Noch mehr Fragen
Sicher zeugt es von einer guten Gesinnung, wenn gläubige Eltern zuerst einmal nach ihrer eigenen Schuld fragen, wie wir das in Kapitel 2 getan haben. Wenn diese Selbstprüfung nach bestem Wissen und Gewissen im Licht des Wortes Gottes geschehen ist, bleiben häufig jedoch noch viele Fragen offen. Davon soll in diesem Kapitel die Rede sein.
Kinder sind kein lebloses Mobiliar
Unsere Kinder können eigene Wege gehen. Das kann, wie ich bereits gesagt habe, durch unser Versagen verursacht sein. Aber wir müssen bedenken, dass unsere Kinder kein lebloses Mobiliar sind, das wir so hinstellen können, wie es uns gefällt. Unsere Kinder sind Persönlichkeiten mit einer persönlichen Verantwortung. Ich kann das nicht genug betonen. Wie lange haben wir unsere Kinder bei uns im Haus? Vielleicht zwanzig Jahre. Das ist, wenn sie achtzig Jahre alt werden sollten, nur ein Viertel ihres Lebens. Den Rest des Lebens leben sie mehr oder weniger ohne uns als Eltern. Und von diesen zwanzig Jahren sind vielleicht die ersten zehn Jahre entscheidend. Aber die Entwicklung geht weiter, auch nach den häufig entscheidenden ersten zehn Jahren. Es ist durchaus wichtig, wie wir als Eltern unsere Kinder erziehen, und doch kann es geschehen, dass unsere Erziehung trotz aller Bemühungen fehlschlägt.
Das Kind hat eine eigene Verantwortung
Ein Kind ist nicht ohne eigene Verantwortung. Es kommt der Zeitpunkt, wo Kinder für ihre Taten selbst verantwortlich werden und wo wir unseren Kindern nicht mehr sagen können, wie sie sich zu verhalten haben. Kinder sind persönlich verantwortlich für ihre Taten. So sagt Gott das in Hesekiel 18: „Siehe, alle Seelen sind mein; wie die Seele des Vaters, so auch die Seele des Sohnes: sie sind mein; die Seele, welche sündigt, die soll sterben ... Die Seele, welche sündigt, die soll sterben. Ein Sohn soll nicht die Ungerechtigkeit des Vaters mittragen, und ein Vater nicht die Ungerechtigkeit des Sohnes mittragen; die Gerechtigkeit des Gerechten soll auf ihm sein, und die Gesetzlosigkeit des Gesetzlosen soll auf ihm sein“ (Hes 18,4.20). Hier sehen wir, dass Gott ein Kind für sein Verhalten selbst verantwortlich macht und es nicht für die Sünden der Eltern straft.
Wählen und Verantwortung
Ich habe schon gesagt, dass unsere Kinder, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen, persönlich ihre Entscheidungen treffen müssen. Wir als Eltern müssen unseren Kindern den Freiraum dazu geben. Das ist mir sehr wichtig geworden, als ich darüber nachdachte, wie Gott als der vollkommene Erzieher Adam in eine Stellung der Verantwortung gesetzt hat. Gott hatte Adam die Möglichkeit gegeben zu wählen, und er hatte damit auch die Möglichkeit, eine falsche Wahl zu treffen. Und Adam wählte tatsächlich falsch. Genauso hat Gott auch mit seinem Volk Israel gehandelt. Welche großartigen Taten hat Gott doch mit seinem Volk und für sein Volk getan! Was hat Er dem Volk alles mitgeteilt, Segnungen in Aussicht gestellt, damit das Volk ein treues Volk wäre! Doch von dem Volk heißt es, dass es Gott hinter seinen Rücken geworfen hat (1Kön 14,9). Es hat Ihm den Rücken zugewandt. Israel hat nicht auf Gott gehört.
Jeder Mensch, auch jedes unserer Kinder, ist persönlich vor Gott verantwortlich. Was wir als Eltern auch getan haben – für unsere Kinder kommt ein Augenblick, wo sie wählen müssen. Sie können sicher schon früh angeleitet werden, eine gute Wahl zu treffen. Es ist unsere Verantwortung als Eltern, ihnen gute Nahrung zu geben, Rahm und Honig, damit sie zwischen Gutem und Bösem unterscheiden können (vgl. Jes 7,15). Gott stellte Adam unter Verantwortung, als Er zu ihm sagte: „Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen.“ Doch was tat Adam? Er aß gerade von diesem Baum.
Etwas Ähnliches sehen wir auch in Lukas 15. Einer der beiden Söhne kam und bat seinen Vater um den Teil des Vermögens, der ihm zukam. Der Vater versuchte überhaupt nicht, ihn zurückzuhalten. Er setzte sich hin, rechnete die Summe aus, die seinem Sohn zukam, gab ihm seinen Teil und ließ ihn gehen. Und alles, was der Sohn bekam, vergeudete er dann mit Huren. Aber dieser Vater verlor seinen Sohn nie aus dem Auge. Er ging selbst zwar nicht mit, er blieb zu Hause. Aber sein Herz ging mit. Er hielt beständig Ausschau nach ihm (Luk 15,12–24).
Ein Schock für Eltern
Gott ist in jeder Hinsicht einzigartig; und so ist Er es auch als Erzieher. Sollten wir da nicht denken, dass das Ergebnis seiner Erziehung ein voller Erfolg gewesen wäre? Hören wir, was Jesaja darüber sagt: „Hört, ihr Himmel, und horche auf, du Erde! denn der Herr hat geredet: Ich habe Kinder großgezogen und auferzogen, und sie sind von mir abgefallen. Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis“ (Jes 1,2.3). Das Volk hatte Gott den Rücken zugewandt und nicht auf Ihn gehört. So kann es geschehen, dass wir unseren Kindern beibringen: „Das ist gut, und das ist gut, und das sollst du nicht tun.“ Und doch geschieht es, dass unsere Kinder Dinge tun, die wir ihnen verboten haben. Es ist schmerzlich, wenn sie folgenschwere Entscheidungen treffen, die für uns schwer zu verstehen und zu tragen sind, besonders, wenn unsere Kinder Dinge tun, die wir für unmöglich gehalten hatten, worüber wir vielleicht noch nicht einmal nachgedacht hatten. Vor fünfunddreißig Jahren ging ein fünfzehn Jahre altes Mädchen mit einem Jungen von zu Hause weg. Die Eltern hatten es ihr verboten. Doch sie sagte: „Dann sorge ich dafür, dass ich ihn heiraten muss“, und sie wurde schwanger. Sie heiratete mit sechzehn Jahren. Die Mutter betet nun seit fünfunddreißig Jahren für ihr Kind (der Vater ist schon beim Herrn).