1 - 5 Wo und wen ruft die Weisheit?
1 Ruft nicht die Weisheit, und lässt nicht die Einsicht ihre Stimme erschallen? 2 Oben auf den Erhöhungen am Weg, da, wo Pfade zusammenstoßen, hat sie sich aufgestellt. 3 Zur Seite der Tore, wo die Stadt sich öffnet, am Eingang der Pforten schreit sie: 4 An euch, ihr Männer, ergeht mein Ruf, und meine Stimme an die Menschenkinder. 5 Lernt Klugheit, ihr Einfältigen, und ihr Toren, lernt Verstand!
Nachdem die verführerische und irreführende fremde Frau gesprochen hat (Spr 7,13–23), erhebt nun die „Weisheit“ ihre Stimme (Vers 1; vgl. Spr 1,20–22). Wieder wird die Weisheit hier als göttliche Person dargestellt. Die Weisheit ist Christus. Dasselbe gilt für die „Einsicht“. Auch sie ist eine Personifizierung Christi. Die Verse 1–21 weisen auf den Herrn Jesus hin. Er hat in seinem Leben als die Weisheit die Menschen gerufen und als die Einsicht seine Stimme zu ihnen erschallen lassen. Jetzt, wo Er im Himmel ist, tut Er es durch seine Diener.
Die Frageform in Vers 1 betont die Tatsache, dass niemand eine gültige Ausrede hat, den Aufruf der Weisheit oder der Einsicht zu ignorieren. Die Antwort auf diese Frage kann nur bestätigend sein. Niemand kann sich dem Ruf der Weisheit entziehen, weil alle ihn mitbekommen. Sie spricht nicht geheimnisvoll, im Dunkeln, wie die ehebrecherische Frau in Sprüche 7, sondern „ruft“ laut und „lässt … ihre Stimme erschallen“. „Ruf“ und „die Stimme erschallen lassen“ bedeuten beide, die Stimme zu erheben. Dieser Vers bildet wieder einen hebräischen Parallelismus, wobei die zweite Zeile die erste mit anderen Worten bestätigt.
Die Orte, an denen sie sich aufgestellt hat, sind sorgfältig ausgewählt. Es sind Orte, wo sie von allen gesehen werden kann: „oben auf den Erhöhungen“. Dort befinden sich auch viele Menschen aus allen möglichen Richtungen: „am Weg“, und „da, wo Pfade zusammenstoßen“ (Vers 2). Ihre Stimme hört man auch „zur Seite der Tore, wo die Stadt sich öffnet“ (Vers 3). Das sind die Orte, an denen Handel getrieben und Recht gesprochen wird, wo also viele Menschen sind. Jeder, der in die Stadt hinein- oder aus ihr hinausgeht, hört sie. Sie ist auch „am Eingang der Pforten“, was an die Tempeltüren oder an Haustüren denken lässt. Sie ist überall, wo Menschen sind.
Sie ruft den „Männern“; und ihre Stimme ergeht „an die Menschenkinder“ (Vers 4). Jeder wird angesprochen. Die Weisheit wendet sich nicht nur an eine auserwählte Gruppe von Intellektuellen oder religiösen Eingeweihten von „Niveau“. Nein! Sie ist für jeden da und schließt niemanden aus. Es ist wie mit dem Missionsauftrag, der weltweiten Predigt des Evangeliums, die ja ausnahmslos jeden Menschen erreichen soll (vgl. Mk 16,15).
Alle Menschen wissen, was gut und schlecht ist, tun aber nicht das Gute, sondern das Schlechte. Das hält die Weisheit allen Menschen vor. Niemand, der sich vor dem Richterstuhl Christi verantworten muss, wird sagen können: „Ich habe es nicht gewusst.“
Die Weisheit wendet sich inmitten aller Menschen mit einem besonderen Wort an „Einfältige … und Toren“ (Vers 5). Solche Menschen brauchen die Weisheit am meisten und neigen am ehesten dazu, sie zu ignorieren. In ihrer Gnade sagt sie zu den Einfältigen, den Dummköpfen, dass sie doch „Klugheit“ lernen sollen, um zu erkennen, worum es im Leben geht. Sie möchte, dass sie ihre Dummheit bereuen und sie, die Weisheit, in ihrem Leben zulassen. Dann werden sie leben und nicht umkommen.
Gleiches gilt für die Toren. Die sind schon viel weiter von der Weisheit weg als die Einfältigen. Dennoch bezieht die Weisheit auch sie in ihren Ruf mit ein. Es ist noch nicht zu spät, um „Verstand“ zu lernen, das heißt: ihre Torheit einzusehen und zur Besinnung zu kommen. Wenn sie zu sich selbst kommen, werden sie sehen und verstehen, dass sie dem Gericht entgegengehen und Buße tun müssen.
6 - 9 Was ruft die Weisheit?
6 Hört, denn Vortreffliches will ich reden, und das Auftun meiner Lippen soll Geradheit sein! 7 Denn mein Gaumen spricht Wahrheit aus, und Gottlosigkeit ist meinen Lippen ein Gräuel. 8 Alle Worte meines Mundes sind in Gerechtigkeit; es ist nichts Verdrehtes und Verkehrtes in ihnen. 9 Sie alle sind richtig für den Verständigen und gerade für die, die Erkenntnis erlangt haben.
Die Weisheit ruft allen Menschen zu, auf sie zu hören (Vers 6). Sie ist für alle da. Um zu verstehen, was sie sagt, braucht man keine besondere Intelligenz, sondern ein williges Herz. Der Inhalt ihrer Worte ist von höchster Reinheit und besonders wertvoll. Was sie sagt, ist „Vortreffliches“. Es sind erhabene Dinge von ausgezeichneter Qualität und von edlem, hochwertigem Charakter. Wenn sie ihre Lippen öffnet, lässt sie „Geradheit“ hören, das, was aufrichtig und recht ist.
Dann begründet sie ihren Aufruf, eingeleitet durch das Wort „denn“. Sie sagt: „Denn mein Gaumen spricht Wahrheit aus“ (Vers 7). Sie sagt die Wahrheit, und zwar Gottes Wahrheit, über alle Dinge. Wenn die Hure dem jungen Mann vorstellt, wie ihr Zimmer aussieht und wie es dort riecht (Spr 7,16.17), belügt sie ihn damit nicht. Was sie darüber sagt, ist wahr; aber es ist nicht Gottes Wahrheit. Im Licht der Wahrheit Gottes können die Menschen wissen, wie die Dinge sind – ob gut oder schlecht – und wie sie miteinander in Beziehung stehen.
Die Wahrheit, die die Weisheit redet, steht also nicht der Unwahrheit oder der Lüge gegenüber, sondern der „Gottlosigkeit“. „Gottlosigkeit“ bedeutet, dass man ohne Gott lebt, dass man keine Rücksicht auf Ihn nimmt. Deshalb ist auch für die Lippen der Weisheit das Reden von Gottlosem „ein Gräuel“.
Es ist äußerst wichtig, auf die Wahrheit aus dem Mund der Weisheit zu hören. „Alle Worte“, die sie spricht, „sind in Gerechtigkeit“ ausgesprochen (Vers 8). Jedem ihrer Worte kann man absolut vertrauen. Es sind Worte, die jeder Person und jeder Sache gerecht werden; Worte, die Menschen auf den rechten Weg führen. In ihren Worten ist nichts Widersprüchliches; es gibt absolut „nichts Verdrehtes und Verkehrtes in ihnen“, nichts, was gegen die Wahrheit der Schrift verstößt oder im Widerspruch zur gesunden Lehre steht.
Wer die richtige Gesinnung hat, versteht, dass ihre Worte „richtig“ sind (Vers 9). Wer auf dem Pfad der Weisheit geht, kann Sie noch besser verstehen. Aufrichtigkeit ist erforderlich, um Weisheit zu verstehen, und nicht Intelligenz, Gelehrsamkeit oder Klugheit. Die Richtigkeit ihrer Worte wird von allen verstanden, die Erkenntnis erlangt haben.
10 - 21 Der Wert der Weisheit
10 Nehmt meine Unterweisung an und nicht Silber, und Erkenntnis lieber als auserlesenes, feines Gold. 11 Denn Weisheit ist besser als Korallen, und alles, was man begehren mag, kommt ihr nicht gleich. 12 Ich, Weisheit, bewohne die Klugheit und finde die Erkenntnis der Besonnenheit. 13 Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen. Stolz und Hochmut und den Weg des Bösen und den Mund der Verkehrtheit hasse ich. 14 Mein sind Rat und Einsicht; ich bin der Verstand, mein ist die Stärke. 15 Durch mich regieren Könige, und Fürsten treffen gerechte Entscheidungen; 16 durch mich herrschen Herrscher und Edle, alle Richter der Erde. 17 Ich liebe, die mich lieben; und die mich früh suchen, werden mich finden. 18 Reichtum und Ehre sind bei mir, bleibendes Gut und Gerechtigkeit. 19 Meine Frucht ist besser als feines Gold und gediegenes Gold und mein Ertrag besser als auserlesenes Silber. 20 Ich wandle auf dem Pfad der Gerechtigkeit, mitten auf den Steigen des Rechts, 21 um die, die mich lieben, beständiges Gut erben zu lassen und um ihre Vorratskammern zu füllen.
Wenn jemand die Ermahnung (oder Belehrung) der Weisheit annimmt, wird er dadurch reicher, als er jemals mit Silber werden kann (Vers 10; vgl. Ps 119,72). Die Annahme der Ermahnung führt zu „Erkenntnis“. Der Besitz der Erkenntnis ist besser als „auserlesenes, feines Gold“. „Weisheit“ geht weit über den Wert von „Korallen“ hinaus (Vers 11). Was auch immer irgendjemand an irdischem Reichtum wünschen mag, es kann nicht verglichen werden mit der Weisheit und ihrem Ertrag. Wegen des hohen Wertes der Weisheit für das Leben ist sie begehrenswert vor allem anderen.
Das Zuhause, wo die Weisheit wohnt, ist „Klugheit“ (Vers 12). Das bedeutet: Sie ist scharfsinnig; sie verfügt über eine scharfe, klare Einsicht in Bezug auf Menschen, Dinge und Ereignisse. Sie versteht es, richtig zu handeln, weil sie sich der „Besonnenheit“ oder Nachdenklichkeit bedient. Besonnenheit ist die Fähigkeit, gute Pläne zu machen und durchdachte Entscheidungen zu treffen. Sie lässt sich nicht zu voreiligem und damit falschem Handeln hinreißen. Weil sie besonnen ist, hat sie die Erkenntnis, um genau zu wissen, was jeweils zu tun ist.
Diese Eigenschaften – Klugheit und Besonnenheit – sehen wir auf vollkommene Weise beim Herrn Jesus. Er wusste immer, was Er zu welcher Zeit tun musste. Um unnötigen Anstoß zu vermeiden, bezahlte Er die Tempelsteuer, obwohl Er selbst als König davon frei war und das auch auf seine Jünger als seine Untertanen übertrug (Mt 17,24–27). Im Blick auf den Menschen wusste Er, was in ihm war, und Er ließ sich nicht durch äußere Erscheinung täuschen (Joh 2,23.24). Das sind nur einige der vielen Schätze der Weisheit und Erkenntnis, die in Ihm verborgen sind (Kol 2,3).
Klugheit und Besonnenheit (Vers 12) wirken jedoch nur dann, wenn sie von „der Furcht des HERRN“ gelenkt werden (Vers 13). Zugleich führt die Furcht des HERRN dazu, das „Böse“ zu hassen. Das Böse kann man beispielsweise in der Verführung durch die ehebrecherische Frau im vorherigen Kapitel sehen. Allgemeiner bezieht sich dieser Hass auf Hochmut, Stolz, einen falschen Weg und falsche Worte.
„Stolz“ und „Hochmut“ stecken im Menschen, im sündigen Fleisch. Wenn wir diesen Sünden freien Lauf lassen und sie nicht verurteilen, wenn sie in uns hochkommen, bringen sie uns auf „den falschen Weg“. Auf diesem falschen Weg befinden sich Menschen mit einem „Mund der Verkehrtheit“, mit Dingen, die Gott hasst. Weltmenschen sehen die Dinge, die wir hassen sollen, ganz anders. Sie sprechen von „einer anderen Lebensweise“, von „einer anderen Option“. Sie erwarten, dass wir ihre Lebensweise tolerieren und auf keinen Fall als böse und sündig bezeichnen.
Weisheit äußert sich in Rat und Einsicht, Verstand und Stärke (Vers 14). Diese Eigenschaften gehören zur Einsicht. Verstand ist nicht nur eine ihrer Eigenschaften, sondern Ausdruck ihres Wesens. Was bei Ihr zu finden ist, charakterisiert sie. Sie zeigt „Rat und Einsicht“. Sie hat auch die „Kraft“, alles zu tun, was sie sich durch Rat und Einsicht vornimmt. Hier zeigt sich erneut, dass die Weisheit Christus ist. Einer seiner Namen ist „Berater“ (Jes 9,5). Der Geist, der Ihn leitet, ist „der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN“ (Jes 11,2).
Die Weisheit ist auch die Quelle aller irdischen Macht und Autorität. Durch sie regieren Könige (Vers 15) – nicht, weil sie es erlaubt, sondern weil sie es bestimmt (Röm 13,1–6). Sie setzt Könige ein (Dan 2,21). Einem König ist normalerweise bewusst, dass er gut oder schlecht regieren kann. Gut kann das Regieren nur durch die Weisheit sein. Wer nicht nach Weisheit fragt, wird schlecht regieren, wie wir es bei den Königen von Israel und einigen der Könige von Juda sehen.
Weisheit erlaubt es Fürsten (möglicherweise Ministerpräsidenten der Länder, lokale Behörden), Gerechtigkeit zu verordnen. Diese Fürsten erlassen Vorschriften und legen diese schriftlich fest; sie regeln Angelegenheiten, die der Gerechtigkeit, dem Recht Gottes, dienen. Ohne Weisheit können sie nichts vorschreiben, was dem Gesetz Gottes entspricht; mit Weisheit ist das aber durchaus möglich.
Wie die Könige, so herrschen auch die Fürsten durch die Weisheit (Vers 16). Das gilt auch für „Edle“, das sind angesehene Männer, wenn sie in einer wohltuenden Weise Führung wahrnehmen. Auch all jene, die irgendwo auf der Erde ihre Funktion als Richter ausüben, können dies nur durch die Weisheit in der richtigen Weise tun, das heißt rechtschaffen nach dem Gesetz Gottes. Von sich aus kann man das nicht. Wie weise und gerecht muss die Weisheit sein, wenn die mächtigsten Menschen der Erde nicht ohne sie auf gerechte und wohltuende Art führen können.
Schätzen wird die Weisheit nur der, der sie liebt (Vers 17); nur dann gibt es eine Verbindung zu ihr. Es geht also um die Gesinnung des Herzens gegenüber der Weisheit. Wo Liebe zur Weisheit ist, wird diese Liebe von ihr mit Liebe beantwortet. Die Liebe zur Weisheit zeigt sich darin, sie „früh“ oder eifrig zu „suchen“. Das ist es, was Salomo tat (1Kön 3,9). Wer das tut, dem wird versprochen, sie auch zu finden, ihr zu begegnen, sie in Besitz zu nehmen: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden (Jak 1,5).
Denen, die Weisheit suchen, verspricht sie eine reiche Belohnung, indem sie darauf hinweist, dass „Reichtum und Ehre“ bei ihr sind (Vers 18). Sie stellt das ernsthafte Suchen nach ihr als sehr attraktiv dar und fügt hinzu, dass auch „bleibendes Gut und Gerechtigkeit“ bei ihr sind. Dass es hier nicht um irdischen Besitz geht, ist offensichtlich, denn diesen kann man leicht verlieren (Spr 23,4.5). Es geht um Schätze im Himmel, die niemand wegnehmen kann: „Sammelt euch nicht Schätze auf der Erde, wo Motte und Rost zerstören und wo Diebe einbrechen und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost zerstören und wo Diebe nicht einbrechen und nicht stehlen“ (Mt 6,19.20).
Bleibendes Gut kann definitionsgemäß nur ewiges, nicht vergängliches Gut sein, weshalb man es auch letztlich erst im Leben nach diesem Leben und nicht schon im Leben hier und jetzt genießt. Auch die Gerechtigkeit kann nicht durch Gold oder Silber ersetzt werden. Gold kann man bekommen oder erben, Weisheit nicht. Nur die finden Weisheit, die nach ihr suchen. Auch Gerechtigkeit ist eine Qualität, die nicht mit der Erde, sondern mit Gott verbunden ist. Sie ist ein Merkmal Gottes in seinem Handeln mit Menschen. Seine Art des Umgangs mit Menschen ist immer in Übereinstimmung mit seinem gerechten Wesen.
Wer Weisheit gefunden hat, wird ihre „Frucht“ genießen (Vers 19). Ihre Frucht ist all das, was sie hervorbringt. Dabei können wir an alle Segnungen denken, die uns durch Gnade geschenkt sind, wie Erlösung, Versöhnung, Vergebung, Rechtfertigung, Sohnschaft, ewiges Leben. Das erinnert uns auch an die Frucht des Geistes (Gal 5,22), die jedem zuteilwird, der mit der Weisheit in Verbindung steht. Diese Frucht gehört ihr, aber sie gibt sie allen, die sie finden. Diese Frucht „ist besser als feines Gold und gediegenes Gold“. Natürlich geht es hier nicht um irdischen Wohlstand, sondern um geistliche Frucht.
Das gilt auch für ihren „Ertrag“ – ein Begriff aus der Marktwirtschaft, aus dem Handelswesen, ein Begriff, der hier geistlich zu verstehen ist. Was die Weisheit an Frucht und Ertrag bringt, ist kein materieller Reichtum, denn ihre Frucht und ihr Ertrag sind besser als das, was Gold und Silber in ihrer reinsten Form bringen (vgl. Hiob 28,15). Das Produkt der Weisheit, das, was die Weisheit hervorbringt, ist besser als das, was man mit Gold und Silber erwerben kann.
Die Weisheit „wandelt“ (Vers 20). Man muss ihr folgen, wie die Kinder ihren Eltern oder Soldaten ihrem General folgen, wie Schüler ihrem Lehrer und Schafe ihrem Hirten folgen. Sie führt ihre Anhänger „auf dem Pfad der Gerechtigkeit“. Wer ihr nachfolgt, wandelt auf ihrem Weg. Sie geht ihnen „mitten auf den Steigen des Rechts“ voraus und vermeidet dadurch ein Abweichen nach rechts oder links. Der Anhänger der Weisheit ist weder formal noch ausschweifend. Von beiden Extremen bleibt er weit entfernt. Er folgt keinem trockenen, tödlichen System und auch keinem Prinzip der Unverbindlichkeit.
Das geerbte Gut ist Teil aller, die die Weisheit lieben (Vers 21). Das ist kein Verdienst und auch kein Geschenk, sondern ein Recht, wenn auch ein geschenktes Recht, weil es mit dem Herrn Jesus verbunden ist, der dieses Recht erworben hat. Der Erbbesitz ist Er selbst. Denen, die Ihn als Erbe haben, füllt Er auch noch die „Vorratskammern“ (Lk 6,45). Was Er von sich selbst in ihr Herz legt, ist keiner Wertminderung ausgesetzt.
22 - 31 Weisheit ist eine ewige Person
22 Der HERR besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken von jeher. 23 Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, von Anbeginn, vor den Uranfängen der Erde. 24 Ich war geboren, als die Tiefen noch nicht waren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. 25 Bevor die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren; 26 als er die Erde und die Fluren noch nicht gemacht hatte, und den Beginn der Schollen des Erdkreises. 27 Als er die Himmel feststellte, war ich da, als er einen Kreis abmaß über der Fläche der Tiefe; 28 als er die Wolken droben befestigte, als er Festigkeit gab den Quellen der Tiefe; 29 als er dem Meer seine Schranke setzte, dass die Wasser seinen Befehl nicht überschritten, als er die Grundfesten der Erde feststellte – 30 da war ich Werkmeister bei ihm und war Tag für Tag seine Wonne, vor ihm mich ergötzend allezeit, 31 mich ergötzend auf dem bewohnten Teil seiner Erde; und meine Wonne war bei den Menschenkindern.
In den vorherigen Versen haben wir den Ruf der Weisheit gehört. Ihr Ruf ist ohne Ausnahme an alle Menschen ergangen. In den Versen 22–31 bezeugt die Weisheit, wer sie ist. Diese Verse sind eine schöne Beschreibung des Herrn Jesus, denn es geht um Ihn. Er ist der ewige Sohn, die Weisheit in Person. Wenn wir die Frage stellen würden, wie lange Gott schon weise ist, lautet die Antwort einfach: Die Weisheit existiert, seitdem Gott existiert, also ewig. Zu keinem Zeitpunkt hätte man sagen können, Gott sei nicht weise gewesen und wäre es erst später geworden. Somit haben wir auch die angemessene, passende Antwort auf die Frage, wie lange der Herr Jesus existiert.
Dies geht schon aus dem Ersten hervor, was die Weisheit über sich sagt. Sie war bei Gott, dem HERRN, bevor irgendeines der Werke Gottes in Erscheinung trat (Vers 22). Vor der Gründung der Welt war die Weisheit als eine selbstständige Person bei Gott. Der Evangelist Johannes bestätigt das: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“ (Joh 1,1). „Das Wort“ ist der Herr Jesus.
Es ist bemerkenswert, dass die Weisheit damit beginnt, über den HERRN, den Gott des Bundes, mit seinem Volk zu sprechen. Sie ist eng mit Ihm verbunden. Wie eng, sagt sie anschließend. Der HERR besaß sie „im Anfang seines Weges“. Eine falsche und irreführende Übersetzung besagt, dass der HERR sie „erschuf“ anstatt „besaß“. Aber Christus, der Sohn, sagt als die Weisheit, dass der HERR Ihn besaß „im Anfang seines Weges, vor seinen Werken, von jeher“ (vgl. Mich 5,1).
Als Gott seinen Weg mit der Welt begann, als Er seine Werke zustandebrachte, tat Er es durch den Sohn, der „von jeher“, also von Ewigkeit her, bei Ihm war. Christus ist der Anfang der Schöpfung Gottes, was bedeutet, dass Er am Anfang aller Werke von Gottes Schöpfung steht, dass Er die Schöpfungswerke begonnen und auch vollendet hat (1Mo 1,1.31; Joh 1,3; Kol 1,16.17; Heb 1,2). Aus Ihm ist die ganze Schöpfung entstanden. Er war bei Gott als die Weisheit aller Werke Gottes. Alle Werke Gottes kamen durch seine Weisheit zustande. Die Weisheit selbst ist also nicht erschaffen, sondern ist von Ewigkeit her bei Gott.
Die Weisheit ist von Ewigkeit her gesalbt (Vers 23). „Eingesetzt“ heißt wörtlich „durch Salbung eingesetzt“. Salbung hat mit der Bestimmung für einen bestimmten Zweck zu tun. Im Alten Testament wurden Könige und Priester gesalbt, um das zu sein, wozu sie bestimmt waren. Ebenso ist die Weisheit, Christus, von Gott zu einem bestimmten Werk vorherbestimmt. Ähnliches sehen wir in Bezug auf Christi Versöhnungswerk, zu dem Er als Lamm von Gott „zuvor erkannt ist vor Grundlegung der Welt“ (1Pet 1,20). Das Werk, um das es hier im Buch der Sprüche geht, ist das Werk der Schöpfung. Die Weisheit war da „von Anbeginn, vor den Uranfängen der Erde“.
Dass die Weisheit „geboren“ ist – was zweimal gesagt wird, nämlich in den Versen 24 und 25 –, bedeutet, dass Christus in einem bestimmten Moment begann, als Schöpfer zu handeln. Was in Gott gegenwärtig ist, wird sichtbar – ähnlich wie bei der Geburt eines Kindes. Ein Kind befindet sich bereits vor der Geburt im Mutterleib, wird aber erst bei der Geburt sichtbar. Weisheit beweist ihre Präexistenz, indem sie handelt, wenn es noch nichts gibt: „als die Tiefen noch nicht waren“ und „als noch keine Quellen waren, reich an Wasser“ (Vers 24). Dasselbe gilt für „die Berge“ und „die Hügel“ (Vers 25), die ebenfalls ihre Entstehung Ihm verdanken, der da war (Ps 90,2).
In diesem gesamten Abschnitt liegt der Schwerpunkt auf der ewigen (Vor-)Existenz Christi. Es ist äußerst wichtig, daran festzuhalten. Alles, was besteht, ist durch Ihn erschaffen und hat somit einen Anfang, während Er keinen Anfang hat. So etwas wie „ewige Materie“ gibt es nicht. Nur der dreieine Gott ist ewig. Der Sohn war da, „als die Erde und die Fluren noch nicht gemacht“ waren (Vers 26). Nach dem Wasser und den Höhen in den beiden vorhergehenden Versen scheint es hier eher um die bewohnbaren Teile der Erde zu gehen. „Schollen des Erdkreises“ ist die Bezeichnung für die Bestandteile der Erde, einschließlich der Bodenschätze. Alles hat einen Anfang, und zwar durch Ihn.
Im Anfang war das Wort. Dies bedeutet, dass Er bei allem dabei war, was einen Anfang hat, während Er selbst keinen Anfang hat. Er ist der Anfang von allem (Joh 1,1). Gott ist der große Architekt, der alles durch Weisheit erbaut hat. Er hat alles durch den Sohn erschaffen (1Kor 8,6). Alles ist durch das Wort geworden. Diese Stelle aus Sprüche 8 wird in den ersten Versen von Johannes 1 erklärt (Joh 1,1–3).
Der Sohn ist auch an der Bereitung des Himmels beteiligt (Vers 27). Er war kein Zuschauer, sondern der Hersteller (Heb 1,10). Er hat dem Himmel die Form, den Glanz und die Bekleidung – bestehend aus Sonne, Mond und Sternen – gegeben. Der Himmel wurde von Ihm als einen die Fläche der Tiefe überspannenden Kreis gezogen, so wie man einen Kreis mit einem Zirkel zeichnet (vgl. Jes 40,22; Hiob 26,9.10). Innerhalb dieses Kreises hat Er die Wolken befestigt, so dass sie das Wasser festhalten können, um es zu seiner Zeit und wo Er will auf die Erde zu gießen (Vers 28; Hiob 26,8; 37,11). Auch „die Quellen der Tiefe“ sind stark und können durch die Kraft, die Er ihnen gibt, hervorsprudeln.
Der Ort des Meeres wurde nicht durch Evolution bestimmt, sondern vom Sohn zugewiesen (Vers 29). Darüber hinaus hat Er auch befohlen, dass das Meer sich an die von Ihm gesetzte Grenze hält und sie nicht überschreiten wird (Jer 5,22; Hiob 38,10.11). Er hat die Grundfesten der Erde so festgestellt, dass die Erde unerschütterlich ist (Ps 104,5).
Alle von der Weisheit soeben beschriebenen Schöpfungshandlungen zeugen von der göttlichen Weisheit, die ihnen zugrunde liegt. Das beweist die ewige Existenz der Weisheit vor der Schöpfung. Gott hat sich sein Werk ausgedacht und mit Weisheit ausgeführt, und zwar durch seinen Sohn.
In Vers 30 geht es nicht mehr um die Schöpfung, sondern um die Beziehung zwischen dem HERRN, Jahwe, und der Weisheit. Die Weisheit war ewig „bei ihm“. Sie wird von Gott geliebt, weil die Weisheit die Person Christi ist. Er ist das Wort, das am Anfang bei Gott war (Joh 1,1). Im Neuen Testament sehen wir dieselbe Liebesbeziehung in der Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn. Dabei handelt es sich um eine Beziehung ewiger Liebe (Joh 17,5.24).
Obwohl es in der Ewigkeit keine Zeit gibt, wird es hier dennoch so ausgedrückt, dass sich der Vater „Tag für Tag“ an seinem Sohn erfreute. So lässt Er uns an den Empfindungen seines Herzens für seinen Sohn teilhaben. Zugleich ist das ein Beispiel dafür, dass wir uns jeden Tag mit dem Sohn beschäftigen, Ihn sehen und uns an Ihm erfreuen. Kann es denn für uns noch einen anderen Gegenstand der Liebe und Freude geben als Ihn, der das Herz Gottes erfüllt?
Er ist von Ewigkeit her Gottes „Wonne“, sich „vor ihm … ergötzend allezeit“. Diese Ausdrücke zeigen, wie sehr Gott Ihn liebt und wie Er sich an Ihm erfreut. Niemals gab es eine Zeit, in der dies anders war. Gott blickte ewig mit der größten, tiefsten Liebe und Freude auf Ihn. Die Ursache dafür ist die zwischen beiden Personen bestehende, vollkommene Einheit in Natur, Eigenschaften und Wünschen. Von jeher besteht zwischen Ihnen eine vollkommene Harmonie in Gedanken und Gefühlen. Alles, was Gott ist, sah und sieht Er in seinem Sohn.
Das änderte sich auch nicht, als der Sohn als Schöpfer tätig wurde, denn sein Schöpfungswerk ist die Ausführung des Vorsatzes Gottes. Als Er die Himmel und die Erde schuf, war Er gleichsam mit einem Spiel beschäftigt, das Er mit großer Freude spielte. Das erinnert an die Befriedigung, die Er hatte, als Er alles nach der Schöpfung sah und als „sehr gut“ bezeichnete (1Mo 1,31).
Durch das, was der Sohn geschaffen hat, entsteht ein neues Gebiet, in dem der Sohn selbst seine Freude findet (Vers 31). Er, der immer die Freude des Herzens Gottes war und vor dessen Angesicht Er „spielte“, tat dies auch in der Welt der Erde Gottes – ganz so, als hätte Er etwas entdeckt, das Ihn mit Freude erfüllt, nämlich die „Menschenkinder“, die Er „meine Wonne“ nennt.
Er hat Freude an allen seinen Schöpfungswerken, aber Er findet eine besondere Freude am Menschen. Diese zeigt sich am deutlichsten darin, dass Er selbst Mensch geworden ist. Schon als Er die Welt schuf, jubelten die Engel (Hiob 38,6.7). Aber als der Sohn Mensch wurde, sahen sie Gottes Freude an den Menschen und lobten Ihn neidlos mit den Worten: „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Lk 2,14).
Gott hat seine Freude an Menschen. Deshalb wurde Christus Mensch. Gott hat kein Wohlgefallen an sündigen Menschen. Er hat Wohlgefallen an diesem einen Menschen, seinem Sohn Jesus Christus, der durch sein Kommen Gottes Wohlgefallen an allen Menschen zum Ausdruck brachte; denn Er kam, um Menschen vor dem ewigen Gericht zu retten. Jeder Mensch, der seine Sünden bekennt und an Christus und sein Erlösungswerk am Kreuz glaubt, wird an Gottes Wohlgefallen teilhaben. Gott freut sich über jeden Menschen, der mit seinem Sohn verbunden ist durch den Glauben an sein Werk.
Die Weltgeschichte ist kein Zufall mit einmaligem, spontanem Auftritt des Sohnes Gottes. Schon am Anfang aller Wege Gottes steht die Weisheit, die Personifizierung des Herrn Jesus. Darin liegt die tiefgründige Absicht mit der Welt und ihrer Geschichte. In Hebräer 1 wird dies in aller Kürze dargestellt (Heb 1,2.3). Christus ist der Mittelpunkt der Wege Gottes.
Seine Person zu kennen, ist nicht nur die Antwort auf die Fragen unseres Herzens, sondern führt uns in die Welt des Vaters und des Sohnes ein. Das Reden der Weisheit vermittelt uns schon hier einen Eindruck von der Ewigkeit. Wir sind nicht nur Zuschauer des majestätischen und souveränen Handelns der Weisheit, sondern haben durch seine Gnade Anteil an diesem ewigen Plan Gottes. Wir sind in das Haus der Weisheit eingetreten, wie wir in Sprüche 9 sehen.
Diese Weisheit ist es, die jede Handlung Gottes mit der Erde geleitet hat, sei es die Schöpfung oder die Heilsgeschichte. Alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn. Diese Herrlichkeit als Mittler steht hier vor uns in der Freude, die Gott an dem Herrn Jesus hat. Und Er ist kein Mittler der Engel, sondern Er freut sich an den Menschenkindern (Heb 2,16).
32 - 36 Der Segen des Hörens auf Weisheit
32 Nun denn, ihr Söhne, hört auf mich: Glückselig sind, die meine Wege bewahren! 33 Hört Unterweisung und werdet weise, und verwerft sie nicht! 34 Glückselig der Mensch, der auf mich hört, indem er an meinen Türen wacht Tag für Tag, die Pfosten meiner Tore hütet! 35 Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden und Wohlgefallen erlangt von dem HERRN. 36 Wer aber an mir sündigt, tut seiner Seele Gewalt an; alle, die mich hassen, lieben den Tod.
Nach der Beschreibung der Person der Weisheit und ihres Werkes lautet die logische Schlussfolgerung, die durch „nun“ eingeleitet wird, dass die Söhne auf sie hören (Vers 32). Dazu ruft sie die Söhne auf, die ihre Natur haben, die weise sind. Alle, die ihre „Wege bewahren“, preist sie „glückselig“, denn sie zeigen, dass sie nicht nur Hörer, sondern auch Täter sind.
Sie ruft dazu auf, Unterweisung zu hören, denn dadurch kann jemand weise werden (Vers 33). Ein zusätzlicher Anreiz liegt in dem folgenden Aufruf, die Unterweisung nicht zu verwerfen. Nicht zu hören, heißt verwerfen. Wer das tut, zeigt, dass er ein Tor ist. Er wird der ewigen Strafe nicht entkommen.
Wer auf Weisheit hört, ist „glückselig“ (Vers 34). Wer hört, wird alles tun, um nicht ein Wort zu verpassen, das die Weisheit spricht. Er wacht „Tag für Tag“ an den „Türen“ der Weisheit, um jedes Wort, das Sie spricht, zu erfassen und zu speichern. Bei „den Pfosten“ der „Tore“ können wir an den Eingang der Stadt und an den Tempel Gottes denken (vgl. Lk 21,38). Wachen und Hüten bedeutet, dass wir uns mit voller Aufmerksamkeit auf etwas konzentrieren. Es spricht davon, mit großer Konzentration darauf zu warten, was die Weisheit, das Wort Gottes, sagen wird.
Dieses geduldige Warten auf die Weisheit, wachsam und nahe bei ihrem Haus, wird damit belohnt, dass jemand das Leben findet (Vers 35). Weisheit und Leben sind eng miteinander verbunden. Der Zweck der Weisheit ist, dass das wahre Leben, das Leben in Gemeinschaft mit Gott, erlebt wird. „Wohlgefallen“ bedeutet, von Gott angenommen zu sein. Man ist sich Gottes Güte oder Anerkennung bewusst.
Was für ein Tor ist der, der gegen die Weisheit sündigt (Vers 36). Sündigen bedeutet, das Ziel zu verfehlen; dabei geht es hier um den Mangel an Weisheit, an Christus. Christus ist der Mittelpunkt aller Pläne Gottes. Das sehen wir in den Schriften. Wer gegen Ihn sündigt, an Ihm vorbei lebt, verpasst damit alles, was für Gott wichtig ist. Dieser Mangel ist fatal. Wer diesen Mangel akzeptiert, weil er die Weisheit nicht will, schadet sich dadurch sehr und zeigt damit auch seinen Hass gegen die Weisheit und seine Liebe für das, was sein Tod sein wird. Sünder sterben, weil sie sich gegen Christus entscheiden (vgl. Hos 13,9).