Einleitung
Einen Vorteil aufzugeben, könnte für uns so aussehen, als würden wir eine Chance auf Freude wegwerfen. Kapitel 3 versichert uns jedoch, dass das nicht der Fall ist. Der Weg der Weisheit ist der Weg des Lebens, auch wenn der Weg der Weisheit scheinbar dem gesunden Menschenverstand widerspricht.
In den Versen 1–10 finden wir fünf Ratschläge des Vaters an seinen Sohn. Wenn er den Rat jeweils zu Herzen nimmt, ist damit jedes Mal eine Segensverheißung verbunden.
In Vers 1 der Rat, in Vers 2 die Verheißung des Segens.
In Vers 3 der Rat, in Vers 4 die Verheißung des Segens.
In den Versen 5 und 6a der Rat, in Vers 6b die Verheißung des Segens.
In Vers 7 der Rat, in Vers 8 die Verheißung des Segens.
In Vers 9 der Rat, in Vers 10 die Verheißung des Segens.
Wir müssen uns daran erinnern, dass sich diese Verheißungen zwar alle erfüllen werden, nur nicht notwendigerweise schon im Lauf des Erdenlebens. Es kann durchaus sein, dass sie erst in Zukunft wahr werden. Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott seine Segensverheißungen zu seiner Zeit und auf seine Weise erfüllen wird, wenn wir von Herzen das tun, was Er verlangt, sogar wenn es in diesem Leben für den Gottlosen sehr gut läuft und der Gerechte leidet.
1 - 2 Auf Belehrung hören
1 Mein Sohn, vergiss nicht meine Belehrung, und dein Herz bewahre meine Gebote. 2 Denn Länge der Tage und Jahre des Lebens und Frieden werden sie dir mehren.
Der Vater rät seinem Sohn zuerst einmal, seine „Belehrung“ nicht zu vergessen (Vers 1). Das Wort „Belehrung“ ist die Übersetzung des hebräischen Wortes Thora. Dieses Wort bezeichnet das Gesetz Gottes, hat aber außerdem noch mehrere Bedeutungen. Hier bezieht es sich auf das, was wir „Hausunterricht“ nennen könnten. In seiner Belehrung zu Hause hat der Vater sein Wissen an seinen Sohn weitergegeben. Das ist ein Hinweis für Väter, ihre Kinder zu Hause mit der Schrift zu belehren und das nicht nur denen zu überlassen, die Vorträge über die Bibel halten.
Der Vater erinnert seinen Sohn daran, nicht zu vergessen, was er zu Hause, durch die Erziehung, gelernt hat. Vergessen ist hier nicht so sehr eine Gedächtnisschwäche, sondern ein bewusstes Vernachlässigen und Missachten dessen, was ihm der Vater beigebracht hat. Auch wir werden gewarnt, das nicht zu verlieren, was wir in unseren frühen Jahren aus dem Wort Gottes gelernt haben. Die Belehrung wird man auf keinen Fall vergessen, wenn man die Gebote von Herzen hält. Den Geboten folgen kann man allerdings auch rein äußerlich, ohne dass das Herz beteiligt ist. Das ist aber nicht das, was der Vater will, und auch nicht das, was Gott will.
Im Herzen sollen die Gebote verwahrt werden, so wie man auch das Gesetz in die Bundeslade hineinlegte (5Mo 10,5). Im Friedensreich wird Gott sein Gesetz in das Herz seines Volkes schreiben: „Denn dies ist der Bund, den ich dem Haus Israel errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Indem ich meine Gesetze in ihren Sinn gebe, werde ich sie auch auf ihre Herzen schreiben“ (Heb 8,10). Das Herz weist auf die Gesinnung hin. Wenn man die Gebote von Herzen hält, werden auch die Taten, die ja aus dem Herzen kommen (Spr 4,23), mit den Geboten übereinstimmen. Dann werden diese Taten auch nicht sündhaft sein: „In meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt, damit ich nicht gegen dich sündige“ (Ps 119,11). Vor allem gehorcht man dann auch nicht aus Zwang, sondern mit Freude.
Der mit diesem Rat verbundene Segen ist ein langes und gutes Leben (Vers 2). „Länge der Tage“ (vgl. Ps 91,16) bezieht sich auf das Erreichen eines hohen Alters nach einer „langen Reihe von Tagen“. „Jahre des Lebens und Frieden“ ist eher ein Hinweis auf Inhalt („Leben“) und Qualität („Frieden“). Es handelt sich um ein volles, reiches Leben, das es wert ist, gelebt zu werden. Das Wort „Frieden“ ist die Übersetzung des Wortes Schalom und beinhaltet mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Darin steckt auch Sieg, Arbeitserfolg, völlige Harmonie, Wohlstand, Gesundheit, Glück, Erlösung und ein langes Leben.
Im Friedensreich werden die Belehrung und die Gebote nicht vergessen, sondern im Herzen bewahrt bleiben (Heb 8,10). Aus diesem Grund werden die Jahre, in denen man das Leben und den Frieden genießt, in diesen Tagen vermehrt und nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt weggenommen. Letzteres ist in der Geschichte Israels immer wieder geschehen, weil das Volk nicht nach der Belehrung und den Geboten des Wortes Gottes gelebt hat.
Dies bedeutet nicht, dass jeder, der in dieser Zeit von Herzen die Gebote hält, „deshalb“ lange leben wird. Denken wir nur an Gläubige, die wegen ihrer Treue zum Wort Gottes verfolgt, gefoltert und getötet wurden, und zwar oft schon in der Blüte ihres Lebens (Heb 11,36–38). Auch treue Propheten, die Gottes Wort in ihren Herzen trugen und predigten, wurden getötet (Mt 23,34.37). Und was ist mit dem Herrn Jesus geschehen, der in jeder Hinsicht auf seinen Vater gehört und den Rat von Vers 1 völlig befolgt hat? Er wurde in der Hälfte seiner Tage getötet (Ps 102,25). Was ist also mit der Verheißung eines langen Lebens und des Frieden?
Die Verheißung eines langen Lebens und des Friedens wird erst in Zukunft völlig erfüllt. Leben und Frieden werden in ihrer Fülle und Länge erst im tausendjährigen Friedensreich genossen. Gott erfüllt alle seine Verheißungen – nur nicht immer hier und jetzt. Dass wir im Glauben an die Erfüllung der Verheißungen leben, zeigen wir gerade dadurch, dass wir nicht aufhören, daran zu glauben, sogar wenn sich die Verheißungen scheinbar ganz und gar nicht erfüllen. Dieser Glaube, dieses Vertrauen des Glaubens, hat alle Gläubigen des Alten Testaments gekennzeichnet. Dieses Vertrauen auf Gott zeigte der Herr Jesus auf vollkommene Weise. Dieses Vertrauen kann auch uns kennzeichnen.
3 - 4 Güte und Wahrheit bewahren
3 Güte und Wahrheit mögen dich nicht verlassen; binde sie um deinen Hals, schreibe sie auf die Tafel deines Herzens; 4 so wirst du Gunst finden und gute Einsicht in den Augen Gottes und der Menschen.
Die Belehrung und das Bewahren der Gebote in Vers 1 nicht zu vergessen, ist keine statische Angelegenheit. Belehrung und Gebote haben eine Auswirkung: Sie bilden den Charakter des Gläubigen. Darauf baut Vers 3 auf. Die Eigenschaften des neuen Lebens werden durch Belehrung und Gebote geformt. Zwei von ihnen sind „Güte und Wahrheit“.
Das sind zwei von Gottes vielen beeindruckenden Eigenschaften: „Denn mächtig über uns ist seine Güte; und die Wahrheit des HERRN währt ewig“ (Ps 117,2). Sie zeigen sich vollkommen im Leben des Herrn Jesus. Es war eine Freude für Gott, diese Eigenschaften in seinem Sohn zu sehen. Es ist auch eine Freude für sein Herz, wenn Er sie in uns sehen kann. Immer wieder hat Gott dem Gläubigen Güte und Wahrheit erwiesen und tut dies bis heute. Das muss bei dem Gläubigen einen tiefen Eindruck hinterlassen. Das darf er nie vergessen. Das muss in seinem Denken immer präsent bleiben. Güte und Wahrheit hat Gott jedoch nicht nur erwiesen; Er hat sie auch dem Gläubigen gegeben; sie gehören ja zu dem neuen Leben, das er empfangen hat.
Anders als beim Herrn Jesus ist es leider bei uns durchaus möglich, Gottes Güte und Wahrheit, die Er uns erwiesen hat, zu vergessen, so dass sie uns verlassen. Das führt dazu, dass diese Eigenschaften nicht in unserem Leben sichtbar werden. Sie haben uns in der Praxis unseres Lebens verlassen. Deshalb ermahnt der Vater seinen Sohn – und damit auch jeden Gläubigen –, sicherzustellen, dass „Güte und Wahrheit“ ihn „nicht verlassen“.
Der Vater sagt ihm auch, wie er dies tun soll. Er soll sie wie Schmuck um seinen Hals binden. Der Hals steht für den eigenen Willen. Wenn „Güte und Wahrheit“ wie ein Schmuckstück um den Hals gebunden werden, bedeutet das, dass nicht der eigene Wille befolgt wird, sondern dass diese Eigenschaften das Leben regieren. Diese beiden Kennzeichen sollte er auch auf die Tafel seines Herzens schreiben (vgl. Jer 31,33; 2Kor 3,3; 5Mo 6,8.9). Dadurch werden sie zur Motivation seines Handelns. Somit unterwirft er sich dem Willen Gottes.
„Güte“ heißt, einem anderen Gutes zu erweisen, ohne jegliche Form von Selbstsucht und Hass. „Wahrheit“ oder Wahrhaftigkeit (Treue) bedeutet: Man ist zuverlässig und vertrauenswürdig. Heuchelei ist hier ausgeschlossen. Wir können auch sagen, dass Güte und Treue vergleichbar sind mit Gnade und Wahrheit.
Dieses Paar, Gnade und Wahrheit, ist in vollkommener Harmonie in Christus vereint: „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17). Das sehen wir vor allem am Kreuz. Auf der Grundlage dieser beiden Eigenschaften konnte Gott uns annehmen. Das ewige Leben, das unser Teil ist, lässt diese Eigenschaften auch in unserem Leben sehen. Beide Aspekte müssen in Harmonie miteinander sein. Es darf keine Liebe auf Kosten der Wahrheit geben (vgl. 2. Johannes), und es darf keine Wahrheit ohne Liebe geben (vgl. 3. Johannes). Dies wird in den folgenden Versen weiter erklärt: Leben in der Liebe Gottes (Verse 5 und 6) und Leben in der Wahrheit, und damit Trennung vom Bösen (Verse 7 und 8).
Der erste Segen des Hörens auf die Weisheit betrifft das eigene Leben gottesfürchtiger Menschen; das haben wir in Vers 2 gesehen. Der zweite Segen hat mit ihren Beziehungen zu tun (Vers 4). Wenn der Sohn den Rat von Vers 3 befolgt, wird er „Gunst … und gute Einsicht in den Augen Gottes und der Menschen“ finden. Dies sehen wir im Leben des Herrn Jesus. Er lebte in Güte und Treue und fand, was hier geschrieben steht: „Und Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52). Das zeigt sich auch im Leben Samuels (1Sam 2,26; vgl. 2Kor 8,21).
„Gunst“ ist freie Güte, auf die man keinen Anspruch hat. Wenn wir bei den Menschen Gunst finden, ist das nicht unser Verdienst; wir können sie nicht als Recht beanspruchen, aber wir werden sie empfangen, wenn wir Güte und Treue zeigen. Obwohl Joseph ein Gefangener war, fand er Gunst oder Gnade in Potiphars Augen (1Mo 39,4). „Gute Einsicht“ bedeutet auch „gutes Ansehen“. Wer Güte und Treue zeigt, wird angenehm auffallen. Das wird wahrgenommen und beachtet; Gott und Menschen reagieren darauf mit Wertschätzung. Wenn wir auf den Rat dieses Vaters hören, werden wir das ebenfalls erleben.
5 - 6 Vertraue auf den HERRN
5 Vertraue auf den HERRN mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen Verstand. 6 Erkenne ihn auf allen deinen Wegen, und er wird gerade machen deine Pfade.
Der dritte Rat ist, von ganzem Herzen auf den HERRN zu vertrauen und nichts vom eigenen Verstand zu erwarten (Vers 5). Vertrauen mit ganzem Herzen heißt, dass das ganze innere Leben (der Wille, die Gefühle und der Verstand) auf Gott ausgerichtet ist. Es geht um ein aktives Vertrauen auf Ihn; jede Minute unseres Lebens, wo immer wir sind, ob zu Hause, in Gesellschaft, in der Schule, bei der Arbeit oder in der Gemeinde oder was auch immer wir tun.
Von keiner Kreatur oder dem, was sie vielleicht hat oder kann, auch nicht von uns selbst, sollten wir in dieser Hinsicht Hilfe erwarten (siehe dazu 2Chr 14,10). Hier geht es nicht um den Gegensatz zwischen Herz und Einsicht (oder Verstand), sondern um den Gegensatz zwischen eigener Einsicht (oder eigenem Verstand) und dem Herrn. Wir sollen auf den Herrn vertrauen und nicht auf uns selbst.
Außerdem rät der Vater seinem Sohn, Gott auf allen seinen Wegen zu erkennen (Vers 6). „Alle deine Wege“ bedeutet, sein ganzes Planen, Reden und Handeln. Es geht nicht nur um Krisensituationen, in denen große und wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn wir Ihn in alle täglichen Dinge einbeziehen, werden wir automatisch auch mit großen Dingen zu Ihm gehen. Ihn auf allen unseren Wegen zu erkennen, heißt, alles mit Ihm anzufangen, durchzuführen und zu beenden. Das erfordert in jedem Bereich unseres Lebens Gehorsam und Hingabe.
Das bedeutet auch, dass Er uns nicht seine Gedanken und Pläne diktiert und auferlegt. Er erlaubt uns, die Initiative zu ergreifen und einen Weg zu planen; und dann lädt Er uns dazu ein, unsere Absichten mit Ihm zu besprechen, so dass wir davor bewahrt werden, einen Weg zu planen, der zum Tod führt (vgl. Jak 4,15; Apg 18,21). Wir wissen nicht, wie unser Weg verläuft. Das ist auch nicht notwendig, wenn wir Ihn kennen, also in Gemeinschaft mit Ihm leben, der den Weg kennt.
Ihn zu erkennen, bedeutet für uns, Ihn in alles einzubeziehen, immer auf Ihn zu schauen, Ihn immer vor Augen zu haben, Ihn als den zu betrachten, der immer bei uns ist. Wir tun dies, indem wir sein Wort in all unseren Plänen mit zu Rate ziehen und uns von Ihm beraten lassen: „Deine Zeugnisse sind auch meine Wonne, meine Ratgeber“ (Ps 119,24). Dazu gehört, dass wir durch den Geist wandeln (Gal 5,16).
Es geht hier um eine völlige Hingabe: unser ganzes Herz und alle unsere Wege. Wenn wir Ihm von ganzem Herzen vertrauen und Ihn auf allen unseren Wegen erkennen, verspricht Er, dass Er unsere Wege gerade macht. Er wird uns zu dem Ziel führen, das wir uns von Ihm erbeten haben. Dieses Ziel ist letztendlich Er selbst. Die geraden Wege stehen im Gegensatz zu den verschlungenen Wegen, die der Mensch geht, der Ihn nicht erkennt. Kein Mensch kann seine eigenen Pfade gerade machen: „Ich weiß, HERR, dass nicht beim Menschen sein Weg steht, nicht bei dem Mann, der da wandelt, seinen Gang zu richten“ (Jer 10,23).
Das heißt nicht, dass die Pfade in unseren Augen leicht und gerade sind. Aus unserer Sicht kann es eine kurvenreiche und schwierige Strecke sein, aber wir dürfen wissen, dass alle ihre Kurven vom Herrn vorgesehen sind, als Teil des Prozesses seines Wirkens in uns. Sein Ziel ist es, dass wir einen Pfad gehen, der zu unserer Gleichförmigkeit mit Christus führt. Das macht für Ihn und somit auch für uns den geraden Pfad aus.
Hier handelt es sich, wie auch bei so vielen anderen Sprüchen in diesem Buch, um eine allgemeine Wahrheit und nicht um etwas, was immer ausnahmslos wahr ist. Nehmen wir als Beispiel den englischen Spruch: „An apple a day keeps the doctor away“ („Ein Apfel am Tag hält den Arzt fern“). Dieser besagt nicht, dass wir immer gesund bleiben, wenn wir jeden Tag einen Apfel essen, sondern dass es gesund ist, einen Apfel am Tag zu essen. Das ist kein Spruch, der garantiert, dass wir niemals krank werden, wenn wir Äpfel essen. Sprüche sind Stücke aus dem Leben, die zeigen, wie das Leben normalerweise funktioniert, ohne zu sagen, dass es immer und überall so funktioniert. Es kann durchaus wichtige Faktoren geben, die eine direkte Erfüllung verzögern. Solche Faktoren sind uns nicht immer bekannt, aber Gott kennt sie und gebraucht sie für seinen Plan mit unserem Leben.
Sprüche sind keine Verheißungen Gottes für das Hier und Jetzt, die wir beanspruchen können. Wenn wir das denken, ziehen wir die falschen Schlüsse. Sprüche geben Beobachtungen wieder, die sich im Lauf der Zeit als wahr erwiesen haben.
7 - 8 Fürchte den HERRN
7 Sei nicht weise in deinen Augen, fürchte den HERRN und weiche vom Bösen: 8 Es wird Heilung sein für deinen Nabel und Erquickung für deine Gebeine.
Der vierte Rat ist, nicht weise zu sein in seinen eigenen Augen (Vers 7; Jes 5,21; vgl. Röm 12,16). Er ist eine Warnung vor Selbstvertrauen. Er hängt mit den Gedanken zusammen, die in den vorherigen Versen zum Ausdruck kamen, nur der Blickwinkel ist hier ein anderer. Die vorherigen Verse zeigen Gott als Quelle der Weisheit und Führung. Jetzt werden wir vor einer Weisheit gewarnt, die Gott nicht miteinbezieht.
Unsere Herzen sind trügerisch. Wir sind in der Lage, uns selbst so schlau zu manipulieren, dass wir glauben, wir würden weise Entscheidungen treffen, weil wir ja so intelligent sind oder einen bestimmten Charakter haben. Es kann durchaus vorkommen, dass wir Gott vertrauen und darauf auch noch stolz sind. Der Herr Jesus verurteilte die Pharisäer und Rabbiner seiner Zeit nicht wegen ihres Betens zu Gott, sondern weil die Motive ihrer Gebete nicht rein waren.
Wahre Weisheit besteht nicht darin, unsere Talente zu verleugnen, sondern ihre Quelle zu erkennen. Wir sind dann weise in unseren Augen, wenn wir unsere eigenen Empfindungen oder Urteile über die des Herrn stellen. Hier geht es darum, unabhängig von Ihm zu handeln, es besser zu wissen als die Schrift. Wer weise ist, wird sich bewusst sein, dass er keine Weisheit in sich selbst hat, sondern dass seine Weisheit von Gott kommt.
Die höhere Quelle der Weisheit ist die Furcht des HERRN. Sie ist wahre Weisheit. Das Vorhandensein dieser Furcht zeigt sich in direkter, logischer Konsequenz darin, dass man dem Bösen den Rücken kehrt. Die Furcht des HERRN kann niemals mit bösen Handlungen im Einklang stehen; vielmehr bringt sie uns dazu, das Böse zu hassen (Ps 97,10).
„Heilung“ bedeutet, dass der Körper gesund wird (Vers 8). Auf den Rat von Vers 7 zu hören, hat diese gesegnete oder gesunde Auswirkung. Durch den „Nabel“ bekommt das Kind in der Gebärmutter Nahrung und wächst. Der Nabel ist auch das Zentrum des Körpers und symbolisiert den gesamten Körper. Der Körper kann durch die „Gebeine“ funktionieren. Wenn der Rat von Vers 7 befolgt wird, wirkt dies erfrischend auf die Gebeine. Dadurch gewinnen sie neue Kraft.
Das Wort für „Nabel“ steht nur noch in Hesekiel 16 (Hes 16,4). Es gibt kein besseres Beispiel für unsere Abhängigkeit von Gott als die des Fötus in der Gebärmutter, der seine Nahrung durch die Nabelschnur erhält, und zwar solange er sich in der Gebärmutter befindet. So wächst das Kind bis es geboren wird. Was in Vers 7 gesagt wird, ist also von wesentlicher Bedeutung für das geistliche Wachstum des Lebens eines Gläubigen aus Gott. Ohne Furcht des HERRN einerseits und Weichen vom Bösen andererseits ist gesundes geistliches Wachstum unmöglich.
9 - 10 Ehre den HERRN
9 Ehre den Herrn von deinem Vermögen und von den Erstlingen all deines Ertrags; 10 so werden deine Speicher sich füllen mit Überfluss, und deine Fässer werden von Most überfließen.
Der fünfte Rat für den Sohn lautet, den HERRN zu ehren mit dem, was er besitzt (Vers 9). Es geht nicht darum, dem HERRN etwas zu geben, sondern darum, Ihn zu ehren. Es kommt hier nicht auf einen Teil des Vermögens an, sondern darauf, dass er Ihn mit seinem ganzen Vermögen ehrt. Es geht also um alles, was er besitzt: sein gesamtes Kapital, alle Einkünfte durch Arbeit oder Erbschaft. „Ertrag“ ist das, was ihm die Landwirtschaft an Gütern und Geld eingebracht hat.
Das Geben der „Erstlinge“ einer Ernte bedeutet anzuerkennen, dass die ganze Ernte vom HERRN kommt (2Mo 23,19; 4Mo 28,26.27; 5Mo 18,4; 26,1.2). Dem Sohn wird gesagt, er soll bei der Berechnung der Erstlinge von „all“ seinem Ertrag ausgehen. Er darf nichts vergessen oder bei der Berechnung nicht beachten. Gott verlangt, dass wir alles in unsere Bilanzen mit einberechnen, denn Ihm gehört alles.
Der „Erstling“ weist in besonderer Weise auf Christus hin: der „Erstling der Entschlafenen“ (1Kor 15,20). Er hat sich völlig für die Seinen hingegeben. Wenn wir die Erstlinge bringen, wird Gott an Ihn erinnert. Eine Wahrheit verstehen wir nur dann, wenn wir gelernt haben, sie in Verbindung mit Christus zu sehen. Das macht uns auch von Herzen bereit, die Erwartungen Gottes zu erfüllen.
Geben an sich bedeutet nichts. Geben hat nur dann Wert, wenn es dabei um die Verherrlichung Gottes geht. Wenn wir geben, um uns gut zu fühlen, verherrlichen wir dadurch nur uns selbst. Auf diese Weise gaben die Pharisäer. Ziel unseres Gebens kann auch sein, dass wir selbst dadurch besser werden. Dann „investieren“ wir in Gott als „Anlageobjekt“. Es geht aber nicht um uns, sondern um Ihn. Von Ihm haben wir unser Vermögen empfangen, um Ihn damit zu ehren. Auch für unseren irdischen Besitz gilt: Er ist „von Ihm und durch Ihn und für Ihn“ (Röm 11,36).
Wir ehren Gott, indem wir sein Werk mit Freuden tun. Das tun wir, wenn wir von Herzen zu Ihm sagen: „Du bist die Quelle von allem, was ich habe. Ohne Dich hätte ich nichts verdienen können; und dann hätte ich auch nichts, um Dich zu ehren. Indem ich Dir die ersten Früchte, das Beste, gebe, erkenne ich an, dass alles Dir gehört“ (vgl. 1Chr 29,14). Das zeigen wir, indem wir zuerst von allem, was wir empfangen, Ihm einen Anteil geben, bevor wir etwas davon für uns selbst gebrauchen.
Gott mit den Erstlingen zu ehren, macht den Sohn nicht ärmer, sondern sogar faktisch reicher. Er wird gesegnet werden mit einem Überfluss, der die Speicher füllt und die Fässer überfließen lässt (Vers 10): „Bringt den ganzen Zehnten in das Vorratshaus, damit Speise in meinem Haus sei; und prüft mich doch dadurch, spricht der HERR der Heerscharen, ob ich euch nicht die Fenster des Himmels öffnen und euch Segen bis zum Übermaß ausgießen werde“ (Mal 3,10). Dies verspricht Gott für den Fall, dass wir sein Anrecht auf alle Dinge des Lebens anerkennen. Hier bewahrheitet sich, was schon in der Einleitung zu diesem Kapitel gesagt wurde: Hier geht es um Verheißungen, die ganz bestimmt erfüllt werden – nicht immer im Leben auf der Erde, aber auf jeden Fall in der Zukunft.
Die Behauptung, wir bekämen im Fall einer Geldspende ganz sicher mehr Geld wieder, als wir gegeben haben, ist eine falsche Anwendung dieses Verses. Auf diese Weise missbrauchen ihn manche Fernsehprediger. Sie rufen ihre Zuhörer auf, Geld zu geben, und versprechen ihnen, dass sie viel mehr zurückbekommen, als sie gegeben haben. Sie sagen: „Schick mir 100 Euro für meinen Dienst, und ich garantiere dir, dass Gott deine Gabe mit einer Gabe von 1000 Euro segnen wird!“ Ein solcher Aufruf ist nichts anderes als Manipulation.
Der Sinn dieses Verses besteht auch nicht darin, dass er zu einer Selbstprüfung führt, ob Sünden im eigenen Leben vorhanden sind, die den Segen verhindern, wenn sie Geld für das Werk Gottes geben und mit Überfluss an Geld gesegnet werden. Es ist auch unnötig, es erneut zu versuchen, um zu sehen, ob es dieses Mal funktioniert.
Wenn wir aus dem richtigen Herzenszustand heraus geben, gibt Gott mehr zurück, als wir Ihm gegeben haben. Dies schließt einen Segen mit ein, der größer ist als der von Geld oder irdischen Gütern, was wir in den Versen 13–18 dieses Kapitels sehen. Wenn wir alles aufgeben, um dem Herrn zu folgen, heißt das nicht, dass wir reich an irdischen Gütern werden. Was wir dafür zurückbekommen, ist eine reichliche Gemeinschaft mit Ihm und eine damit verbundene Freude. Das geht über alle irdischen Besitztümer hinaus. Irdischen Besitz können wir verlieren. Was wir in Ihm haben, können wir niemals verlieren; es vermehrt sich nur, das heißt, man genießt es immer mehr.
Was wir durch Geben gewinnen, ist immer viel mehr als das, was wir geben: „Petrus fing an, zu ihm zu sagen: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlassen hat um meinet- und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfängt, jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker unter Verfolgungen, und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben“ (Mk 10,28–30).
11 - 12 Zucht des HERRN
11 Mein Sohn, verwirf nicht die Unterweisung des HERRN, und lass seine Zucht dich nicht verdrießen. 12 Denn wen der HERR liebt, den züchtigt er, und zwar wie ein Vater den Sohn, an dem er Wohlgefallen hat.
Die Verse 11 und 12 bilden das Gegengewicht zu den Versen 9 und 10. Im Allgemeinen ist es so, dass Gott segnet, wenn wir Ihm das geben, was Er von uns verlangt. Das bedeutet jedoch nicht, dass Er uns nicht unterweist und züchtigt. Das steht nicht im Gegensatz zueinander, sondern ergänzt einander. Es zeigt die Ausgewogenheit des Wortes Gottes.
Dies sehen wir bei Hiob, von dem wir dreimal lesen, dass er vollkommen rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend war (Hiob 1,1.8; 2,3). Trotzdem nimmt ihm Gott alles weg (Hiob 1.2). Wie unbegreiflich so etwas für uns auch sein mag: Gerade darin, dass Gott so mit Hiob umgeht, zeigt sich seine Liebe zu ihm. Wir müssen das ganze Buch lesen, um etwas davon zu verstehen. Dieses vierzeilige Gedicht der Verse 11 und 12 kann als Motto für das Buch Hiob dienen. Vers 11 beschreibt das Problem, das im Buch Hiob behandelt wird, und Vers 12 beschreibt die Lösung.
Der Vater spricht hier wieder zu seinem „Sohn“, was darauf hindeutet, dass er aus der engen Beziehung heraus spricht, die er zu ihm hat. Er erinnert ihn daran, die Unterweisung „des HERRN“ nicht zu verwerfen. Es ist wichtig, sich zu erinnern, dass die Unterweisung von Ihm kommt. Das gilt auch für die Zucht: Es ist seine Zucht. Das Motiv für die Unterweisung und die Zucht, die Gott gibt, ist seine Liebe. Er „liebt“. Wenn Gott züchtigt, tut Er das, weil Er uns liebt. Er sieht, was in unserer Abhängigkeit von Ihm noch fehlt oder wo die Abhängigkeit von Ihm gefährdet ist. Damit uns das bewusst wird, züchtigt Er uns.
Die Frage ist, wie wir auf Gottes Zucht reagieren. In Vers 11 warnt der Vater seinen Sohn, die Unterweisung des HERRN nicht zu verwerfen und nicht mit Verdruss auf seine Zucht zu reagieren. Der Grund dafür steht in Vers 12. Dort lesen wir, dass seine Unterweisung und Zucht Beweise seiner Liebe sind (vgl. 2Sam 7,14). Solche Liebesbezeugungen erfolgen in der Vater-Sohn-Beziehung (vgl. 5Mo 8,5).
„Die Unterweisung verwerfen“ bedeutet, sie zu verachten und vorzugeben, dass sie uns nichts bedeutet. Dann beugen wir uns nicht unter die Zucht und dann wird das beabsichtigte Ziel nicht erreicht. Dass die Zucht uns verdrießt, bedeutet, dass wir sie abweisen, weil sie eine unerträgliche Last ist, und dass wir deshalb unwillig sind, Zucht anzunehmen. Dann brechen wir unter der Zucht zusammen; und auch so wird das beabsichtigte Ziel nicht erreicht. Das sind zwei gegensätzliche Reaktionen. Beide zeigen, dass man die Absicht der Zucht nicht versteht und folglich die Zucht nicht annimmt.
Die Verse 11 und 12 werden im Brief an die Hebräer zitiert (Heb 12,5–11). Das beweist, dass sich die Sprüche umfassender anwenden lassen als nur auf den Sohn Salomos. In diesem Brief werden diese Verse den gläubigen Hebräern vorgestellt, deren Glaube sehr auf die Probe gestellt wurde. Der Verfasser dieses Briefes weist auf diese Verse hin, um sie daran zu erinnern, dass Bedrängnisse keine zufälligen, unangenehmen Umstände sind, sondern zeigen, wie sehr sich Gott um die Gläubigen bemüht. Sie hatten das vergessen und mussten daran erinnert werden. Das ist auch bei uns oft so. Auch für uns ist es wichtig, uns daran zu erinnern, wenn wir eine schwierige Zeit durchmachen, dass Gott sich mit uns beschäftigt.
Unterweisung und Zucht kommen von einem Gott, der mit uns handelt, „wie ein Vater mit einem Sohn, an dem er Wohlgefallen hat“. Das zeigt, wie Gott über uns denkt. Er ist uns „wohlgesonnen“. Er hat nichts Schlechtes für uns im Sinn, sondern nur Gutes. Satan hat nur Böses im Sinn und sucht unsere Zerstörung (1Pet 5,8). Gottlose Menschen hassen uns und schließen uns aus (Lk 6,22). Aber Gott bringt Leid über uns, weil Er uns liebt: „Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt“ (Heb 12,6; Off 3,19; vgl. Spr 13,24). Weil Gott in Liebe züchtigt, werden Zucht oder Bestrafung uns niemals schaden, auch wenn sie uns weh tun.
Zucht ist der Beweis, dass wir Söhne sind. Gott verfolgt mit seiner Zucht das Ziel, „damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Heb 12,10). Zucht geschieht in Liebe, durch einen Vater, der uns wohlgesonnen ist. In dem „Sohn, an dem er Wohlgefallen hat“ sehen wir vor allem die Liebe des Vaters zu seinem Sohn Jesus Christus. Es besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen Christus als Sohn und uns als Söhnen. Wir brauchen Korrektur; Er brauchte sie nie. Er hatte immer das Wohlgefallen des Vaters. Er tat immer, was Ihm wohlgefällig war. Deshalb fand der Vater seine volle Freude an dem Leben, das der Sohn führte. Der Sohn erfüllte seinen Willen vollkommen. Deshalb gab es beim Herrn Jesus nichts, was Unterweisung oder Zucht nötig machte (Mt 3,17; 1Pet 2,22; 2Kor 5,21; 1Joh 3,5).
13 - 18 Der Wert der Weisheit
13 Glückselig der Mensch, der Weisheit gefunden hat, und der Mensch, der Verständnis erlangt! 14 Denn ihr Erwerb ist besser als der Erwerb von Silber und ihr Gewinn besser als feines Gold; 15 kostbarer ist sie als Korallen, und alles, was du begehren magst, kommt ihr an Wert nicht gleich. 16 Länge des Lebens ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichtum und Ehre. 17 Ihre Wege sind liebliche Wege, und alle ihre Pfade sind Frieden. 18 Ein Baum des Lebens ist sie denen, die sie ergreifen, und wer sie festhält, ist glückselig.
Um angemessen auf die Zucht der Verse 11 und 12 zu reagieren, ist Weisheit nötig. Zucht oder Prüfung und Weisheit verbindet auch Jakobus miteinander (vgl. Jak 1,2–5). Erkenntnis der Weisheit führt zum Glück – trotz Prüfungen. Die Weisheit der Welt bringt dieses Glück nicht (Pred 1,8). In den Versen 13–18 geht es um die Weisheit als Weg zum Glück. Dieser Abschnitt beginnt in Vers 13 mit „glückselig“ und endet in Vers 18 mit dem gleichen Wort. Zwischen beiden Versen finden wir eine Reihe von Ursachen, die dieses Glück zum Ziel haben und alle mit Weisheit zu tun haben.
„Weisheit“ muss „gefunden“ werden (Vers 13) – nicht zufällig, sondern indem man sie sucht, wie einen irgendwo vergrabenen Schatz. Suchen bedeutet in diesem Fall, auf Unterweisung zu hören, denn dann wird man weise (Spr 8,33). Es bedeutet, dass man auf das Wort Gottes hören muss, um weise zu werden.
„Verständnis“ muss „erlangt“ werden. Das erfordert Anstrengung. Es geht darum zu verstehen, wie Gott das Leben lenkt, besonders dann, wenn es Prüfungen im Leben gibt. Dieses Verständnis erhält man dadurch, dass man Christus in der Schrift sieht. In Ihm sind „alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ verborgen (Kol 2,3).
Wenn jemand die Weisheit (= Christus) findet, ist der Erwerb größer als das, was man jemals mit Handel an Silber verdienen kann (Vers 14). Hier geht es nicht um einen Ungläubigen, der Christus findet, sondern um einen Gläubigen, der Ihn als den entdeckt, der sein Leben mit Weisheit führt. Darum ist Weisheit das Allerwichtigste und „ihr Gewinn besser als feines Gold“ (Spr 8,11; 20,15; 31,10).
Wenn der Wert der Weisheit mit dem Wert von Silber oder Gold verglichen wird, stellt sich heraus, dass Weisheit von unschätzbarem Wert ist. Sie bringt viel mehr ein als der Besitz der edelsten Metalle. Das spürst du, wenn du ernsthaft krank bist. Selbst mit allem Silber oder Gold kannst du deine Gesundheit nicht bezahlen. Doch was für eine Ruhe kann es für dein Herz sein, wenn man erkennt, dass Gottes Weisheit hinter dieser Krankheit steckt.
Weisheit ist „kostbarer … als Korallen“ (Vers 15). Die Kostbarkeit der teuersten Edelsteine verschwindet im Vergleich mit der Weisheit. Man kann sich alles Mögliche wünschen, aber unabhängig von der Weisheit bringt eine Erfüllung dieser Wünsche nur ein vorübergehendes und begrenztes Glücksgefühl. Als Salomo zu Beginn seiner Herrschaft seine Wünsche vor Gott äußern durfte, wünschte er sich mit seiner Bitte um Weisheit das Beste. Als Antwort auf diesen Wunsch gab Gott ihm ein weises Herz (1Kön 3,5–13).
Weisheit, also Christus, ist die Quelle eines langen, wohltätigen Lebens (Vers 16). Die Weisheit streckt sozusagen beide Hände aus, um anzubieten, was sie hat. Man kann es aus beiden Händen nehmen. Sie hat „Länge der Tage“ in ihrer Rechten. Wer die Weisheit über die Reichtümer der Welt stellt, wählt damit das ewige Leben. In ihrer Linken hat sie „Reichtum und Ehre“. Wem Weisheit mehr wert ist als der wertvollste, aber auch vergängliche Besitz auf der Erde, entscheidet sich für unvergänglichen, geistlichen Reichtum und Ehre. Das ist es, was Christus jedem anbietet und gibt, der Ihm gehört.
Nicht nur das, was sie in ihren Händen hat, ist von größtem Wert und völlig anders als das, was die Welt bietet. Auch ihre Wege und Pfade unterscheiden sich sehr von den Wegen und Pfaden der Welt (Vers 17). Ihre Wege zeichnen sich durch „Lieblichkeit“ aus. Und „alle ihre Pfade“ – ohne jede Ausnahme – „sind Frieden“. Erkennen wir darin nicht die Wege und Pfade des Herrn Jesus auf der Erde? Wenn wir Weisheit finden, können wir Ihm auf diesen Wegen und Pfaden nachfolgen. Was für ein Zeugnis wird das sein!
Weisheit ist auch „ein Baum des Lebens … denen, die sie ergreifen“ (Vers 18; 1Mo 2,9; 3,24; Spr 11,30; 13,12; 15,4; Off 2,7; 22,2.14). In dem Wort „ergreifen“ liegt Kraft. Wer diesen Baum kraftvoll ergreift, zeigt die Kraft des Glaubens: „… die wir Zuflucht genommen haben zum Ergreifen der vor uns liegenden Hoffnung“ (Heb 6,18). Den Baum zu ergreifen, bedeutet, daran zu glauben, dass dieser Baum Leben gibt. Mit dem Ergreifen soll es aber nicht getan sein, sondern wer sie ergriffen hat, soll sie auch „festhalten“ (vgl. Hld 3,4). Wer einmal das Leben hat, soll es auch nähren. Die Weisheit bietet alles, was für das tagtägliche Leben nötig ist.
Beide Aspekte finden wir auch in den Worten des Herrn Jesus in Johannes 6 über das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes. Wer Leben empfangen will, muss sein Fleisch essen und sein Blut trinken, das bedeutet: an seinen Tod glauben, der nötig war, damit jemand ewiges Leben bekommt (Joh 6,53.54). Danach ist es beständig nötig, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, weil Er das Leben ist. Das bedeutet, dass wir uns jeden Tag mit Ihm beschäftigen, indem wir sein Wort lesen, also uns geistlich von Ihm ernähren. Dann bleiben wir in dem, was wir gelernt haben (2Tim 3,14).
Der Weg zum Baum des Lebens ist der Weg zurück zu dem Punkt, an dem die Geschichte der Menschheit schiefging. Der Weg zum Baum des Lebens wurde durch die Sünde versperrt. Adam und Eva wählten beim Essen den falschen Baum. Wir können wieder vom guten Baum essen, indem wir Weisheit wählen. Dieser Baum ist „der Baum des Lebens“, das bedeutet, dass er ständige Vitalität und ein volles, ewiges Leben gibt (vgl. 1Mo 3,22–24). Das ist das Teil für jeden, der die Weisheit ergreift und festhält.
Weisheit besteht darin, Gott in Christus zu erkennen. Christus ist der Baum des Lebens. Wer Ihn ergreift, bekommt ewiges Leben. Das ist mehr als wir in Adam verloren haben. Das Kreuz Christi ist für uns zum Baum des Lebens geworden. Das Kreuz Christi ist die Torheit Gottes, die weiser ist als die Menschen (1Kor 1,25). Wer das glaubt, ist „glückselig“ zu preisen, denn er hat das ewige Leben.
19 - 20 Weisheit bei und in der Schöpfung
19 Der HERR hat durch Weisheit die Erde gegründet und durch Einsicht die Himmel festgestellt. 20 Durch seine Erkenntnis sind die Tiefen hervorgebrochen, und die Wolken träufelten Tau herab.
Die Weisheit, die das Leben lenkt (Vers 18), ist dieselbe Weisheit, die das Universum schuf (Vers 19): „Wie viele sind deiner Werke, HERR! Du hast sie alle mit Weisheit gemacht; die Erde ist voll deiner Reichtümer“ (Ps 104,24; vgl. Jer 10,12). Wir sehen hier, dass der HERR selbst – das ist der Herr Jesus, denn Er ist der Schöpfer (Joh 1,1–3; Kol 1,16; Heb 1,2) – Weisheit gebrauchte, als Er die Schöpfung ins Dasein rief. Aus 1. Mose 1 wissen wir, dass Gott die Himmel und die Erde in sechs Tagen erschuf, indem Er an jedem dieser sechs Tage etwas durch sein Wort erschuf (2Mo 20,11). Um das Werk der Weisheit zu erkennen, braucht man Weisheit.
Die Schöpfung ist kein Prozess, sondern ein Schöpfungsakt. Dies sehen wir hier in der Aussage, dass Gott als der große Architekt die Erde „durch Weisheit … gegründet“ hat und „durch Einsicht die Himmel festgestellt“ hat. Diese Beschreibung lässt auf ein Bauwerk schließen. Er hat die Erde im Universum gegründet und die Himmel als Schirm über ihr befestigt, schön dekoriert mit Sonne, Mond und Sternen.
„Durch seine Erkenntnis“, das ist die Ihm eigene Erkenntnis, hat Er für die Tiefen der Erde einen Weg geschaffen (Vers 20). Dadurch können Menschen, Tiere und Pflanzen leben und erfrischt werden. Zu diesem Zweck dienen auch die Wasser in der Luft, die Er als Tau auf die Erde gibt, wo immer es nötig ist. Nur Gott hat die Erkenntnis, ein solches Bewässerungssystem anzulegen und zu verwalten.
21 - 26 Weisheit gibt Ruhe
21 Mein Sohn, lass sie nicht von deinen Augen weichen, bewahre klugen Rat und Besonnenheit; 22 so werden sie Leben sein für deine Seele und Anmut für deinen Hals. 23 Dann wirst du in Sicherheit deinen Weg gehen, und dein Fuß wird nicht anstoßen. 24 Wenn du dich niederlegst, wirst du nicht erschrecken; und liegst du, so wird dein Schlaf süß sein. 25 Fürchte dich nicht vor plötzlichem Schrecken noch vor der Verwüstung der Gottlosen, wenn sie kommt; 26 denn der HERR wird deine Zuversicht sein und wird deinen Fuß vor dem Fang bewahren.
Die Ermahnung dieses Abschnitts (Verse 21–26) lautet, auf dem Pfad der Weisheit zu bleiben. Dazu gehören die Verheißungen, die unser Teil sind, wenn wir auf die Ermahnung hören. Doch dann dürfen wir die Weisheit auch nicht für einen Moment aus den Augen verlieren (Vers 21).
Es gibt eine Verbindung zwischen Vers 21 und den Versen 19 und 20. Nach dem Hinweis auf Gottes Weisheit in der Schöpfung, wird dem Sohn gesagt, dass er diese Weisheit nicht von seinen Augen weichen lassen soll. Die Weisheit, die Gott in der Schöpfung offenbart hat, ist genau die Weisheit, die wir brauchen, um ein Leben zur Ehre Gottes zu führen. Diese Weisheit bewundern wir nicht nur, sondern wir haben sie auch empfangen (1Kor 2,6.7). Der Herr Jesus ist in jeder Hinsicht die Weisheit Gottes. Er ist unser Leben und in Ihm haben wir diese Weisheit empfangen.
Er darf nicht von unseren Augen weichen. Wir müssen Ihn ständig im Blick haben. Dann werden wir auf Weisheit und Besonnenheit achten, und zwar immer und in allem, was auf uns zukommt. Wenn ein Mitschüler, ein Kollege oder einer der Geschwister uns bittet, bei irgendetwas mitzumachen oder irgendwohin zu gehen, werden wir uns von Weisheit und Besonnenheit leiten lassen. Wir werden auf den Herrn Jesus schauen, wie Er auf diese Frage antworten würde.
Wenn unser Auge ständig auf Ihn gerichtet ist und wir sehen, wie Er Weisheit und Besonnenheit beachtet hat, wird dies „Leben“ für unsere „Seele“ bedeuten (Vers 22). Wahres Leben ist das Leben Christi, das unser Teil ist. Das zeigt sich auch in unserer Praxis. So war es auch bei Paulus. Er konnte sagen, dass das Leben für ihn Christus war; er lebte nur für Ihn (Phil 1,21).
Ein solches Leben ist „Anmut für deinen Hals“, sagt der Vater zu seinem Sohn und zu uns (vgl. Spr 1,9; 3,3). Weisheit und Besonnenheit sind echte „Anmut“. Manchmal sagen wir zu jemandem, dass eine bestimmte Eigenschaft ihn oder sie anmutig macht. Anmut ist zum Beispiel, wenn jemand einem anderen hilft oder treu im Studium oder bei der Arbeit ist. Diese Charakterzüge beruhen auf Weisheit und Besonnenheit.
In den folgenden Versen (Verse 23–26) wird das Leben als eine Reise beschrieben, als ein Weg, den man zu gehen hat. Wir alle gehen einen Weg, den wir vorher nie gegangen sind, von dem wir nicht wissen, wie er verläuft. Dabei leitet uns nicht unser Wissen um die Zukunft, das wir ohnehin nicht haben, sondern leitet Er uns, dem die Zukunft gehört. Er ist in der Lage, uns vor dem Straucheln zu bewahren und der uns „vor seiner Herrlichkeit untadelig darzustellen vermag mit Frohlocken“ (Jud 1,24). Das ist die Lebensversicherung, die wir brauchen und deren Bedingungen in den Versen 21 und 22 stehen.
Wenn wir Weisheit und Besonnenheit nicht aus den Augen verlieren, sondern immer beachten, werden wir unseren Weg „in Sicherheit gehen“, und unser Fuß „wird nicht anstoßen“, was uns zu Fall bringen würde (Vers 23). Dann wandeln wir mit Gott. Weil Er uns den Weg zeigt, wird Er uns auch auf unserem Weg beschützen. Wenn wir so voller Vertrauen auf Ihn unseren Weg gehen, wird sein Friede in uns sein (Phil 4,7) und seine schützende Kraft uns umgeben (1Pet 1,5).
Das hat der Herr Jesus uns vorgelebt. Er wandelte mit Gott und ging seinen Weg sicher; dafür wurde sein Fuß vor dem Anstoßen bewahrt. Er wurde von Satan versucht, Gott herauszufordern, die Wahrheit dieses Wortes zu erproben, dass sein Fuß nirgends anstoßen würde (Mt 4,5–7). Weil Er von Weisheit und Besonnenheit geleitet wurde, wusste Er, wie Er dem Satan widerstehen musste. Also stieß Er mit seinem Fuß nirgendwo an und fiel nicht.
Weisheit und Besonnenheit bewahren nicht nur tagsüber, sondern auch nachts (Vers 24). Sie wachen nicht nur über uns, wenn wir unterwegs sind, sondern auch, wenn wir schlafen (Ps 121,4). Wer mit seinem Gott wandelt, kann in Ruhe schlafen, wie sehr es in seinem Leben auch stürmen mag. Darum hat der Herr Jesus im Sturm geschlafen (Mt 8,24). Wir sehen, dass auch Petrus in der Nachfolge des Herrn keine Angst hatte, als er im Gefängnis war und um sein Leben fürchten musste. Er hatte sich niedergelegt, an zwei Soldaten gefesselt, und ruhig geschlafen (Apg 12,6; vgl. 3Mo 26,6; Ps 4,9; 23,2).
Die Tatsache, dass Weisheit und Besonnenheit Ruhe und Sicherheit geben, bedeutet nicht, dass nichts geschehen kann, was unser Leben völlig auf den Kopf stellt. Hiob hat das erlebt, und auch wir kennen Beispiele aus unserem eigenen Leben oder unserem Umfeld. Der Herr gibt uns keine Garantie, dass uns kein Übel treffen wird, wohl aber die Zusicherung, dass Er uns beisteht. Hier sagt der Vater zu seinem Sohn, dass er keine Angst vor dem haben soll, was möglicherweise geschehen könnte (Vers 25): „Er wird sich nicht fürchten vor schlechter Nachricht; fest ist sein Herz, es vertraut auf den HERRN“ (Ps 112,7).
Es gibt ein altes Sprichwort: „Oft leidet der Mensch am meisten unter dem Leid, vor dem er sich fürchtet, das aber nie eintritt.“ Eine solche Person hat mehr zu tragen, als Gott auferlegt. Furcht oder Angst vor dem, was vielleicht geschehen könnte, lähmt uns in unserem Glaubensleben. Die Menschen in der Welt haben Angst vor allem, was geschieht und noch geschehen kann – sowohl in ihrem eigenen Leben als auch in der Welt. Wir wissen aus Gottes Wort, dass tatsächlich viel in der Welt geschehen wird. Wenn wir das ernstnehmen, werden wir auch die Beruhigung des Herrn ernstnehmen, wenn Er sagt, dass wir uns von den angekündigten Ereignissen nicht beeinflussen lassen sollten: „Ihr werdet aber von Kriegen und Kriegsgerüchten hören. Gebt Acht, erschreckt nicht; denn dies muss geschehen, aber es ist noch nicht das Ende“ (Mt 24,6).
Der Gläubige lebt inmitten der „Gottlosen“, die immer darauf aus sind, das Leben derer zu zerstören, die treu nach dem Wort Gottes leben wollen. Die Angst vor ihnen ist zwar realer als vor etwas Unbestimmtem, denn auch alle „die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2Tim 3,12). Doch höre, was der Herr Jesus dazu sagt: „Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht zu töten vermögen; fürchtet aber vielmehr den, der sowohl Seele als Leib zu verderben vermag in der Hölle“ (Mt 10,28).
Der Vater erklärt seinem Sohn, wie er frei sein kann von Gedanken über das, was ihm geschehen könnte, wie „plötzlicher Schrecken“ oder „Verwüstung“. Er weist ihn auf den HERRN als seine „Zuversicht“ hin (Vers 26). Wenn er auf Ihn schaut, erhebt er sich über die Bedrohung durch mögliche schreckliche Ereignisse, von denen das Leben voll ist. Es gibt kein kraftvolleres Mittel, um von Angst frei zu werden und zu bleiben, als dieses, Christus als unsere Hoffnung vor Augen zu haben. Die christliche Hoffnung ist keine Unsicherheit, sondern eine absolute Gewissheit. Wenn der Herr Jesus unsere Hoffnung ist, bedeutet das, dass Er für uns eine unerschütterliche Hilfe und ein bewährter Helfer ist.
Wenn wir unsere Hoffnung und Erwartung auf Ihn setzen, wird Er unseren „Fuß vor dem Fang bewahren“. Dann werden wir nicht in eine der vielen Sündenfallen tappen, die Satan rings um uns her gestellt hat, um unseren Fuß zu fangen und uns zum Straucheln zu bringen. Die Sünde kann uns leicht umstricken, wenn unser Auge nicht ständig auf den Herrn Jesus gerichtet ist (Heb 12,1.2; vgl. 2Tim 2,26). Auch hier ist der Herr unser Vorbild. Als Er auf der Erde war, schaute Er ständig auf seinen Gott. So stellte Er seinen Fuß niemals dahin, wo eine Schlinge verborgen war (Ps 16,8).
27 - 30 Dem Nächsten nichts Böses tun
27 Enthalte kein Gutes dem vor, dem es zukommt, wenn es in der Macht deiner Hand steht, es zu tun. 28 Sage nicht zu deinem Nächsten: „Geh hin und komm wieder, und morgen will ich geben!“, da du es doch hast. 29 Schmiede nichts Böses gegen deinen Nächsten, während er vertrauensvoll bei dir wohnt. 30 Streite nicht mit einem Menschen ohne Ursache, wenn er dir nichts Böses angetan hat.
Die Weisheit ist wichtig für unsere Beziehung zu Gott. Das hat der Vater seinen Sohn – und uns – in den vorangegangenen Versen gelehrt. Aber das ist nicht das Einzige. Weisheit ist auch wichtig für unsere Beziehung zum Nächsten. In den Versen, die wir jetzt vor uns haben, spricht der Vater mit seinem Sohn genau darüber. Er warnt seinen Sohn, in seinen Beziehungen nicht egoistisch und selbstsüchtig zu sein. Beziehungen können auf diese Weise missbraucht werden.
Wir müssen lernen, dass nicht der Nächste für uns da ist, sondern wir für ihn. Das sehen wir in dem Gleichnis des Herrn Jesus über den barmherzigen Samariter (Lk 10,30–37). Die Lektion ist nicht, dass ich lernen muss, wer mein Nächster ist, welchen Gewinn ich von ihm haben kann, sondern wie ich der Nächste des anderen sein kann, was ich für den anderen bedeuten kann.
Die Verse 27–30 beginnen alle mit dem Rat, etwas nicht zu tun. Die Tatsache, dass der Vater seinem Sohn diesen Rat gibt, bedeutet, dass er seinen Sohn für fähig hält, das zu tun, wovon er ihm abrät. Darin steckt eine wichtige Lektion für Eltern. Es gibt Eltern, die nichts Böses über ihre Kinder hören können. Sie reagieren überrascht, um nicht zu sagen empört, wenn man gerade von ihrem Kind annimmt, es habe etwas getan, was man nicht durchgehen lassen kann. „Mein Kind macht so etwas nicht“, ist oft die abweisende Reaktion. Das beweist einen großen Mangel an Selbsterkenntnis und eine ungesunde Sicht auf ihr „Schätzchen“. Salomo spricht nicht so naiv oder hochmütig über seinen Sohn.
In den Versen 27 und 28 geht es um die Beziehung zum Nächsten und insbesondere darum, ihm zu geben, was ihm zusteht. Der Vater formuliert das hier jedoch als Verneinung. Er befiehlt seinem Sohn nicht, etwas zu tun, sondern sagt ihm, dass er etwas nicht tun darf. Sein Sohn soll nicht das Gute denen vorenthalten, die ein Anrecht darauf haben, solange er die Mittel dazu hat (Vers 27). Es geht also um die Rechte des Nächsten und nicht um reine Wohltätigkeit.
Dies können wir auch darauf anwenden, dass wir ehrlich unsere Steuern bezahlen, weil die Regierung ein Anrecht darauf hat (Röm 13,7). Auch bei der Bezahlung einer Schuld, die durch ein Darlehen oder einen Kauf entstanden ist, gibt man dem anderen, was ihm zusteht. In einem allgemeineren Sinn ruft der Vater seinen Sohn dazu auf, dem Nächsten mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Gutes zu tun. Wir sind nicht die Besitzer, sondern die Verwalter unserer Güter. „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17).
Gutes zu tun, oder mehr noch, das Gute denen nicht vorzuenthalten, die ein Anrecht darauf haben, können wir auch auf das Evangelium und die Wahrheit Gottes anwenden. Die Menschen um uns herum haben ein Recht darauf, dass wir ihnen das Evangelium sagen. Wie werden sie hören, wenn wir es ihnen nicht sagen? Wir sind es ihnen schuldig, weil sie Gefahr laufen, für immer verlorenzugehen. Gleiches gilt für das Lehren der Wahrheit. Die Mitgläubigen haben ein Recht darauf, dass wir ihnen mit Gottes Wort dienen (Spr 11,26). Wenn wir Nachfolger des Guten (also des Christus) geworden sind, haben wir die Pflicht, von Ihm zu erzählen.
Vielleicht will der Sohn ja jemandem das Gute gar nicht vorenthalten, sondern er verschiebt es auf „morgen“ (Vers 28). Der Vater erkennt diese Gefahr und warnt ihn, das nicht zu tun. „Morgen“ ist ein Ausdruck für das beständige Verschieben von Dingen; jeden nächsten Tag wird es auf „morgen“ verschoben. Zum Beispiel darf „der Lohn des Tagelöhners … nicht über Nacht bei dir bleiben bis zum Morgen“ (3Mo 19,13; 5Mo 24,15). Es geht nicht um Wohltätigkeit, sondern darum, eine Schuld zu begleichen. Es ist böse in den Augen Gottes, wenn man das versäumt (Jak 5,4).
Auf das Gebot, dem Nächsten das Gute nicht vorzuenthalten, folgt das Gebot, gegen den Nächsten nichts Böses zu schmieden (Vers 29). Böses schmieden bedeutet, Böses zu planen oder vorzubereiten. Es ist ein Verbrechen, ihn vorsätzlich zu verletzen. Noch schlimmer ist das, wenn der Nächste denkt, er habe nichts von dir zu befürchten und sich sicher bei dir fühlt. Es ist eine grobe Form von Vertrauensmissbrauch. Das war das Verbrechen des Judas gegen den Herrn Jesus (Ps 41,10; Joh 13,18). Wenn wir von jemandem so behandelt werden, dürfen wir wissen, dass der Herr Jesus auch in diesem Fall mit uns leiden kann (Heb 4,15).
Der Vater hält seinen Sohn nicht für zu gut, so etwas Böses zu tun. Auch wir sollten in dieser Hinsicht nicht zu gut von uns denken. Es ist möglich, dass wir jemanden, der täglich mit uns zusammenlebt und uns vertraut, für etwas missbrauchen, das uns einen Vorteil verschafft.
Es besteht nicht nur die Gefahr, heimlich Böses zu schmieden, sondern auch jemanden öffentlich und ohne Grund zu beschuldigen, ohne dass der andere uns etwas Böses getan hat (Vers 30). Auch vor dieser Form des Bösen warnt der Vater den Sohn. Hier wird ein streitsüchtiger Geist offenbar. Das kann auch bedeuten, einen Fall vor Gericht zu bringen, und das alles ohne jeden Grund. Dann ist er darauf aus, einen anderen zu verletzen. Böses kann geistlich, körperlich, finanziell oder sogar sexuell geschehen.
Auch hier ist der Herr Jesus wieder unser Vorbild. Er wurde ohne Ursache angeklagt, obwohl Er nie jemand verletzt hat. Er tat im Gegenteil immer nur Gutes. Er wehrte sich nicht dagegen, Er suchte nicht sein eigenes Recht, sondern übergab alles „dem …, der gerecht richtet“ (1Pet 2,21–23).
31 - 35 Beneide nicht den Gottlosen
31 Beneide nicht den Mann der Gewalttat, und erwähle keinen von seinen Wegen. 32 Denn der Verkehrte ist dem HERRN ein Gräuel, aber sein Geheimnis ist bei den Aufrichtigen. 33 Der Fluch des HERRN ist im Haus des Gottlosen, aber er segnet die Wohnung der Gerechten. 34 Die Spötter verspottet auch er, den Demütigen aber gibt er Gnade. 35 Die Weisen erben Ehre, aber die Toren erhöht die Schande.
Der Vater warnt seinen Sohn noch vor einem anderen Übel: einen „Mann der Gewalttat“ zu beneiden (Vers 31; vgl. Ps 73,3–5). Der Mann der Gewalttat ist gewalttätig und übt rechtswidrig Macht aus. In Kapitel 1 kommt der Mann der Gewalttat zum Sohn (Spr 1,10–14). Hier sieht der Sohn, was der Mann der Gewalttat sich alles leisten kann, beispielsweise teure Sachen oder ein scheinbar bequemes Leben. Der Mann der Gewalttat beeinflusst andere, sowohl seine Freunde als auch die Menschen, die ihn sehen, wie der Sohn. Dann ist es wichtig, nicht unter seinen Einfluss zu geraten. Der Vater warnt seinen Sohn, diesen Mann nicht zu „beneiden“ und „keinen von seinen Wegen“ zu erwählen.
Um dieses Verbot zu unterstreichen, stellt der Vater seinem Sohn vor, welche Folgen es hat, wenn er diesem Mann auf seinem Weg folgt, und wie es sich auswirkt, wenn er sich von ihm fernhält. Das geschieht in Form von Gegensätzen. Der Sohn darf den Mann der Gewalttat nicht beneiden, denn der „ist dem HERRN ein Gräuel“ (Vers 32). Er soll sich dessen völlig bewusst sein, wenn er vom Leben dieses Mannes angezogen wird und selbst auch so leben will.
Von einem Gräuel, etwas Abscheulichem, sollst du dich so weit wie möglich fernhalten. Stattdessen solltest du dem HERRN so nahe wie möglich sein. Das ist das Teil der Aufrichtigen, mit denen Er ein „Geheimnis“ teilt: „Das Geheimnis des HERRN ist für die, die ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun“ (Ps 25,14). Die vertrauliche Beziehung zeigt sich in den Mitteilungen, die Er macht. So vertraulich ging Er mit Abraham um und sagte ihm, was Er tun würde (1Mo 18,17–19). Auch mit seinen Dienern, den Propheten, pflegte Er einen vertraulichen Umgang (Amos 3,7).
In den Versen 33–35 sehen wir einerseits das Teil der Gerechten (Vers 33b), der Demütigen (Vers 34b) und der Weisen (Vers 35a), und andererseits das Teil der Gottlosen (Vers 33a), der Spötter (Vers 34a) und der Toren (Vers 35b). Der gottlose Mensch interessiert sich nicht für Gott; die Spötter verachten Gott; der Tor lehnt Gott ab. Auf letztere Gruppe von Menschen sollten wir nicht neidisch sein, denn sie sind unter dem Fluch (Vers 33a), dem Spott (Vers 34a) und der Schande (Vers 35b). Die Gerechten, mit denen Gott einen verborgenen Umgang hat, empfangen Segen (Vers 33b), Gnade (Vers 34b) und Ehre (Vers 35a).
Wer vom HERRN abweicht (Vers 32), erweist sich als „Gottloser“ (Vers 33). Auf dem Haus eines solchen Menschen liegt „der Fluch des HERRN“ (Mal 2,2). Hier sehen wir, dass dieses Abweichen nicht nur für uns selbst Konsequenzen hat, sondern auch für alle, die zu unserem Haus gehören. Für die Aufrichtigen gilt das Gegenteil. Ihre Wohnung segnet der HERR (2Sam 6,11). Unter der Haltung des jeweiligen Hauptbewohners leiden die Kinder der Gottlosen, während die Kinder des Gerechten Freude haben. Wir sind für unsere Familie Kanäle des Segens oder des Fluches.
Der Fluch, der auf dem Haus der Gottlosen liegt, bedeutet nicht nur, dass ihnen alle möglichen Dinge, die das Leben angenehm machen, weggenommen werden. Auch Segen ist nicht so sehr der Besitz von allem, was das Herz begehrt. Der zentrale Punkt des Fluches liegt in einer ständigen Unruhe des Gewissens, einem ständigen Gefühl der Ungewissheit, was am Ende zum Zusammenbruch dieses Hauses führt. Der zentrale Punkt des Segens liegt in dem ständigen Bewusstsein, dass Gott mit uns ist, der Ruhe und des Friedens des Herzens, das von der Gnade und Güte Gottes überzeugt ist. Dieses Haus bleibt fest stehen.
Spötter werden es mit dem Spott Gottes zu tun bekommen (Vers 34). Spötter sind Menschen, denen nichts heilig ist. Sie verspotten Gott und seine Wahrheit, lachen über Ihn und machen seine Wahrheit lächerlich (2Pet 3,3.4). Sie verhöhnen das Opfer Christi. Sie erhöhen sich selbst; sie verachten und erniedrigen andere, besonders Gott und seinen Christus. Solche Menschen sündigen in abscheulicher Weise. Es wird eine Zeit kommen, in der die Rollen vertauscht werden. Dann wird Er sie verhöhnen und sie erniedrigen (Ps 2,4; 59,9).
Den Spöttern stehen die „Demütigen“ gegenüber. Sie haben sich gedemütigt und den richtigen Platz vor Gott eingenommen. Sie erkennen Ihn in allem an, was Er über sie sagt, sei es im Gericht oder im Segen. Er verspottet sie nicht, sondern gibt ihnen Gnade. Das gibt ihnen die Kraft, unter dem Spott der Spötter demütig zu bleiben und nicht zu widerstehen.
Demut ist eine Eigenschaft des Herrn Jesus, die Ihn in seinem Leben auf der Erde kennzeichnete. Er gibt diese Eigenschaft allen, die sein Joch des Gehorsams auf sich nehmen und von Ihm lernen wollen (Mt 11,29). Sie haben sich unter die mächtige Hand Gottes gedemütigt (Jak 4,6; 1Pet 5,6). Die Sünder hingegen werden gezwungen sein, sich zu unterwerfen, wenn Christus kommt, um zu regieren.
Wenn Christus kommt, werden die Weisen Ehre empfangen (Vers 35). Die Weisen sind dieselben Personen wie die Gerechten und die Demütigen der vorherigen Verse. Das zeigt, dass es bei ihnen nicht um die Weisen der Welt geht, sondern um Menschen, die in Gottes Augen weise sind. Die Ehre, die sie empfangen, ist nicht vorübergehend und nicht die der Welt, sondern eine ewige Ehre, die Gott gibt. Diese Ehre besteht darin, dass sie an der Regierung des Herrn Jesus teilhaben werden.
Die Toren hingegen bekommen das, was sie selbst getan haben. Sie erhöht die Schande. Sie haben sich nie um Gottes Gebote gekümmert und Ihn sogar verspottet. Dadurch haben sie die, die lachen, auf ihre Seite gezogen und die Ehre von Leuten bekommen, die genau so sind wie sie. Gleichzeitig haben sie sich selbst außerhalb des Segensbereiches und unter die Schande gestellt, und zwar für immer. Ihre Torheit wird für alle sichtbar sein, sie werden „zur Schande, zu ewigem Abscheu“ sein (Dan 12,2).