1 - 3 Geißelung und Verspottung
1 Dann nahm nun Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. 2 Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und warfen ihm ein Purpurgewand um; 3 und sie kamen auf ihn zu und sagten: Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie schlugen ihm ins Angesicht.
Obwohl Pilatus von der Unschuld des Herrn überzeugt ist, nimmt er Ihn und geißelt den Herrn der Herrlichkeit. Er tut das nicht persönlich, sondern gibt seinen Soldaten den Auftrag dazu. Damit ist er also hauptverantwortlich. Das schwere Unrecht und die dem Herrn angetane unmenschliche Behandlung nehmen kein Ende. Die Geißelung ist eine furchtbare Misshandlung. Da nun Satan einmal die Gelegenheit bekommt, unternimmt er alles, um den Sohn Gottes zu erniedrigen. Und der Herr lässt es zu. Wir hören keinerlei Klage aus seinem Mund: der „leidend nicht drohte“ (1Pet 2,23; Jes 53,7). In allem ist Er vollkommen, auch im tiefsten Leiden.
Während der Herr durch das nächtliche Verhör und die erlittene Geißelung sehr geschwächt ist, treiben die Soldaten ihr Spiel mit Ihm. Sie amüsieren sich über den Beherrscher des Weltalls, den Sohn Gottes, der alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt und erhält, der sich in ihre Hände gegeben hat. Die Ruhe und Erhabenheit, die Er offenbart, deuten sie als Beweis seiner verächtlichen Schwachheit und treiben deswegen Spott mit Ihm. Sie haben gehört, Er sei ein König, also werden sie Ihn jetzt krönen.
Die Krone ist schnell gemacht: eine Krone aus Dornen. Dornen sind als Folge der Sünde in die Welt gekommen (1Mo 3,18). Ihm eine Krone aus Dornen aufs Haupt zu setzen, ist, als ob sie alles Elend der Welt Ihm anlasten. Sie sind sich dessen nicht bewusst, aber der Teufel weiß es sehr wohl. Der Mantel, den sie Ihm umwerfen, soll ihren Spaß noch erhöhen. Es ist ein Mantel aus Purpur, in der Farbe des Römischen Reiches, und von königlicher Würde.
In ihrem Spiel behandeln sie Ihn, als sei Er wirklich ein König, aber einer, den sie besiegt haben. Sie grüßen Ihn mit spöttischer Ehrerbietung und schlagen Ihm verächtlich ins Gesicht. Auf solch abscheuliche Weise springen die Soldaten mit Ihm um, der immer nur Gutes getan hat und hier ist, um auch ihnen den Vater zu offenbaren. Er widersteht ihnen nicht (Jak 5,6).
4 - 8 Neue Verhandlung
4 Und Pilatus ging wieder hinaus und spricht zu ihnen: Siehe, ich führe ihn zu euch heraus, damit ihr wisst, dass ich keinerlei Schuld an ihm finde. 5 Jesus nun ging hinaus, die Dornenkrone und das Purpurgewand tragend. Und er spricht zu ihnen: Siehe, der Mensch! 6 Als ihn nun die Hohenpriester und die Diener sahen, schrien sie und sagten: Kreuzige, kreuzige ihn! Pilatus spricht zu ihnen: Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn, denn ich finde keine Schuld an ihm. 7 Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben, weil er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat. 8 Als nun Pilatus dieses Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr;
Nachdem die Soldaten ihr Spiel mit dem Herrn Jesus beendet, Ihn misshandelt und verunstaltet haben, geht Pilatus noch einmal hinaus und kündigt den Juden an, dass er den Herrn Jesus zu ihnen hinausbringen werde. Er will ihnen begreiflich machen, dass er keinerlei Schuld an Ihm findet. Zum zweiten Mal bezeugt er die Unschuld des Herrn Jesus (Joh 18,38). Jedes Mal, wenn er, der Vertreter der richterlichen Gewalt, die Unschuld des Herrn bezeugt, vergrößert er seine Schuld an seiner Verurteilung.
Pilatus kündigt den Juden zwar an, Ihn zu ihnen hinausführen, aber auch in dieser tiefen Erniedrigung lesen wir: „Jesus nun ging hinaus.“ Der Herr lässt sich nicht führen, sondern geht selbst. Und was für einen Anblick bietet Er, als Er dann in der Öffentlichkeit erscheint! Da steht Er, ihr König, gekrönt mit der Dornenkrone und in das Spottkleid gehüllt. Sein Äußeres ist durch die Misshandlung entstellt, das Blut läuft Ihm wegen der Dornenkrone über das Gesicht. So führt Pilatus Ihn dem Volk vor und spricht es aus: „Siehe, der Mensch!“
Die Bedeutung dieses Ausspruchs ist tiefer, als Pilatus selbst es begreift. Hier steht der Mensch Gottes – in die Hände der Menschen gefallen. Bei dieser Gelegenheit hat der Mensch ohne Gott erkennen lassen, zu was er entartet ist und wie er seinen Hass gegen Gott ausgelebt und sich an der Güte Gottes versündigt hat. In diesem Menschen Gottes sehen wir einerseits die Vollkommenheit der Liebe und Geduld Gottes, mit der Er dies alles zulässt, ohne mit Gericht einzugreifen. Andererseits kommt gerade im Gegensatz zu dieser unvergleichlichen Güte die abgrundtiefe Schlechtigkeit des Menschen an die Oberfläche und zum Ausdruck. Er betrachtet den Sohn Gottes und verwirft Ihn als wertlos.
Der Hass der Juden ist so groß, dass sie mit der bisherigen Erniedrigung noch nicht zufrieden sind. Pilatus hat bei ihnen ein gewisses Mitleid wecken wollen, aber als sie Ihn sehen, wird stattdessen nur ihre Blutgier erhöht. Sie sind erst zufrieden, wenn Er stirbt, und zwar am Kreuz. Das fordern sie jetzt lautstark, so hasserfüllt sind sie gegen Ihn, der ihnen vom Vater geredet und ihnen die Güte und Gnade des Vaters gezeigt hat. So wird hier die absolute Bosheit des Menschen demonstriert. Es ist nun vollkommen klar, dass im Menschen kein einziges Körnchen Güte vorhanden ist, nichts, was sich irgendwie für einen Lichtstrahl der Liebe Gottes zu öffnen bereit ist.
Nun gibt Pilatus ihnen freie Hand, Ihn zu kreuzigen. Indem er das tut, erklärt er zum dritten Mal, dass er keine Schuld an Ihm gefunden hat. Was für ein abstoßender Widerspruch! Einerseits ist er von der Unschuld des Herrn überzeugt und spricht das auch deutlich aus. Andererseits liefert er diesen Unschuldigen dem blutrünstigen Volk zur Kreuzigung aus – mit seinem Einverständnis, obwohl er gleichzeitig die Verantwortung dafür von sich wegzuschieben versucht.
Die Juden nehmen sein Angebot aber nicht an. Sie merken wohl, dass sie Pilatus jetzt ganz in der Hand haben, und gehen bis zum Äußersten. Sie wollen, dass Pilatus das Todesurteil vollzieht. Ihre Anklage lautet, dass Er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht habe. Dazu verweisen sie auf ihr Gesetz, aufgrund dessen Er sterben müsse (3Mo 24,16). Eine total unsinnige Anklage, denn Er hat mehr als zur Genüge bewiesen, dass Er der Sohn Gottes ist.
Nun soll sein Urteil vollstreckt werden, aber nur durch die dazu befugte Behörde. Sie hätten es zwar am liebsten selbst ausgeführt, aber es musste doch die Unterschrift von Pilatus tragen! Sonst könnte womöglich später gesagt werden, sie hätten eigenmächtig gehandelt. Pilatus ist schon längst nicht mehr Herr der Lage. Jeder Teilnehmer dieses dämonischen Spektakels wird von der unsichtbaren Macht der Finsternis gelenkt, während die oberste Regie doch in der Hand Gottes liegt.
Pilatus ist durch und durch schuldig. Schon zweimal hat er öffentlich die Unschuld des Herrn Jesus beteuert. Sein Gewissen ist deutlich berührt und beunruhigt durch die unübersehbaren Beweise, dass er eine außergewöhnliche Person vor sich hat. Er ist ein Götzendiener, der an die Existenz unsichtbarer Mächte glaubt. Vielleicht verfügt ja die Person, die da vor ihm steht, über solche Mächte. Er will zwar verbergen, wie sehr er betroffen ist, aber er ist es doch. Der Geist Gottes berichtet uns hier, dass er noch mehr Angst bekommt, als er schon hatte.
9 - 11 Wiederum vor Pilatus
9 und er ging wieder in das Prätorium hinein und spricht zu Jesus: Woher bist du? Jesus aber gab ihm keine Antwort. 10 Da spricht Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Gewalt habe, dich freizulassen, und Gewalt habe, dich zu kreuzigen? 11 Jesus antwortete ihm: Du hättest keinerlei Gewalt gegen mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre; darum hat der, der mich dir überliefert hat, größere Sünde.
Die Unentschlossenheit dieses Machtinhabers hat eine Tragik. Er ist hier in eine Situation verstrickt, die er sich nie gewünscht hat, und durch alle Versuche, sich daraus zu befreien, gerät er nur immer tiefer hinein. Hier helfen ihm keine Politik und auch keine Diplomatie, um eine Auflösung zu erreichen. Hier spielt sich etwas ab, was von höherer Hand gelenkt wird, worin er zu einer Entscheidung gezwungen wird, die er nicht treffen will, aber doch treffen muss.
Wieder geht Pilatus in den Gerichtssaal; diesmal fragt er den Herrn nach seiner Herkunft. Wenn diese Frage aus einer geistlichen Not herausgestellt worden wäre, hätte der Herr bestimmt geantwortet, wie Er es am Anfang dieses Evangeliums auf die ähnliche Frage: „Wo hältst du dich auf?“ (Joh 1,38,) auch getan hat. Jetzt aber gibt Er keine Antwort. Er lässt sich niemals zwingen, sondern lässt sich vollkommen von seinem Vater leiten.
Pilatus ist offensichtlich beleidigt, weil sein Gefangener ihm nicht antwortet. Was ist das für eine Frechheit! Wie soll er nun damit umgehen? Drohend spricht er zum Herrn über seine Macht bzw. Befugnis, Ihn freizulassen oder auch zu kreuzigen. Aber wie einst Nebukadnezar wird auch Pilatus gezwungen, zu erkennen, bei wem wirklich die Macht liegt (Dan 4,29b). Mit dem, was Pilatus über seine Macht sagt, fällt er eigentlich das Urteil über sein eigenes Unvermögen. Formell ist er zwar der Inhaber der Macht, moralisch aber befindet er sich tatsächlich in der Hand der Volksmenge und noch mehr unter der Macht dessen, der als Gefangener vor ihm steht.
Das erfährt er, als der Herr ihm nun erklärt, wie die Machtverhältnisse wirklich liegen. Pilatus muss einsehen, dass der Gefangene den Platz des Richters einnimmt und in völlig ruhigem Ton von einer höheren Gewalt als der des Kaisers redet. Die zeitlich begrenzte Autorität, über die Pilatus verfügt, ist ihm verliehen von dem Menschen, der vor ihm steht. Dieser Mensch legt auch das Maß der Schuld fest, sowohl für Pilatus als auch für die Juden. Dieser Mensch ist nämlich der Sohn, dem der Vater das ganze Gericht übertragen hat (Joh 5,27). Er, der vor Pilatus steht, ist ja selbst „von oben“. Er ist es, der ihm seine Macht gegeben hat, aber Pilatus missbraucht diese Macht.
Pilatus ist ein Heide; und er ist schuldig, das ist überdeutlich. Aber Judas, Kajaphas und die Juden sind noch schuldiger. Pilatus hat von Gott irdische Gewalt bekommen, aber den Juden hat Gott Worte anvertraut, Worte des lebendigen Gottes, die von dem Sohn Zeugnis geben. Der Sohn ist sogar ihr Mittelpunkt und ihr Thema. Dieser hat der Welt Werke und Wege gezeigt und sie Worte hören lassen, die die Welt niemals zuvor gesehen und gehört hat – und ausgerechnet diesen Sohn verwerfen sie!
12 - 16 Pilatus überliefert den Unschuldigen
12 Daraufhin suchte Pilatus ihn freizulassen. Die Juden aber schrien und sagten: Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers; jeder, der sich selbst zum König macht, spricht gegen den Kaiser. 13 Als nun Pilatus diese Worte hörte, führte er Jesus hinaus und setzte sich auf den Richterstuhl an einen Ort, genannt Steinpflaster, auf Hebräisch aber Gabbatha. 14 Es war aber Rüsttag des Passah; es war um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Siehe, euer König! 15 Sie aber schrien: Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn! Pilatus spricht zu ihnen: Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als nur den Kaiser. 16 Dann nun überlieferte er ihn an sie, damit er gekreuzigt würde. Sie aber nahmen Jesus hin und führten ihn fort.
Pilatus ist im Inneren überzeugt von der Unschuld Christi und von der Macht, über die Er verfügt. Es bleibt aber leider bei einer rein verstandesmäßigen Einsicht. Sein Gewissen ist angesprochen, aber er beugt sich nicht vor seinem Gefangenen. Dazu liebt er seine Position und die Anerkennung seines Chefs in Rom zu sehr. Deshalb bleibt er ein Spielball der Juden, die den Druck auf ihn jetzt noch erhöhen. Ihre Antwort klingt nach einer Drohung, dem Kaiser Bericht zu erstatten, dass er jemand freilässt, der eine Bedrohung für das Kaiserreich darstellt. Diese Heuchler! Niemals würden sie das ihnen verhasste Regime anerkennen, aber jetzt, da es ihnen zupass kommt, heucheln sie, als ob sie dem Kaiser treu seien.
Jetzt erliegt Pilatus dem Druck. Er fasst den Beschluss, dass der Sohn Gottes getötet werden soll. Gegen alle Unschuldsbeweise entscheidet er, Ihn kreuzigen zu lassen. Wir müssten eigentlich ausrufen: „Wo bleibt hier das Recht?!“ Aber hier sind Mächte am Werk, die sich nicht durch menschliche Überlegungen steuern lassen, sondern nur durch den bösen Vorsatz der Juden. Aus der Perspektive des Glaubens allerdings wirkt hier eine noch größere Macht, nämlich die Macht Gottes, die alles lenkt nach dem Rat seines Willens.
Wie schon öfter bemerkt worden ist, heißt das nicht, dass Pilatus nicht in vollem Umfang die Verantwortung für die Verurteilung des Herrn Jesus trägt. Als richterliche Gewalt, die verpflichtet ist, ein gerechtes Urteil zu sprechen, versagt er jämmerlich. Aber er liebt sich selbst und die Ehre seines Herrn in Rom mehr als Gott. Er denkt sogar überhaupt nicht an Gott.
So führt er den Herrn Jesus hinaus. Um seinem falschen Beschluss einen Anschein von Autorität zu geben, nimmt er formell auf dem Richterstuhl Platz, um das Urteil dort zu bestätigen. Der Name dieses Ortes wird sowohl auf Griechisch als auch auf Hebräisch angegeben. Das bekräftigt die Tatsache, dass die Verurteilung Christi sowohl durch Heiden als auch durch Juden geschieht und dass so die ganze Welt an der Ermordung des Sohnes Gottes schuldig ist.
Dies alles findet während der Vorbereitungen für das Passahfest statt. Dazu mussten die Juden ihre Häuser durchsuchen, um jedes bisschen Sauerteig daraus zu entfernen (2Mo 12,15). Sauerteig ist ein Bild der Sünde (1Kor 5,6–8). Während sie also mit größter Sorgfalt auch die kleinsten Krümel Sauerteig ausfegen, um äußerlich für das Passah rein zu sein, verunreinigen sie sich auf gröbste Weise, begehen die allergrößte Sünde, indem sie das wahre Passahlamm ermorden. Die Mücke entfernen sie, aber das Kamel verschlucken sie (Mt 23,24).
Johannes vermerkt genau den Zeitpunkt, zu dem Pilatus das Urteil ausspricht (vgl. Joh 1,39; 4,6.52). Nach römischer Zeitrechnung ist es ungefähr 6 Uhr morgens. Sie sind früh aktiv, um die in der Nacht gewissenlos ersonnenen Pläne der bösen Taten beim ersten Tageslicht schamlos auszuführen.
Pilatus weiß, dass er verloren hat. Deshalb weist er die Juden noch einmal sarkastisch auf ihren König hin. Auf dieses verächtlich gesprochene Wort „Siehe, euer König!“ brechen die Juden in Wut aus. In dem zweifachen Ruf „Hinweg, hinweg!“ bricht ihr ganzer Hass aus ihnen heraus. Das ist ihre Urteilsbestätigung. Der Herr muss ans Kreuz.
Noch ein letztes Mal unternimmt Pilatus einen Versuch, sie umzustimmen, indem er sie fragt, ob er wirklich ihren König kreuzigen soll. Darauf geben sie die inhaltsschwere Antwort: „Wir haben keinen König als nur den Kaiser.“ Mit diesen Worten sprechen sie ihre eigene Verurteilung aus. Sie verleugnen ihren Messias und fordern mit diesem schicksalhaften Wort das Gericht Gottes über sich selbst heraus. Unter dessen schrecklichen Folgen seufzen sie bis zum heutigen Tag.
Barabbas und der Kaiser – diese beiden Namen, für die sie sich entschieden haben – fassen ihre ganze Elendsgeschichte von zwanzig Jahrhunderten zusammen. Sie haben in ihrem eigenen Land unter Räuberbanden gelitten (dafür steht Barabbas) sowie auch unter Feinden von außen (dafür steht der Kaiser von Rom). Sie sind gewissermaßen zwischen zwei Mühlsteinen zermahlen worden. Die prophetische Tragweite ihrer Wahl wird erst ihr Ende finden, wenn die Juden im Sohn Gottes ihren wahren König erkennen werden.
Dann übergibt Pilatus Ihn in die Hände der Juden, um Ihn kreuzigen zu lassen; die Ausführenden dieser Kreuzigung sind die Soldaten des Pilatus.
17 - 18 Die Kreuzigung
17 Und sein Kreuz tragend, ging er hinaus zu der Stätte, genannt Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgatha heißt, 18 wo sie ihn kreuzigten und zwei andere mit ihm, auf dieser und auf jener Seite, Jesus aber in der Mitte.
Das Wort der Verwerfung Christi ist ausgesprochen. Die Juden haben jede Gemeinsamkeit und jede Verbindung mit Ihm abgelehnt. Auf diese Weise wird das Wort Gottes erfüllt und können sie Ihn abführen. Auch dabei sehen wir die Erhabenheit des Sohnes Gottes. Sie können Ihn zwar nehmen und hinausführen, aber tatsächlich geht Er selbst hinaus. Die Aktivität liegt bei Ihm, auch sein Kreuz trägt Er sich selbst.
In diesem Evangelium sehen wir keine Anzeichen menschlicher Schwäche, die der Herr ja auch hatte. Er geht den Weg des Leidens in der Erhabenheit des Sohnes Gottes. Er selbst geht hinaus zu dem Ziel, der Hinrichtungsstätte. Er wird nicht dorthin gebracht. Der Name „Schädelstätte“ steht symbolisch für das Ende aller menschlichen Herrlichkeit. Hier zeigt sich, was von dem einst so gerühmten Menschen übrigbleibt.
Zu diesem Ort geht nun der Herr, das Kreuz auf dem Rücken. Der Tod am Kreuz ist eine der schändlichsten Todesarten. Nicht nur das Ende ist erniedrigend, sondern auch die Art, wie das geschieht. Als eine Erfindung der Römer drückte eine Kreuzigung hochmütige Verachtung aus. Nur sogenannte Barbaren wurden wie Ungeziefer an ein Kreuz genagelt und zu Tode gemartert. Zu einem solchen Tod wird Christus nun von den jüdischen Anführern ausgeliefert. In der Wiedergabe des Namens der Hinrichtungsstätte in hebräischer Sprache sehen wir noch einmal ihre Beteiligung an seiner Hinrichtung.
Johannes sagt nicht viel über die Kreuzigung selbst, auch nichts über die Reaktion der Zuschauer. Es geht ihm vielmehr darum, die Herrlichkeit des Sohnes Gottes als Gott vollkommen geweihter Mensch herauszustellen. Dazu dient auch sein Hinweis auf die beiden anderen, die mit Ihm gekreuzigt werden. Es spielt keine Rolle, was sie verbrochen haben. Es genügt, dass sie zwei „andere“ sind – Menschen, die so völlig von Ihm verschieden sind. Ihre Erwähnung dient nur dazu, die Herrlichkeit des Herrn Jesus umso stärker hervorleuchten zu lassen.
Wenn Johannes schreibt, dass die beiden anderen je an einer Seite des Herrn gekreuzigt werden, ist ja schon klar, dass Er in der Mitte hängt; Johannes betont es aber eigens, dass „Jesus in der Mitte“ hängt. Alles Licht ist so auf Ihn gerichtet.
19 - 22 Die Überschrift auf dem Kreuz
19 Pilatus schrieb aber auch eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz. Es war aber geschrieben: Jesus, der Nazaräer, der König der Juden. 20 Diese Aufschrift nun lasen viele von den Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt; und es war geschrieben auf Hebräisch, Lateinisch und Griechisch. 21 Die Hohenpriester der Juden sagten nun zu Pilatus: Schreibe nicht: Der König der Juden, sondern dass jener gesagt hat: Ich bin der König der Juden. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.
Pilatus hat auch eine Überschrift geschrieben, die auf dem Kreuz angebracht wurde. Das entsprach einer allgemeinen Gewohnheit, oben auf dem Kreuz eines Gekreuzigten den Hinrichtungsgrund anzugeben, damit jeder, der dies las, gewarnt wurde, nicht auch eine solche Übeltat zu begehen. Die üble Tat des Herrn Jesus bestand darin, von der Wahrheit Zeugnis gegeben zu haben.
Was Pilatus wohl nur getan hat, um die Juden zu ärgern, ist tatsächlich ein Zeugnis für die Wahrheit in der Vorsehung Gottes. Es beinhaltet die zweiteilige Wahrheit, dass dieser verachtete Nazaräer der wahre Messias ist. Dieses Zeugnis oben über dem Kreuz wird von vielen Juden gelesen, denn die Stadt ist anlässlich des Festes voller Menschen. Die gewaltige Aufregung, die die Juden verursacht haben, weil sie den Herrn Jesus unbedingt vor Beginn des Passah zu Tode bringen wollten, hat in enormem Ausmaß die Aufmerksamkeit der Volksmassen erregt, obwohl sie doch genau das vermeiden wollten (Mt 26,4.5). So sind viele zusammengeströmt, auch hier, außerhalb des Stadtgebiets. Es war eine willkommene Abwechslung in Erwartung des Festes.
Der Herr geht hinaus, um außerhalb der Stadt gekreuzigt zu werden (Heb 13,12). Die Stadt ist darum aber nicht weniger schuldig; sie offenbart durch diese schreckliche Tat eine Verdorbenheit, die mit der von Sodom und Ägypten verglichen werden kann (Off 11,8). Dieses Verbrechen findet in unmittelbarer Nähe Jerusalems statt; die Menschen brauchen nicht weit hinauszugehen.
Pilatus hat, von Gott geleitet, diese Tafel in drei Sprachen anbringen lassen. Mit diesen drei Sprachen ist die damalige Welt in all ihren Bereichen repräsentiert und auch verurteilt. Die hebräische Sprache wird zuerst genannt. Es ist die Sprache der jüdischen Religion. Es sind ja auch in erster Linie die religiösen Anführer der Juden, die den Tod des Sohnes Gottes verursacht haben. Das Lateinische ist die Sprache des heidnischen Imperialismus, die Sprache der Politik, deren Repräsentant Pilatus ist. Auch dieser Weltbereich ist schuldig am Tod Christi Tod. Das Griechische ist die Sprache der Kultur und der Weisheit der Welt. Durch die Weisheit hat die Welt Gott nicht erkannt. Sie haben Ihn, der gekommen war, nicht erkannt, sondern haben Ihn verworfen (Joh 1,10). So ist die ganze Welt in der Ablehnung des Sohnes Gottes vereinigt.
Die Tafel über dem Kreuz hat bei den Juden genau das bewirkt, was Pilatus wollte. Sie sind verärgert und wollen, dass er die Aufschrift ändert. So wie es da steht, ist Er ja der von ihnen anerkannte König! Das wollen sie unter keinen Umständen! Pilatus aber beabsichtigt nicht, den Text abzuändern. Es ist ihm geradezu ein Vergnügen, den Juden doch noch eins auszuwischen, obwohl er eingestehen muss, dass er in Wahrheit der Verlierer ist.
23 - 24 Die Soldaten verteilen seine Kleider
23 Die Soldaten nun nahmen, als sie Jesus gekreuzigt hatten, seine Kleider und machten vier Teile, jedem Soldaten einen Teil, und das Untergewand. Das Untergewand aber war ohne Naht, von oben an durchgehend gewebt. 24 Da sprachen sie zueinander: Lasst uns dies nicht zerreißen, sondern darum losen, wem es gehören soll – damit die Schrift erfüllt würde, die spricht: „Sie haben meine Kleider unter sich verteilt, und über mein Gewand haben sie das Los geworfen.“ Die Soldaten nun haben dies getan.
Für die Soldaten ist die Kreuzigung Alltagsgeschäft. Woran sie besonderes Interesse haben, sind die wenigen Besitztümer des Gekreuzigten. Ihm gehören aber nur die Kleider, die Er anhatte. Das ist alles, aber auch das wurde Ihm abgenommen. Schon vor der Kreuzigung hat man Ihm ja seine Kleider ausgezogen. Der Herr Jesus wurde nackt ans Kreuz gehängt, schutzlos wie ein geschorenes Schaf. Nun verteilen die Soldaten seine Kleider in vier Teile, so dass jeder etwas bekommt.
Johannes erwähnt noch extra das Untergewand mit der besonderen Eigenschaft, dass es ohne Naht war, von oben an durchgehend gewebt. In der Bibel bringen Kleider das Wesen eines Menschen zum Ausdruck, sein Verhalten und seine Gewohnheiten. Auch an diesem Gewand ist zu erkennen, wer Er ist. Seine besonderen Kennzeichen werden von Johannes erwähnt, weil sie eine wertvolle symbolische Bedeutung haben. Alles an unserem Herrn, ob es nun seine Person oder sein Werk betrifft, ist sozusagen aus einem Stück, ohne jede Naht. Alles, was Er gesprochen hat, ist vollkommen, alle seine Worte bilden ein nahtloses Ganzes. Dasselbe gilt für seine Taten: Was Er tut, ist nichts anderes, als was Er sagt. Seine Worte und seine Taten bilden eine vollkommene Einheit (vgl. Joh 8,25).
Wie anders ist das bei dem in Sünde gefallenen Menschen, der sich eine Schürze aus Feigenblättern machte. Diese Schürze konnte die Unvollkommenheit des Menschen nicht bedecken und wies zudem zahllose Nähte auf.
Das Gewand des Herrn war außerdem „von oben an“ gewebt. Das weist darauf hin, dass Er „von oben“ gekommen ist. Als der Wohlgefällige des Vaters ist Er aus dem Himmel gekommen und hat die Vollkommenheit des Himmels zur Erde herabgebracht. So ist die Vollkommenheit seines Kleides auch ein Ausdruck des Wohlgefallens des Vaters (vgl. 1Mo 37,3).
Die Soldaten erkennen den Wert dieses Gewandes, indem sie feststellen, dass es ohne Naht ist. Es hätte niemand etwas davon, wenn sie dieses prächtige Stück in vier Teile zerreißen würden. Deshalb schlagen sie vor, darum zu losen. Ohne es zu wissen, erfüllen die Soldaten damit die Voraussage der Schrift (Ps 22,19). Johannes stellt noch ausdrücklich fest, dass diese Weissagung durch die Soldaten erfüllt wurde. So mächtig ist das Wort Gottes, dass es zu seiner Erfüllung auch gewissenlose Soldaten gebrauchen kann.
25 Die Frauen bei dem Kreuz
25 Bei dem Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalene.
Nachdem uns so vorgestellt wurde, worin die Beteiligung der vier Soldaten an der Kreuzigung bestand, wird unsere Aufmerksamkeit auf vier andere Personen gerichtet, die auch in der Nähe des Kreuzes stehen. Die vier rohen Soldaten verschwinden aus unserem Blickfeld und vier Frauen, die den Herrn von Herzen lieben, nehmen ihren Platz ein. Sie alle haben eine persönliche Beziehung zu Ihm.
Da steht Maria, die Mutter des Herrn. Ihre Seele ist von einem Schwert durchdrungen worden, wie Simeon anlässlich der Geburt des Herrn angekündigt hat (Lk 2,35). Auch die Schwester seiner Mutter steht dort, die Frau des Zebedäus (Mt 27,56), also die Mutter von Johannes und Jakobus (Mt 4,21). Außerdem erwähnt Johannes Maria, die Frau des Kleopas, die Mutter von Jakobus und Joses (Mt 27,56). Als letzte nennt Johannes Maria Magdalene, die Frau, mit der größtmöglichen Liebe zum Herrn.
26 - 27 Siehe, dein Sohn – siehe, deine Mutter
26 Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! 27 Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.
Als der Herr seine Mutter sieht und Johannes, der bei ihr steht, richtet Er sein Wort zuerst an sie. Er ist nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern mit seiner Mutter, von der Er weiß, dass sie Sorge und Schutz nötig hat. Er vertraut sie der Fürsorge des Johannes an. Er sagt ihr, dass sie von nun an Johannes als ihren Sohn betrachten darf und aufgrund dieser Vertrauensbeziehung mit seiner Fürsorge rechnen darf. Wir können daraus schließen, dass Josef wohl inzwischen verstorben ist. Auch seinen eigenen Brüdern konnte Er sie nicht anvertrauen, denn diese glaubten noch nicht an Ihn (Joh 7,5).
Es fällt übrigens auf, dass Er seine Mutter mit „Frau“ anredet. Er will damit den Eindruck vermeiden, als wenn Er sich bei der Sorge für seine Mutter von natürlichen Empfindungen leiten lässt (vgl. Joh 2,4). Wie die römische Kirche Maria verehrt, ist abscheuliche Abgötterei, die keinesfalls mit den Worten des Herrn zu rechtfertigen ist.
Auch Johannes spricht er nun an und vertraut seine Mutter seiner Fürsorge an. Die Weise, in der der Herr Jesus seine Mutter und Johannes miteinander verbindet, zeugt von der Vollkommenheit seiner menschlichen Gefühle. Die Anrede an beide beginnt Er mit dem Wort „siehe!“ Sie sollen von nun an einander betrachten in dem Bewusstsein der neuen Beziehung, die Er soeben festgelegt hat. Auch wir sollen im Umgang miteinander die Beziehungen beachten, in die der Herr uns zueinander gestellt hat.
28 - 30 Das Sterben des Herrn
28 Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! 29 Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. 30 Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.
Nachdem der Herr die Seinen der gegenseitigen Fürsorge anvertraut hat, weiß Er in seiner göttlichen Allwissenheit und Weisheit, dass Er nun alles vollbracht hat, was Ihm zur Offenbarung des Vaters auf der Erde aufgetragen war. Etwas anderes bleibt noch zu tun: das Erfüllen eines bestimmten Schriftwortes, das Er bei allem Leiden nicht vergisst. Sein Wort „Mich dürstet!“ ist nicht in erster Linie Ausdruck eines körperlichen Bedürfnisses, sondern einer geistlichen Not. Dies ist ganz in Übereinstimmung mit diesem Evangelium, worin Er uns immer in seiner Erhabenheit über dem Leiden vorgestellt wird, obwohl Er dieses in voller Tiefe empfindet.
Nach diesem Ausruf wird Ihm Essig angeboten, den Er auch annimmt. Es ist für Ihn eine zusätzliche Qual, zu sehen, dass direkt beim Kreuz ein Gefäß voll Essig steht, der für Ihn aber unerreichbar ist. Zur festgesetzten Zeit aber bekommt Er etwas davon, damit ein bestimmtes Schriftwort seine Erfüllung findet (Ps 69,22). Als auch dieses letzte Schriftwort erfüllt ist, das in der Zeit seines Lebens auf der Erde in Erfüllung gehen musste, spricht Er dieses Wort, das nur Er sagen kann: „Es ist vollbracht!“
Es hat Diener gegeben, wie z. B. Paulus, die sagen konnten, sie hätten ihren Lauf vollendet (2Tim 4,7). Kein Diener aber hat es je gewagt, zu sagen, dass sein Dienst vollbracht und abgerundet war. Alle Diener haben gearbeitet, aber nach Ablauf ihres Lebens haben andere ihr Werk fortgeführt. Wir können wohl eine bestimmte Aktivität abrunden und sagen, sie sei fertig; sie wird aber nie unser alleiniges Werk sein, und sie wird immer mit menschlicher Unvollkommenheit behaftet sein.
Der Herr Jesus aber hat das Ihm aufgetragene Werk vollkommen erfüllt und ein ewig gültiges und unveränderliches Resultat damit hervorgebracht. Er konnte die Vollkommenheit dieses Werkes auch selbst beurteilen, wohingegen alle anderen die Beurteilung ihres Werkes zu dem von Ihm festgesetzten Zeitpunkt (2Kor 5,10) demütig abwarten müssen.
Der Ausruf „Es ist vollbracht!“ ist im Griechischen nur ein einziges Wort: tetelestai! Welches Wort hat jemals so viel Inhalt gehabt? Es weist uns nicht in erster Linie auf das Werk am Kreuz hin, das für uns verlorene Sünder vollbracht worden ist, sondern beinhaltet zuerst das Werk, zu dessen Erfüllung Er auf die Erde gekommen war: die Verherrlichung des Vaters (Joh 17,4). So passt auch dieses Wort genau in dieses Evangelium hinein.
Hiernach neigt der Herr sein Haupt. Das bedeutet: Er legt es in Ruhe nieder. In seinem Erdenleben hatte Er keinen Ort, wo Er sein Haupt hinlegen konnte. Hier, auf Golgatha, findet Er einen solchen Platz und kann im Tod Ruhe finden. Er übergibt seinen Geist seinem Vater. Wir hören hier nicht, wie Er seinen Geist in die Hände des Vaters übergibt; das tut Er als der wahrhaftige Mensch im Lukasevangelium (Lk 23,46). Hier übergibt der Sohn seinen Geist – als eine Handlung, die Er aus freiem Willen, mit göttlicher Vollmacht ausübt. Niemand nimmt Ihm das Leben, sondern Er lässt es von sich selbst (Joh 10,18). Wie bei allem in diesem Evangelium geht auch in seinem Tod die Initiative von Ihm aus.
31 - 37 Die durchstochene Seite des Herrn
31 Die Juden nun baten Pilatus, dass ihre Beine gebrochen und sie abgenommen würden, damit die Leiber nicht am Sabbat am Kreuz blieben, weil es Rüsttag war – denn der Tag jenes Sabbats war groß. 32 Da kamen die Soldaten und brachen die Beine des ersten und des anderen, der mit ihm gekreuzigt war. 33 Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, 34 sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. 35 Und der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr; und er weiß, dass er sagt, was wahr ist, damit auch ihr glaubt. 36 Denn dies geschah, damit die Schrift erfüllt würde: „Kein Bein von ihm wird zerbrochen werden.“ 37 Und wiederum sagt eine andere Schrift: „Sie werden den anschauen, den sie durchstochen haben.“
Nun haben die Juden ihr Ziel erreicht: Jesus ist tot. Ihre Sorge gilt nun der Aufrechterhaltung der äußeren Reinheit. Der dem Passahmahl unmittelbar folgende Sabbat ist zugleich der erste Tag des Festes der ungesäuerten Brote, dem eine besondere Heiligkeit geziemt. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung dieses Sabbats wollen sie die Vorschrift, dass die Leiber von Gehängten nicht über Nacht am Kreuz hängen bleiben dürfen (5Mo 21,22.23), um so sorgfältiger beachten. Man stelle sich vor, wie ihr Land sonst verunreinigt würde! Dass sie soeben durch die Ermordung des Sohnes Gottes ihr Land zu einem Blutacker gemacht haben (Mt 27,7.8), kommt ihnen nicht in den Sinn.
Pilatus erfüllt ihre Bitte, die Beine der Gekreuzigten zu brechen, und schickt ein paar Soldaten, um diese Aufgabe auszuführen. Dadurch würde dann der Tod sehr schnell eintreten, der sonst manchmal Tage auf sich warten ließe. Es fällt auf, dass sie zuerst die Beine der beiden anderen Männer brechen, die mit dem Herrn gekreuzigt sind. Sie gehen also nicht von links nach rechts oder umgekehrt vor, sondern von außen nach innen. So wird wiederum alle Aufmerksamkeit auf Ihn gelenkt – auch jetzt, da Er tot am Kreuz hängt. Als die Soldaten zu Ihm kommen, sehen sie, dass Er schon gestorben ist. Deshalb sehen sie davon ab, Ihm die Beine zu brechen. Ihre logische Folgerung, dass dies nicht mehr nötig sei, fällt mit der Erfüllung der Schrift zusammen.
Und doch kann einer von ihnen es nicht lassen, Ihm auch nach seinem Tod noch Schmach zuzufügen. In einer Aufwallung von Verachtung sticht er mit einem Speer dem Herrn in die Seite. Es ist eine völlig sinnlose, respektlose Handlung, die nur dazu dient, seiner Geringschätzung dieser Person Ausdruck zu geben. Die Folge aber, das Blut und das Wasser, das aus der Seite des Herrn Jesus hervorkommt, zeigt, wie Gott über seinen Sohn denkt. Damit beweist Er seine überwältigende Gnade – sogar für solche Verächter seines Sohnes. Das Blut und das Wasser aus der Seite des Herrn zeigen den Sinn seines Werkes an, sowie den unschätzbaren Wert, den es für Gott hat.
Zunächst beweisen das Wasser und das Blut, dass der Herr wirklich gestorben ist. Ihre Bedeutung geht aber über die Feststellung des Todes hinaus. Das Blut ist die Grundlage für die Vergebung von Sünden, denn ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung (Heb 9,22). Es reinigt von Sünden im Blick auf Gott, so dass der Sünder mit Gott versöhnt wird und Gott ihm alle Segnungen geben kann, die Er in seinem Herzen hatte und ihm schenken wollte. Das Wasser – ein Bild des Wortes Gottes – offenbart dem Sünder, wer er selbst ist, so dass er zur Bekehrung und zum Bekenntnis seiner Sünden kommt. Dann vergibt Gott die Sünden und reinigt den Sünder (Joh 15,3; 1Joh 1,9).
In seinem ersten Brief schreibt Johannes auch über das Wasser und das Blut (1Joh 5,6). Blut spricht von Versöhnung aufgrund von Gericht. Wasser spricht von Reinigung aufgrund von Erkenntnis und Bekenntnis von Sünden. Versöhnung aufgrund von Gericht und Bekenntnis von Sünden sind untrennbar miteinander verbunden. In seinem Brief fügt Johannes noch den Geist hinzu, durch den wir wissen, dass wir ewiges Leben empfangen haben. Blut und Wasser kamen aus einem gestorbenen Heiland, der Geist kommt von einem verherrlichten Heiland. So haben wir ein dreifaches Zeugnis, dass wir, die wir in uns selbst kein Leben haben, in dem Sohn das ewige Leben besitzen.
Johannes legt hier großen Nachdruck darauf, dass sein Zeugnis wahr ist. Er hat sich diese Dinge nicht ausgedacht. Er weiß genau, wovon er spricht. Er hat es selbst gesehen, ist völlig davon überzeugt, und er wünscht, dass jeder, der sein Evangelium liest, zum Glauben kommt. Dabei verweist er nicht nur auf sein eigenes Zeugnis von der Wahrheit, sondern er beruft sich auch auf die Schrift. Jeder kann durch das Lesen der Schrift erkennen, dass sich alles auf den Herrn Jesus bezieht.
So bildet die Schrift die sichere Grundlage für den Glauben an Ihn. Wenn die Schrift sagt, dass irgendetwas Ihm nicht widerfahren wird, dann geschieht das auch nicht. Auch im Unterlassen von Dingen, die für Ihn eine Unehre bedeuten würden, wird die Schrift erfüllt. Das Brechen der Beine (Ps 34,21) würde symbolisch einen unvollkommenen Wandel andeuten, aber der Herr hat in seinem ganzen Leben auf der Erde Gott verherrlicht. Darum wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, damit Ihm nicht nach seinem Tod noch etwas nachgesagt würde, was seine Vollkommenheit antasten könnte.
Johannes führt noch eine weitere Schriftstelle an, um seine Bezeugung der Wahrheit noch mehr zu befestigen. Diesmal ist es eine Schriftaussage über etwas, was Ihm positiv widerfahren würde. Der Speerstich in die Seite des Herrn musste geschehen, damit die Schrift erfüllt werden könnte: „Sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10; s. auch Off 1,7). Die Erfüllung liegt noch in der Zukunft, aber die Voraussetzung für die Erfüllung ist schon geschehen.
Was für ein starkes, dreifaches Zeugnis (das eigene Zeugnis von Johannes und zwei Aussagen der Heiligen Schrift), um jeden Leser von der Wahrheit des Lebens, des Todes und der Wiederkunft des Herrn Jesus völlig zu überzeugen! In der Stelle in Sacharja 12 (Sach 12,10) ist nämlich zugleich auch die Voraussage der Auferstehung, der Verherrlichung und der Rückkehr Jesu eingeschlossen. Daher zitiert Johannes diese Stelle auch in dem von ihm geschriebenen Buch der Offenbarung (Off 1,7).
38 - 42 Das Begräbnis
38 Danach aber bat Joseph von Arimathia, der ein Jünger Jesu war, aber aus Furcht vor den Juden ein verborgener, den Pilatus, dass er den Leib Jesu abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Er kam nun und nahm seinen Leib ab. 39 Aber auch Nikodemus, der zuerst bei Nacht zu ihm gekommen war, kam und brachte eine Mischung von Myrrhe und Aloe, etwa hundert Pfund. 40 Sie nahmen nun den Leib Jesu und wickelten ihn in Leinentücher mit den Gewürzsalben, wie es bei den Juden Sitte ist, zum Begräbnis zuzubereiten. 41 An dem Ort, wo er gekreuzigt wurde, war aber ein Garten und in dem Garten eine neue Gruft, in die noch nie jemand gelegt worden war. 42 Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus.
Nach dem Zeugnis des Johannes und der Schrift ist es schön, nun einen Menschen zu sehen, der sich zum Herrn bekennt, obwohl er zuerst nicht den Mut dazu fand. Pilatus bekommt wieder einmal Besuch. Noch bevor die Leiber der Gekreuzigten abgenommen sind, kommt Joseph von Arimathia zu ihm mit der Bitte, den Leib Jesu vom Kreuz abnehmen zu dürfen. Offenbar ist Joseph ein Jünger des Herrn, der sich aus Menschenfurcht bis dahin noch nicht als solcher zu erkennen gegeben hat. Wenn durch den Glauben an Christus wirklich Leben aus Gott vorhanden ist, kommt irgendwann der Augenblick, da dieses Leben nicht mehr verborgen bleiben kann. Leben muss sich äußern.
Für Joseph ist dieser Augenblick gekommen, als der Herr tot am Kreuz hängt. Das ist für ihn die Stunde der Wahrheit. Er tritt hervor und verbindet sich mit dem gestorbenen Christus. Es ist ein deutlicher Beweis neuen Lebens, wenn jemand sich mit einem gestorbenen Christus verbindet und so seinen Glauben an Ihn bekennt.
Dieser Bekennermut Josephs bewirkt weitere Nachfolge. Es schließt sich ein anderer ihm an, der sich bis dahin ebenfalls noch nicht zu dem Herrn bekannt hat. Nikodemus hat den Herrn einmal nachts aufgesucht und sehr beeindruckende Dinge zu hören bekommen (Joh 3,1–12). Er wird sich wohl auch erinnert haben, was der Herr ihm über die Erhöhung des Sohnes des Menschen gesagt hat (Joh 3,14).
Damals hat der Herr den Samen des Wortes in sein Herz gelegt. Die Saat ist auch aufgegangen. Ein erstes vorsichtiges Bekenntnis ist Nikodemus über die Lippen gekommen, als seine Pharisäerkollegen beratschlagten, Christus gefangen zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit hat er etwas zu bedenken gegeben, was ihm die scharfe Kritik seiner Kollegen eingebracht hat (Joh 7,50–52).
Hier nun tut er sich mit Joseph zusammen und bringt eine Menge Gewürzsalben mit. Er hat sich auf diese Situation also vorbereitet. Mit großer Ehrerbietung und Sorgfalt nehmen sie gemeinsam den Leib Jesu vom Kreuz und wickeln ihn zusammen mit den Gewürzsalben in leinene Tücher, wie es bei den Juden Sitte ist, wenn jemand begraben wird. Das soll den Verwesungsgeruch mildern. Dabei ist ihnen wohl nicht bewusst, dass Gott in seinem Wort vorausgesagt hat, dass Er die Verwesung nicht sehen würde (Ps 16,8–10). So kommt der Herr in ein Grab, das noch nie mit dem Tod in Berührung gewesen ist. Auch in dieser Hinsicht hat Er keine Verwesung gesehen. Er ist nicht damit in Berührung gewesen, und auch an seinem Leib hat es keine Verwesung gegeben.
Wie Nikodemus war auch Joseph vorbereitet. Er hatte ein eigenes, neues Grab ganz in der Nähe (Mt 27,60). Johannes berichtet, dass sie „Jesus“ dorthin legten, weil die Gruft nahe war. Es heißt hier nicht „seinen Leib“, sondern „Jesus“. Er ist, auch als Gestorbener, die Person Jesus. Wir wissen, dass die Hand Gottes alles so gelenkt hat. Was einfach wie eine naheliegende, praktische Lösung aussieht, die gerade gut zu den Erfordernissen passt, war längst in den Ratschluss Gottes aufgenommen (vgl. Jes 53,9). So musste es gerade dieses Grab sein!