Einleitung
Man könnte meinen, dass die Freunde durch Hiobs letzte Rede ihren Irrtum nun eingesehen haben. Sie wollen es vielleicht nicht gleich zugeben, aber vielleicht werden sie jetzt wenigstens dazu schweigen. Aber nein. Eliphas richtet sich noch einmal auf und antwortet Hiob in einer dritten Antwortrede. Und wie! Er wirft alle Vorsicht über Bord. Er löst die Bremse und beschuldigt Hiob ohne jede Zurückhaltung der schlimmsten Sünden. Die Anschuldigungen sind nicht mehr in seinen Worten versteckt, es sind keine Andeutungen oder Unterstellungen mehr. Unerbittlich benennt er die Verbrechen, die Hiob seines Erachtens getan hat.
Er macht keinen Versuch, Hiobs Argumente zu widerlegen (Hiob 21). In seiner Argumentation hämmert er weiter auf dem Gesagten „Du bist selbst schuld“ als Beweis für die Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit von Gottes Vergeltung. Seine Freundschaft zu Hiob zeigt sich seiner Meinung nach darin, dass er am Ende seiner Auseinandersetzung erneut versucht, ihn zur Umkehr zu bewegen (Verse 21–30).
1 - 5 Die Größe von Hiobs Sünden
1 Und Eliphas, der Temaniter, antwortete und sprach:
2 Kann ein Mann Gott Nutzen bringen? Vielmehr nützt der Einsichtige sich selbst.
3 Ist es dem Allmächtigen von Vorteil, wenn du gerecht bist, oder ist es ihm ein Gewinn, wenn du deine Wege vollkommen machst?
4 Ist es wegen deiner Gottesfurcht, dass er dich straft, mit dir ins Gericht geht?
5 Sind nicht deine Bosheiten groß und deine Ungerechtigkeiten ohne Ende?
Eliphas ergreift erneut das Wort, um Hiob zu antworten (Vers 1). Zunächst stellt er eine Reihe von rhetorischen Fragen. Er beginnt mit der Frage nach dem Verhältnis eines „Mannes“ – damit meint er Hiob – zu Gott (Vers 2). Eliphas fragt, ob ein Mann für Gott „Nutzen“ bringe, weil Hiob auf seine Gerechtigkeit pocht. Als ob er Gott damit einen Gefallen täte. Gleichzeitig beklagt er sich über sein Elend. Die Frage enthält die Antwort. Hiob ist mit all seiner Gerechtigkeit für Gott nicht von Nutzen. Er sollte nicht denken, dass Gott ihn braucht. Als ob Gott gezwungen wäre, ihn für seine angebliche Gerechtigkeit zu ehren, anstatt ihn zu bestrafen, indem Er Unheil über ihn bringt.
Wenn Hiob sich überhaupt für einsichtig hält, dann nur zu seinem eigenen Vorteil. Gott ist nicht von ihm abhängig und hat Hiobs Einsicht nicht nötig. Gott braucht niemanden, keinen Menschen. Das Gegenteil ist der Fall, der Mensch braucht Gott. Hiob fügt der Freude des Allmächtigen nichts hinzu, indem er behauptet, er sei gerecht (Vers 3). Er sollte diesen Anspruch auf seine Rechtschaffenheit besser fallen lassen. Es nützt auch Gott nichts, wenn er seine Wege „vollkommen“ macht und alles immer besser macht, um Gott dadurch einen Gefallen zu tun.
Eliphas vermittelt nur einen kalten Eindruck von Gott, als ob Er sich nicht für uns interessieren würde. Wenn wir uns daran erinnern, was Gott in Hiob 1 und 2 über seinen Diener Hiob sagt, wird deutlich, wie schlecht Eliphas Gott kennt. Hiob war durch sein Handeln und sein Verhalten eine Freude für Gott (vgl. Apg 10,35). Obwohl das, was ein Mensch tut, Gott an sich nichts nützt, hat Er doch Freude an der Rechtschaffenheit. Das Zeugnis des Geistes über Hiob in den ersten Kapiteln dieses Buches zeigt, dass Hiob Gott nicht diente, weil er dachte, er würde Gott nützen oder weil Gott davon profitierte. Hiob fürchtete und diente Gott, weil Er Gott ist. Gott weiß das sehr zu schätzen.
Mit dem nötigen Sarkasmus in der Stimme fragt Eliphas Hiob, ob Gott ihn vielleicht für seine Gottesfurcht bestraft und mit ihm „ins Gericht geht“ (Vers 4). Natürlich strengt Gott einen Rechtsstreit gegen Hiob an, weil er Ihm so treu dient. In seiner ersten Rede sah Eliphas Hiobs Gottesfurcht noch als etwas an, das in ihm vorhanden war (Hiob 4,6), aber jetzt glaubt er das nicht mehr. Mit seiner sarkastischen Redeweise will er Hiob vom Gegenteil überzeugen. Hiob muss doch wohl klar sein, dass Gott einen Menschen nicht bestraft, wenn er Ihn fürchtet, sondern wenn er gegen Ihn sündigt.
Und dann beginnt Eliphas. Er beschuldigt Hiob offen der „Bosheit“ und „Ungerechtigkeit“ (Vers 5). Mit „deinen“ Bosheiten und „deiner“ Ungerechtigkeit wird Hiob direkt angesprochen. Er lässt auch keinen Zweifel daran, dass es um mehr geht als um ein bisschen Bosheit und eine gelegentliche Ungerechtigkeit. Es geht um nichts Geringeres als „große“ Bosheit und Ungerechtigkeit „ohne Ende“. Um sein Argument zu untermauern, übertreibt Eliphas nun.
Obwohl Eliphas keine Beweise dafür hat, wirft er Hiob diese überwältigenden Anschuldigungen vor die Füße. Er schert sich nicht darum, dass man sich erstmal selbst prüfen muss, bevor man so etwas sagen kann. Daran mangelt es ihm, ebenso wie seinen Freunden (Mt 7,1–5). Was er tut, ist keine Fußwaschung (Joh 13,3–6). Hiob hat es gewagt, sich ihrem ach so bedeutenden Aufruf zur Umkehr zu widersetzen. Er hat dies in Begriffen über Gott getan, die äußerst unpassend sind, ihrer Meinung nach. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass Hiob völlig falsch liegt. Das ist alles, was sie brauchen. Hiob ist schuldig.
6 - 11 Die direkte Anklage
6 Denn du pfändetest deinen Bruder ohne Ursache, und den Nackten zogst du die Kleider aus; 7 dem Lechzenden gabst du kein Wasser zu trinken, und dem Hungrigen verweigertest du das Brot. 8 Und dem Mann der Gewalt, ihm gehörte das Land, und der Angesehene wohnte darin. 9 Die Witwen schicktest du leer fort, und die Arme der Waisen wurden zermalmt. 10 Darum sind Schlingen rings um dich her, und ein plötzlicher Schrecken macht dich bestürzt. 11 Oder siehst du nicht die Finsternis und die Wasserflut, die dich bedeckt?
Eliphas fährt fort, Beispiele für Hiobs Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit zu nennen. Er erhebt die übelsten Anschuldigungen, die jeder Grundlage entbehren. Beweise oder Zeugen gibt es nicht. Das geht weit über Verdächtigungen hinaus – und wie schnell werden wir dessen schuldig. Eliphas beschuldigt Hiob der sozialen Ungerechtigkeit. Hiob mag denken, dass er in Gottes Gunst steht und rein ist, aber wie kann er das sein, wenn er seinem Nächsten Unrecht getan hat? Deshalb bringt Gott diese Katastrophen über ihn, sagt Eliphas, der sich keine andere Erklärung für das Leid vorstellen kann.
Wenn jemand Unglück in seinem Geschäft hat, Krankheit in seiner Familie, einen geliebten Menschen verliert, dann ist eine Schlussfolgerung schnell gezogen. Wie grausam ist das! Es widerspricht auch dem klaren Hinweis, dass ein Fall nur auf der Grundlage von zwei oder drei Zeugen festgestellt werden kann (2Kor 13,1). Später wird Hiob all diese Anschuldigungen mit Nachdruck zurückweisen und widerlegen (Hiob 31).
Eliphas leitet aus der Situation, in der sich Hiob befindet, die Verbrechen ab, derer sich Hiob zweifellos schuldig gemacht hat. Er begründet dies mit dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Gott bestraft Hiob mit denselben Dingen, deren er sich schuldig gemacht hat. Hiob ist nun ohne jeden Besitz und ohne Kleidung. Das bedeutet, dass er von anderen Besitz genommen und den Nackten die Kleidung weggenommen haben muss (Vers 6).
Eliphas scheut sich nicht, die Situation so zu beschreiben, als wäre er selbst Augenzeuge gewesen. Hiob lieh seinen Brüdern, seinen Familienmitgliedern, Geld und nahm ein Pfand. Als sie nicht zurückzahlten, was sie sich geliehen hatten, zog er sie bis auf den nackten Leib aus (2Mo 22,26; 5Mo 24,6.17). Er schildert Hiobs Handeln als das von jemandem, der skrupellos die Schwachen ausraubt, selbst wenn es sich um seine Familie handelt.
Laut Eliphas hat Hiob die Menschen nicht nur bestohlen, ihnen etwas weggenommen, sondern ihnen auch nicht gegeben, was sie brauchten (Vers 7). Er hat den Müden, die Erfrischung brauchten, kein Wasser gegeben. Er hat den Hungrigen kein Brot gegeben. Dies zeigt seine kriminelle, herzlose Haltung gegenüber den Bedürftigen. Deshalb wird er nun selbst von Durst und Hunger gequält.
Ja, er hat anderen schon auch mal etwas gegeben (Vers 8). Aber er tat dies aus demselben Eigeninteresse heraus, das ihn dazu veranlasste, einigen nichts zu geben. Hiob gab Land an einen „Mann der Gewalt“. Dies war zu seinem eigenen Vorteil. Die angesehene Person, die dort lebte, würde den großzügigen Hiob sicherlich belohnen, indem sie ihren Einfluss für ihn nutzte, wenn er etwas brauchte. Du darfst nicht denken, dass Hiob die Mildtätigkeit kannte. Er gehörte zu den Menschen, von denen es heißt, dass sie denen, die an Macht oder Ansehen über ihnen stehen, schmeicheln, und andere verachten, die machtlos und ohne Ansehen sind.
Zu diesen machtlosen, unbedeutenden Menschen gehören auch die Witwen und Waisen (Vers 9). Ihnen gilt die besondere Fürsorge Gottes. Er ist der „Vater der Waisen und der Richter der Witwen“ (Ps 68,6a). Hiob kümmerte sich nicht darum. Wenn eine Witwe zu ihm kam und ihn um einen Gefallen bat, schickte er sie mit leeren Händen weg. Mit den Waisenkindern ging er noch unbarmherziger um. Er zerschlug „die Arme der Waisen“, was bedeutet, dass er den Waisen alles wegnahm, was sie besaßen und was ihnen im Leben noch etwas Halt gab. Wie unbarmherzig!
Deshalb darf sich Hiob nicht wundern, dass um ihn herum „Schlingen“ sind, dass er ein Gefangener der Folgen seiner Sünden ist (Vers 10). Und zwar eben darum, wegen all der schrecklichen Sünden, die er begangen hat. Deshalb macht „ein plötzlicher Schrecken“ ihn „bestürzt“. Damit bezieht sich Eliphas auf die schrecklichen Katastrophen, die Hiob heimgesucht haben und durch die Gott ihm alles genommen hat.
Oder ist Hiob blind für den Grund der Dunkelheit, in der er sich befindet (Vers 11)? Das kann doch wohl nicht wahr sein? Es ist sonnenklar, dass er aufgrund seiner Sünden dieses Leiden über sich selbst gebracht hat. Die „Wasserflut“, die ihn bedeckt, spricht von den Sorgen und Schmerzen, die ihn überschwemmt haben. Wenn Hiob nur nicht denken würde, dass all dies ohne Grund geschehen ist. Natürlich ist dies ein Aufruf Gottes an ihn, seine Sünden zu bekennen.
12 - 14 Bei Gott ist alles bekannt
12 Ist Gott nicht so hoch wie die Himmel? Sieh doch den Gipfel der Sterne, wie erhaben sie sind! 13 Und du sprichst: Was sollte Gott wissen? Kann er richten durch Wolkendunkel hindurch? 14 Die Wolken sind ihm eine Hülle, dass er nicht sieht, und er durchwandelt den Kreis des Himmels.
Hiob muss doch wissen, dass Gott weit über die Menschen erhaben ist (Vers 12). Er sollte „doch den Gipfel der Sterne“ betrachten, das höchste Wahrnehmbare in der Schöpfung, „wie erhaben sie sind“. Nun, auch darüber ist Gott unendlich weit erhaben. Was bildet sich Hiob also ein, dass er gegen Ihn das Wort ergreift und so tut, als sei er unschuldig?
Anstatt sich vor dieser höchsten Majestät zu verneigen und sie in den Strafen, die sie über ihn verhängt, anzuerkennen, wagt Hiob, Gott Unwissenheit zu unterstellen. Gott ist so hoch erhaben, dass Er sich – so sagt Hiob laut Eliphas – hinter dunklen Wolken verbirgt. Er kümmert sich nicht um die Erde und das, was auf ihr geschieht (Verse 13.14). Und wenn Er nicht sehen kann oder will, was auf der Erde geschieht, bestraft Er offensichtlich das Böse nicht. Daher können Gottes Gerichte nicht über Hiob gekommen sein, weil er gesündigt hätte.
Eliphas legt Hiob Aussagen in den Mund, die Hiob nicht gemacht hat. Er maßt sich an zu wissen, was Hiob über Gott denkt und schreibt ihm Gedanken zu, die bei Hiob nicht vorhanden sind. Eliphas zieht einfach seine eigenen Schlüsse aus dem, was Hiob über das Leiden der Gottesfürchtigen und den Wohlstand der Gottlosen sagte (Hiob 21,1–16). Das macht ihm klar, dass Hiob Gott als einen ansieht, der sich nicht in das Tun der Menschen einmischt. Er, der Theologe Eliphas, weiß es aber besser. Natürlich mischt sich Gott in das ein, was Menschen tun. Für ihn ist Hiob ein Paradebeispiel.
Was Eliphas hier Hiob unterstellt, ist sehr absurd. Es zeigt, zu welch törichten Ansichten ein Mensch über einen anderen Menschen gelangen kann, wenn er unverdrossen darauf beharrt, die Dinge von seinem eigenen theologischen Standpunkt aus zu sehen. Dann werden den Menschen Dinge in den Mund gelegt, die sie nie gesagt und nie gemeint haben. Worte werden aus dem Zusammenhang gerissen und daraus wird eine Schlussfolgerung gezogen, die in das Denken der eigenen Theologie passt. Diese Theologie ist der Maßstab, an dem man den anderen misst.
Egal, was die andere Person sagt oder tut, um ihr das Gegenteil zu beweisen, sie hat immer Unrecht. Das Eingeständnis, dass der andere Recht hat, bedeutet das Ende des eigenen Rechthabens. Und das ist nicht möglich, denn dieses Recht beruht auf solider theologischer Forschung. Kürzlich stand in einem Bericht über eine theologische Debatte ein Satz, der die Kritik an einer bestimmten theologischen Auffassung parierte: „Ihre Kritik betrifft die Ergebnisse von hundert Jahren exegetischer Forschung“ (RD 1-11-2014, S. 15). Das ist eine so typische schlechte Reaktion auf eine Frage nach dem, was die Schrift sagt. Die Erkenntnisse von Menschen in welchem Bereich auch immer können niemals das Ende aller Widersprüche sein. Dies gilt insbesondere für die Erforschung der Heiligen Schrift. Auf diese Weise wird Hiob von Eliphas und seinen Freunden angegangen.
Unsere Erfahrungen, unsere Traditionen oder unsere Entdeckungen dürfen nicht der Maßstab sein, an dem wir unsere Beobachtungen messen. Das muss immer das Wort Gottes allein sein. Bei Eliphas und seinen Freunden diktiert der Mensch die Interpretation der Handlungen Gottes. Jeder von uns muss offen sein für die Möglichkeit, dass wir in denselben Fehler verfallen wie Hiobs Freunde. Wir beurteilen andere nach dem, was wir von Gott wissen. Aber wir können nur dann richtig urteilen, wenn wir in einer lebendigen Beziehung zu Gott leben. Dann werden wir uns nicht mit unserer Gotteserkenntnis brüsten, sondern demütig sein. In dieser Haltung können wir alle Dinge durch den Heiligen Geist und Gottes Wort beurteilen (1Kor 2,15).
15 - 18 Der Weg der Gottlosen
15 Willst du den Pfad der Vorzeit einhalten, den die Frevler betraten, 16 die weggerafft wurden vor der Zeit? Wie ein Strom zerfloss ihr fester Grund – 17 die zu Gott sprachen: Weiche von uns! Und was könnte der Allmächtige für uns tun? 18 Und [doch] hatte er ihre Häuser mit Wohlstand gefüllt. – Aber der Rat der Gottlosen sei fern von mir!
Eliphas wirft Hiob vor, hartnäckig auf dem Weg der „Frevler“ zu bleiben (Vers 15). Er unterstreicht nochmal dick und fett seine Sicht, dass böse Menschen wegen ihrer Sünden leiden. Hiob leidet, also muss er sich auf dem Weg der Sünder befinden. Es ist der uralte Pfad „der Vorzeit“, den alle bösen Menschen gegangen sind. Hiob ist da keine Ausnahme. Auch er ist diesen Gottlosen gefolgt.
Wann wird Hiob diesen Weg denn nun endlich verlassen? Dämmert es ihm nicht so langsam, dass alle Bösen ausgerottet sind (Vers 16)? Wir können an die Tage Noahs und die Sintflut denken. Da wurde ihr „fester Grund“, und natürlich auch das, was sie darauf gebaut hatten, von einem mächtigen Strom weggespült. „Die weggerafft wurden vor der Zeit“ bedeutet, dass sie nicht alt wurden, sondern einen vorzeitigen Tod starben. Hat Hiob noch immer nicht erkannt, dass dies auch bei ihm der Fall ist?
Was Hiob über die Gottlosen gesagt hat, dass sie zu Gott sagen: „Weiche von uns“ (Hiob 21,14), wendet Eliphas nun gegen Hiob an, weil er meint, Hiob sei einer von ihnen (Vers 17). Hiob ist jemand, der nichts mit Gott zu tun haben will. Das zeigt sich schon allein daran, dass er sich nicht der Zucht beugt, die Gott über ihn bringt. Er will nicht akzeptieren, dass Gott ihn für seine Sünden bestraft. Ein Gott, der auf diese Weise mit ihm umgeht, kann ihm nichts bedeuten und nichts für ihn tun.
Eliphas weist Hiob darauf hin, dass Gott die Häuser der Gottlosen „mit Wohlstand gefüllt“ hatte (Vers 18). Das hatte Gott auch mit Hiobs Haus gemacht. Weil die Gottlosen Ihn nicht in ihr Leben ließen, oder nur in dem Maße wie sie es wollten, musste Er ihnen alles wegnehmen. Und dann zitiert Eliphas erneut ein Wort, das Hiob gesprochen hatte: „Aber der Rat der Gottlosen sei fern von mir“ (vgl. Hiob 21,16). Es scheint, dass er Hiob das unter die Nase reibt, um ihm die Absurdität des Ganzen vor Augen zu führen. Wie kann Hiob sagen, er habe keinen Anteil an den Absichten der Gottlosen, wenn er doch so eindeutig einer von ihnen ist?
19 - 20 Ihr gerechtes Gericht
19 Die Gerechten sehen es und freuen sich, und der Schuldlose verspottet sie: 20 Sind nicht unsere Gegner vertilgt, und hat nicht Feuer ihren Überrest gefressen?
Wenn das Gericht über die Gottlosen kommt, sehen es die wahrhaft Gerechten und freuen sich (Vers 19; Ps 58,11.12). Der Schuldose verspottet die Gottlosen als sie gerichtet werden. Durch das Gericht wird das Hindernis für den Segen weggenommen. Jetzt zeigt Eliphas mit dem Finger auf Hiob inmitten seines schrecklichen Leidens. Er stellt Hiob als einen Widersacher der Gerechten dar, der vernichtet wird, während sein ganzer Besitz vom Feuer verzehrt wird (Vers 20).
21 - 25 Letzter Aufruf zur Umkehr
21 Verkehre doch freundlich mit ihm und halte Frieden; dadurch wird Gutes über dich kommen. 22 Empfange doch Belehrung aus seinem Mund, und nimm dir seine Worte zu Herzen. 23 Wenn du zu dem Allmächtigen umkehrst, so wirst du wieder aufgebaut werden, wenn du Unrecht aus deinen Zelten entfernst. 24 Und lege das Golderz in den Staub und [das Gold von] Ophir unter den Kies der Bäche, 25 so wird der Allmächtige dein Golderz und dein glänzendes Silber sein.
Nach seinen groben Anschuldigungen fordert Eliphas Hiob zur Umkehr auf, verbunden mit Segensversprechen (Verse 21–30). In den Ermahnungen hören wir jedoch immer noch denselben Vorwurf, dass er sich gegen Gott auflehnt. Hiob bleibt für ihn ein schlechter Mensch. Aber, so verspricht er Hiob, wenn er seinen Widerstand aufgibt und sich Gott unterwirft, wird er reich gesegnet werden.
Unabhängig von dem Kontext, in dem diese Worte gesprochen wurden, können wir sie auf unser persönliches Glaubensleben anwenden. Sie enthalten wertvolle Ermahnungen und motivierende Segnungen für uns. Der Ausgangspunkt ist die Aufforderung, uns Gott zu unterwerfen und uns Ihm nicht zu widersetzen. Das Ergebnis ist, dass wir reiche Segnungen empfangen werden. Hören wir also genau auf diese an sich wunderschöne Botschaft und nehmen wir sie uns zu Herzen und setzen sie in unserem Leben um.
Eliphas beginnt damit, dass er Hiob auffordert, freundlich und friedlich mit Gott zu verkehren (Vers 21). Wenn Hiob sich einfach dem Umgang Gottes mit ihm unterwirft, wird er wieder einen vertraulichen Umgang mit Gott haben und dadurch Frieden erfahren. Auch das Gute – im materiellen und geistlichen Sinn – wird über ihn kommen. Aus dem Munde von Eliphas ist es ein kalter Ruf an jemanden, der mit Gott ringt und damit noch nicht fertig ist. Eliphas interpretiert diesen Kampf mit Gott als Widerstand gegen Gott. Deshalb, so Eliphas, kamen all diese Katastrophen über Hiob.
Das Wort von Eliphas ist wichtig, nicht um es anderen vorzuhalten, sondern uns selbst. Freundlich und friedlich mit Gott zu verkehren bedeutet, sich durch einen täglichen Umgang mit Ihm an Ihn zu gewöhnen. Dann sind wir nicht bestürzt, wenn die Dinge anders laufen, als wir dachten, sondern wir akzeptieren, dass Er unser Bestes im Sinn hat, auch wenn wir nicht immer verstehen können, warum Er so mit uns umgeht. Es hat damit zu tun, dass wir Gott kennen, mit seiner Art zu handeln.
Das Ergebnis ist, dass wir Frieden in unserem Herzen haben. Es gibt keinen Frieden, wenn wir uns auf Kriegsfuß mit Gott befinden. Wenn wir uns an Ihn, an seine Art zu handeln, gewöhnt haben, kehrt Frieden in unser Leben ein. Dieser Frieden ist eine Wohltat für unseren Verstand, unser Denken, für unser Gewissen, für unseren Körper. Solange wir Ihn kritisieren und Ihm vorschreiben wollen, wie Er zu handeln hat, kennen wir diesen Frieden nicht.
Hiob muss sich öffnen, um Belehrungen aus dem Mund Gottes zu empfangen, was auch immer der Inhalt dieser Belehrungen sein mag (Vers 22). Die Worte, die er aus dem Mund Gottes hört, muss er dann in sein Herz aufnehmen. Das bedeutet, sich die Wahrheit Gottes zu eigen zu machen und sie nicht zu vergessen. Dies ist auch für uns ein wichtiges Wort. Sind wir offen für die Belehrung aus Gottes Wort und wollen wir sie in unser Herz aufnehmen? Nur dann kann sie unsere innersten Gefühle und alle unsere Handlungen bestimmen, denn aus dem Herzen „sind die Ausgänge des Lebens“ (Spr 4,23).
Eliphas geht immer noch davon aus, dass Hiob ein unbußfertiger Sünder ist. Deshalb muss er zunächst zu dem Allmächtigen umkehren (Vers 23). Dann kann alles, was zerbrochen wurde, wieder „aufgebaut“ werden. Er wird dann wieder gesund werden, in Wohlstand leben und ein glückliches Familienleben genießen. Er kann die Aufrichtigkeit seiner Bekehrung zeigen, indem er das Unrecht von seinem Zelt entfernt. Wenn er nur die Sünde aus seinem Leben verbannen würde, stünde ihm der Weg zur Wiederherstellung offen.
Eliphas rät Hiob, das Golderz „im Staub“ zu lassen, ja, das Gold von Ophir (vgl. 1Kön 9,28) unter den Kieseln der Flussbetten (Vers 24). Das bedeutet, dass Hiob von nun an nicht mehr auf seinen Reichtum vertrauen soll, sondern allein auf Gott. Dann wird Gott, der Allmächtige, sein Gold und sein Silberschatz sein, ja, Er wird sein wahrer Schatz sein (Vers 25).
Auch wir dürfen die Schätze suchen, „droben … wo der Christus ist“ (Kol 3,1), „in dem verborgen sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol 2,3).
26 - 30 Vorstellung einer herrlichen Zukunft
26 Denn dann wirst du dich an dem Allmächtigen ergötzen und zu Gott dein Angesicht erheben. 27 Du wirst zu ihm beten, und er wird dich erhören; und deine Gelübde wirst du bezahlen. 28 Beschließt du eine Sache, so wird sie zustande kommen, und Licht wird über deinen Wegen strahlen. 29 Wenn sie abwärts gehen, so wirst du sagen: Empor! Und den, der die Augen niederschlägt, wird er retten. 30 [Sogar] den Nicht-Schuldlosen wird er befreien; er wird befreit werden durch die Reinheit deiner Hände.
Eliphas stellt Hiob wunderbare Dinge in Aussicht, wenn er nur erkennen würde, dass seine Ankläger Recht haben und ihrem Rat folgen würde. Er würde dann nicht mehr über Gott klagen, sondern sich über den Allmächtigen freuen (Vers 26). Das gesenkte Haupt als Zeichen der Schuld (Lk 18,13) wird er dann zu Gott erheben, um Ihm wieder direkt ins Gesicht zu schauen.
Für uns besteht die Ermutigung darin, dass wir, wenn Christus alles für uns ist, Gemeinschaft mit Ihm haben. Diese Gemeinschaft macht Freude (1Joh 1,1–4). Wir wissen dann, dass wir von dem allmächtigen Gott, der unser Vater ist, vollkommen angenommen sind und fühlen uns in seiner Gegenwart zu Hause, gerade auch wenn es in unserem Leben Schwierigkeiten gibt (Röm 5,1–3).
Wenn Hiobs Beziehung zu Gott wieder in Ordnung ist, wird er wieder in der Lage sein, sich Gott im inbrünstigen Gebet zu nähern (Vers 27), was laut Eliphas jetzt nicht der Fall ist. Diese Gebete werden dann von Gott erhört, denn sie kommen aus dem Mund eines Gerechten mit einem aufrichtigen Herzen. Er wird auch in der Lage sein, die Gelübde zu erfüllen, die er während seiner Gebete abgelegt hat. Als Folge davon gibt Gott ihm den Segen, für den er Gelübde getan hat.
Es gehört zu den Segnungen eines Lebens in Gemeinschaft mit Gott, dass wir Ihm alles sagen können, was uns auf dem Herzen liegt (1Joh 3,21.22). Wir können sicher sein, dass Er uns hört und zu seiner Zeit und auf seine Weise antwortet. Das Ablegen von Gelübden ist nicht Teil der Beziehung des neutestamentlichen Gläubigen zu Gott. Ein Gelübde bedeutet, dass wir etwas für Gott tun oder unterlassen wollen, in der Absicht, dass Er uns dann das gibt, worum wir Ihn bitten. Das passt nicht zu uns, die wir Gott als Vater kennen und Ihm vollkommen vertrauen, dass Er weiß, was gut für uns ist.
Eliphas verheißt Hiob auch den Segen des Gedeihens in seiner Tätigkeit (Vers 28). Wenn er etwas beschließt und unternimmt, steht ein Scheitern außer Frage. Was immer er sich vornimmt, wird gelingen (Spr 16,3). Auf allen seinen Wegen wird das Licht leuchten und nicht die tiefe Finsternis, die jetzt herrscht. Dann wird nichts mehr unsicher oder dunkel sein. Er wird seinen Weg mit Freude und Wohlergehen fortsetzen, denn er wird im Licht der Gunst Gottes wandeln.
Wir dürfen wissen, dass wir im Licht wandeln, wie Gott im Licht ist (1Joh 1,7). Wir sind „Licht in dem Herrn“ (Eph 5,8a). Unsere Aufgabe oder Verantwortung besteht darin, uns dem Licht gemäß zu verhalten und als „Kinder des Lichts“ zu wandeln (Eph 5,8b).
Wenn Hiob die Gemeinschaft mit Gott wiedererlangt hat, kann er auch ein Segen und eine Hilfe für andere sein, sagt Eliphas ihm. Er kann anderen mit den Erfahrungen, die er gemacht hat, helfen. Er kann jemanden ermutigen, der gedemütigt wurde, der am Boden ist, aufzustehen (Vers 29). Er hilft anderen, wieder auf die Beine zu kommen. Gott wird sich ihm anschließen. Er wird diejenigen retten, die ihre Augen im Elend niedergeschlagen haben und es nicht wagen, aus ihrem Elend zu Ihm aufzuschauen.
Alle bitteren Erfahrungen oder Rückschläge im Leben machen uns fähig, andere zu verstehen und ihnen zu helfen. Das ist zumindest eine der Absichten Gottes in den Katastrophen, die uns heimsuchen. Gott will nicht, dass wir am Leiden zerbrechen, sondern dass wir mit Ihm hindurchgehen und geläutert daraus hervorgehen. Mit der Erfahrung, die wir gesammelt haben, können wir anderen dienen, die ähnliche Situationen durchmachen müssen (2Kor 1,3.4).
Hiob wird sogar in der Lage sein, Menschen zu befreien, die nicht unschuldig sind, sagt Eliphas voraus (Vers 30). Dieser Gedanke ist eine Gesetzmäßigkeit. Jemand, der zu Gott zurückgekehrt ist und von ihm als sein Freund angesehen wird, kann für andere beten und sie so von der Strafe befreien, die sie verdienen.
Was Eliphas hier sagt, wird Hiob ironischerweise für ihn und seine Freunde tun! Tatsächlich wird Hiob durch die Reinheit seiner Hände – denn er hat nicht gesündigt – den nicht unschuldigen Eliphas und seine Freunde vom Zorn Gottes befreien, indem er für sie betet (Hiob 42,8.9). Hiob ist ein gerechter Mann, dessen kraftvolles Gebet viel bewirkt (Jak 5,16b).