1 - 3 Das gerechte Strafmaß
1 Wenn ein Streit zwischen Männern entsteht und sie vor Gericht treten und man richtet sie, so soll man den Gerechten gerecht sprechen und den Schuldigen schuldig. 2 Und es soll geschehen, wenn der Schuldige Schläge verdient hat, so soll der Richter ihn niederlegen und ihm eine Anzahl Schläge geben lassen vor seinem Angesicht, entsprechend seiner Schuld. 3 Mit vierzig [Schlägen] darf er ihn schlagen lassen, nicht mehr; damit nicht, wenn er fortführe, ihn über diese hinaus mit vielen Schlägen zu schlagen, dein Bruder verächtlich werde in deinen Augen.
Strafe muss gegeben werden, wo es nötig ist, aber auch nicht mehr, als nötig ist. Die Strafe muss mit der Straftat ebenso angemessen übereinstimmen wie mit der Verantwortlichkeit des Täters (Lk 12,47.48). Die Anzahl von vierzig Schlägen ist ein Maximum, wobei die Zahl vierzig die vollständige Strafe repräsentiert (1Mo 7,12; 4Mo 14,33.34).
Beim Verabreichen der Strafe sind die Rabbiner aus Angst vor einer Übertretung des Buchstabens des Gesetzes zu dem Ergebnis gekommen, dass vierzig Schläge weniger einen verabreicht werden sollen für den Fall, dass man sich verzählt hat. Diese maximale Strafe hat Paulus fünfmal erhalten (2Kor 11,24). Es zeigt, dass Paulus von den Juden als ein großer Übeltäter angesehen wurde.
In der Gemeinde wird die Rechtsprechung des Alten Testamentes Zucht genannt. Zucht wird durch die ganze Gemeinde ausgeübt. In der Praxis werden geistlich gesinnte Brüder eine Zuchtangelegenheit vorbereiten. Auch hier ist es wichtig, dass das Maß der Zucht in Übereinstimmung ist mit der begangenen Sünde. So soll beispielsweise ein dem Wort Gottes ungehorsamer Bruder bezeichnet werden (2Thes 3,14.15), während er aber weiterhin als Bruder angesehen werden soll und als solcher zu ermahnen ist. In diesem Fall passt die härteste Zuchtregel, der Ausschluss aus der Gemeinde, nicht (1Kor 5,13b). Das würde darauf hinauslaufen, den Bruder verächtlich zu machen.
Die Schläge müssen in Gegenwart des Richters erteilt werden. Damit wird Nachdruck darauf gelegt, dass das Urteil so ausgeführt wird, wie es ausgesprochen wurde, und dass es unmittelbar nach der Verkündigung vollstreckt wird.
4 Einem dreschenden Ochsen nicht das Maul verbinden
4 Du sollst dem Ochsen das Maul nicht verbinden, wenn er drischt.
So wie in dem vorigen Abschnitt die Strafe im Verhältnis zur Tat stehen muss, so lehrt uns dieser Vers, dass die Speise genossen werden soll in Übereinstimmung mit der damit verbundenen Arbeit. So wie die Missetat einer Strafe wert ist, so ist der Arbeiter seines Lohnes Wert.
Dieser Vers wird zweimal im Neuen Testament angeführt (1Kor 9,9–10; 1Tim 5,17–18). Aus der ersten Stelle geht hervor, dass diese Vorschrift nicht an erster Stelle aus Sorge um den Ochsen gegeben wurde, sondern dass sie bestimmt ist für die Arbeiter im Reiche Gottes. Dies ist keine Anwendung, sondern eine Auslegung. Diese Vorschrift verdeutlicht den Gläubigen, dass diejenigen, die ein geistliches Werk verrichten, ein Recht auf materielle Unterstützung haben durch solche, denen dieses Werk zugutekommt.
5 - 10 Die Schwagerpflicht
5 Wenn Brüder beieinander wohnen, und einer von ihnen stirbt und hat keinen Sohn, so soll die Frau des Verstorbenen nicht auswärts eines fremden Mannes [Ehefrau] werden; ihr Schwager soll zu ihr eingehen und sie sich zur Frau nehmen und ihr die Schwagerpflicht leisten. 6 Und es soll geschehen: Der Erstgeborene, den sie gebiert, soll nach dem Namen seines verstorbenen Bruders genannt werden, damit dessen Name nicht ausgelöscht werde aus Israel. 7 Wenn aber der Mann keine Lust hat, seine Schwägerin zu nehmen, so soll seine Schwägerin ins Tor hinaufgehen zu den Ältesten und sprechen: Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder einen Namen in Israel zu erwecken; er will mir die Schwagerpflicht nicht leisten. 8 Und die Ältesten seiner Stadt sollen ihn rufen und mit ihm reden; und besteht er darauf und spricht: Ich habe keine Lust, sie zu nehmen, 9 so soll seine Schwägerin vor den Augen der Ältesten zu ihm hintreten und ihm den Schuh von seinem Fuß ausziehen und ihm ins Angesicht speien; und sie soll antworten und sprechen: So soll dem Mann getan werden, der das Haus seines Bruders nicht bauen will! 10 Und sein Name soll in Israel „das Haus des Barfüßigen“ heißen.
In diesen Versen werden Regelungen getroffen zum Schutz des Erbteils, damit es nicht in andere Hände fällt. Es wird die Situation von zwei Brüdern beschrieben, die auf demselben Erbteil wohnen und von denen der eine verheiratet ist und der andere noch unverheiratet. Wenn der Verheiratete ohne Nachkommen stirbt, muss der Bruder die Witwe zur Frau nehmen, dies wird als „Schwagerpflicht“ (Verse 5.7) bezeichnet. Der daraus erweckte Sohn wird dem ersten Mann zugerechnet und ist sein Erbe. Dieser Brauch, der nun als Gesetz festgeschrieben wird, war schon länger bekannt (1Mo 38,8).
Bei der Ehe von Boas mit Ruth geht es um ein weiter entferntes Familienmitglied, es war kein Bruder vorhanden (Rt 4,1–9). Zudem war das Land Noomis bereits in andere Hände gekommen. Boas wollte ihr Löser werden und ihr auch die Schwagerpflicht leisten. Gott hat dieses bestehende, ungeschriebene Gesetz nunmehr festgelegt und auf ein menschliches Niveau gebracht. Dadurch war es einem Bruder möglich, sich der Schwagerpflicht zu entziehen. Dies konnte er tun, weil er es einfach nicht wollte oder weil er seine eigenen Interessen damit aufs Spiel setzte.
Die Schuhe ausziehen ist eine symbolische Bezeichnung. Irgendwo die Schuhe daraufstellen spricht von in Besitz nehmen, es sich zu eigen machen (Jos 1,3; Ps 60,10; 108,10). Das Ausziehen spricht von dem Umgekehrten und will sagen: auf etwas verzichten. Das tut der Mann in Ruth 4 (Rt 4,7). Er tat es, weil er durch eine Ehe mit Ruth sein eigenes Erbteil zugrunde richten würde. Er denkt mehr an seine eigenen Interessen und so verzichtet er auf die Frau und das Land. Hier in diesem Abschnitt zieht die Frau ihm die Schuhe von den Füßen. Das wird zu einem Schimpfnamen für den Mann.
Im Buch Ruth gab es einen Löser, der näher verwandt war. Der erste Löser ist ein Sinnbild des Gesetzes. Das Gesetz wurde zuerst den Menschen gegeben, um dadurch Leben zu empfangen. Das Gesetz fordert: Tue das und du wirst leben. Aber dieser erste Löser kann nicht lösen. Menschen, die das Gesetz halten wollen, sind wie Diebe und Räuber. Die Pharisäer und Schriftgelehrten dachten allein an ihre Interessen und nicht an die des Volkes. Sie legten dem Volk schwere Lasten auf.
Doch dann kommt der Löser, der lösen kann und es tut, der Herr Jesus. Er gab sich selbst und fürchtete nicht, sein eigenes Erbteil zu verlieren. Er sollte weggetan (ausgerottet) werden, aber „es würde nicht für ihn selbst sein“, oder, wie es auch übersetzt werden kann: „Er wird nichts haben“ (Dan 9,26). Der Herr Jesus ist der wahre Boas (der Name bedeutet: in ihm ist Stärke). Ruth ist ein Bild des Überrestes von Israel und Noomi von dem Israel, das alles verloren hat. Wie treffend sehen wir in Ruth, die eine Moabiterin war, die Rechtlosigkeit des Überrestes und dass alles, was dieser erhält, allein auf der Grundlage der Gnade geschieht.
Die Bedeutung für uns ist, was wir für den anderen tun sollen. Wir erkennen, dass wir uns nicht wichtig nehmen dürfen. Sind wir bereit, für die Interessen des Bruders aufzukommen oder gleichen wir dem ersten Löser? Es kostet vielleicht etwas Zeit und Energie, doch wie wichtig ist es, dass der andere sein Erbteil behält.
Die Sadduzäer verweisen in einem ihrer Streitgespräche mit dem Herrn Jesus auf die Schwagerpflicht, um die Unglaubwürdigkeit der Auferstehung zu „beweisen“ (Mt 22,23–33). Die Sadduzäer waren die Freidenker jener Zeit. Sie glaubten allein das, was sie sehen und verstehen konnten. Deshalb glaubten sie nicht an die Auferstehung und auch nicht an Engel und Geister (Apg 23,8). Sie stellen dies dem Herrn vor durch einen erfundenen Fall von sieben Brüdern, die nacheinander dieselbe Frau heirateten. Sie erklären aus ihrem verdorbenen Denken heraus, wie sich ihnen an diesem Beispiel die Situation darstellt.
Doch der Herr wendet Mühe auf, um ihren verdunkelten Verstand zu erhellen. Er verweist auf die Schriftstelle, die über Gott als den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs spricht (2Mo 3,6.15.16). Der Herr führt diese Schriftstelle an, um anzudeuten, dass in den Tagen Moses die Erzväter in einer anderen Welt lebten, obwohl sie noch nicht aus den Toten auferstanden waren. Die Tatsache, dass ihre Geister lebten, war die Garantie dafür, dass sie am Ende mit auferstandenen Leibern leben würden.
Als Gott dies in 2. Mose 3 sagt, sind Abraham, Isaak und Jakob schon lange gestorben, doch Gott hat seine Verheißung gegeben. Sollte Er die nicht einlösen können? Er wird sie ganz gewiss einlösen in der Auferstehung. Wie unterschiedlich war doch der Glaube Abrahams gegenüber dem der Sadduzäer. Er glaubte, dass Gott mächtig war, Tote zu erwecken (Heb 11,18).
11 - 12 Eine unerlaubte Weise von Befreiung
11 Wenn Männer miteinander zanken, ein Mann und sein Bruder, und die Frau des einen eilt herbei, um ihren Mann aus der Hand seines Schlägers zu retten, und streckt ihre Hand aus und ergreift ihn bei seiner Scham, 12 so sollst du ihr die Hand abhauen; dein Auge soll nicht verschonen.
Dieser Fall ist verwandt mit dem vorigen Abschnitt, jedoch als Gegenstück dazu. Wenn der Bruder ihres Mannes seine Schwagerpflicht verweigert, darf die Frau in großer Selbstständigkeit ihre Verachtung kundtun (Vers 9). Doch hier wird deutlich gemacht, dass diese Selbstständigkeit sie nicht zu unzulässigen, schamlosen Handlungen verleiten darf. Einerseits ist es verständlich, dass sie für ihren Mann eintritt, aber andererseits zeugt die Art und Weise von Bösartigkeit. Sie will den Mann sogar so schwer verletzen, dass er keine Nachkommen mehr zeugen kann.
Die körperliche Verstümmelung, die hier als Strafe angewandt werden muss, ist das einzige Beispiel dieser Art, das im Gesetz gegeben wird. Das hier geschehene Böse muss mit einer Strafe geahndet werden, die bleibende Folgen hat. Bei der Ausübung der Strafe darf Mitleid, z. B. weil es eine Frau betrifft, keine Rolle spielen (vgl. 5Mo 13,9; 19,13.21).
Möglicherweise meint der Herr diese Vorschrift, als Er über das Abhauen der Hand spricht, die uns zum Fallstrick werden kann. Die Verhinderung einer unanständigen Tat kann nur durch Selbstgericht erreicht werden. Wer in geistlicher Hinsicht seine Hand abhaut, wird sie nicht buchstäblich verlieren müssen. Der Herr geht noch viel weiter: Wer in geistlicher Hinsicht seine Hand abhaut, entkommt dadurch dem Gericht der Hölle (Mk 9,43).
13 - 16 Gerechtes Maß und Gewicht
13 Du sollst nicht zweierlei Gewichtssteine in deinem Beutel haben, einen großen und einen kleinen. 14 Du sollst nicht zweierlei Epha in deinem Haus haben, ein großes und ein kleines. 15 Vollen und gerechten Gewichtsstein sollst du haben, und volles und gerechtes Epha sollst du haben, damit deine Tage verlängert werden in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt. 16 Denn ein Gräuel für den HERRN, deinen Gott, ist jeder, der dies tut, jeder, der unrecht tut.
Das Verbot hinsichtlich zweierlei Gewichtssteinen und Hohlmaßen bezieht sich nicht nur auf ihren Gebrauch, sondern auch auf ihren Besitz. Der böse Kaufmann hat ein großes Maß für den Einkauf und ein kleines für den Verkauf. Gegen dieses Übel tritt auch der Prophet Amos mit einer deutlichen Sprache an (Amos 8,5b). Das Verbot wurde schon früher gegeben (3Mo 19,35.36). Im selben Sinn lesen wir in Psalm 12: „Ihre Lippen schmeicheln, mit doppeltem Herzen reden sie“ (Ps 12,3b).
Das Böse des Messens mit zwei Maßstäben kann in unserem eigenen Herzen und im Gemeindeleben leicht eine Rolle spielen. Wenn es um uns selbst geht, legen wir oft andere Maßstäbe an, als wenn es um andere geht. Wir sind oft viel nachgiebiger gegenüber der eigenen Familie als gegenüber Außenstehenden. Darum ist es z. B. weise, wenn Familienangehörige in Zuchtfragen nicht beteiligt sind.
Für Gott ist eine derartige Handlungsweise von Zwiespältigkeit ein Gräuel (Spr 20,10; 11,1; 20,23). In Vers 16 wird von jedem, der mit zweierlei Maß misst, gesagt, dass er „ein Gräuel für den HERRN“ ist. Der HERR wünscht Urteile ohne Ansehen der Person. In seinen Regierungswegen beachtet Er, welches Maß wir an andere angelegt haben und wie wir andere beurteilt haben. Nach diesem Maß werden auch wir gemessen (Lk 6,38b).
Eine ehrliche Handlungsweise belohnt Gott mit einem langen Leben im Land. Wer ehrlich ist, kommt nicht zu kurz, obwohl das manchmal so scheint. Der volle Segen, den Gott seinem Volk im Land zugedacht hat, spricht für die Christen von den himmlischen Örtern. Ehrlich sein in allen Beziehungen ist eine Voraussetzung, um geistliche Segnungen in Besitz nehmen zu können.
17 - 19 Auftrag zur Ausrottung Amaleks
17 Erinnere dich daran, was Amalek dir getan hat auf dem Weg, als ihr aus Ägypten zogt, 18 wie er dir auf dem Weg entgegentrat und deine Nachzügler schlug, alle Schwachen hinter dir her, als du erschöpft und müde warst; und er fürchtete Gott nicht. 19 Und es soll geschehen: Wenn der HERR, dein Gott, dir Ruhe verschafft hat vor allen deinen Feinden ringsum, in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir als Erbteil gibt, es zu besitzen, so sollst du das Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel austilgen. Vergiss es nicht!
Amalek ist ein niederträchtiges Volk, das ein soeben aus der Sklaverei entkommenes Volk an der schwächsten Stelle angreift (2Mo 17,14–16). Darüber hinaus greift es ein Volk an, das keinerlei Erfahrung mit kriegerischen Auseinandersetzungen hat und das ihnen nichts getan hatte. Indem sie Gottes Volk angreifen, geben sie zu erkennen, dass keinerlei Gottesfurcht bei ihnen vorhanden ist.
Gott vergisst nicht, was dieser feige Feind seinem Volk angetan hat. Das einzig angemessene Urteil ist, die Erinnerung an diesen Feind total durch eine vollständige Vernichtung auszulöschen. Es ist zu vergleichen mit dem Urteil in den Tagen Noahs und mit dem Urteil von Sodom und Gomorra (1Mo 6,5–7; 18,20.21; 19,24.25). Saul bekommt den Auftrag zur Vertilgung Amaleks, aber er versagt durch Ungehorsam (1Sam 15,1–3.18.19). Einige Zeit später schlägt David die Amalekiter (2Sam 1,1). In den Tagen Hiskias wird dann endgültig mit Amalek abgerechnet (1Chr 4,41–43).
Amalek ist ein Bild des sündigen Fleisches. Das Fleisch, die Sünde in uns, muss vollständig beiseite gestellt werden. Der Glaube darf wissen, dass die Sünde im Fleisch gerichtet wurde, als Christus im Gericht Gottes auf dem Kreuz starb, und dass wir mit Ihm gekreuzigt sind (Röm 6,6; 8,3). Nun steht es in unserer Verantwortung, uns der Sünde für tot zu halten (Röm 6,11).
Ebenso wie Amalek ist auch das sündige Fleisch sehr niederträchtig. In Momenten der Schwachheit und an schwachen Stellen greift es uns an. Gerade dann ist es wichtig, an Christus und sein Werk zu denken und an unsere Vereinigung mit Ihm in diesem Werk. Dann erhält das Fleisch keine Chance, sich wichtig zu nehmen und uns zur Sünde zu verleiten, indem wir eine Niederlage erleiden.
Wir sollen weit gehen in unserer Liebe zu anderen, aber dem Fleisch dürfen wir keinen Raum geben. Wir müssen Gott einbeziehen in all unseren Angelegenheiten und in all unseren Beziehungen. Dann werden Dinge wie Nächstenliebe, Entschlossenheit, Genauigkeit in unseren Urteilen alle ihren Platz finden und auf unseren Wegen gefunden werden. Eigenliebe des Fleisches und Liebe für Satan und seine Mächte dürfen da niemals sein. Nur so werden wir die prächtige Botschaft in dem folgenden Kapitel verstehen.