Einleitung
Es scheint eine Pattsituation entstanden zu sein. Die drei Freunde haben den Versuch aufgegeben, Hiob umzustimmen. Hiob beharrt auf seiner Auffassung, dass er unschuldig ist. Seine Klage gegen Gott hat er geäußert. Er hat auf einen möglichen Vermittler angespielt, wenn es nur einen Schiedsrichter gäbe … (Hiob 9,33). Und plötzlich steht einer auf.
In diesem Kapitel wird uns der von Hiob gewünschte Vermittler in der Person von Elihu vorgestellt. Elihu erscheint plötzlich und ohne vorherige Ankündigung auf der Bildfläche. Moderne (neo-)evangelische Ausleger, die von der modernen Theologie beeinflusst sind, haben gesagt, dass es „sehr wichtig ist, festzustellen, dass wir seine Reden überhaupt nicht vermisst hätten, wenn sie weggelassen worden wären“. Außerdem wurde angemerkt, dass die meisten modernen Kommentatoren Elihus Reden abweisen. Dazu sagen wir einfach, dass die Vorstellung, Gott würde sechs sinnlose Kapitel in sein Wort aufnehmen, geradezu töricht ist!
Elihu hat die Aufgabe, Hiob auf das Erscheinen Gottes bei ihm vorzubereiten. Nachdem Elihu gesprochen hat, gibt es keine Antwort von Hiob. Elihu spricht über Gott, wie es sich gehört, und ist damit eine Hilfe für Hiob. Er nimmt die Position eines Vermittlers zwischen Hiob und Gott ein. Auf diese Weise erinnert er uns an den „Mittler zwischen Gott und den Menschen, [den] Menschen Christus Jesus“ (1Tim 2,5). Er spricht erst, nachdem Hiob und seine Freunde zu Ende gesprochen haben und nichts mehr zu sagen haben. So kam auch der Herr Jesus erst, als vom Menschen nichts mehr zu erwarten war.
Vieles von dem, was Elihu sagt, haben auch Hiob und seine Freunde gesagt. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied. Elihu behauptet nicht, dass Gott nur wegen bestimmter Sünden straft, aber er sagt auch, dass Gott durch Leiden erziehen will (Hiob 36,8–10). Hiobs Freunde haben Hiob verborgener Sünden beschuldigt, und dass er deshalb so sehr litt. Elihu tut das nicht. Er will Hiob von seiner gegenwärtigen Sünde überzeugen, die darin besteht, dass er sich dem, was Gott tut, nicht unterwirft. Er wirft Hiob keine sündigen Handlungen oder Unaufrichtigkeit vor, sondern seine unbesonnenen Worte. In Elihu spricht Weisheit, die von oben kommt, während die Freunde Weisheit gesprochen haben, die von unten kommt.
Anders als die Freunde äußert Elihu keine vagen Annahmen über Hiobs Sünden, sondern er sagt, was er mit eigenen Ohren aus Hiobs Mund gehört hat. Er äußert keine Vermutungen, sondern weist auf unpassende Aussagen Hiobs hin. Daraus können wir sicherlich viel lernen. Das Verborgene des Herzens ist Gottes Sache; wir können nur beurteilen, was wir hören und sehen. Was Elihu tut, ist zu antworten auf das, was Hiob gesagt hat (Hiob 33,8–11; 34,5.6; 35,1–3).
Elihus Rede lässt sich wie folgt einteilen:
1. Er beginnt mit einer Einleitung, in der er sich sowohl an Hiob als auch an seine Freunde wendet (Hiob 32). In den folgenden Kapiteln spricht er nur noch zu Hiob.
2. Im ersten Teil seiner Rede an Hiob spricht er darüber, wie Gott zu den Menschen spricht (Hiob 33).
3. Im zweiten und dritten Teil rechtfertigt er Gott angesichts der Vorwürfe Hiobs. Er zeigt, dass Gottes Regierung und seine Gerechtigkeit parallel verlaufen (Hiob 34) und dass Gott als souveräner Herr nicht der Diener seiner Wünsche und der Wünsche der Menschen im Allgemeinen ist (Hiob 35).
4. Im vierten und letzten Teil seiner Rede beweist Elihu die Gerechtigkeit des Schöpfers (Hiob 36,3). Er erklärt, dass die Allmacht Gottes von vollkommener Liebe geleitet wird (Hiob 36) und dass Gott seine Souveränität, Macht und Weisheit in seinen Schöpfungswerken offenbart (Hiob 37).
1 - 5 Der Zorn Elihus
1 Und jene drei Männer hörten auf, Hiob zu antworten, weil er in seinen Augen gerecht war. 2 Da entbrannte der Zorn Elihus, des Sohnes Barakeels, des Busiters, vom Geschlecht Ram; sein Zorn entbrannte gegen Hiob, weil er sich selbst mehr rechtfertigte als Gott. 3 Und sein Zorn entbrannte gegen seine drei Freunde, weil sie keine Antwort fanden und Hiob verurteilten. 4 Aber Elihu hatte mit [dem] Reden auf Hiob gewartet, weil jene älter an Jahren waren als er. 5 Und als Elihu sah, dass keine Antwort im Mund der drei Männer war, da entbrannte sein Zorn.
Die Worte Hiobs sind zu Ende gekommen (Hiob 31,40). Auch die Freunde, „jene drei Männer“, haben keine Antworten mehr (Vers 1). Sie sind einander nicht näher gekommen. Die Freunde haben schon früher aufgegeben, aber jetzt wissen sie gar nichts mehr zu sagen. Es ist ihnen nicht gelungen, Hiob von der Richtigkeit ihrer Ansicht über sein Leiden zu überzeugen. Hiob hat an seiner Auffassung von seinem unschuldigen Leiden und seinen Zweifeln an Gottes Handeln mit ihm festgehalten.
Dann hören wir plötzlich jemanden sprechen, der das ganze Gespräch mitverfolgt hat, der sich aber nicht zu Wort gemeldet hat und von dem wir vorher noch nicht gehört haben (Vers 2). Er ist kein gleichgültiger Zuhörer gewesen. Alles, was er gehört hat, hat er aufgenommen. Als beide Parteien ausgesprochen haben, entbrennt sein Zorn, aber erst dann, und nicht vorher. Der Zorn ist groß. Das Wort wird in diesen wenigen einleitenden Versen nicht weniger als viermal verwendet. Es handelt sich aber auch um einen kontrollierten Zorn. Elihu spricht nicht vor seiner Zeit und wartete, bis Hiob und seine Freunde gesprochen hatten.
„Der Zorn“ wird erwähnt, noch bevor der Name der Person, die zornig ist, genannt wird. Der Zorn, seine Stimmungslage, als Folge der Gespräche, die er gehört hat, steht im Vordergrund und hat deshalb besonderen Nachdruck. Das beweist seine große Beteiligung. Dann wird sein Name genannt. Es ist „der Zorn Elihus“.
Die Herkunft Elihus, dessen Name „mein Gott ist er“ bedeutet, wird ausführlicher beschrieben als die der drei Freunde (Hiob 2,11). Er ist der Sohn von „Barakeel“, was „Gott segnet“ bedeutet. Außerdem ist er „ein Busiter“, d. h. ein Nachkomme von Bus, was so viel wie „der Verachtete“ bedeutet. Einer der Söhne Nahors hieß Bus (1Mo 22,20.21). Wenn es dieser Bus ist, ist Elihu noch mit Abraham verwandt. Es wird auch von Elihu gesagt, dass er vom „Geschlecht Ram“ stammt. Ram bedeutet 'der Erhabene'. Wenn wir in Elihu einen Typus des Herrn Jesus sehen können, so erinnert uns die Bedeutung der Namen Bus und Ram an Ihn, denn Er ist sowohl der Verachtete als auch der Erhabene (vgl. Jes 53,3; 52,13).
Der Grund für Elihus entflammten Zorn gegen Hiob ist, dass Hiob sich vor seinen Freunden gegenüber Gott rechtfertigen wollte. Die Freunde vermittelten einen völlig falschen Eindruck von Gott, aber auch Hiob, der sich ausführlich rechtfertigte und sogar schwor (Hiob 31), vermittelte keinen guten Eindruck von Gott.
Elihus Zorn gegen die drei Freunde bezieht sich auf die Tatsache, dass sie die Antwort auf Hiobs Leiden schuldig geblieben sind, ihn aber für schuldig erklärt haben (Vers 3). Ohne jeden Beweis sprachen sie ihr Urteil aus und sind davon während und nach den Gesprächen mit Hiob nicht einen Millimeter abgewichen. Über diese Form des Urteilens spricht der Herr Jesus ernste Worte (Mt 7,1.2). Sie haben sich auf den Thron des Richters und Gesetzgebers gesetzt (Jak 4,11.12). Daher ist ihre Sünde größer als die Hiobs, und sie werden von Gott öffentlich bestraft, während Hiob von Gott vor ihnen gerechtfertigt wird (Hiob 42,7.8).
Elihu wartete mit dem Reden, bis Hiob als letzter sprach, weil Hiob und seine Freunde älter sind als er (Vers 4). Er hat vor allem darauf gewartet, dass Hiob seine Rede beendet, weil er zu ihm sprechen will (Hiob 33,1). Er hat auch damit gewartet, sich zu äußern, weil er seinen Platz im Verhältnis zu ihnen allen kennt. Als jemand, der jünger ist als Hiob und seine Freunde, nimmt er den angemessenen Platz gegenüber Älteren ein.
Gottes Wort ist eindeutig, wenn es um den Respekt geht, der den jungen Menschen gegenüber älteren Menschen gebührt (3Mo 19,32; 1Pet 5,5a). Wir sehen diese Haltung des Respekts auch bei dem Herrn Jesus, als Er zwölf Jahre alt ist und mitten unter den Lehrern sitzt (Lk 2,46). Diese Haltung des Respekts gegenüber Älteren verschwindet mehr und mehr. Es ist eines der Anzeichen für die Erkaltung des Zusammenlebens (2Tim 3,1–4).
Obwohl sich Elihus Zorn auch auf Hiob bezieht (Vers 2), entbrennt sein Zorn jedoch vor allem gegen die Freunde wegen deren Beitrag (Vers 5). Sie sagten viel, aber er hörte aus ihrem Mund keine Antwort, die Hiob half, sein Leiden zu verstehen. Der Grund dafür ist, dass sie Hiobs Not mit ihren theologischen Vorstellungen von Gott verglichen. Ihre theologisch korrekten Aussagen stammten nicht aus einer persönlichen Beziehung zu Gott. Diese Beziehung zu Gott spüren wir aber bei Elihu. Deshalb sehen wir bei ihm, obwohl er jünger ist als sie, dass er die Dinge richtiger sieht als sie (Ps 119,100).
6 - 10 Gründe für sein Schweigen
6 Und Elihu, der Sohn Barakeels, der Busiter, hob an und sprach:
Ich bin jung an Jahren, und ihr seid Greise; darum habe ich mich gescheut und gefürchtet, euch mein Wissen mitzuteilen.
7 Ich sagte: Mögen die Tage reden und die Menge der Jahre Weisheit verkünden.
8 Jedoch der Geist ist es in den Menschen, und der Odem des Allmächtigen, der sie verständig macht.
9 Nicht die Bejahrten sind weise, noch verstehen die Alten, was recht ist.
10 Darum sage ich: Höre mir zu, auch ich will mein Wissen kundtun.
Das Wort „und“ (Vers 6) weist darauf hin, dass Elihu auf die Unfähigkeit der Freunde antwortet. Da die Alten Hiob nicht geantwortet haben und nun schweigen, beginnt Elihu zu sprechen. Zunächst erklärt er, warum er bis jetzt geschwiegen hat. Er entschuldigt sich für sein junges Alter, denn im Vergleich zu diesen steinalten Männern ist er jung. Auf verschiedene Weise bringt er seine Achtung vor ihnen zum Ausdruck, bevor er seine Auffassung zu der Angelegenheit darlegt, wobei er nicht an seine eigene Ehre, sondern an die Ehre Gottes denkt.
Er ist so kurz auf der Welt und sie schon so lange; er hat so wenig Erfahrung und sie haben so viel; sie wissen schon so viel und er weiß noch so wenig. In ihrer Gegenwart fühlte er Schüchternheit und Furcht, seine Gefühle über das zu äußern, was er von ihnen gesehen und gehört hatte. Elihus Haltung ist nicht nur äußerlich gut, sondern auch innerlich respektvoll. Er schaut zu ihnen auf und traut sich nicht, sich mit ihnen zu messen.
Er gab den Ältesten bewusst den Vorrang, weil er bei ihnen Weisheit voraussetzte (Vers 7). „Mögen die Tage reden und die Menge der Jahre Weisheit verkünden“ ist ein Sprichwort, das seine Ehrerbietung gegenüber den Älteren ausdrückt. Sie hatten bereits viele Tage Lebenserfahrung auf dem Buckel und hatten in der Vielzahl der Jahre viele Beobachtungen gemacht. Es war unvermeidlich, dass sie einen großen Schatz an Weisheit angesammelt hatten, den sie bei der Beantwortung der Lebensfragen weitergeben konnten. Sie waren Elihu altersmäßig weit überlegen, und deshalb urteilte er, dass sie es auch an Weisheit und Wissen sein würden.
Elihu kam durch das, was er hörte und sah, zu einer anderen Schlussfolgerung. Er hat entdeckt, dass nur der Geist Gottes, der in ihm, dem Sterblichen, wirkt, ihm die Fähigkeit verleiht, mit Weisheit zu sprechen, die nicht an das Alter gebunden ist (Vers 8). Durch den Odem oder vielmehr die Inspiration des Allmächtigen werden die Menschen weise und können verstehen, was Gott tut. Die Antworten auf die Fragen des Lebens müssen von Ihm kommen. Der Mensch ist nur der sterbliche „Mensch“, während Gott „der Allmächtige“ ist. Elihu unterstreicht damit, dass der Mensch, auch er selbst, in allem von Gott abhängig ist. Nur Gott hat die nötige Weisheit, um auf Hiobs Problem zu antworten.
Weisheit ist also nicht notwendigerweise an das Alter gebunden (Vers 9). Auch das Verständnis für das „was recht ist“, für das, was in den Augen Gottes gut und böse ist, ist nicht nur den alten Menschen vorbehalten. Die alten Freunde Hiobs, an die sich Elihu wendet, sind selbst Beispiele dafür. Wir können auch an einige Könige in Israel denken, die in jungen Jahren Weisheit bewiesen, aber im Alter in Torheit verfielen, wie Salomo, Asa und Joas. Alter ist keine Garantie für Weisheit.
Nachdem Elihu dies gesagt hat, scheut er sich nicht, sie aufzufordern, ihm zuzuhören (Vers 10). Er fühlt sich frei, seine Gefühle über das auszudrücken, was mit Hiob geschehen ist und was er gesagt hat. In seinen Worten liegt auch keine Arroganz. Was er tut, ist, Hiob seine Sichtweise darzulegen, ohne zu urteilen. Er teilt ihm seine Gedanken mit und überlässt ihm das Urteil.
11 - 13 Das Scheitern der Freunde
11 Siehe, ich harrte auf eure Reden, horchte auf eure Einsichten, bis ihr Worte ausfindig gemacht hättet, 12 und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf euch; und siehe, keiner ist unter euch, der Hiob widerlegt, der seine Reden beantwortet hätte. 13 Dass ihr nur nicht sagt: Wir haben Weisheit gefunden. Gott wird ihn aus dem Feld schlagen, nicht ein Mensch!
Als junger Mensch wartete Elihu geduldig auf die Worte der Freunde und hörte ihnen aufmerksam zu (Vers 11; vgl. Spr 18,13). Er tat dies in der Hoffnung, dass sie Hiob eine zufriedenstellende Antwort geben würden. Es ist gut, dass die Jugendlichen zunächst einmal hören, was die Älteren zu sagen haben (vgl. Jak 1,19). Wie bereits erwähnt, wissen ältere Menschen im Allgemeinen aufgrund ihrer Erfahrung mehr als die jüngeren. Weil sie älter sind, haben sie nun einmal mehr erlebt. Dies ist jedoch nicht entscheidend für die richtige Einschätzung der Dinge. Die richtige Einsicht kann nur der Geist Gottes geben, und die kann Er auch den jungen Menschen geben (Vers 8).
Elihu hörte sich ihre Ansichten darüber an, was mit Hiob geschehen war und warum. Er tat dies nicht passiv, sondern in der Absicht, den Sinn ihrer Ansichten zu verstehen. „Bis ihr Worte ausfindig gemacht hättet“ bedeutet, dass er feststellte, dass sie ihre Worte sorgfältig wählten. Sie sind sorgfältig vorgegangen und haben ihre Erklärungen überlegt abgegeben.
Er hörte nicht nur aufmerksam zu, sondern beobachtete sie auch genau (Vers 12), wie sie sprachen, ob das, was sie sagten, aus dem Herzen kam oder nur aus dem Kopf. Sie hatten immer wieder auf denselben Amboss gehämmert und Hiob ohne jegliches Mitgefühl mit ihren „theologischen“ Ansichten beschossen. Sie hörten Hiob nicht wirklich zu, sondern hielten ihm mit immer neuen Worten ihre eigene Position vor. Daher konnte ihn keiner von ihnen davon überzeugen, dass sie die richtige Antwort auf die Frage nach dem Grund seines Leidens hatten, nach der er doch so verzweifelt suchte.
Mit seinen Worten will Elihu den Freunden den Gedanken nehmen, dass sie doch nur sehr weise auf Hiob reagiert hatten (Vers 13). Es ist, als säßen sie jetzt mit Hiob zusammen, als unzufriedene Menschen, die mürrisch schauen, weil Hiob ihre weisen Worte so hartnäckig missachtet hat. Sie sollten sich nichts einbilden. Nur Gott kann ihm sagen, warum ihm das alles widerfahren ist, denn Er hat ihn „aus dem Feld geschlagen“, d. h. diese Unglücke über ihn gebracht. Das hat kein Mensch getan, und deshalb kann kein Mensch behaupten, mit Sicherheit zu wissen, warum Gott das getan hat.
14 - 22 Warum er reden muss
14 Er hat ja an mich keine Worte gerichtet, und mit euren Reden werde ich ihm nicht erwidern. 15 Sie sind bestürzt, sie antworten nicht mehr, die Worte sind ihnen ausgegangen. 16 Und ich sollte warten, weil sie nicht reden, weil sie dastehen, nicht mehr antworten? 17 Auch ich will mein Teil erwidern, auch ich will mein Wissen kundtun. 18 Denn voll bin ich von Worten; der Geist meines Innern drängt mich. 19 Siehe, mein Inneres ist wie Wein, der nicht geöffnet ist; gleich neuen Schläuchen will es bersten. 20 Ich will reden, dass mir Luft werde, will meine Lippen auftun und antworten. 21 Dass ich nur ja für niemand Partei nehme! Und keinem Menschen werde ich schmeicheln. 22 Denn ich weiß nicht zu schmeicheln: Sehr bald würde mein Schöpfer mich wegnehmen.
Hiob sprach nicht mit Elihu und forderte ihn nicht heraus, wie er es mit seinen drei Freunden tat (Vers 14). Elihu reagiert deshalb auch nicht aus einer persönlichen Verärgerung heraus, wie es die Freunde getan haben. Hiob kann ihn nicht der Parteilichkeit bezichtigen. Elihu wird anders zu Hiob sprechen, nicht mit unbegründeten, vehementen Anschuldigungen, sondern mit Worten von Gott.
Die Freunde sehen „bestürzt“ aus (Vers 15). Sie sehen aus wie Menschen, die sich über die verächtliche Ablehnung ihrer gut gemeinten Ratschläge wundern. Ihre Münder bleiben vor Erstaunen offen stehen und sie können kein Wort mehr herausbringen. Sie sind besiegt. Sie wissen auch nichts mehr zu sagen. Sie haben ihre Worte weggeworfen, weil ihnen nichts mehr einfällt. Mit großem Enthusiasmus hatten sie begonnen, ihre Meinung zu äußern. Sie würden Hiob schon überzeugen können. Doch allmählich verschwand das Feuer aus ihren Reden, bis sie schließlich ganz verstummten.
Elihu hatte noch auf eine Antwort gewartet, aber sie meldeten sich nicht mehr zu Wort (Vers 16). In Schweigen gehüllt stehen sie da. Sie können sich nicht hinsetzen, aber sie können auch nicht weggehen. Sie sehen aus wie Statuen, ohne Kraft, sich zu bewegen, gleichsam gelähmt durch die Erkenntnis ihrer Niederlage.
Elihu hat deutlich gezeigt, dass die Freunde in ihrem Vorgehen gegenüber Hiob versagt haben. Damit ist der Weg frei für ihn, Hiob seinerseits zu antworten und ihm seine Gefühle, seine Meinung über ihn darzulegen (Vers 17). Elihu sagt das nicht hochmütig und mit Verachtung für ihr Versagen. Er spricht nicht außer der Reihe und erst, als die anderen wirklich nichts mehr sagen können.
Vielmehr hat er jetzt, da die anderen, die Älteren, keine Worte mehr haben, die Möglichkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. Das Gespräch ist völlig festgefahren und die Teilnehmer befinden sich in einer Pattsituation. Sein Eingreifen ist nicht voreilig und unangemessen, sondern höflich und mit dem richtigen Gespür für den Stand des Gesprächs oder, noch mehr, für den Stand des Schweigens. Er spricht nicht, weil er sich durchsetzen will, sondern aus Eifer für Gott.
Elihu sieht dieses Schweigen als ein Zeichen Gottes, dass er an der Reihe ist, zu sagen, was er auf dem Herzen hat (Vers 18). Und das ist nicht wenig, denn er ist „voll … von Worten“. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass er in Selbstbeherrschung gewartet hat, bis er an der Reihe war zu sprechen. Als er dann an der Reihe ist, kann er sich nicht länger zurückhalten. Er muss sprechen, so sehr drängt ihn der Geist in seinem Inneren. Er fühlt sich wie jemand, der solange die Luft angehalten hat, dass seine Lungen zu platzen drohen.
So wie Jeremia und Paulus in bestimmten Situationen nicht schweigen konnten, kann auch er jetzt nicht schweigen; er empfindet das Bedürfnis zu sprechen als etwas, das ihm aufgezwungen wird (Jer 4,19; 20,9; 1Kor 9,16; Ps 39,3.4; 2Kor 5,14). Es ist auch wichtig, dass wir „voller Worte“ sind, um sie zur richtigen Zeit und bei der richtigen Gelegenheit zu sprechen. Das wird so sein, wenn „das Wort des Christus reichlich in uns wohnt“ (Kol 3,16).
Elihu sagt, dass sein Bauch, d. h. seine inneren Gefühle, zu platzen drohen, so groß ist der Druck, den er spürt (Vers 19). Er vergleicht das Gefühl, das er hat, mit neuen Lederschläuchen, in denen zum Beispiel Wein aufbewahrt wird. Wenn der Wein zu gären beginnt, kann der Druck auf die Schläuche so groß werden, dass sie reißen. Diesen Druck spürt Elihu in seinem Inneren. Deshalb muss er sprechen (Vers 20). Dann wird der innere Druck nachlassen und er wird Luft bekommen. Wenn er seine Lippen öffnet, kann er Hiob antworten. Das Öffnen seiner Lippen bezieht sich auf das Öffnen der neuen Lederschläuche, um zu verhindern, dass sie reißen. Die Öffnung seiner Lippen verhindert also, dass er innerlich zerrissen wird.
Was Elihu in Vers 21 sagt, richtet er nicht an eine bestimmte Person, sondern ist eher ein laut gesprochener Seufzer. Er will für niemanden Partei ergreifen, und nimmt sich vor, das auch nicht zu tun. Er will auch niemanden nach dem Mund reden, um dessen Gunst zu gewinnen. Er will nicht schmeichelnd sprechen, sondern ohne Ansehen der Person. Auf diese Weise handelt er in gleicher Weise wie Gott und Paulus (Gal 1,10; 2,6; 5Mo 1,17; 10,17; 16,19; 2Chr 19,7; 1Tim 5,21).
Er ist auch nicht in der Lage, irgendjemandem nach dem Mund zu reden, denn er lebt in der Gemeinschaft mit Gott und ist von Ehrfurcht vor seinem Schöpfer erfüllt (Vers 22). Das bestimmt sein Sprechen. Weil Gott sein Schöpfer ist, muss er gemäß Gottes Absicht mit ihm handeln. Gott schuf ihn mit der Absicht, Ihn zu repräsentieren. Wenn er das nicht tut, so weiß er, wird Gott ihn sofort wegnehmen. Dann wird Er ihn nicht länger gebrauchen können. Elihu fürchtet Gott mehr als Menschen. Deshalb hat er so viel mehr Weisheit als seine Freunde, um Hiob weise zu antworten.