1 - 7 Elihu fordert Hiob auf ihm zuzuhören
1 Nun aber, Hiob, höre doch meine Reden, und nimm zu Ohren alle meine Worte. 2 Sieh doch, ich habe meinen Mund geöffnet, meine Zunge redet in meinem Gaumen. 3 Meine Worte sollen die Geradheit meines Herzens sein, und was meine Lippen wissen, sollen sie rein heraussagen. 4 Der Geist Gottes hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen belebt mich. 5 Wenn du kannst, so antworte mir; rüste dich vor mir, stelle dich! 6 Siehe, ich bin Gottes wie du; vom Ton abgekniffen bin auch ich. 7 Siehe, sein Schrecken wird dich nicht ängstigen, und mein Druck wird nicht schwer auf dir lasten.
Elihu spricht Hiob direkt an, er nennt ausdrücklich seinen Namen, im Gegensatz zu den drei Freunden. Er bittet Hiob, sein Anliegen anzuhören und alle seine Worte zu hören (Vers 1). „Meine Reden“ ist die ganze Geschichte. „Alle meine Worte“ sind die einzelnen Wörter, aus denen die Geschichte besteht. Er spricht auf diese Weise, um die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung dessen zu lenken, was er sagen wird. Er öffnet seinen Mund, um Worte zu sprechen, die es wert sind, gehört zu werden (Vers 2). Seine Worte sind keine bedeutungslosen Äußerungen eines Mannes, der auch mal ein Wörtchen mitreden will. Es sind Worte, die er sozusagen mit seinem Gaumen abgeschmeckt hat. Er wählt seine Worte mit Bedacht, er spricht nicht ungestüm.
Was er sagt, kommt aus einem aufrichtigen Herzen, und das Wissen, das er zum Ausdruck bringt, ist rein (Vers 3). Er spricht nicht mit versteckten Absichten. Es sind keine netten, wohlklingenden Worte, um Hiob für seine Einsichten zu gewinnen, sondern Worte, die er in Aufrichtigkeit vor Gott ausspricht.
Er kann so reden, weil er sich bewusst ist, dass der Geist Gottes ihn gemacht hat und dass er durch den Odem des Allmächtigen das Leben hat (Vers 4). Damit weist er erneut darauf hin, dass er keine eigene Weisheit hat, sondern alles dem verdankt, der ihm das Leben geschenkt hat und ihm hilft, dieses Leben zu seiner Ehre zu leben. Deshalb kann er von Gott für Hiob gebraucht werden. Nur wenn wir uns dessen bewusst sind, kann Gott auch uns gebrauchen, um die Herzen der anderen zu gewinnen.
In Vers 5 fordert Elihu Hiob auf, ihm zu antworten – so wie Hiob Gott gebeten hat, auf seine Klage zu antworten (Hiob 13,3) –, weil Hiob das Recht dazu hat. Hiob braucht das, was Elihu sagt, nicht deshalb zu akzeptieren, weil er Elihu ist, denn er hat seine eigene Verbindung zu Gott. Gott gibt seine Gedanken in freundlicher Weise bekannt. Es geht Elihu nicht darum, Hiob mit Vorwürfen oder Verdächtigungen zu überschütten, wie es die Freunde getan haben. Er bietet Hiob seine Gedanken auf gleicher Augenhöhe mit ihm an.
Elihu stellt sich nicht über Hiob, sondern stellt sich neben ihn (Vers 6). Er weiß nämlich, dass er und Hiob in der gleichen Beziehung zu Gott stehen. Gott hat sowohl ihn als auch Hiob „vom Ton abgekniffen“ (1Mo 2,7; vgl. Apg 10,26). Er ist wie Hiob ein schwaches, zerbrechliches Geschöpf. In seiner Zerbrechlichkeit ist er für Gott nicht mehr als Hiob. Dieses Bewusstsein unserer eigenen Schwachheit ist wichtig, wenn wir einen irrenden Bruder gewinnen wollen (Gal 6,1). Wenn wir jemandem die Füße waschen wollen, müssen wir uns vor ihm niederbeugen (Joh 13,1–5).
Nachdem er sich so an Hiobs Seite gestellt hat, erklärt er Hiob, was er ihm sagen wird (Vers 7). Er wird Hiob ernste Dinge vorlegen, aber Hiob braucht keine Angst davor zu haben. Seine Hand wird nicht zu schwer auf ihm lasten. Hiob spürt, dass Gottes Hand schwer auf ihm lastet (Hiob 13,21). Indem Elihu Hiob zur Seite steht, nimmt er ihm diese Angst. Die Freunde haben Hiobs Leiden noch verschlimmert, indem sie ihm Sünden als Ursache für sein Leiden vorwarfen. Das wird Elihu nicht tun. Er wird sein Leiden nicht verschlimmern, sondern es erhellen, indem er das Licht Gottes darauf scheinen lässt.
8 - 13 Gott ist größer als Hiob
8 Gewiss, du hast vor meinen Ohren gesprochen, und ich hörte die Stimme der Worte: 9 Ich bin rein, ohne Übertretung; ich bin makellos, und keine Ungerechtigkeit ist an mir. 10 Siehe, er erfindet Feindseligkeiten gegen mich; er hält mich für seinen Feind. 11 Er legt meine Füße in den Stock, beobachtet alle meine Pfade. – 12 Siehe, darin hast du nicht Recht, antworte ich dir; denn Gott ist erhabener als ein Mensch. 13 Warum hast du gegen ihn gehadert? Denn über all sein Tun gibt er keine Antwort.
Elihu hat Hiob gesagt, dass er nicht hart zu ihm sein wird. Das bedeutet nicht, dass er Hiob nicht auf seine Fehler hinweist und ihn darauf anspricht. Dennoch spricht er anders als die Freunde. Daher gibt Hiob keine Wiederworte. Hiob ist bereit, Elihu zuzuhören.
Elihu beginnt damit, Hiob an etwas zu erinnern, das er aus seinem Mund gehört hat (Vers 8). Dies ist nicht vage, rätselhaft oder unterstellend, sondern konkret. Jeder, der bei den Gesprächen anwesend ist, wird deren Richtigkeit bestätigen. Elihu zitiert nicht wörtlich, was Hiob gesagt hat, sondern dem Inhalt nach. Er fasst die Rede Hiobs zusammen und gibt ihre Grundzüge wieder.
Hiob hat wiederholt behauptet, er sei aufrichtig und unschuldig (Vers 9; Hiob 9,21; 10,7; 13,18.23; 16,17; 23,10; 27,5). Besonders in Hiob 31 plädiert er eindringlich für seine Unschuld. Elihu fasst dies in den vier Begriffen „rein“, „ohne Übertretung“, „makellos“ und „keine Ungerechtigkeit [begangen]“ zusammen. Das war keine Anmaßung von Hiob. Und Elihu wirft Hiob dies auch nicht als Anschuldigung vor die Füße. Hiobs Unschuldsbehauptung ist berechtigt, wie wir aus Hiob 1 wissen (Hiob 1,1). Hiob meint hier nicht, dass er sündlos ist (vgl. Hiob 7,21; 13,26), sondern dass er nichts getan hat, was das Gericht seines schweren Leidens verdient.
Es stimmt jedoch, dass Hiob zu weit gegangen ist, indem er Gott verdächtigt hat, etwas an ihm zu suchen, und dass Er deshalb so mit ihm umgeht (Vers 10). Hiob glaubt, dass Gott etwas an ihm sucht, um ihn anzuklagen, und dass Er sich ihm gegenüber wie ein Feind verhält (Hiob 13,24; 19,11; 30,21). Elihu hörte Hiob sagen, dass Gott seine Füße in den Stock legt und alle seine Wege beobachtet (Hiob 13,27). Darauf geht Elihu ein (Vers 11).
Die Antwort Elihus lautet, dass Hiob in diesem Punkt „nicht Recht“ hat (Vers 12). Damit ist er dem, was Gott ist und wer er selbst ist, nicht gerecht geworden. Er hat vergessen, wer Gott ist und wer er selbst ist, „denn Gott ist erhabener als ein Mensch“, wie Hiob. Wie konnte Hiob es wagen, Gott, der so viel größer ist als ein Sterblicher, zur Verantwortung zu ziehen (Vers 13)? Dass Gott größer ist als ein Sterblicher, bezieht sich nicht nur auf Gott als Schöpfer, sondern hier besonders auf die Größe und Majestät seines Handelns mit dem Menschen.
Außerdem klagte Hiob Gott an, dass er zu Ihm schrie, aber Gott antwortete ihm nicht (Hiob 19,7; 30,20). Das kann Gott doch nicht tun?! Er kann doch wenigstens sagen, warum Er ihn so leiden lässt? Hat er denn nicht ein Recht darauf? Aber Gott ist Gott. Er ist in keinster Weise verpflichtet, den Menschen Rechenschaft über sein Handeln abzulegen, auch nicht den Seinen.
Was Hiob sagt, sehen wir in viel stärkerer und rebellischerer Form immer wieder in der Geschichte der Menschheit bis heute. Bei Hiob gibt es keine Rebellion, sondern einen Kampf. Er reißt nicht sein Maul gegen Gott auf. Bei den rebellischen Menschen ist das sehr wohl so. Im Menschen gibt es Widerstand, Opposition und Rebellion gegen Gottes Handeln, die durch Unglauben und Selbsterhöhung motiviert sind. Der Mensch setzt Gott auf die Anklagebank und fordert Ihn heraus, mal zu erklären, warum Er Dinge zulässt oder tut (Röm 9,20).
14 - 22 In einer Weise redet Gott und in zweien
14 Doch in einer Weise redet Gott und in zweien, ohne dass man es beachtet. 15 Im Traum, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt, im Schlummer auf dem Lager: 16 Dann öffnet er das Ohr der Menschen und besiegelt die Unterweisung, die er ihnen gibt, 17 um den Menschen von [seinem] Tun abzuwenden und damit er Übermut vor dem Mann verberge, 18 dass er seine Seele zurückhalte von der Grube, und sein Leben vom Rennen ins Geschoss. 19 Auch wird er gezüchtigt mit Schmerzen auf seinem Lager und mit beständigem Kampf in seinen Gebeinen. 20 Und sein Leben verabscheut das Brot, und seine Seele die Lieblingsspeise; 21 sein Fleisch zehrt ab, dass man es nicht mehr sieht, und entblößt sind seine Knochen, die nicht gesehen wurden; 22 und seine Seele nähert sich der Grube, und sein Leben den Würgern.
Das Wort „doch“, das Elihu in Vers 14 verwendet, deutet darauf hin, dass er erklären wird, was er in den vorangegangenen Versen gesagt hat. Der Vorwurf Hiobs, er habe geschrien und Gott habe nicht geantwortet, ist nicht gerechtfertigt. Gott hat sehr wohl von sich hören lassen, und Er hat auch gesprochen. Was Hiob als Gottes ungerechtes Verhalten ihm gegenüber ansieht, ist in Wirklichkeit Gottes Reden zu ihm. Aber Hiob hat die Stimme Gottes nicht erkannt. Deshalb schickt Gott in seiner Barmherzigkeit einen Mann wie Elihu, um Hiob dies zu erklären.
Obwohl Gott unendlich weit erhaben über den Menschen ist, ist Er seinem schwachen Geschöpf gegenüber nicht gleichgültig und handelt keineswegs willkürlich mit ihm. Er spricht zu ihm. Er tut dies „in einer Weise … und in zweien“. Dass der Mensch sie nicht beachtet, liegt nicht an Gott, sondern am Menschen selbst. Gott spricht und dies tut Er mehrmals. Einmal „im Traum, im Nachtgesicht“ (Vers 15), ein anderes Mal benutzt Er Krankheit und Leiden (Vers 19). Manchmal benutzt Er seine Rede, sein Wort, und ein anderes Mal seine Rute, seine Züchtigung.
Wenn sich der Mensch im tiefen Schlaf …, im Schlummer auf dem Lager befindet, gibt es keine äußeren Einflüsse, die ihn ablenken könnten. Jemand, der schläft, spürt nicht, ob er arm oder reich ist, ob er gesund oder krank ist, ob er Hunger hat oder nicht. Dieser Zustand der Ruhe kann von Gott in seiner Gnade dazu benutzt werden, in einem Traum oder einer Vision zu ihm zu sprechen und seinen Willen kundzutun. Zur Zeit der Erzväter, aber auch später, sprach Gott in Träumen oder Visionen, wie zu Abraham, Josef und Daniel, aber auch zu Abimelech, Laban, Pharao und Nebukadnezar. Dies ist kennzeichnend für die Zeit, als die Bibel noch nicht vollständig war. Damals sprach Gott „vielfältig und auf vielerlei Weise“ (Heb 1,1).
Nun, da die Bibel vollständig ist, gibt Gott seinen Willen durch sein Wort, die Bibel, bekannt. Sicherlich spricht Er in bestimmten Fällen immer noch durch einen Traum. Dies betrifft dann in der Regel Menschen, die keine Bibel haben. Aber im westlichen, nachchristlichen Teil der Welt, in dem das Licht der Bibel so lange geleuchtet hat, reicht das geschriebene Wort Gottes für den Christen aus.
Wenn Gott im Traum zu einem Menschen spricht, offenbart Er seinen Willen dem „Ohr der Menschen“ (Vers 16). Hier wird das Ohr erwähnt und nicht das Auge, was wir bei Träumen und Visionen doch erwarten würden. Es geht jedoch nicht um das Sehen, sondern um das Hören. Es geht um Gottes Reden, und das richtet sich immer an das Ohr. Es geht darum zu hören, was Gott zu sagen hat.
Die Träume oder Visionen scheinen keine süßen oder angenehmen Szenen zu enthalten. Es sind keine „süßen Träume“, sondern warnende Träume oder Visionen, die den Menschen buchstäblich und geistlich aufwecken (1Mo 41,8). Gott „besiegelt“ damit ihre „Unterweisung“. Er gibt sein Siegel darauf, dass die Dinge so laufen werden, wie Er sie im Traum oder in der Vision gezeigt hat. Das Wort „Unterweisung“ beinhaltet Ermahnung, Warnung, Erziehung. Die Versiegelung beinhaltet die Zusicherung Gottes, dass die Mitteilung zuverlässig ist und ausgeführt werden wird.
Gott spricht auf diese Weise, weil Er den Menschen zur Besinnung und zum Stillstand bringen will, damit er sich von der falschen Tat, die er begehen wollte, abwendet (Vers 17). Es geht nicht um diese eine Tat, sondern um sein ganzes Leben, das nur aus schlechten Taten besteht. Er lässt sich dabei von seinem Übermut leiten. Das Ende davon ist Verderben (Vers 18). Doch Gott greift in seiner Gnade ein und warnt ihn. Dadurch hält Er seine Seele zurück „von der Grube“, denn Gott hat kein Gefallen am Tod eines Menschen, sondern an seiner Umkehr und seinem Leben (Hes 33,11).
Wenn ein Mensch nicht auf Gottes Reden in Träumen und Visionen hört, spricht Er auf andere Weise, und zwar durch Züchtigung, die hier von Elihu in Form einer schweren Krankheit dargestellt wird (Vers 19). Genau das ist mit Hiob geschehen. Elihu macht Hiob jedoch nicht den Vorwurf, den seine Freunde ihm so oft gemacht haben, dass sein Leiden ein Beweis für ein heimlich sündiges Leben sei.
Elihu beschreibt in den Versen 19–22 den Verlauf einer lähmenden Krankheit, mit der Absicht, dass Hiob sich Gottes Eingreifen darin bewusst wird, dass er durch all das hindurch Gottes Reden hören kann. Es beginnt „mit Schmerzen auf seinem Lager“, was darauf hinweist, dass der Ort der Ruhe (vgl. Vers 15) zu einem Ort der Qualen wird. Das Fieber wütet ohne Unterlass in seinen Knochen. Ihm vergeht nicht nur der Appetit, sondern er verachtet das Brot, er kann nicht einmal daran denken, etwas davon zu essen (Vers 20). Ihm graut sogar vor seinem Lieblingsessen.
Infolgedessen magerte er so stark ab, dass nichts mehr von seinem Fleisch zu sehen war und seine Knochen, die vorher unsichtbar waren, nun hervorstachen und sichtbar werden (Vers 21). So wird ihm die Kraft entzogen und mit ihr das Leben. Was immer näher kommt, ist das Grab (Vers 22). Sein Leben ist dabei, dem Tod in die Hände zu fallen. Und genau aus diesem Grund bringt Gott Leiden über den Menschen. Er will ihn zu seinem eigenen Besten züchtigen, damit er sich, weil er dem Tod ins Auge sieht, Ihm zuwendet.
23 - 30 Gottes Gesandter und sein Werk
23 Wenn es [nun] für ihn einen Gesandten gibt, einen Ausleger, einen aus tausend, um dem Menschen seine Geradheit kundzutun, 24 so wird er sich seiner erbarmen und sprechen: Erlöse ihn, dass er nicht in die Grube hinabfahre; ich habe eine Sühnung gefunden. 25 Sein Fleisch wird frischer sein als in der Jugend; er wird zurückkehren zu den Tagen seiner Jünglingskraft. 26 Er wird zu Gott flehen, und er wird ihn wohlgefällig annehmen, und er wird sein Angesicht schauen mit Jauchzen; und er wird dem Menschen seine Gerechtigkeit vergelten. 27 Er wird vor den Menschen singen und sagen: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es wurde mir nicht vergolten; 28 er hat meine Seele erlöst, dass sie nicht in die Grube fahre, und mein Leben erfreut sich des Lichts. 29 Siehe, das alles tut Gott zwei-, dreimal mit dem Mann, 30 um seine Seele abzuwenden von der Grube, dass sie erleuchtet werde vom Licht der Lebendigen.
Um von der Züchtigung zu profitieren, muss der Mensch ihren Zweck verstehen, und das wiederum erfordert, dass jemand den Zweck erklärt (Vers 23). Bei dem Wort „Gesandter“, das auch mit „Engel“ übersetzt werden kann, denken wir am besten an den „Engel des HERRN“, die alttestamentliche Erscheinung des Herrn Jesus. In dem folgenden Begriff, den Elihu verwendet: „einen Ausleger“, erkennen wir auch den Herrn Jesus.
Und von wem sonst kann man wahrheitsgemäß sagen, dass er „einer aus Tausend“ ist, ein Ausdruck, der darauf hinweist, dass Er wirklich einzigartig ist (vgl. Pred 7,28b)? Es gibt niemanden wie Ihn, der die Wege Gottes kennt und der besser als jeder andere qualifiziert ist, sie auszulegen.
Christus ist in die Welt gekommen, „um dem Menschen seine Geradheit kundzutun“. Mit anderen Worten: Christus hat dem Menschen gezeigt, was der richtige Weg für ihn ist. Dieser richtige Weg ist Er selbst. Dies wird in Vers 24 erklärt. Wer auf den Gesandten, den Ausleger, hört und seine Erklärung des richtigen Weges annimmt, darf damit rechnen, dass Gott ihm gegenüber gnädig ist. Diese Gnade kommt in dem Gebot zum Ausdruck, den Leidenden von seiner Krankheit zu erlösen, „dass er nicht in die Grube hinabfahre“. Gott tut das nicht ohne Grundlage. Für diese Erlösung hat Er eine gerechte Grundlage, und das ist die Sühnung. Er kann keine Erlösung ohne erfolgte Sühne geben.
Es klingt daher wie ein Freudenruf aus dem Mund Gottes: „Ich habe eine Sühnung gefunden.“ Es bedeutet, dass Er eine Deckung für die Sünden gefunden hat, nämlich das Lösegeld des Blutes Christi, durch das Er erlösen kann. Hier sehen wir das Werk des Gesandten. Er ist gekommen, um Sühnung zu bewirken. Er tat dies, indem Er sein Leben, sein Blut gab. Er vergoss sein Blut, was bedeutet, dass Er in den Tod ging. Denn „ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung“ (Heb 9,22b). Dadurch und durch nichts anderes kann Gott den schuldigen, sündigen Menschen Gnade erweisen und sie vom Tod erlösen. Wir sind „mit Gott versöhnt … durch den Tod seines Sohnes“ (Röm 5,10).
Es ist besonders bemerkenswert, dass die Verse 23 und 24 jedes Jahr am Versöhnungstag in den jüdischen Gebeten zitiert werden.
In den Versen 25–28 beschreibt Elihu die glücklichen Folgen der Erlösung für diejenigen, die durch Gottes Gnade an ihr teilhaben. Nach der Sühne und der empfangenen Vergebung gibt es für Hiob auch die körperliche Heilung, die Wiederkehr von Gesundheit und Wohlstand mit der Frische der Jugend (Vers 25; Hiob 42,10–17; vgl. 2Kön 5,14). Es ist ein Bild für die Situation im Friedensreich, in dem der schwer geprüfte, treue Überrest den Segen der Vergebung, der Heilung und der Befreiung vom Verderben genießen wird (Ps 103,3.4). Gott wird dann sein Ziel mit der ersten Schöpfung erreicht haben. In dieser Situation befinden wir uns noch nicht.
In einem geistlichen Sinn können wir dies auf die neue Geburt, das neue Leben, das ein Mensch bei seiner Bekehrung erhält, anwenden. Das neue Leben kommt auch selbst zum Vorschein. Das Erste, woran es sich zeigt, ist das Gebet, und zwar das inbrünstige Gebet (Vers 26). Es besteht der Wunsch nach Gemeinschaft mit Gott durch Gebet. Als erste Tätigkeit des Paulus nach seiner Bekehrung wird das Gebet erwähnt (Apg 9,11).
Jemand, der sich Gott mit inbrünstigem Gebet nähert, ist Ihm „wohlgefällig“. Er nimmt ihn mit großer Freude, „mit Jauchzen“, in seine Gemeinschaft auf. Er freut sich über jeden, der sich intensiv danach sehnt, mit Ihm Gemeinschaft zu haben. Er wird diese Person unterstützen und ihr in ihrer geistlichen Entwicklung behilflich sein.
Der wiederhergestellte Gläubige, der in sich selbst ein schwacher Sterblicher ist, ist von Gott in seinem Sohn für gerecht erklärt. Er steht vor dem Angesicht Gottes, bekleidet mit seiner Gerechtigkeit und nicht mit dem Gewand seiner eigenen Gerechtigkeit. Es fehlt jegliche eigene Herrlichkeit. Wer vor Gott steht, bezeugt vor den Menschen, dass alles allein der Gnade Gottes zu verdanken ist (Vers 27).
Jemand, der erlöst ist, wird seine Sünde in einem offenen Schuldbekenntnis bekennen. Es handelt sich nicht um ein allgemein gehaltenes Bekenntnis, sondern um ein Sündenbekenntnis, bei dem die Sünde beim Namen genannt wird. Seine Sünde bestand darin, „die Geradheit verkehrt“ zu haben, mit anderen Worten, das Gesetz zu verdrehen. Die Sünde verzerrt alles, macht alles krumm und verdreht. Das ist das zerstörerische Werk des Menschen ohne Gott. Durch das Werk Christi am Kreuz wird das, was krumm ist, wieder gerade (vgl. Jes 40,4; 42,16; Lk 3,5). Dies wird auch im Friedensreich zu sehen sein, wenn der Herr Jesus alles dem ursprünglichen Willen Gottes entsprechend wiederherstellt (Apg 3,21).
Wer sich der Gnade Gottes bewusst ist, wird Ihn auch dafür loben, dass Er ihm nicht entsprechend seinen Sünden vergolten hat (Ps 103,10). Gott hat seine Seele erlöst, sein Leben gerettet (Vers 28). Er konnte dies tun, weil der Preis für die Sühne bezahlt wurde, wofür Er selbst gesorgt hat, indem Er seinen Sohn dafür in den Tod gab. Dadurch ist der Sünder nicht in das Grab, in die Dunkelheit des Todes, eingetreten, sondern sieht sein Leben im Licht. Mit diesen Worten lässt Elihu Hiob über den Tod und das Grab – Hiobs einzige Perspektive – hinaus auf das Leben im Licht blicken. Hiobs gegenwärtige Dunkelheit ist nicht das Ende. Hiob endet nicht in der Dunkelheit, sondern im Licht.
Elihu weist Hiob darauf hin, dass Gott geduldig ist in seinem Wirken mit einem Menschen (Vers 29). Er tut „das alles“, Er lässt alle möglichen Dinge im Leben geschehen, um einem Mann wie Hiob die wahre Sicht auf das Leben zu vermitteln. Gott tut das also „zwei-, dreimal mit dem Mann“. Das bedeutet, dass Er sich immer wieder um jemanden bemüht. Dabei bedient Er sich verschiedener Methoden, wie Elihu bereits erwähnt hat.
Er tut dies, damit die Seele des Menschen nicht in der Finsternis des Grabes landet, sondern „dass sie erleuchtet werde vom Licht der Lebendigen“ (Vers 30). Das erinnert stark an den Herrn Jesus, der sagte: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12). Es geht also im Wesentlichen um Ihn. Der Gott, von dem Elihu spricht, ist kein anderer Gott als Jesus Christus, der Sohn Gottes, der im Fleisch gekommen ist. In Ihm wohnte die Fülle der Gottheit leibhaftig auf der Erde (vgl. Kol 1,19). Diese Fülle wohnt noch immer in Ihm, jetzt wo Er im Himmel ist (Kol 2,9). Bei Ihm ist die Quelle des Lebens, und in seinem Licht sehen wir das Licht (Ps 36,10). In seinem Licht wird das Leben in Freude gelebt.
31 - 33 Elihu will Hiob Weisheit lehren
31 Merke auf, Hiob, höre mir zu; schweig, und ich will reden. 32 Wenn du Worte hast, so antworte mir; rede, denn ich wünsche dich zu rechtfertigen. 33 Wenn nicht, so höre du mir zu; schweig, und ich werde dich Weisheit lehren.
Erneut fordert Elihu Hiob auf, das zu beachten, was er gerade gesagt hat, und auch das, was er noch zu sagen hat (Vers 31). Dann wird er nicht in seiner Verzweiflung stecken bleiben und Gott nicht länger Ungereimtheiten zuschreiben. Elihu fragt Hiob, was er dazu zu sagen habe (Vers 32). Hiob darf seine Einwände vorbringen. Elihu geht es nicht darum, eine Debatte zu gewinnen, sondern darum, die Wirklichkeit aufzuzeigen.
Er möchte Hiob nur helfen, ihn zu „rechtfertigen“. Damit meint er, dass er Hiob in die richtige Beziehung zu Gott bringen will, dass er Hiob dazu bringen will, Gott zu vertrauen und Ihn nicht anzuklagen. Er sagt sozusagen zu Hiob: „Die Freunde haben Unrecht, Hiob, aber du auch. Gott ist gerechter als du.“ Hier sehen wir in Elihu ein Bild von Christus, der sich danach sehnt, einen Menschen vor Gott zu rechtfertigen.
Hiob antwortet nicht (Vers 33). Er hat keine Einwände. Sein Schweigen kann als Zustimmung zu dem Gesagten gewertet werden. Dann fährt Elihu fort. Er wird Hiob die Weisheit lehren, die von Gott kommt, d. h. er wird ihm Einsicht in das geben, was Gott getan hat und was so viele Diskussionen ausgelöst hat. Hiob ist ein weiser Mann, aber er kann noch an Weisheit gewinnen, wenn er Elihu weiter zuhört (Spr 9,9).
Elihu spricht mit großem Vertrauen in die Wahrheit dessen, was er sagen will, ohne Überheblichkeit. Er behandelt Hiob mit größtem Respekt und achtet darauf, seine Gefühle nicht zu verletzen oder ihm Ungerechtigkeit zu zuschreiben.