Einleitung
Bevor die angekündigten Gerichte (Jes 5,26–30) vollzogen werden, nimmt sich der Heilige Geist nun Zeit, Jesajas Berufung als Prophet zu beschreiben. Sie soll zeigen, dass immer ein gläubiger Überrest verschont wird, wenn der HERR im Begriff steht zu richten (vgl. Off 7,3; 9,4). Dieser Überrest demütigt sich unter die richtende Hand des HERRN und zittert vor seinem Wort (Jes 66,2b). Jesaja selbst ist ein Typus dieses gläubigen Überrestes.
1 - 4 Jesaja sieht den HERRN im Tempel
1 Im Todesjahr des Königs Ussija, da sah ich den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron, und seine Schleppen füllten den Tempel. 2 Seraphim standen über ihm; jeder von ihnen hatte sechs Flügel: Mit zweien bedeckte er sein Angesicht, und mit zweien bedeckte er seine Füße, und mit zweien flog er. 3 Und einer rief dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit! 4 Und es erbebten die Grundfesten der Schwellen von der Stimme der Rufenden, und das Haus wurde mit Rauch erfüllt.
Dieses Kapitel steht in engem Zusammenhang mit dem vorherigen Kapitel. Der traurige Zustand, der in Jesaja 5 beschrieben wird, besteht während der Regierungszeit von König Ussija. Im Jahr 739 v. Chr., dem Todesjahr dieses Königs, bekommt Jesaja eine Vision, in der er die Herrlichkeit des HERRN, des ewigen Königs, sieht. Wir sehen hier direkt den großen Gegensatz zwischen einem irdischen König und dem HERRN. Irdische Könige kommen und gehen und sterben, das heißt, es finden Thronwechsel statt, aber der HERR ist auf seinem Thron König auf immerdar.
Die ganze Szene, die Jesaja sieht, ist voll von Heiligkeit. Das bildet einen scharfen Kontrast zu dem Zustand des Volkes auf der Erde. Jesaja sieht „den Herrn [Adonai, den absoluten, souveränen Herrn] sitzen auf hohem und erhabenem Thron“ (Vers 1). Das Evangelium nach Johannes berichtet uns, dass Jesaja hier die Herrlichkeit des Herrn Jesus sieht (Joh 12,37–41). Von dieser Herrlichkeit nennt Jesaja nur die „Schleppen“ seines Gewandes. Die Schleppen, der untere Teil des Gewandes (vgl. 2Mo 28,33–34), füllen den Tempel.
Es bezieht sich auf den Herrn Jesus auf der Erde. In Ihm ist Gott sichtbar geworden, den wir seinem Wesen nach nicht sehen können, weil Er „ein unzugängliches Licht bewohnt“ (1Tim 6,16). Er hüllt sich „in Licht … wie in ein Gewand“ (Ps 104,2a) und Er füllt seine himmlische Wohnung, so wie einst die Wolke seiner Herrlichkeit die Stiftshütte füllte (2Mo 40,35). Als Mose und die Ältesten den Gott Israels sahen, konnten sie auch nur beschreiben, was unter seinen Füßen war (2Mo 24,9.10).
Dreimal ist in diesen Versen von „füllen“ und „voll“ die Rede, wobei jedes Mal das gleiche hebräische Wort male verwendet wird (Verse 1.3.4). Zweimal steht es im Zusammenhang mit dem Tempel und einmal mit der Erde. Hier sehen wir auf der einen Seite die alles überragende Souveränität Gottes. Andererseits sehen wir auch, wie Er gegenwärtig ist in allem, was von Ihm ist. Dass Er über alles erhaben ist, bedeutet nicht, dass Er in großer Entfernung davon steht. Er ist allezeit gegenwärtig sowohl in seinem Tempel als auch in seiner Schöpfung. Seine Erhabenheit über alles und seine Beteiligung an allem sind in Gottes Wort immer in vollkommener Ausgewogenheit.
Die „Seraphim“ (saraph = feurig oder brennend), die feurigen Wächter der Heiligkeit des HERRN (1Mo 3,24), wagen es nicht, diese Herrlichkeit zu sehen (Vers 2; vgl. Heb 12,29). Deshalb bedecken sie als Zeichen der Ehrfurcht ihr Gesicht mit zwei ihrer Flügel. Im Licht dieser Herrlichkeit zeigen sie außerdem die Demut ihres erhabenen Dienstes an, indem sie ihre Füße mit zwei weiteren Flügeln bedecken. Mit zwei weiteren, beweglichen Flügeln zeigen sie die ständige Bereitschaft, diesen Dienst zu verrichten.
Wir sehen auch zuerst die Flügel, mit denen sie sich bedecken, und dann die Flügel des Dienstes. Das weist darauf hin, dass der Dienst nur geschehen kann, wenn wir uns selbst vergessen, uns sozusagen bedecken. Das ist der Fall, wenn wir in der Gegenwart Gottes sind.
In ihrer Ehrfurcht vor der Heiligkeit des HERRN rufen sie sich gegenseitig dreimal „heilig“ zu (Vers 3). Das dreimalige Wiederholen von „heilig“ bedeutet ein starkes Zeugnis (vgl. zwei oder drei Zeugen) und eine Bekräftigung des Spruchs. Dreimal „heilig“ kann auch darauf hinweisen, dass die Heiligkeit des HERRN beständig ist, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sein Name war heilig, ist heilig und wird heilig sein (vgl. Off 4,8).
Die Tatsache, dass sie sich dies gegenseitig zurufen, deutet auf die völlige Einigkeit hin, die sie darüber haben. Es gibt keinen Unterschied. Im Himmel sind sich alle Bewohner des Himmels vollkommen einig über die Heiligkeit Gottes. Sie sind nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern mit seiner Herrlichkeit und Heiligkeit. Das soll auch bei uns der Fall sein (Eph 5,19).
Der Anblick dieser dreifachen Heiligkeit hat eine so gewaltige Wirkung auf Jesaja, dass sie auch seinen Dienst prägen wird. „Heilig“ bedeutet „einen gesonderten Platz in Bezug auf etwas anderes einnehmen“, und nicht nur in Bezug auf das Böse. So ist der siebte Tag „geheiligt“, d. h. von den anderen Tagen abgesetzt (1Mo 2,3). Auch gegenüber den heiligen Engeln ist der HERR heilig, d. h., Er ist an Herrlichkeit und Majestät völlig über sie erhaben.
Die Engel verkünden auch den Ratschluss Gottes in Bezug auf die Erde, nämlich dass seine Herrlichkeit die ganze Erde erfüllt (4Mo 14,21; vgl. Jes 11,9; Hab 2,14). Damit sprechen sie eine Prophezeiung aus, denn die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Die Herrlichkeit des HERRN wird weltweit gesehen und anerkannt werden, was jetzt noch nicht der Fall ist (Jer 31,34; Phil 2,11).
Das hebräische Wort für „Herrlichkeit“, kabod, wird für Gott in seiner Offenbarung an seine Geschöpfe verwendet. Das Wesen seiner Gottheit ist unergründlich, aber etwas von seiner Herrlichkeit kann man sehen, wenn es Ihm gefällt, sie zu offenbaren (2Mo 33,17–23; 34,5.6; Hes 1,28). In vollkommener Weise ist diese Herrlichkeit für die Gläubigen in dem Herrn Jesus sichtbar geworden (Joh 1,14; 1Joh 1,1–4).
Die Wirkung dieser Huldigung ist überwältigend. Es gibt Bewegung am Eingang des Tempels (Vers 4) und die Wohnstätte selbst wird erfüllt mit Rauch (2Mo 19,18) des Räucheraltars, dem Symbol der Anbetung. Es spricht von den persönlichen Herrlichkeiten des Herrn Jesus. Seine Herrlichkeit erfüllt das Haus.
Das hat auch für uns eine Bedeutung. Als der Herr Jesus starb, vollendete Er das Werk Gottes vollständig. Dadurch ist der Himmel für erlöste Sünder geöffnet, sodass sie sich Gott in der Anbetung nähern können. Der Thron Gottes ist nun „der Thron der Gnade“ (Heb 4,16) geworden. Diese ungeheure Tatsache, dass der Himmel für die Menschen geöffnet wird, wird von einem Erbeben der Erde begleitet (vgl. Mt 27,51). Wenn Gläubige in das Heiligtum eintreten, um Gott zu ehren und zu bitten, kann es ebenfalls eine so mächtige Wirkung geben (Apg 4,31).
Auch das Erfülltsein des Hauses ist etwas, das wir erleben können. Als der Geist Gottes zu den versammelten Jüngern kommt, erfüllte Er das ganze Haus (Apg 2,1.2). Das geschieht, weil sie alle dieses Ereignis von Gott erwartet haben. Sie haben sich darauf gefreut, ohne sich durch die Dinge in der Welt ablenken zu lassen. Wenn wir in diesem Geist zusammenkommen und uns auf die Offenbarung seiner Herrlichkeit freuen, können wir sie erleben. Dann werden wir, wie Maria, mit unserer Anbetung das Haus mit seinem Duft erfüllen (Joh 12,3).
5 - 7 Sündhaftigkeit und Vergebung
5 Und ich sprach: Wehe mir! Denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne ich; denn meine Augen haben den König, den HERRN der Heerscharen, gesehen. 6 Und einer der Seraphim flog zu mir; und in seiner Hand war eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar genommen hatte. 7 Und er berührte meinen Mund damit und sprach: Siehe, dies hat deine Lippen berührt; und so ist deine Ungerechtigkeit gewichen und deine Sünde gesühnt.
Während die Materie in Bewegung gerät, wenn die Herrlichkeit Gottes offenbart wird, bleiben die Herzen des Volkes hart und unbeweglich. Doch nicht das Herz Jesajas. Die Vision veranlasst ihn, vor dem HERRN niederzufallen. Der HERR ist „ein verzehrendes Feuer“ (Jes 33,14; Heb 12,29). In diesem überwältigenden Licht sieht er sich selbst als ebenso verdammungswürdig an, wie das Volk es ist.
Er beginnt zu erkennen, dass sein Schicksal nicht von einem irdischen König abhängt (Vers 1), sondern von dem HERRN, dem himmlischen König, dem dreimal heiligen Gott. Deshalb spricht er nach den sechs „Wehe“ über das Volk im vorigen Kapitel nun zum siebten Mal ein „Wehe“ aus, und zwar über sich selbst (Vers 5).
Es ist das „Wehe mir“ eines Gläubigen, der gelernt hat, sich in Gottes Gegenwart zu sehen. Es geht nicht um bestimmte Sünden, wie bei dem Volk, sondern um seine Sündhaftigkeit. Das ist ein tieferes Werk. Auch Petrus kommt in der Gegenwart des Herrn zur Überzeugung von seiner Sündhaftigkeit (Lk 5,8). Wir sehen es auch bei Abraham, der dasselbe in der Gegenwart Gottes empfindet, als er für Sodom um Lots willen Fürsprache einlegt (1Mo 18,27; vgl. Hiob 42,6). Dasselbe sehen wir bei Hesekiel, als er berufen wird (Hes 1,28), bei Johannes auf Patmos (Off 1,17) und bei Saulus auf dem Weg nach Damaskus (Apg 9,3.4), als sie dem Herrn Jesus in seiner Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht begegnen.
Bei jedem von ihnen ist der weitere Dienst durch diese Erscheinung und Begegnung geprägt. Wir bekommen diese Visionen nicht, sondern haben sie im Wort. Durch das Lesen des Wortes werden wir die gleiche Erfahrung haben. Wir werden die Herrlichkeit des Herrn mit den Augen unseres Herzens erblicken und in dieses Bild verwandelt werden, so wie sie dadurch verändert wurden. Wir werden durch das Lesen das Wort Gottes genauso überwältigt sein wie Jesaja und die anderen.
Mit dem Ausruf „wehe mir“ macht sich Jesaja eins mit dem sündigen Volk. Er fühlt sich unrein in der Gegenwart des HERRN. Er weiß sich geistlich in demselben unreinen Zustand des Aussatzes, in dem der in Vers 1 erwähnte König Ussija durch seinen Hochmut endete (2Chr 26,19–21; 3Mo 13,45). Indem Jesaja das Gericht über sich selbst anerkennt, entgeht er dem Gericht, das Gott über das ganze Volk bringen muss. Selbstverurteilung ist immer der Weg, um persönlich dem Gericht zu entgehen, mit dem Gott das Ganze treffen muss. Denn Gott ist immer bereit, Rettung zu gewähren. Jesaja hat nun Anteil an der Gewissheit der Versöhnung. Darin ist er ein Typus des gläubigen Überrestes in der Zukunft.
So sollte es auch bei uns immer sein. Je mehr wir die Merkmale des Sühnewerks Christi und die Herrlichkeiten seiner Person verstehen, desto mehr werden wir uns unserer Sündhaftigkeit bewusst werden. Je näher wir dem Herrn sind, desto größer wird unser Bewusstsein für unsere Unwürdigkeit sein. Wir werden dann auch lernen, uns mit dem Zustand zu identifizieren, in den unsere Mitgeschwister geraten sind, wenn sie durch Untreue einen sündigen Weg gehen. Wir werden lernen, ihre Sünden wie unsere eigenen zu bekennen. Esra und Daniel haben das gelernt und getan (Esra 9,1–15; Dan 9,3–23; vgl. Neh 9,16–37). Nur so können wir, wie Jesaja hier, vom Herrn berufen und zum Segen für andere gebraucht werden .
Für ein zerschlagenes Herz gibt es sofortige Gnade (vgl. Jes 57,15). Ein Seraphim bringt Jesaja in Kontakt mit dem, was auf dem Altar liegt (Vers 6). Aufgrund dessen, was der Altar darstellt – Christus, der sich Gott darbringt, was Gott die Möglichkeit gibt, Versöhnung anzubieten (2Kor 5,20.21) – wird Jesaja die Vergebung seiner Sünden zugesichert (Vers 7). Durch das Berühren seiner Lippen mit einer Kohle vom Räucheraltar wird er für seinen Dienst qualifiziert. Er kann nun hinausgehen, umgeben vom Duft des Räucheralters (vgl. 2Kor 2,14–16).
In diesem Abschnitt finden wir sowohl einen Thron als auch einen (Räucher-)Altar. Das verweist auf die Herrlichkeit des Herrn Jesus als König und Priester. In Israel ist das Königtum vom Priestertum getrennt. Als König Ussija sich anmaßt, eine priesterliche Aufgabe zu erfüllen, wird er aussätzig (2Chr 26,19). Nur der Herr Jesus kann, wie Melchisedek, sowohl König als auch Priester sein.
8 - 10 Berufung und Auftrag
8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, der sprach: Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen? Da sprach ich: Hier bin ich, sende mich. 9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Hörend hört, und versteht nicht; und sehend seht, und erkennt nicht! 10 Mache das Herz dieses Volkes fett, und mache seine Ohren schwer, und verklebe seine Augen: damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört und sein Herz nicht versteht und es nicht umkehrt und geheilt wird.
Jesaja ist nun für Gott brauchbar, um seine ernste Botschaft zu überbringen. Er hört „die Stimme des Herrn“ (Adonai, Vers 1) mit der Frage, wen Er senden wird (Vers 8). Der „Herr“, der hier zum ersten Mal spricht, ist Gott, der Heilige Geist (Apg 28,25b-27). Zugleich ist es aber auch der Herr Jesus, wie wir aus dem bereits zitierten Text aus Johannes 12 wissen (Joh 12,41). Das erklärt, warum in der ersten Frage „ich“, Singular, und in der zweiten Frage „uns“, Plural, steht. Der Plural „uns“ (vgl. 1Mo 1,26) geht davon aus, dass hier der dreieinige Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – spricht.
Die Frage ist nicht allgemein gestellt, sie ist auch nicht an mehrere Personen gerichtet, sondern vielmehr persönlich an das Herz Jesajas. Es ist klar, dass die Frage nicht an die Engel im Himmel gestellt wird. Wäre das so, hätte sich sofort die ganze himmlische Heerschar gemeldet und ausgerufen: „Sende mich, sende mich!“ Doch die Engel schweigen. Niemand außer Jesaja ist dazu berufen und auserwählt, diese Frage zu beantworten. Er ist das Gefäß, das gereinigt und damit dem Meister nützlich ist (2Tim 2,21).
Jesaja antwortet deshalb auch direkt. Er hat keine Fragen oder Einwände und sagt: „Hier bin ich, sende mich.“ Keiner von „seinen Engeln, … Täter seines Wortes, gehorsam der Stimme seines Wortes“ (Ps 103,20) kann für einen solchen Dienst zu sündigen Menschen gesandt werden. Nur ein Mensch, dessen Lippen zunächst unrein waren, aber nun gereinigt sind, kann zu einem Volk mit unreinen Lippen gesandt werden. Mit dem gleichen Ziel sind auch wir noch auf der Erde.
Es gibt nichts, was die Gemeinschaft zwischen Jesaja und dem Herrn verhindert. Wenn alles, was unserer Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus im Wege steht, beseitigt ist, können wir jede Aufgabe, die Er uns aufträgt, in seiner Kraft erfüllen. Dann wird nichts, was Er von uns verlangt, zu schwer für uns sein. Hier sehen wir die Reihenfolge:
1. zuerst die Überzeugung der eigenen Unwürdigkeit in Gottes Gegenwart, dann
2. die Reinigung und dann
3. die Aussendung in den Dienst Gottes.
Der Auftrag, den Jesaja erhält, ist in der Ausführung sehr schwer (Vers 9). Er muss zu „diesem Volk“ gehen und ihnen das Gericht der Verhärtung ankündigen. Indem der HERR das Volk „dieses Volk“ nennt – und nicht von „meinem Volk“ spricht – geht Er auf Distanz (Verse 9.10; vgl. 2Mo 32,9.21.31; 4Mo 11,11–14).
Die Botschaft der Verhärtung, die Jesaja bringen soll (Vers 10), wird später auch durch den Herrn Jesus zu dem Volk gebracht (Mt 13,10–15). Damit wird zugleich deutlich, warum dieses Gericht hinsichtlich ihrer Verhärtung tief in die Masse des Volkes eindringen wird: Nämlich weil sie den Herrn Jesus ablehnen. Diese Ablehnung zeigt sich überaus deutlich darin, dass das Wirken des Geistes in Christus dem „Beelzebul als dem Herrscher der Dämonen“, also dem Satan selbst, zugeschrieben wird (Mt 12,22–32).
Noch später wird dieser Vers von Jesaja deutlich machen, dass das Volk das Zeugnis des Heiligen Geistes durch den Mund des Apostel Paulus ablehnt (Apg 28,25–27). Damit werden sie das Gericht der Verhärtung besiegeln.
Sie haben so sehr in ihrer Sünde der Ablehnung des HERRN verharrt und sind so verhärtet in ihrer Weigerung, zu Ihm zurückzukehren, dass die Möglichkeit der Bekehrung und Heilung nun vorbei ist. Sie werden die Predigt hören, aber sie werden ihre geistliche Bedeutung nicht verstehen. Sie werden denken, dass sie sehen, sie werden sich sogar rühmen, dass sie sehend seien, aber ihre Ablehnung des Herrn Jesus wird der Beweis dafür sein, dass sie in Wahrheit blind sind und dass ihre Sünde bleibt (Joh 9,39–41).
Wer unter das Gericht der Verhärtung fällt, ist von diesem Moment an nicht mehr zugänglich für das Wort Gottes. Das Herz ist wie aus Stein geworden. Es ist tatsächlich so, dass jemand nicht mehr zu Gott kommen kann, wenn Gott ihn nicht mehr zieht (Joh 6,44). Dann hat Gott ihn sich selbst und seinen Begierden überlassen, weil er es selbst so gewollt hat (Röm 1,24.26.28). Das ist das Gericht über Israel damals und heute.
Dieses Gericht der Verhärtung ist nicht über ganz Israel gekommen, sondern über einen Teil davon (Röm 11,25). Dieser Teil aber ist die ungläubige Mehrheit des jüdischen Volkes. Seit dieser Zeit ist die Evangelisation unter orthodoxen Juden fast ergebnislos. Es gibt zwar immer wieder Juden, die zur Buße kommen, denn es gibt immer einen Überrest, auch in dieser Zeit (Röm 11,5), doch handelt es sich dabei um Ausnahmen. Die Masse des Volkes ist verhärtet.
Zu Beginn des Zionismus, im neunzehnten Jahrhundert, schien es eine nationale Wiederbelebung unter den Israeliten zu geben. Viele von ihnen kehrten in das Land zurück und einige kamen auch durch Glauben zur Umkehr. Anhand der eigenen Schriften wurde und wird erklärt, dass der Messias bereits gekommen sei. Doch die große Mehrheit derer, die in Israel wohnen, mögen den Messias Jesus überhaupt nicht, verlassen sich auf ihre eigene Kraft und folgen ihren eigenen Einsichten, um die Probleme zu bewältigen.
11 - 13 Bis …
11 Und ich sprach: Wie lange, Herr? Und er sprach: Bis die Städte verwüstet sind, ohne Bewohner, und die Häuser ohne Menschen, und das Land zur Öde verwüstet ist 12 und der HERR die Menschen weit entfernt hat und die Verlassenheit inmitten des Landes groß ist. 13 Und ist noch ein Zehntel darin, so wird es wiederum vertilgt werden, wie die Terebinthe und wie die Eiche, von denen, wenn sie gefällt sind, ein Wurzelstock bleibt; ein heiliger Same ist sein Wurzelstock.
Obwohl Jesaja willig ist und gehorchen will, spürt er das Gewicht dieser Ankündigung. Seine Reaktion zeigt auch seine Gesinnung. Er wird diese Botschaft nicht mit Freuden überbringen und fragt, wie lange diese Verblendung oder Verhärtung andauern wird (Vers 11; vgl. Sach 1,12). In der Frage „Wie lange, Herr?“ hören wir das Vertrauen, das er in den HERRN hat, dass Er sein Volk nicht für immer wegschicken wird (vgl. 2Mo 32,9–14). Darin erkennen wir den Fürsprecher.
In der Antwort des HERRN ist tatsächlich von einem „bis“ die Rede. Aber zuerst muss das Gericht seine volle Wirkung entfalten (Verse 11.12). Das dauert so lange, bis das Land zerstört und entvölkert ist. Was dann noch übrig bleibt, „ein Zehntel“, das wir in den Heimkehrern aus der babylonischen Gefangenschaft erkennen, wird wieder vernichtet (Vers 13). Dies geschah z. B. im Jahr 70 durch die Römer, die Jerusalem zerstörten und die Einwohner massakrierten. Viele flohen in den Irak, der außerhalb des Römischen Reiches lag.
Auch später flohen viele aus dem Land wegen aller möglichen Unterdrücker, darunter den islamischen. Das Land hat sich mehr und mehr entvölkert und ist auch mehr und mehr verwüstet. Der Tiefpunkt liegt um das Jahr 1800. Die Zahl der Juden im Land wird zu dieser Zeit auf nur 5000 geschätzt. Aber es hat immer einen Überrest im Land gegeben, mit dem das weltweit verstreute Volk verbunden gewesen ist.
Dann kommt die Zeit des Zionismus, mit einer ersten Welle russischer Juden, die Ende des 19. Jahrhunderts in das Land zurückkehren. Diese Rückkehr setzte sich fort. Infolgedessen sind inzwischen über drei Millionen Juden aus allen fünf Kontinenten in das Land zurückgekehrt. Doch nicht nur die Bewohner wurden im Lauf der Jahrhunderte aus dem Land vertrieben, sondern auch das Land selbst wurde durch die Jahrhunderte verwüstet und durch Verödung nahezu unbewohnbar gemacht.
In der Endzeit, der Zeit, die jetzt vor der Tür steht, werden Land und Menschen erneut zerstört werden. Wenn Israel durch die große Drangsal gegangen ist, scheint nichts mehr übrig zu sein. Doch der Überrest wird danach wieder aufblühen. Er wird „wie die Terebinthe und wie die Eiche“ sein, von der alle Äste abgeschnitten wurden und nur noch ein Wurzelstock übrig ist. Aber in dem Wurzelstock ist Leben und darum wird er aufsprossen.
Dieser Spross wird „ein heiliger Same“ sein, ein Same, der dem HERRN hingebungsvoll geweiht ist. Dies bezieht sich auf den Überrest, den der HERR für sich selbst bewahrt hat. Das entspricht dem Namen des Sohnes Jesajas, Schear-Jaschub, was bedeutet, dass ein Überrest umkehren wird, sich bekehren wird. Es ist erstaunlich, dass der HERR für den Überrest dasselbe Wort „heilig“ (qodes) verwendet, wie der Heilige Geist für den HERRN selbst in Vers 3. Damit wird die Verbindung zwischen diesem Überrest und dem HERRN stark ausgedrückt.
Mit dem „heiligen Samen“ ist vor allem der Herr Jesus gemeint, der aus einem nach Jerusalem zurückgekehrten Überrest geboren werden wird (Jes 11,1). Er ist „das Heilige, das geboren werden wird“, wie es der Engel Gabriel zu Maria sagte (Lk 1,35). Der „heilige Same“ Israel ist heilig durch seine Verbindung mit dem wahren „heiligen Samen“, welcher Christus ist.