1 - 2 Der Hirte der Schafe
1 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe eingeht, sondern woanders hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. 2 Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe.
Dieses Kapitel schließt nahtlos an das vorhergehende an. Den Blindgeborenen, den der Herr geheilt hat und der dadurch sehen konnte, haben die Führer des Volkes hinausgeworfen. In dem Kapitel, das wir nun vor uns haben, werden wir sehen, was das bedeutet und was die Folgen sind. Der Herr Jesus setzt hier seine Darlegungen an die Pharisäer fort, womit Er in Kapitel 9,39 begonnen hat. Sie haben sich, indem sie den Blindgeborenen hinauswarfen, als von Gott berufene Leiter disqualifiziert. Der Herr zeigt ihnen anhand des Bildes vom Hof mit den Schafen die Konsequenzen dieses Hinauswurfs. Er ist die Tür des Hofes, und Er ist der Hirte der Schafe.
Er leitet seine wichtige Belehrung dazu wieder mit einem zweimaligen und damit nachdrücklichen Wahrlich und dem gebietenden Ich sage euch ein. Er stellt beschreibt zunächst die Situation, in der sich Israel und die falschen Führer befinden. Der Hof ist das religiöse System, das Mose aufgerichtet hat. Ein Hof erinnert an einen eingezäunten Bereich, in dem die Schafe sich sicher aufhalten können. Das Gesetz Moses diente als eine Umzäunung, durch die die Juden von den Heiden getrennt waren (Eph 2,14).
Der Hof hatte eine Öffnung, eine Tür, durch die man hineingehen konnte. Die Tür symbolisiert die von Gott gegebene rechte Art und Weise, in den Hof Israels hineinzugehen, um für das Volk, das als seine Herde gesehen wird, ein Hirte zu sein (Jes 40,11). Aber es gibt Menschen, die auf andere Weise als durch die Tür in den Hof hineingegangen sind. Sie sind an einer anderen Stelle hineingeklettert. Das sind die Diebe und die Räuber, die sich am Volk Gottes gütlich tun. Es sind Menschen, die sich Autorität über das Volk Gottes anmaßen, die Gott ihnen nicht gegeben hat. Dabei können wir an Menschen wie Theudas und Judas denken (Apg 5,36.37). Es sind Menschen, die sich selbst zu Führern aufwerfen, sich jedoch als Verführer entpuppen. Darunter können wir auch die Pharisäer und andere religiöse Personen einordnen, die die Führung des Volkes Gottes beanspruchen.
Der Herr warnt vor solchen Leuten und sagt, dass sie Wölfe in Schafskleidern sind (Mt 7,15). Sie weiden sich selbst anstelle der Schafe (Hes 34,2). Der Hirte, den Gott gegebenen hat, geht durch die Tür hinein. Gott hat durch die Propheten vorausgesagt, auf welche Weise der Messias als Hirte hineinkommt. So würde Er von einer Jungfrau und in Bethlehem geboren werden (Jes 7,14; Mich 5,1). Das trifft auf den Herrn Jesus zu. Er bestätigt auch durch seine Werke das, was, Gott über den Messias gesagt hat. Er würde Blinde sehend und Taube hörend machen (Jes 35,5.6). Gott hat auch vom Himmel aus sein Zeugnis über Ihn gegeben, als Er auf Ihn als seinen geliebten Sohn hinwies (Mt 3,17).
Er ist durch die Tür hineingegangen. Das bedeutet, dass Er die Prüfungen aller Prophezeiungen des Alten Testaments bestanden hat. Dadurch ist bewiesen, dass Er alle diese Prophezeiungen erfüllt hat, und es ist deutlich geworden, dass Er der Hirte ist, den Gott seinem Volk gegeben hat. Ganz praktisch ist Er durch die Tür hineingegangen, als Er sich von Johannes taufen ließ. Dadurch stellte Er sich auf die Seite derer, die mit dem Bekenntnis ihrer Sünden als ein reuevoller Überrest ihren Platz vor Gott einnahmen. Mit ihnen machte Er sich eins. Für sie ist Er der Hirte, den Gott seinem Volk gab.
Der Herr spricht hier über einen Hirten und bezieht sich damit auf eine aus dem Alten Testament bekannte Bildersprache (Ps 23,1; Ps 80:2; Sach 11,11). In Hesekiel 34 geht es vor allem um die falschen Hirten. Im Gegensatz dazu spricht Er von sich selbst als dem guten Hirten (Vers 11). In Verbindung damit spricht Er davon, dass Er Leben für die Schafe gibt. Er ist auch der große Hirte der Schafe (Heb 13,20) und der Erzhirte (1Pet 5,4). Wir können sagen, dass Er sich in der Vergangenheit als der gute Hirte erwiesen hat, als Er sein Leben gab. Wir sehen auch, dass Er in der gegenwärtigen Zeit der große Hirte ist, der für seine Schafe sorgt. Was die Zukunft betrifft, so sehen wir Ihn als den Erzhirten, der erscheinen wird und denen Lohn austeilen wird, die Ihm in der gegenwärtigen Zeit nachgefolgt sind und für seine Schafe gesorgt haben.
3 - 5 Der Hirte und die Schafe
3 Diesem öffnet der Türhüter, und die Schafe hören seine Stimme, und er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus. 4 Wenn er seine eigenen Schafe alle herausgeführt hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. 5 Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen.
Gott als der Türhüter hat Ihm geöffnet, weil Er Ihn als seinen Hirten anerkannt hat. Wenn der Hirte im Hof ist, spricht Er zu allen Schafen. Er ist in das Seine gekommen, aber die Seinen haben Ihn nicht angenommen (Joh 1,11). Sie hören seine Stimme, aber sie hören nicht darauf. Und doch gibt es unter all diesen Schafen Israels Schafe, die wohl auf Ihn hören. Diese werden im Unterschied zur Gesamtheit der Schafe „seine eigenen Schafe“ genannt. Der geheilte Blindgeborene im vorigen Kapitel ist eins von „seinen eigenen Schafen“. Es besteht also ein Unterschied zwischen „den Schafen“ und „seinen eigenen Schafen“.
Dann lesen wir etwas Bemerkenswertes, was wir nicht erwartet hätten und was auch seine Jünger nicht erwartet haben. Er kommt hinein, nicht um den Hof zu verbessern, auch nicht, um alle Schafe hinauszuführen, sondern um „seine eigenen Schafe“ aus dem jüdischen Hof zu holen und sie nach draußen, außerhalb des jüdischen Hofes, zu führen. So trennt Er die Schafe voneinander: einerseits die, die Ihn nicht kennen, und andererseits die, die Ihn wohl kennen. Dieser Unterschied und diese Trennung sind jetzt nötig geworden, weil Israel als Volk Ihn verworfen hat.
Nachdem der Herr Jesus diesen Unterschied gemacht hat, beschäftigt Er sich nur noch mit seinen eigenen Schafen, die für sein Herz überaus wertvoll sind. Er liebt jedes seiner eigenen Schafe ganz persönlich. Gott gibt Ihm den Auftrag, diese Schafe zu weiden, von denen Er sagt, dass sie die Elenden der Herde sind (Sach 11,4.7). In der Erfüllung dieses Auftrags holt der Hirte diese elenden Schafe aus dem Hof Israels heraus, um sie zu etwas Neuem zu machen. In der Apostelgeschichte sehen wir, wie das geschieht (Apg 2,40.41). Im weiteren Verlauf unseres Kapitels (Vers 16) geht der Herr näher darauf ein.
Die Schafe, die Er herausführt, ruft Er mit Namen. So nennt Er die Namen von Simon (Joh 1,42), von Lazarus (Joh 11,43), von Philippus (Joh 14,9) und von Maria (Joh 20,16). Er kennt jedes seiner Schafe persönlich, Er hat zu jedem Schaf eine persönliche Beziehung.
Ein weiterer Aspekt des Herausführens aus dem jüdischen Hof ist, dass es für den Judaismus Gericht bedeutet. Zu denen, die nicht zu seinen eigenen Schafen gehören und die später zu Ihm sagen werden, dass sie doch seine Schafe wären, wird Er sagen, dass Er sie nie gekannt hat (Mt 7,23).
Nicht alle seine eigenen Schafe folgen Ihm gleich willig. Manchmal müssen sie gedrängt werden. Um sie hinauszuführen, muss Er sie manchmal hinaustreiben. Dazu gebraucht der Herr die Feindschaft der falschen Führer, so wie wir das bei dem Blindgeborenen gesehen haben.
Der Hirte führt sie in die Freiheit hinaus und nicht in einen neuen Hof. Auf dem Weg in die Freiheit geht Er vor den Schafen her und sie folgen Ihm, weil sie eine persönliche Beziehung zu dem Hirten haben. Auch kennen sie seine Stimme, die ihnen das Vertrauen gibt, dass sie der richtigen Person folgen. So wie Er ausschließlich mit seinen eigenen Schafen beschäftigt ist, kennen sie ausschließlich seine Stimme und keine andere.
Schafe sind folgsame Tiere, aber nur bei dem eigenen Hirten, dessen Stimme sie kennen. Diese eine Stimme erkennen sie. Alle anderen Stimmen kennen sie nicht. Ruft sie eine andere Stimme, werden sie fliehen, und das, weil es eine unbekannte Stimme ist und nicht die vertraute Stimme des Hirten. Die Stimme offenbart, wer spricht. Wenn es nicht die Stimme des guten Hirten ist, ist es die Stimme eines Fremden. Was für eine andere Stimme es auch sein mag, es genügt zu wissen, dass es nicht die Stimme des Hirten ist. Die Stimme des guten Hirten gibt Vertrauen. Vor jeder anderen Stimme nehmen sie Reißaus.
6 Bildersprache
6 Dieses Gleichnis sprach Jesus zu ihnen; sie aber verstanden nicht, was es war, das er zu ihnen redete.
Die Pharisäer sind wie immer blind und begreifen nichts von alledem. Sie wollen es auch nicht begreifen, denn sie hassen Ihn. Was Er zu ihnen sagt, verstehen sie nicht, weil sie Ihn nicht kennen. Was Er sagt, das ist Er. Weil sie Ihn nicht kennen wollen, bleiben sie blind im Blick auf die Bedeutung dessen, was Er sagt. Würden sie Ihn kennen, würden sie auch seine Worte verstehen.
Das ist der Fehler vieler, die einen Titel in der Theologie haben. Solche Menschen glauben, sie könnten sehen, doch sie sind blind, weil sie Ihm nicht die Ehre geben, die Ihm gebührt. Der Herr benutzt Bildersprache oder spricht in Gleichnissen, um die eigentliche Bedeutung vor dem Unglauben zu verbergen, während die wahren Jünger die Bedeutung wohl verstehen dürfen (Mt 13,13–15).
7 - 9 Ich bin die Tür
7 Jesus sprach nun wiederum zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür der Schafe. 8 Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe hörten nicht auf sie. 9 Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.
Der Herr fährt mit seiner Bildsprache fort und fügt noch eine Erklärung hinzu. So wie Er die Bildsprache mit einem doppelten und dadurch nachdrücklichen Wahrlich einleitete, gefolgt von dem gebietenden Ich sage euch (Vers 1), so leitet Er auch das Folgende damit ein. Er bezeichnet sich selbst als die Tür. Er ist nicht die Tür Israels, sondern die Tür der Schafe. Es gibt keine andere Tür, keine andere Möglichkeit für die Schafe, den Ort des Segens zu betreten. Dieser Segen ist der Segen, der im Christentum gefunden wird und der auf einer völlig anderen Grundlage beruht als alles, was mit dem Judentum verbunden ist.
Der Herr spricht über die vielen, die sich selbst unter dem Volk eine Stellung angemaßt haben. Diese Personen sind Diebe und Räuber. Sie haben das Volk bestohlen, und sie haben vor allem Gott bestohlen, indem sie auf Kosten seines Volkes nur ihren eigenen Interessen nachgejagt sind. Die Schafe haben nicht auf sie gehört, das bedeutet, dass keine Beziehung des Vertrauens zwischen den Schafen und ihnen besteht.
Ab Vers 7 spricht der Herr über die Schafe, die bereits herausgeführt sind, seine eigenen Schafe. In Vers 9 stellt Er sich selbst noch einmal als die Tür vor, nun allerdings nicht mehr im Blick auf die Schafe, sondern im Blick auf die Segnungen, die jedes Schaf – das ist jeder Mensch (Hes 34,31) – bekommt, das durch Ihn in den Bereich des Segens hineingeht. Die Segnungen sind dreifach:
1. errettet werden
2. ein- und ausgehen und
3. Weide finden.
Der erste Segen ist errettet werden. Das dazu erforderliche Werk, sein Tod und seine Auferstehung, musste zwar erst noch stattfinden, doch der Herr deutet schon auf das Ergebnis des Werkes hin. Ein- und ausgehen sind Ausdrücke für Freiheit (Apg 9,28). Im Judentum gibt es keinen freien Zugang zu Gott. Die Juden dürfen auch nicht frei zu den Völkern hinauszugehen, um ihnen von Gott zu erzählen. Jetzt gibt es für beide Aktivitäten Freimütigkeit (Heb 10,19; Apg 8,4). Der dritte Segen ist: Weide finden. Damit ist die geistliche Speise gemeint, die der gute Hirte ihnen gibt. Das steht im Gegensatz zu den falschen Hirten, die nur sich selbst Gutes tun, sich selbst weiden und das Übrige zertreten (Hes 34,18).
10 - 15 Ich bin der gute Hirte
10 Der Dieb kommt nur, um zu stehlen und zu schlachten und zu verderben. Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben. 11 Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber und der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf raubt sie und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht, 13 weil er ein Mietling ist und sich nicht um die Schafe kümmert. 14 Ich bin der gute Hirte; und ich kenne die Meinen und bin gekannt von den Meinen, 15 wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne; und ich lasse mein Leben für die Schafe.
Der Herr macht auf den großen Gegensatz zwischen dem Dieb und dem guten Hirten aufmerksam. Ein Dieb kommt heimlich und unerwartet und ohne jegliches Mitleid. Er beutet die Schafe aus, und nicht nur das. Er kommt nicht nur, um zu stehlen, sondern auch um zu schlachten, also zu töten, und will sogar jede Spur seiner Bosheit verwischen, indem er alles verdirbt. Er gibt nichts, sondern nimmt alles, bis hin zum Leben und auch noch dessen Resten.
Wie völlig anders ist der Herr Jesus. Er ist nicht gekommen, um etwas zu nehmen, sondern um etwas zu geben, und zwar Leben, und das in Überfluss. Er gibt das Leben in seiner reichsten und überfliesenden Form, das ist das ewige Leben. Um das geben zu können, hat Er nicht nur sein Leben in die Waagschale gelegt, sein Leben riskiert, sondern Er hat es tatsächlich gegeben. Das ist der Beweis, dass Er der gute Hirte ist.
Das Gute an diesem Hirten ist nicht, dass Er seine Schafe herausführt und ihnen ewiges Leben gibt, sondern dass Er für sie sein Leben in den Tod gibt. Die herrliche Folge davon ist, dass Er seine Schafe herausführt und ihnen ewiges Leben gibt. Seine Schafe sind Ihm so wertvoll, dass Er, um ihnen Leben in Überfluss geben zu können, für sie in den Tod gehen wollte. In der Hingabe seines Lebens handelt Er hier selbst völlig freiwillig. Sie ist der größte Beweis seiner Liebe zu den Schafen. So lässt Er seine Jünger in Freiheit gehen, als sie kommen, um Ihn gefangen zu nehmen (Joh 18,8).
Welch einen Gegensatz bildet dieses Handeln zum Handeln eines Mietlings. Der Mietling zeigt einen anderen Aspekt eines falschen Hirten, außer dem, was der Herr zuvor über die Diebe und Räuber gesagt hat. Der Mietling braucht nicht unbedingt böse zu sein wie der Dieb oder der Räuber. Sein Interesse gilt jedoch nicht in erster Linie den Schafen, sondern dem Geld. Deshalb flieht ein Mietling, sobald Gefahr droht. Er denkt nicht an die Schafe, sie liegen ihm nicht am Herzen. Er sorgt sich nur um sein eigenes Leben. Er hat keinerlei Beziehung zu den Schafen.
Bei dem guten Hirten ist das ganz und gar anders. Der Herr Jesus ist der gute Hirte; Er eine enge Beziehung zu den Schafen. Er kennt sie, sie sind sein, Er widmet ihnen seine Aufmerksamkeit und sorgt für sie. Das gegenseitige Kennen des Hirten und Schafe beruht auf dem engen Band, das zwischen dem Hirten und den Schafen besteht. Dieser Hirte kennt die Bedürfnisse jedes einzelnen Schafes ganz genau. Weil eine Beziehung besteht, kennen die Schafe, die Ihm angehören, Ihn auch. Sie wissen, wer Er ist, der für sie sorgt.
Genauso wie der Vater den Sohn kennt, kennt der Hirte und seine Schafe. Das gegenseitige Kennen des Vaters und des Sohnes ist vollkommen. So ist es auch mit dem Kennen des Herrn Jesus und der Seinen. Der Sohn ist die Freude des Herzens des Vaters. Auf dieselbe Weise sind die Schafe die Freude seines Herzens. Das gegenseitige Kennen basiert darauf, dass die Schafe dasselbe Leben haben wie der gute Hirte. Um das zu ermöglichen, hat der Herr Jesus sein Leben für die Schafe gelassen.
16 Eine Herde, ein Hirte
16 Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Hof sind; auch diese muss ich bringen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein.
Bis jetzt hat der Herr Jesus über Schafe aus Israel gesprochen und dabei unterschieden zwischen Schafen, die keine Beziehung zu Ihm haben, die Ihn also abweisen, und Schafen, die Er seine eigenen Schafe nennt ‒ das ist der gläubige Überrest aus Israel. Nachdem Er nun darüber gesprochen hat, dass Er sein Leben für die Schafe aus Israel lässt, die Ihm angehören – und das ist ja die Voraussetzung für das gegenseitige Kennen –, spricht Er jetzt auch von anderen Schafen. Mit diesen anderen Schafen meint Er die Schafe aus den Nationen.
Sein Tod kann nicht auf die verlorenen Schafe des Hauses Israel beschränkt bleiben. Der Tod des Herrn Jesus hat die große Wertschätzung seines Vaters, und das ist der Anlass dafür, dass eine besondere Herde gebildet wird, deren Hirte Er ist. Diese Herde wird aus seinen eigenen Schafen bestehen, die Er aus dem Hof Israels herausgeführt hat, und aus Schafen, die nicht aus diesem Hof sind. Er steht im Begriff, Schafe hinzuzufügen, die bisher außerhalb des Hofes Israels waren. Das sind, wie gesagt, die Schafe aus den Nationen. Damit deutet der Herr die Berufung einer Gruppe aus den Heiden an. Den entsprechenden Anfang sehen wir in zwei Beispielen im Buch der Apostelgeschichte: in dem Kämmerer aus Äthiopien (Apg 8,27–39) und dem römischen Hauptmann Kornelius und seinen Freunden (Apg 10,24.44–48).
Der Herr bringt alle diese Schafe als eine Herde nicht in einen neuen Hof, wo Er der Hirte wäre. Er macht sie auch nicht zu einer Herde, um sie dann in mehreren Höfen unterzubringen. Das schiene so, als wäre Uneinigkeit etwas Gutes, vielleicht sogar beabsichtigt. Das ist leider genau das, was wir in zahllosen Gruppen und Glaubensgemeinschaften in der Christenheit sehen. Nein, es gibt überhaupt gar keinen Hof mehr.
Das Kennzeichen der Gemeinde, gesehen als eine Herde mit einem Hirten, ist Einheit in Freiheit. Das Judentum hielt die Schafe durch äußere Grenzen zusammen, durch Gesetze und Gebote. Die neue Einheit wird durch die persönliche Ausstrahlung und Anziehungskraft des Hirten zusammengehalten. Das ist das Wesen des Christentums. Dazu war nicht nur der Tod, sondern auch die Auferstehung nötig. Das zeigt uns der folgende Vers.
17 - 18 Das Ablegen und das Wiedernehmen
17 Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme. 18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen. Dieses Gebot habe ich von meinem Vater empfangen.
Der Herr Jesus nennt als Grund für die Liebe des Vaters zu Ihm, dass Er sein Leben lässt. Der Vater liebt den Sohn immer (Joh 3,35). Doch dadurch, dass der Herr sein Leben lässt, gibt Er dem Vater sozusagen einen neuen Anlass, Ihn zu lieben. Nie zuvor hat der Sohn sein Leben gelassen. Jetzt tut Er das. Er tut es zwar für seine Schafe, aber darüber hinaus auch aus Liebe zu seinem Vater, denn dieser hat Ihm das entsprechendes Gebot dazu gegeben.
Dass der Herr Jesus aus Liebe zu seinen Schafen sein Leben lässt, ist ein Ausdruck seiner Liebe zum Vater, und das gibt dem Vater einen zusätzlichen Grund, Ihn zu lieben. Und Er lässt sein Leben nicht nur, Er nimmt es auch wieder. Nur eine göttliche Person kann ihr Leben geben und es wiedernehmen. Er ist als Sohn Gottes in Kraft durch Toten-Auferstehung erwiesen (Röm 1,4).
In anderen Evangelien sagt der Herr seinen Jüngern, was Menschen Ihm antun werden und dass sie Ihn töten werden. In diesem Evangelium sagt Er, dass sowohl sein Tod als auch seine Auferstehung seine eigenen Werke sind. Die Menschen können Ihn nur deshalb so behandeln, weil Er es zulässt, obwohl Er es selbst ist, der sein Leben lässt und es wiedernimmt. Wir sehen hier seine Gottheit. Zugleich sehen wir auch seine Menschheit, denn Er tut beides aufgrund eines Gebotes seines Vaters. Was Er tut, tut Er nicht ohne den Vater, sondern für Ihn.
19 - 21 Erneuter Zwiespalt seinetwegen
19 Wiederum entstand ein Zwiespalt unter den Juden dieser Worte wegen. 20 Viele aber von ihnen sagten: Er hat einen Dämon und ist von Sinnen; warum hört ihr ihn? 21 Andere sagten: Diese Reden sind nicht die eines Besessenen; kann etwa ein Dämon der Blinden Augen auftun?
Die Juden entzweien sich wieder wegen des Herrn, diesmal wegen seiner Worte (Joh 7,43; 9,16). Diese gegenseitige Störung liegt nicht an seinen Worten, sondern an ihrer Geisteshaltung. Christus ist der Prüfstein für jeden, der sein Wort hört. Viele waren damals der Meinung, dass Er wirres Zeug rede, und zwar unter dem Einfluss eines Dämons. Seine erhabenen Worte derart zu klassifizieren, macht wohl klar, wie groß die Entfernung zwischen diesen Zuhörern und Christus ist. Es besteht eine völlige Trennung. Ihre Reaktion macht deutlich, dass sie selbst völlig unter der Macht des Teufels stehen.
Sie kommen nicht nur zu dieser lästerlichen Schlussfolgerung, sie wollen auch allen Umherstehenden verbieten, Ihm weiter zuzuhören. Es gibt auch solche, die in ihrer Abweisung nicht so weit gehen. Sie verstehen seine Worte ebenso wenig, doch sie schreiben sie dennoch nicht einem Dämon zu. Das Wunder der Heilung, wodurch die Augen von Blinden geöffnet wurden, sehen sie einen Beweis, dass Er nicht durch einen Dämon spricht. So etwas tut kein Dämon, das ist ihnen klar.
22 - 26 Wer nicht von seinen Schafen ist, glaubt Ihm nicht
22 Es war aber das Fest der Tempelweihe in Jerusalem; und es war Winter. 23 Und Jesus ging im Tempel, in der Säulenhalle Salomos, umher. 24 Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Bis wann hältst du unsere Seele hin? Wenn du der Christus bist, so sage es uns frei heraus. 25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich in dem Namen meines Vaters tue, diese zeugen von mir; 26 aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen, wie ich euch gesagt habe.
Das Fest der Tempelweihe ist kein Fest, das der HERR seinem Volk irgendwo im Alten Testament aufgetragen hätte. Es ist eine menschliche Anordnung zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels durch Judas Makkabäus im Jahr 164 v. Chr., nachdem Antiochus Epiphanes den Tempel entweiht hatte. Das Fest wurde zwei Monate nach dem Laubhüttenfest gefeiert. Das Laubhüttenfest wurde im Herbst gefeiert, und das Fest der Tempelweihe fiel in den Winter. Dass hier berichtet wird, dass es Winter ist, geschieht nicht, um uns über die aktuelle Jahreszeit zu informieren. Vielmehr ist der Hinweis auf den Winter von symbolischer Bedeutung. Er beschreibt, wie kalt die Herzen des Volkes Gottes waren und insbesondere, die der geistlichen Führer.
Der Herr ist nicht dort, um dieses Fest mitzufeiern. Er unterwirft sich nicht den Traditionen der Menschen. Er geht noch immer frei umher, trotz aller Bemühungen der religiösen Führer, Ihn auszuschalten. Er befindet sich in der Säulenhalle Salomos. Dadurch werden wir an die Blütezeit Israels erinnert und zugleich an die große Weisheit, die Salomo besaß. Doch trotz seiner großen Weisheit hat die Blütezeit nicht lange angedauert. Das lag daran, dass Salomo und das Volk mit ihm, dem HERRN untreu wurde. Doch hier ist jemand, der mehr ist als Salomo und der nicht untreu sein kann.
Während der Herr dort umhergeht, kommen die Juden wieder zu Ihm. Sie umringen Ihn und wollen, dass Er ihnen nun endlich einmal frei heraus sagt, ob Er der Christus sei. Sie tun so, als würde Er sie darüber immer nur im Unklaren lassen, als wäre Er noch nicht deutlich genug gewesen. Sie wollen das aber gar nicht wirklich wissen, sondern sie wollen etwas hören, das sie gegen Ihn verwenden können, um Ihn sowohl bei dem Volk als auch bei den Römern anklagen zu können.
Der Herr erinnert sie einfach daran, dass Er ein überdeutliches Zeugnis gegeben hat, wer Er ist. Wir haben das in den Kapiteln 5, 7 und 8 gehört. Doch sie haben seinen Worten nicht geglaubt. Seine Werke in den Kapiteln 5, 6 und 9 tragen denselben Charakter wie auch seine Worte. Alle seine Werke kommen vom Vater und bezeugen, wer Er ist. Doch auch seinen Werken haben sie nicht geglaubt.
Er sagt unumwunden, dass Ihr Unglaube das große Hindernis ist. Seine Zeugnisse in Worten und Werken sind aussagekräftig genug, doch sie hören und sehen sie nicht. Das liegt daran, dass sie keine Beziehung zu Ihm haben, sie gehören noch zum Hof Israels und nicht zu seinen Schafen. Er spricht nicht nur die Wahrheit über sich selbst, sondern auch über sie. Er sagt ihnen deutlich, wo sie stehen.
27 - 30 Die Sicherheit der Schafe
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. 29 Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben. 30 Ich und der Vater sind eins.
Gegenüber dem Unglauben der Juden, der sie sie hindert, zu seinen Schafen zu gehören, führt der Herr drei Kennzeichen derer an, die Er „meine Schafe“ nennt.
1. Erstes hören sie die Stimme des Hirten. Dieses Hören ist das Erkennen seiner Stimme, wodurch sie bei Ihm bleiben.
2. Das zweite ist nicht, dass sie Ihn kennen, sondern dass Er sie kennt. Dass Er sie kennt, ist mehr, als dass sie Ihn kennen (vgl. Gal 4,9a). Ihre Kenntnis über Ihn ist immer begrenzt, aber seine Kenntnis über sie ist umfassend und in vollkommener Liebe. Er kennt sie mit all ihren Gedanken und Empfindungen, ihren Worten und Wegen, ihren Gefahren und Mühen, ihre Vergangenheit, ihr Heute und ihre Zukunft.
3. Das Dritte ist, dass sie Ihm folgen. Der Glaube ist lebendig und praktisch. Das bedeutet auch, dass Er ihnen vorangeht. Er kennt sie und kennt auch die Umstände, durch die sie hindurchzugehen haben. Das gibt große Gewissheit und Sicherheit.
Er gibt ihnen ewiges Leben, das ist sein Leben, das ist Er selbst als das ewige Leben (1Joh 5,20). Das Leben, das Er gibt, kann nicht verlorengehen. Es kann nicht durch innere Schwachheit beeinträchtigt oder zerstört werden. Auch gibt es keine äußere Macht, die dieses Leben verderben kann, denn welche Macht sollte es geben, die sie aus der Hand dessen rauben kann, dem alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben ist (Mt 28,18)?
Sein Schutz geht noch weiter. Er spricht von der Liebe des Vaters zu ihnen, denn die Schafe sind Ihm vom Vater gegeben. Das bedeutet nicht, dass der Vater sie nicht mehr besitzt, sondern dass Er sie der Fürsorge des Sohnes übergeben hat. Sollte eine Macht denkbar sein, die das, was der Vater dem Sohn gegeben hat und worüber Er noch immer seine schützende Hand ausgebreitet hält, aus dieser mächtigen Hand rauben kann? Er ist größer als jede andere Macht (2Mo 18,11; 2Chr 2,5; Ps 135,5; vgl. 1Joh 4,4).
Der Herr Jesus garantiert die Sicherheit der Schafe in seiner Hand und der des Vaters mit dem Hinweis, dass Er und der Vater eins sind. Beide sind für sich allmächtig, und keine Macht ist imstande, die Seinen aus der Hand des Sohnes oder aus der Hand des Vaters zu rauben. Wenn der Herr dann noch auf die Einheit des Vaters und des Sohnes hinweist, ist das eine überwältigende Sicherheitserklärung.
Indem der Sohn das sagt, ist das der höchste Ausdruck heiliger Liebe und unbegrenzter Macht, von der niemand sprechen konnte als allein Er, der der Sohn ist. Er spricht über die Geheimnisse der Gottheit mit dem inneren Wissen des eingeborenen Sohnes, der im Schoß des Vaters ist. Sie sind eins, nicht als Person, denn sie sind zwei Personen, aber in ihrer göttlichen Natur oder ihrem göttlichen Wesen. Sie, die so eins sind, sind das auch in der Gemeinschaft göttlicher Liebe und dem Schutz für die Schafe.
31 - 36 Die Juden wollen den Herrn steinigen
31 Da hoben die Juden wieder Steine auf, um ihn zu steinigen. 32 Jesus antwortete ihnen: Viele gute Werke habe ich euch von meinem Vater gezeigt; für welches Werk unter diesen steinigt ihr mich? 33 Die Juden antworteten ihm: Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen Lästerung und weil du, der du ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst. 34 Jesus antwortete ihnen: Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter“? 35 Wenn er diejenigen Götter nannte, an die das Wort Gottes erging (und die Schrift kann nicht aufgelöst werden), 36 sagt ihr von dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: Du lästerst (weil ich sagte: Ich bin Gottes Sohn)?
Die Juden hatten Ihn gefragt, ob Er der Christus sei (Vers 24). Sie haben eine Antwort bekommen, die weit darüber hinausgeht. Ihre Reaktion zeigt die absolute Finsternis ihres von Hass erfüllten Herzens. Sie antworten auf das, was der Herr ihnen mitgeteilt hat, indem sie Steine aufheben, um Ihn zu steinigen. Es gibt nichts, was Satan so wütend macht wie die vollkommene Offenbarung der Güte Gottes im Sohn. Er findet in dem Eigenwillen und dem Hochmut des Menschen die passenden Instrumente, um seinem Hass Ausdruck zu geben.
Der Herr beantwortet ihren Hass, indem Er ihnen ganz ruhig eine echte Frage stellt. Er hat ihnen so viele gute Werke von seinem Vater gezeigt. Können sie auch sagen, für welches dieser guten Werken sie Ihn steinigen? Er sagt nicht „steinigen wollen“, sondern „für welches Werk unter diesen steinigt ihr mich“. In ihren Herzen haben sie Ihn schon längst gesteinigt.
Die Juden reagieren darauf und sagen, dass sie Ihn nicht wegen eines guten Werkes steinigen, sondern wegen Lästerung. Damit bezeugen sie, dass seine Werke gut waren. Doch ihr verfinstertes Herz will nicht annehmen, dass Er die Wahrheit gesprochen hat, und will nicht anerkennen, dass seine Werke die des Vaters sind. Deshalb müssen sie Ihn wohl der Lästerung beschuldigen.
Nun ist Er tatsächlich ein Mensch, darin haben sie recht. Doch Er hat sich selbst nicht zu Gott gemacht, denn Er ist Gott von Ewigkeit, und darin haben sie also nicht recht. Er hat sich erniedrigt, um Mensch zu werden und Menschen die Liebe Gottes in seinen vielen guten Werken zu zeigen und ihr Heiland zu sein. Auch auf diese Lästerung geht der Herr ein. Er bezeugt weiterhin seine Herrlichkeit, nicht um seiner selbst willen, sondern um der Ehre des Vaters willen.
Er verweist auf ein Wort aus ihrem Gesetz, worin es von bestimmten Menschen heißt, dass sie Götter sind (Ps 82,6). Dort geht es um Richter in Israel, Männer mit einer bestimmten Verantwortung, doch gewöhnliche, sterbliche Menschen. Diese Richter sprachen Recht im Namen Gottes, und deshalb mussten sie in ihrer Rechtsprechung als Götter anerkannt werden (vgl. 2Mo 7,1). Durch die Richter hatte es das Volk Gottes mit Gott zu tun. Es sind keine göttlichen Personen, aber sie haben göttliche Autorität empfangen. Das Wort Gottes spricht also von gewöhnlichen sterblichen Menschen als von Göttern.
An diese Götter erging das Wort Gottes, obwohl das lediglich auf ihre Stellung unter dem Volk angewendet werden konnte. Doch für den Herrn Jesus gilt dieses Wort ganz und gar buchstäblich. Er ist seiner Natur nach der ewige Sohn, und durch seine Geburt aus dem Heiligen Geist ist Er seit seinem Kommen auf die Erde auch als Mensch der Sohn Gottes (Lk 1,35).
Zwischendurch weist der Herr auf die Einheit des Wortes Gottes hin, indem Er über die Schrift spricht. Er spricht auch darüber, dass sie nicht aufgelöst werden kann. Damit macht Er den unveränderlichen und beständigen Charakter der Schrift für alle Zeiten deutlich. Man kann nicht sagen: „Ja, das steht zwar in der Bibel, aber es steht im Alten Testament, und das gilt jetzt nicht mehr.“ Er macht damit deutlich, wie sehr die Aussagen des Alten Testaments auch zu damaligen Zeit gültig waren und für alle Zeiten bleiben würden. Wenn nun die Schrift so über sterbliche Menschen spricht, wollen sie Ihn dann der Lästerung beschuldigen, wenn Er, der selbst das fleischgewordene Wort Gottes ist, von sich sagt, dass Er Gottes Sohn ist?
Der Herr appelliert an ihren Verstand, an ihre Logik. Irdische Richter waren von Gott geheiligt, das heißt abgesondert, um Ihn in einer bestimmten Weise zu repräsentieren. Nun kommt der Sohn, der vom Vater auf besondere Weise geheiligt ist, um Ihn kundzumachen. Mit diesem Ziel hat der Vater Ihn aus dem Himmel in die Welt gesandt. Er kennt den Vater als solchen und erfüllt als Sohn diesen Auftrag des Vaters. Er kommt mit göttlicher Autorität und in einer bewussten Beziehung zu seinem Vater. Er ist als Mensch in die Welt gekommen, doch diese Beziehung ist unveränderlich. Wie könnte Er je aufhören, der Sohn des Vaters zu sein? Wie können sie Ihn zu Recht der Lästerung beschuldigen, wenn Er lediglich auf die Tatsache hinweist, dass Er Gottes Sohn ist?
37 - 39 Die Werke sprechen für sich
37 Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht; 38 wenn ich sie aber tue, so glaubt den Werken – wenn ihr auch mir nicht glaubt –, damit ihr erkennt und glaubt, dass der Vater in mir ist und ich in ihm. 39 Da suchten sie wieder, ihn zu greifen, und er entging ihrer Hand.
An seinen Werken kann erkannt werden, dass Er der Sohn Gottes ist. Wenn Er diese Werke nicht tun würde, brauchten sie nicht an Ihn zu glauben. Doch Er tut die Werke. Und wenn sie Ihm nicht glaubten, obwohl Er die Werke tat, so mögen doch die Werke für sich selbst sprechen. Sie können Ihn ja unbeachtet lassen und auf die Werke schauen. Diese Werke würden sie zweifellos zum Vater führen und damit auch zu Ihm. Sie könnten zu keinem anderen Schluss kommen als zu dem, dass der Vater in Ihm und Er in dem Vater ist.
Durch diese Argumentation schwächt der Herr weder die Würde seiner Person noch die Wahrheit seiner Worte ab. Der Herr will auf ihre Gewissen mit Fakten einwirken, die sie nicht leugnen können: mit dem Charakter seiner Werke, die das Zeugnis göttlicher Liebe und Kraft in sich tragen. Seine Werke bezeugen seine Herrlichkeit.
Doch wieder ist Hass die Antwort auf die einzigartige Entfaltung der Herrlichkeiten des Herrn Jesus. Ihr Unglaube verhärtet sich mehr und mehr mit jeder neuen Entfaltung seiner Herrlichkeit. Wieder wollen sie Ihn greifen, doch seine Zeit ist noch nicht gekommen. Vor der bestimmten Zeit kann keine Macht Ihn ergreifen.
40 - 42 Erneut über den Jordan
40 Und er ging wieder weg auf die andere Seite des Jordan an den Ort, wo Johannes zuerst taufte, und er blieb dort. 41 Und viele kamen zu ihm und sagten: Johannes tat zwar kein Zeichen; alles aber, was Johannes von diesem gesagt hat, war wahr. 42 Und viele glaubten dort an ihn.
Sein Weg führt Ihn über den Jordan. Er kommt zu dem Ort, wo Johannes zuerst taufte und wo er den Herrn Jesus als das Lamm Gottes bezeugte. Dort hält sich der Herr eine Zeitlang auf. An diesem Ort kommen viele zu Ihm. Es ist ein Ort, der mit der Erinnerung an die Predigt des Johannes verbunden ist. Man hört gleichsam seine Stimme nachhallen. Die Wahrheit des Zeugnisses des Johannes wird auch mehr als drei Jahre später noch, nachdem er es abgelegt hat, von all denen bestätigt, die jetzt zum Herrn Jesus kommen. Sie erinnern sich an das, was Johannes am Jordan über Christus gesagt hat.
Johannes hat sein Zeugnis inmitten der Trümmerhaufen Israels nicht mit Zeichen unterstrichen. Das Wirken von Zeichen ist auch kein Beweis für Sendung. Zeichen kennzeichnen den Beginn einer Haushaltung. Johannes trat am Ende einer Haushaltung auf. Mit seinem Auftreten endete die Zeitepoche des Gesetzes und der Propheten (Mt 11,13). Johannes hat über den kommenden Christus gepredigt, und das war viel besser, als Zeichen und Wundern zu tun.
Auch wir stehen heute am Ende einer Haushaltung. Anstatt Wunder zu erwarten, müssen wir wie Johannes ein treues Zeugnis von dem ablegen, den wir erwarten. Wenn der Herr Jesus kommt, wird es wieder Zeichen und Wunder geben. Es darf unser Wunsch sein, dass andere von uns sagen können, was viele hier über Johannes sagen: Alles aber, was er oder sie von Ihm gesagt hat, war wahr. Sollte das nicht ein großes Lob für uns sein?
So wie jedes Mal der Hass der jüdischen Führer offenbar wird, nach allem, was der Herr Jesus gesagt hat, so sehen wir auch immer wieder, dass es viele gibt, die an Ihn glauben (Joh 2,23; 7,31; 8,30; 11,45; 12,11.42). Seine Gnade zieht viele an, die in Ihm die Wahrheit des Zeugnisses des Johannes erkennen. Doch es ist eine Frage, ob da auch ein lebenerneuerndes Werk in den Herzen und Gewissen stattgefunden hat.