1 - 5 Die nahende Invasion
1 Flüchtet, ihr Kinder Benjamin, aus Jerusalem hinaus, und stoßt in die Posaune in Tekoa, und errichtet ein Zeichen über Beth-Hakkerem; denn Unglück ragt herein von Norden her und große Zerschmetterung. 2 Die Schöne und die Verzärtelte, die Tochter Zion, vertilge ich. 3 Hirten kommen zu ihr mit ihren Herden; sie schlagen Zelte rings um sie auf, weiden jeder seinen Raum ab. 4 „Heiligt einen Krieg gegen sie! Macht euch auf und lasst uns am Mittag hinaufziehen! – Wehe uns! Denn der Tag hat sich geneigt, denn die Abendschatten strecken sich! 5 Macht euch auf und lasst uns in der Nacht hinaufziehen und ihre Paläste verderben!“
Jeremia beschreibt hier prophetisch die kommende Belagerung Jerusalems durch die Armeen des Königs von Babel (Vers 1). Der Prophet fühlt sich so sehr in den kommenden Schrecken ein, dass er ihn beschreibt, als wäre es bereits geschehen. Er sieht sie im Geist auf Jerusalem zugehen, bereit, die Stadt einzunehmen. Die „Kinder Benjamins“ – Jeremia wohnt im Gebiet des Stammes Benjamin –, die in Jerusalem sind, werden aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen und sich nicht auf ihre eigene Kraft zu verlassen. Sicherheit ist von äußerster Wichtigkeit, besonders wenn Unglück droht.
Sie sollen in die Posaune in Tekoa stoßen, um die Einwohner dort zu warnen. Tekoa ist der Geburtsort von Amos (Amos 1,1). Es ist eine judäische Stadt etwa achtzehn Kilometer südlich von Jerusalem. Zusätzlich zu dem akustischen Warnsignal muss auch ein sichtbares Zeichen, z. B. in Form eines Feuersignals, aufsteigen. Dieses sichtbare Zeichen soll über Beth-Hakkerem, das etwa fünf Kilometer südlich von Jerusalem liegt, errichtet werden, damit alle, die es sehen, vor dem Unglück fliehen können. Das Unglück „ragt herein von Norden her“, das meint, dass die Armee Babels sich auf den Vormarsch Richtung Jerusalem vorbereitet.
Jerusalem ist eine „schöne“ und „verzärtelte“ Frau (Vers 2). Die Fürsorge des HERRN hat sie reizvoll gemacht, aber sie hat ihre Schönheit missbraucht, indem sie sich wie eine Hure verhielt (Hes 16,1–16). Das führte dazu, dass sie anfangs viel Aufmerksamkeit von den umliegenden Völkern bekam und dadurch verwöhnt wurde. Das Ergebnis ist, dass sie begonnen hat, sich dem HERRN gegenüber ungebührlich zu verhalten. Deshalb wird Er sie vertilgen.
Die Stadt wird alles verlieren durch Hirten, die mit ihren Herden alles abweiden (Vers 3). Sie sind ein Bild für den Feind, der gegen sie heraufziehen wird und nichts von ihrer Schönheit übrig lässt. Die feindlichen Heerführer, die „Hirten“, mit ihren Soldaten, „ihren Herden“, werden ihre Zelte rings um Jerusalem aufschlagen. Dabei wird jeder Hauptmann seine Zelte auf einem Stück Land aufschlagen. Dieses wird dabei komplett mit Zelten bedeckt und akribisch beweidet, sodass es für das Volk Gottes unbrauchbar wird.
Der Feind kommt und erklärt den Krieg. Der Kriegserklärung gehen Vorbereitungen voraus und es folgt der Beginn des Krieges. Ihre Sprache zeigt Eile und Ungeduld und den Durst nach Zerstörung. Am helllichten Tag wollen sie angreifen (Vers 4). Dann stellt sich heraus, dass der Tag doch schneller vergehen wird als erwartet. Das ist ein Rückschlag. Dann müssen sie in der Nacht marschieren (Vers 5).
So verstreicht für Jerusalem der Tag, an dem der Angriff drohte, und es herrscht nun Angst vor der Nacht, weil die Stadt angegriffen werden wird. Die Soldaten sind voller Kriegsbegeisterung und nicht zu bremsen. Sie sehen die Beute vor sich. In der Nacht werden die Paläste, das sind die Häuser der Vornehmen, verwüstet. Die komfortablen Häuser derer, die sich am Leben ergötzt haben, werden dem Erdboden gleichgemacht.
6 - 8 Die Belagerung von Jerusalem
6 Denn so hat der HERR der Heerscharen gesprochen: Fällt Bäume und schüttet einen Wall gegen Jerusalem auf! Sie ist die Stadt, die heimgesucht werden soll; sie ist voll Bedrückung in ihrem Innern. 7 Wie ein Brunnen sein Wasser quellen lässt, so lässt sie ihre Bosheit quellen. Gewalttat und Zerstörung werden in ihr gehört, Wunde und Schlag sind beständig vor meinem Angesicht. 8 Lass dich zurechtweisen, Jerusalem, damit meine Seele sich nicht von dir losreiße, damit ich dich nicht zur Wüste mache, zu einem unbewohnten Land.
Jerusalem wird belagert, weil es der HERR den feindlichen Mächten so befohlen hat (Vers 6). Die Heere des Feindes sind in Wirklichkeit seine Heere. Der Befehl, Bäume zu fällen und damit Jerusalem zu belagern, kommt von Ihm. Mit Nachdruck wird dem Feind gesagt, dass „sie die Stadt ist, die heimgesucht werden soll“. Diese Stadt soll er angreifen.
Die Begründung folgt: „Sie ist voll Bedrückung in ihrem Innern.“ Damit ist das Verhalten von den Leitern gemeint, die das Volk zu ihrem eigenen Vorteil unterdrücken. Wir sehen dieses große Übel heute, wenn Gläubige in einer örtlichen Gemeinde von Leitern unterdrückt werden, wenn Gesetze auferlegt werden oder wenn absoluter Gehorsam gegenüber den Leitern gefordert wird.
Die Verdorbenheit der Stadt zeigt sich nicht nur vereinzelt darin, dass jemand Böses tut. Vielmehr ist es eine Bosheit, die als tägliche Gewohnheit von der ganzen Stadt ausgelebt wird (Vers 7). So wie ein Brunnen unaufhörlich und unaufhaltsam Wasser quellen lässt, so bringt die Stadt einen unaufhörlichen Strom von „Bosheit“ hervor. Wo immer man in der Stadt hinhört, hört man überall nichts anderes als „Gewalttat und Zerstörung“. Der verdorbene Brunnen von all dem ist das Herz, das weit vom HERRN entfernt ist. Der HERR sieht die Folgen davon. Es gibt fortwährend „Wunde und Schlag“ in der Stadt als Folge der Gewalttat und Zerstörung, die dort verübt werden.
In seiner großen Geduld bringt der HERR noch einmal zum Ausdruck, dass Er Jerusalem vergeben will, wenn ihre Bewohner sich zurechtweisen lassen und seine Zucht annehmen (Vers 8). Wenn sie nicht hören, muss seine Seele sich von ihnen losreißen. Das Wort „losreißen“ weist darauf hin, wie ungern der HERR die Verbindung mit seinem Volk aufgibt. Dies spricht von seiner innigen Verbindung mit der Stadt. Aber wenn sie sich nicht unter seine Zucht beugen und zu Ihm zurückkehren, muss Er sie zu zur Wüste, zu einem unbewohnten Land machen.
9 - 15 Der Fall der Stadt
9 So spricht der HERR der Heerscharen: Wie am Weinstock wird man Nachlese halten am Überrest Israels. Lege wieder deine Hand an, wie der Winzer an die Ranken. – 10 Zu wem soll ich reden und wem Zeugnis ablegen, dass sie hören? Siehe, ihr Ohr ist unbeschnitten, und sie können nicht aufmerksam zuhören; siehe, das Wort des HERRN ist ihnen zum Hohn geworden, sie haben kein Gefallen daran. 11 Und ich bin voll vom Grimm des HERRN, bin müde, ihn zurückzuhalten. – Ergieße ihn über die Kinder auf der Gasse und über den Kreis der Jünglinge insgesamt; denn sowohl Mann als Frau werden getroffen werden, der Alte wie der Hochbetagte; 12 und ihre Häuser werden anderen zugewandt werden, Felder und Frauen insgesamt. Denn ich strecke meine Hand aus gegen die Bewohner des Landes, spricht der HERR. 13 Denn von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten sind sie allesamt der Gewinnsucht ergeben; und vom Propheten bis zum Priester üben sie allesamt Falschheit, 14 und sie heilen die Wunde der Tochter meines Volkes leichthin und sprechen: „Frieden, Frieden!“, und da ist doch kein Frieden. 15 Sie werden beschämt werden, weil sie Gräuel verübt haben. Ja, sie schämen sich keineswegs, ja, Beschämung kennen sie nicht. Darum werden sie fallen unter den Fallenden; zur Zeit, da ich sie heimsuchen werde, werden sie straucheln, spricht der HERR.
Der HERR vergleicht „den Überrest Israels“, hier sind Juda und Benjamin gemeint, mit einem Weinberg (Vers 9; Jes 5,1–7). Er sagt als „der HERR der Heerscharen“, dass der Feind nach dem Gericht noch einmal durch das Land gehen wird, so wie ein Winzer noch einmal durch den Weinberg geht, um zu sehen, ob irgendwo noch Trauben hängengeblieben sind. Bildlich wird dargestellt, wie die Hand des Winzers an den Reben eines Weinstocks entlanggeht. Er sucht Rebe für Rebe ab, um zu sehen, ob es irgendwo noch eine vergessene Traube gibt. So wird der Feind Jerusalem in einer Nachlese durchkämmen, die dazu führen wird, dass die, die dem Gericht entkommen sind, doch noch weggeführt oder getötet werden.
Jeremia fragt sich, zu wem er reden wird (Vers 10). Gibt es noch jemanden, der auf das Wort des HERRN hört, das er spricht? Seine Worte scheinen keinerlei Auswirkung zu haben. Der Grund ist, dass das Ohr des Volkes unbeschnitten ist, ebenso wie ihr Herz (Jer 4,4; Apg 7,51). Sie wollen nicht zuhören, weil sie sich nicht selbst richten wollen. Ihre Ohren sind durch den Unrat der Sünde verstopft. Sie können das Wort nicht hören und sie wollen das Wort nicht hören.
Das Wort des HERRN wird von ihnen verschmäht, verspottet und verachtet. Eine solche Reaktion schmerzt sowohl den HERRN als auch den Propheten. Das Volk findet keine Freude am Wort des HERRN, es hat nichts Anziehendes für sie, für sie ist es geschmacklos. Die Ursache dafür ist, dass sie nie die Kraft des Wortes in ihrem Herzen und Gewissen gespürt haben. Wie ganz anders ist das bei Jeremia und bei denen, die wiedergeboren sind (Jer 15,16; Ps 1,2; 1Pet 2,2.3).
Die völlig gleichgültige und sogar verleumderische Haltung des Volkes gegenüber dem Wort des HERRN bewirkt in Jeremia große Abscheu (Vers 11). Er ist erfüllt von dem Grimm, der auch bei dem HERRN vorhanden ist. Jeremia hat diesen Grimm zurückhalten wollen, aber es gelingt ihm nicht mehr. Er predigt das Verderben nicht, weil er es gerne tut; aber wenn sie dann so abtrünnig sind, muss das Gericht kommen.
Jeremia bekommt dann vom HERRN den Auftrag, seinen Grimm über die gesamte Bevölkerung auszugießen. Der Grimm muss ausgegossen werden über
1. die „Kinder“, die auf der Straße spielen,
2. „die Jünglinge insgesamt“, die im Kreis stehen und sich gegenseitig unterhalten,
3. „Mann“ und „Frau“ und
4. „den Alten wie den Hochbetagten“.
Alle Bevölkerungsschichten, in jeder Altersgruppe und in allen Zusammensetzungen, fallen unter das Gericht der Wegführung in die Gefangenschaft, weil das Verderben bei allen vorhanden ist.
Das Gericht kommt auch über ihre Häuser und ihre Felder und ihre Frauen (Vers 12). Felder und Frauen werden in einem Atemzug genannt, als ob auch Frauen Besitztum wären. Alles geht in die Hände anderer über, nämlich in die des babylonischen Feindes. Sie werden die neuen Besitzer sein. Das wird geschehen, weil der HERR seine Hand im Grimm gegen sein Volk ausstreckt. Seine Hand auszustrecken bedeutet, dass Er tatsächlich eingreift und seine Macht offenbart. Davor hat Mose gewarnt (5Mo 28,30).
Der Grimm Gottes wird durch das Verhalten des ganzen Volkes erregt. Vom Geringsten bis zum Größten unter ihnen sind sie nur auf Gewinn aus (Vers 13). Die Gier nach mehr beherrscht sie. Der Prophet und der Priester machen dabei genauso heftig mit. Anstatt dem Volk zu sagen, was der HERR gerne will, betrügt jeder von ihnen, um möglichst viel Geld zu ergattern.
Sie betrügen das Volk, indem sie nicht die wahre Ursache des Bruchs mit dem HERRN – die Sünde – aufzeigen. Stattdessen ermutigen sie die Gottlosen, weiter zu sündigen, indem sie ihnen Frieden verkünden (Vers 14; vgl. Mich 3,5; 1Thes 5,3). Dies ist wirklich eine recht oberflächliche Heilung des Bruchs. Es ist so etwas wie das Abdecken eines Krebstumors mit einem Pflaster. Deshalb gibt es keine echte Heilung. Es ist der falsche Optimismus der Sünde. Es gibt überhaupt keinen Frieden. Im Gegenteil, es gibt die Drohung durch das Kommen eines grausamen Feindes.
Macht es auch keinen Eindruck auf sie, wenn sie mit ihren Taten konfrontiert werden (Vers 15)? Nein. Es gibt keinerlei Schamgefühl in ihnen für all das Böse, das sie getan haben. Sie begehen die abscheulichste Gräueltat ohne die geringste Schamröte auf ihrem Gesicht (Jer 8,12). Völlige Gefühllosigkeit gegenüber ihren Sünden kennzeichnet sie. Infolgedessen sind sie nicht offen für die Botschaft der Wahrheit. Deshalb kommt zu Gottes Zeit sein Gericht über sie.
16 - 21 Die Ursache des Gerichts
16 So spricht der HERR: Tretet auf die Wege und seht und fragt nach den Pfaden der Vorzeit, welches der Weg des Guten sei, und wandelt darauf; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Aber sie sprechen: Wir wollen nicht [darauf] wandeln. 17 Und ich habe Wächter über euch bestellt, [die sagen]: Achtet auf den Schall der Posaune! Aber sie sprechen: Wir wollen nicht [darauf] achten. 18 Darum hört, ihr Nationen, und wisse, du Gemeinde, was gegen sie [geschieht]! 19 Höre es, Erde! Siehe, ich bringe Unglück über dieses Volk, die Frucht ihrer Gedanken; denn auf meine Worte haben sie nicht geachtet, und mein Gesetz – sie haben es verschmäht. 20 Wozu soll mir denn Weihrauch aus Scheba kommen und das gute Würzrohr aus fernem Land? Eure Brandopfer sind mir nicht wohlgefällig und eure Schlachtopfer mir nicht angenehm. 21 Darum, so spricht der HERR: Siehe, ich lege diesem Volk Anstöße, dass Väter und Söhne zugleich darüber straucheln, dass der Nachbar und sein Genosse umkommen.
Es gibt einen Weg, um all dem angekündigten Unglück zu entgehen. Nämlich, wenn man hingeht und „auf die Wege“ tritt und „nach den Pfaden der Vorzeit“ fragt (Vers 16). Die Aufforderung ist, zuerst auf die Wege zu treten, die sie jetzt gehen, um zu sehen, ob das Wege sind, auf denen der HERR sie führt, oder ob es ihre eigenen Wege sind (vgl. Klgl 3,40). Wenn sie ehrlich sind, werden sie sagen, es sind ihre eigenen Wege. Dann folgt die Aufforderung, „nach den Pfaden der Vorzeit“ zu fragen (vgl. Hiob 8,8; 22,15; 5Mo 32,7). Das sind die Wege, auf denen der HERR die Väter geführt hat, die Wege, die durch die guten Anordnungen und die alten Gesetze aufgezeigt wurden, die der HERR ihnen zum Segen gab (vgl. 2Chr 17,3.4).
Es geht darum, den HERRN mit dem Herzen zu bitten, ihnen seinen Willen kundzutun. Die Aufrichtigkeit, nach diesen Pfaden zu fragen, wird sie dazu führen, dass sie anfangen, auf die Heilige Schrift zu hören. Darin werden sie den Willen des HERRN bezüglich des Weges entdecken, den Er sie gehen lassen will. Was dann noch zu tun bleibt, ist, den entdeckten Weg zu gehen. Das Ergebnis wird sein, dass sie Ruhe für ihre Seelen finden werden. Den Weg des Herrn zu gehen, gibt innere Ruhe und Freude. Dazu gehören auch Frieden, Wohlstand, Sicherheit und ein geordnetes Leben.
Im Neuen Testament werden wir ständig aufgerufen, zum Wort der Apostel zurückzukehren (2Pet 3,2; Jud 1,17). Es geht nicht darum, zurück zur Tradition oder zu den Vätern zu gehen, sondern zum Wort Gottes. Es geht um die Wege der Väter, soweit sie mit Gottes Wort in Einklang stehen. Wer dem Herrn im Gehorsam gegenüber Gottes Wort nachfolgt, findet Ruhe für seine Seele (Mt 11,29.30). Das ist es, was der Herr Jesus sagt. Diejenigen, die das tun, werden von ihrer Umgebung, besonders von den bekennenden Christen, mitleidig angeschaut und als altmodisch, ja, engstirnig bezeichnet. Aber wer diesen Weg geht, findet Ruhe für seine Seele, die alle liberaleren Wege nicht geben können.
Leider ist die Reaktion des Volkes, dass sie diesen Weg nicht gehen wollen. Es ist somit eine bewusste Entscheidung. Sie weigern sich, diesen Weg zu gehen. Selbst wenn der HERR sie eindringlich durch seine Wächter warnt, die seine Propheten sind, sagen sie, dass sie „nicht darauf achten wollen“ (Vers 17). Sie stellen sich taub gegenüber dem Ruf des HERRN, der sie auf den richtigen Weg führen will, um sie zu segnen.
Dann, als das Volk so unwillig ist, auf den HERRN zu hören, spricht Er zu den Nationen und der ganzen Erde, dass Er sein Volk für ihre Ablehnung von Ihm bestrafen wird (Verse 18.19). Was Er über sie bringt, haben sie über sich selbst gebracht, es ist „die Frucht ihrer Gedanken“. Hier sehen wir wieder einmal, dass die Missetaten und Sünden des Volkes keine Launen sind, sondern die Auswirkungen bewusster innerer Überlegungen. Ein Mensch ist, was er denkt. In ihren Gedanken gibt es keinen Platz für Gott. Deshalb haben sie Gottes Worten keine Beachtung geschenkt und sein Gesetz bewusst verworfen.
Der HERR fragt sich, ob es noch einen einzigen Grund gibt, den Weihrauch von ihnen anzunehmen, den sie Ihm bringen (Vers 20). Die Zutaten für ihren Weihrauch als Symbol ihrer Anbetung sind kostbar, weil sie aus einem fernen Land kommen. Aber für den HERRN sind sie wertlos. Wenn sie so gegen Ihn sind, wenn ihre Herzen so weit von Ihm entfernt sind, kann Er nichts damit anfangen. Ein rein äußerlicher Gottesdienst ist Ihm zuwider (vgl. Jes 1,11–13; Jer 7,21–23; Hos 6,6; Amos 5,21–27; Mich 6,6–8). Auch ihre Brandopfer und Schlachtopfer sind Ihm nicht angenehm und wohlgefällig. Ihre Anbetung wird von Ihm nicht angenommen, wenn es keinen Gehorsam Ihm gegenüber gibt (1Sam 15,22).
Eine verdorbene Anbetung wird zu Stolpersteinen führen, die der HERR ihnen in den Weg legt und durch die sie umkommen werden (Vers 21). Im Licht der folgenden Verse können wir uns einen Feind vorstellen, der in das Land eindringt und sie aller Freiheit beraubt. Das Übel der heuchlerischen Anbetung findet sich in den Familien, „Väter und Söhne zugleich“, und in der Gesellschaft, „der Nachbar und sein Genosse“. Der HERR verursacht nicht ihren Fall, das tun sie selbst.
22 - 30 Der Schrecken des Feindes
22 So spricht der HERR: Siehe, es kommt ein Volk aus dem Land des Nordens, und eine große Nation macht sich auf vom äußersten Ende der Erde. 23 Bogen und Wurfspieß führen sie, sie sind grausam und ohne Erbarmen; ihre Stimme braust wie das Meer, und auf Pferden reiten sie: gerüstet gegen dich, Tochter Zion, wie ein Mann zum Kampf. 24 Wir haben die Kunde von ihm vernommen: Unsere Hände sind schlaff geworden; Angst hat uns ergriffen, Wehen, wie [bei] einer Gebärenden. 25 Geh nicht hinaus aufs Feld und wandle nicht auf dem Weg; denn der Feind hat ein Schwert – Schrecken ringsum! 26 Tochter meines Volkes, gürte dir Sacktuch um und wälze dich in der Asche, trauere wie um den einzigen [Sohn], führe bittere Klage! Denn plötzlich wird der Verwüster über uns kommen. 27 Ich habe dich zum Prüfer für mein Volk gesetzt, als eine Festung, damit du ihren Weg erkennen und prüfen mögest. 28 Allesamt sind sie die Widerspenstigsten der Widerspenstigen; sie gehen als Verleumder umher, sie sind Kupfer und Eisen; sie sind allesamt Verderber. 29 Versengt vom Feuer ist der Blasebalg, zu Ende ist das Blei; vergebens hat man geschmolzen und geschmolzen: Die Bösen sind nicht ausgeschieden worden. 30 Verworfenes Silber nennt man sie, denn der HERR hat sie verworfen.
Der HERR sagt voraus, dass das abtrünnige Volk von einem rücksichtslosen Volk aus dem Norden, nämlich Babel, überrannt werden wird (Verse 22.23). Ohne jedes Erbarmen werden sie Tod und Zerstörung um sich herum säen. Der Eifer, mit dem sie heranstürmen, ist wie das Brausen des Meeres, von dem eine Welle auf die andere folgt. So geht es unaufhörlich weiter. Diese Abfolge von Wellen kann durch keine menschliche Kraft aufgehalten werden. Sie reiten auf Pferden, was die Schnelligkeit ihres Kommens unterstreicht. Die Männer sind zum Kampf aufgereiht, was auf ihre Zielstrebigkeit hinweist. Es richtet sich alles gegen die „Tochter Zion“, was darauf hinweist, dass Jerusalem ein begehrtes Ziel für den anrückenden Feind ist.
Das bloße Gerücht über die Ankunft dieses Feindes verursacht Panik und Lähmung, es herrscht totale Bestürzung (Vers 24). Jeglicher Mut sinkt in ihre Schuhe. Ihre Kehlen sind vor Angst wie zugeschnürt. Sie fühlen sich wie eine Gebärende. Es gibt viel Kummer, der nicht aufgehalten oder rückgängig gemacht werden kann. Es hat keinen Sinn, zu fliehen, denn das Schwert des Feindes ist überall (Vers 25). Wohin man auch schaut, überall sind Feinde. Es gibt buchstäblich „Schrecken ringsum“.
In Vers 26 spricht der HERR zu seinem Volk. Er ruft zur Trauer und zum Wehklagen angesichts des Kommens des Zerstörers auf (vgl. Jona 3,8). Ihre Trauer sollte so tief sein, als ob es sich um den Tod des einzigen Sohnes handelte. Die Trauer über den Tod eines Kindes ist groß, die Trauer über einen einzigen Sohn ist besonders groß, weil damit alle Hoffnung auf Fortführung des eigenen Geschlechts verloren ist. Deshalb muss es auch eine „bittere Klage“ sein. In dieser tiefen Trauer macht sich Jeremia mit seinem Volk eins. Wir sehen dies an dem Wort „uns“.
Der HERR knüpft daran an (Vers 27). Er hat Jeremia als einen eingesetzt, der sich ganz mit dem Volk identifiziert hat, um es prüfen zu können. Seine Gemeinschaft mit dem HERRN befähigt ihn, den Weg des Volkes zu kennen und zu prüfen, wie der HERR ihn kennt. Das unterstellt eine sorgfältige und manchmal langwierige Untersuchung. Das Gericht wird nicht plötzlich, in einem Anfall von Zorn, ausgesprochen. Außerdem hat Er Jeremia zu einer Festung für sie gemacht (vgl. Jer 1,18.19). Das heißt, wer auf ihn hört, wird sicher sein.
Die Schlussfolgerung des Prüfers Jeremia ist, dass seine Volksgenossen von allen Widerspenstigen die schlimmsten sind (Vers 28). Das betrifft ihre Haltung gegenüber dem HERRN und das hat auch Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu ihren Volksgenossen. Sie lästern den Namen des HERRN mit beispielloser Härte, „Kupfer und Eisen“, und verderben, was gut ist. Was auch immer der HERR durch seine Gerichte versucht hat, um sein Volk von ihren bösen Wegen abzubringen, es war alles vergeblich (Vers 29).
Wir können an den Blasebalg als ein Bild für die Mittel denken, die der HERR benutzte, um sein Volk zur Umkehr zu bringen. Hier können wir an das Reden der Propheten denken und an die Feinde, die Er gesandt hat. Der Blasebalg ist verbrannt, er funktioniert nicht mehr. Das Blei kam zwar ins Feuer und der Schmelzer tat sein Bestes, um es zu schmelzen und damit zu reinigen, aber alle Mühe ist vergeblich: „Die Bösen sind nicht ausgeschieden worden.“
Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, dass das ganze Volk aus bösen Menschen besteht, dass es niemanden gibt, der eine Ausnahme bildet (vgl. Jer 5,1). Es gibt überhaupt keine Bösen, die man aussortieren könnte, weil es keine Guten gibt. Das Volk als Ganzes ist wie ein unedles Metall. Jeremia kommt zu dem Schluss, dass der HERR sie alle verwerfen muss wie unreines Silber, wie wertloses Metall (Vers 30). Der HERR kann nicht anders, ihre Unverbesserlichkeit zwingt Ihn dazu.