1 - 2 Maria entdeckt das leere Grab
1 Am ersten Tag der Woche aber kommt Maria Magdalene früh, als es noch dunkel war, zur Gruft und sieht den Stein von der Gruft weggenommen. 2 Sie läuft nun und kommt zu Simon Petrus und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn aus der Gruft weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Maria Magdalene ist die Erste, die am ersten Tag der Woche zum Grab kommt. Mit dem ersten Tag der Woche ist der Beginn eines neuen Zeitabschnitts angedeutet. Aber noch ist es dunkel. Die neue Zeit ist zwar angebrochen, aber für Maria und die Jünger ist es noch dunkel. Dennoch geht Maria Magdalene zum Grab. Sie will bei ihrem Herrn sein.
Bei dem Grab angekommen, sieht sie, dass der Stein davor weggerollt ist. Der Stein ist nicht etwa weggenommen, um den Herrn herauszulassen – das war für Ihn mit seinem Auferstehungsleib nicht nötig. Später sehen wir, wie Er in der Mitte der Jünger erscheint, obwohl die Türen verschlossen sind. Nein, der Stein ist weggenommen, um die Jünger und uns in das Grab hineinblicken zu lassen, damit wir feststellen können, dass das Grab leer ist.
Maria ist erstaunt über das offene Grab. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Herr nicht mehr im Grab ist, und meint, jemand habe Ihn daraus weggenommen. So läuft sie schnell zu denen, die nach ihrer Meinung am ehesten in der Lage sind, auf die in ihrem Herzen brennende Frage Antwort zu geben, nämlich wo Er, d. h. sein Leib, geblieben sein kann.
So sehr sie Ihn auch liebt, lässt ihre Frage doch erkennen, dass sie trotz der brennenden Liebe, die sie ja hat, zu einer verkehrten Folgerung gelangt ist, einfach weil sie nicht an seine Ankündigung seiner Auferstehung denkt. Sie glaubt, dass irgendwelche Menschen Ihn weggenommen haben, obwohl Er doch mehrmals über seine Auferstehung gesprochen hat.
3 - 10 Petrus und Johannes am Grab
3 Da ging Petrus hinaus und der andere Jünger, und sie gingen zu der Gruft. 4 Die beiden aber liefen zusammen, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam als Erster zu der Gruft; 5 und sich vornüberbückend, sieht er die Leinentücher liegen; doch ging er nicht hinein. 6 Da kommt auch Simon Petrus, ihm folgend, und ging in die Gruft hinein und sieht die Leinentücher liegen 7 und das Schweißtuch, das auf seinem Haupt war, nicht bei den Leinentüchern liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem Platz. 8 Dann ging nun auch der andere Jünger hinein, der als Erster zu der Gruft gekommen war, und er sah und glaubte. 9 Denn sie kannten die Schrift noch nicht, dass er aus den Toten auferstehen musste. 10 Da gingen die Jünger wieder heim.
Nach dieser Mitteilung Marias kommen Herzen und Füße in Bewegung. Auch wenn sie an die Auferstehung noch nicht glauben, kreisen die Gedanken der Jünger doch immer noch allein um die Person ihres Herrn, wenn auch jetzt nur noch um seinen Leib. Petrus und Johannes machen sich schnell auf den Weg zum Grab. Die beiden sehen wir ja oft zusammen. Johannes ist schneller am Grab als Petrus, ohne dass hierfür eine Erklärung angegeben wird. Könnte es sein, dass Petrus bei der Erwartung, den Herrn gleich zu sehen ‒ auch wenn er denkt, dass der Herr noch gestorben ist ‒, etwas zurückhaltend ist, weil er Ihn verleugnet hat? Hat das vielleicht auf dem Weg zum Grab seine Schritte gebremst? Johannes hatte keine solche innere Bremse. Wenn er in Vers 2 von sich selbst spricht, benutzt er den Namen, der angibt, dass er sich der Liebe des Herrn zu ihm bewusst ist. Diese Liebe zog ihn (vgl. Hld 1,4).
Johannes beugt sich vornüber und sieht nur die Tücher liegen, geht aber nicht ins Grab hinein. Nun kommt auch Petrus zum Grab. Er geht wohl in das Grab hinein, sieht auch die Tücher liegen, aber er sieht noch mehr. Wer in das Leben des Herrn tiefer eindringt, wird immer mehr erkennen. Das Grab bietet einen Eindruck von Ordnung und Ruhe. Das, was Petrus sieht, kann nur von einer Person bewirkt worden sein, die in Ruhe gehandelt und sich der Grabtücher entledigt hat, nachdem sie auferstanden ist. Auch die geordnet daliegenden Tücher beweisen das.
Der Herr hat alles zur Seite gelegt und im Grab zurückgelassen, weil es zu seinem neuen Zustand nicht mehr passt. Er ist nicht hinausgetreten wie Lazarus, der noch mit den Grabtüchern umbunden war. Damals hatte der Herr andere beauftragt, Lazarus von den Grabtüchern zu befreien (Joh 11,44). Damit wird angezeigt, dass seine eigene Auferstehung einen anderen Charakter hatte als die des Lazarus. Das aufgerollte Schweißtuch zeugt davon, dass sein Werk für immer vollbracht ist. Es gibt keine Verwendung mehr dafür und es bleibt im Grab zurück.
Als die beiden Jünger die Tücher im Grab gesehen haben, heißt es von Johannes: Er sah und glaubte. Das heißt: Er glaubt aufgrund der Fakten, die er wahrnimmt, nicht weil Gott es gesagt hat. Das, was er sieht, führt nicht zu wirklicher geistlicher Einsicht, sondern nur zu einem verstandesmäßigen Glauben. Die Beweise überzeugen ihn zwar, bewirken aber keine wesentliche Veränderung.
Hier wird deutlich, dass Glaube auf verstandesmäßiger Akzeptanz von Fakten beruhen kann. So etwas gibt es bei Gläubigen und Ungläubigen. Sogar Heilstatsachen können auf solche Weise anerkannt werden, allerdings eben nur verstandesmäßig. Eine echte Beziehung zu Gott muss aber auf Glauben mit dem Herzen gegründet sein; sonst ist eine lebendige Beziehung zu Gott nicht möglich. Wenn jemand mit dem Herzen glaubt, nimmt er das Zeugnis Gottes in seinem Wort in sein Herz auf.
Bei den Jüngern sehen wir deshalb hier die Folge, dass sie in ihre alten Lebensumstände zurückkehren – einfach weil sie die Tatsachen nur aufgrund der unleugbaren Wahrnehmung angenommen haben. Sie erkennen sie noch nicht als die Erfüllung der von Gott in seinem Wort gegebenen Verheißungen.
11 - 16 Der Herr und Maria Magdalene
11 Maria aber stand bei der Gruft draußen und weinte. Als sie nun weinte, bückte sie sich vornüber in die Gruft 12 und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu dem Haupt und einen zu den Füßen, da, wo der Leib Jesu gelegen hatte. 13 Und diese sagen zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie spricht zu ihnen: Weil sie meinen Herrn weggenommen und ich nicht weiß, wo sie ihn hingelegt haben. 14 Als sie dies gesagt hatte, wandte sie sich zurück und sieht Jesus dastehen; und sie wusste nicht, dass es Jesus war. 15 Jesus spricht zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie, in der Meinung, es sei der Gärtner, spricht zu ihm: Herr, wenn du ihn weggetragen hast, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn wegholen. 16 Jesus spricht zu ihr: Maria! Sie wendet sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni! – das heißt Lehrer.
Maria kann die Dinge nicht so auffassen wie die beiden Jünger. Welchen Sinn könnte für sie jetzt ihr „Zuhause“ haben? Was bedeutet ihr jetzt noch die Welt? Nichts anderes als ein leeres Grab, in dem ihr Herr gelegen hat. Andere mögen nach Hause gehen – sie bleibt beim Grab. Ihre Betrübnis bleibt aber nicht ohne Ergebnis und dauert auch nicht lange.
Johannes sah nur die Tücher. Petrus sah mehr als Johannes. Er ging in das Grab hinein, sah die Tücher und das Schweißtuch sowie auch die Ordnung dieser Dinge. Maria bekommt noch mehr zu sehen und auch zu hören. Zunächst sieht und hört sie zwei Engel. Danach hört und sieht sie den Herrn und erhält von Ihm eine gewaltige Botschaft.
Als Maria sich vornüber in das Grab beugt, sieht sie zwei Engel in weißen Kleidern, was himmlische Reinheit andeutet. Die Reinheit des Himmels stimmt völlig überein mit der Reinheit dieses Grabes. Die Engel sitzen am Kopf- und Fußende und markieren so den Ort, wo der Leib des Herrn gelegen hat. Zwischen ihnen ist nun ein leerer Platz.
Diese Szene erinnert uns an die beiden Cherubim auf dem Sühndeckel (2Mo 25,18). Die Engel auf dem Sühndeckel schauen auf das Gesetz und auf das Blut, das auf den Sühndeckel gesprengt ist. Von diesem Ort geht Bedrohung aus, aber auch Sühnung für jeden, der glaubt. Die beiden Engel im Grab sehen die Folgen des gesprengten Blutes. Für sie ist der Platz zwischen ihnen der Ort, wohin Gottes Liebe herniedergekommen ist, um uns vom Tod zu befreien. Dafür hat Er den Fluch des Gesetzes getragen, das in der Bundeslade aufbewahrt wurde. Es ist ein Ort, der keine Angst vor dem Tod einflößt, der mit dem Gesetz verbunden ist, sondern ein Ort, der zum Staunen und zur Anbetung bringt, weil der Tod besiegt ist.
Die Engel sprechen Maria an: „Frau, warum weinst du?“ Sie scheint keine Furcht vor den Engeln zu haben, obwohl diese sonst überall, wo sie erscheinen, Furcht bewirken. Ihr Herz ist so sehr vom Herrn erfüllt, dass dadurch für Angst kein Raum ist (vgl. 1Joh 4,18).
Ihre Antwort zeigt, dass sie an nichts anderes als an ihren Herrn denken kann. Das setzt sie auch bei anderen voraus. Sie nennt keinen Namen, sondern spricht nur von „meinem Herrn“. Das zeigt ihre persönliche Beziehung. Zu den Jüngern hat sie gesagt: „Sie haben den Herrn … weggenommen“ (Vers 2), zu den Engeln aber sagt sie meinen Herrn. Und doch sucht sie immer noch einen toten Herrn.
Von einem solchen Herzen, das so eng mit Ihm verbunden ist, ist der Herr Jesus aber nie weit entfernt. Nach ihrer Antwort an die Engel dreht sie sich um und will weiter suchen. Dann sieht sie den Herrn Jesus stehen, ohne Ihn jedoch zu erkennen. Sie erwartet immer noch, dass Er irgendwo liegen muss; deshalb rechnet sie nicht damit, dass jemand, der steht, der Herr sein könnte.
Er spricht sie nun mit derselben Frage an, die auch die Engel gestellt haben. Auch Er fragt sie, warum sie weine, aber Er schließt noch eine weitere Frage an: „Wen suchst du?“ Wegen der Tränen in ihren Augen kann sie nicht klar sehen und meint, der Gärtner stehe vor ihr. Der wird doch sicher wissen, was mit dem Leib geschehen ist; vielleicht hat er ihn ja selbst woanders hingetragen?
Auch jetzt erwähnt sie keinen Namen, sondern spricht von „Ihm“, als ob jeder wissen müsse, wen sie meint. Das ist die Sprache der Liebe, die nicht ohne Antwort bleibt. Seine Antwort besteht darin, ihren Namen auszusprechen. Der gute Hirte, der aus den Toten auferstanden ist, ruft sein Schaf mit Namen (Joh 10,3). Dies eine Wort, ihr Name, lässt alle Schwierigkeiten und Zweifel verschwinden.
Das Aussprechen ihres Namens ist nicht der Ausdruck ihrer Liebe zu Ihm, sondern seiner Liebe zu ihr. Dies eine Wort bewirkt, dass sie, die unter Tränen gesät hat, nun mit Jubel ernten darf. Nun füllt Freude ihr Herz – eine Freude, die überströmt und das Herz anderer jubeln lässt, das Herz aller Glaubenden. Sie ist für Ihn dieselbe wie immer. Auch Er liebt sie nun mit derselben Liebe wie damals, als Er sieben Dämonen von ihr austrieb.
17 - 18 Die Botschaft an die Jünger
17 Jesus spricht zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott. 18 Maria Magdalene kommt und verkündet den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen und er dies zu ihr gesagt habe.
Nachdem der Herr sich ihr zu erkennen gegeben hat und sie Ihn voller Freude erkannt hat, kommt Er einer Berührung durch Maria zuvor. Seine Worte „Rühre mich nicht an“ sind nötig, um deutlich zu machen, dass ihre Beziehung jetzt nicht mehr so ist wie vor seinem Tod und seiner Auferstehung. Er wird hier nicht, wie im Matthäusevangelium, als der Messias vorgestellt. Dort ist es durchaus in Einklang mit dem Charakter des Evangeliums, dass die Frauen Ihn anfassen dürfen (Mt 28,9). Hier steht seine Auferstehung in Verbindung mit seiner Rückkehr zum Vater, und hier wäre es unpassend, dass Maria Ihn anrührt.
Wenn Er beim Vater ist, wird sie Ihn wieder „anrühren“ können, und zwar durch den Heiligen Geist, den Er vom Vater aus senden wird. Am Pfingsttag, wenn Maria zusammen mit den anderen Jüngern mit dem Heiligen Geist erfüllt werden wird, wird sie in ihrem Geist eine viel innigere Verbindung mit dem auferstandenen Herrn erfahren, als sie je in den Tagen seines Fleisches erlebt hat (vgl. 2Kor 5,16).
Sie darf Ihn zwar nicht anrühren, aber Er hat jetzt eine gewaltige Botschaft für die, die Er „meine Brüder“ nennt, und die darf Maria überbringen. Mit dieser Bezeichnung „meine Brüder“ bringt Er eine Beziehung zum Ausdruck, die viel weiter geht als „die Seinen“ (Joh 13,1) oder „meine Freunde“ (Joh 15,14), wie Er seine Jünger auch genannt hat.
Indem Er sie „meine Brüder“ nennt, erhebt Er sie in die gleiche Beziehung zu Gott, seinem Vater, die Er selbst genießt. Diese neue Beziehung konnte nur dadurch entstehen, dass Er durch den Tod und die Auferstehung gegangen ist. Weil sein Vater nun auch unser Vater ist, schämt Er sich nicht, uns seine Brüder zu nennen (Heb 2,11.12). Das bedeutet, dass die Gläubigen nun eine Familie sind.
Wegen ihrer tiefen Zuneigung zum Herrn ist Maria die geeignete Person, die herrliche Botschaft von dieser völlig neuen Verbindung den Jüngern zu überbringen. Sie betrifft die höchsten Wahrheiten des Christentums, die alle damit zusammenhängen, dass wir den Vater und den Gott des Sohnes als unseren Vater und unseren Gott kennen.
Wenn wir sagen „unser“ Vater, bezieht sich dies allerdings ausschließlich auf die Gläubigen, nicht auf die Gläubigen zusammen mit dem Sohn. Der Herr spricht nirgendwo über „unseren“ Vater oder „unseren“ Gott in diesem Sinn. Als der ewige Sohn hat Er eine einzigartige Beziehung zu seinem Vater und Gott, die wir nicht mit Ihm teilen können.
Maria tut nun, was Er ihr aufgetragen hat. Als Erstes berichtet sie den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen hat. Ihre Begegnung mit dem Auferstandenen ist der Ausgangspunkt. Danach erzählt sie den Jüngern, was der Herr zu ihr gesagt hat. Diese Reihenfolge ist auch für uns von Bedeutung. Auch wir können erst etwas an andere weitergeben, wenn wir darüber eine persönliche Begegnung mit dem Herrn Jesus gehabt haben, das heißt wenn Er durch sein Wort vor unserer Seele gestanden hat und wir Ihn gesehen haben.
19 - 20 Der Herr kommt zu den Jüngern
19 Als es nun Abend war an jenem Tag, dem ersten der Woche, und die Türen da, wo die Jünger waren, aus Furcht vor den Juden verschlossen waren, kam Jesus und stand in der Mitte und spricht zu ihnen: Friede euch! 20 Und als er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen.
An diesem ersten Tag der Woche, dem Tag seiner Auferstehung, sind die Jünger versammelt. Da tritt der Herr Jesus in ihre Mitte. Eine Woche später geschieht dasselbe noch einmal. In Apostelgeschichte 20 sehen wir, dass es der Tag ist, an dem die Gläubigen zusammenkommen, um Brot zu brechen (Apg 20,7). Es ist auch der Tag, an dem für die Bedürfnisse der Heiligen gesorgt wird (1Kor 16,2). Es ist der Tag des Herrn (Off 1,10).
Alle diese Hinweise gibt der Heilige Geist, um deutlich zu machen, dass dies der Tag für die Christen ist, ohne dass dies als ausdrückliches Gebot formuliert wird. Es ist nicht der Tag der Ruhe für die alte Schöpfung, der Sabbat. Es ist überhaupt kein vom Gesetz auferlegter Ruhetag, sondern: Es ist der Tag der Auferstehung und der Gnade, mit dem für den Gläubigen reiche Segnungen verbunden sind.
Die Jünger haben aus Angst vor den Juden die Türen verschlossen. Ihr Beschützer ist getötet worden. Nun haben sie als seine Nachfolger das gleiche Schicksal zu befürchten. Aber zu ihrem großen Erstaunen kommt der Herr ‒ trotz der verschlossenen Türen ‒ in ihre Mitte.
Dies ist nicht etwa ein Wunder – der Herr offenbart einfach nur das Wesen des Auferstehungsleibes. Das ist ein geistiger Leib, der an Zeit und Raum nicht gebunden ist. So waren auch die geschlossenen Türen des Gefängnisses, in dem Petrus gefangen gehalten wurde, zweimal für den zu seiner Befreiung hereinkommenden Engel kein Hindernis (Apg 5,19; 12,6–10). Für Petrus aber mussten in beiden Fällen die Türen geöffnet werden, um ihn hinauszulassen.
Nachdem der Herr zu den Jüngern gekommen ist, stellt Er sich in ihre Mitte. Das bedeutet, dass Er nicht sofort dort gestanden hat, sondern vielleicht zuerst in der Nähe einer der verschlossenen Türen, die ein Symbol für die Angst der Jünger sind. Wenn Er an der Innenseite einer dieser Türen steht, stellt Er sich also zwischen sie und das Symbol ihrer Angst. Aber dann lenkt Er sie von ihrer Furcht weg, indem Er in ihre Mitte tritt. Sie blicken dann nicht mehr ängstlich auf die Türen, sondern auf Ihn, der ihnen jetzt Frieden zuspricht.
Seine ersten Worte sind: „Friede euch!“ Es ist sein Friede, den Er ihnen schon verheißen hatte, als Er noch bei ihnen war (Joh 14,27). Hier wiederholt Er diese Zusage nach seiner Auferstehung. Es sind wundervolle Worte in einer Welt, die Gott den Krieg erklärt hat und voller Hass ist gegen alle, die mit Christus verbunden sind. Mit diesen Worten nimmt Er seinen Jüngern ihre Angst vor den Juden weg.
Um alle Zweifel zu beenden, dass Er es wirklich ist, zeigt Er ihnen seine Hände und seine Seite. In seinen Händen sehen sie die Wunden der Nägel, mit denen Er an das Kreuz geschlagen war. In seiner Seite sehen sie die Wunde, die ein Soldat Ihm nach seinem Tod mit einem Speerstich zugefügt hat, aus der Blut und Wasser herausgekommen war.
Er zeigt ihnen seine Hände und seine Seite und zeigt ihnen damit die Grundlage des Friedens, den Er verkündigt. Der Friede gründet sich auf sein Werk am Kreuz und sein Blut, das zur Vergebung der Sünden vergossen ist. Das Wasser, das vom Wort Gottes spricht, bewirkt die Reinigung durch die wirksame Anwendung des Werkes und Blutes Christi. Diese Zeichen in seinen Händen und in seiner Seite werden wir in alle Ewigkeit vor Augen haben. Wir werden Ihn als ein geschlachtetes Lamm stehen sehen (Off 5,6).
Als die Jünger Ihn so sehen, werden sie froh. Vorbei ist ihre Traurigkeit, wie Er es ihnen vorhergesagt hat (Joh 16,22). Sie sehen den auferstandenen Herrn: Er ist in ihrer Mitte!
21 - 23 Der Missionsauftrag
21 Jesus sprach nun wieder zu ihnen: Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende auch ich euch. 22 Und als er dies gesagt hatte, hauchte er in sie und spricht zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! 23 Welchen irgend ihr die Sünden vergebt, denen sind sie vergeben, welchen irgend ihr sie behaltet, sind sie behalten.
Ein zweites Mal spricht der Herr ihnen Frieden zu. Beim ersten Mal geschah es, um ihnen persönlich Teil an diesem Frieden zu geben, jetzt geschieht es als Ausgangspunkt für ihre Aussendung, die Er unmittelbar danach ausspricht. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, müssen sie im Frieden Gottes stehen (Eph 6,15). Mit der Vergebung ihrer Sünden durch seinen Tod hat Er ihnen diesen Frieden gebracht, so dass sie nun in der Welt davon zeugen können.
Ihre Aussendung hat den gleichen Charakter wie seine eigene Sendung durch den Vater. Deshalb müssen auch sie das tun, was Er getan hat, nämlich den Vater offenbaren (Joh 17,4.18). Das werden sie tun, indem sie über den Sohn sprechen, Ihn verkündigen und Ihn verherrlichen. Er ist das große Thema, von dem sie Zeugnis geben.
Nachdem Er ihnen seinen Frieden gegeben hat sowie den Auftrag, in die Welt hinauszugehen, haucht Er in sie. Damit vermittelt Er ihnen sein Auferstehungsleben. Bevor Er Mensch geworden war, hatte Er als der Schöpfer den Lebensodem in die Nase Adams gehaucht (1Mo 2,7). Dadurch war Adam eine lebendige Seele geworden (1Kor 15,45). Aber der Herr Jesus ist ein lebendig machender Geist. Das erweist Er, indem Er nun den Jüngern den Odem des himmlischen, ewigen Lebens, sein eigenes Leben, sein Auferstehungsleben einhaucht.
Dieses Leben ist durch den Heiligen Geist gekennzeichnet, der die Kraft zur Offenbarung dieses Lebens mitteilt. Ihr Verkündigungsauftrag schließt ein, dass sie das ewige Leben offenbar machen, das ist der Herr Jesus selbst. Bei allen Segnungen hat der Heilige Geist immer unmittelbaren Anteil.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass Christus den Seinen hier nicht den Heiligen Geist als Person gibt. Als Person wird der Heilige Geist erst auf die Erde kommen, wenn der Herr zum Vater aufgefahren ist und von dort aus den Heiligen Geist gesandt hat – ganz in Übereinstimmung mit dem, was der Herr vorher darüber gesagt hat. Das wird erst am Pfingsttag geschehen.
Neben dem Segen, den die Jünger im Blick auf ihr Zeugnis in der Welt empfangen haben, gibt es auch eine Verantwortung im Blick auf andere Menschen. Wer das ewige Leben nicht hat, ist ein Sünder – ohne Unterschied zwischen Juden und Heiden. Auf alle Sünder kommt das Gericht Gottes. Es gibt aber auch Gnade. Aufgrund dieser Gnade gibt der Herr seinen Jüngern den Auftrag, jedem, der ihr Wort annimmt und zum Glauben an den Herrn Jesus kommt, die Sünden zu vergeben.
Nur Gott kann für die Ewigkeit Sünden vergeben (Mk 2,7). Sobald jemand seine Sünden bekannt hat, darf er wissen, dass Gott sie vergeben hat (1Joh 1,9). Danach ist es die Aufgabe der Jünger, die von Gott empfangene Vergebung zu erkennen und zu bestätigen, damit so jemand in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wird. Wenn sie allerdings sehen, dass jemand nur äußerlich bekennt, ein Gläubiger zu sein, sprechen sie diese Bestätigung nicht aus; so jemand wird nicht in die christliche Gemeinschaft aufgenommen.
Es geht darum, jemanden als Gläubigen anzuerkennen oder abzulehnen. Praktisch geschieht das in der Taufe. Darin wird ein Mensch als Nachfolger Jesu anerkannt. Der Täufer spricht dem Täufling die Vergebung der Sünden zu, er erkennt damit den Täufling an als von Gott angenommen.
Den gleichen Grundsatz sehen wir auch, wenn es um die Gemeinde geht. Das Aufnehmen eines Gläubigen am Tisch des Herrn schließt das Erkennen der Vergebung seiner Sünden ein. Wenn jemand aufgenommen wird, bestätigt die Gemeinde damit, dass seine Sünden vergeben sind. Wenn die Gemeinde aufgrund vorhandener und nicht gerichteter Sünden die Aufnahme verweigert, bedeutet dies, dass so jemand noch mit seinen Sünden behaftet ist.
24 - 29 Der Herr und Thomas
24 Thomas aber, einer von den Zwölfen, genannt Zwilling, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meinen Finger in das Mal der Nägel lege und meine Hand in seine Seite lege, so werde ich nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger wieder drinnen und Thomas bei ihnen. Da kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und stand in der Mitte und sprach: Friede euch! 27 Dann spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Jesus spricht zu ihm: Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben!
Thomas ist nicht dabei, als der Herr das erste Mal nach seiner Auferstehung seinen Jüngern erscheint. Da hat er etwas Bedeutendes verpasst. Es ist aber schön zu sehen, wie begeistert die Jünger Thomas berichten, dass sie den Herrn gesehen haben. Sie kritisieren ihn nicht, sagen auch nicht, wie dumm es von ihm war, nicht dabei gewesen zu sein. Sie bezeugen einfach ihre Begegnung mit dem Herrn. Dabei stellen wir fest, dass sie den Titel „Herr“ gebrauchen – nicht nur wenn sie zu Ihm, sondern auch wenn sie von Ihm sprechen.
Thomas ist aber nicht so einfach zu überzeugen. Die Jünger können ja viel erzählen! Um ihn zu überzeugen, werden sie ihm sicher auch erzählt haben, wie der Herr ihnen seine Hände und seine Seite gezeigt hat. Thomas antwortet nämlich, er wolle das unbedingt erst selbst erleben. Er sagt das sogar mit ziemlich starken Worten: Er begnügt sich nicht damit, es selbst zu sehen – er will es auch selbst fühlen. Bis er es selbst gefühlt hat, werde er es bestimmt nicht glauben, und wenn es noch so viele sind, die es bezeugen.
Eine Woche später sind die Jünger wieder versammelt. Der Wortlaut ist: „Nach acht Tagen“, was auf einen neuen Anfang hindeutet. Jetzt ist Thomas auch dabei. Der Herr kommt auf dieselbe Weise wie beim ersten Mal und Er entbietet ihnen denselben Gruß. Seine Erscheinung und sein Gruß gelten allen, aber man hat fast den Eindruck, als geschehe es nur für Thomas. Wir finden diese Erscheinung nur in diesem Evangelium.
Nun spricht der Herr Thomas persönlich an. Er weiß ja, was Thomas gesagt hat. Darum bietet Er ihm an, das zu tun, was er zuerst tun will, bevor er zu glauben bereit wäre. Der Herr fügt aber eine kleine Ermahnung hinzu: Er solle nicht ungläubig, sondern gläubig sein.
Der Text gibt uns keine Auskunft darüber, ob Thomas seine Finger und Hände wirklich gebraucht hat, um die Echtheit der Wunden festzustellen. Er kommt sofort zu der Einsicht, dass wirklich der Heiland vor ihm steht. Er sagt zu Ihm: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist die Sprache des jüdischen Überrests, dessen Angehörige auch erst glauben werden, wenn sie Ihn anschauen, den sie durchstochen haben (Sach 12,10; Jes 25,9).
Der Herr stellt fest, dass Thomas glaubt, weil er Ihn gesehen hat. Zweifellos reicht das aus, um gerettet zu werden, aber es ist nicht die höchste Form des Glaubens. Der Herr preist diejenigen glückselig, die nicht gesehen und doch geglaubt haben. Das gilt für alle, die nach seiner Rückkehr in den Himmel zum Glauben gekommen sind (2Kor 5,7).
Auch wir haben die Zeichen, die der Herr getan hat, nicht mit unseren eigenen Augen gesehen, sondern wir haben davon gelesen und durch den Heiligen Geist die entsprechende Botschaft mit dem Herzen aufgenommen. So sind die Zeichen für uns zu geistlichen Wirklichkeiten geworden. So haben wir z. B. verstanden, dass das Brot aus dem Himmel ein Zeichen dafür ist, dass Jesus Christus aus dem Himmel auf die Erde gekommen ist, um uns das Leben geben zu können.
30 - 31 Die aufgeschriebenen Zeichen
30 Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor seinen Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. 31 Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen.
Der Unglaube eines Gläubigen (Thomas) ist für den Heiligen Geist der Anlass, die beiden letzten Verse dieses Kapitels aufschreiben zu lassen. Aus den vielen Zeichen des Herrn hat Johannes, geleitet durch den Heiligen Geist, eine Auswahl in sein Evangelium aufgenommen. Alle diese Zeichen verfolgen das Ziel, die Majestät des Herrn Jesus vorzustellen, alle Aufmerksamkeit allein auf Ihn zu konzentrieren als den Christus, den Sohn Gottes. Alle, die an Ihn glauben, besitzen das ewige Leben, durch das sie mit Ihm Gemeinschaft haben können. Auf diese Gemeinschaft geht Johannes in seinem ersten Brief ausführlich ein.
Es gibt auch Zeichen, die der Herr getan hat, die die Jünger auch gesehen haben, die aber nicht für uns aufbewahrt worden sind. Die Bibel gibt uns keinen Bericht davon, weil sie offenbar nicht erforderlich waren, um uns zum Glauben an den Sohn Gottes zu führen. Die in diesem Evangelium aufgeschriebenen Zeichen sind immer der Ausgangspunkt für nähere Belehrung über die Folgen des Herabkommens des Sohnes Gottes auf die Erde und des Werkes, das Er hier vollbringen sollte.
Heutzutage wird oft mit hoher Achtung von Zeichen geredet, als ob sie Menschen zum Glauben führen oder den Glauben verstärken könnten. Die Zeichen, von denen Johannes hier spricht, bei denen die Jünger Zeugen waren, die aber nicht aufgeschrieben worden sind, hat der Herr tatsächlich getan. In unserer Zeit werden aber viele Dinge als Zeichen gerühmt, die in Wirklichkeit Zeichen des Teufels sind.
In gewisser Hinsicht wird mit diesen beiden letzten Versen das Evangelium zum Abschluss gebracht. Es folgt aber noch ein Kapitel als eine Art Anhang. In Kapitel 20 sehen wir in der ersten Erscheinung des Herrn vor seinen Jüngern, was seine Auferstehung für die Gemeinde bedeutet. Seine zweite Erscheinung zeigt uns, was seine Auferstehung für den Überrest des Volkes Israel bedeutet.
Die dritte Erscheinung, in Kapitel 21, offenbart das Ergebnis des Werkes des Herrn Jesus vollständig. In dem Bild des Fischfangs aus dem See geht es um den Segen seiner Auferstehung für die Völker im künftigen Friedensreich.