1 - 2 Der Herr Jesus lehrt im Tempel
1 Jesus aber ging an den Ölberg. 2 Frühmorgens aber kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm; und er setzte sich und lehrte sie.
Mit Kapitel 8 beginnt ein neuer Teil dieses Evangeliums, ein zweiter Hauptteil. Nach der Einleitung in den Kapiteln 1 und 2 bilden die Kapitel 3–7 den ersten Hauptteil. Das Schlüsselwort dieses Teils ist das Wort Leben. Die Kapitel 8–12 bilden den zweiten Hauptteil mit dem Schlüsselwort Licht. Den dritten Hauptteil haben wir in den Kapiteln 13–17. Das entsprechende Schlüsselwort ist Liebe. Diese drei Kennzeichen, Leben, Licht und Liebe hat der Sohn Gottes greifbar in diese Welt hineingebracht, sie bilden einen großen Gegensatz zu dem, was in der Welt herrscht.
Der Herr Jesus ist aus der Welt des Lebens in die Welt des Todes gekommen, aus der Welt des Lichts in die Welt der Finsternis und aus der Welt der Liebe in die Welt des Hasses. Das Aufeinanderprallen dieser beiden Welten zieht sich durch alle Kapitel hindurch. Immer wieder sehen wir, wie unvereinbar beide Welten sind. Das zeigt sich besonders in der Feindschaft der religiösen Führer.
Diese Feindschaft führt zu einer vollständigen Verwerfung des Herrn Jesus, den der Vater in die Welt gesandt hat. In Kapitel 8 zeigt sich das in der Verwerfung des Wortes des Sohnes, und in Kapitel 9 sieht man das in der Verwerfung seiner Werke. Seine Worte und seine Werke sind die beiden großen Zeugnisse, die seine Herkunft verdeutlichen (Joh 15,22–24).
Während jeder nach Hause geht, geht der Herr Jesus an den Ölberg, um dort die Nacht zu verbringen (Lk 21,37). Der Ölberg ist sozusagen sein Zuhause. Es ist der Ort, wo Er die Gemeinschaft mit seinem Vater sucht. Später wird Er dorthin gehen, um in Gethsemane seinen Vater wegen des Kelches anzuflehen (Lk 22,39). Noch später, nach seiner Auferstehung, wird Er von dort aus zum Vater zurückkehren (Apg 1,9–12). Und wenn Er in der Zukunft aus dem Himmel zurückkommt, wird der Ölberg der Ort sein, wo Er erneut zur Erde herabkommt, aber dann in Macht und Herrlichkeit (Apg 1,11; Sach 14,4).
Nachdem Er die Nacht in Gemeinschaft mit dem Vater verbracht hat, führt der Herr frühmorgens wieder das Werk aus, das Er den Vater hat tun sehen. Er geht erneut in den Tempel. Dort ist Er der Anziehungspunkt für das ganze Volk. Sie kommen zu Ihm, Er setzt sich und gibt Ihnen weitere Belehrungen über den Vater. Sein Dienst gilt unermüdlich dem Volk (Lk 21,37.38).
3 - 6 Eine Ehebrecherin wird zum Herrn gebracht
3 Die Schriftgelehrten und die Pharisäer aber bringen eine Frau zu ihm, im Ehebruch ergriffen, und stellen sie in die Mitte 4 und sagen zu ihm: Lehrer, diese Frau ist im Ehebruch, bei der Tat selbst, ergriffen worden. 5 In dem Gesetz aber hat uns Mose geboten, solche zu steinigen; du nun, was sagst du? 6 Dies aber sagten sie, um ihn zu versuchen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Die Führer bemühen sind unermüdlich, den Herrn Jesus zum Schweigen zu bringen. Sie kommen geradeso wie das Volk zu Ihm, aber nicht, um von Ihm zu lernen, sondern um Ihm einen Fallstrick zu legen. So wie bei anderen Gelegenheiten zeigt sich auch jetzt wieder ihre völlige Blindheit für die Herrlichkeit des Sohnes und seine Allwissenheit. Sie haben eine Frau bei sich und führen sie zu Ihm. Die Frau wurde beim Ehebruch ertappt, und sie wollen, dass Er als Richter auftritt. Johannes erwähnt, dass sie sie in die Mitte stellen. Sie stellen gleichsam die Sünde in die Mitte.
Ihre Verdorbenheit zeigt sich außer in ihrer bösen Absicht auch in der Weise, wie sie die Frau anklagen. Sie sprechen ohne den geringsten Abscheu über die Sünde. Für sie ist es nur „ein Fall“, mit dem sie Christus in Verlegenheit bringen wollen. Sie ersparen Ihm die Mühe, herauszufinden, ob ihre Anklage richtig ist, denn die Frau wurde auf frischer Tat ertappt. Möglicherweise ist ihr Mann nach Hause gekommen, als sie mit einem anderen Mann im Bett lag. Es kann auch sein, dass die Spione der Führer sie angezeigt haben.
Die Ankläger kennen das Gesetz. Sie wissen, was das Gesetz Moses in solchen Fällen sagt (3Mo 20,10; 5Mo 17,7). Sie können den richtigen Artikel des Gesetzes anwenden. Warum wollen sie dann noch Christus fragen? Weil sie zwar die Gnade und Wahrheit in Jesus Christus sehen und hören, sich jedoch weigern, sie anzunehmen, weil sie nicht einsehen wollen, dass sie Sünder sind. Die Reden des Herrn Jesus wollen sie nicht mehr hören, und sein Einfluss auf die Volksmenge ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie wollen Ihn loswerden.
Jetzt meinen sie, sie hätten Ihn mit ihrer Frage in eine Lage gebracht, wo jede Antwort, ganz gleich, wie die lauten würde, ihnen die Gelegenheit gäbe, Ihn als Verführer zu entlarven. Wenn Er sie verurteilte, wäre Er kein Heiland. Verurteilen konnte das Gesetz ja auch. Wenn Er sie freiließe, verachtete und verwarf Er das Gesetz. Der Fallstrick ist schlau überlegt und listig eingefädelt. Doch was bedeutet die Schlauheit des Menschen in der Gegenwart Gottes, der das Herz ergründet?
Der Herr antwortet nicht sofort auf ihren Versuch, Ihn auf die Probe zu stellen. Das tut Er nicht, um etwa Zeit zu gewinnen, sondern weil Er will, dass sie die ganze Tragweite der Situation begreifen. Dadurch würden sie, wenn Er dann antwortet, keinerlei Möglichkeit mehr haben, dem auszuweichen, was Er ihnen vorstellt. Er ist vollkommen Meister der Lage.
Er bückt sich nieder und schreibt mit seinem Finger auf die Erde. Es ist derselbe Finger, der die Gebote auf die Gesetzestafeln schrieb und damit auch das Urteil über Israel (2Mo 31,18). Es ist auch derselbe Finger, der das Urteil über Belsazar an die Wand schrieb (Dan 5,5). In beiden Fällen schrieb der Finger Gottes ‒ denn dieser war es ‒ auf unauslöschliche Weise das unbeugsame Recht auf einen steinernen Untergrund. Was der Herr hier auf die Erde schreibt, wissen wir nicht. Manche haben angenommen, dass Er möglicherweise die Namen derer aufschrieb, die Ihn nicht wollten (Jer 17,13).
In Bezug auf seine gebückte Haltung können wir wohl eine zweifache Anwendung machen. Die Obersten will Er lehren, dass ein solcher Vorfall nur in der rechten Weise behandelt werden kann, wenn man bereit ist, sich in einer demütigen Gesinnung mit solchem Bösen einszumachen. Die Frau will Er lehren, dass Er nicht stehen blieb, um Steine auf sie zu werfen, sondern dass Er sich als der Demütige niederbückte, um ihr zu dienen, indem Er sie von ihrer Sünde überzeugte.
7 - 9 Die Herzen der Ankläger werden offenbar
7 Als sie aber fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst einen Stein auf sie. 8 Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber dies hörten, gingen sie einer nach dem anderen hinaus, anfangend von den Ältesten bis zu den Letzten; und Jesus wurde allein gelassen mit der Frau in der Mitte.
Die hartnäckige Verstocktheit der verdorbenen Verkläger kann sich voll entfalten, da der Herr eine Zeitlang nicht antwortet. Sie fahren fort, Ihn zu fragen, und wollen sein Urteil hören. Dann kommt seine Zeit, wo Er eine Antwort gibt. Er richtet sich auf. Das ist ein eindrucksvolles Ereignis. Wir sehen hier seine Macht und seine Rechte, von denen Er aber jetzt keinen Gebrauch macht. Wenn Gott aufsteht, ist das eindrucksvoll. Mehrere Male lesen wir davon, dass Gott aufsteht, um seine Feinde zu richten (Ps 68,2; Jes 14,22; 33,10).
Ebenso so beeindruckend wie sein Aufstehen sind seine Worte. Er gibt keine juristische Antwort, sondern eine moralische Antwort, die mehr eine Frage ist. Durch diese Antwort wird jeder Anwesende in das Licht Gottes gestellt. In diesem Licht wird jede Sünde offenbar, nicht nur die Sünde des Ehebruchs. Mit seiner Frage richtet Er den Scheinwerfer der Wahrheit auf die Heuchler. Sein Licht scheint und macht jedes Herz offenbar. Er ist der Einzige der Anwesenden, der ohne Sünde ist, und daher auch der Einzige, der einen Stein auf sie werfen könnte. Aber Er tut das nicht, denn es ist nicht die Stunde des Gerichts, sondern der Gnade.
Nachdem Er aufgestanden ist und Recht gesprochen hat, bückt Er sich wieder nieder und schreibt weiter auf die Erde. Er nimmt den untersten Platz ein, obwohl Er der Größte und Herrlichste von allen ist. Damit gibt Er seinen Widersachern erneut Gelegenheit, ihre Schlüsse zu ziehen, jetzt aber, nachdem Er ihnen eine einfühlsame und tiefgreifende Belehrung erteilt hat. Seine Antwort bringt sie in Verlegenheit, während sie doch darauf aus waren, den Herrn in Verlegenheit zu bringen. Das wird durch die Macht seines Wortes bewirkt, das sie in das Licht stellt. Wer kann in seiner Gegenwart bestehen, ohne von seiner Schuld überzeugt zu werden?
Es fällt auf, dass die Ältesten als Erste nach Hause gehen. Sie haben am meisten gesündigt, und das können sie in seiner Gegenwart nicht verbergen. Doch auch die, die weniger schwer oder nicht so viel gesündigt haben, gehen fort. Vor dem, der sie klar durchschaut, können sie ihre bösen Motive nicht aufrechterhalten, Ihn zu versuchen. Sie ziehen allesamt ab. So bleibt niemand übrig als nur der Herr mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 - 11 Der Herr und die Ehebrecherin
10 Als Jesus sich aber aufgerichtet hatte und außer der Frau niemand sah, sprach er zu ihr: Frau, wo sind sie, deine Verkläger? Hat niemand dich verurteilt? 11 Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht; geh hin und sündige nicht mehr!
Wieder richtet der Herr sich auf, doch dieses Mal, um der Frau zwei Fragen zu stellen. Er fragt sie, wo ihre Verkläger sind und ob niemand sie verurteilt hat. Die Frau gibt keine Antwort auf die Frage, wo ihre Verkläger sind. Sie sind zwar alle weggegangen, doch sie ist nicht allein. Sie steht noch vor dem, der alles weiß. Mit einem „Niemand, Herr“, beantwortet sie allerdings die zweite Frage. Das ist das einzige Wort, das wir von der Frau hören, aber es reicht aus, um erkennen zu lassen, dass sie an Ihn glaubt.
Dann spricht der Herr das befreiende Wort, dass auch Er sie nicht verurteilt. Durch die Zufügung: „Geh hin und sündige nicht mehr“, macht der Herr deutlich, dass Er die Sünde nicht leichtnimmt. Er tut nicht so, als habe sie nicht gesündigt. Sie hat eine schwere Sünde begangen, wofür sie zu Recht angeklagt wurde. Sie hat nichts zu ihrer Verteidigung vorgebracht. Das konnte sie auch nicht, denn sie war auf frischer Tat ertappt worden. Der Herr kann sagen, dass Er sie nicht verurteilt, weil Er das Gericht über die Sünde der Frau tragen würde. Sein Auftrag an sie ist, dass sie jetzt ein neues Leben beginnt.
12 - 14 Das Licht der Welt
12 Wiederum nun redete Jesus zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben. 13 Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du zeugst von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr. 14 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr, weil ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe.
Der Herr hat in der Begebenheit mit der Frau gezeigt, dass Er das Licht der Welt ist. Er hat durch sein Wort alle in sein Licht gestellt, und alle sind weggegangen. Doch die Pharisäer sind wieder zurückgekommen. Er richtet nochmals das Wort an sie und spricht über sich selbst als das Licht der Welt (Joh 1,4.5.9). Diese Aussage ist der Schlüssel zum Rest des Kapitels. Er erklärt nun, was das bedeutet.
Er sagt von sich selbst, dass Er das Licht der Welt ist, und das bedeutet, dass seine Herrlichkeit die Grenzen Israels überschreitet. Es ist sogar so, dass seine Verwerfung seitens der Juden für Gott der Anlass ist, Ihn zum Licht der Nationen zu setzen (Jes 49,6). Das bedeutet auch, dass jeder, der Ihm nachfolgt, nicht länger in der Finsternis wandelt, sondern das Licht des Lebens hat. Die Finsternis kann so jemanden nicht mehr ergreifen und stellt keinen Schrecken mehr für ihn dar. Wer Ihm nachfolgt, folgt dem Leben, das Licht ist.
Der Herr Jesus offenbart das Leben, und dieses offenbarte Leben wirft Licht auf alle anderen Arten von Leben. Alle anderen Leben werden als Finsternis offenbar und sind auf dem Weg in die Finsternis. Nur die Nachfolge hinter Ihm her bringt auf den Weg des Lichts und zum Licht. Das Zeugnis des Herrn veranlasst die Pharisäer wieder zu einer feindseligen Äußerung, so wie wir das öfter in diesem Evangelium finden.
Der Herr hat ganz allgemein den Widerspruch der Sünder gegen sich erduldet, aber in ganz besonderer Weise den dieser religiösen Führer (Heb 12,3). Sie empfinden, dass sie an all dem Segen, über den Er spricht, nicht teilhaben, und sie wollen auch nicht daran teilhaben. Sie meinen, dass sie einen Grund haben, sein Zeugnis abzulehnen, denn sie sagen, dass Er von sich selbst zeuge und dass sein Zeugnis deshalb nicht wahr sei.
Wenn wir noch einmal lesen, was der Herr Jesus in Kapitel 5 gesagt hat (Joh 5,31), scheint es so, dass sie diese Bemerkung zu Recht machen. Doch der Hintergrund ist ein anderer. Dort ging es um seine Abhängigkeit vom Vater, und darum sagt Er, dass Er nicht von sich selbst zeuge. Hier geht es um seine eigene Herrlichkeit und seine Beziehung zum Vater. Hier zeugt Er als der Allwissende.
Diese Leute sind völlig unwissend, was den Vater und den Sohn betrifft. Sie denken nicht an den Himmel und sind unfähig, Ihn richtig zu beurteilen. Der Sohn hingegen hat das ständige Bewusstsein der Wahrheit über seine eigene Person und dass Er vom Vater gesandt ist. Sein Zeugnis kann nicht von dem des Vaters getrennt werden.
Sie wissen nicht, woher Er kommt. Zuvor hatte der Herr gesagt, dass sie wüssten, woher Er käme (Joh 7,28). Dort sprach Er davon, dass sie wüssten, dass Er aus Nazareth kam. Doch seine ewige Existenz im Himmel und sein Platz beim Vater sind Ihnen völlig unbekannt.
15 - 20 Sein Zeugnis und das des Vaters
15 Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. 16 Wenn ich aber auch richte, so ist mein Gericht wahr, weil ich nicht allein bin, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. 17 Aber auch in eurem Gesetz steht geschrieben, dass das Zeugnis zweier Menschen wahr ist. 18 Ich bin es, der von mir selbst zeugt, und der Vater, der mich gesandt hat, zeugt von mir. 19 Da sprachen sie zu ihm: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich gekannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater gekannt haben. 20 Diese Worte redete er in der Schatzkammer, als er im Tempel lehrte; und niemand griff ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.
Die Ursache dafür, dass sie seine wahre Herkunft nicht kennen (Joh 7,27), liegt darin, dass sie alles nur auf eine fleischliche, natürliche Weise beurteilen können. Das eigene Ich ist die Quelle ihres Urteils. Dann schaut ein Mensch nicht über seinen Horizont hinaus. Er hat keine Vorstellung von dem, was außerhalb dieses Horizonts liegt. Christus ist über allem, Gott, gepriesen in Ewigkeit (Röm 9,5). Er hat vollkommene Kenntnis aller Dinge und richtet doch niemand, sondern dient allen. Er richtet niemand, weil das nicht der Auftrag ist, mit dem der Vater Ihn in die Welt gesandt hat.
Dass Er niemand richtet, heißt nicht, dass Er dazu nicht der Lage wäre. Er hat über alle Dinge ein vollkommenes, unfehlbares Urteil. Sein Urteil ist vollkommen wahr, ohne die geringste Unsicherheit. Das liegt daran, dass Er nicht allein ist. Er richtet, weil der Vater Ihm das Gericht gegeben hat (Joh 5,22). Dass nicht der Vater richtet, sondern Er, bedeutet nicht, dass Er das Gericht unabhängig vom Vater ausübt. Der Vater, der Ihn gesandt hat, ist vollkommen einig mit dem Gericht, das Er ausübt.
Um seine Worte zu unterstreichen ‒ und dabei knüpft Er an ihre Kenntnis des Gesetzes an ‒, verweist Er wieder auf ihr Gesetz, das Er gegeben hat und auf das sie sich berufen. Darin steht geschrieben, dass ein Zeugnis erst als Wahrheit angenommen werden kann, wenn zwei Menschen dasselbe bezeugen (5Mo 17,6; 19,15). Der Herr entspricht dem, was Er selbst im Gesetz geschrieben hat. Verlangt das Gesetz das Zeugnis von zwei Personen? Gut, dann kann Er sagen, dass Er in seinem Zeugnis über sich selbst in Übereinstimmung mit dem Gesetz spricht. Er und der Vater zeugen in Bezug auf seine Person.
Der Herr weist immer auf den Vater hin als den, der Ihn gesandt hat. Er macht immer wieder deutlich, dass Er als der ewige Sohn vollkommen eins mit dem Vater ist, und auch, dass Er als der Mensch gewordene Sohn auf der Erde in vollkommener Abhängigkeit vom Vater den Vater bezeugt und kundmacht. Der Vater seinerseits zeugt von dem Sohn (Joh 5,37; 1Joh 5,9; Mt 3,17).
Dieses Wort über seinen Vater bewirkt, dass sie Ihn auffordern, zu sagen, wo denn nun sein Vater sei. Um sie zu überzeugen, soll Er ihnen seinen Vater einmal zeigen, allerdings mit dem Unterton, dass Er das natürlich niemals könne. Wer aber blind ist für den Sohn, sieht auch den Vater nicht, denn der Vater wird nur durch den Sohn erkannt (Joh 14,9). Sie begreifen, dass Er über Gott als seinen Vater spricht, aber in ihrem Unglauben und in ihrer Voreingenommenheit verwerfen sie jeden Gedanken daran. Sie betrachten das als Gotteslästerung. Ihre Frage entspringt ihrer Verachtung.
Der Herr antwortet, dass sie weder Ihn noch den Vater kennen und dass das Kennen des Vaters untrennbar damit verbunden ist, Ihn zu kennen. Weil sie Ihn verwerfen, können sie auch den Vater nicht kennen. Der Sohn ist die einzige und ausschließliche Möglichkeit, den Vater zu kennen (1Joh 2,23; 4,15). Ohne Ihn ist das völlig unmöglich.
Diese besonders bemerkenswerten Worte, die so viel über die Herrlichkeit seiner Person aussagen, spricht der Herr in der Schatzkammer. Seine Worte, mit denen Er seine Herrlichkeit für den Glauben enthüllt, können wir mit dem Öffnen einer Schatzkiste oder Schatzkammer vergleichen. Aber nur der Glaube erkennt ihren Wert.
Der Herr lehrt im Tempel, wo die religiösen Führer so tun, als würden sie für die Rechte Gottes einstehen, obwohl sie doch nur ihre eigene Ehre suchen. Seine Belehrung war für sie in höchstem Maß anstößig. Wie gern hätten sie Ihn gegriffen. Doch so groß ihr Hass und ihre Mordgier auch sind, sie sind machtlos, bis zu dem Augenblick gekommen ist, den Gott bestimmt hat.
Das darf auch für uns eine Ermutigung sein. Menschen können uns nichts tun, es sei denn, dass Gott es zulässt, weil es in seine Pläne passt. Unsere Zeiten sind in seiner Hand (Ps 31,16) und nicht in den Händen von Menschen.
21 - 24 Wer nicht glaubt, stirbt in seinen Sünden
21 Er sprach nun wiederum zu ihnen: Ich gehe hin, und ihr werdet mich suchen und werdet in eurer Sünde sterben; wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen. 22 Da sagten die Juden: Er will sich doch nicht selbst töten, dass er spricht: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen? 23 Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von dem, was unten ist, ich bin von dem, was oben ist; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. 24 Daher sagte ich euch, dass ihr in euren Sünden sterben werdet; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben.
Der Herr spricht weiter zu ihnen, ungeachtet ihrer Versuche, Ihn zu greifen. Er weiß, dass sie erst Gelegenheit bekommen, Ihn zu greifen, wenn im Plan des Vaters die Zeit dazu gekommen ist. Dann wird Er sich auch in ihre Hände geben. Jetzt spricht Er noch zu ihnen, um von seinem Vater zu zeugen und ihre Bosheit an den Pranger zu stellen. Er sagt ihnen, dass Er hingeht, zurück zum Vater. Dass dies mittels ihrer bösen Handlungen geschehen wird, ist in diesem Evangelium nicht das Thema. Alle Initiative geht von Ihm aus.
Wenn Er fortgegangen sein wird, werden sie Ihn suchen. Er wird auf eine für sie unerklärliche Weise verschwunden sein. Sie werden Ihn suchen, so wie sie Ihn nach dem Wunder der Brotvermehrung gesucht haben (Joh 6,24), doch ohne Glauben, getrieben von rein menschlichen Motiven. Sie werden Ihn als Messias suchen, diesen jedoch nicht in Ihm finden, weil Er ihren Erwartungen nicht entspricht. Deshalb werden sie in ihrer Sünde sterben, denn außerhalb von Ihm gibt es kein Leben. Ihr Tod wird sie ewig von Ihm scheiden.
Wohin Er geht, dorthin können sie wegen ihres hartnäckigen Unglaubens nicht kommen. Sie werden niemals dahin hinkommen, wenn sie in ihren Sünden sterben. Er geht zum Himmel, zu seinem Vater, ihre Interessen liegen jedoch auf der Erde; sie haben weder Interesse am Himmel noch an seinem Vater.
Erneut spekulieren die Juden darüber, was der Herr wohl gemeint hat, als Er sagte, dass sie nicht dahin kommen könnten, wohin Er gehen würde (Joh 7,34–36). Diesmal äußern sie die Vermutung, dass Er sich möglicherweise selbst töten würde. Die Torheit des Menschen sucht hinter seinen Worten alle möglichen unsinnigen Erklärungen, die alle gleich weit von der Wahrheit entfernt sind. Alle derartigen Erklärungen beweisen die völlige Finsternis seines Denkens. Es steckt kein Funke Wahrheit darin.
Der Herr beantwortet ihre törichte Unterstellung, indem Er auf die Quelle hinweist, aus der heraus sie reden, und auf die Quelle, aus der heraus Er spricht. Sie sind von dem, was unten ist, das heißt: Sie sind hier unten zu Hause und haben nichts mit dem Himmel zu tun. Weil sie von unten sind, gehören sie zu der Welt und denken wie die Welt, sie haben den Charakter der Welt und atmen die Sphäre der Welt. Sie haben weder Anteil an dem, was von oben ist, noch verstehen sie etwas davon. Er ist von oben (Joh 3,31). Er gehört zum Himmel und zum Vater, von woher Er gekommen ist. Er hat keinerlei Verbindung mit der Welt (Joh 17,14).
Wegen der radikalen Trennung, die zwischen ihnen und Ihm besteht, sowohl was die Herkunft als auch den Charakter betrifft, und sie also in keiner Weise an Ihm teilhaben, werden sie in ihren Sünden sterben. Der Glaube an seine Person als der „ICH BIN“ (so steht es hier wörtlich) ist die einzige Möglichkeit, sowohl ihr Los zu verändern als auch das Los jedes Menschen. Der ICH BIN ist der HERR (2Mo 3,14), und das ist Er. Er ist der Sohn Gottes, Gott offenbart im Fleisch. ICH BIN weist auf seine ewige Natur als Sohn Gottes hin. Er ist der wahrhaftige Gott. Diese Aussage lässt keine Vermischung mit etwas anderem zu. Entweder ist jemand für Ihn oder gegen Ihn. Wer an Ihn als den ICH BIN glaubt, hat das Leben. Wer nicht an Ihn glaubt, stirbt in seinen Sünden. Außer Ihm gibt es kein Heil.
25 - 30 Jesus ist durchaus das, was Er redet
25 Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du? Jesus sprach zu ihnen: Durchaus das, was ich auch zu euch rede. 26 Vieles habe ich über euch zu reden und zu richten, aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig; und ich, was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. 27 Sie erkannten nicht, dass er von dem Vater zu ihnen sprach. 28 Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht habt, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und dass ich nichts von mir selbst aus tue, sondern wie der Vater mich gelehrt hat, das rede ich. 29 Und der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue. 30 Als er dies redete, glaubten viele an ihn.
Die Juden reagieren weiterhin mit Gegenfragen, die allesamt ihren Unglauben zeigen. Sie fragen Ihn, wer Er denn wohl sei, der solche – in ihren Augen – anmaßenden Worte spricht. Der Herr geht auch da noch auf ihre Fragen ein und legt mit großer Kraft Zeugnis davon ab, wer Er ist. Für den Glauben offenbaren seine Antworten in zunehmendem Maß seine Herrlichkeit. So auch hier.
Jeder Angriff des Teufels zeigt einerseits die unverbesserliche Bosheit des Menschen, doch andererseits gibt das dem Herrn Jesus Gelegenheit, immer mehr von seiner Herrlichkeit zu zeigen. Es ist wie mit einem Diamanten, dessen Funkeln besser zur Geltung kommt, wenn er auf einen schwarzen Untergrund gelegt wird.
Seine Antwort auf die Frage: „Wer bist du?“, gewährt wieder solch einen wunderbaren Eindruck von seiner Herrlichkeit. Er ist nicht nur der Weg und das Leben, sondern auch die Wahrheit. Er tut nicht nur das, was Er sagt, Er ist das, was Er sagt. Er selbst ist der logos, Er spricht nicht nur über Gott, sondern der, der da spricht, ist Gott selbst. Sein ganzes Reden offenbart sein Inneres und offenbart somit, wer Gott ist. Es ist der Ausdruck seiner vollkommenen Person. Darum hat das niemals ein Mensch gesagt, und das wird auch niemals ein Mensch sagen können. Das kann nur Er sagen.
Alles, was Er sagt, ist vollkommene Wahrheit. Was Er sagt, macht vollkommen deutlich, wer Er selbst ist, wer Gott ist und wer der Mensch für Gott sein müsste. Gut und Böse kann man nur durch Ihn kennen. Und Ihn verwerfen die Juden; damit verlieren sie die Wahrheit. Mit der vollkommenen Kenntnis, die Er von seinen Widersachern hat, könnte Er vieles über sie sagen und sie richten. All sein Reden und Richten würde vollständig ans Licht bringen, wer sie sind. Aber die Zeit des Redens und Richtens kommt noch. Das ist nicht das Ziel, wozu Er in die Welt gekommen ist.
Er ist nun auf die Erde gekommen, vom Vater gesandt, um zu der Welt das zu reden, was Er vom Vater gehört hat. Er kennt Ihn als den Wahrhaftigen und offenbart Ihn als den Wahrhaftigen. Dadurch macht Er alles in seinem wahren Charakter offenbar. Das Ziel, das der Vater damit verfolgt – und mit diesem Ziel ist der Sohn vollkommen eins, und diesem Ziel dient Er – ist, dass Menschen an das Herz des Vaters gebracht werden. Das ist nur durch den Sohn möglich. Der Unglaube ist blind für die wahre Bedeutung seiner Sendung, weil der Unglaube Ihn nicht als den Sohn des Vaters erkennt.
Der Herr weiß, dass sie nicht begreifen, dass Er ihnen das vom Vater aus gesagt hat. Er weist auf eine Zeit hin, in der sie sehr wohl wissen werden, wer Er ist, wenn sie nämlich Ihn, den Sohn des Menschen, ans Kreuz erhöht haben werden. Die Tat, mit der sie seine Verwerfung vollenden, wird in Zukunft die Ursache dafür sein, dass sie Ihn als den ICH BIN erkennen. Wenn der Herr Jesus in Herrlichkeit wiederkommt, wird Ihn jedes Auge sehen, „auch die, die Ihn durchstochen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes“ (Off 1,7; vgl. Sach 12,10–14). Dann werden sie dem Auge in Auge gegenüberstehen, den sie jetzt verwerfen.
Bei dieser Begegnung wird ihre ganze Geschichte blitzartig an Ihnen vorüberziehen. Sie werden einsehen, dass Er früher als der ICH BIN auf die Erde gekommen war, während Er zugleich nichts von sich selbst aus tat, sondern nur das sprach, was der Vater Ihn gelehrt hatte.
Der Herr stellt sich im Geist hinter das Kreuz, als habe sein Werk am Kreuz bereits stattgefunden. Er kann die entsprechenden Ergebnisse hier hervorheben. Das tut Er beispielsweise auch in Kapitel 17 (Joh 17,4). Aber in dem Augenblick, wo der Herr Jesus diese Dinge sagt, steht das Kreuz noch vor Ihm: Das Werk muss noch vollbracht werden. Wenn Er das Werk vollbringen wird, weiß Er, dass der Vater, der Ihn gesandt hat, bei Ihm ist.
Wenn die Obersten sich auch noch so gegen Ihn erheben, wenn die Volksmenge nicht begreift, wer Er ist, und sie Ihn nur aus Eigennutz suchen, und wenn Er von den Juden noch so falsch beurteilt wird ‒ Er weiß, dass der Vater Ihn nicht allein gelassen hat. Er weiß auch, dass der Vater nicht aus Mitleid mit dem Widerstand, dem Er ausgesetzt ist, bei Ihm ist. Der Vater findet seine Freude daran, bei seinem Sohn zu sein, weil sein Sohn allezeit das tut, was Ihm wohlgefällig ist. Der Vater verbindet sich mit großer Freude mit seinem Sohn auf dessen Weg über diese Erde. Diese Freude hat der Vater auch mehrere Male bezeugt (Mt 3,17; 17,5).
Was Er gesagt hat, erreicht auch viele, die Ihm nicht feindlich gesinnt sind. Sie glauben an Ihn. Sie empfinden durch seine Worte, dass Er jemand Besonderes ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass damit immer Bekehrung und Nachfolge verbunden sind. Es ist so wie an anderen Stellen, wo wir davon lesen (Joh 2,23; 7,31). Das sehen wir, wenn Er die Bedingungen für Jüngerschaft nennt.
31 - 36 Wirklich frei sein
31 Jesus sprach nun zu den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wahrhaft meine Jünger; 32 und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. 33 Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommen und sind nie jemandes Knechte gewesen; wie sagst du: Ihr werdet frei werden? 34 Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Knecht. 35 Der Knecht aber bleibt nicht für immer im Haus; der Sohn bleibt für immer. 36 Wenn nun der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein.
Er macht den Juden, die an Ihn glauben deutlich, dass wahre Jünger ihren Glauben dadurch zeigen, dass sie in seinem Wort bleiben. Echter Glaube zeigt sich darin, dass jemand im Wort des Christus bleibt. Das kann nicht in eigener Kraft geschehen. Wer glaubt, bleibt in seinem Wort, ernährt sich davon, hört darauf und gehorcht ihm. Wer nur sagt, dass er glaubt, kann vielleicht für eine Zeit den Schein aufrechterhalten, in seinem Wort zu bleiben, es kommt jedoch der Augenblick, dass sich sein wahres unbekehrtes Wesen zeigt, indem er deutlichen Abstand vom Wort des Herrn nimmt.
Das Bleiben im Wort des Herrn hat zur Folge, dass jemand die Wahrheit erkennt und von jeder Gebundenheit an welche Sünde auch immer frei wird. Die Wahrheit führt nicht zur Sklaverei, so wie das Gesetz es tut, sondern setzt in Freiheit. Das Gesetz macht dem Menschen deutlich, dass er ein Sünder ist. Doch dadurch legt es dem Menschen ein Joch auf, das er nicht tragen kann, und folglich verurteilt es ihn. Die Wahrheit des Wortes Christi macht dem Menschen auch deutlich, dass er ein Sünder ist, aber das Wort zeigt zugleich die Lösung in Christus. Er hat den Fluch und das Gericht, die mit dem Gesetz verbunden sind, für jeden getragen, der an Ihn glaubt (Gal 3,13). Die Wahrheit macht wirklich frei.
Die Juden zeigen wieder ihre völlige Blindheit, indem sie die Worte des Herrn wörtlich verstehen. Sie protestieren dagegen, dass sie freigemacht werden müssen, denn das bedeutet, dass sie Knechte sind. Diesen Gedanken weisen sie weit von sich. Sie denken lediglich an eine äußere Freiheit und behaupten, dass sie als Nachkommen Abrahams nie jemandes Knechte gewesen sind. Haben sie vergessen, dass sie in dem Augenblick, wo sie das sagen, den Römern unterworfen sind? Haben sie auch vergessen, dass sie früher schon öfter heidnischen Herrschern unterworfen waren? Jede Unterwerfung unter Mächte, die Gott über sie brachte, geschah wegen ihrer Sünden.
Doch sie haben sich so sehr daran gewöhnt, dass sie vergessen haben, dass sie in Knechtschaft sind. Noch weniger sind sie sich des Joches der Sünde bewusst, unter dem sie stehen. So verblendet und verhärtet sind sie inzwischen geworden. Dasselbe Denken finden wir bei Christen, die meinen, dass sie durch die Taufe (als Ersatz für die Beschneidung) zu den Nachkommen Abrahams gehören und dadurch automatisch am Segen Abrahams teilhaben.
Die Antwort des Herrn ist unmissverständlich. Er leitet seine Antwort wieder mit einem zweifachen Wahrlich und einem gebietenden Ich sage euch ein. Dann sagt Er, dass jeder Mensch, der in der Sünde lebt, ein Knecht der Sünde ist. Es geht um Menschen, für die das Tun der Sünde charakteristisch ist, nicht um Gläubige, die durch Unaufmerksamkeit in die Sünde fallen (Gal 6,1). Jeder Mensch, der nicht an Ihn glaubt, ist ein Knecht der Sünde.
Die Juden sind nicht nur Knechte der Sünde, sie sind auch unter das Gesetz geknechtet (Gal 4,1–3). Sie sind Juden unter dem Gesetz und als solche sind sie nun Knechte in dem Haus, das ist das Haus Israel. Aber sie werden durch das Gericht, das Gott durch die Römer über sie bringen wird, daraus fortgeführt werden.
Für Knechte gibt es in dem Haus Israels als einem Haus, in dem Gott wohnt, keinen dauerhaften Platz. Der Sohn hat unveräußerliche Rechte. Er gehört in das Haus und wird ewig dort bleiben, so auch alle, die Er freimacht. Er ist nicht einfach Sohn, Er ist der Sohn. Er ist nicht nur als Sohn frei, Er macht auch frei. Er gibt jedem, den Er freimacht, dieselben Kennzeichen der Freiheit wie die Freiheit, die Er als Sohn hat. Er macht frei von Sünde, Tod und Gesetz. Das ist wirkliche Freiheit. Diese Freiheit bekommt nur, wer an den Herrn Jesus glaubt.
37 - 47 Nachkommen Abrahams
37 Ich weiß, dass ihr Abrahams Nachkommen seid; aber ihr sucht mich zu töten, weil mein Wort keinen Raum in euch findet. 38 Ich rede, was ich bei meinem Vater gesehen habe, und ihr nun tut, was ihr von eurem Vater gehört habt. 39 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Abraham ist unser Vater. Jesus spricht zu ihnen: Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, würdet ihr die Werke Abrahams tun; 40 jetzt aber sucht ihr mich zu töten, einen Menschen, der die Wahrheit zu euch geredet hat, die ich von Gott gehört habe; das hat Abraham nicht getan. 41 Ihr tut die Werke eures Vaters. Da sprachen sie zu ihm: Wir sind nicht durch Hurerei geboren; wir haben einen Vater, Gott. 42 Jesus sprach zu ihnen: Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben, denn ich bin von Gott ausgegangen und gekommen; denn ich bin auch nicht von mir selbst aus gekommen, sondern er hat mich gesandt. 43 Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. 44 Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun. Er war ein Menschenmörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit, weil keine Wahrheit in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, so redet er aus seinem Eigenen, denn er ist ein Lügner und ihr Vater. 45 Weil ich aber die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht. 46 Wer von euch überführt mich der Sünde? Wenn ich die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? 47 Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes. Darum hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid.
Sie sagen, dass sie Abrahams Nachkommen sind (Vers 33). Das weiß und anerkennt der Herr auch. Er weiß, dass sie, was ihre leibliche Abstammung betrifft, Nachkommen Abrahams sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie auch den Glauben Abrahams besitzen. Sie zeigen das Gegenteil, denn sie trachten danach, Ihn zu töten. Das liegt daran, dass sein Wort keinen Raum in ihnen findet. Wer sich dem Wort des Herrn verschließt, wird zu einem Mörder des Herrn. Dadurch beweisen sie, dass sie nicht die geistlichen Nachkommen Abrahams sind.
Der Sohn redet das, was Er bei seinem Vater gesehen hat, und seine Worte sind Geist und sind Leben (Joh 6,63). Sie reden ebenfalls das, was sie von ihrem Vater gehört haben. Weiter sagt der Herr, was Er damit meint. Zunächst weist Er darauf hin, dass jeder aus der Quelle redet, mit der er in Verbindung steht, und dass die Worte, die jeder redet, deren Kennzeichen tragen. Doch sie bleiben hartnäckig dabei, dass sie von Abraham abstammen, er ist ihr Vater.
Der Herr sagt ihnen, dass sie, wenn sie echte Kinder Abrahams wären, entsprechend dem Glauben Abrahams handeln und seine Werke tun würden. Ein Kind handelt entsprechend der Natur seines Vaters. Dem Leib nach sind sie zwar seine Nachkommen, doch sie sind keine Kinder, denn sie handeln nicht nach dem Glauben Abrahams, sie haben nicht die Natur des Glaubens Abrahams. Ihr Verhalten zeigt etwas ganz anderes. Abraham glaubte an Ihn, sie hingegen trachten danach, Ihn zu töten. Und warum trachten sie danach? Weil Er die Wahrheit zu ihnen geredet hat, und das auch noch als Mensch.
Der Herr Jesus stellt sich hier in der denkbar niedrigsten Weise vor. Er bittet nicht einmal darum, dass sie an Ihn als den Sohn Gottes glauben, sondern sagt, dass Er ihnen als ein Mensch die Wahrheit gesagt hat. Doch sie verschließen sich der Wahrheit völlig, wie immer sie auch zu ihnen kommt. Das tat Abraham nicht. Abraham hat sich niemals gegen Gott aufgelehnt.
Dann sagt der Herr, dass sie die Werke ihres wirklichen Vaters, ihres geistlichen Vaters, tun. Darauf reagieren sie mit einer Bemerkung, die möglicherweise eine Lästerung in Bezug auf seine Geburt beinhaltet. Wenn sie sagen: „Wir sind nicht durch Hurerei geboren“ (mit der Betonung auf Wir), kann es sein, dass sie damit sagen wollen, dass der Herr wohl durch Hurerei geboren sei. Joseph und Maria waren ja nicht verheiratet, als Er geboren wurde. Noch andere lästerliche Dinge sind im Lauf der Kirchengeschichte über seine übernatürliche Geburt gesagt worden. Auf diese Weise wurden sie jedenfalls nicht geboren. Es kann auch sein, dass sie seine Worte so auffassen, als beschuldige Er sie des Götzendienstes, als hätten sie die Götzen zum Vater und beteten Götzen an, trieben also geistliche Hurerei.
Jedenfalls weisen sie die Anschuldigung des Herrn, sie hätten einen anderen Vater als Gott, völlig von der Hand. Sie haben einen Vater, und das ist Gott. Der Herr bringt immer deutlicher ans Licht, wie sehr sie einer echten Verbindung mit Gott entfremdet sind. Je mehr sie sich dessen rühmen und diese Beziehung für sich beanspruchen, umso mehr offenbaren seine Worte ihren wirklichen Zustand.
Ihr zunehmender Widerstand gibt dem Herrn Gelegenheit, ihre Feindschaft und ihren Hass völlig ans Licht zu bringen. Wenn Gott wirklich ihr Vater wäre, würden sie Ihn, den Sohn, lieben, denn Er ist von Gott ausgegangen und gekommen, und Ihn verwerfen sie. Was für ein deutlicher Beweis ist das, dass Gott nicht ihr Vater ist. Auch sind sie blind für die vollkommene Beziehung zwischen dem Sohn und dem Vater, die an der Einheit des Handelns von Vater und Sohn zu erkennen ist. Der Sohn ist nicht von sich aus gekommen, ohne Absprache mit dem Vater, sondern der Vater hat Ihn gesandt. Es ist unmöglich, Gott als Vater zu kennen und zugleich den Sohn zu verwerfen.
Was der Herr in Vers 42 sagt, ist auch eine deutliche Aussage bezüglich der sogenannten Vaterschaft Gottes als Vater aller Menschen. Gott ist nicht der Vater aller Menschen, sondern Er ist nur der Vater derer, die den Sohn kennen und lieben.
Die Widersacher des Herrn verstehen seine Rede nicht, weil sie geistlich für die Worte, die Er sagt, taub sind. Er spricht in ihrer Muttersprache, aber sie begreifen die Bedeutung der Worte nicht, die Er gebraucht, um seine Gedanken, die auch die Gedanken Gottes sind, wiederzugeben. Sein Wort ist die Offenbarung seiner Person und zeigt, wer Er ist. Doch sie sind sowohl blind als auch taub. Alles, was Er sagt, offenbart, wer Er ist. Sie verschließen sich Ihm jedoch, und deshalb verstehen sie seine Sprache nicht.
Dann sagt der Herr Jesus ganz klar, dass der Teufel ihr Vater ist. Sie sind aus ihm hervorgekommen. Als echte Kinder dieses Vaters tun sie die Begierden dieses Vaters. Als Kinder des Teufels offenbaren sie dessen Charakterzüge. Die Begierden des Teufels entsprechen dem Wesen des Teufels. Der Teufel hat drei Kennzeichen: Mord und Verderben, wobei das Verderben zwei Aspekte hat, nämlich Begierde und Lüge. Seine Kinder, die hier vor dem Herrn Jesus stehen, offenbaren diese Kennzeichen. Sie wollen Ihn ermorden, weil sie von ihren eigenen Begierden getrieben werden, und sie gebrauchen Lügen als Waffe, um sich seiner zu entledigen.
Dem Teufel ist das Leben nicht nur fremd, er hat kein Leben, und er ist auch darauf aus, jedem Menschen das Leben zu nehmen. Das ist sein Charakter von Anbeginn seines Bestehens als Teufel. Er sucht jeden Menschen zu ermorden. Zugleich ist ihm die Wahrheit völlig fremd, er steht völlig außen vor. In Ihm ist überhaupt keine Wahrheit. Sein Wesen ist es, zu lügen. Er kann nichts als lügen. Wenn er etwas behauptet, was nach Wahrheit aussieht, kommt es doch aus der Lüge hervor und nicht aus Gott und hat zum Ziel, Lüge zu verbreiten. Er ist der Ursprung der Lüge.
Die Menschen, zu denen der Herr hier spricht, haben den Teufel zum Vater. Die Juden glauben lieber der Lüge als der Wahrheit. Das tun übrigens alle Menschen lieber. Der Herr spricht nicht so sehr von einer Entscheidung für die Lüge, weil sie die Wahrheit nicht glauben wollen, obwohl das auch zutrifft. Er sagt, dass sie Ihm nicht glauben, weil Er die Wahrheit spricht.
Alles, was Er sagt, ist Wahrheit und vollkommen frei von jeder Lüge. Indem Er die Wahrheit spricht, macht Er sie als Kinder des Teufels offenbar. Seine Worte der Wahrheit stehen in völligem Gegensatz zu ihrem Lügenreden und dem Tun der Begierden ihres Vaters, des Teufels.
Nur Er allein kann ohne jede Übertreibung sagen: „Wer von euch überführt mich der Sünde?“ Niemals hat auch nur ein einziger Mensch das sagen können, ob es sich nun um den größten Sünder oder den größten Apostel handelt. Hier stehen sich zwei Welten gegenüber. Er spricht die Wahrheit, Er kann nicht anders, denn in Ihm ist keine Sünde (1Joh 3,5). Warum glauben sie dann nicht? Der Herr gibt selbst die Antwort. Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes, die Er spricht. Sie hören nicht, weil sie nicht aus Gott sind.
48 - 55 Der Vater verherrlicht den Sohn
48 Die Juden antworteten und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht zu Recht, dass du ein Samariter bist und einen Dämon hast? 49 Jesus antwortete: Ich habe keinen Dämon, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich. 50 Ich aber suche nicht meine Ehre; da ist einer, der sie sucht und der richtet. 51 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn jemand mein Wort bewahrt, so wird er den Tod nicht sehen in Ewigkeit. 52 Da sprachen die Juden zu ihm: Jetzt erkennen wir, dass du einen Dämon hast. Abraham ist gestorben, und die Propheten, und du sagst: Wenn jemand mein Wort bewahrt, so wird er den Tod nicht schmecken in Ewigkeit. 53 Bist du etwa größer als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? 54 Jesus antwortete: Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts; mein Vater ist es, der mich ehrt, von dem ihr sagt: Er ist unser Gott. 55 Und ihr habt ihn nicht erkannt, ich aber kenne ihn; und wenn ich sagte: Ich kenne ihn nicht, würde ich euch gleich sein – ein Lügner. Aber ich kenne ihn, und ich bewahre sein Wort.
Die Juden wagen es, die größte Gotteslästerung auszusprechen: dass Er einen Dämon habe. Das tun sie, weil der Herr Jesus sie nicht als aus Gott anerkennt, als das Volk Gottes. Das ist für sie die größte Beleidigung. Ihre Reaktion ist außerordentlich heftig, wie das immer der Fall ist, wenn einem Menschen die Falschheit seiner Religion vor Augen gehalten wird, einer Religion, die ihm Bedeutung verleiht. Wir brauchen nichts anderes zu erwarten. Es ergeht dem Jünger wie dem Meister.
Wie bewundernswert ist die Reaktion des Herrn auf solch eine grobe Beleidigung. Das ist ein Vorbild für uns, wie wir reagieren können, wenn uns solche Dinge zugeschrieben werden. Der Herr antwortet ruhig, dass Er keinen Dämon habe, sondern dass Er den Vater ehre und deswegen von ihnen geschmäht werde. Er verteidigt sich nicht, sondern übergibt alles dem Vater. Er ist damit zufrieden, zu dienen, und ist bereit und in der Lage, zu retten.
Diese Haltung macht deutlich, dass Er nicht seine eigene Ehre sucht, sondern die Ehre des Vaters. Weil Er das tut, weiß Er, dass der Vater wiederum seine Ehre sucht und zu seiner Zeit sein Urteil über seinen Sohn offenbaren wird. Wie völlig anders wird jenes Urteil über Ihn sein als das Urteil, das seine Widersacher jetzt über Ihn aussprechen. Im Blick auf diese Zeit versichert der Herr noch einmal deutlich, dass der, der sein Wort bewahrt, den Tod in Ewigkeit nicht sehen wird.
Die wichtige Bedeutung dieser Aussage leitet der Herr wieder ein mit dem doppelten und dadurch nachdrücklichen Wahrlich, gefolgt von dem gebietenden Ich sage euch. Mit Nachdruck stellt Er die Größe des Segens vor, den der empfängt, der an Ihn glaubt. Er stellt diesen Segen der Finsternis und dem Tod gegenüber, die das Teil seiner Widersacher sind.
Aber auch diese besondere Zusicherung ist für die Juden nichts anderes als eine Bestätigung ihrer Vorurteile. Sie sind nun einmal völlig davon überzeugt, dass Er einen Dämon hat. Wie kann Er sagen: „So wird er den Tod nicht sehen in Ewigkeit“? Und das, wo doch all die großen Männer früherer Generationen gestorben sind, wie Abraham und alle Propheten? Wie könnte sein Wort jemanden vor dem Tod bewahren?
Was Er nun gesagt hat, ist in ihren Augen die Spitze der Anmaßung. Bildet Er sich ein, größer als Abraham zu sein? Das jedenfalls meinen sie aus seinen Worten schließen zu müssen. Ihre Schlussfolgerung ist richtig, aber in ihrem blinden Unglauben legen sie diese Schlussfolgerung falsch aus. Sie weisen auf den Tod Abrahams und der Propheten hin und meinen, damit einen unwiderlegbaren Beweis dafür geliefert zu haben, dass Er sich nun in Widersprüche verwickelt hat. Sie stellen Ihm die herausfordernde Frage, die voller Unglauben ist: „Was machst du aus dir selbst“?
Der Herr fährt fort zu antworten. Es geht Ihm nicht darum, sie überzeugen zu wollen, denn sie wollen sich nicht überzeugen lassen. Es geht Ihm darum, dass er Zeugnis über seinen Vater ablegt und davon, wie der Vater alles beurteilt. Das Urteil von Menschen hat für Ihn nicht die geringste Bedeutung. Ob sie Ihn nun zum König machen oder Ihn ermorden wollen, ist für Ihn nicht wichtig. Er sucht in keinerlei Hinsicht, sich selbst zu verherrlichen. Es geht Ihm allein um das Urteil des Vaters.
Er weiß, dass der Vater Freude daran hat, wie Er von Ihm zeugt, und dass der Vater Ihn dafür verherrlicht. Er, den sie ihren Gott nennen, zu dem sie aber keine lebendige Verbindung haben, ist es, der die Ehre des Sohnes sucht. Sie können von Gott dann zwar sagen: Unser Gott, aber sie kennen Ihn nicht. Er aber kennt Ihn, weil Er von Ihm gekommen ist.
Der Herr passt sich ihrem Sprachgebrauch an, als Er die Möglichkeit nennt, dass Er, wenn Er sagen würde, Ihn nicht zu kennen, ihnen gleich wäre: ein Lügner. Für Ihn gilt das Gegenteil von dem, was für sie gilt. Sie geben vor, Gott zu kennen, und sie lügen. Er würde lügen, wenn Er sagen würde, Gott nicht zu kennen. Entweder ist das eine oder das andere wahr. Wenn wir Gott kennen und trotzdem sagen, dass wir Ihn nicht kennen, sind auch wir Lügner. Dass der Herr Ihn kennt, zeigt dich daran, dass Er sein Wort bewahrt. Auch für uns gilt, wenn wir sagen, den Vater zu kennen, dass das nur am Bewahren seines Wortes erkannt wird.
56 - 59 Ehe Abraham wurde, bin ich
56 Abraham, euer Vater, frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich. 57 Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen? 58 Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich. 59 Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und ging aus dem Tempel hinaus.
Dann gibt der Herr im Nachhinein eine Antwort auf die Frage, ob Er etwa größer sei als Abraham. Er sagt: „Abraham, euer Vater“, weil sie sich rühmten, von ihm abzustammen. Aber wie ganz anders hat Abraham auf Ihn reagiert als sie es nun tun. Abraham freute sich über das, was er von dem Herrn Jesus gesehen hat. Das hat er natürlich im Glauben gesehen und nicht so, wie die Juden Ihn jetzt sahen. Dieses Sehen war deshalb nicht weniger wirklich.
Abraham hat im Glauben den Tag des Herrn Jesus gesehen. Bei welcher Gelegenheit oder welchen Gelegenheiten das war, sagt der Herr nicht, doch wir kennen einige Begebenheiten aus dem Leben Abrahams auf die Er anspielen könnte. Wir wissen, dass Abraham einen so großen Glauben an Gott hatte, dass er an Ihn als den Gott der Auferstehung glaubte. Wir lesen von der Freude Abrahams (Isaak bedeutet „lachen“), als Isaak aus dem erstorbenen Mutterleib Saras geboren wurde (1Mo 21,3.6; Röm 4,19), wodurch der Sohn der Verheißung gleichsam aus dem Tod zum Leben gebracht wurde. In diesem Lachen hat er über das Kind in seinen Armen hinaus den Sohn gesehen, in dem die Verheißungen Gottes alle Ja und Amen sind.
Eine andere Freude, die Abraham zweifellos geschmeckt hat, war die Freude, als Gott ihm Isaak gleichsam aus dem Tod zurückgab, nachdem er ihn auf den Altar gelegt hatte (1Mo 22,12; Heb 11,19). Auch diese Freude gab einen Vorgeschmack von der Auferstehung des Sohnes aus den Toten. Und hat Abraham nicht im Glauben die Stadt erwartet, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist (Heb 11,10)?
„Mein Tag“ ist die Erscheinung Christi in Herrlichkeit, die Abraham im Glauben voraussah, und dieser Tag freute ihn. Abraham hat den Tag der Offenbarung des Sohnes in der Welt und die Errichtung seines Reiches im Glauben vorausgesehen.
Das alles übersteigt bei weitem das Fassungsvermögen der Juden. Sie begreifen nichts davon. Sie verstehen alles in begrenztem, wörtlichem Sinn, weil sie keinen Glauben haben. Sie reagieren mit der höhnischen Bemerkung, wie Er, den sie auf noch nicht fünfzig Jahre schätzen, Abraham gesehen haben konnte, der viele Jahrhunderte zuvor gelebt hat? Diese Schätzung des Lebensalters des Herrn kann übrigens auch bedeuten, dass Er älter aussah, als Er war. Er war 32 oder 33 Jahre alt, aber das viele Leid, mit dem Er in Berührung gekommen war, wird Ihn gezeichnet haben. Das zeigt, dass Er, der wahrhaft und ewig Gott, der Sohn ist, auch wahrhaft Mensch ist.
Seine Antwort enthält wieder einen großartigen Hinweis auf seine herrliche, ewige und göttliche Person. Er sagt nicht: „Ehe Abraham wurde, war ich“, sondern „bin ich“. „Ehe Abraham wurde“ bedeutet: bevor Abraham geboren wurde. Wenn der Herr sagt „bin ich“ sagt, ist das wieder eine Andeutung seiner ewigen Gottheit als der ICH BIN, der ewig Seiende, der immer Existierende. Abraham hatte einen Anfang. Der Herr Jesus, Gott der Sohn, hat keinen Anfang. Alles hat durch Ihn einen Anfang.
Nun ist das Maß für die Juden voll, und das Gespräch endet. Sie sind jetzt so wütend, dass sie sich nicht länger beherrschen können. Sie haben keine Worte mehr, sondern nur noch Aggression, die sich darin äußert, dass sie Steine aufheben, um sie auf Ihn zu werfen. Doch der Herr verbirgt sich vor ihnen und geht zum Tempel hinaus.
Diese Reihenfolge ist bemerkenswert. Hier steht nicht, dass Er aus dem Tempel flieht und sich dann verbirgt. Der Herr strahlt Ruhe aus. Man kann auch nicht annehmen, dass der Herr sich in der einen oder anderen Ecke des Tempels verbarg. Es ist naheliegender, dass Er sich für seine Widersacher unsichtbar machte oder sie mit Blindheit schlug (vgl. 1Mo 19,11; 2Kön 6,18). Auch früher hat der Herr schon einmal durch den Gebrauch seiner göttlichen Macht seine Widersacher gehindert, Ihn zu töten (Lk 4,29.30). So entzieht Er sich seinen Feinden, um weiter den Weg zu gehen, den der Vater Ihm zeigte.