1 Nehemia, Herkunft, Zeit und Ort
1 Geschichte Nehemias, des Sohnes Hakaljas. Und es geschah im Monat Kislew des zwanzigsten Jahres, als ich in der Burg Susan war,
Name und Abstammung Nehemias
Nehemia bedeutet „getröstet durch Jahwe“. Als Exilant ist er weit entfernt von dem Ort, den der HERR auserwählt hat, um seinen Namen dort wohnen zu lassen, aber er erfährt den Trost des HERRN. Das bedeutet, dass er diesen Trost gesucht hat. Wir brauchen Trost, wenn wir traurig sind. Die Ursache der Traurigkeit kann sehr verschieden sein. Um ein Nehemia zu sein, ist es nötig, den Trost des Herrn zu kennen.
Er ist der Sohn Hakaljas. Hakalja bedeutet „Warte auf Jahwe“. Bevor er vom HERRN eine Aufgabe im Hinblick auf sein Volk bekommt, muss er lernen, auf den HERRN zu warten (vgl. Klgl 3,26). Geduld ist oft ein großer Stolperstein im Werk für den Herrn. Den Wunsch zu haben, etwas für den Herrn zu tun, ist eine Sache. Es ist eine andere Sache, auf seine Zeit zu warten.
Die Zeit, in der Nehemia lebt
Wir schreiben „den Monat Kislew des zwanzigsten Jahres“. Der Monat Kislew ist im jüdischen Kalender der dritte Monat des Kalenderjahres, der Beginn des Winters. Bei uns steht dann November/ Dezember auf dem Kalender. Seit ca. 165 v. Chr. wird am fünfundzwanzigsten dieses Monats das „Fest der Tempelweihe“ (Joh 10,22) gefeiert. Dieses Fest, auch „Chanukka-Fest“ genannt, wird zum Gedenken an die Wiederherstellung und Reinigung des Tempels durch Judas den Makkabäer gefeiert. Er hat die Weihe durch Antiochus Epiphanes aufgehoben und den Tempel aufs Neue Gott geweiht.
„Das zwanzigste Jahr“ ist das zwanzigste Jahr der Regierung von König Artasasta (Neh 2,1). Artasasta wird 465 v. Chr. König. Es wird also über das Leben und Wirken Nehemias in der Zeit ab 445 oder 444 v. Chr. berichtet. Die Angabe des Jahres bezieht sich auf die Zeit, in der ein fremder Herrscher das Sagen über Israel hat.
Wir können die Jahresangabe als „grobe“ Datierung und die Monatsangabe Kislew als „feine“ Datierung bezeichnen. Beide Zeitangaben sind von Bedeutung für den Diener. Er muss Gottes Kalender kennen (Kislew) und den Kalender, der in der Welt benutzt wird (das zwanzigste Jahr von Artasasta). Er muss das Bewusstsein haben, dass Gott regiert, während Satan noch „der Fürst der Welt“ ist (Joh 14,30). Der Diener hat ein Auge für die Beschlüsse der Machthaber der Welt. Doch er lässt sich nicht durch diese Beschlüsse leiten, sondern prüft sie an dem Wort Gottes.
Wo sich Nehemia befindet
Die Beschreibung des Dienstes von Nehemia beginnt, als er sich „in der Burg Susan“ befindet, dem Aufenthaltsort der persischen Könige. Das bedeutet, dass er vollständig von Feinden des Volkes Gottes umgeben ist. Er lebt inmitten von Menschen, die überhaupt nicht mit Gott rechnen, während er wohl mit Ihm rechnet. Sein Herz ist ständig in dem Land, wo er zu Hause ist.
Er ist am Hof des mächtigsten Mannes dieser Zeit. Darin sehen wir, dass Gott an allen Orten einen Überrest für seinen Namen hat. So wissen wir auch von einem gottesfürchtigen Obadja am Hof Ahabs (1Kön 18,3) und von Heiligen im Haus des Kaisers (Phil 4,22).
Einige Lektionen
1. Jeder, der etwas für den Herrn tun möchte, muss berichten können, wer er ist in seiner Beziehung zum Herrn, wie er diese erlebt, wer der Herr für ihn ist und was der Herr von ihm erwartet.
2. Er muss ein Gespür für das geistliche Klima in Gottes Volk haben. Der Winter steht vor der Tür. Die Gemeinde, das Volk Gottes heute, befindet sich zum größten Teil in einem lauen „Laodizea“-Zustand, noch nicht ganz kalt, aber auch nicht mehr warm. Dennoch kann der treue Gläubige sich in dieser Zeit ganz dem Herrn zur Verfügung stellen. Sein Verlangen soll sein, dass der Tempel, womit im Neuen Testament sowohl die Gemeinde als auch der Körper des Gläubigen bezeichnet wird (1Kor 3,16; 6,19), wieder Gottes Absicht entspricht. Dafür will er sich einsetzen.
3. Er muss wissen, dass er in der Welt keine Rechte hat. Er ist auf die Gunst derer angewiesen, die über ihm stehen.
4. Er muss sich auch des geistlichen Klimas der Welt bewusst sein, in der er lebt. Die Feindschaft gegen Gott und sein Wort zeigt sich auf immer brutalere Weise.
2 Besuch aus Jerusalem
2 da kam Hanani, einer von meinen Brüdern, er und einige Männer aus Juda. Und ich fragte sie nach den Juden, den Entronnenen, die von der Gefangenschaft übrig geblieben waren, und nach Jerusalem.
Der Anlass zu dem Werk, dass Nehemia tun wird, ist weder eine Stimme aus dem Himmel noch eine wunderbare Erscheinung. Der Anlass ist ein normales Ereignis: Nehemia bekommt Besuch von seinem Bruder und einigen Männern aus Juda. Nehemia nutzt diese besondere Gelegenheit, um aktuelle Nachrichten über die Situation dort zu bekommen. Er möchte gerne wissen, wie es den Juden und der Stadt Jerusalem geht.
An der Frage von Nehemia sieht man sein großes Interesse an der Situation, in der sich der Überrest von Gottes Volk befindet. Nehemia hat eine verantwortungsvolle Aufgabe im Palast des Königs (Vers 11). Er bekleidet eine einflussreiche Position. Das ist jedoch nicht das, was ihn beschäftigt. Er ist nicht an der Ausbreitung des persischen Reiches und einer Zunahme seines Einflusses interessiert. Den Besuch seines Bruders nutzt er nicht, um ihm von seiner brillanten Position oder seinen Karrierechancen zu erzählen. Er möchte auch nicht in erster Linie von seinem Bruder über allerlei Familienangelegenheiten auf den neusten Stand gebracht werden.
Während er seine irdischen Aufgaben ausführt, ist sein Herz mit denen beschäftigt, die einst aus Babel in das gelobte Land zurückgekehrt sind. In direktem Zusammenhang damit, fragt er auch nach der Stadt Jerusalem, dem Wohnort Gottes. Er erweist sich hierdurch als Geistesverwandter von Mose, dessen Herz auch zu seinem Volk gewandt war, um sie aufzusuchen und zu befreien (Apg 7,23). Auch Mose hat dafür eine bedeutende Stellung aufgegeben.
Die Frage kann wohl gestellt werden, was uns am wichtigsten ist, wenn wir Besuch aus einem anderen Land bekommen. Sind wir interessiert an der schönen Landschaft, der Architektur, dem Wohlstand und dergleichen oder an der Situation, in der sich Gottes Kinder befinden und wie es der Gemeinde als Gottes Haus geht?
Einige Lektionen
1. Der Anlass, ein Werk für den Herrn zu tun, ist oft ein alltägliches Ereignis. Die Art und Weise, wie wir darauf reagieren, offenbart oft, wo unser eigentliches Interesse liegt. Eine Bemerkung, ein Besuch, ein Brief, ein Ereignis – Geburt, Sterbefall, Unfall – und noch vieles andere, alles sind Prüfungen, die unsere wahren Interessen offenbaren. Sie können dafür sorgen, dass unser Lebensweg eine radikale Wendung nimmt.
2. Jemandem, der wirklich für Gottes Willen offen ist, ist jedes Mitglied seines Volkes und sein Wohnort, die Gemeinde, wichtig. Eine Position in der Welt spielt für ihn keine Rolle. Er ist bereit, wenn der Herr ihn darum fragt, diese aufzugeben.
3 Bericht über die Situation in Jerusalem
3 Und sie sprachen zu mir: Die Übriggebliebenen, die von der Gefangenschaft dort in der Landschaft übrig geblieben sind, sind in großem Unglück und in Schmach; und die Mauer Jerusalems ist niedergerissen, und seine Tore sind mit Feuer verbrannt.
In einfachen Worten berichten seine Besucher, dass der Überrest in großem Elend ist und dass Jerusalem keine Mauer und keine Tore mehr hat. Dass die Mauern der Stadt schwer beschädigt sind, bedeutet, dass die Bewohner ohne den notwendigen Schutz vor Feinden sind. Die Mauern stellen die Absonderung vom Bösen dar. Es gibt keine Trennung mehr zwischen heilig und unheilig. Die Tore sprechen vom Hereinlassen des Guten und dem Entfernen von Falschem. Die Tore sorgen für das Ausüben von göttlicher Fürsorge oder Zucht.
Gott möchte, dass die Mauern von Jerusalem zum Heil, oder Rettung sind und ihre Tore zum Ruhm (Jes 60,18b). Absonderung vom Bösen bedeutet das Heil, die Rettung für Gottes Volk und sichert ihr Bestehen als Volk Gottes. Um ein Volk zu sein, dass sein Lob singt, ist Sorgfalt und Zucht nötig. Ungerichtete Sünde behindert den Lobgesang.
Wir hätten vielleicht erwartet, dass der Überrest nach seiner Rückkehr doch einen besonderen Segen von Gott erfahren würde, indem Er ihnen einen Beweis seiner Zustimmung schenken würde. Aber sie befinden sich stattdessen „in großem Unglück und in Schmach“.
Wir können das auf die Situation anwenden, die entstanden ist, nachdem zu Beginn des 19. Jahrhunderts Gläubige aus allerlei Glaubensgemeinschaften entdeckten, was die Gemeinde nach Gottes Gedanken ist. Sie haben sich abgesondert von menschlichen Systemen nach alttestamentlichem Vorbild, wo der Herr Jesus nicht den Platz bekommt, der Ihm zusteht, oder wo Menschen falsche Lehren über Ihn verkündigen, ohne dass darüber in Übereinstimmung mit Gottes Wort Zucht ausgeübt wird (Heb 13,13; 2Tim 2,19–22). Danach sind sie zum Namen des Herrn Jesus zusammengekommen (Mt 18,20).
Diese Bewegung ist mit dem zu vergleichen, was unter Esra stattfindet. In Esra lesen wir von der Wiederherstellung des Altars – angewandt: erneuerte Sicht auf den Tisch des Herrn – und von der Wiederherstellung des Tempels – angewandt: erneuerte Sicht darauf, was die Gemeinde des lebendigen Gottes ist. Aber das Feuer und die kennzeichnende Hingabe dieser Bewegung ist erloschen. Die Liebe zum Herrn und seinem Wort und die Sorge füreinander hat nachgelassen. Das Aufnehmen am Tisch des Herrn aller Kinder Gottes, die nicht in der Sünde leben oder damit verbunden sind, ist nicht mehr da. Diejenigen, die in der Tradition dieser Bewegung aufgewachsen sind, sind zum großen Teil einerseits dem Liberalismus und andererseits dem Sektierertum zur Beute geworden.
Die Mauern sind schwer beschädigt, die Tore verbrannt. Die Bewegung, die die Folge von einem Wirken des Geistes war, ist zum Stillstand gekommen. Was übergeblieben ist, wird entweder durch Traditionalismus oder durch Emotionen unter dem Einfluss charismatischer Lehren oder durch weltliche Denkmuster oder durch eine Mischung dieser Strömungen, getrieben. Das Wort Gottes bleibt in vielen Fällen geschlossen. Es muss auch nicht geöffnet werden, wenn wir unsere Sicherheit in Tradition, Gefühl oder Verstand finden. Wenn die Bibel schon mal geöffnet wird, wird sie gebraucht um das eigene Recht zu unterstreichen oder um deutlich zu machen, dass nichts mit Sicherheit zu sagen sei.
Wir können uns fragen, wie es in unserem persönlichen Leben mit der Mauer der Absonderung von der Welt, mit der Mauer des Gebets und Bibellesens, mit der Mauer der treuen Nachfolge des Herrn Jesus, mit der Mauer der persönlichen Hingabe und des lebendigen Zeugnisses, der Mauer des alltäglichen Christenlebens aussieht. Liegen diese Mauern vielleicht in Trümmern?
Einige Lektionen
1. Wenn wir nach der Situation fragen, in der sich Gottes Volk befindet, werden wir feststellen, dass dort eine große Untreue herrscht.
2. Die Mauern, ein Bild der Absonderung, sind niedergerissen. Die Trennung zwischen der Gemeinde und der Welt ist verschwunden. Die Welt wurde, erst zögernd, und jetzt mit großer Begeisterung hereingelassen. Sie wird zur Hilfe genommen, wie man etwas in der Gemeinde tun soll, sowohl in ihren Zusammenkünften als auch in ihrer Evangeliumsverkündigung.
3. Die Tore, ein Bild von Rechtsprechung, sind verbrannt. Das Böse, das hereingekommen ist, wird nicht verurteilt. In der Gemeinde tut jeder, was ihm oder ihr gut scheint. Eine mögliche protestierende Stimme wird zum Schweigen gebracht.
4 Die Reaktion von Nehemia
4 Und es geschah, als ich diese Worte hörte, setzte ich mich hin und weinte und trug Leid tagelang; und ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels
Die Reaktion Nehemias auf den Bericht seines Bruders ist bewegend. Der Bericht schlägt bei ihm wie eine Bombe ein. Nehemia wird von gottesfürchtigen Eltern erzogen worden sein. Sie werden ihn in der Geschichte und dem Gesetz des jüdischen Volkes unterwiesen haben. Das macht es verständlich, warum er so ergriffen ist, als er von seinem Bruder erfährt, wie schmählich es mit Jerusalem und dem Volk aussieht. Solchen Gemütsäußerungen, die uns die Bewegungen seines Herzens sehen lassen, begegnen wir regelmäßig in seinem Buch. Immer wieder macht er seinen Gefühlen bei einer Beschreibung seiner Arbeit Luft.
Wenn wir einen Bericht bekommen oder lesen, können wir das einfach zur Kenntnis nehmen. Auf diese Weise werden wir nicht mit einem Bericht umgehen, der von unserem eigenen Bruder kommt. Nehemia kennt ihn. Er ist kein Mann, der Erzählungen dramatisiert. Wenn er etwas sagt, ist das absolut glaubwürdig. Nehemia bedankt sich nicht freundlich bei seinem Bruder für die Nachricht, um dann wieder zur normalen Tagesordnung überzugehen. Er stellt auch keine kritischen Fragen. Was er hört, macht einen enormen Eindruck auf ihn, er wird von dem Gefühl großer Niedergeschlagenheit überwältigt.
Durch den Bericht seines Bruders bekommt er eine andere Sicht auf sein Leben. Innerlich beteiligt mit dem Volk in Jerusalem, fühlt er die Schmach, in der sich der Überrest befindet, wie seine eigene Schmach. Nehemia kennt Gottes Plan in Bezug auf sein Volk. Nun hört er, wie sehr der praktische Zustand, in dem sich das Volk befindet, davon entfernt ist.
Anstatt sofort fieberhaft Pläne zu schmieden, um an diesem Zustand etwas zu ändern, setzt er sich erstmal. Überwältigt von intensivem Kummer über die Situation, in der sich der Überrest von Gottes Volk befindet, ist er nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als tagelang zu weinen und zu trauern.
Es bleibt nicht bei diesem Ausdruck von Trauer und Scham. Er fastet und betet auch. Fasten bedeutet: auf alles verzichten, was an sich erlaubt ist, aber jetzt zur Seite gestellt werden muss, um sich ganz auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. Die berechtigten Bedürfnisse des Körpers werden eine Zeit lang nicht erfüllt, um sich mit dem Geist vollständig auf eine Sache konzentrieren zu können, die über die körperlichen Bedürfnisse hinausgeht. Das sehen wir auch an dem Gebet, das fast immer untrennbar mit dem Fasten verbunden ist, wie auch hier.
Nehemia fastet und betet nicht einfach drauf los. Er weiß sich vor dem Angesicht von „dem Gott des Himmels“. Wenn das nicht der Fall wäre, würden alle Übungen seiner Seele nutzlose Quälereien sein. Das Bewusstsein von Gottes Angesicht macht solche Übungen zu wertvollen Erfahrungen. Was vor dem Auge der Menschen verborgen ist, wird von Gott mit großem Wohlgefallen wahrgenommen und belohnt (Mt 6,17.18).
Der Ausdruck „Gott des Himmels“ ist vielsagend. Gott hat sich in den Himmel zurückgezogen. Er wohnt nicht mehr auf der Erde in der Mitte seines Volkes, ein Volk, dass Er in die Hand ihrer Feinde geben musste. Er tritt nicht mehr in Macht für sein Volk auf, weil sie Ihn verworfen haben. Aber der Glaube weiß Ihn zu finden und Er lässt sich finden.
Das gilt auch für uns. Die Gemeinde hat keinerlei äußere Kraft oder Herrlichkeit. Sie ist mit einem verworfenen Herrn verbunden, der nun im Himmel ist. Aber sie weiß, dass Er da ist und dass Er gesagt hat: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28,18). Darum sollen wir uns in unserer Not an Ihn wenden.
Einige Lektionen
1. Alle innerlichen Übungen dieses niedergeschlagenen Mannes finden ihren Ausweg im Gebet. Viele haben erfahren, dass ihre Arbeit für den Herrn mit Fasten und Beten begonnen hat, für die trostlose Situation, über die sie informiert worden sind. Wir können erst helfen, eine Not zu lindern, wenn wir das Elend in unseren eigenen Seelen erfahren haben. Wir bekommen erst dann einen Auftrag vom Herrn, wenn Er uns die Augen geöffnet hat und wir die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind, das heißt, so wie Er sie sieht. Nehemia wird berufen, die Mauern wiederaufzubauen, aber vorher weint er über die Trümmer.
2. Der Dienst für Gott ist kein Hobby. Wer das meint, erleidet unweigerlich Schiffbruch. Bevor wir zum Beispiel Kinderarbeit tun, müssen wir erst den erschreckenden Mangel an christlicher Belehrung in den Schulen und die Zügellosigkeit um uns herum sehen. Das Erkennen dieser Situation auf unseren Knien vor Gott, ist der Anfang.
3. Der Herr Jesus war innerlich bewegt über die Volksmengen, die wie Schafe waren, die keinen Hirten haben und darin bezieht Er seine Jünger mit ein. Dafür ruft Er zum Gebet auf (Mt 9,36–38). Kümmert es uns, wenn wir die vielen Menschen auf der Straße gehen sehen? Liegen sie uns am Herzen?
4. Wenn wir mit den Augen des Herrn Jesus auf die Mauern schauen, müssen wir erst Leid darüber tragen, dass so viele Menschen und vor allem so viele sogenannte Christen den Herrn Jesus nicht in ihrem Leben zeigen.
5 - 11 Das Gebet von Nehemia
5 und sprach: Ach, HERR, Gott des Himmels, [du] großer und furchtbarer Gott , der den Bund und die Güte denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten: 6 Lass doch dein Ohr aufmerksam und deine Augen offen sein, dass du hörest auf das Gebet deines Knechtes, das ich heute, Tag und Nacht, für die Kinder Israel, deine Knechte, vor dir bete, und wie ich die Sünden der Kinder Israel bekenne, die wir gegen dich begangen haben! Auch wir, ich und meines Vaters Haus, haben gesündigt. 7 Wir haben sehr böse gegen dich gehandelt und haben die Gebote und die Satzungen und die Rechte nicht gehalten, die du deinem Knecht Mose geboten hast. 8 Gedenke doch des Wortes, das du deinem Knecht Mose geboten hast, indem du sprachst: Werdet ihr treulos handeln, so werde ich euch unter die Völker zerstreuen. 9 Wenn ihr aber zu mir umkehrt und meine Gebote haltet und sie tut: Sollten eure Vertriebenen am Ende des Himmels sein, so würde ich sie von dort sammeln und sie an den Ort bringen, den ich erwählt habe, um meinen Namen dort wohnen zu lassen! 10 Sie sind ja deine Knechte und dein Volk, das du erlöst hast durch deine große Kraft und deine starke Hand. 11 Ach, Herr, lass doch dein Ohr aufmerksam sein auf das Gebet deines Knechtes und auf das Gebet deiner Knechte, die Gefallen daran finden, deinen Namen zu fürchten; und lass es doch deinem Knecht heute gelingen und gewähre ihm Barmherzigkeit vor diesem Mann! – Ich war nämlich Mundschenk des Königs.
Die Begründung (Vers 5)
Nach dem Bericht wird sich Nehemia machtlos gefühlt haben. Was kann er tun? Beten! Er betet zum „Gott des Himmels“. Sein Gebet ist gegründet auf die Offenbarung Gottes, so wie er Ihn kennengelernt hat. Auch wenn er Gott nicht gekannt hat, wie wir Ihn kennen dürfen, als Vater, betet er zu Jemandem, den er kennt, zu Jemandem, von wem er weiß, wo Er wohnt.
Von irgendwelchem Stolz ist keine Rede. Da ist Vertraulichkeit und zugleich Ehrfurcht. Nehemia kennt Gott als den „großen und furchtbaren Gott“. Gegenüber der überwältigenden Größe Gottes fühlt er sich klein. Vor dem furchtbaren Gott ist er erfüllt mit Ehrfurcht. In seiner heiligen Gegenwart spürt er, wie sündig er ist (vgl. Jes 6,1–5). Aber statt sich aus dem Staub zu machen, nimmt er in seiner Not zu diesem Gott Zuflucht (vgl. Lk 5,8).
Nehemia hat keine Angst vor Gott. Ein Mensch, der Gott den Platz gibt, der Ihm zusteht und selbst den Platz einnimmt, der für ihn gegenüber Gott passend ist, muss keine Angst vor Gott haben. Er weiß nicht nur, wer Gott ist, sondern auch, wie Gott handelt. Gottes „Bund“ und seine „Güte“, die untrennbar damit verbunden ist, bilden die Begründung zum Gebet für Nehemia. Darüber hat der HERR mit Mose gesprochen (5Mo 7,9). Es ist auch die Begründung für das Gebet Salomos (1Kön 8,23).
Der Segen von Gottes Bund und seine Güte ist für die, die Ihn lieben und seine Gebote halten. Liebe und Gehorsam gehören immer zusammen. Sie sind die zwei Kennzeichen, die jemand besitzt, der aus Gott geboren ist. Sie haben mit der Natur Gottes zu tun. „Gott ist Licht“ (1Joh 1,5) und „Gott ist Liebe“ (1Joh 4,8.16). Die Natur Gottes kommt in seinen Kindern in der Bruderliebe und dem Halten der Gebote des Herrn Jesus zum Ausdruck (1Joh 2,3–11).
Für wen Nehemia betet (Vers 6a)
Nehemia ruft leidenschaftlich zu Gott, sein Gebet zu hören und auf ihn, den Bittenden, zu sehen. Er nennt sich selbst „Deinen Knecht“. Da ist kein Gefühl der Überhebung, keine Betonung der Zugehörigkeit zu dem auserwählten Volk Gottes, woran der Name „Israeliten“ denken lässt. Er fleht für seine Brüder, die Israeliten, die er auch „Deine Knechte“ nennt. Er verbindet sie mit sich selbst, um zusammen mit ihnen vor Gottes Angesicht zu erscheinen. Er bittet für sie, aber er schließt sich selbst nicht aus.
Tag und Nacht tut er Fürbitte für sie. Die Gefühle von Trauer und Schmach haben nicht nach Verlauf einiger Zeit wieder nachgelassen. Was er betet, hat ihn fortdauernd beschäftigt, auch während seiner alltäglichen Aufgaben, die er erledigen musste. Er hat seine Trauer nicht zur Schau getragen. Dass es auf die Dauer an ihm sichtbar war (Neh 2,2) ist unvermeidbar und unterstreicht nur, dass er durchgängig mit Gottes Volk, seinen Volksgenossen und ihren Umständen beschäftigt war.
Bekenntnis (Verse 6b.7)
Wie schon gesagt, bringt Nehemia nicht nur seine Volksgenossen vor Gottes Angesicht. Er ist sich bewusst, dass der, der für eine andere Person betet und diese so in die Gegenwart Gottes bringt, dadurch auch selbst in Gottes Gegenwart kommt. Da kann man nicht sich selbst hochhalten. Wer das meint, ist dem Pharisäer ähnlich, von dem der Herr Jesus in Lukas 18 erzählt (Lk 18,11a). Der Mann betet zwar, ruft sogar den Namen Gottes an, aber er ist nicht in Gottes Gegenwart. Er ist vollständig umgeben von sich selbst. Dann kommt man nicht dazu, Fürbitte zu tun, man kann dann auch unmöglich ein Fürbitter sein. Fürbitte tun setzt voraus, dass man ein Bewusstsein für die Not hat, in der der andere sich befindet, ohne sich besser zu fühlen als derjenige.
Nehemia befindet sich vor Gottes Angesicht. Wenn er dann auch für seine Volksgenossen bittet, sieht er zuerst seine eigenen Sünden und die Sünden seiner Familie. Bevor er die Sünden des Volkes bekennt, bekennt er erst seine eigenen Sünden und die seiner Familie. So macht er geistlich den Weg frei, um ein echter Fürbitter zu sein.
Im Folgenden betet er auch nicht für „die anderen“, sondern er spricht von „wir“, die schwer gegen Gott gesündigt haben und ungehorsam gewesen sind. Gott hat seine Gebote offenbart, aber das Volk hat sie nicht beachtet. Er erkennt, dass sie dadurch jedes Anrecht auf Segen verwirkt haben.
Gottes Wort im Gebet (Verse 8.9)
Nehemia führt Gottes Wort an, um seine Wahrheit zu bestätigen. Gott hat so gehandelt, wie Er es gesagt hat. Das Volk ist untreu gewesen und Gott musste es unter die Völker zerstreuen. Nehemia rechtfertigt Gottes Handeln und erkennt damit noch einmal ihre eigene Untreue an. Aber er belässt es nicht dabei. Er weiß auch, was Gott sonst noch gesagt hat. Er bittet Gott, dass, wo Er ja das eine Wort erfüllt hat, Er doch auch das andere in Erfüllung gehen lassen soll. Das ist wirklich leben „von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht“ (Mt 4,4).
So sollten wir auch beten: in dem Bewusstsein von dem, was Gott für uns getan hat, als Er seinen Sohn für uns ans Kreuz gehen ließ, um zu sterben, und was Er in seiner Auferstehung und Himmelfahrt getan hat und was Er bei seiner Rückkehr tun wird. Wenn wir Christus an dem Kreuz und sein vergossenes Blut anschauen, werden wir die Macht eines wirksamen Gebetes erfahren. Sein Handeln in der Vergangenheit ist der Garant für die Erfüllung seiner Versprechen in der Zukunft. Hier gilt, dass Ergebnisse aus der Vergangenheit eine vollständige Garantie für die Zukunft sind.
Die Worte Nehemias sind kein wörtliches Zitat von dem, was in Gottes Wort steht. Sie sind eine Zusammenfassung dessen, was Gott gesagt hat, was bei Untreue und was bei einer Umkehr geschehen wird (5Mo 4,27–31; 30,4–10). Wir dürfen Ihn daran erinnern und daraus Mut schöpfen, wie es Nehemia getan hat. Das Wort gibt Hoffnung (Ps 119,49).
Nehemia betont in seinem Gebet, was Gott über Jerusalem gesagt hat: „Den Ort …, den ich erwählt habe, um meinen Namen dort wohnen zu lassen.“ Darum geht es ihm, um diesen Ort. Das Herz Nehemias ist voll von dem, wovon Gottes Herz erfüllt ist.
Deine Knechte und Dein Volk (Vers 10)
Mit welchem Recht spricht Nehemia noch von „deine Knechte und dein Volk“? Weil Gott dieses Volk selbst aus Ägypten befreit und zu seinem Volk gemacht hat. Nehemia erinnert Gott an das, was Er vor vielen Jahrhunderten getan hat. Und auch vor nicht langer Zeit hat Er, auch wenn es nur ein Überrest war, der zurückzog, sein Volk aus dem Exil befreit. Aus allem wurde sichtbar, dass Gott sein Volk nicht im Stich gelassen hat. Sollte Er dann ihr Elend nicht sehen, in dem sie sich aufs Neue nach ihrer Rückkehr im Land befanden?
Nehemia kennt das Herz Gottes. Gott hat zu viel für dieses Volk getan, um sich jetzt nichts aus ihnen zu machen. Wieder sehen wir eine Parallele zwischen Nehemia und Mose. Nach der Sünde des Volkes mit dem goldenen Kalb spricht Gott zu Mose über „dein Volk“ (2Mo 32,7), als ob es Moses Volk wäre und nicht sein Volk. Aber Mose kennt Gottes Herz und spricht zu Gott über „dein Volk“ (2Mo 32,11). Der Glaube sieht und erhält die Verbindung, die zwischen Gott und seinem Volk besteht.
Noch andere Beter (Vers 11a)
Nehemia bildet sich nicht ein, dass er der Einzige ist, der sich um Gottes Volk sorgt. Obwohl er allein ist, weiß er, dass es noch mehr Menschen gibt, die beten, dass Gott eine Umkehr in ihrem Schicksal bewirkt. Er macht nicht den Fehler von Elia, indem er annimmt, dass er der einzige Treue sei, der übriggeblieben ist (1Kön 19,10.18; Röm 11,2–5). Gott sorgt immer für einen Überrest, der aus mehreren Treuen besteht, die in einer Zeit allgemeiner Untreue Ihm treu bleiben.
Wenn unser Herz unter einer schweren Last gebeugt ist, müssen wir nicht meinen, dass wir die einzigen wären, die diese Last spüren. Vielleicht sind wir doch allein, aber wir dürfen wissen, dass Gott auch andere dieselbe Last spüren lässt (vgl. 1Pet 5,9).
Gebet in Hinblick auf seine Stellung (Vers 11b)
Das Ziel und der Auftrag für sein Volk sind ihm im Gebet klar geworden. Aber es ist noch nicht deutlich, zu welchem Zeitpunkt er anfangen kann. Dafür ist er auf die Zustimmung des Königs angewiesen. Zeitpunkt und Zustimmung liegen menschlich gesprochen in der Hand des Königs. Nehemia erkennt in seinem Gebet, dass er vom König abhängig ist. Darum bittet er Gott, dass er „heute“ bei dem König Barmherzigkeit erhält. Seine Aufgabe ist nun, auf Gottes Antwort zu warten.
Warum sollte er erwähnen, dass er Mundschenk des Königs ist? Es scheint so, dass er dies tut, weil es für den Bericht über sein Gespräch mit dem König im folgenden Kapitel notwendig ist. Er hätte damit beginnen können, dies zu erzählen, als er Besuch aus Jerusalem bekam, aber er sieht seine gesellschaftliche Position nicht als etwas an, mit dem er sich rühmt. Nehemia liefert immer die notwendigen Informationen, ohne sich selbst in das Scheinwerferlicht zu stellen.
Durch die Aussage „ich war nämlich Mundschenk des Königs“ betont Nehemia seine völlige Abhängigkeit vom König. Mundschenk ist eine Position mit großem Vertrauen und großer Verantwortung. Aber Nehemia benutzt seine Position nicht, um Einfluss auf den König auszuüben und auf diese Weise Erleichterung für sein Volk zu suchen. Nehemia hätte auch denken können: „Was Israel passiert ist, ist alles eigene Schuld. Da ist nichts dran zu ändern. Ich habe einen guten Job und Gott wird doch selber für sein Volk sorgen, dafür braucht Er mich nicht.“
Nehemia tut keins von beidem. Er macht sich eins mit dem Volk und bekennt die Sünde des Volks als seine eigene Sünde. Genauso wie Mose zieht er es vor, mit dem Volk Schmach zu leiden, „als [den] zeitlichen Genuss [der] Sünde zu haben“ (Heb 11,25). Wir können Gott nur dienen, wenn wir bereit sind, Opfer zu bringen.
Was wir bei Nehemia finden, der am Ende der Geschichte Israels lebt, sehen wir auch bei Mose, zu Beginn der Geschichte Israels. Auch Mose genießt besondere Vorrechte. Er wohnt am Hof des Pharaos, aber auch er benutzt seine Position nicht zugunsten seines Volkes. Als Sohn der Tochter des Pharaos hätte er sogar eine Zeit warten können, bis er selbst den Thron besteigen würde. Er hätte sagen können, dass Gottes Vorsehung ihn in diese Position gebracht hat. Aber er liebt Gott vor dem Volk und möchte nur das tun, was Gott von ihm verlangt.
Einige Lektionen
1. Im Gebet Nehemias werden wir mitgenommen in die tiefen Gefühle eines Mannes, der gebeugt geht unter der Schmach von Gottes Volk und der Unehre, die Gott damit angetan wird. So dürfen wir voll Vertrauen und Ehrfurcht aus der Fülle unseres Herzens zu Gott sprechen. Freimütig, aber nicht dreist, dürfen wir Gott unsere Not anvertrauen. Gott weiß das natürlich schon längst, aber Er möchte gebeten werden. Er möchte das Gebet der Seinen zur Erfüllung seiner Pläne benutzen. Das gibt dem Gebet einen besonderen Wert und eine besondere Bedeutung.
2. In seinem Gebet stellt sich Nehemia nicht über das Volk, oder daneben, sondern er macht sich eins mit dem Volk. Es ist nötig, dass wir uns unzertrennlich mit dem Volk Gottes verbunden wissen, um gleichsam mit ihnen vor Gottes Angesicht zu kommen. Dieses grundsätzliche Bewusstsein bringt uns zum Bekenntnis unserer eigenen Sünden, der Sünden unserer Familie und der Sünden des Volkes.
3. Er rechtfertigt Gott. Gott hat sie zurecht zerstreut. Das Volk hat die Treue gebrochen und Gott hat nicht anders handeln können. Wir wissen aber auch, dass Gott das wieder versammeln kann, was Er zerstreut hat, sei es unter der Bedingung der Umkehr. Wir dürfen uns auf Gottes Treue, sein Wort und sein Handeln in der Vergangenheit berufen.
4. Wenn wir unser Herz so im Gebet frei gemacht haben, können wir Gott fragen, ob Er den Weg frei machen möchte, seinem Volk zu helfen. Nehemia ist von der Zustimmung des Königs abhängig, um zu gehen. Eigenmächtiges Handeln ist ihm fremd und das sollte auch bei uns so sein.
5. Er hat alles in Gottes Hände gelegt. Dann ist das Warten auf seine Antwort und auf seine Zeit ein wichtiger Punkt für jeden, der etwas für den Herrn tun möchte.