Einleitung
Das Kapitel beinhaltet das völlige Schuldbekenntnis der Brüder, ausgesprochen von Juda. Gott bringt die Brüder aufgrund der Joseph verliehenen Weisheit sozusagen zurück auf das Feld von Dothan, wo sie Joseph in die Grube geworfen und verkauft haben (1Mo 37,17–28). Damals bewirkten die Angstschreie Josephs nichts (1Mo 42,21). Was werden sie nun mit Benjamin machen, der von seinem Vater geliebt wird (Vers 20)? Werden sie ihn auch opfern?
1 - 13 Der Kelch im Sack Benjamins
1 Und er gebot dem, der über sein Haus war, und sprach: Fülle die Säcke der Männer mit Speise, so viel sie tragen können, und lege das Geld eines jeden oben in seinen Sack. 2 Und meinen Kelch, den silbernen Kelch, sollst du oben in den Sack des Jüngsten legen mit dem Geld für sein Getreide. Und er tat nach dem Wort Josephs, das er geredet hatte. 3 Als der Morgen anbrach, da wurden die Männer entlassen, sie und ihre Esel. 4 Sie waren eben zur Stadt hinausgegangen, sie waren [noch] nicht weit, da sprach Joseph zu dem, der über sein Haus war: Mach dich auf, jage den Männern nach, und hast du sie erreicht, so sage zu ihnen: Warum habt ihr Böses für Gutes vergolten? 5 Ist es nicht der, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er zu weissagen pflegt? Ihr habt übel getan, was ihr getan habt! 6 Und er erreichte sie und redete diese Worte zu ihnen. 7 Und sie sprachen zu ihm: Warum redet mein Herr solche Worte? Fern sei es von deinen Knechten, so etwas zu tun! 8 Siehe, das Geld, das wir oben in unseren Säcken fanden, haben wir dir aus dem Land Kanaan zurückgebracht, und wie sollten wir aus dem Haus deines Herrn Silber oder Gold stehlen? 9 Bei wem von deinen Knechten er gefunden wird, der sterbe; und dazu wollen wir meinem Herrn zu Knechten sein. 10 Da sprach er: Nun, nach euren Worten, so sei es auch: Bei wem er gefunden wird, der sei mein Knecht, ihr aber sollt schuldlos sein. 11 Und sie beeilten sich und hoben jeder seinen Sack auf die Erde herab und öffneten jeder seinen Sack. 12 Und er durchsuchte: Beim Ältesten fing er an, und beim Jüngsten hörte er auf; und der Kelch fand sich im Sack Benjamins. 13 Da zerrissen sie ihre Kleider, und jeder belud seinen Esel, und sie kehrten in die Stadt zurück.
Wiederum erhalten die Brüder ein reichliches Maß an Getreide, wobei sie auch das Geld wieder in ihre Säcke zurückbekommen. Während der ganzen Prüfung erweist Gott unverändert seine Gnade.
Der Kelch muss in den Sack von Benjamin. Als einziger der Brüder war er an der Verwerfung Josephs unschuldig, aber Benjamin wird jetzt alle Schuld zugerechnet. Das ist auch mit dem Herrn Jesus geschehen. Der Gerechte hat gelitten für die Ungerechten (1Pet 3,18). Das müssen die Brüder (und auch wir) lernen.
Wir können in dem Hausverwalter wohl ein Bild des Heiligen Geistes sehen. Er tut alles, was Joseph sagt. Er folgt den Brüdern und „entdeckt“ den Kelch in dem Sack Benjamins. Dadurch werden die Brüder von einer großen Niedergeschlagenheit ergriffen. Sie finden keine Entschuldigung mehr. Dazu will der Heilige Geist stets eine Seele bringen: eine Erkenntnis ohne Entschuldigung.
In Bezug auf den Kelch sind sie wirklich unschuldig. Aber für ihr Gewissen ist das ohne Bedeutung. Juda erwähnt den Kelch nicht einmal. Wenn das Gewissen einmal erwacht und von der Sünde überzeugt ist, beschäftigt es sich nur mit der wirklichen Schuldfrage. Sie zerreißen ihre Kleider, wie es Jakob einst getan hat, als sie die heuchlerische Nachricht vom Tod Josephs brachten (1Mo 37,34).
14 - 17 Bekenntnis vor Joseph
14 Und Juda und seine Brüder kamen in das Haus Josephs; und er war noch dort, und sie fielen vor ihm nieder zur Erde. 15 Und Joseph sprach zu ihnen: Was ist das für eine Tat, die ihr getan habt! Wusstet ihr nicht, dass solch ein Mann wie ich weissagen kann? 16 Und Juda sprach: Was sollen wir meinem Herrn sagen? Was sollen wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Ungerechtigkeit deiner Knechte gefunden; siehe, wir sind die Knechte meines Herrn, sowohl wir als auch der, in dessen Hand der Kelch gefunden worden ist. 17 Und er sprach: Fern sei es von mir, dies zu tun! Der Mann, in dessen Hand der Kelch gefunden worden ist, der soll mein Knecht sein; und ihr, zieht in Frieden hinauf zu eurem Vater.
Wieder bei Joseph angekommen, beugen sie sich diesmal nicht nur vor ihm nieder, sondern fallen vor ihm nieder zur Erde. Die Brüder erkennen die Gerechtigkeit Gottes. Sie sagen, dass Er ihre Schuld ans Licht gebracht hat, womit sie wahrscheinlich das Böse meinen, das sie Joseph angetan haben. Sie erfahren das, was jetzt mit ihnen geschieht, als die gerechte Abrechnung Gottes. Es kommt keine Erwiderung über ihre Lippen. Alles, was sie tun können, ist, sich als Sklaven anzubieten, zusammen mit Benjamin. Die Brüder zeigen sich solidarisch mit Benjamin.
Aber Joseph fährt mit der Prüfung ihrer Gesinnung fort. Er führt sie immer näher zum Ziel: ein vollständiges Bekenntnis und die Wiederherstellung der Gemeinschaft mit ihm. Joseph weiß, dass sie betreffs des Kelches unschuldig sind, aber haben sie auch das Vergangene bekannt? Darum hat er sie in eine Situation wie früher gebracht. Was werden sie nun tun? Werden sie ihren Bruder in der Knechtschaft zurücklassen, während sie doch wissen, dass er unschuldig ist? Werden sie ihren Vater Jakob wieder mit einer ausgedachten Geschichte betrügen – nun aber bezüglich Benjamins? Jetzt aber wird sichtbar, dass Gnade in ihren Herzen ihre Wirkung getan hat.
18 - 34 Fürsprache Judas für seinen Vater
18 Da trat Juda zu ihm und sprach: Bitte, mein Herr, lass doch deinen Knecht ein Wort reden zu den Ohren meines Herrn, und es entbrenne nicht dein Zorn gegen deinen Knecht, denn du bist wie der Pharao. 19 Mein Herr fragte seine Knechte und sprach: Habt ihr [noch] einen Vater oder einen Bruder? 20 Und wir sprachen zu meinem Herrn: Wir haben einen alten Vater und einen jungen Knaben, der ihm im Alter geboren wurde; und dessen Bruder ist tot, und er allein ist von seiner Mutter übrig geblieben, und sein Vater hat ihn lieb. 21 Und du sprachst zu deinen Knechten: Bringt ihn zu mir herab, dass ich mein Auge auf ihn richte. 22 Und wir sprachen zu meinem Herrn: Der Knabe kann seinen Vater nicht verlassen; verließe er seinen Vater, so würde er sterben. 23 Da sprachst du zu deinen Knechten: Wenn euer jüngster Bruder nicht mit euch herabkommt, sollt ihr mein Angesicht nicht mehr sehen. 24 Und es geschah, als wir hinaufgezogen waren zu deinem Knecht, meinem Vater, da berichteten wir ihm die Worte meines Herrn. 25 Und unser Vater sprach: Zieht wieder hin, kauft uns ein wenig Speise. 26 Wir aber sprachen: Wir können nicht hinabziehen. Wenn unser jüngster Bruder bei uns ist, so wollen wir hinabziehen; denn wir dürfen das Angesicht des Mannes nicht sehen, wenn unser jüngster Bruder nicht bei uns ist. 27 Und dein Knecht, mein Vater, sprach zu uns: Ihr wisst, dass meine Frau mir zwei geboren hat; 28 und der eine ist von mir weggegangen, und ich sprach: Gewiss, er ist zerrissen worden; und ich habe ihn nicht mehr gesehen bis jetzt. 29 Und nehmt ihr auch diesen von mir weg, und es begegnet ihm ein Unfall, so werdet ihr mein graues Haar mit Unglück hinabbringen in den Scheol. 30 Und nun, wenn ich zu deinem Knecht, meinem Vater, komme, und der Knabe ist nicht bei uns – und seine Seele hängt an dessen Seele –, 31 so wird es geschehen, dass er stirbt, wenn er sieht, dass der Knabe nicht da ist; und deine Knechte werden das graue Haar deines Knechtes, unseres Vaters, mit Kummer hinabbringen in den Scheol. 32 Denn dein Knecht ist für den Knaben Bürge geworden bei meinem Vater, indem ich sprach: Wenn ich ihn nicht zu dir bringe, so will ich alle Tage gegen meinen Vater gesündigt haben. 33 Und nun, lass doch deinen Knecht anstatt des Knaben bleiben, als Knecht meines Herrn, und der Knabe ziehe hinauf mit seinen Brüdern; 34 denn wie sollte ich zu meinem Vater hinaufziehen, wenn der Knabe nicht bei mir wäre? – dass ich nicht das Unglück ansehen müsse, das meinen Vater treffen würde!
In diesem Abschnitt hören wir die herzergreifende Fürsprache Judas. Joseph hat das Ziel erreicht. Er merkt, wie Juda verändert ist. Es ist nichts mehr da von der Gefühllosigkeit gegenüber seinem Vater, wie es bei der Verwerfung Josephs war. Aus seiner Fürsprache geht auch seine Liebe zu Benjamin hervor, dem Sohn des Alters von Jakob. Er hat gelernt, auf die Gefühle seines Vaters und seines jüngsten Bruders Rücksicht zu nehmen.
Dies ist auch in den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Gläubigen wichtig. Insbesondere ist es wichtig im Hinblick auf die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn, dass wir ein Empfinden bekommen für das, was der Vater gefühlt hatte, als sein Sohn litt, sowohl vonseiten der Menschen als von der Seite Gottes. Sind wir nicht oft dafür unempfindlich?
Diese Veränderung im Herzen Judas ist eine Veränderung, die nur Gott in seinem Herzen bewirkt haben kann. Er kämpft nicht dafür, dass er selbst frei ausgeht, sondern dafür, dass Benjamin zu seinem Vater zurückkehren darf. Es gibt auch keine starke Verteidigung, um die Unschuld von Benjamin zu beweisen. Er ist nicht auf der Suche nach Worten der Rechtfertigung, sondern appelliert an das Mitgefühl Josephs. Juda argumentiert nicht, um Benjamin frei zu bekommen, sondern er bittet um Gnade (Hiob 9,15).
In Judas Gefühlen gegenüber seinem Vater ist nichts mehr zu finden, was darauf hinweist, dass er seinen Vater betrügen will, so wie früher bei Joseph. Damals war Juda die treibende Kraft bei der Verwerfung Josephs. Auch sein persönliches Leben war verwerflich (1Mo 38,1–26). Hier hören wir das Bekenntnis, dass Gott ihre Missetaten ans Licht gebracht hat (Vers 16).
Er beschreibt auf beeindruckende Weise die Liebe Jakobs zu Benjamin, und welche Mühe es gekostet hat, Benjamin mitzubringen. Er bringt die Trauer zum Ausdruck, die Jakob haben würde, wenn auch Benjamin nicht wieder zurückkommen würde (14-mal nennt er den Namen „Vater“ und 12-mal spricht er von seinem „Bruder“). Zum Schluss bietet er sich selbst als Sklave an Benjamins Stelle an.
Juda erscheint hier als Repräsentant des ganzen Volkes. Als Stamm trug er die meiste Verantwortung für die Verwerfung des Messias. Sie waren es, die nach der Rückkehr aus Babel im Land weilten, als der Herr Jesus dort wirkte.