1 - 3 Zu Tisch bei einem Herrscher
1 Wenn du dich hinsetzt, um mit einem Herrscher zu speisen, so beachte wohl, wen du vor dir hast; 2 und setze ein Messer an deine Kehle, wenn du gierig bist. 3 Verlange nicht nach seinen Leckerbissen, denn sie sind eine trügerische Speise.
Salomo warnt seinen Sohn, sich in Acht zu nehmen, wenn er von einem Herrscher eingeladen wird, um mit ihm zu essen (Vers 1). Er kann sich geschmeichelt fühlen, dass der Herrscher ihn einlädt. Er kann sich auch von dem reichgedeckten Tisch mit dem köstlichen Essen beeindrucken lassen, dass ihm das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn er es sieht. Er sollte nicht darauf schauen, was er vor sich hat, das herrliche Essen, sondern wen er vor sich hat, den Herrscher.
In diesem Sinn muss er ein „Messer an die Kehle“ setzen (Vers 2). Das gilt insbesondere für den Fall, dass er „gierig“ ist. Der Verzehr von leckerem Essen ist nicht falsch, die Begierde danach wohl. Das Essen, das vor ihm auf dem Tisch steht, sieht sehr verlockend aus. Dazu kommt, dass er Hunger hat und gern darüber herfallen möchte. Der Vater kennt die Gefahr, dass man sich dann nicht mehr unter Kontrolle hat und zu schlemmen beginnt. Du bist dann ein doppelter Gefangener. Du bist Gefangener deiner Fresssucht und du bist Gefangener des Herrschers. Du hast dich in seiner Gegenwart gehen lassen.
Deshalb erklingt die Ermahnung an den Sohn, dass er sich ein „Messer an die Kehle“ setzen soll, was so viel bedeutet wie: „Zähme deinen Appetit“ oder „beherrsche ihn“. Das bedeutet, dass du deine Gier mit dem Tod bezahlst. Die Ermahnung ist, dass es besser ist, das Messer an die Kehle zu setzen als an das Fleisch auf dem Tisch. Das ist es, was die Bibel Selbstbeherrschung nennt. Der Herr Jesus ruft dazu auf, wenn Er davon spricht, das Auge auszureißen und die Hand abzuhauen, sobald wir versucht sind, etwas Schlechtes zu tun oder etwas Schlechtes zu sehen (Mt 5,29.30; 18,8.9; 1Kor 9,24–27).
Der Grund für die Warnung und Ermahnung in den Versen 1 und 2 wird in Vers 3 genannt. Die „Leckerbissen“ sind ein Köder, damit jemand etwas für ihn erledigt oder er etwas durch ihn erfährt oder um sich seine Unterstützung zu sichern. Er sollte sich also nicht an ihnen erfreuen, „denn sie sind eine trügerische Speise“. Die Einladung zum Essen geschah nicht, weil er solch ein wichtiger Gast ist, sondern um ihn in gute Laune zu versetzen, damit er dann etwas für ihn erledigen würde. Dahinter stecken also egoistische Motive.
Deshalb sollte er, wie gesagt, nicht darauf schauen, was er vor sich hat (die Leckerbissen), sondern darauf, wen er vor sich hat. Weil Eva nicht darauf achtete, wen sie vor sich hatte und allein darauf achtete, was sie vor sich hatte, ist die Sünde in die Welt gekommen (1Mo 3,1–6). Weil wir nicht besser sind und auch für uns die Versuchung groß ist, eine solche Einladung anzunehmen und ein solches Essen zu uns zu nehmen, ist es erforderlich, um Bewahrung zu bitten, wie David es tat: „Neige mein Herz nicht zu einer bösen Sache, um in Gottlosigkeit Handlungen zu verüben mit Männern, die Frevel tun; und möge ich nicht essen von ihren Leckerbissen!“ (Ps 141,4).
Wir können „Leckerbissen“ auch auf falsche Lehren über das Wort Gottes anwenden. Falsche Lehrer können ihre falschen Lehren über Gott auf eine „schmackhafte“ Weise vorstellen. Zum Beispiel klingt es sehr anziehend, dass Gott Liebe ist und dass Er doch nicht so unbarmherzig sein wird, einen Menschen für ewig in die Hölle, in die ewige Pein, zu werfen. Diese falsche Lehre ist für viele Menschen sehr „schmackhaft“. Sie nehmen dadurch die falsche Lehre von der „Allversöhnung“ in ihr Herz auf, was ihr Denken vergiftet.
4 - 5 Reichtum ist flüchtig
4 Bemühe dich nicht, reich zu werden, lass ab von deiner Klugheit. 5 Willst du deine Augen darauf hinfliegen lassen, und siehe, fort ist es? Denn sicherlich verschafft es sich Flügel wie ein Adler und fliegt zum Himmel.
Reichtum hat die gleiche Anziehungskraft wie die Speise auf dem Tisch eines Herrschers in den vorhergehenden Versen. Auch ist Reichtum ebenso trügerisch wie die Speise auf dem Tisch des Herrschers. Deshalb muss man auch mit Reichtum sehr vorsichtig umgehen. Die Warnung ist, sich nicht zu bemühen, reich zu werden (Vers 4). Wer sich darum bemüht, ist intensiv damit beschäftigt und wird davon in Beschlag genommen. Es geht also darum, reich werden zu wollen. Wer reich werden will, geht große geistliche Risiken ein (1Tim 6,9.10).
Wir können uns vorstellen, dass der Sohn jung und ehrgeizig ist. Er hat viele Fähigkeiten und sieht viele Herausforderungen. Doch der Vater stellt ihm vor, dass er seine „Klugheit“ nicht dazu gebrauchen soll, um alle möglichen Vorteile aufzuzählen, die die Mühe lohnen, sich für den Reichtum einzusetzen und sich dafür abzuplagen. Er sollte besser damit aufhören, nach guten Gründen zu suchen, das zu tun, was schlecht ist.
Die Wirklichkeit ist, dass genau wie seine „Augen“ über den Reichtum „hinfliegen“, der Reichtum ebenfalls „dahinfliegt“ (Vers 5). Hier gebraucht Salomo ein Wortspiel mit dem Wort fliegen. Die Augen fliegen und der Reichtum fliegt. So schnell wie die Augen fliegen, so schnell fliegt der Reichtum weg. Reichtum verfliegt mit der Geschwindigkeit eines Adlers, der zum Himmel fliegt. Du hast das Nachsehen, denn du kannst den Reichtum nicht zurückholen. Eine falsche Spekulation, eine Bank, die bankrottgeht, ein Dieb, der einbricht, und du bist plötzlich dein ganzes Kapital mit einem Mal los.
Die Warnung, die Salomo an seinen Sohn und an uns richtet, ist keine Warnung vor Fleiß und Eifer, sondern vor Geldsucht, vor dem Materialismus mit seinen Gefahren und der Sucht nach mehr Wohlstand. Es ist besser, alle unsere Kräfte einzusetzen, um Schätze im Himmel zu sammeln (Mt 6,19.20). Wir können auch besser – als Nachahmer des Paulus – alle unsere Kräfte in der Arbeit für den Herrn einsetzen. In der Festlegung unserer Prioritäten zeigen wir, wofür wir unsere „Klugheit“ nutzen.
6 - 8 Geheuchelte Gastfreundschaft
6 Iss nicht das Brot des missgünstig Blickenden, und verlange nicht nach seinen Leckerbissen. 7 Denn wie einer, der es abmisst in seiner Seele, so ist er. „Iss und trink!“, spricht er zu dir, aber sein Herz ist nicht mit dir. 8 Deinen Bissen, den du gegessen hast, musst du ausspeien, und deine freundlichen Worte wirst du verlieren.
Es ist ein Fehler, die Gastfreundschaft eines geizigen Menschen anzunehmen (Vers 6). Bei jedem Bissen, den du zu dir nimmst, siehst du ihn böse gucken. Der missgünstig Blickende schaut mit bösem Auge – beachte den Gegensatz zu „wer gütigen Auges ist“ (Spr 22,9; siehe die Erklärung dort). Dieser Geizhals hat keine Manieren und ist nicht gastfrei. Du solltest dich nicht daran erfreuen, „seine Leckerbissen“ mit ihm zu essen, so sehr dir auch das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn du solch einen Überfluss an leckerem Essen vor dir siehst. Es gibt wirklich nichts Leckeres an einer Mahlzeit mit einem solchen Menschen.
Der Mann, mit dem du zu Tisch sitzt, ist nicht so, wie er sich gibt (Vers 7). Während du isst, überlegt er, was er verliert, wenn du isst. Er verliert etwas von seinem Reichtum. Er lädt zwar ein: „Iss und trink!“, aber nicht mit dem Herzen; er denkt nicht so, er ist gierig. Er tut es zähneknirschend. Innerlich, in seinem Herzen, ist er nicht mit dir verbunden, während doch eine Mahlzeit die Gemeinschaft ausdrückt. Er achtet mehr darauf, wie viel du isst – und was es ihn kostet –, als darauf, ob du es genießt.
Im Lauf der Mahlzeit verfinstert sich das Gesicht des Gastgebers, so dass das Essen immer weniger schmeckt (Vers 8). Seine mangelnde Aufrichtigkeit wird dir schließlich deinen Appetit so sehr verderben, dass du das erbrichst, was du bereits gegessen hast. Und oh, wie wirst du deine freundlichen Worte bedauern! Du hast deine Wertschätzung für die Einladung zum Ausdruck gebracht und deinen Gastgeber wegen seines guten Geschmacks gelobt, aber es ist eine vergebliche Ehrung. Der Mann entpuppt sich als ein Geizhals, der dich mit jedem Bissen, den du zu dir genommen hast, nur mürrisch beobachtet hat.
9 Verschwende keine weisen Worte an einen Toren
9 Rede nicht zu den Ohren eines Toren, denn er wird die Einsicht deiner Worte verachten.
Es hat keinen Sinn, einsichtsvolle Worte an einen unverbesserlichen Toren zu richten. Das liegt nicht daran, dass er nicht verstehen würde, was du sagst. Das liegt auch nicht daran, dass er schlecht zuhören würde oder dass er überhaupt nicht zuhören würde. Es ist viel schlimmer. Es geht nicht um Unwissenheit oder Unanständigkeit, sondern er verachtet derartige Worte. Ein Tor verachtet Weisheit, und deshalb ist der Versuch, ihm etwas Einsichtsvolles zu sagen, Zeitverschwendung.
Worte, die etwas Einsichtsvolles enthalten, fasst er als Korrektur auf und damit als Angriff auf sein Tun. Er will damit in keiner Weise konfrontiert werden. Er wird sich daher als Feind offenbaren und sich gegen dich wenden.
Was Salomo hier zu seinem Sohn sagt, entspricht dem, was der Herr Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Gebt nicht das Heilige den Hunden; werft auch nicht eure Perlen vor die Schweine, damit sie diese nicht etwa mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen“ (Mt 7,6).
10 - 11 Das Eigentum Wehrloser achten
10 Verrücke nicht die alte Grenze, und dringe nicht ein in die Felder der Waisen. 11 Denn ihr Erlöser ist stark; er wird ihren Rechtsstreit gegen dich führen.
Erneut weist der Lehrer der Weisheit darauf hin, die Rechte anderer an ihrem Eigentum anzuerkennen (Vers 10; Spr 22,28). Diesmal warnt er davor, „die alte Grenze“ zu verrücken, die die Felder der vaterlosen Waisen begrenzen. Wer sie verrückt, verletzt deren Eigentum. „Dringe nicht ein in die Felder der Waisen“ bedeutet, dass niemand mit feindlichen Absichten in diese Felder kommen darf, und zwar mit der Absicht, die Grenzsteine zu verlegen und so einen Teil ihrer Felder zu rauben.
Vers 11 macht deutlich, warum es klug ist, kein Land zu rauben und schon gar nicht von wehrlosen Waisen. Wer das tut, bekommt es nämlich mit dem zu tun, der sich für solche einsetzt, die keinen irdischen Vater haben, auf den sie sich stützen können und der sich für sie einsetzt. Sie haben einen „Erlöser“, der „stark“ ist (Jer 50,34). Er führt ihre Rechtssache und wird ihn mit dem Übertreter zusammen führen, indem Er ihn vor Gericht bringt und ihn verurteilt. Er ist der Goel, der Erlöser, der Helfer für die, die nicht auf die Hilfe eines Menschen rechnen können (vgl. Ps 10,14; Hiob 19,25). Witwen und Waisen stehen als Wehrlose unter der direkten Fürsorge Gottes (Ps 68,6; 82,3; 146,9; Hos 14,4).
12 Erneute Aufforderung zu hören
12 Bring dein Herz her zur Unterweisung, und deine Ohren zu den Worten der Erkenntnis.
Dieser Spruch der Ermahnung an die Adresse des Sohnes ist wieder eine einleitende Ermahnung und erinnert daran, wie so mancher Teil im ersten Hauptteil, Kapitel 1–9, beginnt (Spr 1,8; 2,1; 3,1; 4,1; 5,1; 6,20; 7,1; 8,1–6). Auch der Teil der Worte der Weisen beginnt damit (Spr 22,17). Der Sohn soll sein Herz der Ermahnung öffnen und aufmerksam auf das Wissen hören, das sein Vater und seine Mutter ihn gelehrt haben. Das ist eine Aktivität, die vom Sohn erwartet wird.
„Bringen“ ist eine Handlung, eine Aktivität, die erwartet wird. Jemand muss selbst etwas bringen. Dabei geht es nicht um körperliche Bewegung, sondern sein Herz und sein Ohr müssen „gebracht“ werden. Es geht also nicht nur darum, geduldig darauf zu warten, dass etwas kommt, ein bestimmtes Gefühl oder etwas anderes. Das Herz und das Ohr müssen sich von allem abwenden, womit sie beschäftigt sind, um sich der Lehre der Weisheit zuzuwenden.
13 - 14 Zucht ist notwendig
13 Entziehe dem Knaben nicht die Züchtigung; wenn du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben. 14 Du schlägst ihn mit der Rute, und du errettest seine Seele vom Scheol.
Nachdem das Wort in Vers 12 an den Sohn gerichtet ist, wird das Wort in den Versen 13 und 14 an die Eltern gerichtet. Bisher gab es zwei Ermahnungen über die Verwendung der Rute zur Korrektur (Spr 13,24; 22,15) und einen Hinweis darauf, sie nicht zu missbrauchen, denn das würde möglicherweise zum Tod führen (Spr 19,18). Nun werden beide Arten von Ermahnung zusammengeführt.
Wenn ein Sohn, ein junger Mann, ungehorsam ist, muss er ermahnt werden (Vers 13). Das kann mündlich geschehen, aber manchmal ist es nötig, dass er nicht nur hört, sondern auch fühlt, dass er ungehorsam war. Dann muss er mit der Rute geschlagen werden. Wie bereits früher erwähnt wurde (siehe den Kommentar zu Kapitel 22,15), sollte nicht drauflos geschlagen werden. Das Ziel ist, dass er auf schmerzhafte Weise mit seiner Sünde konfrontiert wird. Sünde verursacht immer Schmerz. Er wird nicht daran sterben, sondern am Leben bleiben, das bedeutet, ein Leben zu führen, wie Gott es beabsichtigt hat. Dieses Leben gibt die größte Befriedigung.
Die Anwendung von körperlicher Zucht muss durch die Eltern selbst geschehen (Vers 14). Sie dürfen das niemand anderem überlassen. Wenn die Eltern ihn züchtigen, zeigen sie dadurch, dass sie persönlich am Wohl ihres Sohnes interessiert sind. Sie züchtigen ihn nicht, weil sie besser sind. Sie selbst brauchten ebenfalls Zucht und sie war vorteilhaft für sie.
Es ist nicht grausam, den jungen Mann mit der Rute zu schlagen. Es ist geradezu grausam, es nicht zu tun. Ein Kind, das nie gezüchtigt worden ist, wird in den meisten Fällen im Umgang mit anderen widerspenstig sein. Wer nie den Schmerz des Korrekturstocks gespürt hat, ist oft grausam, ohne irgendein Mitgefühl für andere. Er endet im Tod, im Grab und in der ewigen Qual. Er stirbt vorzeitig an den Folgen eines fatalen Fehlers in der Erziehung. Der Gebrauch der Rute zur Korrektur hätte sein Leben davor retten können, er hätte ein würdevolles und segensreiches Leben führen können.
15 - 16 Weisheit verursacht Freude
15 Mein Sohn, wenn dein Herz weise ist, so wird auch mein Herz sich freuen; 16 und meine Nieren werden frohlocken, wenn deine Lippen Geradheit reden.
Die Verse 15 und 16 setzen das Thema der beiden vorherigen Verse fort. Die Wahl, die ein Kind trifft, ist ebenso wichtig wie die Zucht durch die Eltern. Zucht rettet sein Leben, aber das Kind muss seinerseits etwas mit seinem Leben machen. Das größte Bemühen des Vaters ist, dass er seinen Sohn Weisheit lehrt. Zu diesem Bemühen gehört auch der Gebrauch der Rute.
Der Vater sagt seinem Sohn, dass sich sein Herz freut, wenn das Herz seines Sohnes weise ist (Vers 15). Er hat sein Bestes getan, ihn in der Weisheit zu unterweisen, und hat dabei in notwendigen Fällen die Rute benutzt. Nun ist es an der Zeit, dass der Sohn reagiert. Was für eine Freude wird es für das Herz des Vaters sein, wenn sein Sohn dadurch, dass er gute Entscheidungen trifft, ein weises Herz offenbart. Das weise Herz des Sohnes bewirkt bei seinem Vater ein freudiges Herz. Es gibt eine Verbindung der Herzen. Ein Sohn hat nur dann ein weises Herz, wenn er in Gemeinschaft mit Gott lebt. Der Vater betont die Freude seines Vaterherzens, indem er „auch mein Herz“ hinzufügt.
Aus den weisen Entscheidungen des Sohnes zeigt sich, dass sein Herz weise ist, und auch darin, dass „seine Lippen Geradheit reden“ (Vers 16). Er wird sich in der rechten Weise zu den anstehenden Themen äußern und so einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines Plans oder zur Lösung eines Problems leisten. Seine Worte spiegeln Weisheit und Einsicht in die Vielschichtigkeit des Lebens wider. Diese Weisheit und diese Einsicht kommen nicht von unten, sondern von oben (Jak 3,13.17). Es ist die Weisheit, die „gerechtfertigt ist von allen ihren Kindern“ (Lk 7,35). Das bedeutet, dass sich diese Weisheit im Leben dieser Kinder zeigt, und zwar in ihrem Tun und Reden.
Der Vater kann seine Freude nicht zurückhalten, wenn er seinen Sohn so reden hört. Er bringt seine tiefe Freude darüber zum Ausdruck, indem er sagt: „Meine Nieren werden frohlocken.“ Die Nieren stellen zusammen mit dem Herzen symbolisch die tiefsten, innersten Gefühle dar (vgl. Hiob 19,27; Ps 7,10; 16,7; 26,2; Jer 11,20). Das entspricht dem, was der alte Apostel Johannes sagt, dass er „keine größere Freude“ hat, dass es also seine tiefste Freude ist, wenn er hört, dass seine (geistlichen) Kinder „in der Wahrheit wandeln“ (3Joh 1,4; vgl. 1Thes 2,19.20).
Was macht uns als Eltern glücklich? Ist es, dass wir mit ihren guten Diplomen angeben, der guten Stellung in der Gesellschaft oder sogar in der Gemeinde? Oder dass sie gesund und begabt sind? Diese Dinge sind überhaupt nicht falsch, doch wenn das unsere einzige Freude ist, befinden wir uns auf einem niedrigen Niveau. Das einzig wichtige für Eltern sollte sein, dass ihre Kinder eine lebendige Beziehung zum Herrn Jesus haben und aus dieser Beziehung leben. Das gibt eine Freude, die niemals verschwindet.
17 - 18 Die Furcht des HERRN gibt Hoffnung
17 Dein Herz beneide nicht die Sünder, sondern beeifere sich jeden Tag um die Furcht des HERRN. 18 Ja, es gibt ein Ende, und deine Hoffnung wird nicht vernichtet werden.
Diese Verse handeln von einer Gefahr, die dem jungen Mann droht und dazu führt, dass er die Weisheit aufgibt. Sie handeln aber auch davon, wie er sie festhalten kann und davon, was sie ihm bringt. Wenn Neid oder Eifersucht im Blick auf die Sünder in seinem Herzen aufkommt (Vers 17), wird die Weisheit vertrieben. Die Weisheit bleibt nur dann im Herzen, wenn „die Furcht des HERRN“ jeden Tag in seinem Herz bleibt.
In der ersten Verszeile wird der Sohn gewarnt, die Sünder nicht zu beneiden (nicht eifersüchtig zu sein), und die zweite Verszeile ermutigt ihn, eifersüchtig auf die Furcht des HERRN zu sein. Das ist der Gegensatz zwischen einer falschen und einer guten Eifersucht. Die falsche Eifersucht ist Sünde, die gute Eifersucht ist eine geistliche Aktivität.
Sünder zu beneiden, ist die Folge eines Vergleichs zwischen dem, was sie haben, und dem, was man sich selbst leisten oder erlauben kann (Ps 73,3–5). Dieser Neid wird dem Vertrauen gegenübergestellt und entspringt immer dem Misstrauen Gott gegenüber. Es ist ein Mangel an Vertrauen auf Gott, dass Er nicht gibt, was du brauchst. Das bedeutet, dass du an Gott und seiner Liebe zweifelst. Deshalb ist es wichtig, um die Furcht des HERRN zu eifern, und das den ganzen Tag über. Wenn du das tust und danach strebst, sie zu besitzen, kannst du dein Los mit Freude annehmen, als das, was Er dir gibt. Dann kannst du mit seinem Segen rechnen und auf seine Zusagen vertrauen, und das den ganzen Tag lang und an jedem Tag.
Das Wort „Ja“, mit dem Vers 18 beginnt, nennt den Grund für das Vorhergehende. Für die Sünder gibt es keine Zukunft. Es ist daher eine Torheit, sie zu beneiden. Es gibt eine Zukunft für den, der um die Furcht des HERRN eifert und dabei bleibt. Wer in einer Beziehung mit Ihm lebt, braucht niemanden zu beneiden. Wie man in die Zukunft schaut, hängt von der Gottesfurcht ab. Gott ist es, der Hoffnung gibt.
Das hebräische Wort für Hoffnung ist tiqvah und bedeutet wörtlich „Schnur“. Dieses Wort wird für die Schnur gebraucht, die Rahab ins Fenster hängen musste (Jos 2,17.18). Diese Schnur war das Symbol der Hoffnung, die sie hatte, dass sie verschont bleiben würde, wenn Jericho eingenommen würde. Die Hoffnung verbindet uns mit der Ewigkeit Gottes. Deshalb kann sie nicht abgeschnitten werden, niemals, während die Hoffnung der Sünder sehr wohl abgeschnitten wird, denn diese Hoffnung gründet sich auf etwas außerhalb von Gott und ist daher per Definition ohne Grundlage.
19 Noch einmal der Aufruf zu hören
19 Höre du, mein Sohn, und werde weise, und leite dein Herz geradeaus auf dem Weg.
Noch einmal richtet sich der Vater ausdrücklich an seinen Sohn mit den Worten „du, mein Sohn“. Es geht um dich, meinen Sohn. Ich möchte gern sehen, dass du einen Weg gehst, der zur Ehre Gottes ist. Man hört nie auf, auf der Erde weise zu werden. Wer weise ist, möchte immer weiser werden. Eine der Eigenschaften dessen, der weise ist, ist das Bewusstsein, dass es nötig ist, in der Weisheit weiter zu wachsen. Wer sagt, dass er vollkommen weise ist, lügt und ist grenzenlos hochmütig.
Zuhören ist die Voraussetzung dafür, weise zu werden. Wer zuhört, kann weise werden. Das Zuhören zeigt die Einstellung des Schülers. Der Sohn ist ein Schüler. Die Ausrichtung des Herzens ist untrennbar damit verbunden. Das Herz soll nicht auf seinen eigenen Weg gerichtet sein, sondern „auf den Weg“ des HERRN oder der Weisheit. Alle Weisheit, die wir erwerben, besteht darin, dass wir den richtigen Weg gehen, den Weg der Weisheit, der nichts anderes ist als der Weg des HERRN. Das ist der Weg des Lebens, auf dem alles unter seiner Autorität und zu seiner Ehre geschieht.
20 - 21 Säufer und Schlemmer sind schlechte Gesellschaft
20 Sei nicht unter Weinsäufern und nicht unter denen, die Fleisch verprassen; 21 denn ein Säufer und ein Schlemmer verarmen, und Schlummer kleidet in Lumpen.
Der Vater warnt seinen Sohn dringend, sich nicht in die Gesellschaft von Weinsäufern und Schlemmern zu begeben (Vers 20). Diese Menschen kennen kein Maß. Sie vergegenwärtigen eine Klasse von Menschen, die dramatischen Mangel an Selbstbeherrschung hat. Sie sind willenlose, charakterlose und versklavte Menschen. Das ist ein Umgang, den der Sohn vermeiden muss. Wenn er freundschaftliche Kontakte mit ihnen unterhält, wird das einen negativen Einfluss auf seine Sicht der Trunkenheit und Völlerei haben.
Übermäßiges Trinken und Essen sind übrigens häufig Symptome von tieferliegenden Problemen. Es ist bekannt, dass Alkohol vor allem ein „Lösungsmittel“ ist. Es wird verwendet, um Seelenleid und Spannungen vorübergehend zu mindern oder zu vergessen (vgl. Spr 31,6.7). Dasselbe gilt für übermäßiges Essen. Die Probleme treiben nicht zu Gott hin, sondern zum Trinken und Essen. Weinsäufer und Schlemmer schließen Gott aus ihrem Leben aus.
Vers 21 beginnt mit dem Wort „denn“, was darauf hinweist, dass nun die Motivation für die Warnung im vorherigen Vers folgt. Der Säufer und der Gierige vergeuden ihr Geld für ihre Sucht. Ihre Getränke und Lebensmittel richten sie finanziell zugrunde. Sie stecken oft tief in Schulden. Sie ziehen ihre Familien mit in den Abgrund. Der Rausch, in dem sie beständig leben, ist ihnen anzusehen. Sie sind „in Lumpen“ gekleidet, denn jeder Cent wird für Getränke oder Essen ausgegeben und nicht für die Ausbesserung der Kleidung.
Wir können die „Lumpen“ auch geistlich anwenden. Säufer und Schlemmer leben ein „lumpiges“ Leben. Zuerst ist es ein lumpiges Leben im Sinn eines Doppellebens. Solange sie die Sucht verbergen können, leben sie zwei Leben, ein Leben mit zwei Gesichtern. Doch ihr ganzes Leben zerreißt in unzählige Fetzen, wenn sie ihre Sucht nicht mehr verbergen können. Das geschieht, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr richtig tun können und entlassen werden, oder wenn sich die Gläubiger melden, weil sie ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen.
22 - 25 Ehre und erfreue deinen Vater und deine Mutter
22 Höre auf deinen Vater, der dich gezeugt hat, und verachte deine Mutter nicht, wenn sie alt geworden ist. 23 Kaufe Wahrheit und verkaufe sie nicht, Weisheit und Unterweisung und Verstand. 24 Hoch frohlockt der Vater eines Gerechten; und wer einen Weisen gezeugt hat, der freut sich über ihn. 25 Freuen mögen sich dein Vater und deine Mutter, und frohlocken, die dich geboren hat!
Bereits bald nach Vers 19, in Vers 22, erfolgt erneut die Aufforderung an den Sohn zuzuhören. Nun wird hinzugefügt, dass er auf seinen Vater hören soll, motiviert durch die Tatsache, dass er ihn gezeugt hat. Der Sohn soll auf seinen Vater hören, weil er ihm sein natürliches Leben verdankt. Dadurch wird nicht so sehr die biologische Beziehung betont, sondern die Betonung wird auf eine zutiefst menschliche Beziehung gelegt. Ein Vater soll sich des großen Vorrechts bewusst sein, dass er einen Sohn zeugen durfte und der damit verbundenen großen Verantwortung (die auch ein Vorrecht ist), seinen Sohn in der Furcht des HERRN, dem Anfang der Weisheit, zu unterweisen.
Es ist eines der großen Dramen unserer Zeit, dass immer mehr Kinder nur einen biologischen Vater haben. Sie haben absolut keine menschliche Beziehung zu ihren Vätern, geschweige denn eine tiefe menschliche, ganz zu schweigen von der Aufgabe der Väter, sie in der Gottesfurcht zu unterweisen. Es ist geradezu schockierend zu hören, dass ein Vater seinen Sohn über Facebook kontaktiert, um den er sich seit zehn Jahren nicht mehr gekümmert hat, weil er mit einer anderen Frau durchgebrannt ist. Nach zehn Jahren bekommt der Sohn plötzlich über Facebook eine Anfrage von seinem Vater, ob er „sein Freund“ werden will. Ich überlasse es dem Leser, über die Reaktion des Sohnes nachzudenken.
Salomo hat auch ein Wort für seinen Sohn über die Mutter. Der Sohn soll sie nicht verachten, „wenn sie alt geworden ist“. Nicht zu verachten, bedeutet, einen tiefen Respekt zu haben. Heutzutage wissen Kinder intellektuell viel mehr als ihre Eltern. Häufig haben sie auch mehr Fähigkeiten. Das intellektuelle Wissen der Eltern bleibt weit hinter dem der Kinder zurück; dazu nimmt auch die körperliche Leistungsfähigkeit der Eltern ab. Es können Alterskrankheiten auftreten, die die Mutter hilfsbedürftig machen.
Die Gefahr ist groß, dass ein Kind den Rat einer alten Mutter verachtet. Es kostet Zeit, sie zu besuchen. Du hast schon so wenig Zeit und möchtest die wenige Freizeit für dich selbst nutzen. Und wenn sie dann auch noch ihren Rat zu dem gibt, was du tust oder tun willst, wartest du durchaus nicht darauf. Ein solches Kind zeigt große Undankbarkeit und mangelndes Empfinden für die vielen Jahre, in denen seine Mutter sich für es eingesetzt hat. Sie war immer für es da.
Die Ermahnung, die Mutter nicht zu verachten, muss auch heute noch laut ertönen. Wenn der Sohn ein weiser Sohn ist, wird er weiterhin tiefen Respekt vor ihr behalten, unter anderem wegen ihres Einsatzes für ihn. Durch ihre Fürsorge konnte er das erreichen, was er jetzt ist. Das ist ein Grund, weiter auf seine Mutter zu hören. Nicht, dass sie ihm immer wieder sagt, was er tun soll und was er nicht tun soll, wie sie es früher getan hat. Es geht darum, dass Kinder weiterhin auf die Erfahrungen des Lebens hören, die sie mit Gott gemacht hat. Kinder müssen diese noch machen. Sie sind weise, dass sie die Mutter ehren, indem sie auf sie hören. Sie spricht durch ihre Worte und durch ihr ganzes Leben.
Zuerst einmal kommt das Ehren der Eltern darin zum Ausdruck, dass die Kinder ihnen in ihrem Festhalten an der Wahrheit folgen. Deshalb folgt in Vers 23 die Ermahnung, Wahrheit zu kaufen und nicht zu verkaufen. Wer gern etwas haben will, kauft es und bezahlt den gewünschten Preis dafür. Wer etwas verkauft, hat lieber das Geld als das, was er verkauft. Wer die Wahrheit kauft und sie nicht verkauft, hat den Kaufpreis dafür übrig, wie hoch er auch sein mag, und wird sie um keinen Preis wieder verkaufen, wie hoch dieser auch sein mag. Es geht nicht um den Wunsch, die Wahrheit zu kaufen, sondern darum, sie tatsächlich für den Preis anzuschaffen, den sie wert ist.
Die Wahrheit ist nicht eine bestimmte Lehre, sondern besteht aus „Weisheit und Unterweisung und Verstand“. Diese Dinge sind im Leben wertvoller als jeder materielle Wohlstand und sind nötig, um das Leben auf der Erde wertvoll zu machen. Ihr Wert ist ewig und ist mit der Erkenntnis Gottes in Christus verbunden. Der „Kaufpreis“ ist die Zeit, die wir einsetzen, die Mühen, die wir aufbringen, und die Mittel, die wir anschaffen, um die Wahrheit besser kennenzulernen. Kaufen bedeutet auch, zu Christus zu gehen und Ihn zu bitten, uns Weisheit, Unterweisung und Verstand durch seinen Geist zu geben (vgl. Off 3,18).
Die Wertschätzung der Wahrheit, die sich im Kauf zeigt, lässt die Eltern frohlocken. Die Verse 24 und 25 beschreiben die überschwängliche Freude der Eltern, deren Sohn sich als Gerechter und Weiser offenbart. Der Vater wird „frohlocken“ (Vers 24). Noch einmal wird darauf hingewiesen, dass er ihn „gezeugt“ hat (Vers 22), womit die innige Verbindung betont wird. Es ist der Sohn, der aus ihm hervorgekommen ist. Er hat ihn gezeugt, um ihn zu einem weisen Sohn zu machen.
In Vers 25 wird dem Sohn gesagt, dass er dafür sorgen soll, dass sich sowohl sein Vater als auch seine Mutter freuen. Das wird so sein, wenn sie sehen, dass er danach verlangt, seinen Weg mit dem Herrn zu gehen. Der Vater hat gezeugt, die Mutter hat geboren. Gemeinsam haben sie den Sohn erzogen. Wenn sie sehen, dass ihre Erziehung die begehrte Wirkung hat, haben sie eine tiefe Freude (vgl. 2Joh 1,4; 3Joh 1,4). Kindern muss das Bewusstsein vermittelt werden, dass sie durch ein gottesfürchtiges Leben eine Freude für ihre Eltern sein werden.
26 - 28 Die Wege des Vaters und die der Hure
26 Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deine Augen Gefallen haben an meinen Wegen! 27 Denn die Hure ist eine tiefe Grube, und die Fremde ein enger Brunnen; 28 ja, sie lauert auf wie ein Räuber, und sie mehrt die Treulosen unter den Menschen.
Salomo bittet seinen Sohn, ihm sein Herz zu geben. Damit meint er, dass sein Sohn der Belehrung, die er ihm gibt, volle Aufmerksamkeit schenkt. Dabei weist der Vater auch auf seine eigenen Wege hin, auf sein Handeln und Wandeln, womit er seinem Sohn ein nachahmenswertes Beispiel gibt, dem zu folgen es sich lohnt (vgl. 1Kor 4,16; 11,1; Phil 3,17; 1Thes 1,6). Er fordert ihn jetzt nicht auf, mit seinen Ohren zuzuhören, sondern mit seinen Augen zu sehen. Möge er die Wege seines Vaters im Auge behalten. Er soll auch nicht nur darauf achten, sondern es mit „Gefallen“, als etwas Anziehendes, betrachten.
In Vers 26 hat der Vater sich eindringlich an seinen Sohn gewandt und ihn angespornt, auf seine Wege zu achten, ihm darin nachzufolgen und sich daran zu erfreuen. In Vers 27 folgt der Grund dazu, der durch das Wort „denn“ eingeleitet wird. Sein dringender Appell steht im Zusammenhang mit den sexuellen Gefahren, die dem Sohn drohen. Wenn er sein Herz seinem Vater gibt und die Wege seines Vaters im Auge behält, wird sein Herz nicht zu der „Hure“ oder der „Fremden“ ausgehen und er wird seine Augen nicht auf sie richten.
Der Vater warnt ihn vor zwei Arten von Frauen. Die „Hure“ ist die Prostituierte, die Frau, die sich selbst anbietet, damit er sexuelle Unreinheiten mit ihr begeht. Natürlich gegen Bezahlung. Die „Fremde“ ist die verheiratete Frau, die einmal etwas anderes will. Heute bieten sich beide Arten von Frauen auch über das Internet und über Werbespots an.
Der Vater nennt die Hure „eine tiefe Grube“ und die fremde Frau „einen engen Brunnen“. Wenn der Sohn sich mit der einen einlässt, wird er tief fallen, und wenn er sich mit der anderen einlässt, wird er in äußerste Not geraten. Er wird sich weder aus der Grube noch aus dem Brunnen befreien können. Die Grube und der Brunnen sind ein Tor zur Hölle. Nur durch Gottes gnädiges Eingreifen und durch seine Macht wird es möglich sein, sich aus der Grube und dem Brunnen zu befreien.
Vers 28 unterstreicht, dass der Sohn mit einer Gefahr zu tun hat, die nicht nur schlummernd vorhanden ist, sondern tatsächlich wirksam ist. Wie gesagt, die Frau bietet sich an. Es heißt von ihr: „Ja, sie lauert auf wie ein Räuber.“ Das Anfangswort „ja“ verstärkt seine Bemerkung. Ja, so ist es, und nicht anders. In Sprüche 7 hat der Vater das Verhalten der Hure und die Folgen ihrer Verderbtheit ausführlich beschrieben. (Es ist gut, dieses Kapitel noch einmal zu lesen.) Hier wiederholt er das kurz.
Jeder Mann, den sie überredet, mit ihr zu huren, „mehrt die Treulosen unter den Menschen“. Es bedeutet, dass ihre Opfer „Treulosigkeit“ gegen Gottes Institution der Ehe verüben. Es ist auch Treulosigkeit gegenüber seiner eigenen Ehebeziehung. Sie bringt Menschen ebenfalls zu allen möglichen anderen Formen der Untreue wie Lügen, Stehlen, jemanden ermorden und Selbstmord begehen.
29 - 35 Verhängnisvolle Folgen der Trunkenheit
29 Wer hat Ach, wer hat Weh, wer Zänkereien, wer Klage, wer Wunden ohne Ursache, wer Trübung der Augen? 30 Die spät beim Wein sitzen, die einkehren, um Mischtrank zu kosten. 31 Sieh den Wein nicht an, wenn er sich rot zeigt, wenn er im Becher blinkt, leicht hinuntergleitet. 32 Sein Ende ist, dass er beißt wie eine Schlange und sticht wie eine Viper. 33 Deine Augen werden Seltsames sehen, und dein Herz wird verkehrte Dinge reden. 34 Und du wirst sein wie einer, der im Herzen des Meeres liegt, und wie einer, der auf der Spitze eines Mastes liegt. 35 „Man hat mich geschlagen, es schmerzte mich nicht; man hat mich geprügelt, ich fühlte es nicht. Wann werde ich aufwachen? Ich will es wieder tun, will ihn nochmals aufsuchen.“
Unmittelbar nach der Warnung vor der Hurerei in den Versen 26–28 folgt in den Versen 29–35 eine Warnung vor Trunksucht. Dieses Thema hat der Weise bereits in den Versen 20 und 21 kurz angesprochen. Trunksucht ist eng mit Unzucht verbunden (Off 17,2) und führt auch leicht zu Hurerei (Vers 33). [Die niederländische Übersetzung schreibt in Vers 33: „Deine Augen werden nach fremden Frauen sehen.“] Lebendig und einprägsam skizziert der Weise das Bild eines Betrunkenen.
Er beginnt in Vers 29 mit sechs Fragen, auf die er in Vers 30 eine Antwort gibt. In Vers 31 gibt er einen Rat, während er in Vers 32 die Folgen aufzählt, wenn sein Rat nicht befolgt wird. In den Versen 33 und 34 spricht er seinen Sohn direkt an. Er beendet seine Beschreibung in Vers 35 mit Worten, die aus dem Mund des Betrunkenen selbst kommen.
Der Trunkenbold ist jemand, der „Ach“ und „Weh“ ruft, weil er sich elend fühlt (Vers 29). Ach und Weh können sich auch auf das beziehen, was er bei anderen durch seine Trunkenheit verursacht, zum Beispiel in seiner Familie. Das Getränk macht ihn zu jemandem, der Zänkereien sucht, zu einem Raufbold. Wenn er von seinem Rausch aufwacht, gibt es „Klage“, weil er sich elend fühlt. Die Wunden, die er hat, hat er sich während seiner Trunkenheit zugezogen, sei es durch eine Rauferei, sei es durch einen schwankenden Gang, immer wieder fiel er und stieß irgendwo an. Das sind „Wunden ohne Ursache“, denn die Wunden hätte er sich nicht zugezogen, wenn er nicht betrunken gewesen wäre. Wegen seiner Trunkenheit kann er nicht mehr deutlich sehen, weil seine Augen blutunterlaufen sind, so dass er verschwommen und doppelt sieht.
Die Antwort in Vers 30 auf die sechs Fragen von Vers 29 ist ebenso kurz wie vielsagend. Die Trunkenbolde werden hier als Menschen beschrieben, „die spät beim Wein sitzen“ und „einkehren, um Mischtrank zu kosten“. Sie trinken nicht ein Gläschen zum Abendessen, sondern der Wein erfüllt ihr Dasein. Sie trinken bis in die frühen Morgenstunden. Dazu gehört auch die Verkostung von Mischgetränken. Das erhöht den Trinkgenuss.
Trunkenbolde kennen weder Zeit noch Verantwortung. Sie sind Menschen ohne Rückgrat. Die Tatsache, dass sie am nächsten Tag pünktlich zur Arbeit zurück sein müssen, stört sie nicht. Sie denken nicht darüber nach, wie es zu Hause geht. Sie sind in einem Rauschzustand und nicht in der Lage, an Verantwortung zu denken.
Der Vater rät seinem Sohn, den Wein nicht anzusehen, „wenn er sich rot zeigt“ (Vers 31), das heißt, wenn vom Wein eine besondere Anziehungskraft ausgeht. Das kann geschehen, wenn du eine schlechte Zeit erlebst oder wenn du eine große Enttäuschung verarbeiten musst. Es kann dann eine besondere Versuchung sein, zu trinken. Daher ist die dringende Empfehlung, ihn nicht anzusehen. Wenn du das dennoch tust, wirst du sehen, wie anziehend er ist. Dein Widerstand dagegen wird wie Schnee in der Sonne dahinschmelzen. Du bringst den Becher Wein an deinen Mund und du erfährst, wie leicht er hinuntergleitet.
Du solltest dabei bedenken, dass der kurze Genuss mit dem Biss einer Schlange und dem Gift einer Viper endet (Vers 32). Du gehst schließlich daran kaputt. Niemand gibt sich dem Wein hin, wenn er darüber nachdenkt, was für ein Ende das nimmt. Seine Trinkgenossen sagen ihm das nicht. Sie bieten ihm das erste Glas Wein an. Wenn er das nicht nimmt, lachen sie ihn aus. Deshalb nimmt er das Glas und trinkt es leer. Er trinkt sich in der Tat leicht und schmeckt ausgezeichnet. Das endet damit, dass seine gesamte Menschenwürde zerstört wird.
In den Versen 33 und 34 spricht der Vater seinen Sohn direkt an. Er muss sich dessen bewusst sein, dass Trunkenheit Grenzen verwischt und ihn leicht zu Hurerei und zu liederlichem Gerede führt (Vers 33). Sein vernebeltes Gehirn verliert das Bewusstsein, dass er verheiratet ist. Seine Augen werden zu Augen voll Ehebruch, und weil er kein Normbewusstsein mehr hat, kommt er zu der ekelhaften Handlung des Ehebruchs. Die Sprache, die er gebraucht, hat denselben schmutzigen Inhalt. Ungehemmt kommen die ekelhaftesten Dinge aus seinem Herzen nach außen.
Der betrunkene Sohn wird völlig unempfindlich für das sein, was mit ihm geschieht (Vers 34). Ein Trunkenbold weiß nicht, was er tut, wo er ist oder wohin er geht. Er kann sich im Herzen des Meeres befinden, in einem schweren Sturm, ist sich jedoch überhaupt nicht bewusst, dass er ohne Weiteres ertrinken kann. Er ist wie jemand, der schläft und zu dem nichts durchdringt. Oder er kann sich auf der Spitze des Mastes befinden, der sich hin und her bewegt und einen tödlichen Sturz verursachen kann, ohne dass er sich der Gefahr bewusst ist. Auch hier ist er wie ein Schlafender, zu dem nichts durchdringt. Er schweift auf der Straße umher und wälzt sich in seinem eigenen Erbrochenen, ohne sich im Geringsten dessen bewusst zu sein: „Und auch diese wanken vom Wein und taumeln von starkem Getränk: Priester und Prophet wanken von starkem Getränk, sind übermannt vom Wein, taumeln vom starken Getränk; sie wanken beim Gesicht, schwanken beim Rechtsprechen. Denn alle Tische sind voll Unflat und Gespei, dass kein Platz mehr ist“ (Jes 28,7.8; vgl. Ps 107,26.27).
Der Trunkenbold weiß, dass er geschlagen wurde, er weiß aber nicht, von wem (Vers 35). Es hat ihn nicht krank gemacht und deshalb war er nicht an sein Bett gefesselt. Er wurde sogar mit harten Schlägen verprügelt, doch er hat nichts gespürt. Wie wunderbar ist es doch, betrunken zu sein! Alles kann mit dir geschehen, doch es stört dich überhaupt nicht. Dieses Leben will er fortsetzen. Er ist unverbesserlich, er will nur betrunken bleiben und ist daher im Blick auf das Elend gefühllos. Deshalb wird er wieder zu seinem großen Tröster, der Flasche, greifen, wenn er aufwacht: „Kommt her, ich will Wein holen, und lasst uns starkes Getränk saufen; und der morgige Tag soll wie dieser sein, herrlich über alle Maßen!“ (Jes 56,12; 5,11). Was für eine Tragödie!