Einleitung
In seiner Antwort an Zophar wendet sich Hiob, wie er es oft tut, an die drei Freunde. Ausnahmsweise wendet er sich nur an sie und nicht an Gott. Der Gedanke, dass sein Erlöser lebt (Hiob 19,25), gibt ihm Ruhe. Die Freunde stellen einen Gott vor, der gerechte Vergeltung übt, wenn jemand sündigt. Sie alle haben stets behauptet, dass Gott die Gottlosen mit Unglück straft.
Hiob widerlegt dies, indem er ausführlich aufzeigt, dass dies nicht auf alle Gottlosen zutrifft. Er sagt ihnen, dass die Gerechtigkeit Gottes nicht immer auf der Erde ausgeübt wird und oft für den Menschen nicht sichtbar ist. Es gibt auch die Gottlosen, denen es gut geht und die ein langes Leben führen. Aber auch die Gottlosen, die lange leben und in ihrem Leben vom Bösen verschont bleiben, werden eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen müssen (Vers 30).
1 - 6 Die Ernsthaftigkeit seiner Antwort
1 Und Hiob antwortete und sprach:
2 Hört, hört meine Rede, und dies ersetze eure Tröstungen!
3 Ertragt mich, und ich will reden, und nachdem ich geredet habe, magst du spotten.
4 Richtet sich meine Klage an einen Menschen? Oder warum sollte ich nicht ungeduldig sein?
5 Wendet euch zu mir und entsetzt euch, und legt die Hand auf den Mund!
6 Ja, wenn ich daran denke, so bin ich bestürzt, und Schauder erfasst mein Fleisch.
Hiob antwortet Zophar (Vers 1). Seine Antwort zeigt seinen ungebrochenen Geist. Er spricht nicht mehr so verbittert über Gott und sehnt sich nicht mehr so sehr nach dem Tod. Die Freunde waren gekommen, um ihn zu trösten, aber das ist völlig misslungen. Es ist auf das absolute Gegenteil hinausgelaufen. Sie haben seine Last noch vergrößert. Hiob sagt nun, dass sie ihn mit ihren Worten nicht trösten können, aber dass sie ihn trösten können, wenn sie ihm aufmerksam zuhören (Vers 2). Was er zu sagen hat, ist ihrer Aufmerksamkeit voll und ganz würdig. Es ist ein Aufruf, seine Worte ernst zu nehmen und sie zu bedenken.
Aufmerksames Zuhören verlangt den Zuhörern viel ab. Wenn das möglich ist, bedeutet das Trost für den Leidenden. Wer nicht zuhören will und dazu auch nicht in der Lage ist, sollte nicht über das Leid anderer sprechen und sich erst recht nicht einmischen. Der Leidende braucht ein offenes, zuhörendes Ohr, nicht einen offenen, verurteilenden Mund. Vieles Leid ist schwerer geworden, weil Ungeduld und mangelndes Einfühlungsvermögen uns daran gehindert haben, zuzuhören, was wirklich gesagt wurde.
Hiob bittet nicht um Verständnis. Das scheint er nicht mehr zu erwarten. Er bittet sie ihn zu ertragen (Vers 3). Wenn sie es nur ertragen könnten, dass er spricht. Er hat etwas auf dem Herzen, das sie wenigstens hören sollen. Wenn er fertig ist, können sie fortfahren, ihn zu verspotten. Mit Zustimmung rechnet er nicht. Dennoch will er sagen, was er zu sagen hat. Aber selbst wenn er sich bei einem Menschen beschweren würde, heißt das, dass er nicht traurig sein darf? Wer wäre nicht traurig, wenn ihm alles genommen wird und Gottes Handeln mit ihm so unergründlich wäre?
Für sich selbst richtet er seine Klage zwar nicht an einen Menschen (Vers 4). Seine Klage richtete sich an Gott. Warum reagieren seine Freunde dann so harsch? Gott nimmt es Hiob nicht übel. Ihm ist es lieber, dass wir mit Ihm ringen, als dass wir Ihm gegenüber gleichgültig sind oder arrogant mit seiner Wahrheit umgehen und sie zu einer toten Sache machen. Das Ringen Hiobs – dass er nicht verstehen kann, was Gott ihm antut – ist ein Beweis dafür, dass er nicht gleichgültig oder arrogant ist. Seine Berater maßen sich an, dass sie wissen, was vor sich geht.
Hiob möchte, dass sie sich ihm zuwenden und seinen Kummer und sein Leid zur Kenntnis nehmen in dem er sich befindet (Vers 5). Wenn sie dies erkennen, werden sie entsetzt sein, dass jemand so viel und so unschuldig leiden kann. Dann werden sie die Hand vor den Mund halten, was bedeutet, dass sie kein Wort mehr sagen werden. Vielleicht dämmert ihnen dann, welch großes Unrecht sie ihm antun, wenn sie ihm geheime Sünden vorwerfen.
Wenn er an die mögliche Ursache für all die Berge von Leid denkt, die über ihn gekommen sind, nämlich dass Gott Ungerechtigkeit zulässt, wird er „bestürzt“ (Vers 6). Wenn er an all das Elend denkt, unter dem er begraben wurde, ist er davon überwältigt. Ihm läuft ein Schauer über den Rücken und seine Beine beginnen zu zittern. Jeder, der schon einmal etwas Heftiges erlebt hat und daran zurückdenkt, kennt diese Reaktion des Körpers.
7 - 16 Die Wohlfahrt der Gottlosen
7 Warum leben die Gottlosen, werden alt, nehmen sogar an Macht zu? 8 Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, mit ihnen, und ihre Sprösslinge vor ihren Augen. 9 Ihre Häuser haben Frieden, ohne Furcht, und Gottes Rute ist nicht über ihnen. 10 Sein Stier belegt und befruchtet sicher, seine Kuh kalbt und wirft nicht fehl. 11 Ihre kleinen Kinder schicken sie aus wie eine Herde, und ihre Knaben hüpfen umher. 12 Sie erheben die Stimme bei Tamburin und Laute und sind fröhlich beim Klang der Schalmei. 13 Im Wohlergehen verbringen sie ihre Tage, und in einem Augenblick sinken sie in den Scheol hinab. 14 Und doch sprechen sie zu Gott: Weiche von uns! Und nach der Erkenntnis deiner Wege verlangen wir nicht! 15 Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen sollten, und was nützt es uns, dass wir ihn [bittend] angehen? 16 Siehe, ihr Wohlergehen steht nicht in ihrer Hand. Der Rat der Gottlosen sei fern von mir!
Hiob kommt nun zum Hauptthema seiner Antwort. Er stellt seine Freunde vor ein Problem, nämlich den Wohlstand der Gottlosen (vgl. Ps 73,2.3.12). Das Wort „warum“, mit dem er beginnt, sollte sie zum Nachdenken bringen (Vers 7). So gekonnt wie Zophar im vorigen Kapitel den Untergang der Gottlosen schilderte, schildert Hiob ihr Wohlergehen. Alles ist ein starker Kontrast zu dem Schicksal, das ihn ereilt hat.
Hiob stellt zunächst drei Fragen und führt dann seine Argumentation mit einigen Beobachtungen fort. Die erste Frage lautet: Warum leben die Gottlosen? Welchen Nutzen hat das? Warum hat Gott ihnen das Leben gegeben und warum lässt Er sie leben? Die zweite Frage ist, warum Er sie so lange leben lässt, dass sie alt werden. Die dritte Frage bezieht sich auf den Inhalt ihres Lebens. Warum können sie faul und sorglos leben, alles bekommen, was sie wollen und sogar noch reicher werden?
Wir können diese Fragen im Lichte des Neuen Testaments beantworten, aber Hiob ringt damit. Für Hiob steht die Welt auf dem Kopf. Alles ist ihm genommen worden, die Kraft seines Lebens ist verschwunden und das vorzeitige Ende ist in Sicht. Und das, obwohl er aufrichtig gottesfürchtig ist. Die Freunde haben gesagt, dass die Gottlosen in der Kraft ihres Lebens ausgerottet werden (Hiob 20,26). Was Hiob bei den Gottlosen beobachtet, ist, dass sie sich ständig an der Gesellschaft ihrer Kinder und Enkelkinder erfreuen können (Vers 8). Im Gegensatz zu dem, was Zophar behauptet (Hiob 20,26), verlieren die Gottlosen ihre Kinder nicht durch Gottes Gericht, während das bei ihm der Fall war.
Schau dir nur ihre Häuser an (Vers 9). Es herrscht Frieden. Das liegt daran, dass die Zuchtrute Gottes nicht auf ihnen ruht. Hiob hat aus dem Mund seiner Freunde das Gegenteil gehört. Nach ihnen haben sie keinen Augenblick Ruhe und sind ständig in Angst (Hiob 15,21–24). Das ist einfach nicht wahr, zumindest nicht für alle Gottlosen.
Auch sein Viehbestand ist äußerst fruchtbar (Vers 10). Jede Befruchtung durch einen Bullen führt dazu, dass eine Kuh trächtig wird. Und wenn das Kalb geboren wird, ist es gesund. So wächst seine Herde. Gott schreitet nicht ein, um dies zu verhindern. Es scheint eher so zu sein, dass Er den Gottlosen alles erspart, was Er gottesfürchtigen Menschen wie Hiob zustoßen lässt.
Ihre Nachkommenschaft ist zahlreich (Vers 11). Es sieht aus wie eine Herde, so viele Kinder gibt es. Auch die Kinder sind voller Leben, sie hüpfen durchs Leben. Das bedeutet, dass sie nicht an Krankheiten leiden, sondern gesund sind. Sie haben auch Spaß am Leben. Sie machen Musik und singen dabei fröhlich mit (Vers 12). Musik zu hören, macht sie glücklich. So leben sie ihr Leben sorglos und fröhlich.
Sie genießen die schönen Dinge des Lebens und kennen keine Schwierigkeiten oder Armut. Wenn ihre Zeit gekommen ist, sterben sie in Frieden, ohne von Schmerzen gequält zu werden. Zu ihrer Beerdigung kommen viele Menschen. Unter großer Anteilnahme werden sie ins Grab gelegt (Vers 13). Sie sind nie jemandem zur Last gefallen, und es gab keine Anzeichen für Gottes Missfallen in ihrem Leben (vgl. Lk 16,19.25). Die Szene des Glücks, in der die Gottlosen leben, ist eine starke Widerlegung der Behauptung der Freunde, dass alle bösen Menschen und ihre Familien für ihre Sünden leiden.
Außerdem missachten diese gottlosen Menschen Gott nicht nur, sondern lehnen Ihn sogar wissentlich ab! Hör mal, was sie Gott zu sagen wagen: „Weiche von uns! Und nach der Erkenntnis deiner Wege verlangen wir nicht!“ (Vers 14). Sie sagen es vielleicht nicht in so vielen Worten, aber es ist die Sprache, die aus ihrem Leben spricht. Menschen können so leben, dass sie nichts mit Gott zu tun haben wollen. Sie wollen nicht, dass Gott sich in ihr Leben einmischt. Er sollte sich da raushalten, denn es ist ihr Leben.
Es handelt sich nicht um Menschen, die keine Gelegenheit hatten, die Wege Gottes kennen zu lernen, sondern sie zeigen, dass sie sie nicht kennen wollen. Sie wollen nichts von Ihm wissen. Dass Er über alles das Sagen hat, auch über ihr Leben, davon wollen sie nichts hören. Seine Wege interessieren sie nicht. Sie werden selbst entscheiden, wie sie leben wollen. Wenn ein Mensch so weit gekommen ist, wie tief ist er dann gesunken. Und Gott greift nicht ein!
Sie sprechen es abfällig aus: „Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen sollten?“ (Vers 15; vgl. 2Mo 5,2; Spr 30,9). Das ist eine völlige Missachtung Gottes. Sie lehnen Ihn nicht nur ab, sondern sprechen auch mit großer Verachtung von Ihm. Sie scheinen Ihn nicht einmal als Person zu betrachten. Sie stellen nicht die Frage: „Wer ist der Allmächtige?“, sondern: „Was ist der Allmächtige?“ Für wen hält Er sich, dass wir Ihm dienen sollen? Was bildet Er sich ein, dass Er Autorität über uns hat und dass wir uns seinem Willen unterwerfen müssen?
Bringt es uns überhaupt etwas, uns an Ihn zu wenden und Ihn „bittend angehen“? Das Gebet ist für Schwächlinge, die allein nicht zurechtkommen. Dann ist der Glaube an Gott eine schöne Attrappe, um ein wenig das Gefühl zu bekommen, dass man nicht allein ist. Wir werden uns dieser Dummheit nicht hingeben.
Wir hören diese Sprache des menschlichen Herzens überall. Der Mensch leugnet, dass Gott Autorität über ihn hat. Er will unabhängig sein und lehnt daher alle Ansprüche seines Schöpfers ab. Er will nicht sehen, dass er für jeden Atemzug von Ihm abhängig ist (Dan 5,23b). Er ist nicht offen für die Tatsache, dass Ihm zu dienen die größte Befriedigung und das größte Glück bringt. Dass er aus Gnade leben soll, ist ein verwerflicher Gedanke. Die Hand aufzuhalten, um etwas zu bekommen, ist unter seiner Würde als unabhängiges Wesen. Nein, er braucht und will Gott nicht.
Aber, sagt Hiob, sie irren sich gewaltig. Sie denken, sie hätten alles in der Hand, aber sie täten gut daran, sich daran zu erinnern, dass „ihr Wohlergehen ... nicht in ihrer [eigenen] Hand steht“ (Vers 16). Es scheint, dass sie alles in ihrer Macht und Kontrolle haben, aber das ist Selbstbetrug. Durch plötzliche Katastrophen kann ihnen alles abhanden kommen. Sie können auch krank werden oder sterben und dann ist es auch mit dem Genuss vorbei.
Hiob sagt, dass er das Leben nicht auf diese Weise betrachtet. Es liegt ihm fern, sich als gottloser Mensch darzustellen. Er teilt weder die Absichten der Gottlosen, noch teilt er ihre Ratschläge. Seine Freunde sollten nicht denken, dass er ihr Anwalt ist und ihre Lebensweise verteidigt, auch wenn er den Wohlstand ihres Lebens beschreibt.
17 - 21 Das Gericht wird nicht immer sofort sichtbar
17 Wie oft geschieht es, dass die Leuchte der Gottlosen erlischt und ihr Verderben über sie kommt, dass er ihnen Schlingen zuteilt in seinem Zorn, 18 dass sie wie Stroh werden vor dem Wind und wie Spreu, die der Sturmwind entführt? 19 Gott spart, [sagt ihr,] sein Unheil auf für seine Kinder. – Er vergelte ihm, dass er es fühle! 20 Seine Augen sollen sein Verderben sehen, und vom Grimm des Allmächtigen trinke er! 21 Denn was liegt ihm an seinem Haus nach ihm, wenn die Zahl seiner Monate durchschnitten ist?
Hiob fährt fort, das zu widerlegen, was seine Freunde über die Gottlosigkeit und den Zorn Gottes gesagt haben, den Er über die Gottlosen bringt, während sie noch leben. Sie sollen es mal beweisen. Sie sollen ihm sagen, wie oft es vorkommt, dass „die Leuchte der Gottlosen erlischt“, d.h. dass Finsternis in ihr Leben kommt durch Unglück, das sie wegen ihrer Gottlosigkeit befällt (Vers 17). Das bedeutet, dass ihr Untergang gewiss ist. Er kommt über sie, ohne dass sie in der Lage sind, sich zu wehren. Es kommt über sie von Gott, der in seinem Zorn ihnen Schlingen zuteilt wegen ihrer Gottlosigkeit.
Handelt Gott wirklich immer so gegenüber jedem gottlosen Menschen? Das würde bedeuten, dass sie wie Stroh vom Wind verweht und wie wertlose Spreu vom Wirbelwind weggetragen werden (Vers 18). Ist das ein einheitliches Gesetz, nach dem Gott unveränderlich handelt? Sicherlich werden die Freunde zugeben müssen, dass dies nicht immer der Fall ist. Dies ist ein wichtiges Argument von Hiob. Schließlich gibt es viele gottlose Menschen, die glücklich und zufrieden leben. Die Welt ist voll von Gottlosen. Der Anteil der Gläubigen ist gering. Und doch macht Gott nicht allen Gottlosen ein Ende, sondern erträgt sie noch immer.
Die Freunde sagten auch, dass die Kinder der Gottlosen ebenfalls für deren Ungerechtigkeit bestraft werden (Vers 19; Hiob 20,10). Aber Gott tut das nicht immer. Manchmal leiden Kinder zwar unter den Folgen der Sünden ihrer Eltern (2Mo 20,5). Ein Kind wird jedoch nicht wegen der Sünden seiner Eltern bestraft (1Kön 14,12.13; 2Chr 25,4), sondern wegen seiner eigenen Sünden (Hes 18,20; Gal 6,5). Ebenso wird dem Gottlosen von Gott vergolten, sodass er merkt, dass er gegen Gott gesündigt hat.
Hiob wendet sich deutlich gegen die Gottlosen. Er soll nicht von seinem Verderben verschont bleiben, sondern es mit eigenen Augen sehen (Vers 20). Gott soll ihn „vom Grimm des Allmächtigen trinken“ lassen. Der Gottlose hat sich verächtlich über den Allmächtigen geäußert (Vers 15), aber er wird mit Ihm zu tun haben und von seinem Grimm trinken müssen. Dann ist Schluss mit seinem Geschwätz. Dann wird er wissen, wem er immer widerstanden hat und wen er immer ignoriert hat.
Wenn der Gottlose einmal gestorben sein wird, ist nichts mehr von der Freude übrig, die er in seinem gottlosen Leben genossen hat (Vers 21). Wenn die Zahl seiner Monate abgeschnitten wird, weiß er nichts mehr davon. Im Tod beschäftigt ihn das nicht mehr. Wie es mit denen weitergeht, die er zurückgelassen hat, ist nicht seine Sorge. Er weiß nicht, was nach ihm in seinem Haus und mit seinen Kindern geschehen wird. Das Abschneiden der Zahl seiner Monate kann auf einen plötzlichen Tod hindeuten. Er stirbt, bevor er alt geworden ist. Das kann auch den Gottlosen passieren.
22 - 26 Menschen leben und sterben verschieden
22 Kann man Gott Erkenntnis lehren, da er es ja ist, der die Hohen richtet? 23 Dieser stirbt in seiner Vollkraft, ganz wohlgemut und sorglos. 24 Seine Gefäße sind voll Milch, und das Mark seiner Gebeine ist getränkt. 25 Und jener stirbt mit bitterer Seele und hat das Gute nicht genossen. 26 Miteinander liegen sie im Staub, und Gewürm bedeckt sie.
Niemand kann Gott vorschreiben, wie Er mit den Menschen umzugehen hat. Es ist anmaßend zu denken, dass Gott sich so verhalten sollte, wie wir denken, dass Er sich verhalten müsste. Das wäre eine Form Gott „Erkenntnis“ lehren zu wollen (Vers 22). Gott ist der Richter selbst über die höchsten geschaffenen Wesen, die Engel. Wer kann Ihm also sagen, wie Er sein Werk tun soll? Niemand, natürlich. Gott weiß, was Er tut, wenn Er die Gottlosen manchmal lange und manchmal kurz leben lässt. Deshalb ist die Aussage der Freunde, dass das Gericht in diesem Leben immer ein Zeichen für Sünde und Wohlstand für Gerechtigkeit ist, falsch. Es ist gut, nichts vor der Zeit zu beurteilen (1Kor 4,5).
Es gibt viele Ungleichheiten zwischen dem Sterben und dem Leben, das ihm vorausgeht, stellt Hiob seinen Freunden gegenüber fest. Dies ist nicht nur eine Frage des Alters – der eine stirbt jung, der andere alt –, sondern auch der Umstände. Jemand kann in der Vollkraft seines Lebens sterben, ohne dass er irgendwelche Sorgen gekannt hat (Vers 23). Er hat auch in Frieden und ohne Angst gelebt. Seine Lebensumstände deuten in keiner Weise darauf hin, dass Gottes Zorn auf ihm ruht und durch seinen Tod über ihn kommt. Seine mit Milch gefüllten Behälter beweisen, dass seine Kühe viel Milch geben (Vers 24). Er selbst ist bei guter Gesundheit und voller Vitalität, als er stirbt.
Einem anderen hingegen ergeht es ganz anders. Er stirbt in großer Seelenbitterkeit (Vers 25). Das Leben, das er hatte, war ein Leben voller Elend. Er hat nicht vom Guten gegessen. Er hat in seinem Leben wenig oder gar keine Freude gekannt, sondern war voller Kummer. Das ist doch wohl ein großer Unterschied im Leben und im Sterben von zwei Menschen.
Bei ihrem Tod ist das anders. Nach ihrem Tod liegen sie gemeinsam im Staub des Todes, im Grab (Vers 26). Ihr Schicksal ist dann das gleiche. Beide sind mit Maden bedeckt und werden von Würmern gefressen (Jes 14,11). Im Reich der Toten sind alle Gottlosen gleich. Unglück oder Wohlstand im Leben verschaffen dem einen keinen besseren Platz im Reich der Toten als dem anderen. Das Bett des Reichen aus Federn und das Bett des Armen aus Stroh verwandeln sich im Tod für beide in den Staub der Erde. Darin legen sie sich nieder. Die Seidendecke, unter der der reiche Mann lag, und die Lumpendecke, unter der der arme Mann lag, sind beide in Maden verwandelt worden.
27 - 31 Hiob beschuldigt die Freunde
27 Siehe, ich kenne eure Gedanken und die Anschläge, womit ihr mir Gewalt antut. 28 Denn ihr sagt: Wo ist das Haus des Edlen und wo das Wohnzelt der Gottlosen? 29 Habt ihr nicht die befragt, die des Weges vorüberziehen? Und erkennt ihr ihre Merkmale nicht: 30 dass der Böse verschont wird am Tag des Verderbens, dass sie am Tag der Zornesfluten weggeleitet werden? 31 Wer wird ihm ins Angesicht seinen Weg kundtun? Und hat er gehandelt, wer wird es ihm vergelten?
Nachdem er erklärt hat, dass die Gottlosen nicht immer ihre Strafe in diesem Leben erhalten, konfrontiert Hiob seine Freunde mit ihrer eigenen Argumentation und Theologie (Vers 27). Er weiß, wie sie über ihn denken, er kennt ihre Meinung über die Ursache des Elends, in das er gestürzt ist. Er fasst ihre Argumentation zusammen und formuliert sie klar und deutlich. Man muss kein großer Denker sein, um zu wissen, was sie denken. Ihre Worte und ihr Kopfschütteln lassen keinen Zweifel. Sie denken sich „Anschläge“ aus, um zu beweisen, dass er ein Sünder und Heuchler ist. Damit tun sie ihm Gewalt an, tun ihm großes Unrecht und vergrößern seinen Schmerz.
Er sieht, dass sie ihre Auffassung über ihn nicht geändert haben und niemals ändern können, denn dann würde das ganze Gebäude ihrer Gedankenwelt in sich zusammenfallen. Sie versuchen immer wieder, ihn davon zu überzeugen, dass er ein schlechter, sündiger Mensch ist. Sie dreschen weiter ihre Phrasen, dass die Gottlosen von Katastrophen überwältigt werden. Hiob ist von Katastrophen überwältigt, er ist also ein gottloser Mensch.
Um zu beweisen, dass er ihre Gedanken und schlauen Anschläge kennt, zitiert er ihre verletzende Behauptung – „Gewalt antun“ (Vers 27) bedeutet „verletzen“ – über das Haus der Edlen und das Zelt der Gottlosen (Vers 28). Sie sagen, dass das Haus und das Zelt durch Gottes Gericht über ihre Gottlosigkeit umgestürzt wurden und verschwunden sind. Damit behaupten sie, dass Hiob, der Haus und Hof verloren hat, in Wirklichkeit ein Gottloser ist.
Aber das, was die Freunde sagen, stimmt überhaupt nicht mit der Lebenspraxis überein. Warum haben sie ihre Überlegungen nicht einfach mit denen „die des Weges vorüberziehen“ abgeglichen, mit Menschen, die von woanders herkommen, die ein bisschen mehr von der Welt gesehen haben (Vers 29). Sie können bezeugen, was ihnen begegnet ist. Stimmt dann noch was an ihrer Schilderung? Haben die Vorüberziehenden erzählt, dass sie die Häuser der Gottlosen überall in Trümmern liegen gesehen haben? Nein, natürlich nicht.
Warum nehmen sie die Zeugnisse solcher Menschen nicht an? Sie bestätigen die Wahrheit dessen, was Hiob sagte, nämlich dass gottlose Menschen oft lange und in Wohlstand leben. Hiob fährt mit der Feststellung fort, dass der gottlose Mensch oft nicht sofort für seine Schlechtigkeit bestraft wird, sondern dass dies erst später geschieht (Vers 30). Er entkommt seiner Strafe sicherlich nicht. Er wird „aufbewahrt werden für das Gericht“ (vgl. 2Pet 2,4; Jud 1,6). Der ägyptische Pharao, der Gottes Gebot, Israel ziehen zu lassen, immer wieder ablehnte, ist ein Beispiel für einen solchen Menschen. Es bestätigt einmal mehr, dass der Gottlose nicht immer sofort bestraft wird. Nur ein unverständiger und törichter Mensch sieht das nicht (Ps 92,7.8).
Hiob spricht von dem „Tag der Zornesfluten“. Das ist der Tag, an dem der Zorn Gottes über die Sünden der Gottlosen kommt. „Zornesfluten“ ist der Plural. Die Gottlosen werden Zornesflut über Zornesflut erleiden müssen. Gottes Gericht erstreckt sich auf jede Sünde. Es ist auch ein Gericht, das sich ewig fortsetzt. Der Zorn Gottes bleibt für immer auf ihm (Joh 3,36).
Keiner wagt es, den Übeltäter für sein böses Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen (Vers 31). Wer das tut, zieht seinen Zorn auf sich. Und das willst du doch nicht, oder? Wir wissen, dass es Menschen gab, die dies getan haben, wie Elia gegenüber Ahab und Jeremia gegenüber den Söhnen Josias. Johannes der Täufer bezahlte sogar mit seinem Leben, weil er Herodes für seine Sünden zur Rechenschaft zog. Die Übeltäter wurden nicht sofort für ihre bösen Taten bestraft und konnten mit ihren Sünden weitermachen, denn es gab niemanden, der sie bestrafte. Alles Böse, das nicht sofort nach seiner Begehung oder noch zu Lebzeiten des Übeltäters bestraft wird, wird von Gott am Tag des Gerichts vergolten werden.
32 - 33 Das Ende im Tod
32 Und er wird zu den Gräbern hingebracht, und auf dem Grabhügel wacht er. 33 Süß sind ihm die Schollen des Tals. Und hinter ihm her ziehen alle Menschen, und vor ihm her [gingen sie] ohne Zahl.
Das Ende des Wohlstands für den Gottlosen kommt oft erst mit seinem Tod. Er stirbt nicht aufgrund eines göttlichen Gerichts, sondern einfach, weil er alt geworden ist. Unweigerlich kommt der Moment, in dem er „den Weg der ganzen Erde“ (Jos 23,14) geht und „zu den Gräbern hingebracht“ wird, d. h. zum Friedhof, wo auch er sein Grab hat (Vers 32). Bei seiner Beerdigung kann der notwendige Prunk gezeigt werden. Sein Grab wird gepflegt, mit einer Ehrenwache versehen und von Wächtern bewacht, damit Grabräuber keine Gelegenheit haben, die im Grab „mitgegebenen“ Schätze zu rauben.
Auf seinem Grabstein steht: „Ruhe in Frieden.“ Das ist es, was die Leute denken. Die Reden bei seiner Beerdigung stehen unter dem Motto: „Nur Gutes über die Toten.“ Sie gehen davon aus, dass die Schollen, die ihn bedecken und die extra für ihn aus den Wadis oder Flussbetten geholt wurden, ihm wohlgefällig sind (Vers 33). Der Mann hat immer hart gearbeitet und gut gelebt. Er hat jetzt seine verdiente „letzte Ruhestätte“.
Selbst nach seinem Tod bleibt er eine Attraktion. Die Beschreibung „hinter ihm her ziehen alle Menschen“ könnte sich auf den Leichenzug beziehen. Es kann sich auch auf die Menschenmengen beziehen, die später sein Grab besuchen. Auf jeden Fall stirbt er, wie alle Menschen nach ihm und wie es den unzähligen Menschen vor ihm ergangen ist.
Hiob sagt all dies als Antwort auf die Annahme der Freunde, dass der Gottlose keine Ruhe und keinen Frieden kennt, weder im Leben noch im Tod. Es gibt sicherlich gottlose Menschen, die in ihrem Leben wegen ihres gottlosen Lebens leiden und dann einen schrecklichen Tod sterben. Worum es ihm geht, ist zu zeigen, dass man nicht allgemein sagen kann, dass gottlose Menschen leiden und gute Menschen stets Gedeihen haben. Manchmal ist es auch umgekehrt, dass gottlose Menschen bis zu ihrem Tod erfolgreich sind und dass gute Menschen leiden. Welch ein Unterschied zur Theologie der drei Freunde.
34 Schlussfolgerung
34 Wie tröstet ihr mich nun mit Dunst? Und von euren Antworten bleibt [nur] Treulosigkeit übrig.
Hiob schließt seine Überlegungen über den Wohlstand, den auch ein gottloser Mensch haben kann mit einer Schlussfolgerung ab. Seine Freunde waren gekommen, um ihn zu trösten (Hiob 2,11), aber was für leere Worte hatten sie bis jetzt gesprochen (vgl. Hiob 16,2). Nichts von dem, was sie gesagt hatten, traf auf ihn zu. Es hat ihm überhaupt nicht geholfen. Im Gegenteil, sie haben sein Leiden mit ihren Theorien noch verschlimmert. Sie haben nichts anderes getan, als ihn zu ermahnen und ihn aufzufordern, sich von seinen Sünden zu bekehren. Wenn er dies nur tun würde, würde er wieder gesegnet werden.
Ihre Antworten verrieten nur, dass sie ihrer Freundschaft zu ihm untreu geworden waren. Sie brachten ihre Zweifel an seiner Aufrichtigkeit immer deutlicher zum Ausdruck. Ein wahrer Freund unterstellt seinem Freund keine versteckten Sünden und keine Heuchelei. Er ist auch nicht rätselhaft in seinen Formulierungen, wenn es etwas gibt, was korrigiert werden müsste. Er vertuscht das nicht. Wahre Freunde vertrauen einander durch dick und dünn, in guten und in schlechten Zeiten.
Anstatt sich von Hiobs Aufrichtigkeit durch seine Beharrlichkeit überzeugen zu lassen, beschuldigen seine Freunde ihn, ein verhärtetes und unbekehrtes Herz zu haben. Sie kommen zu diesem Schluss, weil er sich weigert, ihrer Aufforderung nachzukommen sich zu bekehren.