1 - 5 Erfahrung der Wege Gottes
1 Ruf doch, ob einer da ist, der dir antwortet! Und an welchen der Heiligen willst du dich wenden? 2 Denn den Narren erwürgt der Unmut, und den Einfältigen tötet der Eifer. 3 Ich sah den Narren Wurzel schlagen, und sogleich verwünschte ich seine Wohnung. 4 Fern blieben seine Kinder vom Glück; und sie wurden im Tor zertreten, und kein Erretter war da. 5 Seine Ernte verzehrte der Hungrige, und bis aus den Dornenhecken nahm er sie weg; und nach ihrem Vermögen schnappte die Schlinge.
Eliphas ist sich seiner Ansicht über den „Fall Hiob“ sicher. Er fordert Hiob auf, jemanden als Zeugen aufzurufen, um sein (Hiobs) Recht zu bestätigen (Vers 1). In Hiob 3 erhob Hiob eine Klage gegen Gott. Diesen Vorwurf will Eliphas in diesem Kapitel widerlegen. Der Ruf ist hier nicht ein Ruf nach Hilfe, sondern ein Ruf nach Gerechtigkeit. Gibt es irgendjemand „von den Heiligen“, an den sich Hiob wenden kann, der ähnliches Leid wie er ertragen musste? Aber, wie man aus Eliphas′ Herausforderung entnehmen kann, gibt es keinen solchen Heiligen, denn so geht Gott nicht mit gottesfürchtigen Menschen um (vgl. Ps 9,11b; 37,25). Deshalb muss Hiob dieses Leiden sich selbst zuschreiben. Alles Rufen Hiobs in Hiob 3 ist vergeblich gewesen. Außerdem schwingt mit, dass alle Heiligen die gleiche Meinung darüber haben wie Eliphas und dass Hiob deshalb mit seiner Sichtweise auf sein Leiden allein ist.
Hiobs Unmut (Vers 2) gegen die göttliche Gesetzmäßigkeit – dass derjenige, der Sünde sät, Strafe erntet – ist nach Eliphas′ Ansicht mehr als sinnlos, er ist schädlich. Eliphas drückt es so aus: der Narr und der Einfältige – das ist Hiob, weil er mit Eliphas Logik nicht einverstanden ist – wird zornig und eifersüchtig. Er wehrt sich gegen das Urteil, aber diese Reaktion wird ihn schließlich umbringen und in den Tod treiben.
Ja, das alles ist kein Hirngespinst von Eliphas; er hat es mit eigenen Augen gesehen (Vers 3). Er hat gesehen, wie ein Narr Wurzeln schlug, d. h. gedieh. Wiederum argumentiert Eliphas aus seiner eigenen, reichen Erfahrung, was er gesehen und gehört hat (Hiob 4,8.12), aber nicht aus dem, was Gott ihm gezeigt und hat hören lassen, denn dafür ist er nicht offen. Den Fluch, den er unmittelbar nach seiner Beobachtung über die Wohnung des Narren ausspricht, spricht er aus, weil er vermutet, dass der Wohlstand eines Narren durch Betrug erlangt wurde. Es ist eine weitere verschleierte Anspielung auf den Wohlstand Hiobs, zu dem er angesichts des Elends, in dem er sich jetzt befindet, auf unehrliche Weise gekommen sein muss.
Aufgrund seiner Beobachtungen spielt Eliphas in Vers 4 in verdeckter Weise auf das an, was mit Hiobs Kindern geschah. Der Narr dient Gott nicht und deshalb werden auch seine Kinder leiden. Sie sind weit entfernt vom Heil wegen der Torheit ihres Vaters, der nicht mit Gott rechnet. Rettung aus einer Situation der Not kann nur bei Gott gefunden werden. Aber was willst du machen, wenn du nicht mit Gott rechnest? Auch „im Tor“, dem Ort, an dem Recht gesprochen wird, gibt es niemanden, der sie rettet, niemanden, der für sie eintritt. Statt der Erlösung werden sie zertreten.
Etwas Gefühlloseres als diese Anspielung auf die Kinder Hiobs hätte Eliphas kaum äußern können. Er sitzt einem Mann gegenüber, der seinen gesamten Besitz, seine Gesundheit und darüber hinaus alle seine Kinder verloren hat, und er weiß nichts Besseres zu sagen, als dass die Kinder eines Narren vom Unglück zermalmt wurden. Hüten wir uns vor solch beispiellosen, unsensiblen Anspielungen auf einen, der in tiefstem Elend ist.
Als nächstes spricht Eliphas vom Besitz des Narren (Vers 5). Der Narr wird sich auch nicht an seinen Besitztümern erfreuen können, denn auch diese werden ihm weggenommen werden. Hungrige Menschen werden kommen, um ihn auszuplündern und aufzufressen, was er für sich und seine Familie vorgesehen hat. Selbst wenn zwischen den Dornen etwas Essbares gewachsen ist, ist es nicht für den Narren, sondern für den Hungrigen. Der Narr wird allein zurückbleiben, ohne Kinder und ohne Besitz und Nahrung.
Die Argumentation von Eliphas ist allerdings sehr durchsichtig. Ohne den Namen Hiob zu erwähnen, ist es für den Zuhörer klar, dass er mit dem Narren Hiob meint.
6 - 11 Ermahnung an Hiob, Gott zu suchen
6 Denn nicht aus dem Staub geht Unheil hervor, und nicht sprosst Mühsal aus dem Erdboden; 7 sondern der Mensch ist zur Mühsal geboren, wie die Funken sich erheben im Flug. 8 Ich jedoch würde Gott suchen und Gott meine Sache vorlegen, 9 der Großes und Unerforschliches tut, Wunder ohne Zahl, 10 der Regen gibt auf die Fläche der Erde und Wasser sendet auf die Fläche der Flur, 11 um Niedrige in die Höhe zu setzen; und Trauernde steigen empor zum Glück.
Eliphas kehrt zu seinem Thema des allgemeinen Prinzips von Saat und Ernte zurück (Vers 6; Hiob 4,8). Was über der Erde zum Vorschein kommt, ist das Ergebnis dessen, was gesät worden ist. Kummer und Sorgen sind keine Einzelerscheinungen. Es ist kein Zufall, dass eine Person von ihnen betroffen ist. Sobald ein Mensch geboren ist, ist Mühsal sein Teil. Seine Schwierigkeiten kommen nicht aus dem Nichts. Deshalb darf Hiob nach der Theologie von Eliphas sein Leiden nicht dem Zufall oder dem Pech oder etwas Ähnlichem zuschreiben. Hiob soll nach einer negativen Ursache für seine negativen Erfahrungen suchen. Es soll, nach Eliphas′ Argumentation, eine Sünde hinter Hiobs Leiden stecken.
Eliphas sieht aber auch, dass Leiden ein Teil unserer irdischen Existenz ist. „Der Mensch ist zur Mühsal geboren“ (Vers 7). Diese Beobachtung ist richtig. Da er unter der Sünde geboren wurde, kann nichts als Mühsal sein Teil sein. Wir sündigen, weil wir Sünder sind, und wir müssen die Konsequenzen tragen (1Mo 3,17–19). Diese Folgen sind alles andere als angenehm. Wir dürfen wissen, dass der Herr Jesus gesagt hat: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben“ (Mt 11,28). Wir dürfen uns auch die Ermahnung zu Herzen nehmen, dass der Herr die züchtigt, die er liebt (Heb 12,5–11; Off 3,19).
Eliphas′ Rat an Hiob ist, Gott zu suchen und Ihm seine Situation darzulegen (Vers 8). Es ist gut, Menschen daran zu erinnern, ihre Anliegen vor Gott zu bringen, im Vertrauen darauf, dass Er am besten weiß, was richtig ist (Ps 62,9; 1Pet 5,7). Aber in diesem Fall, wo Hiob vorgeworfen wird, dass sein Leiden verborgenen Sünden geschuldet ist, ruft ein solcher Rat nur Widerstand hervor. Das hat auch damit zu tun, dass Eliphas sagt, was er selbst tun würde, wenn er Hiob wäre. Wenn er Hiob wäre, würde er von niemandem Hilfe erwarten (Vers 1) und würde seine Worte direkt an Gott richten und ihn sicher nicht anklagen.
Aber Eliphas ist nicht Hiob und schon gar nicht in Hiobs Umständen. Was weiß er schon von Hiobs enormem Verlust und tiefem Kummer und dessen großer Frage nach dem Warum? Es ist immer gefährlich zu sagen, was man tun würde, wenn man in den Schuhen des anderen stecken würde, weil man nicht weiß, wie man reagieren würde, wenn das, was dem anderen passiert ist, wirklich einem selbst passiert.
Um seinem Argument mehr Gewicht zu verleihen, beschreibt Eliphas die Größe Gottes mit den Worten von Vers 9. Gott, „der Großes und Unerforschliches tut“. Deshalb dauert es eine Ewigkeit, mehr und mehr von seiner Größe zu sehen und Ihn mehr und mehr dafür zu bewundern. Eliphas sagt dies, um Hiob zu zeigen, dass er Gottes Handeln doch nicht berechnen kann. Er soll mal am besten seinen richtigen Platz vor Ihm, dem Allmächtigen und Unergründlichen, einnehmen, indem er seine Schuld anerkennt und seine Rebellion gegen Ihn bekennt.
Wenn Eliphas selbst den wahren Worten, die er über Gott sagt, Glauben schenken würde, hätte er geschwiegen und selbst Gott gesucht. Gott ist „der Gott, der Wunder tut“ (Ps 77,15). Eliphas stellt Hiob die Größe Gottes vor Augen, damit Hiob sieht, wie groß Gott ist und wie klein er selbst ist. Eliphas sieht nicht, dass Gott damit beschäftigt ist, auch in Hiobs Leben Wunder zu wirken. Er ist blind für die Wunder Gottes in seiner Regierung, Wunder, über die wir nur staunen können. Eliphas sagt zu Hiob, dass er, Hiob, nicht versteht, wie Gott mit ihm umgeht, dass aber er, Eliphas, sehr wohl versteht, wie Gott mit Hiob umgeht.
In den Versen 10 und 11 erwähnt Eliphas einige dieser unergründlichen Dinge und Wunder, die Gottes Herrschaft und Macht zeigen. Er weist auf den Regen hin, den Gott gibt (Vers 10). Gott schickt Regen und Wasser zum Segen. Wir betrachten Regen oft als etwas Gewöhnliches, aber wenn wir genau betrachten, wie er zustande kommt und was er bewirkt, sehen wir, dass er ein großes Werk der Macht und Güte Gottes ist (Mt 5,45; Apg 14,17). Es ist ein Werk in der Natur zum Wohl der Erde und der Felder.
So wirkt Gott in der menschlichen Welt. Er kümmert sich um die Niedrigen oder Niedergebeugten und Traurigen (Vers 11). Den Niedrigen gibt Er einen hohen Platz (Lk 1,52b). Er hat auch einen besonderen Platz für die Trauernden. Er bringt sie „empor zum Glück“. Wenn Hiob diese Haltung gegenüber Gott einnähme, würde er erleben, was Eliphas ihm erzählt.
12 - 16 Gottes Triumph über das Böse
12 Der zunichtemacht die Pläne der Listigen, und ihre Hände führen das Ausgeklügelte nicht aus, 13 der die Weisen fängt in ihrer List; und der Rat der Verdrehten überstürzt sich. 14 Am Tag stoßen sie auf Finsternis, und am Mittag tappen sie umher wie bei Nacht. 15 Und er rettet vom Schwert [und] von ihrem Mund und aus der Hand des Starken den Armen. 16 So wird dem Geringen Hoffnung, und die Ungerechtigkeit verschließt ihren Mund.
Die Wahrheit der Verse 12 und 13 wird von Paulus besonders hervorgehoben. In der Tat zitiert er diese Verse im ersten Brief an die Korinther (1Kor 3,19). Der Apostel will damit den Korinthern ihr fleischliches Vertrauen auf menschliche Weisheit nehmen. Was Eliphas sagt, ist sicher richtig, auch wenn Gott sicher nicht immer alle Pläne aller schlauen Menschen durchkreuzt. Auf jeden Fall ist es falsch, diese Wahrheit auf Hiob und seine Umstände anzuwenden. Hiob hatte keine schlauen Pläne; deshalb konnten sie von Gott nicht vereitelt werden (Vers 12; vgl. Neh 4,15; Esra 7,1–10). Gott fängt zwar tatsächlich die Weisen in ihrer eigenen List, aber Hiob ist kein verschlagener Mann, dessen Rat Gott misslingen ließ (Vers 13).
Nicht Eliphas′ Verstand mit seinen menschlichen Schlussfolgerungen weiß die Wahrheit richtig anzuwenden, sondern ein Herz, das die Wahrheit liebt und in Gemeinschaft mit Gott lebt. Letzteres fehlt Eliphas. Hiob befindet sich zwar am helllichten Tag in der Finsternis (Vers 14), aber nicht aus Gründen, die Eliphas unterstellt. Hiob tappt in der Nacht herum und sieht keinen Weg für seinen Fuß, aber das liegt nicht daran, dass er sich von Gott abgewandt hat.
Im Gegensatz zu den Verdrehten hilft Gott den Armen. Wenn Hiob nur den Platz eines armen Menschen einnehmen würde, würde Gott ihn von denen befreien, die ihn mit ihren Worten und falschen Anschuldigungen verletzen und die Macht über ihn ausüben (Vers 15). Auch hier ist Eliphas sich nicht bewusst, dass er selbst so jemand ist. Diejenigen, die sich auf Gottes Seite stellen, so Eliphas weiter, haben Hoffnung, denn ihnen gehört der Sieg über das Böse (Vers 16). Was Eliphas hier nicht ahnt, ist, dass Hiob dies tatsächlich erleben wird, wenn er sich am Ende des Buches an Gott wendet.
17 - 27 Der Gebrauch von Züchtigung
17 Siehe, glückselig der Mensch, den Gott straft! So verwirf denn nicht die Züchtigung des Allmächtigen. 18 Denn er bereitet Schmerz und verbindet, er zerschlägt, und seine Hände heilen. 19 In sechs Bedrängnissen wird er dich retten, und in sieben wird dich kein Unglück antasten. 20 In Hungersnot erlöst er dich vom Tod und im Kampf von der Gewalt des Schwertes. 21 Vor der Geißel der Zunge wirst du geborgen sein, und du wirst dich nicht fürchten vor der Verwüstung, wenn sie kommt. 22 Über Verwüstung und Hunger wirst du lachen, und vor den Tieren der Erde wirst du dich nicht fürchten; 23 denn dein Bund wird mit den Steinen des Feldes sein, und die Tiere des Feldes werden Frieden mit dir haben. 24 Und du wirst erfahren, dass dein Zelt in Frieden ist, und überschaust du deine Wohnung, so wirst du nichts vermissen; 25 und du wirst erfahren, dass deine Nachkommen zahlreich sein werden und deine Sprösslinge wie das Kraut der Erde. 26 Du wirst in Rüstigkeit in das Grab kommen, wie der Garbenhaufen eingebracht wird zu seiner Zeit. 27 Siehe, dies haben wir erforscht, so ist es; höre es, und du, merke es dir!
Im Schlussteil dieser ersten Rede von Eliphas erhalten wir wieder in schöner Sprache wunderbare Unterweisung über Gott und sein Handeln mit dem Menschen. Nur wird sie von Eliphas falsch angewendet, weil er sie auf die falsche Person anwendet.
Eliphas spricht davon, dass Gott den Menschen straft und züchtigt – damit meint er Hiob. Dennoch nennt er diesen Menschen „glückselig“ (Vers 17; Ps 94,12). Was er hier sagen will, ist, dass die Züchtigung oder Bestrafung so wichtige Vorteile hat, dass wir uns ihr unterwerfen sollten, ohne uns darüber zu beschweren. Was Eliphas entgeht, ist, dass Gott jemanden züchtigen kann, ohne dies notwendigerweise als Ausdruck seines Unmuts über diese Person zu tun. Züchtigung weist auf das Vorhandensein einer Beziehung hin. Gott will diese Beziehung durch Züchtigung verbessern (Hiob 12,5.6.10; Spr 3,11.12).
Eliphas sieht die Züchtigung durch Gott als Beweis dafür, dass es etwas Sündiges in Hiobs Leben gibt. Er fordert Hiob auf, auf diese Strafe zu hören und sie nicht abzulehnen, sondern auf sie zu reagieren. Hiob muss wissen, dass die Schmerzen und Wunden, die er hat, ihm vom Allmächtigen zugefügt wurden (Vers 18). Sie kommen von Ihm. Hiob darf auch wissen, dass derselbe Allmächtige zu verbinden vermag und dass seine Hände heilen. Die Rettung wird von derselben Hand kommen, die auch schlägt (vgl. Hos 6,1).
Zum ersten Mal spricht Eliphas Hiob nicht in verschleiernden Begriffen an, sondern spricht ihn direkt mit „dich“ an. Wir können die „sechs Bedrängnisse“ (Vers 19), die Hiob quälten, wie folgt anwenden: drei an seinem Besitz, das vierte an seinen Kindern, das fünfte an seiner Gesundheit, das sechste an seiner Frau. Es gibt eine siebte Bedrängnis. Diese erkennen wir in seinen Freunden. Wie bei den sechs vorhergehenden Plagen müssen wir auch hier erkennen, dass das Kommen der Freunde von Gott angeordnet wurde. Ihr Beitrag zu Hiobs Leiden müssen wir als von Gott kommend ansehen. Gott hat auch seine Absicht mit ihren Handlungen in seiner Erziehung von Hiob. Er will sie dazu gebrauchen, dass Hiob durch sie sich selbst erkennt.
Vielleicht können wir auch Folgendes über diese Zahlen sagen. Sechs ist die Zahl der Mühsal des Menschen, sieben ist die Zahl der Vollkommenheit. Das führt zu dem Gedanken, dass auf die Mühsal des Menschen die Ruhe bei Gott folgt.
Eliphas stellt Hiob weitere Segnungen in Aussicht, die ihm zuteil werden, wenn er die Strafe des Allmächtigen annimmt. Zum Beispiel wird Gott ihn dann nicht den Hungertod sterben lassen, sondern ihn davon erlösen (Vers 20). Er wird auch nicht getötet, wenn ein Krieg gegen ihn geführt wird. Wenn er auf Gott vertraut, wird Gott ihn in Zeiten von Hungersnot und Krieg beschützen.
Gott wird auch dafür sorgen, dass sein Ruf nicht durch lästerliche Verleumdungen von bösen Zungen befleckt wird (Vers 21). Er wird dies tun, indem Er dafür sorgt, dass die Wahrheit die Lügen und Verleumdungen entlarvt. Er wird auch keine Angst vor einer drohenden Verwüstung haben müssen, wie er sie jetzt erlebt hat. Wenn eine solche Verwüstung kommt, wird er sicher und glücklich sein. Er wird über sie sogar lachen (Vers 22), was bedeutet, dass er sie nicht ernst nehmen wird, weil sie keine Bedrohung für ihn darstellen.
Das Gleiche gilt für die wilden Tiere, mit denen immer gerechnet werden muss. Er braucht nicht zu befürchten, dass diese Tiere ihn angreifen werden. Sie werden auch keine Schäden an seiner Ernte verursachen.
Es wird keine Steine auf seinem Land geben, die seinen Weg unpassierbar machen oder den Weizen am Aufgehen hindern (Vers 23; 2Kön 3,19; Jes 5,2; 62,10). Er wird in Frieden mit den wilden Tieren leben. Eine solche Harmonie zwischen Mensch und Tier wird im Friedensreich eine Realität sein (Jes 11,6–9). Alle Elemente der Natur, die gegen den Menschen sein können, werden dann mit dem Gerechten zusammenarbeiten.
Auch in seiner Wohnung wird Frieden herrschen (Vers 24). Wenn er unterwegs ist, muss er sich keine Sorgen darüber machen, was zu Hause passiert. Die Pflege seines Hauses und alles, was geschieht, alles hat er perfekt geregelt. Gott wird sich darum kümmern für jemanden, der auf Ihn vertraut. Das Gleiche gilt für seine Nachkommen (Vers 25). Sie werden zahlreich und wohlhabend sein (Ps 128,1.3).
Schließlich weist Eliphas auf das lange Leben hin, das das Teil dessen ist, der auf Gott vertraut (Vers 26). Er wird alt werden und nicht mitten im Leben durch eine Krankheit oder einen durch Sünde verursachten Unfall vorzeitig aus dem Leben gerissen werden. Er wird erst dann aus dem Leben genommen, wenn er es vollständig genossen hat und die Frucht der Gerechtigkeit in seinem Leben gereift ist. Eliphas vergleicht es mit einem „Garbenhaufen“, der erst eingebracht wird, wenn das Getreide reif ist. Weizen wird nicht geschnitten, solange er noch grün ist, sondern erst, wenn er goldgelb ist.
Von dem ganzen Bild, das Eliphas skizziert, ist bei Hiob nichts zu erkennen. Es muss also etwas mit ihm nicht in Ordnung sein. Deshalb schließt Eliphas seine erste Rede an Hiob ab, indem er noch einmal nachdrücklich auf die Nachforschungen hinweist, die er und seine Freunde über Ursache und Wirkung der Sünde angestellt haben (Vers 27). Wieder hören wir, dass er sich auf seine Beobachtung stützt: Sie haben es „erforscht“. Das Ergebnis seiner Untersuchung und das seiner Freunde lässt keinen Raum für Diskussionen, denn „so ist es“. Es ist die Entschiedenheit von jemandem, der sagt: „Ich habe die Wahrheit, und ich allein.“
Eliphas ähnelt hier jemandem, der einmal wegen einer sehr ungesunden Auslegung der Heiligen Schrift angesprochen wurde. Die Antwort dieser Person war: „Wir haben viel Zeit in diese Auslegung gesteckt und sie sicherlich nicht auf die leichte Schulter genommen.“ Eine solche Antwort erstickt jede Kritik. Es bedeutet, dass du von ihrer Forschung beeindruckt sein musst und dass du aufgrund dessen das Ergebnis, die Auslegung, annehmen musst. Ein solches Vorgehen ist natürlich verwerflich. Jemand, der eine solche Haltung einnimmt, disqualifiziert sich selbst als zuverlässiger Ausleger der Schrift.
Eliphas sagt etwas Ähnliches zu Hiob. Hiob möge weise genug sein, die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu akzeptieren und davon zu profitieren. Dagegen vorzugehen ist natürlich sehr dumm. Das hieße nämlich, ihre „gediegene“ Recherche achtlos beiseitezuschieben. Das wäre sehr widerspenstig. Es ist das Beruhigende: „Einfach auf uns hören und alles wird gut.“ Ein solches Reagieren auf die Notlage, in der sich jemand befindet, nennen wir heute „Manipulieren“. Hiob lässt sich jedoch nicht manipulieren, wie die beiden folgenden Kapitel zeigen.
Die Haltung von Eliphas und seinen Freunden am Anfang kann ein Vorbild für uns sein. Sie halten zunächst eine Schweigezeit von sieben Tagen ein, also eine ganze Woche. Aber als sie zu sprechen beginnen, sehen wir, dass Hiobs persönliches Leid gegen eine hohe Mauer des Unverständnisses stößt. Eliphas kommt mit harter Kritik (Hiob 4,1–11), mit wasserdichten theologischen Argumenten (Hiob 4,17; 5,7), mit persönlicher Erfahrung – einer Vision, die er zu Unrecht Gott zuschreibt (Hiob 4,12–21). Er spricht mit einer solchen Überzeugung von seiner eigenen Richtigkeit, dass er Hiob herausfordert, sich einfach selbst an Gott zu wenden; dann wird er von Gott dasselbe hören, was er von ihm gehört hat (Hiob 5,8). Schließlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erklärt Eliphas in seinem Hochmut als Allwissender – als ob er selbst Gott wäre – sein eigenes Recht, indem er sagt: „So ist es“ (Vers 27).