Einleitung
In diesem Kapitel haben wir drei Abschnitte vor uns:
1. Der HERR und der gescheiterte Weinberg Israels (Verse 1–7);
2. ein sechsfaches Wehe über das Volk und seine Führer (Verse 8–23);
3. die Gerichte des HERRN über das Volk (Verse 24–30).
1 - 7 Das Lied vom Weinberg
1 Nun will ich singen von meinem Geliebten, ein Lied meines Lieben von seinem Weinberg: Mein Geliebter hatte einen Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel. 2 Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben; und er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus; und er erwartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte schlechte Beeren. 3 Nun denn, Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda, richtet doch zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was war noch an meinem Weinberg zu tun, das ich nicht an ihm getan habe? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben brächte, und er brachte schlechte Beeren? 5 Nun, so will ich euch denn kundtun, was ich meinem Weinberg tun will: seinen Zaun wegnehmen, dass er abgeweidet wird, seine Mauer niederreißen, dass er zertreten wird. 6 Und ich werde ihn zugrunde richten; er soll weder beschnitten noch behackt werden, und Dornen und Disteln sollen in ihm aufschießen; und ich will den Wolken gebieten, dass sie keinen Regen auf ihn fallen lassen. 7 Denn der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel, und die Männer von Juda sind die Pflanzung seines Ergötzens; und er wartete auf Recht, und siehe da: Blutvergießen, auf Gerechtigkeit, und siehe da: Wehgeschrei.
Der Prophet Jesaja, durch den der Geist Christi spricht, benutzt nun einen neuen Weg, um Israel anzusprechen, nämlich durch ein Lied. Es ist ein Lied, in dem er die Liebe des HERRN zu seinem Volk besingt (Vers 1). Er möchte seinem „Geliebten“ ein Lied singen. Er ist wie der Freund des Bräutigams, der sich über den Bräutigam freut (Joh 3,29.30). Der HERR ist der Gegenstand seines Liedes.
Es ist ein Liebeslied, genau wie das Hohelied, und es handelt von einem Weinberg (vgl. Hld 2,15). Die Identität der Beteiligten bleibt jedoch geheim. Jesaja nennt keine Namen. Diese verhüllende Erzählweise verwendet auch Nathan in der Geschichte, die er David erzählt (2Sam 12,1–4). Es wird nicht gesagt, wer der „Geliebte“ ist und wen oder was der „Weinberg“ symbolisiert. Das fördert die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Im weiteren Verlauf des Liedes nimmt die Empörung über den Weinberg zu, bis am Ende des Abschnitts, in Vers 7, die wahre Identität des Geliebten und des Weinbergs wie ein Blitz aus heiterem Himmel enthüllt wird.
In dem Lied werden wir gleichsam in einen Gerichtssaal versetzt (Verse 3.4; vgl. Jes 1,18; 3,14.15), wo das Lied zu einer Anklage wegen der ausgebliebenen Reaktion auf die Liebe und Geduld des Geliebten wird. Das Lied endet mit dem Verlassen der bildlichen Beschreibung, um das Haus Israel – denn das ist der Weinberg – als Gegenstand von Gottes Zorn zu identifizieren (Verse 5–7).
Jesaja singt davon, was der Geliebte – das ist der HERR – für sein Volk getan hat. Im Bild des Weinbergs besingt er Israel, wie Gott das Volk am Anfang seiner Geschichte im verheißenen Land sah. Der Weinberg stand auf einem „fruchtbaren Hügel“, also auf fruchtbarem Boden (5Mo 8,7.9), das ist das Land Kanaan.
Dann heißt es: „Er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen“ (Vers 1). Das bedeutet, dass Er die heidnischen Völker mit ihren Götzen aus dem Land vertrieben hat. Er bepflanzte ihn mit „Edelreben“, womit die Israeliten gemeint sind (Jer 2,21; Ps 80,9.10; Hos 10,1). Außerdem baute er „einen Turm“ in seiner Mitte, was sich auf die zentrale Stadt Jerusalem bezieht, die Er baute, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (Spr 18,10; 5Mo 12,5). Dieser Turm war auch ein Wachturm, in dem die Priester wohnten. Sie mussten darüber wachen, dass keine falschen Einflüsse eindringen konnten.
Die „Kelter“, die Er ausgehauen hatte, bezieht sich auf den Tempel. Dort würde das Volk Ihm die Früchte des Landes als Opfer bringen, um dadurch ihre Anbetung und ihr Lob durch das Wirken seines Geistes zum Ausdruck zu bringen. Nach diesem herrlichen Resultat hielt er Ausschau als Frucht seiner Arbeit. Das Ende des Liedes ist jedoch ernüchternd. Statt guter Trauben, die Er hätte erwarten können, brachte der Weinstock nur schlechte, wertlose Beeren hervor.
Nachdem Jesaja in diesem Lied eine ausführliche Beschreibung der Bemühungen des HERRN um ein optimales Ergebnis besungen hat, befinden wir uns plötzlich in einem Gerichtssaal (Vers 3). Der HERR selbst hält nun eine Rede, die sich bis Vers 7 durchzieht. Er fordert „die Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda“ auf, zwischen Ihm und seinem Weinberg zu richten. Er fordert eine Antwort, durch die Er sie zwingt, die Situation intensiv auf sich wirken zu lassen.
Er ist der Ankläger, der sich gleichzeitig selbst verteidigt, indem Er sie auffordert zu sagen, was Er hätte mehr und besser tun können, als Er es getan hat (Vers 4). Waren seine Erwartungen zu hoch, indem Er gute Trauben erwartete, nachdem Er sich so viel Mühe gegeben hatte, weil alles, was der Weinberg produzierte, schlechte Beeren waren? Die Frage zu stellen bedeutet, sie zu beantworten.
Die Art und Weise, wie der HERR diese Leute anspricht, ist bemerkenswert. Er gibt sich als jemand aus, der eine Klage gegen den Weinberg hat und ein Urteil erwartet, als ob sie als scheinbar gerechte Richter befähigt wären, ein gerechtes Urteil zu fällen. Doch die Männer von Juda sind selbst die Pflanzen. Auf subtile Weise fordert der HERR tatsächlich die Bereitschaft ein, sich selbst zu beurteilen. Statt eines Vorwurfs wird um ihr Urteil gebeten, womit die Liebe, die diesem Ansatz zugrunde liegt, auf die Bereitschaft zur Selbstprüfung hofft. Aber es gibt keine Antwort.
Wir hören, wie Gott sich laut fragt, ob der Weinberg die Früchte trägt, die Er erwarten konnte, nach allem, was Er an ihm getan hat. Das ist ein Prinzip, das allgemein angewendet werden kann, nicht nur auf die Juden, sondern auch auf die heutige Gemeinde des Herrn Jesus und auf jeden Einzelnen. Wenn die Gemeinde mehr empfangen hat als die Juden, hat Gott das Recht, von der Gemeinde auch mehr zu erwarten. Wenn jemand behauptet, die Herrlichkeit Christi zu kennen, dann darf Gott erwarten, dass sein Leben dem entspricht. Das ist das Erbringen der wahren Frucht, wofür der Gläubige auf der Erde ist.
Der Ankläger kündigt dann an, was Er mit seinem Weinberg tun wird (Vers 5). Mit einem feierlichen „Nun“ verkündet Er das Gericht über seinen wertlosen Weinberg. Denn ein Weinberg, der keine brauchbare Frucht bringt, ist völlig wertlos. Der einzige Nutzen eines Weinstocks besteht darin, brauchbare Früchte zu tragen. Sein Holz ist ohne Frucht zu wertlos, um für irgendetwas anderes als Brennholz geeignet zu sein (Hes 15,2–5).
Der Ankläger wird das Gericht auch selbst vollstrecken. Seine Vergeltung für ihre Rebellion steht unmittelbar bevor und ist unvermeidlich. Er wird ihren Schutz, „seinen Zaun“, wegnehmen, sodass sie eine Beute für die Nationen werden. Infolgedessen wird das Land abgeweidet werden. Er wird „seine Mauer niederreißen“, sodass der Feind eindringen und sie zertreten kann.
Er wird das ganze Land „zugrunde richten“ (Vers 6). Er wird dies so gründlich tun, dass es „weder beschnitten noch behackt werden“ soll, was bedeutet, dass es keine ackerbauliche Aktivität geben wird, um Früchte hervorzubringen. Statt köstlicher Früchte wird das Land also nur „Dornen und Disteln“ hervorbringen, die Symbole der Sünde (1Mo 3,18).
In Vers 6b hören die Zuhörer plötzlich, dass der Weingärtner, der Geliebte, der von seinem Weinberg spricht, sagt: „Und ich will den Wolken gebieten, dass sie keinen Regen auf ihn fallen lassen“ (vgl. 5Mo 11,17a). Bis jetzt haben sie dem Lied zugehört, ohne zu denken, dass der Geliebte oder der Weinberg bestimmte Personen darstellen. Aber jetzt hören sie etwas Erstaunliches, etwas, das sie stutzig macht. Sie hören den Besitzer des Weinbergs sagen, dass Er den Wolken gebieten wird, keinen Regen zu geben. Sicherlich kann nur der HERR so etwas sagen, nicht wahr? Wie könnte ein Mensch den Wolken gebieten, etwas zu tun? Sicherlich kann nur Gott das tun, oder? Und in der Tat, so ist es.
Dies ist der Zeitpunkt für die Erklärung der Bildersprache (Vers 7). Der Ankläger konfrontiert das Haus Israel plötzlich mit der Tatsache, dass sie der Weinberg der vorherigen Verse sind und dass Er, der HERR, der Geliebte ist, von dem das Lied handelt. Es scheint, als ob wir Nathan zu David sagen hören, nachdem er sein Gleichnis erzählt hat: „Du bist der Mann!“ (2Sam 12,7a). Der Ankläger ist nicht der Prophet Jesaja, sondern der HERR selbst!
Kurz gesagt, der Weinberg ist Israel, die Freude des HERRN und das Werk seiner Hände zu seiner Verherrlichung (Jes 60,21; 61,3). Die Freude, die Er in seinem Volk finden wollte, hat auch mit seiner Liebe zu ihnen zu tun. Sie sind „die Pflanzung seines Ergötzens“. Er hat sie aus allen Völkern auserwählt, sein Volk zu sein, der besondere Gegenstand seiner Liebe. Deshalb hat Er sich so sehr um sie gekümmert. Aber anstatt Recht und Gerechtigkeit zu finden, die Er als Frucht erwartet hatte, findet Er „Blutvergießen“ und „Wehgeschrei“. Deshalb kann das Gericht über Israel nicht mehr abgewendet werden.
Vers 7b ist im Hebräischen ein schönes Wortspiel: „Recht“ – „Blutvergießen“ ist in Hebräisch: mispat – mispach; „Gerechtigkeit“ – „Wehgeschrei“ (= Geschrei der Unterdrückten) ist in Hebräisch: tsedakah – tseakah. So wie sich diese Wörter zumindest im Hebräischen ähneln, so ähneln in gewissem Sinn die schlechten Beeren den guten Trauben. Genauso sehen die Übeltäter wie religiöse Menschen aus, während sie in Wirklichkeit voller Ungerechtigkeit sind (vgl. Mt 23,28).
Die Lektion dieses Abschnitts ist klar. Es ist möglich, routinemäßig religiöse Handlungen auszuführen, nach außen hin in Übereinstimmung mit der Schrift zu leben, während die wahre Hingabe des Herzens an Christus fehlt. Die erste Liebe ist weg und mit ihr die wahre geistliche Kraft. Das öffnet die Tür zu immer gröberen Formen des Bösen. Der Herr steht an der Tür und Er klopft an (Off 3,20). Er wartet auf eine Antwort von jedem, der wirklich wünscht, mit Ihm in der Wahrheit, d. h. nach seinem Willen und Weg, Gemeinschaft zu haben.
Der Weinberg ist zerstört, aber nicht für immer. Später finden wir die Verheißung, dass der Weinberg wiederhergestellt werden wird (Jes 27,2–6). Das wird in der Endzeit geschehen. Es bedeutet nicht, dass Gott bis dahin ohne Weinberg und ohne Frucht aus dem Weinberg ist.
Erstens hat der Herr Jesus als der wahre Weinstock den Platz des versagenden Israel eingenommen. Er sagt von sich selbst: „Ich bin der wahre Weinstock“ (Joh 15,1). Sein Leben war eine einzige Freude vor Gott. Er ist die wahre „Pflanzung des Ergötzens“ Gottes, denn in Ihm findet Gott seine ganze Wonne.
Zweitens zeigt der Herr Jesus in einem Gleichnis, dass der Weinberg, das Reich Gottes, mit einem anderen Volk, der Christenheit, verbunden sein wird (Mt 21,33–43). In der Christenheit bringt jeder, der mit dem wahren Weinstock, Christus, verbunden ist, Frucht für Gott (Joh 15,2.8).
8 - 10 Das erste Wehe
8 Wehe denen, die Haus an Haus reihen, Feld an Feld rücken, bis gar kein Raum mehr ist und ihr allein sesshaft seid inmitten des Landes! 9 Vor meinen Ohren [hat] der HERR der Heerscharen [gesprochen]: Wenn nicht die vielen Häuser zur Wüste werden, die großen und schönen ohne Bewohner! 10 Denn zehn Joch Weinberge werden ein Bat bringen, und ein Homer Samen wird ein Epha bringen.
Auf das Gleichnis vom Weinberg folgt ein sechsfaches „Wehe“ über die „schlechten Beeren“ (vgl. Vers 2), die das Volk hervorgebracht hat. Deshalb klagt Gott das Volk an und zeigt ihm seine Sünden, seine „schlechten Beeren“, im Detail auf. Diese Reihenfolge sehen wir auch im Evangelium nach Matthäus. Zuerst erzählt der Herr Jesus ein Gleichnis von einem Weinberg (Mt 21,33–41). Etwas weiter spricht Er ein siebenfaches Wehe über die Führer des Volkes aus (Mt 23,13–36).
Bei dem ersten „Wehe“ von Jesaja geht es um Gier und Habsucht (Vers 8; vgl. Jes 57,17; Mich 2,2). Wir erkennen diese „schlechte Beere“ in dem ungezügelten Materialismus unserer Tage. Es ist der Drang, immer noch mehr zu besitzen. Wenn es sein muss, werden andere ihres Besitzes beraubt. Das Bild ist Egoismus in seiner höchsten Form, jemand, der sich mit allem umgibt, was ihm gefällt, und keinen anderen daran teilhaben lässt. Das verstößt gegen Gottes Gebote, nicht zu stehlen und nicht zu begehren (2Mo 20,15.17), mit denen Er das Privateigentum der Bürger seines Volkes schützt. Es ist das Eigentum, das Er jedem Israeliten anvertraut hat.
Diejenigen, die sich dieser Habgier schuldig machen, verstoßen gegen die Ordnung des HERRN (4Mo 36,7; 1Kön 21,1–3), denn das Land bleibt immer Eigentum des HERRN (3Mo 25,23). Sie denken nicht daran, den Besitz im Jubeljahr an den ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben (3Mo 25,10.13). Hätten sie das getan, so hätten sie reiche Frucht erhalten (3Mo 25,18.19).
Der HERR hat Jesaja das Gericht über dieses Verhalten persönlich mitgeteilt: „Vor meinen Ohren“ hat Er gesprochen (Vers 9). Ihm wurde gesagt, dass der HERR dafür sorgen wird, dass sie keinen Nutzen aus ihrer Habgier ziehen werden (vgl. Hag 1,6.9). Ihre schönen Häuser werden zerstört werden und das Leben wird aus ihnen verschwinden, weil die Bewohner umkommen werden. Ein Haus kann noch so schön sein, doch wenn das Leben aus ihm verschwunden ist, ist es wie tot.
Auch das Land wird kaum etwas bringen (Vers 10). Ein Weinberg von etwa „zehn Joch“ wird nur zwischen 20 und 45 Litern Wein erbringen. [Ein Joch ist hier die Ackerfläche, die mit einem Ochsengespann an einem Tag bearbeitet werden kann, und ein Bat ist vermutlich 20-45 Liter.] Und ein Homer Samen – ein Homer beträgt wohl zwischen 200 und 450 Litern – wird nur ein Epha ergeben – ein Epha ist vermutlich zwischen 20 und 45 Litern. Das bedeutet, dass die ausgestreute Saat nur etwa zehn Prozent Ertrag bringen wird.
Darauf können wir das Sprichwort anwenden: Gestohlenes Gut gedeiht nicht. Die Lektion lautet: Wenn wir vergessen, dass alles, was wir besitzen, Christus gehört, und es uns selbst aneignen, wird uns geistliche Trockenheit und Mangel treffen (vgl. Ps 106,15).
11 - 17 Das zweite Wehe
11 Wehe denen, die sich frühmorgens aufmachen, um starkem Getränk nachzulaufen, bis spät am Abend bleiben – der Wein erhitzt sie! 12 Und Laute und Harfe, Tamburin und Flöte und Wein sind bei ihrem Gelage; aber auf das Tun des HERRN schauen sie nicht, und das Werk seiner Hände sehen sie nicht. 13 Darum wird mein Volk weggeführt aus Mangel an Erkenntnis, und seine Edlen verhungern, und seine Menge lechzt vor Durst. 14 Darum sperrt der Scheol seinen Schlund weit auf und reißt seinen Rachen auf ohne Maß; und hinab fährt seine Pracht und sein Getümmel und sein Getöse und der, der darin frohlockt. 15 Und der Mensch wird gebeugt und der Mann erniedrigt, und die Augen der Hochmütigen werden erniedrigt. 16 Und der HERR der Heerscharen wird im Gericht erhaben sein, und Gott, der Heilige, sich heilig erweisen in Gerechtigkeit. 17 Und Schafe werden [dort] grasen wie auf ihrer Weide, und Fremde in den Trümmerstätten der Fetten sich nähren.
Das zweite Wehe (Vers 11) handelt von den Hedonisten, den genusssüchtigen Menschen, die das „Vergnügen lieben“ (2Tim 3,4). Sie sehen das Leben als ein großes Fest und sind trunken vom „starken Getränk“, das in jenen Tagen aus vergorenen Datteln, Honig und Gerste hergestellt wurde. Ein solches Leben ist wertlos, man kann es mit schlechten Beeren vergleichen. Es gibt nichts in ihrem Leben, an dem Gott Freude finden könnte. Im Gegenteil, Er ist davon angewidert. Menschen, die so leben, sind süchtig nach dieser Art zu leben. Jemand, der morgens aufwacht und als Erstes zur Flasche greift, ist ein Alkoholiker (vgl. Pred 10,16b; Apg 2,13–15). Wenn man berauscht ist, vergisst man zumindest die unangenehmen Dinge des Lebens. Es ist wie Opium.
Innerlich berauscht, außen von Lärm umgeben und auch betäubt vom Lärm, ist die „ideale“ Situation, um zu bewirken, dass sie den Taten des HERRN keine Beachtung schenken und kein Interesse daran haben (Vers 12; vgl. Amos 6,4.5). Sie sehen nicht „das Werk seiner Hände“ und sind völlig blind für das, was der HERR tut.
Heute sehen wir, wie die Menschen völlig aufgehen in Alkohol und Drogen, in Heavy-Metal- und Death-Metal-Musik, die sie unempfindlich macht für jedes Signal, das sie vor den tödlichen Folgen warnt. Infolgedessen sinken sie tiefer als Tiere, die instinktiv noch gute Entscheidungen treffen (Jes 1,3). Es muss uns klar sein, dass diese Dinge auch unter denen zu finden sind, die sich Christen nennen. Der Gebrauch von starken Getränken und Drogen ist nicht nur eine Praxis der Welt um uns herum, sondern kommt in nicht unerheblichem Umfang leider auch unter christlichen Jugendlichen vor.
Dieses mangelnde Verständnis für die Taten des HERRN und diese Unkenntnis über Ihn, wird ihnen zum Verhängnis (Vers 13; Hos 4,6a). Sie sind blind für die Erkenntnis, dass sie in die Gefangenschaft geführt werden. Die einkommensstarke Elite wird „verhungern“. Die „Menge“, d. h. die „einfache“ Bevölkerung, wird verdursten.
Sie werden dem „Sensenmann“ begegnen, der ohne Maß mit weit aufgerissenem Schlund und weit geöffnetem Rachen bereit ist, sie zu verschlingen (Vers 14). Ohne es zu bemerken, hüpfen und jubeln der Adel und der Durchschnittsmensch übermütig auf dieses Verderben zu. Tanzend und schwingend „fahren sie in den Scheol hinab“.
Dann ist es vorbei mit all dem Jubeln und Hüpfen. Von all dem Stolz sowohl des einfachen Mannes als auch des angesehenen Mannes bleibt nichts übrig. Beide beugen unter dem gerechten Urteil die Knie. Beide, der gemeine Mann wie der bedeutende Mann, haben nur für sich selbst gelebt. Beide haben ihre Augen im Stolz auf alles Irdische gerichtet, nur nicht auf den HERRN. Ihre Augen werden für immer erniedrigt sein (Vers 15).
Gott wird in der Person seines Sohnes, dem Herrn Jesus Christus, die Anerkennung seiner Eigenschaften und Rechte erzwingen (Phil 2,9–11). Gott, der Vater, wird dadurch verherrlicht werden, dass sich jedes Knie vor dem Herrn Jesus beugen wird. Der Untergang des hochmütigen Menschen ist die Folge des Gerichts „des HERRN der Heerscharen“ (Vers 16). Er wird durch die Ausübung des Gerichts erhöht werden, was in scharfem Kontrast zur Erniedrigung des Menschen steht. Dieser scharfe Gegensatz besteht auch zwischen dem unheiligen Verhalten des Menschen und der Heiligkeit Gottes, der hier als „Gott, der Heilige“ hervorgehoben wird. Seine Heiligkeit drückt sich in der Aufrechterhaltung seiner Gerechtigkeit aus.
Gerechtigkeit und Heiligkeit sind die Eigenschaften des neuen Menschen, „der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Folglich ist der Gläubige, der zur Gemeinde gehört, in der Lage, inmitten des Bösen Gerechtigkeit zu üben. Während er vom Bösen umgeben ist, kann er in Heiligkeit leben, was bedeutet, dass er für Gott abgesondert ist.
Wenn das Volk weggeführt ist, werden in dem verlassenen Land Hirten aus fremden Nationen ihre Schafe grasen lassen, als wäre es ihr eigenes (Vers 17). Fremde werden sich an dem laben, was Gott für sein eigenes Volk vorgesehen hatte, was sein Volk aber in ungezügelter Gier und Leidenschaft selbst verzehrt hat. Dies wurde buchstäblich von den Arabern erfüllt, die dort jahrhundertelang lebten, während Jerusalem in den Händen islamischer Völker war.
18 - 19 Das dritte Wehe
18 Wehe denen, die die Ungerechtigkeit herbeiziehen mit Stricken der Falschheit und die Sünde wie mit Wagenseilen, 19 die da sprechen: Er beeile, er beschleunige sein Werk, damit wir es sehen; und der Ratschluss des Heiligen Israels möge herannahen und kommen, damit wir ihn erfahren!
Das dritte Wehe wird über die nächste „schlechte Beere“ ausgesprochen und zwar über diejenigen, die der Ungerechtigkeit verfallen sind. Mit lügnerischen Tricks begehen sie Ungerechtigkeit (Vers 18). Es ist nicht ohne Sarkasmus, wenn Jesaja das Bild von Wagen gebraucht, die von Tieren gezogen werden. Die Last der Ungerechtigkeit liegt hoch auf dem Sündenkarren, den diese Menschen mit Seilen ziehen. Der zugrunde liegende Gedanke ist, dass das Begehen kleiner Ungerechtigkeiten, „Stricke der Falschheit“, allmählich zu gröberen Ungerechtigkeiten führen wird, „Sünde wie mit Wagenseilen“. Sie glauben, dass sie ihre sündigen Aktivitäten kontrollieren können. Aber es ist genau umgekehrt: „In den Fesseln seiner Sünde wird er festgehalten“ (Spr 5,22).
Während sie als Sklaven der Sünde dem Gericht entgegengehen, fordern sie Gott heraus (Vers 19). Mit provozierender Sprache fordern sie Ihn heraus, seine Warnungen in die Tat umzusetzen: „Wenn du da bist, zeige dich, tu etwas!“ Das ist der Gipfel der Dreistigkeit und Gotteslästerung (vgl. Mt 27,42; 2Pet 3,2.3; Pred 8,11; Jer 17,15). Sie zögern nicht, den Namen „des Heiligen Israels“ zu missbrauchen und zu verhöhnen, den Namen, den Jesaja immer wieder benutzt, um Gottes Heiligkeit gegenüber der Unheiligkeit des Volkes hervorzuheben. Es zeigt ihre Verhärtung, die Jesaja im nächsten Kapitel besiegeln muss (Jes 6,9–10).
20 Das vierte Wehe
20 Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse; die Finsternis zu Licht machen und Licht zu Finsternis; die Bitteres zu Süßem machen und Süßes zu Bitterem!
In diesem Vers weist Jesaja auf die vierte „schlechte Beere“ hin: die Umkehrung moralischer Grundsätze. Deshalb dieses vierte Wehe. Wissentlich und willentlich stellen sie Werte und Normen auf den Kopf. Sie kehren alles um, was Gott gesagt hat. Was Gott böse nennt, nennen sie gut und umgekehrt. Beides ist ein Gräuel für den HERRN (Spr 17,15). Sie tun dasselbe mit der Finsternis und dem Licht sowie mit dem Bitteren und dem Süßen. Falsche Lehren werden als Wahrheit dargestellt und die Wahrheit wird als Lüge bezeichnet.
Dies ist in unseren Tagen hochaktuell. Schwule müssen heiraten können und die Ehe als solche wird als erdrückendes Joch dargestellt. Abtreibung, d. h. Mord im Mutterleib, muss möglich sein, aber die Todesstrafe – die Gott bei Mord vorschreibt (1Mo 9,6) – wird als Mord und unmenschlich abgeschafft. Es ist die törichte Umkehrung der Dinge durch den Menschen ohne Gott.
Zuerst kommt das Negative, dem sie eine positive Bedeutung zuweisen. Die Folge kann nicht anders sein, als dass sie das Positive in etwas Negatives umwandeln. Wir sehen das deutlich bei den Pharisäern, die das Wirken des Herrn Jesus durch den Heiligen Geist dem Beelzebub zuschreiben (Mk 3,22–29).
„Erkenne und sieh, dass es schlimm und bitter ist, dass du den HERRN, deinen Gott, verlässt“ (Jer 2,19), aber sie sagen, es sei gut. Sie ahmen den Teufel nach, der Eva sagte, es sei nicht böse, sondern gut, vom verbotenen Baum zu essen. Asaph sagt: „Gott zu nahen ist gut für mich“ (Ps 73,28), aber sie sagen, es sei böse. In allem widersprechen sie absichtlich den Geboten und dem offenbarten Willen des HERRN. Sie erklären nicht nur seinen Willen für ungültig, sondern sie verdrehen ihn und gehen wissentlich gegen ihn vor. Das ist eines der Kennzeichen der Endzeit (Röm 1,32).
21 Das fünfte Wehe
21 Wehe denen, die in ihren Augen weise und bei sich selbst verständig sind!
Das fünfte Wehe trifft den Stolz und die Selbstgefälligkeit derer, die in ihren eigenen Augen weise sind (vgl. Spr 3,7). Auch dies ist eine „schlechte Beere“. Jemand, der Werte umkehrt, hält sich für weise und seine eigene Meinung für klug. Jemand, der mit seiner eigenen Weisheit und seinem Intellekt prahlt, erzeugt einen unerträglichen Gestank. Diese Haltung rührt von der Einstellung her, die wir unter den beiden vorhergehenden Wehen gefunden haben. Es ist ein Versuch der Selbstrechtfertigung, der zur Verhärtung des eigenen Gewissens führt.
22 - 23 Das sechste Wehe
22 Wehe denen, die Helden sind, um Wein zu trinken, und tapfere Männer, um starkes Getränk zu mischen; 23 die den Gottlosen für ein Geschenk gerecht sprechen und die Gerechtigkeit der Gerechten ihnen entziehen!
Das sechste Wehe kommt über die Führer des Volkes. Auch sie sind völlig verdorben. Sie werden hier als die Liebhaber des Weins beschrieben, Männer, die sich damit rühmen zu wissen, wie man starkes Getränk mischt (Vers 22). Was sie tun, ist wertlos und anrüchig. Mit einem Unterton von Sarkasmus vergleicht Jesaja diese Führer mit „Helden“ und nennt sie „tapfere Männer“.
Es sind die Wichtigtuer und Prahler, Menschen, die sich leicht bestechen lassen, weil sie keinen Prinzipien haben (Vers 23). Wegen ihrer vernebelten Sichtweise haben sie keinen Blick für rechtmäßiges Handeln. Sie nehmen es nicht so genau mit dem Gesetz und verdrehen es, wenn sie davon profitieren können. Sie sind süchtig nach Macht und bereichern sich auf Kosten der Armen. Wir sehen das bei zahlreichen Herrschern durch die Jahrhunderte hindurch. Wir sehen es auch bei den falschen Hirten (Hes 34,1–6) und bei den Eigenschaften des Antichristen (Sach 11,15–17).
Das geistliche Gegenstück zu den „Helden … um Wein zu trinken“ sind Menschen, die erfüllt sind mit dem Heiligen Geist (Eph 5,18). Dies führt zu einer klaren Unterscheidung zwischen dem, was von Gott ist, und dem, was nicht von Gott ist.
24 - 30 Die ferne Nation
24 Darum, wie die Zunge des Feuers die Stoppeln verzehrt und dürres Gras in der Flamme zusammensinkt, so wird ihre Wurzel wie Moder werden und ihre Blüte auffliegen wie Staub; denn sie haben das Gesetz des HERRN der Heerscharen verworfen und das Wort des Heiligen Israels verschmäht. 25 Darum ist der Zorn des HERRN gegen sein Volk entbrannt, und er hat seine Hand gegen es ausgestreckt und es geschlagen; und die Berge erbebten, und ihre Leichname wurden wie Kehricht inmitten der Straßen. – Bei all dem wendet sich sein Zorn nicht ab, und noch ist seine Hand ausgestreckt. 26 Und er wird den fernen Nationen ein Banner erheben, und eine wird er herbeizischen vom Ende der Erde; und siehe, eilends, schnell wird sie kommen. 27 Bei ihr ist kein Müder und kein Strauchelnder, keiner schlummert oder schläft; auch ist der Gürtel ihrer Lenden nicht gelöst noch der Riemen ihrer Schuhe zerrissen. 28 Ihre Pfeile sind geschärft, und alle ihre Bogen gespannt; die Hufe ihrer Pferde sind Kieseln gleichzuachten und ihre Räder dem Wirbelwind. 29 Ihr Gebrüll ist wie das einer Löwin, sie brüllt wie die jungen Löwen; und sie knurrt und packt die Beute und bringt sie in Sicherheit, und kein Erretter ist da. 30 Und sie knurrt über ihr an jenem Tag wie das Rauschen des Meeres. Und man blickt zur Erde, und siehe, Finsternis, Drangsal; und das Licht ist verfinstert durch ihr Gewölk.
Mit einem zweifachen „darum“ in den Versen 24 und 25 folgt das unwiderrufliche Gericht Gottes. Der Weinberg (Verse 1–7) erweist sich als völlig verdorben. Es gibt nur ein Heilmittel: das totale Gericht. Das göttliche Gericht wird über all dies mit einer „Zunge des Feuers“ (Vers 24) verglichen, die alles auflecken wird, womit sie sich rühmen, als wären es „Stoppeln“ und „dürres Gras“. Im gleichen Sinn wird „ihre Wurzel wie Moder“ werden und keine Lebenskraft mehr haben, um den Obstbaum oberhalb der Erde Früchte tragen zu lassen. Infolgedessen werden „ihre Blüte“, ihre Pracht und die Verheißung der Frucht „auffliegen wie Staub“. Es wird keine Frucht entstehen und von dem, was eine Ernte zu werden schien, wird nichts übrig bleiben.
Dieses Gericht wird sie treffen, weil sie „das Gesetz des HERRN der Heerscharen verworfen und das Wort des Heiligen Israels verschmäht“ haben. Sie haben das Gesetz, das geschriebene Wort des HERRN, und die mündlichen Aussagen des Heiligen Israels durch seine Propheten mit Verachtung behandelt. Der von Jesaja regelmäßig erwähnte Titel „der Heilige Israels“ macht in besonderer Weise die enorme Distanz deutlich, die zwischen der Sünde des Menschen und der Heiligkeit Gottes besteht.
Ihre Ablehnung hat seinen Zorn entfacht (Vers 25). Weil sie Ihn verworfen haben, wird Er einen mächtigen Feind senden. Durch diesen Feind streckt Er seine Hand gegen sie aus, um sie zu züchtigen. Die dornige Hecke und die Mauern des Weinbergs werden entfernt, damit dieser Feind ungehindert kommen kann, um sie zu vernichten, wie es in Vers 5 im Lied vom Weinberg heißt.
Der Durchmarsch dieses Feindes – Assyrien, prophetisch der König des Nordens – wird die Berge erbeben lassen. Durch seine Angriffe werden die Leichname inmitten der Straßen wie Kehricht sein. Und das ist noch nicht das Ende der Gerichte. Das Volk wird noch heftiger geschlagen werden. Deshalb „wendet sich sein Zorn nicht ab, und noch ist seine Hand ausgestreckt“ (Vers 25b), ein Ausdruck, der den Fortgang des Gerichts Gottes beschreibt (Jes 9,11.16.20; 10,4).
In den Versen 26–30 folgt eine Beschreibung des Einmarsches der Assyrer. Die Beschreibung bezieht sich auch auf den Einmarsch des Königs des Nordens in der Endzeit (Dan 11,40). Der HERR gibt das Startsignal für den Vormarsch des Feindes. Er erhebt ein Banner als Zeichen für den Feind, um nach Jerusalem zu ziehen und als sein Heer gegen sein abgefallenes Volk in den Streit zu ziehen (Vers 26). Was für eine Veränderung im Vergleich zu der Zeit, als Er ihr „Banner“ war (2Mo 17,15)! So wie ein Imker seine Bienen zu sich „herbeizischt“, so wird der HERR die Armeen des Feindes herbeizischen (Jes 7,18). Sie werden mit rasender Schnelligkeit kommen.
Es ist ein unermüdliches Heer, weil es vom HERRN mit übermenschlicher Kraft ausgestattet ist (Vers 27). Sie haben kein Bedürfnis nach Schlaf oder Ruhe. Von Schlummern ist keine Rede. Materielles Versagen wird es nicht geben. Was der HERR mit seinem Volk in der Wüste tat, das tut Er hier mit dem Heer, das kraftvoll gegen sein Volk kämpft (vgl. 5Mo 8,4).
Es ist ein Heer, das vollständig für seine Aufgabe vorbereitet ist mit Soldaten, die die Waffen zum sofortigen Einsatz bereithalten (Vers 28). Sie gehen blitzschnell vor, ohne Furcht und ohne Erbarmen. Das Heer greift an wie ein Löwe, brüllt, packt seine Beute und schleppt sie weg (in die Gefangenschaft), ohne dass es eine Möglichkeit zur Flucht gibt und ohne dass ihnen jemand zu Hilfe kommen kann (Vers 29).
Der Ausdruck „an jenem Tag“ zeigt, dass sich die damals kommenden Ereignisse in der Zukunft wiederholen und dann zu einem endgültigen Ergebnis führen werden. Das „Knurren … wie das Rauschen des Meeres“ ist eine Anspielung auf die vorrückenden Heere, die das Land „wie Fluten“ in Besitz nehmen (Jes 8,7; Dan 9,26). Für das Volk Gottes wird es an jenem Tag nur „Finsternis“ und „Drangsal“ geben, ohne Aussicht auf Licht (Vers 30). „Wozu soll euch der Tag des HERRN sein? Er wird Finsternis sein und nicht Licht“ (Amos 5,18).