Einleitung
Nach dem prächtigen Kapitel Hosea 11, in dem wir so viel Liebe und Verheißungen von Gott für sein Volk finden, geht es in diesem Kapitel wieder um die Sünde Israels. In einem erneuten Versuch, das Volk auf seinen sündigen Zustand aufmerksam zu machen, spricht Hosea über ihren Vater Jakob. Verschiedene Ereignisse in Jakobs Leben sollen das Volk zum Nachdenken bringen.
Auch die Propheten werden erwähnt. Sie haben im Namen Gottes gesprochen. Mose ist der wichtigste von ihnen. Er hat sie aus Ägypten herausgeführt. Er ist auch ein Bild für den Herrn Jesus, der sein Volk in der Endzeit von allen Mächten, die es unterdrücken, befreien wird.
1 Gottes Volk umringt Ihn mit Lüge und Betrug
1 Mit Lüge hat Ephraim mich umringt, und das Haus Israel mit Trug; und Juda ist immer noch zügellos gegen Gott und gegen den Heiligen, der treu ist.
Ephraim ist unaufrichtig in seinem Umgang mit Gott. All ihr Dienen vor Ihm, wenn sie zu seinem Altar kommen, ist heuchlerisch und vorgetäuscht. Wenn sie Ihn mit ihren Lobpreisungen und Gebeten umringen oder sich Ihm mit einer Bitte nähern, belügen sie Ihn mit ihrem Mund und schmeicheln Ihm mit ihrer Zunge. Sie mögen schöne Sätze äußern, aber ihre Worte sagen nicht die Wahrheit.
Sie kommen zu Gott mit egoistischen Absichten. Er soll ihre Wünsche erfüllen. Sie schrecken nicht vor der Lüge zurück, als ob sie Ihn täuschen könnten! Gott sieht, dass sie sich selbst mit ihren Sünden umringt haben (Hos 7,2). Sie glauben jedoch nicht, dass Er es sieht. Hier ist Gott von ihnen mit Lug und Trug umgeben, weil sie in diesem Zustand zu Ihm kommen. Der Gedanke, dass Er so nichts mit ihnen zu tun haben will, kommt ihnen nicht in den Sinn.
Juda ist noch nicht so abtrünnig wie Ephraim. Es gibt noch eine gewisse äußere Treue zu Gott. Es regiert auch noch ein König aus dem Hause Davids. Aber Juda ist auch widerspenstig gegen Gott, den Heiligen. Gott in seiner Heiligkeit ist der Einzige, der treu ist (vgl. 2Tim 2,13).
2 Die Torheit der politischen Bündnisse
2 Ephraim weidet sich an Wind und jagt dem Ostwind nach; den ganzen Tag mehrt es Lüge und Gewalttat; und sie schließen einen Bund mit Assyrien, und Öl wird nach Ägypten gebracht.
Ephraim unternimmt einen enormen Aufwand, um sich zwischen Assyrien und Ägypten, den politischen Großmächten jener Tage, zu behaupten. Wie töricht das ist, zeigt der Prophet, indem er sagt, dass Ephraim sich „an Wind weidet“. Wie kann man sich von etwas so schwer fassbarem wie Wind ernähren? Das Nachjagen vom Wind zeigt, wie eitel die Hoffnung ist, die sich auf den Menschen stützt. Wie unbelehrbar ist das Volk – und das gilt für jeden Menschen –, dass trotz der Enttäuschung, die die Suche nach Hilfe bei Menschen immer mit sich bringt, nichts daran ändert, beim nächsten Mal wieder Hilfe bei Menschen zu suchen.
Dieses Nachjagen bringt nicht nur keinen Vorteil, sondern hat sogar einen großen Nachteil: Es bewirkt den eigenen Untergang. Deshalb ist es nicht nur sich an Wind weiden, was auf die Vergeblichkeit der Bemühungen hinweist, sondern es wird auch als Ostwind bezeichnet. Dieser Ostwind oder Schirokko ist der sengende Wind aus der Wüste, der wie eine Geißel über die Ernte hereinbricht und sie vernichtet (vgl. Hos 13,15).
Israels hartnäckige Versuche, Hilfe bei den Nachbarländern zu suchen, werden auch dadurch belegt, dass sie sich „den ganzen Tag“ damit beschäftigen. Schon früher wurde geklagt, dass sie immer wieder Bündnisse schließen (Hos 10,4). Sie schließen einen Bund mit Assyrien und versuchen auch, Ägypten an die Hand zu bekommen, indem sie es mit Öl versorgen. Ihre ganze Politik besteht darin, diese Großmächte gegeneinander auszuspielen (2Kön 17,3.4). Darin können wir auch die Doppelzüngigkeit Israels beobachten. Manchmal verbünden sie sich mehr mit Ägypten, manchmal mehr mit Assyrien, wie es ihnen gerade gut dünkt.
3 Juda und Jakob
3 Auch mit Juda hat der HERR einen Rechtsstreit; und er wird Jakob heimsuchen nach seinen Wegen, nach seinen Handlungen ihm vergelten.
Wieder zeigt Gottes Finger auf Juda und nun im negativen Sinne. Die Dinge entwickeln sich mit Israel immer mehr zum Schlechteren, aber auch Juda entwickelt sich in die falsche Richtung. Juda wird sich für das Abweichen von Gott verantworten müssen. In Jakob, dem Stammvater der zwölf Stämme, können wir sicherlich Ephraim und Juda, die zehn und die zwei Stämme zusammen sehen. Gott wird sie alle züchtigen müssen für den Weg, den sie gegangen sind und was sie auf diesen Weg getan haben. Aber in den folgenden Versen benutzt Gott zuerst die Geschichte Jakobs, um zu zeigen, dass der Weg der Umkehr für das ganze Volk noch offen ist.
4 Der Mutterleib und die Manneskraft
4 Im Mutterleib hielt er die Ferse seines Bruders, und in seiner Manneskraft kämpfte er mit Gott:
In den Versen 4 und 5 wird die Aufmerksamkeit auf drei Ereignisse in Jakobs Leben gelenkt. Diese dienen als Beispiele für alle zwölf Stämme Israels. Es sind seine Geburt (1Mo 25,24–26), sein „Sieg“ bei Pniel (1Mo 32,22–32) und die Reinigung seines Hauses in Bethel (1Mo 35,1–15).
Das erste Beispiel betrifft seine Geburt. An der Ferse nehmen kann auf Betrug hinweisen. Es ist eine Anspielung auf den Namen Jakob, der „Fersenhalter“ bedeutet. Die Erklärung kann auch positiv sein, wenn wir sehen, dass Jakob gewissermaßen schon im Mutterleib damit beschäftigt war, das Erstgeburtsrecht zu besitzen, von dem sich später herausstellt, wie wenig Wert sein Bruder Esau ihm beimisst. Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht für eine Schüssel Linsengericht (1Mo 25,29–34).
Wie hinterlistig Jakob auch immer gewesen sein mag, so hat er dem Segen Gottes doch immer Beachtung entgegengebracht und ihn zu schätzen gewusst. Und daran fehlt es beim Volk. Deshalb können wir in dem Hinweis auf Jakobs Geburt eine Ermahnung an das Volk sehen, sich auszustrecken nach dem Segen Gottes und sich dafür einzusetzen. Aber nicht auf die Art und Weise von Jakob. Jakob wollte den Segen Gottes oft auf falsche Weise erlangen, nämlich durch eigene Anstrengung. Er musste lernen, dass es so bei Gott nicht geht.
Außerdem führt eigene Anstrengung zum Streit mit Menschen. Dieses Verhalten muss abgelegt werden, und das geschah mit dem zweiten Vorfall, der von ihm erwähnt wird: sein Kämpfen mit Gott bei Pniel. Das ist ein Hinweis auf den Namen Israel, was „Fürst Gottes“ oder „Kämpfer Gottes“ bedeutet.
5 Wie Jakob überwand
5 Er kämpfte mit dem Engel und überwand, er weinte und flehte zu ihm; in Bethel fand er ihn, und dort redete er mit uns.
Jakob kämpfte mit Gott in Pniel. Es wurde gesagt, dass Jakob mit einem bösen Engel gerungen hat. Das dürfte dann eine interessante Auslegung sein, die eine neue Perspektive eröffnet. Es wäre dann ein Schutzengel von Esau gewesen. Aber das passt nicht zu der Geschichte, die in 1. Mose 32 erwähnt wird (1Mo 32,22–32). Es passt auch nicht zu dem, was Hosea hier sagt. In Vers 3 steht eindeutig geschrieben, dass Jakob mit Gott kämpfte.
Es ist auch klar, dass Gott in der Gestalt eines Engels mit Jakob rang. Überall im Alten Testament ist die Form, die Gott annimmt, wenn Er sich den Menschen zeigt, die eines Engels. Oft ist dann vom „Engel des HERRN“ die Rede.
Wenn Hosea diese Geschichte zitiert, geht es darum, zu zeigen, wie Jakob hier gekämpft und überwunden hat. Jakob hat in seiner Manneskraft gekämpft. Aber das gab ihm nicht den Sieg. Es war in dieser Kraft, dass Gott ihn schlagen musste. Gott rührte sein Hüftgelenk an, in dem die Kraft zum Gehen steckt. Von diesem Moment an geht Jakob hinkend an seiner Hüfte, als ständige Erinnerung an sein Kämpfen mit Gott.
Doch Jakob hat überwunden. Nicht durch seine Kraft, sondern durch seine Schwäche. Seine Schwäche ist zur Stärke geworden, durch die er überwunden hat. Darin hat er die Erfahrung des Paulus gemacht, der in seiner Schwäche vom Herrn gesagt bekommt: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2Kor 12,9a). Jakob überwand, indem er weinend Gott um Gnade bat. Er kämpfte mit der Waffe des Gebets (vgl. Kol 4,12). Dazu braucht es keine körperliche Kraft, sondern geistliche Kraft. Dadurch lässt sich Gott immer überwinden.
Der Moment, in dem jemand Gott um Gnade fleht, ist immer der Moment, in dem der Kampf aufhört und Gott nicht länger ein Gegner ist, sondern zum Unterstützer wird. Jemand weint, weil er seine Sünden bereut, wenn er erkennt, wieviel Böses und Schlechtes es in seinem Leben gibt. Er fleht um Gnade, weil er darauf vertrauen darf, dass Gott all das Böse und die Schlechtigkeit vergibt. Jakob hat den Sieg errungen, indem er schwach war. Wenn wir lahm und gebrochen sind und nichts weiter tun können, als uns an Gott zu klammern, werden wir seine Gnade erfahren. Dann werden sich Gottes verborgene Schätze des Segens für uns öffnen.
Was für ein Segen wird es für Israel sein, wenn sie Jakobs Methode des Kämpfens anwenden. Was für ein Segen wird es für den Christen sein, der lernt, so zu kämpfen, wie Jakob es hier tat.
Jakob hat in diesem Sinn schon bei der Geburt bewiesen, dass er den Segen Gottes zu schätzen weiß, indem er die Ferse seines Bruders hält. In seinem Kampf sehen wir, dass er den Segen erhält durch eine richtige Einstellung gegenüber Gott. Dann kommt ein weiteres Ereignis, aus dem Israel und auch wir das Nötige lernen können. Es hat mit der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk zu tun. Das wird in den Worten ausgedrückt: „Dort redete er mit uns“, was Gemeinschaft bedeutet.
Es heißt „mit uns“ und nicht „mit ihm“. Jakob steht für das ganze Volk. Hosea sagt gleichsam: „Indem Er zu Jakob sprach, sprach Er zu uns. Was Er dort zu Jakob sagt, gilt auch für uns.“ Ein Volk, das sich nach Gemeinschaft mit Gott sehnt, muss die Götzen ausrotten. Das ist es, was in Bethel geschah. Nachdem Jakob sein Haus gereinigt hat, begegnet er Gott in Bethel (1Mo 35,9–12). Ephraim und Juda sollten auch tun, was Jakob tat – zu Gott zu schreien und sich zu demütigen und die fremden Götter hinwegtun – aber sie taten es nicht.
6 HERR ist sein Gedenkname
6 Und der HERR, der Gott der Heerscharen – HERR ist sein Gedenkname.
Von Jakob geht der Scheinwerfer nun zu Gott selbst. Hier sehen wir Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät. Er ist der Anführer der Heerscharen Israels und aller irdischen und himmlischen Heerscharen. Er, der jetzt durch Hosea zu seinem Volk spricht, ist derselbe, der damals Jakob erschien und zu ihm sprach. Sie haben es mit Ihm allein zu tun und mit niemandem sonst, weder mit einem Kalb in Bethel noch mit Baal an allen möglichen anderen Orten.
Sein Name „HERR“ garantiert die Verbindung mit seinem Volk. Es ist sein Bundesname, der Name, mit dem Er sich seinem Volk als ihr Gott offenbart hat. Deshalb wird Er die Verheißungen erfüllen, die er Abraham, Isaak und Jakob gegeben hat (2Mo 6,1–7).
Die Erfüllung aller seiner Verheißungen liegt auch in seiner Macht. Er ist der Gott der Heerscharen, was bedeutet, dass Er an der Spitze aller Mächte steht. Alles ist seiner Autorität unterstellt und alles steht Ihm zur Verfügung, um sein Ziel zu erreichen. Was für eine Ermutigung für Israel, sich bereitwillig diesem großen, beeindruckenden Gott zu unterwerfen, der sich so mit ihnen verbunden hat. Was für eine Torheit ist es, sich von diesem Gott abzuwenden und dadurch allen Segen zu verlieren.
7 Kehre um zu Gott
7 Du denn, kehre um zu deinem Gott; bewahre Güte und Recht, und hoffe beständig auf deinen Gott.
Nachdem er die Ereignisse in Jakobs Leben als Beispiel angeführt und auf den HERRN selbst hingewiesen hat, folgt nun der Aufruf, „zu deinem Gott“ umzukehren. Es ist auffallend, wie sehr sich Gott bemüht, eine Umkehr zu Ihm attraktiv zu machen. Immer wieder macht Er deutlich, was das zur Folge hat. Jeder, der auch nur einen Augenblick nachdenkt, muss zu dem Schluss kommen, dass die Umkehr zu Gott der einzig richtige Schritt ist. Das markante „zu deinem Gott“ soll dem Volk einen zusätzlichen Anstoß geben, diesen Schritt doch endlich zu tun.
Hosea spricht das ganze Volk an. Er spricht es als Einheit an. Um in den Genuss jener gesegneten Beziehung zu kommen, in der Gott sich mit Jakob in Bethel verbunden hat, muss Israel Buße tun und zu Gott umkehren. Umkehr kann nur im Gefühl der eigenen Ohnmacht, wahrer Demut und dem Wegtun der Götzen stattfinden.
Einmal zu Gott zurückgekehrt, wird die Folge sein, dass sich auch die Einstellung gegenüber dem Nächsten ändert, mit den Merkmalen „Güte und Recht“. Die Güte wird sich in der Fürsorge für die Armen und im Trost für die Traurigen äußern. Recht wird sich darin äußern, dass man jedem das gibt, was ihm zusteht.
Es wird kein Weglaufen von Gott mehr geben. Vielmehr heißt es, sich auf sein Eingreifen zu freuen, anstatt ihre Erlösung von irdischen Großmächten zu erwarten. Auf Gott hoffen heißt: von Ihm allein und von niemandem sonst abhängig sein zu wollen, besonders in Situationen, in denen wir Hilfe brauchen und sie nicht zu kommen scheint.
8 Was Kanaan tut
8 Ein Händler [ist er]; in seiner Hand ist eine Waage des Betrugs, er liebt zu übervorteilen.
Wie notwendig die Aufforderung zur Umkehr des vorigen Verses ist, zeigt sich in den nun folgenden Versen. Das Volk wird hier ein „Händler [Hebräisch: Kanaan]“ genannt, um anzuzeigen, dass es sich nicht wie sein Vorfahr Israel verhält, sondern nach den Sitten der früheren Bewohner des Landes. Die plötzliche Einführung dieses Namens Kanaan impliziert Verachtung für die Haltung, die Israel nun einnimmt. Israel hätte den Kanaanitern und ihren Schrecken ein klares Zeugnis von seinem Gott geben müssen. Stattdessen haben sie die gräulichen Praktiken der Kanaaniter übernommen.
Eine Anwendung des Namens Kanaan für die heutige Zeit ist, dass Gott eine örtliche Gemeinde mit „Welt! anspricht. Es gibt Gemeinden, in denen kaum noch ein Unterschied zwischen der Gemeinde Gottes und der Welt zu erkennen ist. Die Grenzen sind dort praktisch verschwunden. Die Gemeinde sollte ein Segen für die Welt sein, aber sie ist mit ihr verschmolzen, indem sie die Welt in ihre Mitte gelassen hat.
Kanaan bedeutet, wie hier übersetzt ist, „Händler“. Die phönizischen Kanaaniter waren zu jener Zeit eines der erfolgreichsten Handelsvölker (vgl. Jes 23,8). Hosea verbindet damit die falsche Einstellung zum Nächsten, die immer auf eine falsche Einstellung zu Gott folgt. Dies zeigt sich im Handel treiben mit dem Nächsten, wo „eine Waage des Betrugs“ verwendet wird (3Mo 19,36; 5Mo 25,13–16). Eine Waage des Betrugs scheint gerecht zu sein, aber das Gegengewicht entspricht nicht dem Standard.
Auf diese Weise übervorteilen sie ihre Nächsten. Das ist schon falsch, aber sie finden noch das größte Vergnügen daran. Das Gewissen reagiert bei diesen Menschen einfach nicht mehr. Aber auch wenn der Käufer nicht merkt, dass er betrogen wird, Gott sieht es.
Er sieht auch, wie wir die Dinge in ihrer geistlichen Anwendung „wiegen“, auch innerhalb der Gemeinde. Wenn dort Dinge beurteilt werden sollen, soll dies auch mit einer ehrlichen „Waage“ geschehen. Leider geschieht das nicht immer. Jakobus weist auf den Gebrauch „einer Waage des Betrugs“ hin, wenn er auf die unterschiedliche Behandlung von Reichen und Armen hinweist (Jak 2,2–4). Jede gute oder schlechte Tat soll ohne Rücksicht auf die Person beurteilt werden. Und seien wir ehrlich: Wie sehr sind wir geneigt, eine schlechte Tat von jemandem, den wir nicht mögen, schwerer zu bewerten als die eines unserer Freunde? Dann werden die Taten mit einer Waage des Betrugs gewogen.
9 Ich bin reich geworden
9 Und Ephraim spricht: Ich bin doch reich geworden, habe mir Vermögen erworben; in all meinem Erwerb wird man mir keine Ungerechtigkeit nachweisen, die Sünde wäre.
Hoseas Beschuldigung aus Vers 8 hat das Ziel verfehlt. Was Ephraim hier sagt, erinnert an das, was die Gemeinde in Laodizea sagt: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts“ (Off 3,17a). Indem Laodizea dies ausspricht, stellt sich heraus, dass sie, genau wie Ephraim, völlig blind für ihre Sünden sind. In der Endzeit wird die Christenheit von der gleichen Selbstzufriedenheit geprägt sein wie damals Ephraim.
Für Ephraim ist ihr Reichtum der Beweis, dass sie alles richtig machen. Sie denken im Sinn von: „Wenn wir im Unrecht wären, würde Gott uns dann so segnen?“ Aber Reichtum ist nie ein Beweis für Segen. Wohlstand macht uns oft blind für die Sünde. Es ist töricht, seine Hoffnungen auf so etwas wie die Ungewissheit des Reichtums zu setzen. Jakobus warnt uns vor dieser Fehleinschätzung des Reichtums (Jak 1,9.10). Diejenigen, die die relative Bedeutung von Reichtum kennen, werden sich das Wort zu Herzen nehmen, „nicht hochmütig zu sein noch auf die Ungewissheit des Reichtums Hoffnung zu setzen, sondern auf Gott“ (1Tim 6,17).
Bei all dem Reichtum maßt sich Ephraim an, keine Sünde begangen zu haben. Jeder Vorwurf wird von vornherein für unbegründet erklärt. Offenbar haben sie Schlupflöcher im Gesetz entdeckt, die es ihnen erlauben, sich vorzumachen, dass ihr Handeln nicht gegen das Gesetz verstößt. Menschen, die nur auf sich selbst und ihren eigenen Vorteil bedacht sind, haben immer eine gute Meinung von sich selbst. Wenn es irgendeine Sünde gäbe, wird sie als „nicht der Rede wert“ abgehandelt.
Für fleischliche Christen sind der weltliche Wohlstand und der Erfolg, den sie haben, oft eine Bestätigung dafür, dass sie mit ihrer Lebensweise richtig liegen.
10 Wohnen in Zelten als Gericht und als Verheißung
10 Ich aber bin der HERR, dein Gott, vom Land Ägypten her; ich werde dich wieder in Zelten wohnen lassen wie in den Tagen der Festzeit.
Das Wort „aber“, mit dem dieser Vers beginnt, weist auf den Kontrast zwischen dem, der Gott ist, und der Haltung des Volkes hin, wie sie im vorhergehenden Vers angegeben ist. Wenn das Volk gesündigt hat, erinnert Gott sie oft daran, woher sie gekommen sind. Es soll die Erinnerung an die Zeit wach halten, in der sie in Knechtschaft waren und von wem sie daraus erlöst wurden. Von dieser Zeit an ist Er ihr Gott. Würden sie in Ruhe darüber nachdenken, müssten sie anerkennen, dass Gott sie seither immer mit Liebe und Fürsorge umgeben hat. Aber dafür nehmen sie sich nicht die Zeit.
Nun wird Gott sie wegen ihrer Sünden aus ihrem Land vertreiben und sie werden wieder in Zelten leben müssen, so wie damals in der Wüste. Diese Zelte sprechen von der Vorläufigkeit der Behausung, die sie finden werden. Sie wird nicht endgültig sein. Denn ein Zelt hat die Eigenschaft, dass es eine vorübergehende Behausung ist. Das bedeutet, dass gleichzeitig mit dem Gericht der Wegführung dem Volk eine Verheißung gegeben wird, dass diese Wegführung nicht endgültig ist und dass es zu einem Ende kommen wird.
„Die Tage der Festzeit“ weisen auf die Feste hin. Das einzige Fest, bei dem das Volk in Zelten lebt, ist das Laubhüttenfest. Das verstärkt den Gedanken, dass Hosea mit seinem Gericht, wieder in Zelten zu leben, gleichzeitig eine Verheißung ausspricht. Das Laubhüttenfest ist das letzte der sieben Feste des HERRN (3Mo 23,33–43) und weist prophetisch auf das Tausendjährige Friedensreich hin.
11 Die Propheten
11 Und ich habe zu den Propheten geredet, ja, ich habe Gesichte vermehrt und durch die Propheten in Gleichnissen geredet.
Propheten sind die Menschen, durch die Gott mit seinem Volk in Verbindung tritt, wenn das Volk sich von Ihm abgewandt hat. Propheten haben das Volk immer wieder zur Umkehr zu Gott aufgerufen. In der Endzeit werden zwei Zeugen Gottes als Propheten wirken (Off 11,3–7). Diese beiden Propheten werden Dinge tun, die auch Mose und Elia getan haben. Mose als Prophet wird auch später in Vers 14 unseres Kapitels besprochen.
Es zeugt von Gottes Güte, dass Er Propheten gibt. Sie geben seine Gedanken an ein irrendes Volk weiter. Dem Volk als Ganzes verkünden sie das Gericht. Für die wenigen im Volk, die auf ihre Worte hören, haben sie Verheißungen als Ermutigung.
12 Die Sünde zerstört die frühere Herrlichkeit
12 Wenn Gilead Frevel ist, so werden sie nur Nichtiges werden. In Gilgal opferten sie Stiere; so werden auch ihre Altäre wie Steinhaufen sein auf den Furchen des Feldes.
In diesem Vers erscheint wieder die aktuelle Situation in ihrer Gesamtheit. Wir sehen „Gilead“ auf der Ostseite des Jordans und „Gilgal“ auf der Westseite als Stellvertreter für die Situation, wie sie in ganz Israel ist. Gilead ist ein Ort, der sprichwörtlich für Glanz und Kraft steht (Jer 22,6a), ein Ort auch der Heilung (Jer 8,22). Aber von all dieser Herrlichkeit ist nichts mehr übrig. Die Sünde hat alles verdorben, was schön ist und Heilung bietet. Gilead ist zu nichts Gutem mehr fähig. Auch von der einstigen Herrlichkeit Gilgals als Opferstätte ist nichts mehr übrig.
13 Jakob – Israel
13 Und Jakob floh in das Gebiet von Aram, und Israel diente um eine Frau und hütete um eine Frau.
Wieder einmal erinnert der Prophet das Volk an seinen Vorfahren „Jakob“. Der Name Jakob wird gewöhnlich verwendet, um Jakob als einen schwachen Mann zu bezeichnen. Jakob ist der Mensch, der sich für den Segen Gottes interessiert, der aber versucht, diesen Segen auf hinterhältige Weise zu ergattern. Er bedient sich sogar der Täuschung. Mit dieser Handlungsweise kommt er Gott oft in die Quere. Doch Gott weiß, wie Er alles in Jakobs Leben für die Ausführung seiner Pläne nutzen kann.
Es ist immer wieder beeindruckend, von Gott als „dem Gott Jakobs“ zu lesen. Gott ist der Gott dieses schwachen Jakobs. Es ist auch eine Ermutigung für alle von uns, die sich oft wie ein Jakob fühlen: von Gott gesegnet werden zu wollen, aber wenig Geduld zu haben und zu versuchen, Gottes Segen auf seine eigene Weise zu sichern. Nicht, dass Gott uns dabei hilft, aber Er lässt uns sicher nicht im Stich. Wenn wir dann mit unseren eigenen Versuchen aufhören und zu ihm Zuflucht nehmen, ist Er für uns da und hilft uns weiter.
Jakob ist geflohen, weil er den Segen durch Betrug von seinem Vater Isaak gestohlen hat, der ihn für Esau vorgesehen hatte. Dies ist nun ein gutes Beispiel dafür, wie Jakob unter der Führung seiner Mutter Rebekka daran arbeitet, sich den Segen anzueignen, den Gott ihm versprochen hatte. Gott hat diesen Segen versprochen. Warum also nicht auf Ihn vertrauen?
Weil er wie Jakob gehandelt hat, muss er wie Jakob fliehen. Aber dann spricht Hosea von „Israel“ im Zusammenhang mit seinem Dienen um eine Frau. Hier treten Jakobs Glaube und Treue in den Vordergrund und dann wird er „Israel“ genannt. Israel bedeutet „Fürst Gottes“ oder „Kämpfer Gottes“. Die Art und Weise, wie Jakob gedient hat, um Rahel heiraten zu können, war ein treuer Dienst. Später, als er vor Laban geflohen ist und von ihm überholt wurde, kann er dies bezeugen. Dabei gibt er Gott die Ehre (1Mo 31,36–42). Dort handelt und spricht er wie Israel.
Aufs Neue sollte dies das Volk ansprechen und zur Umkehr bringen. Der Weg, den Gott mit Jakob gegangen ist, war nicht immer leicht. Nicht einfach wegen Jakobs eigensinnigem Handeln und auch nicht einfach wegen dem, was andere ihm angetan haben. Es sind die gleichen Dinge, mit denen auch wir in unserem Leben zu tun haben können.
14 Mose
14 Und der HERR führte Israel durch einen Propheten aus Ägypten herauf, und durch einen Propheten wurde es gehütet.
In Vers 11 spricht Hosea über Propheten, die in der Zukunft eine Rolle zum Wohl des Volkes spielen werden. Nun blickt er zurück auf den Anfang, denn auch damals spielte ein Prophet eine wichtige Rolle. Der Prophet, den der HERR benutzte, um Israel aus Ägypten herauszuführen, ist kein anderer als Mose. In 5. Mose 18 spricht Mose von sich selbst als Prophet (5Mo 18,15). Er spricht in diesem Vers sogar von „einem Propheten … gleich mir“. Er verweist auf einen, der ein Prophet wie er sein wird und auf den das Volk hören wird.
Dieser Vers wird in Apostelgeschichte 3 zitiert (Apg 3,22). Aus den Versen, die davor und danach stehen (Apg 3,18–26), geht hervor, dass der Prophet, auf den sich Mose bezieht, kein anderer ist als der Herr Jesus. So wie Mose als Prophet das Volk Gottes aus Ägypten befreite und es als Hirte in der Wüste bewahrte, so tut es jetzt der Herr Jesus und hat es immer getan. Er rettet vor der Welt und vor der Macht des Teufels. Er ist der Hirte, der seine Herde bewahrt und weidet.
Als Prophet sprach Mose die Worte Gottes zu Pharao in Ägypten und bestätigte diese Worte mit Zeichen und Wundern, die für Pharao und seine Untertanen Plagen waren. Als Prophet redete Mose in der Wüste die Worte Gottes zu seinem Volk. In ihnen zeigt Gott nach der Erlösung aus Ägypten seine Fürsorge für sein Volk. Wer Gott gehorcht, dem geht es gut, wer nicht gehorcht, muss die Folgen tragen. Gott behütet und schützt sein Volk durch sein Wort.
Auch heute gibt Gott seinem Volk noch Propheten. Sie haben nichts damit zu tun, die Zukunft vorherzusagen, sondern alles damit, die Worte Gottes weiterzugeben. Wenn die Gemeinde zusammenkommt, um auf Gottes Wort zu hören, können Brüder als Propheten genutzt werden. Das geschieht, wenn sie zur „Erbauung und Ermahnung und Tröstung“ reden (1Kor 14,3.26–37).
15 Gott straft die Sünde
15 Ephraim erzürnte ihn bitterlich, und sein Herr wird seine Blutschuld auf ihm lassen und ihm seine Schmähung vergelten.
Anstatt Gott für all die Güte dankbar zu sein, die Er gezeigt hat, indem Er sie aus Ägypten erlöste und sich in der Wüste um sie kümmerte, „erzürnte“ sein Volk Ihn „bitterlich“. Sie rühmen Mose als ihren großen Führer, aber sie treten die Worte mit Füßen, die er ihnen im Namen Gottes weitergegeben hat.
Alle ihre Sünden, besonders die, mit denen Blutschuld verbunden ist, wird ihnen „sein Herr“, sein Gebieter, auf ihn lassen. Auf jemandem Blutschuld lassen, ist das Gegenteil davon, jemandem die Blutschuld wegzunehmen oder zu vergeben. Gott ist auch ein Gott von Vergeltung. Wie die Bezeichnung „sein Herr“ andeutet, wird Er als ihr souveräner Herrscher das Böse nicht ungestraft lassen.