Einleitung
Dieses Kapitel verdankt seinen eindrucksvollen Charakter vor allem der tiefen Demut des Autors. Er bekennt diese Demut in den Versen 1–9. Mit dieser Haltung wird sowohl seine Abscheu gegenüber der Arroganz in all ihren Formen deutlich als auch seine beeindruckend offenherzige Beschreibung der Welt und ihrer Wege, wie er sie wahrnimmt. Die Gruppen von Menschen und Tieren, die er beschreibt, enthalten Belehrungen, die uns nicht aufgezwungen werden. Die vorherrschende Einstellung ist die des scharfen und oft freudigen Interesses. Dieses Interesse lädt uns ein, unsere Welt erneut mit dem Auge eines Glaubensmannes zu betrachten, der ein charaktervoller Wortkünstler und Beobachter ist.
1 Der Redende und die Angeredeten
1 Worte Agurs, des Sohnes Jakes, der Ausspruch. Es spricht der Mann zu Ithiel, zu Ithiel und Ukal:
Wir wissen nicht, wer „Agur“ war. Wir wissen lediglich, dass er der „Sohn Jakes“ war. Wer aber Jake war, wissen wir auch nicht. Dass sein Vater genannt wird, kann bedeuten, dass Agur ein weiser Sohn war, der auf die Belehrung seines Vaters hörte. Dass er ein weiser Sohn war, zeigt sich in den weisen Worten, die wir von ihm in diesem Kapitel haben. Sein Vater wird sich über seinen weisen Sohn gefreut haben. Wir sind dieser Vater-Sohn-Beziehung schon wiederholt in den vorhergehenden Kapiteln begegnet. Diese Beziehung ist die Grundlage für die Belehrungen in diesem Buch.
Die Tatsache, dass Agur nur hier erwähnt wird und uns sonst unbekannt ist, kann darauf hinweisen, dass es hier nicht so sehr um seine Person geht, sondern um seine „Worte“. Dadurch ist er zugleich ein Vorbild für uns. Wir alle haben einen Namen, doch wer kennt uns? Nur ein paar wenige. Wenn aber unser Name mit unseren weisen Worten in Verbindung gebracht wird, wird unser Name unserer weisen Worte wegen weiterbestehen.
Die Worte, die Agur gesprochen hat, sind nicht einfach nur Worte. Es sind vielmehr Worte, die als „Aussprüche“ oder „Last“ bezeichnet werden. Das Wort „Ausspruch“ finden wir oft bei den Propheten (Jes 13,1; 14,28; 15,1; 17,1; 19,1; Hab 1,1). Agurs Worte bringen eine prophetische Botschaft zum Ausdruck, die der Geist Gottes als eine Last auf sein Herz gelegt hat. Er fühlt ihre Last. Er erfährt selbst, was er schreibt. Das macht ihn zu einem Propheten, der zu unserem Herzen und Gewissen spricht (Joh 4,17–19).
Er spricht als der „Mann“. Es gibt nichts Überhebliches bei ihm. Der hochmütige Anspruch „So spricht der HERR“, den die Leute bisweilen im Mund führen, um auf sich aufmerksam zu machen, fehlt bei ihm völlig. Er nimmt den bescheidenen Platz eines Menschen ein, der sich bewusst ist, dass er in der Gegenwart Gottes ist. Gleichzeitig wird klar, dass dieser Mann durch den Geist Gottes spricht (4Mo 24,3; 2Sam 23,1).
Auch über Ithiel und Ukal wissen wir nicht mehr, als dass ihre Namen hier genannt werden. Möglicherweise sind das Agurs Kinder, die er in der Erkenntnis göttlicher Dinge unterrichtet. Es ist auch möglich, dass es sich um seine Schüler handelt, denen er Weisheit lehren will. Wie dem auch sei, er hatte durch eine persönliche Beziehung mit diesen zwei Personen zu tun.
Es fällt auf, dass er zu „Ithiel, zu Ithiel und Ukal“ spricht. Den Namen „Ithiel“ erwähnt er zweimal. In der Anwendung können wir vielleicht sagen, dass er auf Fragen eingegangen ist, die nur durch Ithiel gestellt wurden und auf Fragen, die gemeinsam durch Ithiel und Ukal gestellt wurden. Seine Aufmerksamkeit galt also persönlichen und gemeinsamen Fragen.
2 - 3 Agurs Bekenntnis
2 Ja, ich bin unvernünftiger als irgendeiner, und Menschenverstand habe ich nicht. 3 Und Weisheit habe ich nicht gelernt, dass ich Erkenntnis des Heiligen besäße.
Wenn Agur mit seiner Belehrung beginnt, spricht er nicht von oben herab wie jemand, der glaubt, alles zu wissen und auf jede Frage eine Antwort hat. Er stellt schon zu Beginn fest, dass es ihm mehr als allen anderen an Vernunft fehlt (Vers 2). Auch gibt er zu, dass es ihm an Menschenverstand fehlt. In Vers 4 sehen wir, dass er zu diesem Schluss kommt, weil er bei allem Auf- und Umherblicken an Gott denkt. Im Hinblick auf Gott, wer Er ist und die Wege, die Er geht, erscheinen sein Verständnis und seine Einsicht als nichtig. Aus dieser Sicht nimmt er an, dass andere mehr Verständnis haben als er. Das ist der Beweis für wahres Verständnis und wahre Einsicht.
Jeder, der seine eigene Unfähigkeit Gott gegenüber erkennt und damit zugibt, dass er nicht versteht, wer Gott ist und was Er tut, besitzt die richtige Einsicht und Gesinnung, um andere zu belehren. Damit ist nicht gemeint, dass es Agur an intellektuellen Fähigkeiten fehlte. Es bedeutet vielmehr, dass er zugab, völlig unwissend zu sein in Bezug auf ein geistliches Verständnis des Lebens mit all seinen Fragen. Gott allein ist vollkommen in seinem Wissen und Erkennen, wenn es um das Leben geht, und nur Er ist fähig, darüber Menschen zu informieren.
Der Psalmdichter Asaph kam auf einem anderen Weg zu der selben Schlussfolgerung wie Agur: „Da war ich dumm und wusste nichts; ein Tier war ich bei dir“ (Ps 73,22). Das ist der Zustand, in dem sich die ganze Menschheit befindet. Es sind jedoch nur wenige, die das erkennen. Es sind nur die, die durch den Glauben mit Gott verbunden sind und in einer lebendigen Beziehung mit Ihm leben, wie wir das bei Agur und Asaph sehen. Wer ebenso in diesem Bewusstsein lebt, empfindet es persönlich so intensiv, dass er sich in seinen eigenen Augen unwissender vorkommt als alle anderen Menschen.
Im Anschluss an Vers 2 spricht er in Vers 3 zuerst von „Weisheit“, die er nicht gelernt hat und von der „Erkenntnis des Heiligen“, die er nicht besitzt. Agur sagt hier, dass die Belehrung, die er von Menschen bekommen hat, in ihm keinerlei Weisheit bewirkt hat, weder im Blick auf göttliche Dinge noch auf Gott selbst. Mit „des Heiligen“ werden nicht Menschen bezeichnet, sondern Gott.
Gott ist erst im Neuen Testament völlig als der dreieine Gott offenbart. Agur und Salomo wussten das damals noch nicht. Und doch haben sie durch das Wirken des Geistes vielleicht schon etwas davon geahnt (siehe die Ausdrücke „uns“ und „nach unserem“ in 1. Mose 1,26). Wir sehen das bei Agur in den Fragen am Ende von Vers 4, wo die Rede ist von seinem Namen und dem Namen seines Sohnes.
Was er sagt, beweist das Wirken des Geistes Gottes in seinem Herzen. Dadurch wird ihm bewusst, wer er in sich selbst ist und was er aus sich selbst heraus weiß. Er gehörte einst der Finsternis an, in der auch der Verstand des Menschen verfinstert ist. Für einen Menschen mit einem verfinsterten Verstand gleicht die Einsicht in das Leben einem Umherirren in der Finsternis. Deshalb war es nicht möglich, weder über Weisheit noch über die Erkenntnis des heiligen Gottes etwas zu lernen.
Agur bringt zum Ausdruck, dass Gottes Weisheit so unfassbar groß ist, dass das, was er gelernt hat, immer noch unbedeutend ist. Je tiefer ein Mensch in das Geheimnis der Weisheit eindringt und verstehen lernt, wer Gott und Christus sind, desto mehr wird er sich bewusst, wie wenig er weiß. Die Grenzen des Verstandes und der Weisheit zu kennen, ist wahre Weisheit. Als Gläubige dürfen wir vertraut sein mit der Breite, Länge, Höhe und Tiefe der Ratschlüsse Gottes und der Liebe Christi, wobei wir uns sehr wohl bewusst sind, dass diese Liebe alle Erkenntnis übersteigt (Eph 3,18.19).
4 Gott offenbart sich in seinem Sohn
4 Wer ist hinaufgestiegen zum Himmel und herabgekommen? Wer hat den Wind in seine Fäuste gesammelt, wer die Wasser in ein Tuch gebunden? Wer hat alle Enden der Erde aufgerichtet? Was ist sein Name, und was der Name seines Sohnes, wenn du es weißt?
Mit sechs Fragen macht Agur deutlich, dass er – und das gilt für alle Menschen – in der Tat völlig unwissend über Gott und göttliche Dinge ist. Diese Fragen betonen das Handeln Gottes und zeigen, dass es absurd für einen Sterblichen ist, zu denken, dass er in der Lage sei, Gottes Wirken zu erklären oder sich selbst mit Gott zu vergleichen. Die Fragen beweisen die Erhabenheit Gottes und das völlige Unvermögen des Menschen (vgl. Jes 40,12; 5Mo 30,11–14; Röm 10,6.7; Eph 4,9).
Es ist unbestritten, dass der „Himmel“ über uns existiert und dass das Interesse des Menschen schon seit frühesten Zeiten dem Himmel gilt. Die Reise zum Mond zeigt den Wunsch, ihn zu erforschen. Auch die Untersuchung des Himmels, die der Mensch von der Erde aus vornimmt, macht ihm bewusst, dass er lediglich am Rand des Universums schnüffelt. Doch in den Himmel hinaufzusteigen, um sich ihn anzuschauen, ist eine ganz andere Sache. Wer hat das je getan? Oder wer ist von dort herabgekommen, um etwas über die Geheimnisse des Himmels zu berichten?
Wir wissen, dass Christus in den Himmel hinaufgestiegen ist. Dies geschah, nachdem Er das Erlösungswerk am Kreuz vollbracht hatte und vom Tod auferstanden war. Er sandte von dort den Heiligen Geist herab. Der Geist kam herab, um den Menschen mitzuteilen, was es im Himmel gibt (Joh 14,18; 16,13–15). Als der Herr Jesus auf der Erde war, konnte Er sagen: „Und niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel als nur der, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13). Er, der nach dem Werk am Kreuz in den Himmel auffahren würde, war damals auf der Erde und gleichzeitig im Himmel. Das war so, weil Er der eingeborene Sohn Gottes ist. Er ist die Antwort auf die Fragen Agurs.
Wenn wir uns unter dem Himmel umschauen, hier auf der Erde, sehen wir auch da Dinge, die der Mensch nicht fassen oder kontrollieren kann. Den unsichtbaren „Wind“ kann man nicht in Fäuste sammeln und seiner Kraft kann man nicht widerstehen. Das gilt aber nicht für den Sohn Gottes. In der geistlichen Anwendung weist der Wind auf die Schwierigkeiten hin, die in unser Leben kommen. Wir haben darauf keinen Einfluss, doch wir dürfen wissen, dass Christus auch den Wind in unserem Leben in seiner Hand hat.
Dasselbe gilt für die greifbaren „Wasser“, über die der Mensch auch keinerlei Kontrolle hat. Wasser sprechen von Prüfungen, die in unser Leben kommen und uns das Empfinden geben, dass wir ertrinken. Doch Er ist bei uns in den Wassern der Prüfung (Jes 43,2). Und was sollen wir von allen „Enden der Erde“ denken? Wer hat sie „aufgerichtet“, oder wer gibt ihnen Stabilität? Auch hier ist Er selbst die Antwort. Er gibt unserem Leben Festigkeit.
Die Atmosphäre (Wind), das Flüssige (Wasser) und das Feste (Erde), alles befindet sich außerhalb der Kontrolle des Menschen. Trotzdem werden sie kontrolliert. Agur fragt nach dem Namen dessen, der dies tut, und nach dem Namen seines Sohnes. Allerdings ist Gott für ihn noch immer unbegreiflich, so unnahbar, so voller Geheimnisse. Nach dem Namen zu fragen, bedeutet, nach seinem Wesen und seinen Eigenschaften zu fragen. Wer kann sie völlig kennen?
Agur fragt auch nach dem Namen seines Sohnes. Wenn Gott so erhaben und so unbegreiflich ist, gibt es vielleicht jemanden, der Ihn vergegenwärtigen kann? Gibt es jemanden, der im Namen Gottes sprechen oder Ihn erklären kann? Seine Frage zeigt, dass er Gott sehr nahe ist und empfindet, dass da vielleicht ein Sohn ist, der mit Ihm die göttlichen Eigenschaften teilt, weil Er sein Sohn ist. Dabei müssen wir bedenken, dass der Sohn nicht im Namen Gottes spricht, sondern als Gott spricht, weil Er Gott ist.
Gott „hat … am Ende dieser Tage zu uns geredet im Sohn“ (Heb 1,1.2). Die Propheten waren Menschen, durch die Gott sich an sein Volk wandte. Aber der Herr Jesus, der Sohn Gottes, ist nicht ein Mittel, durch das Gott spricht. Das Sprechen des Herrn Jesus ist das Sprechen Gottes selbst. Die Propheten sprachen im Namen Gottes. Der Herr Jesus sprach nicht im Namen Gottes, sondern in seinem Wesen als Gott. Das tat Er als Mensch auf der Erde, doch dieser Mensch ist Gott der Sohn. Gott selbst redet als eine göttliche Person. Diese Person ist der Sohn.
Wie bereits bemerkt, ist die Wahrheit über den dreieinen Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – erst im Neuen Testament völlig offenbart. Hier im Alten Testament ist das noch verborgen. Wir wissen, dass der Herr Jesus der ewige Sohn ist, dem Gott nicht gewisse Eigenschaften übertragen hat, sondern Er ist ganz und gar eins mit Ihm und hat Ihn auf der Erde völlig offenbart: „Der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh 1,18). Zugleich bleibt es auch für uns ein unergründliches Geheimnis, wer der Sohn wirklich ist, denn „niemand erkennt den Sohn als nur der Vater“ (Mt 11,27).
Für uns sind die Fragen von Vers 4 im Neuen Testament beantwortet. Dort sehen wir, dass sie Gott und seine Offenbarung im Sohn betreffen. Wo immer Gott sich offenbart, tut Er das im Sohn. Wir sehen auch, dass der Sohn der Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist (Joh 1,1–3; Kol 1,16; Heb 1,2). Alles untersteht seiner Kontrolle, und Er führt seine Schöpfung zu dem Ziel, das Er sich gesetzt hat. Gott wird einmal alles seinen Füßen unterwerfen (Heb 2,8), weil Er das Erlösungswerk vollbracht hat.
5 - 6 Gott offenbart sich in seinem Wort
5 Alle Rede Gottes ist geläutert; ein Schild ist er denen, die bei ihm Zuflucht suchen. 6 Tu nichts zu seinen Worten hinzu, damit er dich nicht überführe und du als Lügner befunden werdest.
Von seinen Fragen über Gott bezüglich der Schöpfung geht Agur über zu den Worten Gottes, zu dem, was Er gesagt hat (Vers 5). Gott offenbart sich in der Schöpfung, und Er offenbart sich in seinem Wort. Agur weiß, dass die Antworten auf die Fragen, die er eben gestellt hat, im Wort Gottes stehen. Gott kann nur durch sein Wort erkannt werden, denn darin hat Er sich völlig offenbart, während in der Schöpfung lediglich seine ewige Kraft und Göttlichkeit sichtbar werden (Röm 1,20).
Agur hat keinerlei Zweifel an dem, was Gott gesagt hat. „Alle Rede“, alles was Gott gesprochen hat, ohne irgendeine Ausnahme, ist „geläutert“, rein und makellos: „Die Worte des HERRN sind reine Worte – Silber, das geläutert im Schmelztiegel zur Erde fließt, siebenmal gereinigt“ (Ps 12,7). Geläutert bedeutet, dass es jede Feuerprobe überstanden hat und dass dadurch seine absolute Reinheit sichtbar wurde. Der Beweis ist gegeben, und dem kann man nicht widersprechen. Es bedeutet auch, dass das ganze Wort Gottes vertrauenswürdig ist. Nichts darin ist trügerisch oder falsch, ob es nun um Geschichte, Gebote, Versprechen oder Drohungen geht.
Die zweite Hälfte des Verses zeigt uns den enormen Wert des Wortes für unser tägliches Leben. Wer vom Wert des Wortes überzeugt ist, wird „bei ihm Zuflucht suchen“. Hier sehen wir die Einheit des Wortes mit der Person des Sohnes. Wir sehen diese Einheit auch in Hebräer 4, wo wir lesen, dass vor dem Wort Gottes kein Geschöpf unsichtbar ist (Heb 4,12.13). Für die, die zum Wort, das ist der Sohn, Zuflucht nehmen, ist dieses Wort, ja, Er selbst, ein Schild. Wenn wir in unserem Glauben geprüft werden, werden das Wort Gottes und seine Verheißungen sich als Schild und Schutz erweisen. Es ist sicher, sich in Ihm zu bergen. Das geschieht auch, wenn wir sein Wort lesen und beachten: „Gott – sein Weg ist vollkommen; das Wort des HERRN ist geläutert; ein Schild ist er allen, die zu ihm Zuflucht nehmen“ (Ps 18,31).
Auf das Vertrauen, von dem in Vers 5 die Rede ist, folgt in Vers 6 die Warnung, den Worten Gottes nichts hinzuzufügen (5Mo 4,2; Off 22,18.19). Diese Tendenz macht sich nur allzu oft bemerkbar. Das Wort hat nicht nötig, auf Irrtümer oder Vollständigkeit hin kontrolliert zu werden; es ist fehlerfrei und vollständig. Was sich als rein erwiesen hat, wird durch einen Zusatz verunreinigt.
Wer etwas hinzutut, ist eingebildet und maßt sich selbst Göttlichkeit an. Jede Hinzufügung fremder Elemente macht es unrein. Wer das tut, beweist, dass er ein Lügner ist, jemand, der nicht in der Wahrheit steht. Hinzufügungen sehen wir beispielsweise, wenn menschliche Schriftstücke in der Praxis dieselbe Autorität bekommen wie die Schrift oder sogar die Auslegung der Bibel beherrschen. Für Letzteres ist die (theistische) Evolutionstheorie ein Beispiel.
7 - 9 Agurs Gebet
7 Zweierlei erbitte ich von dir; verweigere es mir nicht, ehe ich sterbe: 8 Eitles und Lügenwort entferne von mir, Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brot; 9 damit ich nicht satt werde und dich verleugne und spreche: Wer ist der HERR?, und damit ich nicht verarme und stehle und mich vergreife an dem Namen meines Gottes.
Nach der Offenbarung Gottes in der Schöpfung (Vers 4) und in seinem Wort (Verse 5.6) folgt das Gebet (Vers 7). Wort und Gebet gehören immer zusammen. Agur hat sein absolutes Vertrauen zum Wort Gottes ausgedrückt. Nun wendet er sich im Gebet an Gott. Er lebt mit dem Gott, dem er vertraut und in dem er sich birgt. Durch sein Gebet nimmt er die Stellung der Abhängigkeit von Gott ein. Er verlässt sich nicht auf sich selbst, sondern vertraut allein auf Gott. In diesem Vertrauen spricht er ein kurzes und kräftiges Gebet.
Er bittet um „zweierlei“. Die beiden Dinge wird er sogleich nennen, doch zuerst bittet er Gott, sie ihm nicht zu verweigern, bevor er stirbt. „Ehe ich sterbe“ bedeutet: solange ich lebe. Indem Agur das so sagt, macht er deutlich, dass er in dem Bewusstsein lebt, dass das Leben auf der Erde begrenzt ist, und auch, dass es darum geht, bis ans Ende auszuharren. Die Erinnerung an das Sterben, bedeutet auch, dass er sich der Tatsache bewusst ist, dass er Rechenschaft ablegen muss für das, was er in seinem Leben getan hat. Agur will zur Ehre Gottes leben und nicht von Ihm gerichtet werden.
Was Agur in den Versen 8 und 9 sagt, zeigt große Selbsterkenntnis. Er ist sich der Gefahr des Sündigens bewusst. Zuallererst erkennt er die Gefahr von „Eitlem“ in seinem Herzen und des „Lügenwortes“ in seinem Mund (Vers 8). Hier geht es um die Gesinnung, das Innenleben, die Motive. Es geht um Sünde und Lüge, durch die sich die Sünde ausdrückt, um das Eitle im Denken und die Lüge im Reden.
Sein Gebet ist, dass Gott all das von ihm entfernen möge. In Vers 6 hat er zu seinen Kindern oder Schülern Ithiel und Ukal gesagt, dass sie nichts zum Wort Gottes hinzufügen sollen, damit sie sich nicht als Lügner erweisen. Nun erkennt er selbst seine Schwachheit und Neigung zum Sündigen und bittet Gott, ihn nicht in Versuchung zu führen, sondern ihn zu bewahren vor dem Bösen und dessen Einflüssen (Mt 6,13). Wer andere warnt, muss beten, dass er selbst vor dem Bösen bewahrt wird, vor dem er warnt.
Agur erkennt, dass allein Gottes Gnade ihn davor bewahren kann. Er weiß, dass er zu Eitlem und Lüge fähig ist und dass er in sich selbst keinerlei Kraft hat, diesen zu widerstehen. Doch Gott hat diese Kraft. So findet er Ruhe in Gott im Hinblick auf diese Gefahren.
Es gibt jedoch auch noch andere Gefahren, die mehr in den Umständen lauern; dadurch werden die Motive oder der Charakter des Menschen bedroht (Vers 8). Er wünscht sich Ausgewogenheit in seinen materiellen Umständen. Er sucht keine großen Dinge im Leben. Konkret bittet er Gott, ihm weder Armut noch Reichtum zu geben. Er möchte vielmehr, dass Gott ihn mit dem ihm „beschiedenen Brot“ speist.
Das ihm beschiedene Brot ist das Brot, das täglich nötig ist. Das entspricht dem, was der Herr Jesus seine Jünger zum Thema Gebet lehrte: „Unser nötiges Brot gib uns heute“ (Mt 6,11). Mehr ist Reichtum, weniger ist Armut: „Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen“ (1Tim 6,8). Es geht Agur an sich nicht um Armut oder Reichtum, sondern um das, was damit verbunden ist, wozu beides führen kann. Darüber spricht er in Vers 9.
Agur wünscht sich die glücklichste Art des Lebens. Armut und Reichtum haben beide ihre Gefahren. Er will frei sein von den Sorgen, die die Armut mit sich bringt. Auch will er nicht den Versuchungen erliegen, die mit dem Reichtum verbunden sind. Frei zu sein von beiden Gefahren, betrachtet er als den besten Weg, Gott zu dienen.
Er macht keine Vorschrift, als wäre dies der einzige Weg, auf dem ein Mensch glücklich sein und Gott dienen kann. Gott kann jemanden reich machen. Dann kann er Gott mit seinem Reichtum dienen. Wenn Gott jemanden arm macht, darf er in seinen Umständen auf Gott vertrauen. Paulus hat im Leben gelernt, mit beiden Umständen umzugehen (Phil 4,12).
In Vers 9 sagt Agur, worin die Gefahren von Reichtum und Armut liegen. Wenn er einer der beiden Gefahren erliegt, kann ihn das zur Sünde führen. Dadurch würde sein Leben keine Frucht mehr für Gott bringen. Das würde Saatkörnern gleichen, die unter die Dornen fallen; der Herr Jesus sagt dazu im Gleichnis vom Sämann: „Der aber in die Dornen gesät ist, dieser ist es, der das Wort hört; und die Sorge der Welt und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort, und er bringt keine Frucht“ (Mt 13,22). Den „Betrug des Reichtums“ finden wird in dem Wort „satt“ (Vers 9), und die „Sorgen der Welt“ finden wir in dem Wort „verarmen“ (Vers 9).
Agur erkennt, dass er in der Gefahr steht, von Gott unabhängig zu werden, Ihn nicht mehr nötig zu haben und Ihn dadurch zu verleugnen, wenn er zu viel hat (5Mo 8,11–14). Dann würde er wie der ungläubige Pharao handeln, der ebenfalls sagte: „Wer ist der HERR?“ (2Mo 5,2). Die herausfordernde Frage „Wer ist der HERR?“ bedeutet, dass jemand sich Ihm nicht verpflichtet fühlt, ohne Ihn leben kann und mit sich genug hat. Der Wunsch Agurs, nicht zu viel zu besitzen, betrifft seinen Umgang mit dem HERRN. In seinem Denken geht es um Gott.
Die Gefahr, die mit Armut verbunden ist, liegt mehr darin, etwas Falsches zu tun. Armut bringt die große Versuchung mit sich, unehrlich zu sein und zu stehlen. Was macht jemand, wenn er sehr hungrig ist und irgendwo etwas Essbares sieht, was einem anderen gehört? Man kann sich selbst damit beruhigen, dass der andere es nicht braucht und man es nötig hat, um am Leben zu bleiben. Vielleicht denkst du dabei an deine Kinder, die Hunger leiden. In diesem Fall scheint es gerechtfertigt zu sein. Doch Diebstahl ist niemals gerechtfertigt, wie sehr man im Fall von Hunger auch dafür Verständnis haben kann (Spr 6,30.31).
Warum fürchtet sich Agur vor dem Stehlen? Weil er dann ins Gefängnis kommt? Nein, er fürchtet sich davor, weil dann der Name Gottes verunehrt wird. Agur war bekannt als ein treuer, gottesfürchtiger Gläubiger. Welche Schande würde er auf den Namen Gottes werfen, wenn er stahl. Er sagt ausdrücklich mein Gott, was zeigt, dass er in einer persönlichen und lebendigen Beziehung mit Ihm lebt. Deshalb ist ihm der Gedanke unerträglich, dass er sein Bekenntnis dieses Namens durch eine sündige Tat beschmutzen könnte. Deshalb bittet er Gott, ihn nicht verarmen zu lassen. So wie sich sein Denken bei der Gefahr des Reichtums um Gott dreht, so ist das auch im Blick auf die Armut der Fall.
Agur gibt uns das seltene Beispiel eines Menschen, der um seine Schwachheit weiß und sie offen bekennt. Er erklärt, dass er sich selbst nicht traut. Wir sind durchaus in der Lage, ganz allgemein festzustellen, dass dem Menschen nicht zu trauen ist, doch es ist etwas ganz anderes, wenn wir sagen: „Ich traue mir selbst nicht.“ Agur traute sich selbst nicht, sondern vertraute auf Gott.
Wir haben gesehen, wie Agur seine eigene Unkenntnis zugab (Verse 2.3) und sich für die Sicherheit im Leben auf Gottes Wort stützte (Verse 5.6). Weiter haben wir gesehen, dass er Gott bittet, ihn vor allen Fällen von Versuchung zu bewahren (Verse 7–9). Er hat über seine Unwissenheit gesprochen, doch er beruft sich auf das Wort Gottes und betet – beides zeugt von großer Weisheit und Kenntnis. Darin ist er viel weiser und hat weitaus mehr Kenntnis, als die Menschen im Allgemeinen. Er erkennt die Gefahr der Armut und er kennt die ernsten Gefahren des Reichtums, auf den ein Mensch so leicht vertraut und wodurch er vergisst, dass er Gott alles zu verdanken hat.
Sein Gebet erinnert an das Gebet des Jabez (1Chr 4,10), allerdings steht es im Gegensatz dazu. Vielleicht müssen wir zugeben, dass wir eher geneigt sind, das Gebet des Jabez zu beten als das des Agur.
10 Verleumde einen Knecht nicht bei seinem Herrn
10 Verleumde einen Knecht nicht bei seinem Herrn, damit er dir nicht fluche und du es büßen musst.
Einem Knecht, der keine Vorrechte hat, sollte man das Leben nicht noch schwerer machen, indem man ihn bei seinem Herrn wegen bestimmter Dinge anklagt, um es ihm noch schwerer zu machen. Der Herr wird niemandem, der das tut, dafür danken. Er wird dem, der das Böse tut, das Böse vergelten. Er wird es in Form eines Fluches auf seinen eigenen Kopf zurückkehren lassen und ihn der Verleumdung für schuldig erklären.
In seiner geistlichen Anwendung schließt dieser Vers an Agurs Gebet an. Er betete für sich selbst, ohne dabei andere anzuklagen, die nicht wie er sind. Es ist nicht seine Sache, jemand anderen wegen seiner Beziehung zum Herrn zu beurteilen. Paulus macht die Gläubigen in Rom auf die persönliche Beziehung aufmerksam, die jeder hat: „Wer bist du, der du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden, denn der Herr vermag ihn aufrecht zu halten“ (Röm 14,4). Wer den Knecht eines anderen beurteilt, tritt die Rechte seines Herrn mit Füßen. Das bedeutet für uns, die Rechte, die ausschließlich dem Herrn Jesus gehören. Wir dürfen keine Mitknechte beim Herrn Jesus anklagen (vgl. Phlm 1,10.11; 5Mo 23,15.16).
11 - 14 Vier abtrünnige Generationen
11 Ein Geschlecht, das seinem Vater flucht und seine Mutter nicht segnet; 12 ein Geschlecht, das rein ist in seinen Augen und doch nicht gewaschen von seinem Unflat; 13 ein Geschlecht – wie stolz sind seine Augen, und seine Wimpern erheben sich! – 14 ein Geschlecht, dessen Zähne Schwerter sind und Messer sein Gebiss, um wegzufressen die Elenden von der Erde und die Armen aus der Menschen Mitte!
Agur gibt in den Versen 11–31 sechsmal eine Aufzählung von vier Dingen. Damit beschreibt er die Welt, wie sie seit dem Sündenfall ist. Er beginnt mit vier Generationen, die die Merkmale des Teufels, ihres Vaters, haben. Jeder Vers der Verse 11–14 beginnt mit dem hebräischen Wort dor (Generation oder Geschlecht), eine Klasse von Menschen, die durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet wird.
Agur nimmt die kennzeichnenden Charakterzüge der Menschen wahr, die ihn umgeben. Es geht bei den Generationen nicht um aufeinanderfolgende Geschlechter. Sie können sich sozusagen im Leben einer Person vollziehen. In den vier Generationen, die er beschreibt, sehen wir stufenweise eine Zunahme der Verderbtheit. Die Entwicklung wird immer schlimmer:
Aufstand gegen Autorität, kein Respekt vor den Eltern (Vers 11)
Blindheit bezüglich des wirklichen moralischen Zustands und ihr sündiges Leben (Vers 12)
Arroganz und Hochmut (Vers 13)
Aggressivität und Unterdrückung der Armen (Vers 14).
Das erste Merkmal einer Generation, die Gott nicht anerkennt, ist die geringschätzige Ablehnung der elterlichen Autorität (Vers 11). Es geht um Menschen, die Gott nicht fürchten und die die von Ihm gegebene Autorität der Eltern nicht anerkennen. Sie verfluchen sie sogar. Sie haben keine natürliche Liebe zu den Eltern und respektieren sie nicht.
Sie fluchen ihrem Vater, der sie gezeugt hat. Ihre Mutter, die sie getragen und zärtlich umsorgt hat, empfängt kein einziges Wort des Dankes von ihnen. Nicht segnen ist ein abmildernder Ausdruck, der hier verfluchen bedeutet. Eins der Merkmale der letzten Tage ist, dass Kinder ihren Eltern ungehorsam sind (2Tim 3,1–5). Wir sehen um uns her, wie aktuell das ist.
Sünde beginnt in der Familie, in der Haltung gegenüber den Eltern. Der Anfang aller Rebellion ist die Ablehnung der Autorität Gottes in den Familienbeziehungen. Wir haben das Gebot, unsere Eltern zu ehren, weil sie Gottes Werkzeuge waren, uns zu erschaffen. Ohne sie würden wir nicht existieren. Wenn wir nicht anerkennen, dass wir den Eltern unser Leben zu verdanken haben und dass wir folglich verpflichtet sind, sie zu ehren, bedeutet das, dass wir Gott nicht als unseren Schöpfer anerkennen, dem wir Lob schuldig sind. In unserer Welt, die voll zerrütteter und zerbrochener Familien ist, klingt dieser Spruch wie ein vernichtendes Urteil.
Eine Generation, die die von Gott gegebene elterliche Autorität ablehnt, sieht sich selbst als „rein“ an (Vers 12). Das ist das zweite Kennzeichen der Generation, die Gott nicht anerkennt. Die Ursache dafür ist, dass diese Menschen nicht von ihrem „Unflat“ oder Schmutz gewaschen sind. Sie sehen also ihren Schmutz als Reinheit an. Wie töricht und blind ist doch eine derartige Generation. Schmutz bezieht sich oft auf körperliche Unreinheit, doch hier geht es um eine moralische Beschmutzung (vgl. Sach 3,3.4). Dieser Schmutz ist nicht körperlich und kann auch nicht mit menschlichen Mitteln abgewaschen werden (Hiob 9,30.31; Jer 2,22). Der Schmutz der Sünde kann nur durch das Blut des Lammes und den Namen des Herrn Jesus und durch den Geist Gottes abgewaschen werden (Off 7,14; 1Kor 6,11).
Diese Menschen sind stolz darauf, dass sie äußerliche religiöse Rituale praktizieren, doch sie achten in keiner Weise auf ihre innere Reinigung: „Der Herr aber sprach zu ihm: Jetzt, ihr Pharisäer, reinigt ihr das Äußere des Bechers und der Schale, euer Inneres aber ist voller Raub und Bosheit“ (Lk 11,39). Sie achten auf ihr reines Äußeres, sind aber blind im Blick auf ihr verdorbenes Inneres. Jeder sieht den Schmutz, nur sie selbst nicht. Sie sind in ihren eigenen Augen rein und völlig blind für ihr Versagen (Lk 18,11), doch Gott sieht ihren äußeren und inneren Schmutz.
Es ist die Generation, die behauptet, dass Schmutz nicht mehr Schmutz, sondern Reinheit ist (Jes 5,20). Die offene Förderung, Verbreitung und Akzeptanz homosexueller Praktiken und Beziehungen, wie beispielsweise durch die Gay-Pride-Paraden, ist dafür eins der deutlichsten Beispiele. Wenn Gott und sein Wort aus dem Denken der Menschen verschwinden, verschwinden die göttlichen Richtlinien, anhand derer alles gemessen werden muss. Wir benötigen das Original, um Abweichungen zu sehen. Nur der Heilige Geist kann uns von der Sünde überzeugen.
Wer in seinen eigenen Augen rein ist (Vers 12), schaut verächtlich auf andere Menschen herab (Vers 13); das ist das dritte Kennzeichen dieser Generation. Sie strotzt vor Stolz, Arroganz und Brutalität. Die Menschen dieser Generation schauen mit Verachtung auf ihre Nächsten herab, wobei sie Rad schlagen wie ein Pfau. Sie meinen, die Show zu stehlen, während sie sich in den Augen Gottes verächtlich machen. Es ist eine Generation stolzer Menschen, die auf jeden, der ihnen widersteht, ihre Verachtung ausgießen (vgl. Ps 131,1).
Das vierte und letzte Kennzeichen der Menschen dieser Generation ist Grausamkeit (Vers 14). Die Bilder in der ersten Hälfte des Verses symbolisieren ihre grausame Raubgier. Ihre Zähne sind wie „Schwerter“ und ihr Gebiss wie „Messer“. Der zweite Teil des Verses zeigt, wer ihre Opfer sind. Wie ein gefräßiges und gefühlloses Raubtier reißen sie ihre Mäuler auf, „um wegzufressen die Elenden von der Erde und die Armen aus der Menschen Mitte“ (vgl. Amos 8,4). Sie sind wie wilde Tiere, die andere Menschen ausbeuten und vernichten.
Es ist eine Generation ohne Mitleid. Die von diesen Menschen gepriesene und hoch gerühmte Toleranz ist nur äußerer Anstrich. Sie fordern sie nur für sich selbst. Alle müssen sie akzeptieren, doch selbst akzeptieren sie keine einzige andere Meinung. Keine Spur von Mitleid ist bei ihnen zu finden, sondern nur zerstörende Brutalität. Wir sehen es in der Ermordung von Kindern im Mutterleib und der Tötung alter Menschen oder der Erlösung von „unerträglichen und aussichtslosen“ Leiden.
Der Mensch meint durch seinen Glauben an die Evolutionstheorie, dass er ein höher entwickeltes Tier sei. In Wirklichkeit sinkt er immer tiefer und gerät in ein Verhalten, dass mit dem der grausamsten Tiere zu vergleichen ist. Er zeigt die Charakterzüge eines reißenden Tieres. Er übertrifft es sogar an Grausamkeit, weil er bewusst handelt und sein gewalttätiges und boshaftes Verhalten rechtfertigt, indem er es als ein Verhalten bezeichnet, das eigentlich eine Wohltat ist. Das ist die schrecklichste Form der Verdorbenheit. Die Tatsache, dass der Mensch das Bild des Schöpfers ist, der Leben gibt und es erhält, ist hier gänzlich verschwunden. Jede Beziehung zu Ihm ist zerbrochen. Der Mensch hat sich in ein Raubtier nach dem Vorbild Satans verwandelt, der ein „Mörder von Anfang an“ ist (Joh 8,44).
15 - 16 Vier unersättliche Dinge
15 Der Blutegel hat zwei Töchter: „Gib her, gib her!“ Drei sind es, die nicht satt werden, vier, die nicht sagen: „Genug!“: 16 der Scheol und der verschlossene Mutterleib, die Erde, die des Wassers nicht satt wird, und das Feuer, das nicht sagt: „Genug!“
Die vier oben erwähnten Generationen (Verse 11–14) sind die Blutegel von Vers 15. Der Blutegel ist ein Sinnbild für Gier. Er saugt Blut mit seinen Saugnäpfen an beiden Enden seines Körpers. Agur nennt seine „zwei Töchter“, die eine mit dem Namen „Gib her“ und die andere auch mit dem Namen „Gib her“. „Gib her“ ist ein Markenname, den man jeder Form von Gier geben kann. Es geht um nichts anderes als um die Befriedigung einer Begierde, die in Wirklichkeit nie befriedigt werden kann. Immer bleibt die Begierde nach mehr oder anderem bestehen.
Satan ist der große Blutegel. Er saugt das Leben aus den Menschen heraus. Die beiden Instrumente, derer er sich bedient, sind die „zwei Töchter“, die auch Blutegel sind. Der Ausdruck „drei … vier,“ (Verse 18.21.29) ist eine hebräische Ausdrucksweise, die zeigt, dass es nicht um etwas Zufälliges geht, sondern etwas, das häufiger vorkommt.
Die „drei“ sind Satan und seine Töchter. Das kann man auf die sündigen Begierden eines Menschen beziehen, denn sie sagen niemals: „Genug!“. Satan und seine Töchter sind unersättliche Blutegel. Um das dunkle Wesen der sündigen, unersättlichen Begierden des Menschen zu illustrieren, gebraucht Agur „vier“ Beispiele. So haben wir hier zwei Töchter, drei unersättliche Dinge und vier Dinge, die niemals „genug!“ sagen.
Das erste Beispiel der Unersättlichkeit ist der „Scheol“, der Aufenthaltsort der Toten (Vers 16; Hab 2,5). Er gleicht einem Haus, das immer offen steht und in dem es immer Raum gibt, wenn jemand stirbt. Zahllose Menschen sind uns seit dem Sündenfall dorthin vorangegangen. Niemals wird die Tür geschlossen und ein Schild aufgehängt werden, auf dem voll steht. Die Tür dieses Hauses wird erst geschlossen, wenn die Ewigkeit anbricht und der Tod und der Hades in den Feuersee geworfen worden sind (Off 20,14). Das geschieht nicht, weil der Scheol voll wäre, sondern weil niemand mehr da ist, der noch hineinkommen könnte.
Das zweite Beispiel ist der „verschlossene Mutterleib“. Der Mutterleib einer Frau nimmt immer wieder Samen auf, aber die Frau kennt nie die Befriedigung, die sie sich so sehr wünscht: einem Kind das Leben zu geben (1Mo 30,1; 1Sam 1,2–8). Der Mutterleib gleicht so dem Scheol.
Das dritte Beispiel ist ein trockenes Stück Land. Die Erde, „die des Wassers nicht satt wird“, wird mit der größten Gier Wasser aufnehmen und niemals sagen, dass es genug ist (vgl. Ps 63,1.2). Ausgegossenes Wasser ist ein Symbol davon, dass das Leben ausgegossen wird, was immer wieder geschieht (2Sam 14,14). Darum kann auch dieses Beispiel mit dem Tod in Verbindung gebracht werden.
Das vierte Beispiel ist das „Feuer“, das nie mit dem zufrieden ist, was es verzehren kann. Es verschlingt alles, was ihm in den Weg kommt und fährt unersättlich damit fort, solange etwas Brennbares da ist. Auch verzehren die Flammen alles, was ins Feuer geworfen wird. Das erinnert an die Hölle, an das ewige Feuer, ein Feuer, das nie erlischt, sondern immer weiterbrennt und bis in Ewigkeit nicht satt wird.
Nur der Schöpfer kann die tiefsten Wünsche eines Menschen befriedigen, und zwar durch das Leben in Gemeinschaft mit Ihm. Er allein kann die Leere des Herzens füllen, das Er erschaffen hat, indem Er dem Verlangen nach Ihm selbst entspricht.
17 Den Vater verspotten und die Mutter verachten
17 Ein Auge, das den Vater verspottet und den Gehorsam gegen die Mutter verachtet, das werden die Raben des Baches aushacken und die Jungen des Adlers fressen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass jemand, der unersättlich ist, in die tiefste Sünde fällt, nämlich die Eltern zu verspotten und zu verachten. Als ob sie schuld daran sind, dass seine Begierden nicht befriedigt werden. Damit kehrt Agur zum ersten Kennzeichen der Generation zurück, in deren Mitte er lebt (Vers 11). Hier spricht er von einem „Auge, das den Vater verspottet“. Das Auge offenbart die innere Haltung des Herzens und ist voller tief sitzender Verachtung. Das zeigt sich auch in der Verachtung des Gehorsams gegen die Mutter. Gott achtet darauf, mit welchen Augen ein Kind seine Eltern sieht.
Die Strafe ist in Übereinstimmung mit der Sünde. Das Auge, das so nachdrücklich Spott und Verachtung erkennen lässt, wird zuerst einmal von den „Raben des Baches“ ausgehackt und anschließend von den „Jungen des Adlers“ gefressen. Das Auge auspicken und fressen können wir wörtlich nehmen. Das weist auf einen frühen Tod hin, wobei der Leichnam nicht beerdigt, sondern den Raubvögeln überlassen wird. Gott sorgt dafür, dass sich diese Vögel auf die Augen dieses Sünders stürzen werden. Dieses Gericht bestätigt auch, dass solch ein Mensch blind gegenüber Gott als Schöpfer ist. Diese ernste Strafe trifft den, der mit Spott und Verachtung auf seine Eltern schaut.
18 - 20 Vier unergründliche Dinge
18 Drei sind es, die zu wunderbar für mich sind, und vier, die ich nicht erkenne: 19 der Weg des Adlers am Himmel, der Weg einer Schlange auf dem Felsen, der Weg eines Schiffes im Herzen des Meeres, und der Weg eines Mannes mit einer Jungfrau. 20 So ist der Weg einer ehebrecherischen Frau: Sie isst und wischt ihren Mund und spricht: Ich habe kein Unrecht begangen.
Nun betrachtet Agur die Natur, wo viele Dinge großartig und zugleich „zu wunderbar“ oder unbegreiflich sind (Vers 18). Viermal geht es um den „Weg“ als eine Illustration für die Wege Gottes, die Er mit der Schöpfung und mit Menschen geht: „Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege!“ (Röm 11,33). Agur zitiert ein paar Beispiele als eine ausgewählte Sammlung. Wir wissen, dass Gott in seinem Wort nur das aufgenommen hat, was für uns wichtig ist. Wir dürfen daher erwarten, dass wir anhand dieser Beispiele etwas lernen können. Das heißt nicht, dass uns diese Lektionen direkt klar sind, doch das ist typisch für das Buch der Sprüche. Wir müssen über Dinge nachdenken, von denen wir sagen müssen, dass sie „zu wunderbar für mich“ sind und ich sie „nicht erkenne“.
Es ist nicht einfach, zu entdecken, was die vier Dinge gemeinsam haben (Vers 19). Sie sind sprachlich durch das Wort „Weg“ miteinander verbunden und auch durch eine gewisse Rätselhaftigkeit und Unergründlichkeit. Alle vier gehen einen Weg, der nicht nachvollziehbar ist. Nachdem sie sich gezeigt haben, verschwinden sie wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen. Von den Bereichen, wo sie ihren Weg ziehen, sind drei geographisch (Luft, Land und Meer) und einer sozial (Ehebeziehung). Die ersten drei dienen als Illustrationen für den vierten. Der vierte Bereich ist auch das größte Wunder.
Wenn wir den „Weg des Adlers am Himmel“ beobachten, sind wir beeindruckt. Wir wissen nicht im Voraus, welchen Weg er nimmt. Und wenn er diesen Weg gezogen ist, so finden wir keinerlei Spur mehr. Dasselbe gilt für den „Weg einer Schlange auf dem Felsen“. Wir können uns die schnellen und zielgerichteten Bewegungen eines Reptils ohne Füße anschauen, doch wir können nicht voraussagen, welchen Weg es über den Felsen nimmt. Wenn das Tier in einer Felsspalte verschwunden ist, hat es keine Spur des Weges hinterlassen, den es gegangen ist.
Der „Weg eines Schiffes im Herzen des Meeres“ ist ebenso unvorhersehbar. Es gibt keinen markierten Pfad, der es möglich macht, vorherzusagen, welchen Weg das Schiff nimmt. Wenn es vorbeigefahren ist und das Wasser hinter ihm wieder zur Ruhe kommt, bleibt keine Spur von dem Weg übrig. Die Bewegungen dieser drei sind schön anzusehen. Sie richten unsere Aufmerksamkeit auf die majestätischen und rätselhaften Bewegungen in der Luft, auf dem Land und auf dem Meer.
Nachdem wir die Bereiche Luft, Land und Meer behandelt haben, wird unsere Aufmerksamkeit auf den „Weg eines Mannes mit einer Jungfrau“ gerichtet. Hier sehen wir das Wunder der Anziehungskraft zwischen einem Mann und einer Frau und wie sie einswerden beschrieben. Wie in einem Mann Liebe für eine junge Frau entsteht, ist ein Wunder, das nicht im Voraus beschrieben werden kann. Wenn es so weit ist, dass er Kontakt mit dem Mädchen aufnimmt, ist es unmöglich vorherzusagen, wie es weitergeht. Vielleicht ist es sogar so, dass mit diesem „Weg“ hauptsächlich der innigste Aspekt der Ehebeziehung gemeint ist. Es ist das Geheimnis zwischen zwei Menschen, von dem sonst niemand etwas erfährt.
Wir können eine geistliche Anwendung der vier „Wege“ machen, die hier beschrieben werden. Den Weg des Adlers am Himmel können wir mit dem Kommen des Sohnes Gottes verbinden, der vom Himmel gekommen ist, um Gott auf der Erde kundzutun. Der Weg hat auch mit seiner Rückkehr zum Himmel zu tun. Das kann ein natürlicher Mensch nicht begreifen (Joh 6,60–63).
Auch der Weg der Schlange auf dem Felsen ist nicht zu begreifen. Was ist der Weg, den die Schlange, der Teufel (Off 12,9), gewählt hat, um in die Schöpfung einzudringen, die der gerechte Gott geschaffen hat, der ein Fels und ohne Trug ist (5Mo 32,4)? Und was ist der Weg, den die Schlange beständig geht und auf dem sie sich in der Schöpfung Gottes bewegt? Wie ist es möglich, dass dieser Böse ständig in die Gegenwart Gottes treten kann, um die Brüder zu verklagen (Off 12,10; vgl. Hiob 1,6–12; 2,1–6)? Wir sehen den Weg der Schlange auf dem Felsen auch darin, wie Satan den Herrn Jesus versucht, der der Fels ist (1Kor 10,4; Mt 4,1–11). Doch er hat in Christus nicht die geringste Spur hinterlassen, denn er fand nichts in ihm (Joh 14,30).
In dem Schiff im Herzen des Meeres können wir die Gemeinde inmitten der Völkerwelt sehen. Sie ist nun schon seit 2000 Jahren durch das Völkermeer unterwegs. In all den Jahren hat der Böse versucht, die Gemeinde zu verwüsten und das Schiff zerbrechen zu lassen. Doch sie ist durch alle Angriffe hindurch und auf eine für uns einzigartige Weise bewahrt geblieben (Mt 16,18), weil Gott sie leitet. Gottes Weg mit seiner Gemeinde ist „im Meer“ (vgl. Ps 77,19.20).
Der Weg eines Mannes mit einer Jungfrau bringt uns zum Weg des Herrn Jesus mit seiner Gemeinde. Dieser Weg, den Er gegangen ist, um sie zu besitzen, ist nicht zu begreifen. Wie hat Er unser Herz eingenommen und wie haben wir das neue Leben bekommen? Wir können es einfach nicht begreifen (Joh 3,8), wir können es lediglich feststellen. Seine Liebe zu uns brachte Ihn in die größten Leiden, in die Ängste von Gethsemane und die Schrecken des Kreuzes, vor allem in den drei Stunden der Finsternis, als Er zur Sünde gemacht wurde und sein Gott Ihn verlassen musste. Wir können Ihn dafür nur anbeten.
Wir können auch nicht begreifen, wie Er beständig mit seiner Gemeinde beschäftigt ist und sich für sie verwendet. Wir wissen, dass Er das durch sein Wort tut (Eph 5,25–27). Er tut das auf eine Weise, die wir nicht wahrnehmen können. Vielleicht wird Er es uns einmal sagen, wenn wir bei Ihm sind. Dann werden wir erkennen, wie wir erkannt worden sind (1Kor 13,12).
In Vers 20 wird noch ein weiterer Weg beschrieben. Dieser Weg steht in völligem Gegensatz zum Weg der Liebe im vorhergehenden Vers. Es ist „der Weg einer ehebrecherischen Frau“. Auch sie hinterlässt keinerlei Spur ihrer Treulosigkeit. Wir finden hier wieder den Gegensatz, der das gesamte Buch der Sprüche durchzieht, den Gegensatz zwischen der Weisheit und der Torheit, zwischen der treuen Frau und der untreuen Frau. Diesen Gegensatz finden wir auch im Buch der Offenbarung zwischen der Braut des Lammes, der Gemeinde, und der großen Hure, Babylon, die große, die Mutter der Huren (Off 17,1–6; 19,1–8).
Letzteres weist darauf hin, dass wir auch diesen Vers geistlich anwenden können. Der Vers zeigt, dass die Liebe, die Christus der Gemeinde offenbart hat, von der Gemeinde mit Untreue beantwortet wird. Wir sehen, dass die Christenheit Ihm in erschreckender Weise immer deutlicher untreu wird, Ihm, den sie als ihren Herrn bekennt. Sie verbindet sich auf die innigste Weise mit der Welt, indem sie weltliche Methoden hineinnimmt und das Wort Gottes der Sicht des modernen Menschen anpasst.
Dass dieser Vers unmittelbar auf Vers 19 folgt, unterstützt den Gedanken, dass es bei dem vorhergehenden Vers um sexuelle Intimität in der Ehe geht. Die Bilder, dass die Frau isst und ihren Mund abwischt, sind ein versteckter Hinweis auf sexuelles Handeln (vgl. Spr 9,17). Was sie in ihrer Treulosigkeit tut, ist für sie nichts anderes als ein Abendessen. Sie verwischt alle Spuren der Sünde, die sie begangen hat und fährt mit ihren täglichen Arbeiten fort, als wäre nichts geschehen.
Es ist unfassbar, dass Menschen sündigen können und anschließend Gefühle der Schuld oder Verantwortung abschütteln. Das ist nur möglich, weil eine hässliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Willen Gottes im Hinblick auf die Sexualität vorhanden ist.
21 - 23 Vier unerträgliche Dinge
21 Unter dreien erzittert die Erde, und unter vieren kann sie es nicht aushalten: 22 unter einem Knecht, wenn er König wird, und einem gemeinen Menschen, wenn er satt Brot hat; 23 unter einer unleidlichen Frau, wenn sie geheiratet wird, und einer Magd, wenn sie ihre Herrin beerbt.
Das gemeinsame Element in den Versen 21–23 ist das, was unerträglich ist. Agur nennt dazu vier Beispiele, die gleichmäßig zwischen den beiden Geschlechtern aufgeteilt sind. Jedes Beispiel behandelt den Missbrauch von Macht und Besitz, die sich Menschen anmaßen, wenn sie eine Stellung einnehmen oder bekommen, die nicht zu ihnen passt. Sie richten sich nicht nach der Ordnung, die Gott eingesetzt hat. Wenn Gottes Ordnung umgekehrt wird, erzittert die Erde (Vers 21). Das kann sie nicht ertragen und das führt zu einer völlig instabilen Gesellschaft. Die Einhaltung der Ordnung Gottes führt zu Stabilität und Frieden. So will Er, dass alles in der Gemeinde „anständig und in Ordnung“ geschieht (1Kor 14,40).
Beim ersten Beispiel geht es um einen „Knecht, wenn er König wird“ (Vers 22). Für einen Knecht ist es nicht vorgesehen, dass er regiert. Wenn er diesen Platz dennoch einnimmt, versinkt ein Land im Chaos, weil ihm einfach der Verstand fehlt. Wer plötzlich in seinem Status erhöht wird, wird eine unerträgliche Person. Alles beginnt zu zittern, weil es keine eindeutige Regierung mehr gibt. Solch ein Wechsel schüttelt die Ordnung des Lebens durcheinander. In der Gemeinde zittert ebenfalls alles, wenn jemand, der dienen sollte, zu regieren beginnt (3Joh 1,9.10).
Beim zweiten Beispiel geht es um einen „gemeinen Menschen, wenn er satt Brot hat“ (Vers 22). Ein gemeiner Mensch ist ein fauler Tor. Der Tor schließt Gott grundsätzlich aus. Das macht ihn zu einem Toren. So jemandem etwas zu essen zu geben, bis er satt ist, stellt die Ordnung Gottes auf den Kopf. Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen (2Thes 3,10). Gib ihm etwas zu essen, und er wird sich nicht nur gesättigt fühlen, sondern auch mit arroganter Selbstzufriedenheit erfüllt sein. Weil er satt ist, denkt er nicht daran, zu arbeiten. Er verbringt seine Zeit mit der Verkündigung und dem Tun seiner Torheiten. Solche Leute vergrößern das Chaos nur noch.
Die dritte Person, die die Erde erzittern lässt, ist „eine unleidliche Frau, wenn sie geheiratet wird“ (Vers 23). An einer unleidlichen Frau ist nichts Anziehendes, sie hat einen schlechten Charakter. Das zeigt sich, sobald sie verheiratet ist. Dann wird sie die Kontrolle über die Familie übernehmen. Die Macht, die sie hat, wird sie nicht zum Guten gebrauchen, sondern zum Schlechten. Die Beziehungen innerhalb der Familie werden gestört. Darunter erzittert die Erde.
Die vierte Person ist „eine Magd, wenn sie ihre Herrin beerbt“ (Vers 23). Sie gleicht dem Knecht, der König wird (Vers 22). Die geerbten Güter ermöglichen ihr plötzlich ein ganz anderes Leben. Sie war eine Magd, doch plötzlich fühlt sie sich durch das Erbe als eine Herrin. Anstatt zu gehorchen, erteilt sie nun Befehle. Das ist für die unerträglich, mit denen sie vorher ihrer Herrin diente.
24 - 28 Vier kleine, aber weise Tiere
24 Vier sind die Kleinen der Erde, und doch sind sie mit Weisheit wohl versehen: 25 die Ameisen, ein nicht starkes Volk, und doch bereiten sie im Sommer ihre Speise; 26 die Klippdachse, ein nicht kräftiges Volk, und doch setzen sie ihr Haus auf den Felsen; 27 die Heuschrecken haben keinen König, und doch ziehen sie allesamt aus in geordneten Scharen; 28 die Eidechse kannst du mit Händen fangen, und doch ist sie in den Palästen der Könige.
Was die „vier … Kleinen der Erden“ gemeinsam haben, ist Weisheit (Vers 24). Die vier kleinen Tiere, die Agur aufzählt, wissen, wie sie mit ihren natürlichen Nachteilen oder Einschränkungen überleben können. Der Schöpfer hat diesen Instinkt in sie hineingelegt. Er hat sie „mit Weisheit wohl versehen“. Wie groß ist seine Weisheit! Der Mensch ist von Natur aus geneigt, das zu bewundern, was groß, stark und eindrucksvoll ist. Hier sehen wir, dass das bei Gott nicht der Fall ist, und auch nicht in der Schöpfung. Wir dürfen die schwachen Dinge in der Schöpfung nicht verachten, sondern können davon lernen. In Gottes Schöpfung zeigt sich seine Weisheit auf verschiedene Weise. Die Menschen können dadurch den Wert der Weisheit kennenlernen (Hiob 12,7).
Diese kleinen Tiere sind „ein nicht starkes Volk“ (Vers 25), „ein nicht kräftiges Volk“ (Vers 26), sie „haben keinen König“ (Vers 27) und sind ohne Verteidigung (Vers 28). Dasselbe gilt für die Gemeinde in der Welt. Sie ist schwach, aber in Christus steht ihr alle Weisheit zur Verfügung (1Kor 1,26–30).
Die Weisheit, die wir in den „Ameisen“ sehen, betrifft ihre Voraussicht und ihre organisatorische Fähigkeit, um für die Zukunft Nahrungsvorräte anzulegen (Vers 25). Dass die Ameisen ein Volk ohne Kraft sind, ist für sie keine Entschuldigung, faul zu sein. Sie wissen, wie sie körperlich in Zukunft überleben müssen. Fleißig sammeln sie im Sommer Nahrung, so dass sie im Winter zu fressen haben.
Sie lehren uns, dass wir auf die Zukunft ausgerichtet leben müssen (Spr 6,6). Wie die Ameisen Nahrung für ihre zukünftigen Bedürfnisse sammeln, so sollten wir Gottes Wort als unsere geistliche Nahrung nicht nur für heute lesen, sondern auch für die Zukunft. Dann kann der Heilige Geist zu gegebener Zeit das gebrauchen, was nötig ist.
Der reiche Tor hatte auch viele Güter für viele Jahre gesammelt, doch nur für die Erde. Die zukünftigen Jahre, für die er so viel gesammelt hatte, hat er nie gesehen, weil seine Zukunft nur auf der Erde war (Lk 12,16–21).
Die Weisheit der „Klippdachse“ liegt in ihrer Geschicklichkeit, einen sicheren Ort zu finden und dort ihr Haus zu bauen (Vers 26). Sie wissen, wie sie in einer feindlichen Umgebung überleben können: „die Felsen [sind] eine Zuflucht für die Klippdachse“ (Ps 104,18). Sie suchen ihre Sicherheit in den Felsen. Sie sind sehr schwach, aber ihre Lage auf dem Felsen ist sehr stark. Das lehrt uns, dass das Bewusstsein unserer Schwachheit und unseres Unvermögens uns zum Felsen, zu Christus, bringen soll (1Kor 10,4), damit wir dort unser Haus bauen (Mt 7,24.25).
Die Weisheit der „Heuschrecken“ besteht in ihrem wohlgeordneten Zusammenwirken, das sie befähigt, wie eine gewaltige militärische Einheit vorzurücken (Vers 27). Die Heuschrecke weiß, wie sie organisieren muss, sie hat ein erstaunliches Organisationstalent. Unter ihnen herrscht eine spontane Einheit und Ordnung. Sie haben keinen König und auch keine Königin wie die Bienen, und doch „ziehen sie allesamt aus in geordneten Scharen“, wie eine gut organisierte Armee. Eine einzelne Heuschrecke hat keine Kraft, man kann sie töten, indem man sie zertritt. Doch in Schwärmen sind Heuschrecken unbesiegbar und zerstören alles (2Mo 10,13–15; Jes 33,4; Joel 2,25; Off 9,1–11).
Gott hat es in sie hineingelegt, dass sie in geordneten Scharen ausziehen. Die Belehrung für uns ist, dass das Empfinden der Schwachheit uns als Glieder der Gemeinde zusammenschweißen muss und dass wir einander stärken müssen. Wir können das in einer örtlichen Gemeinde erleben, wenn die unsichtbare Person, der Heilige Geist, uns leiten kann. Das war bei den Kolossern der Fall. Paulus konnte zu ihnen sagen: „Denn wenn ich auch dem Fleisch nach abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch, mich freuend und sehend eure Ordnung und die Festigkeit eures Glaubens an Christus“ (Kol 2,5). Gibt es auch heute noch örtliche Gemeinden, zu denen der Herr Jesus das sagen kann?
Die Weisheit der „Eidechse“ ist ihre Fähigkeit, sogar in die Paläste der Könige zu gelangen (Vers 28). Die schwache, wehrlose Eidechse, die man leicht fangen kann, weiß, wie sie in die sichersten und vornehmsten Wohnungen wie die königlichen Paläste gelangen kann.
Zahlreiche Christen sind im Lauf der Kirchengeschichte festgenommen und sogar getötet worden, ohne sich zur Wehr zu setzen, doch sie haben alle eine Wohnung bei Gott. Wer schwach ist, darf wissen, dass er einen hervorragenden und sicheren Platz in Christus hat. Gläubige besitzen königliche Würde und sind „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19). Mit ihren Saugnäpfen kann sich die Eidechse selbst auf den glattesten Oberflächen sicher bewegen; sie saugt sich sozusagen daran fest. So kann sich der Glaube an der Wohnung Gottes festhalten.
29 - 31 Vier mit einem stattlichen Gang
29 Drei haben einen stattlichen Schritt, und vier einen stattlichen Gang: 30 der Löwe, der Held unter den Tieren und der vor nichts zurückweicht; 31 der Lendenstraffe, oder der Bock; und ein König, bei dem das Kriegsheer ist.
Agur nennt vier Illustrationen von stattlichen Tieren, damit wir davor bewahrt werden, dass wir meinen, dass das Kleine in den vorigen Versen immer besser ist, als das Große. Sie alle sind Führer (Vers 29). Der Gegensatz zu den vorigen vier ist offensichtlich. Diese Tiere sind keine machtlosen Wesen, mit denen man machen kann, was man will, sondern machen Eindruck. Sie besitzen Führungsqualitäten. Die Weise, wie sie sich fortbewegen, hat etwas Majestätisches. Sie haben „einen stattlichen Schritt“ und „einen stattlichen Gang“. Zuerst erhalten wir drei Beispiele aus der Tierwelt. Sie bilden den Auftakt zum vierten, dem König, der ein Kriegsheer bei sich hat. Dieses Kriegsheer verstärkt den Eindruck seiner Majestät.
Das erste Tier mit einer königlichen Ausstrahlung ist der Löwe, der König unter den Tieren, der „vor nichts zurückweicht“ (Vers 30). Im Gegenteil: Jeder weicht ihm aus und gibt ihm freie Bahn. Seine Art, wie er sich fortbewegt, flößt Ehrfurcht ein. Er strahlt Kraft aus. Er wird seinen Schritt nicht beschleunigen, um zu fliehen, denn er hat vor niemandem Angst. In seiner Kraft und Majestät ist er ein Bild von Christus, dem „Fürsten der Könige der Erde“, der auch „der Löwe … aus dem Stamm Juda“ genannt wird (Off 1,5; 5,5).
Wir sehen beim „Lendenstraffen“ (oder Hahn) (Vers 31) ebenfalls eine königliche Ausstrahlung, wenn er unter den Hennen stolziert. Der Hahn kräht, wenn die Sonne aufgeht, also zu Beginn eines neuen Tages. Das ist das Zeichen eines Neuanfangs. Als Petrus den Herrn Jesus verleugnete, krähte der Hahn. Petrus erwachte gleichsam und bereute das, was er getan hatte (Mt 26,75). Das war der Anfang seiner Wiederherstellung.
Wir können den Hahn deshalb als ein Symbol für die Ankündigung des Kommens des Königs sehen. Christus wird in Majestät als Richter erscheinen, um die Welt zu richten und sein Friedensreich aufzurichten.
Der „Bock“ hat ebenfalls einen stattlichen Gang. Mit seinem erhobenen Kopf läuft er stolz vor der Herde her (Jer 50,8). Der Ziegenbock ist in erster Linie das Tier, das als Sündopfer verwendet wurde. Das erinnert uns an den Herrn Jesus, der in königlicher Würde nach Jerusalem hinaufging, um als das Sündopfer zu sterben. Er wollte diesen Weg gehen und das Werk erfüllen; niemand konnte Ihn daran hindern (Lk 9,51). Dieses Werk ist die Grundlage für seine Rückkehr zur Erde, denn durch dieses Werk hat Er das Recht auf die Schöpfung zurückerlangt.
Christus wird auf die Erde zurückkommen als ein „König, bei dem das Kriegsheer ist“. Ein König mit seinem Kriegsheer ist sehr beeindruckend. Niemand wagt es, ihm zu widerstehen und niemand kann vor ihm standhalten. Das wird geschehen, wenn Christus als König mit seinem ganzen Volk wiederkommt (Off 19,11–21). Es ist das Volk, das Er sich geheiligt hat und für das Er sich als Opfer dargebracht hat. Dieses Volk wird mit Ihm regieren.
32 - 33 Druck bewirkt etwas
32 Wenn du töricht gehandelt hast, indem du dich erhobst, oder wenn du Böses ersonnen hast: Die Hand auf den Mund! 33 Denn das Pressen der Milch ergibt Butter, und das Pressen der Nase ergibt Blut, und das Pressen des Zorns ergibt Streit.
Agur endet nicht mit der Würde, die er in den vorigen Versen beschrieben hat, obwohl das ein schöner Schluss gewesen wäre. Er endet vielmehr mit einer Warnung, die ein letzter Aufruf zur Demut ist (Verse 32.33). Die Vorbilder in den Versen 30 und 31 beschrieben Führer. Ein Tor kann daraus die falsche Belehrung ziehen und sich anmaßen, ein Führer zu sein (Vers 32). Deshalb warnt Agur vor Stolz im Herzen („sich erheben“) und vor schlechten Gedanken („Böses ersinnen“).
Möge der, bei dem das so ist, schnell zur Erkenntnis kommen, dass es Torheit ist und möge er die stolzen Gedanken nicht ausdrücken (Vers 32). Deshalb: „die Hand auf den Mund“ (vgl. Hiob 40,4.5). Bei Hiob ist es die Hand auf seinem Mund vor Gott. Bei Agur ist es die Hand auf dem Mund im gegenseitigen Umgang. Es ist schlimm, schlecht zu denken; es ist noch schlimmer, dieses Schlechte auch auszusprechen. Wenn Letzteres geschieht, wird dem schlechten Gedanken nachgegeben und andere werden davon beeinflusst.
Sich selbst erheben und sich etwas vorzunehmen, ist noch nicht die Tat. Und doch sagt Agur, dass jemand „töricht gehandelt“ hat, wenn Hochmut und schlechte Gedanken da sind. Gedanken werden Taten nämlich gleichgestellt. Der Herr Jesus bestätigt das: „Ich sage euch aber: Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat schon Ehebruch mit ihr begangen in seinem Herzen“ (Mt 5,28). Deshalb müssen nicht nur falsche Taten verurteilt und vor Gott bekannt werden, sondern auch schlechte Beweggründe und Gedanken.
In Vers 33 zeigen drei Vergleiche, was das Resultat ist, wenn die Hand nicht auf den Mund gelegt wird. Das wird deutlich durch das Wort „denn“, mit dem der Vers beginnt. Wenn jemand fortfährt, seine arroganten Gedanken umzusetzen, verursacht er nur Uneinigkeit. In seiner Führerschaft, die er an sich gerissen hat, setzt er andere unter Druck. Druck ausüben hat Folgen.
Wenn Druck auf Milch ausgeübt wird, wenn sie kräftig gerührt wird, entsteht Butter. Das ursprünglich gesunde Getränk ist nicht mehr trinkbar. Wenn Druck auf die Nase ausgeübt wird, wenn jemand einen Schlag auf die Nase bekommt, beginnt sie zu bluten. Damit wird die ursprüngliche Funktion der Nase, Gerüche aufzunehmen, verhindert. Stattdessen gibt es Blutverlust. Das letzte der Beispiele des Druckes ist das, worum es eigentlich geht: Jemand kann so unter Druck gesetzt werden, dass er zornig wird und ein Streit entsteht.
Diese Beispiele verdeutlichen die Absicht dieses abschließenden Rates. Agur spornt uns an, nach Frieden und Harmonie zu trachten, und zwar in einer Gesinnung der Demut und Gerechtigkeit. Er schließt seine Sprüche mit demselben Gedanken, mit dem er sie begonnen hat.