Einleitung
Die drei Freunde trugen jeweils ihre Ansichten vor, und Hiob antwortete nach jeder Rede. Sie sind jedoch noch nicht fertig mit dem Gespräch. Eliphas, Bildad und Zophar beginnen in diesem Kapitel ihre zweite Gesprächsrunde. Sie halten hartnäckig und mit mehr Nachdruck als in der ersten Runde an ihrer starren Auffassung fest. Am Ende ihrer Argumentation fügen sie ihre Klischees über das schreckliche Schicksal hinzu, das die Gottlosen immer heimsucht. Damit streuen sie Salz in Hiobs Wunden, denn er weiß, dass sie in ihm den Inbegriff des Gottlosen sehen, der vom gerechten Gott bestraft wird. Wie in der ersten Gesprächsrunde antwortet Hiob auf jeden der Freunde.
1 - 6 Hiob wird von seinem eigenen Mund verdammt
1 Und Eliphas, der Temaniter, antwortete und sprach:
2 Wird ein Weiser windige Erkenntnis antworten, und wird er sein Inneres füllen mit Ostwind,
3 streitend mit Reden, die nichts taugen, und mit Worten, womit er nicht nützt?
4 Ja, du vernichtest die Gottesfurcht und schmälerst die Andacht vor Gott.
5 Denn deine Ungerechtigkeit belehrt deinen Mund, und du wählst die Sprache der Listigen.
6 Dein Mund verdammt dich, und nicht ich; und deine Lippen zeugen gegen dich.
In dieser zweiten, kürzeren Gesprächsrunde sprechen die drei Freunde in der gleichen Reihenfolge. Eliphas beginnt erneut. Er war bisher der vorsichtigste und auch der würdevollste der drei. Er antwortet auf Hiobs Verteidigung mit den Worten Zophars (Vers 1). In seiner ersten Rede an Hiob sprach er in einem relativ freundlichen Ton. In dieser zweiten Rede ändert sich sein Ton. Er hat mit zunehmender Empörung die Reaktionen Hiobs auf die Sichtweisen von ihnen, seinen Freunden, gehört. Aus dem schwelenden Feuer der Empörung entspringt in diesem Kapitel eine große Feuerflamme. Er weist Hiob in scharfem Ton zurecht. Von seiner ursprünglichen Besonnenheit und Würde ist kaum noch etwas zu spüren.
Hiob spricht nicht wie ein weiser Mann (Hiob 12,3; 13,2), wie er etwas sarkastisch in einer rhetorischen Frage (Vers 2) feststellt. Dies wird aus seinen Antworten deutlich. Das Wissen, das er darin zum Ausdruck bringt, ist nichts als wechselhafter, flüchtiger Wind, der keinerlei Sicherheit gibt. Das ist nur heiße Luft. Nein, es ist noch schlimmer, es ist wie ein „Ostwind“. Der Ostwind ist ein trockener und verdorrender Wind, der die Ernte vernichten kann. Das füllt seinen Bauch nicht wirklich. Damit meint er, dass es keine Nahrung gibt, nichts, was seine Unschuldsbehauptungen stützt. Im Gegenteil, es ist destruktiv und schädlich für seine eigenen Argumente.
Hiob mag seine Freunde zwar bestrafen wollen, aber seine Worte taugen nichts, sie nützen nichts (Vers 3). Seine starken Aussagen, die Erklärungen, die er zu machen glaubt, nützen ihm nichts. Eliphas verwendet das übliche Argument in Diskussionen, die man nicht gewinnen kann. Wenn man einen anderen nicht überzeugen kann, weil er ein gutes Gegenargument hat, bezeichnet man die Worte des anderen einfach als heiße Luft.
In den Augen von Eliphas ist Hiob sogar noch provokanter. Hiobs Worte und Aussagen sind nicht nur sinnlos, sondern haben eine verheerende Wirkung auf die Gottesfurcht eines Menschen und auf sein Gebet zu Gott (Vers 4). Aus dem, was Hiob sagt, geht hervor, dass er keine Gottesfurcht mehr hat. Er widersetzt sich Gott, indem er sich an seine Unschuld klammert, obwohl er erkennen sollte, dass Gott ihn wegen seiner Sünden ins Unglück stürzt. Mit einer solchen Haltung nimmt Hiob sein Gebet vor Gottes Angesicht weg, das heißt, er macht es kraftlos. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass Gott sein Gebet erhört.
Aus allem, was Hiob gesagt hat, geht klar hervor, dass Gott nicht auf ihn hören kann. Seine eigenen Worte machen alles klar (Vers 5). Hört euch die Ungerechtigkeit an, die aus seinem Mund kommt. Welch unerhörte Aussagen über Gott! Zudem hat Hiob „die Sprache des Listigen gewählt“. In seiner ersten Rede hatte Eliphas ganz allgemein von „den Listigen“ gesprochen. Jetzt beschuldigt er Hiob direkt, einer von ihnen zu sein. Diese nicht sehr schöne Einschätzung beinhaltet den Vorwurf der Heuchelei. Hiob spricht lügnerisch.
Es ist nicht nötig, dass jemand gegen Hiob aussagt, denn alles, was aus seinem eigenen Mund kommt, beweist, dass er schuldig ist (Vers 6). Hierin sehen wir eine Parallele zu dem, was dem Herrn Jesus gesagt wurde (Mt 26,65). Wenn Hiob sich nicht schuldig fühlen würde, würde er nicht solche Worte sprechen, sagt Eliphas. Eliphas vergisst, dass auch wirklich unschuldige Menschen ihre Unschuld verteidigen wollen. Dafür ist er aufgrund seiner kurzsichtigen Sichtweise von Gott und seinem Handeln mit den Menschen blind. Zusammen mit seinen Freunden hämmert er ständig auf denselben Amboss: Hiob leidet enorm, also hat er enorm gesündigt; Hiob sagt, er sei unschuldig, also ist er ein Heuchler, denn natürlich ist er schuldig (vgl. Hiob 9,20). Von seinen früheren Versuchen, Hiob zu trösten, bleibt nichts übrig.
7 - 13 Ist Hiob besser oder weiser als andere?
7 Bist du als Erster zum Menschen gezeugt und vor den Hügeln du geboren? 8 Hast du im Rat Gottes zugehört und die Weisheit an dich gerissen? 9 Was weißt du, das wir nicht wüssten, [was] verstehst du, das uns nicht bekannt wäre? 10 Unter uns sind auch Alte, auch Greise, reicher an Tagen als dein Vater. 11 Sind dir zu wenig die Tröstungen Gottes, und ein sanftes Wort an dich [zu gering]? 12 Was reißt dein Herz dich hin, und was zwinkern deine Augen, 13 dass du gegen Gott dein Schnauben kehrst und Reden hervorkommen lässt aus deinem Mund?
Eliphas stellt Hiob eine Reihe von Fragen. Alles sind rhetorische Fragen. Die Fragen enthalten heftige Anschuldigungen. Sie sollen Hiob klarmachen, dass er arrogant ist. Er muss erkennen, dass er behauptet ein großer Mann zu sein und viel Wissen zu besitzen, was aber nicht der Fall ist.
Eliphas stellt die rhetorische Frage, ob Hiob „der erste Mensch“ ist, der „geboren“ wurde, und ob er „vor den Hügeln geboren wurde“ (Vers 7). Damit unterstreicht Eliphas seine Behauptung, dass das Alter die Quelle der Weisheit ist. Er glaubt auch, Hiobs Behauptung, er besitze Weisheit, widerlegt zu haben. Eliphas geht davon aus, dass Weisheit vom Alter abhängt: je älter, desto weiser. Er wirft Hiob vor, dass er so tut, als sei er um ein Vielfaches älter und damit weiser als Eliphas.
Denkt Hiob vielleicht, dass er vor den Hügeln geboren wurde? Hügel verweisen auch auf die Schöpfung und stehen für Stabilität (vgl. Ps 90,2; Spr 8,25; 1Mo 49,26). Natürlich ist Hiob nicht der erste Mensch, der geboren wurde, und natürlich wurde er nicht vor den Hügeln geboren, aber Hiob spricht so, als wäre er es gewesen, laut Eliphas. Eliphas betont das „Du“ und unterstreicht damit die Vehemenz seiner Argumentation. Die Zurückhaltung seiner ersten Rede ist völlig verschwunden.
Dann fragt Eliphas Hiob, ob er an einer vor den Menschen verborgenen Ratssitzung Gottes teilgenommen habe (Vers 8). Dort muss er die Weisheit erlangt haben, die er jetzt zu besitzen vorgibt. Diese Weisheit hat er an sich gerissen und besitzt sie allein, während sie für alle anderen verborgen bleibt. Diese absurde Darstellung der Art und Weise, wie Hiob seine Weisheit erlangt haben soll, dient auch dazu, Hiob von seiner Arroganz zu befreien.
Hiob bildet sich viel ein, aber er irrt sich gewaltig, wenn er glaubt, er wisse mehr als seine Freunde. Glaubt Hiob wirklich, dass er etwas weiß, was sie nicht wissen (Vers 9)? Diese Anmaßung von Hiob ist völlig inakzeptabel. Es scheint, dass Eliphas in seinem Stolz gekränkt ist. Wir können seine Selbstgefälligkeit hören. Glaubt Hiob wirklich, dass er die Situation besser versteht als sie? Er soll bloß nicht denken, dass es ihnen an Verständnis fehlt.
Bei ihnen sind „Alte und Greise“ (Vers 10). Wahrscheinlich meint Eliphas sich selbst. Nach Eliphas′ Ansicht haben die Älteren definitiv die Weisheit auf ihrer Seite. Hiob mag die Illusion haben, dass er Weisheit besitzt, aber bei ihnen ist jemand, der noch älter ist als Hiobs Vater. Was kann Hiob dagegen noch sagen? Er sollte aufhören, so zu tun, als hätte er allein Weisheit. Das kann er gegen die Schwergewichte, die Eliphas anführt, doch sowieso nicht aufrechterhalten. Was Eliphas vergisst, ist, dass er sich auf menschliche Weisheit beruft und nicht auf die Weisheit Gottes. Ein Mensch bleibt ein Mensch, egal wie alt er ist.
In Vers 11 bezeichnet Eliphas den Dienst der Freunde als „Trost von Gott“ für Hiob. Es ist nicht nur ein Trost, der von Gott kommt, sondern es bedeutet auch, dass es gewaltige und große Tröstungen sind. Diese großen Tröstungen wären dann die Segnungen, auf die sie hinwiesen und die Hiobs zuteil werden würden, wenn er seine Sünden bekennen würde. Es erfordert schon sehr viel Fantasie, um aus solchen Anschuldigungen, wie sie von den Freunden erhoben werden, Trost zu schöpfen. Eliphas wagt es auch, die scharfe, anklagende Sprache, die sie gegen Hiob verwenden, als „sanfte“ Worte zu bezeichnen.
Laut Eliphas steht es gar nicht gut um Hiobs Herz (Vers 12). Es steckt viel Zorn gegen Gott und Rebellion gegen Ihn darin, was ihn dazu bringt, sich dermaßen hinreißen zu lassen. Seine Augen zeigen es. Sie flackern vor Zorn. Hiob unterwirft sich Gott nicht, sondern sein Geist wendet sich gegen Gott (Vers 13). Das zeigt sich in den Worten, die er aus seinem Mund kommen lässt. Damit sagt Eliphas, dass Hiob die Worte, die er ausstößt, absichtlich spricht. Die Tatsache, dass ein zutiefst gequälter Mann spricht, der seine Emotionen nicht immer unter Kontrolle hat, ist für Eliphas kein Thema.
14 - 16 Die Heiligkeit Gottes
14 Was ist der Mensch, dass er rein sein sollte, und der von einer Frau Geborene, dass er gerecht wäre? 15 Siehe, auf seine Heiligen vertraut er nicht, und die Himmel sind nicht rein in seinen Augen, 16 wie viel weniger der Abscheuliche und Verderbte, der Mann, der Unrecht trinkt wie Wasser!
In seiner ersten Rede hatte Eliphas bereits über die Heiligkeit Gottes gesprochen (Hiob 4,17–19). Hier tut er dies erneut und fasst seine erste Rede in wenigen Worten zusammen. Er will Hiob davon überzeugen, dass seine Berufung auf seine Unschuld unbegründet ist. Es gibt nämlich keinen Menschen, der vor Gott rein ist (Vers 14). Kein Mensch, der jemals von einer Frau geboren wurde, ist gerecht. Damit erzählt er Hiob nichts Neues. Das hat Hiob selbst schon gesagt (Hiob 14,4). Es scheint, dass Eliphas Hiob nicht aufmerksam zugehört hat.
Er wendet alles nur auf Hiob an und vergisst, dass er selbst auch ein Mensch ist. Er urteilt, vergisst aber, sich selbst zu beurteilen (vgl. Röm 2,1). Er täte gut daran, seinen Platz neben Hiob einzunehmen, wie es Elihu später tut (Hiob 33,6). Wie Hiob ist er ein Mensch und von einer Frau geboren und daher vor Gott ebenso wenig rein und gerecht wie Hiob.
Gott, so Eliphas, vertraut nicht einmal auf „seinen Heiligen“, also den Engeln (Vers 15). „Er vertraut nicht auf“ hat hier die Bedeutung von „nicht darauf bauen“. Nicht nur die Erde mit ihren Menschen, sondern auch der Himmel mit seinen himmlischen Wesen ist in den Augen Gottes nicht rein (vgl. Hiob 25,4.5). Sie alle sind seine Geschöpfe, und als Schöpfer hat er es nicht nötig, auf seine Geschöpfe zu bauen, ihnen zu vertrauen. Das klingt beeindruckend, aber welche Beweise hat Eliphas für seine Behauptungen? Dass Gott keinem Geschöpf vertraut, gehört zu seinem Wesen. Er ist der vollkommene Unabhängige, der alles in sich selbst findet. Alles außerhalb von Ihm muss auf Ihn vertrauen.
Wenn Gott nicht vertraut auf diejenigen, die Ihm so nahe sind, und seine Wohnung, der Himmel, in seinen Augen nicht einmal rein ist, wie sollte Er dann einen Mann wie Hiob betrachten? Es kann nicht anders sein als „Abscheuliche und Verderbte“ (Vers 16; vgl. Hiob 25,6). Eliphas stellt Hiob hier als jemanden dar, den Gott verabscheut, als jemanden, den Er als verdorben ansieht. Der Grund für Gottes Abscheu, so erklärt Eliphas, liegt darin, dass Hiob jemand ist, „der Unrecht trinkt wie Wasser“ (vgl. Hiob 34,7; Spr 19,28). Sein ganzes Leben war so, und es ist immer noch so. Hiobs Leben war von Anfang an bis heute von Unrecht durchtränkt. Das ist der Grund, warum er in dieses Elend hineingeraten ist und warum er immer noch darin steckt.
17 - 24 Die Erfahrung des Gottlosen
17 Ich will es dir berichten, höre mir zu; und was ich gesehen habe, will ich erzählen, 18 was die Weisen verkündigt und nicht verhehlt haben von ihren Vätern her – 19 ihnen allein war das Land übergeben, und kein Fremder zog durch ihre Mitte –: 20 Alle seine Tage wird der Gottlose gequält, und eine [kleine] Zahl von Jahren ist dem Gewalttätigen aufgespart. 21 Die Stimme von Schrecknissen ist in seinen Ohren, im Frieden kommt der Verwüster über ihn; 22 er glaubt nicht an eine Rückkehr aus der Finsternis, und er ist ausersehen für das Schwert. 23 Er schweift umher nach Brot – wo [ist es]? Er weiß, dass neben ihm ein Tag der Finsternis bereitet ist. 24 Angst und Bedrängnis schrecken ihn, sie überwältigen ihn wie ein König, gerüstet zum Sturm.
Selbstbewusst verweist Eliphas auf seine Autorität, Hiob zu belehren (Vers 17). So wie Hiob seine Freunde aufforderte, ihm zuzuhören (Hiob 13,6.17), so fordert Eliphas nun Hiob auf, ihm zuzuhören. Hiob kann die Beobachtungen, die er, Eliphas, mit seinen eigenen Augen gemacht hat, nicht ignorieren. In seiner ersten Rede hat er bereits mit seiner Beobachtung argumentiert (Hiob 4,8.12–16). Seine Beobachtungen stehen im Einklang mit der Tradition, mit dem, was die Weisen offenbart haben und was den Vätern überliefert wurde (Vers 18). Er hat dies zur Kenntnis genommen und es als Wahrheit angenommen. Dies Letztere ist der Kern seiner zweiten Rede.
Eliphas schöpft seine Weisheit aus rein menschlichen Quellen. Damit glaubt er, Hiob überzeugen zu können. Doch bei all seinem Wissen, das er durch Beobachtung und Überlieferung erlangt hat, kennt Eliphas weder Gott noch sein eigenes Herz und schon gar nicht den Grund für das Leid, das Hiob erfährt.
In Vers 19 könnte es sich um Teman handeln, das Land, aus dem Eliphas stammte und das für seine Weisheit bekannt war (Jer 49,7; Obad 1,8.9). Auf jeden Fall ist es ein Land, in dem weise Männer lebten, die nirgendwo sonst zu finden waren. Dieses Land war ihnen geschenkt worden. Das hat sie nicht demütig gemacht, sondern sie haben sich mit ihrer Weisheit gebrüstet. Dass kein Fremder durch ihre Mitte ging, könnte bedeuten, dass niemand ihre Weisheit mit falschen Ideen beeinflussen konnte. Es war eine unvermischte, reine Weisheit. Eliphas prahlt hier ungeniert mit der Weisheit, die er bei anderen und vor allem bei sich selbst beobachtet hat.
Nach seiner ausführlichen Einleitung kommt Eliphas in Vers 20 zum Inhalt seiner zweiten Rede. In den Versen 20–24 wendet er seine erworbene Weisheit auf einen Gottlosen an. Ein gottloser Mensch, sagt Eliphas, kränkt sich jeden Tag selbst (Vers 20). Hiob leidet jeden Tag, aber er tut es sich selbst an, weil er gottlos ist. Der Gewalttäter lebt nur „eine kleine Zahl von Jahren“. Hiob muss dies berücksichtigen, wenn er in seiner Rebellion gegen Gott verharrt.
Eliphas spricht in allgemeinen Worten, aber die Anwendung auf Hiob ist eindeutig und offensichtlich. Er erkennt nicht, dass das, was er sagt, nicht für alle Sünder gilt. So wissen wir zum Beispiel von dem gottlosen und sehr gewalttätigen König Manasse, dass er nicht weniger als fünfundfünfzig Jahre regierte (2Chr 33,1; vgl. Ps 73,3).
Vers 21 ist auch eine klare Anspielung auf Hiob, denn Hiob drückte sein Leiden in seiner ersten Klage mit diesen Worten aus (Hiob 3,25.26). Er sagte dies in der Not seiner Seele, auf den Trümmern eines zerstörten Lebens sitzend. Es ist offensichtlich, dass Eliphas für diese Ausdrucksformen des Schmerzes nicht empfänglich war. Diese Worte verwendet er nun gegen Hiob.
Ein gottloser Bösewicht kann in der Tat in Reichtum und Überfluss leben, während ihn das kleinste unbekannte Geräusch, das er hört, zu Tode erschreckt. Wer ein schlechtes Gewissen hat, hat keine Ruhe. Er lebt in ständiger Angst und hat nie das Gefühl, dass er in Sicherheit ist. Selbst wenn es ihm gut zu gehen scheint, kommt der Zerstörer zu ihm.
Die ausweglose Situation, in der er sich dann befindet, ist nicht umkehrbar (Vers 22). Auch erwartet er keine Veränderung. Er wird die Dunkelheit, in der er sich befindet, nicht verlassen. Das Schicksal hat zugeschlagen und er hat keine andere Wahl, als es zu akzeptieren, egal wie sehr er sich dagegen wehrt. Er ist ständig von der Gefahr eines plötzlichen gewaltsamen Todes bedroht.
Wegen all des Unglücks, das ihm widerfahren ist, ist er auch zum Betteln gezwungen (Vers 23). Er versucht, sein Leben zu verlängern, indem er überall nach Brot sucht, aber er weiß nicht, wo er es finden kann. Die Situation ist hoffnungslos. Was ihn erwartet, weiß er, ist „ein Tag der Finsternis“. Der Tag der Finsternis ist für ihn greifbar. Es ist wirklich alles seine eigene Schuld.
Frieden und Wohlstand sind „Bedrängnis und Angst“ gewichen (Vers 24). Sie kommen über ihn, ohne dass er sich dagegen wehren kann. Er möchte es, aber er kann es nicht. Er wird von ihr nach einem vorher festgelegten Plan überwältigt. Die Schrecken, die ihn überwältigt haben, sind wie ein König, der gut vorbereitet in den Krieg zieht. Hiob kann sich nicht wehren und wird besiegt.
25 - 35 Die Vergeltung
25 Weil er seine Hand gegen Gott ausgestreckt hat und gegen den Allmächtigen trotzte, 26 gegen ihn anrannte mit gerecktem Hals, mit den dichten Buckeln seiner Schilde; 27 weil er sein Angesicht bedeckt hat mit seinem Fett und Speck angesetzt hat an den Lenden – 28 und er bewohnte zerstörte Städte, Häuser, die nicht bewohnt werden sollten, die zu Steinhaufen bestimmt waren –, 29 [so] wird er nicht reich werden, und sein Vermögen wird keinen Bestand haben; und nicht neigt sich zur Erde, was solche besitzen. 30 Er entweicht nicht der Finsternis; seine Schösslinge versengt die Flamme; und er muss weichen durch den Hauch seines Mundes. 31 Er verlasse sich nicht auf Nichtiges, er wird getäuscht; denn Nichtiges wird seine Vergeltung sein. 32 Noch ist sein Tag nicht da, so erfüllt es sich; und sein Palmzweig wird nicht grün. 33 Wie der Weinstock stößt er seine unreifen Früchte ab, und wie der Olivenbaum wirft er seine Blüte ab. 34 Denn der Hausstand des Ruchlosen ist unfruchtbar, und Feuer frisst die Zelte der Bestechung. 35 Sie sind schwanger mit Mühsal und gebären Unheil, und ihr Inneres bereitet Trug.
Eliphas argumentiert, dass das Leiden, das er in den vorangegangenen Versen beschrieben hat, über den Gottlosen kommt, weil er in der Rebellion seine Hand „gegen Gott ausgestreckt hat und gegen den Allmächtigen trotzte“ (Vers 25). Er spricht immer noch in allgemeinen Worten, aber Hiob wird sich direkt angesprochen fühlen. Wer sonst als Hiob ballt seine Faust gegen Gott und erhebt sich in Rebellion gegen Ihn?
Die ganze Beschreibung wird dem, wer Hiob wirklich ist und was er durchmacht, nicht gerecht. Es zeugt von wenig Einfühlungsvermögen, so über und mit einem gerechten Mann wie Hiob zu sprechen, der schwer zu leiden hat. Es sollte uns bewusst machen, wie hart wir mit jemandem umgehen können, der leidet. Dieses Urteil wird umso härter, je weniger sich der Leidende in unserem Urteil wiedererkennt und sich sogar dagegen wehrt.
Wir fühlen uns dann in unserer „Theologie“ angegriffen, und damit steht und fällt unsere Identität. Anstatt dies zuzugeben, gehen wir in die Schützengräben und feuern weiter unsere Pfeile der Wahrheit ab, damit der Leidende wenigstens einmal von ihnen getroffen wird. Unserer Ansicht nach wird das das Ende seines Leidens sein und wir werden Recht behalten. Dies ist der wichtigste Punkt: Wir haben unser Gesicht nicht verloren.
Eliphas hält Hiob vor, dass er Gott als seinen Feind ansieht und gegen Ihn anrennt, um Ihn zu besiegen (Vers 26). „Mit gerecktem Hals“, das heißt in Überheblichkeit, beharrt er auf seinem Widerstand gegen Gott. Er hat nicht die Absicht, seinen Hals zu beugen und sich Ihm zu unterwerfen. Im Gegenteil. Er stürzt sich auf Gott „mit den dichten Buckeln seiner Schilde“, um sich gegen die Pfeile zu verteidigen, die Gott auf ihn abschießt.
Er glaubt auch, dass er jedes Recht hat, sich auf diese Weise gegen Gott zu verteidigen. Das Fett auf seinem Gesicht und der Speck an seinen Lenden weisen auf den Wohlstand Hiobs hin (Vers 27). Fett ist ein Bild des Wohlstands. Eliphas sagt, dass Hiobs Gesicht und Lenden durch sein eigenes Zutun damit bedeckt waren. Er unterstellt, dass Hiob seinen Wohlstand auf seinen eigenen Verdienst zurückführt.
Was Eliphas über Hiob sagt, erinnert an die Argumentation des späteren Nabal, der all seine Besitztümer als sein Eigentum betrachtete, ohne jegliche Dankbarkeit gegenüber David (1Sam 25,11). Eliphas vermutet, dass Hiobs Wohlstand ihn dazu brachte, sich von Gott abzuwenden (vgl. 5Mo 32,15), was wiederum dazu führte, dass Gott ihm alles wegnahm, was Er ihm zuvor gegeben hatte. Was Eliphas unterstellt, widerspricht dem Zeugnis, das Gott selbst über Hiob gegeben hat (Hiob 1,1.8; 2,3).
Mit der Beschreibung in den Versen 28–35 schildert Eliphas die Situation, in die die Gottlosen geraten werden. Das ist nämlich die Situation, in der sich Hiob befindet und in die er laut Eliphas wegen seiner Rebellion gegen Gott geraten ist. Daran kann er erkennen, dass Hiob ein gottloser Mensch ist. Nur jemand, der schwer gesündigt hat, wird so von Gott bestraft.
Die Fakten beweisen es. Sieh dir nur seine Behausungen an. Sie sind verwüstet (Vers 28). Es gibt kein Haus mehr, in dem man wohnen kann. Er steckt im Schlamassel. Er braucht sich keine Illusionen über das Reichwerden zu machen, denn er hat alles verloren und hat nichts, womit er neu anfangen könnte (Vers 29). Das Vermögen, das er hatte, ist weg. Es war nicht von Dauer, als die Katastrophen ihn trafen. Die Vermehrung seines Reichtums hat ein Ende gefunden.
Er kann der Finsternis des Leidens, die über ihn gekommen ist, nicht entweichen (Vers 30; vgl. Verse 22.23). Er steckt drin und kann nicht mehr raus. Er ist davon umgeben. „Seine Sprösslinge“, womit seine Kinder gemeint sind, erwachen nicht mehr zum Leben. Die Flamme des Gerichts Gottes, die aus seinem Mund kommt (vgl. 2Thes 2,8a), hat ihr Leben versengt.
Nein, es gibt nichts, worauf er sich verlassen kann, um aus dem Elend herauszukommen (Vers 31). Jedes Vertrauen wird sich als nutzlos und irreführend erweisen. Wenn er auf etwas vertraut, das nichtig ist, wird er das Nichtige als Vergeltung erhalten. Das unterstreicht, wie wertlos ein solches Vertrauen ist. Sein Tod wird dadurch beschleunigt werden (Vers 32). Sein Leben wird schneller zu Ende sein als gedacht.
Er wird das Grün des neuen Lebens nicht sehen. Alles, was nach Frucht aussieht, entpuppt sich als unreife Frucht (Vers 33). Selbst die Verheißung der Frucht, die in der Blüte zu sehen ist, bleibt unerfüllt. Das bedeutet, dass der Nachkomme des Gottlosen umkommen wird. Das muss ein Schlag ins Gesicht für Hiob sein, der vor kurzem alle seine Kinder verloren hat.
Eliphas schließt seine Beschreibung mit einer Erklärung, was den „Hausstand des Ruchlosen“ erwartet (Vers 34). Es ist klar, dass er Hiob zu diesem Hausstand zählt. Der Hausstand der Ruchlosen ist eine Gesellschaft, die aus Ruchlosen besteht. Ihr gemeinsamer Teil und ihr gemeinsames Ziel ist die Ruchlosigkeit. Wer zu dieser Gemeinschaft gehört, ist „unfruchtbar“. Ein Hausstand, eine Gemeinschaft von Ruchlosen ist keine eingeschworene Einheit, sondern besteht aus Einzelpersonen, die nur für sich selbst leben. Die Familie oder Freunde, die sie haben, werden sie verlieren. Es gibt nichts, was Gott oder andere als Frucht genießen könnten.
Eliphas fügt hinzu, dass die Zelte oder Wohnstätten derjenigen, die sich bestechen lassen, vom Feuer verzehrt werden. Ein Leben, das auf Bestechung beruht, hat keine Grundlage, sondern wird zerstört. Damit unterstellt Eliphas, dass Hiob Bestechungsgeschenke angenommen hat und dass deshalb seine Wohnungen verbrannt wurden. Das alles gehört zu jemandem, der ein ruchloser Scheinheiliger ist.
Ruchlose und bestechliche Menschen sind trügerisch und unzuverlässig (Vers 35). „Sie sind schwanger mit Mühsal und gebären Unheil“. Die Pläne, die sie schmieden und verwirklichen, sind böse. Was sie in ihren Köpfen ausbrüten und was aus ihnen herauskommt, ist eine Plage für andere. Sie erzeugen nur Unheil und Betrug.
Eliphas ist fertig mit seiner Beschreibung des Übels, das seiner Meinung nach alle gottlosen Menschen befällt. Dass er Hiob diese Dinge vorhält, bedeutet, dass er Hiob als einen solchen Menschen ansieht. Damit liegt er vollkommen daneben. Und nicht nur das. Dadurch wird Hiobs ohnehin schon schweres Leiden noch verschlimmert. Dies ist eine völlig unangebrachte Anschuldigung gegen einen aufrichtigen Mann.