geschmückt (Ri 8,21). Die „Schleier“ entsprechen dem heutigen „Nikab“, einer Art Burka, aber als separates Kleidungsstück.
„Die Schrittkettchen“ (Vers 20) bewirken, dass sie kleine und anmutige Schritte machen. „Die Gürtel“ sind die verzierten Gürtel, die die Braut am Tag ihrer Hochzeit trägt. „Die Amulette“ zeigen ihren Aberglauben, denn sie werden getragen, um sie vor den Beschwörungen der Zauberer zu schützen. „Die Umhänge“ (Vers 22) sind weite Schals, so wie Ruth einen trägt, als sie in ihren schönsten Kleidern zu Boas geht (Rt 3,15).
Die Beschreibung einiger der genannten Kleidungsstücke zeigt eine Vermischung von Elementen, wie sie auch in den Priestergewändern zu finden sind, mit Elementen, die zum Götzendienst gehören. So werden „die Kopfbunde“ (Vers 20) auch als priesterliche Gewänder erwähnt (2Mo 39,28). Die Kleidung spricht in der Schrift von dem Verhalten, das wir an den Tag legen. Die Frauen Jerusalems sehen durch ihre Kleidung aus wie ein geschmückter Weihnachtsbaum. Sie kleiden sich so, um die Aufmerksamkeit und Zuneigung der Völker um sie herum auf sich zu ziehen. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dem HERRN in ihrem Verhalten zu gefallen.
Der HERR wird eine totale Umkehrung bewirken (Vers 24). Er wird den Frauen alles wegnehmen, womit sie sich geschmückt haben. Wie erbärmlich werden sie dann aussehen und sich fühlen! Eine Frau, die zur Buße kam und sich danach nicht mehr schminkte, sagte, dass sie sich am Anfang „nackt“ fühlte. So wird es mit diesen Frauen sein.
In blumiger, kraftvoller Sprache beschreibt der HERR, wie Er alles, was für sie wichtig war, um für andere attraktiv zu sein, in etwas verwandeln wird, das andere abstoßen wird. Sie wird aufgrund von Misshandlungen erbärmlich aussehen und zu schmutzig sein, um so auszugehen. Zum Beispiel wird der „Wohlgeruch“ von Parfüm durch „Moder“ ersetzt. Der „Gürtel“, mit dem sie protzen, wird sich in einen „Strick“ verwandeln, mit dem sie in die Gefangenschaft geschleift werden.
Ihr schönes „Lockenwerk“ wird abrasiert. „Eine Glatze“, Kahlheit, bedeutet für eine Frau eine große Kränkung. Eine Kahlrasur wird bei gefangenen Frauen vorgenommen (5Mo 21,12). Ihre „Schönheit“ wird durch das „Brandmal“, das mit einem Brandeisen auf ihren Körper aufgetragen wird, entstellt. Es ist das unauslöschliche Zeichen dafür, dass sie in Sklaverei sind (vgl. Neh 9,36).
Ihre „Männer“, auf die sie nicht hören, sondern über die sie herrschen und von denen sie sich bedienen lassen (Amos 4,1b), werden durch das Schwert fallen (Vers 25). Ihre „Helden“, von denen sie glauben, dass sie sie beschützen werden, werden im Kampf getötet. Die „Tore“ (Vers 26), die Orte des Rechts und der Bewachung, werden nicht mehr Sicherheit und Schutz bieten. Der Feind wird von ihnen Besitz ergreifen. Das wird etwa 150 Jahren später geschehen, wenn Juda von Babel belagert und erobert und in Gefangenschaft weggeführt wird. Als Folge davon wird die Stadt „sich zur Erde niedersetzen“, ein Sinnbild großer Trauer und einer völligen Katastrophe (Hiob 2,13).