1 Der Autor
1 Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem.
Das hebräische Wort für „Prediger“ ist Kohelet, das so etwas wie ein „Führer, der zu einer Versammlung von Menschen spricht“ bedeutet. Als solcher spricht er seine „Worte“, mit denen er die Menschen lehrt und ihnen predigt. Er nennt sich mehrmals Prediger (Pred 1,2.12; 7,27; 12,8.9.10). Wie bereits erwähnt, ist Salomo der Prediger. Seinen Namen erwähnt er jedoch nicht, denn es geht nicht um seine Person, sondern um seine Botschaft. Er, der Prediger, der Weiseste unter den Menschen, nimmt es auf sich, das Leben unter der Sonne zu untersuchen und zu erfahren und die Ergebnisse seiner Untersuchung der Versammlung der Gefährten mitzuteilen.
Die Bezeichnung „der Sohn Davids“ zeigt seine besondere und hohe Abstammung und damit seine große Verantwortung, die er leider für eine gewisse Zeit nicht ausgefüllt hat. Dass er einen solchen Vater hatte, macht die sündhafte Zeit in seinem Leben umso schlimmer (vgl. Jer 22,15–17). Er wusste von der Sünde des Ehebruchs seines Vaters, aber auch von seiner Reue darüber. Das hat auch seine eigene Umkehr ermöglicht, denn er hat gesehen, dass eine Rückkehr zu Gott nach der Reue möglich ist.
Der Titel „König in Jerusalem“ bezieht sich auf seine Herrschaft in der Stadt, die Gott auserwählt hat, seine Stadt zu sein. Eine größere Ehre kann einem Menschen nicht zuteilwerden. In dieser Umgebung forscht Salomo und zieht dort seine Schlussfolgerung. Diese Schlussfolgerung ist, dass inmitten von so viel Weisheit, Ehre, Reichtum und Macht sein Herz leer bleibt.
2 Das Ergebnis der Forschung
2 Eitelkeit der Eitelkeiten!, spricht der Prediger; Eitelkeit der Eitelkeiten! Alles ist Eitelkeit.
Der Prediger beginnt nicht mit einer unbeschwerten Geschichte, um diejenigen, an die er sich wendet, „auf den Geschmack zu bringen“, damit sie ein Verlangen bekommen, mehr zu hören. Entgegen aller Ratschläge über den Aufbau einer Rede fällt er mit der Tür ins Haus. Er beginnt mit der Schlussfolgerung aus allem, was er untersucht hat: Alles ist „Eitelkeit der Eitelkeiten!“ Das sagt er nicht als beiläufige Bemerkung, sondern er führt uns die Tatsachen vor Augen, indem er sie dreimal wiederholt, damit wir sie nicht ignorieren können.
Im Lauf des Buches wird er seine Schlussfolgerung umfassend und gründlich begründen. Dann wird sich herausstellen, dass es keine Äußerung aufgrund von Verzweiflung ist – so könnte ein oberflächlicher Leser diese Schlussfolgerung interpretieren –, sondern die nüchterne Feststellung über die Natur der Welt und alles, was darin ist. Jedes Mal erwähnt er ein Problem oder Rätsel, auf das er im Leben gestoßen ist, und stellt fest, dass alles „Eitelkeit der Eitelkeiten“ oder sinnlos ist.
Wenn wir das Leben ehrlich und sorgfältig betrachten, sehen wir, gemäß dem Prediger, dass das Leben kurz und leer, täuschend und ergebnislos ist. Er sagt dies, um das Herz des Gläubigen von der Welt wegzuziehen und seine Wünsche und Erwartungen auf die unsichtbare, unvergängliche Welt zu lenken, die nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist (Röm 8,20; 1Kor 7,31; 2Kor 4,16; 2Pet 3,11; 1Joh 2,17).
„Eitelkeit der Eitelkeiten“ bedeutet wörtlich „Flüchtigkeit der Flüchtigkeiten“. Dies ist ein hebräischer Superlativ und bedeutet „die allergrößte Flüchtigkeit“. Wir finden dies auch in Ausdrücken wie „der Gott der Götter“, „das Heilige der Heiligen“, „ein Diener der Diener“. „Alles“ ist „das Ganze“ und nicht nur ein wenig oder gelegentlich. Es sollte jedoch bedacht werden, dass es sich hierbei um Beobachtungen außerhalb von Gott handelt, wobei der Mensch als von Ihm entfremdet gesehen wird. Mit dieser These – die keine Theorie ist, sondern von ihm erlebt wurde – zeigt er, wie sinnlos und ziellos alles ist. Flüchtigkeit hat die Bedeutung von Leere, einem Atemzug, einer Windböe, vergeblich, schnell vorbei, ziellos, nutzlos, man kann nichts damit anfangen, wertlos.
Der Prediger ist weiser und ernster als alle Menschen. Aber das macht ihn nicht glücklicher, sondern nur verwirrter und trauriger als jeden anderen. Einige sprechen verachtenswert von der Welt, weil sie Einsiedler sind und die Welt nicht kennen, oder weil sie Bettler sind, die nichts haben. Das ist bei Salomo nicht der Fall. Er kennt die Welt und besitzt alles.
Wir, die wir glauben, dürfen das Leben vom Himmel aus betrachten, also von einem Ort über der Sonne. Daran erkennen wir, dass die Welt vergeht und ihre Lust, aber auch, dass, „wer … den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1Joh 2,17).
3 Welchen Gewinn hat Mühe?
3 Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?
Die erste Frage, die der Prediger sich selbst und uns stellt, berührt den Kern seiner Untersuchungen. Er wird diese Frage in all ihren Facetten im Lauf dieses Buches ausarbeiten. Die Antwort ist, dass der Mensch von all seiner Mühe, „womit er sich abmüht unter der Sonne“ keinen „Gewinn“ hat im Sinn eines Netto-Dauergewinns. Das hebräische Wort für „Gewinn“ wird nur in diesem Buch verwendet (Pred 1,3; 2,11; 3,9; 5,10.15; 7,11.12). Das Wort kommt aus dem Handel und beschreibt das, was am Ende oder unter dem Strich übrig bleibt. Die Bedeutung ist hier: Was bleibt als Nettoergebnis all deiner harten Arbeit? Die Antwort ist: nichts. Es wurde kein Gewinn erzielt.
Der Ausdruck „unter der Sonne“ – der in diesem Buch fast 30-mal vorkommt – ist wichtig und charakteristisch für dieses Buch. Wir begegnen in diesem Buch auch dem Ausdruck „unter dem Himmel“. Dieser letzte Ausdruck betont, dass die Untersuchungen des Predigers für die Erde, das Irdische, gelten. Der Ausdruck „unter der Sonne“ lenkt unsere Gedanken auch auf die Erde, betont aber mehr den temporären, flüchtigen Charakter von allem, was geschieht. Der Prediger schaut sich alles in der Horizontalen an, er schaut sich um, nimmt wahr und erlebt. Er schaut nicht auf zum Ursprung von allem, was er sieht und erlebt.
Was geschieht, geschieht auf der Erde; es wird nicht auf einen höheren Zweck hin untersucht. Wenn die Sichtweise auf das Leben nicht über „unter der Sonne“ hinausgeht, wird alles, wofür wir uns einsetzen, einen Unterton von Unzufriedenheit haben, denn sie ist mit dem Streben des sündigen Menschen verbunden und daher vorübergehend und unvollkommen. Niemals wird ein Mensch in der Lage sein, mit Zufriedenheit auf seine Arbeit zurückzublicken und zu sagen: „Und siehe, es ist sehr gut“, denn nichts ist perfekt, nichts ist fertig. Andere folgen ihm nach und setzen seine Arbeit fort. Niemand liefert etwas, das unveränderlich gut ist.
Wenn wir von diesem Standpunkt aus auf alles schauen, was der Mensch tut, kann die Schlussfolgerung nur lauten, dass alles umsonst ist. Jede Aktivität ist Arbeit, die Mühe macht; sie bringt nie dauerhaftes Glück hervor. Das sehen wir in Wirtschaft und Politik. Der nächste Regierungschef und der neue Politiker versprechen feierlich, dass sie es besser machen werden, aber im Lauf der Zeit müssen sie das Feld räumen, weil sie versagt haben. Das Gleiche wird auch mit denen geschehen, die nach ihnen kommen. Die Mühe, ohne jemals Befriedigung zu finden, muss den Menschen zu dem bringen, der sagte: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben“ (Mt 11,28).
Der Herr Jesus schließt an die Frage des Predigers an, wenn Er sagt: „Denn was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele einbüßt?“ (Mt 16,26; Lk 12,15). Du kannst alles bekommen, wofür du so hart gearbeitet hast, aber was ist das Endergebnis, wenn du stirbst und alles zurücklassen musst?
Paulus sagt uns, wo der wahre Gewinn liegt: „Die Gottseligkeit mit Genügsamkeit aber ist ein großer Gewinn; denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinausbringen können“ (1Tim 6,6.7). Der Gewinn ist nur dort, wo das Herz in Verbindung mit dem ewigen Gott und der Ewigkeit steht. Für den Herrn zu arbeiten ist nicht vergeblich (1Kor 15,58).
Ein Artikel in der Reformatorischen Zeitung vom 5. Mai 2003 beweist die Wahrheit dieses Verses auf praktische Weise:
Jip Wijngaarden war gerade mal 17 Jahre alt, als sie 1982 aus 3000 Kandidatinnen ausgewählt wurde, um die Hauptrolle in dem Stück „Anne Frank“ zu spielen. Es folgte eine turbulente Karriere als Schauspielerin und Filmstar. Hollywood winkte. Neun Jahre lang betrat Jip die Welt von Glitter und Glamour. Aber im Lauf der Zeit kamen die Zweifel auf. „Als Idol gehörst du der Gesellschaft, du gibst dich selbst auf. Ich wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte und fing an zu überlegen. Ist das alles? Ich hatte Ehre und Ruhm erlangt, aber ich war nicht glücklich. Das Leben, das ich führte, war oberflächlich und leer. Mein Herz war ein großes Loch, durch das alles wehte.“
Für Jip bedeutete der Übergang zum Christentum einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. „Ich wusste, dass das neue Leben mich alles kosten würde. Und das tat es, denn meine vorherige Grundlage war nicht gut. Die Leute um mich herum erklärten mich für verrückt, dass ich Hollywood und andere Angebote für etwas, das man nicht sehen kann, aufgab.“ [Ende des Artikels]
4 - 8 Illustrationen der Bedeutungslosigkeit
4 Eine Generation geht, und eine Generation kommt; aber die Erde besteht ewig. 5 Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter; und sie eilt ihrem Ort zu, wo sie aufgeht. 6 Der Wind geht nach Süden und wendet sich nach Norden; sich wendend und wendend geht er, und zu seinen Wendungen kehrt der Wind zurück. 7 Alle Flüsse laufen in das Meer, und das Meer wird nicht voll; an den Ort, wohin die Flüsse laufen, dorthin laufen sie [immer] wieder. 8 Alle Dinge mühen sich ab: Niemand vermag es auszusprechen. Das Auge wird des Sehens nicht satt, und das Ohr nicht voll vom Hören.
In den Versen 4–11 gibt der Prediger einige Beispiele für den endlosen Kreislauf des Lebens mit all seinen Ereignissen. Er weist auf das „Gesetz der Wiederholung“ hin. Er nimmt einen endlosen Kreislauf wahr. Dieser Kreislauf wirkt in der Sphäre der Natur und in der des menschlichen Lebens. Auch die Geschichte wiederholt sich unzählige Male. Bewegung ist jedoch kein Fortschritt. Es bleibt alles so, wie es war, ohne dass all diese Bewegungen eine einzige wirkliche Veränderung im Leben eines Menschen bewirken, die ihm volle Zufriedenheit und volles, ununterbrochenes Glück bringen.
Generationen kommen und gehen (Vers 4). Sie betreten die Bühne des Lebens, überqueren sie mit wenigen Schritten, drehen ihre Pirouetten, verbeugen sich und verschwinden wieder von der Bühne. Die Bühne, die Erde, ist immer dasselbe, wie das Spiel und die Rollen, die Masken und die Kleidung. Nur die Akteure wechseln. Wie flüchtig ist das alles. Das Leben ist ein endloses Spiel mit ständig wechselnden Spielern und einem sich nie ändernden Bühnenbild. Wir können das Leben auch mit einem Heimtrainer vergleichen. Du trittst die Pedale herum, aber du bewegst dich nicht einen Millimeter nach vorne.
Niemand wird immer auf der Erde leben. „Unter der Sonne“ gesehen ist das Leben eines Menschen flüchtig wie ein Dampf (Jak 4,14), verläuft schneller als ein Weberschiffchen (Hiob 7,6) und ist kurzlebig wie das Gras (Ps 103,15; Jes 40,6.7; 51,12; 1Pet 1,24). Wir bekommen unseren irdischen Besitz von anderen, und kurze Zeit später müssen wir ihn wieder an andere übergeben. Diese Besitztümer sind nicht beständiger als das mit ihnen gelebte Leben.
Jede Generation müht sich die kurze Zeit ihres Aufenthalts auf der Erde für ihre Existenz ab. Dann ist das Leben für sie vorbei und sie verschwindet wieder. Die nächste Generation verfällt in das gleiche Muster, wie auch die nachfolgenden. Und so geht es weiter und weiter. Das Leben, das sich auf das Hier und Jetzt beschränkt, kann als ein „rat race“ angesehen werden. Der „rat race“ ist ein Begriff, der sich auf die sinnlosen Versuche einer Ratte bezieht, aus einem Laufrad zu entkommen, in dem sie endlos läuft, und das sie gleichzeitig ständig in Bewegung hält. Es ist ein gutes Beispiel für eine Reihe von endlosen oder nutzlosen Aktionen, die keine Aussicht auf ein Ergebnis bieten.
Das Einzige, das bleibt, ist die Erde, die all diese Generationen trägt. Dies zeigt den Kontrast zwischen der Vergänglichkeit des Lebens und der (scheinbar) dauerhaften Existenz der Erde. Es gibt keine Hoffnung auf Veränderung: Das Kommen und Gehen der Generationen ist so unveränderlich wie das Feststehen der Erde. So ist die Wahrnehmung des Predigers und aller, die das Leben aus einer nüchternen Sichtweise betrachten, ohne den Ursprung der Generationen oder der Erde zu betrachten oder darüber nachzudenken.
In den Versen 5–7 betrachtet der Prediger die Schöpfung. Er beobachtet viel Aktivität. Gleichzeitig stellt er fest, dass es keine Fortschritte gegeben hat. So wie es für den Menschen keinen Gewinn in seiner Mühe gibt (Vers 3), so gibt es auch keinen Gewinn für die Schöpfung in ihrer Mühe. Es verhält sich mit so vielen Dingen in der Natur wie mit dem Wandel der aufeinander folgenden Generationen von Vers 4. Als Beispiele nennt der Prediger die Sonne (Vers 5), den Wind (Vers 6) und das Wasser der Flüsse und des Meeres (Vers 7).
Sieh dir die Sonne an. Die Sonne ist die Lichtquelle für die Erde. Sie bleibt immer gleich und macht immer den gleichen Job. Sie erhellt immer die gleiche Welt und tut dies immer zur selben Zeit. Jeden Morgen geht die Sonne auf und jeden Abend geht sie unter. Sie geht immer an der gleichen Stelle auf und geht immer an der gleichen Stelle unter. So geht es endlos, unveränderlich, tagein, tagaus weiter.
Die Tatsache, dass die Himmel die Herrlichkeit Gottes verkünden, dass die Schöpfung das Werk seiner Hände ist und dass Er der Sonne ihren Platz in ihr gegeben hat (1Mo 1,14–19; Ps 8,4), wird von dem Prediger nicht berücksichtigt. Indem er die Sonne auf diese Weise betrachtet, sagt der Prediger in Wirklichkeit, dass die Schöpfung nicht die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt, wenn man Ihn nicht einbezieht, sondern dass die Schöpfung das sinnlose Schuften des Menschen veranschaulicht.
Nach der Sonne weist der Prediger auf den Wind hin (Vers 6). Die Sonne geht von Osten nach Westen, der Wind geht nach Süden und wendet sich nach Norden. Das Leben ist wie der Wind, der sich ständig dreht. Der Wind ist in seinen Bewegungen viel unberechenbarer als die Sonne, die einen festen, vorhersehbaren Kurs am Himmel geht. Aber trotz aller Wendungen des Windes und der Unvorhersehbarkeit seines Laufs bleibt alles beim Alten. Der Wind ist unsichtbar, aber wir spüren und nehmen ihn wahr, indem wir die Wolken und Blätter am Baum sich bewegen sehen. Aber wenn es geweht hat und der Wind nachgelassen hat, was hat sich dann wesentlich verändert? Nichts, oder?
Auch wenn ein Sturm verheerende Schäden angerichtet hat, ändert sich nichts. Der Mensch berechnet den Schaden und baut das Zerstörte wieder auf, oder er beginnt ein neues Leben woanders. Nur wenn ein Mensch im Sturm die Stimme Gottes erkennt und Ihn in sein Leben hineinlässt, ändert sich etwas wesentlich.
Das dritte Beispiel in der Schöpfung, mit dem der Prediger das Leben vergleicht, ist das des Wassers, das durch die Flüsse zum Meer fließt (Vers 7). Die Flüsse bringen ständig Wasser ins Meer. Man würde sagen, dass das Meer eines Tages voll sein würde. Aber nein, das Meer ist nie voll. Die Flüsse fließen immer weiter, ohne jemals ihre Arbeit, das Meer zu füllen, beendet zu haben. Unser Sprichwort „Eulen nach Athen tragen“ bedeutet dasselbe: Es ist eine sinnlose Aktivität.
Bei diesem Beispiel können wir an einen endlosen Kreislauf denken, denn „an den Ort, wohin die Flüsse laufen, dorthin laufen sie [immer] wieder“. Wir wissen, dass das Wasser, das die Flüsse ins Meer bringen, verdunstet. Dadurch entsteht Regen, der an der Stelle, an der die Flüsse entspringen, ausgegossen wird. Dieses Wasser bringen die Flüsse zurück ins Meer, wo es wieder verdunstet, woraufhin der Kreislauf wieder von Neuem beginnt (vgl. Amos 9,5.6).
Der unveränderliche Lauf der Sonne, die Unruhe des Windes und die Unersättlichkeit des Meeres kennzeichnen das Leben jeder Generation. Der Mensch ist ständig unruhig und unzufrieden. Er ist immer aufgeregt auf der Suche nach mehr, ohne jemals gesättigt zu werden. Sein Geist kennt keine Ruhe. Aber all seine Eile und Mühe machen überhaupt keinen Eindruck auf die Beständigkeit und die Bewegungen der Natur. An der Beständigkeit der Erde und dem Kreislauf der Natur ändert sich nichts.
Trotz der Tatsache, dass die Schöpfung immer in Bewegung ist, ist sie nicht in der Lage, dem Menschen, der nur die Erde als seinen Horizont hat, etwas Befriedigung zu geben. Diese Unzufriedenheit ist schwer und so ermüdend, dass sie nicht in Worten ausgedrückt werden kann (Vers 8).
Wie anders ist es für denjenigen, der Gott kennt und Ihn in sein Leben einbezieht. Ein solcher Mensch kennt auch schwierige Situationen in seinem Leben, in denen ihm die Worte fehlen, um sie zu beschreiben, aber er hat den Heiligen Geist, der seinen unaussprechlichen Seufzern Worte verleiht (Röm 8,26).
„Das Auge“ des Menschen ist immer auf der Suche nach neuen Dingen. Wenn du einmal oder vielleicht sogar ein paarmal irgendwo an einem Ort warst, hast du es ausreichend gesehen. Irgendwann langweilt es dich. Es ist wie mit einem Film. Hast du ihn einmal oder vielleicht sogar zweimal gesehen, dann willst du etwas anderes sehen. Du bist auf der Suche nach Abwechslung.
So ist es auch mit „dem Ohr“. Zuerst liebt man einen bestimmten Song, aber wenn man diesen wiederholt gehört hat, muss es einen anderen Song geben. Nach etwas Neuem zu suchen, ist immer das alte, menschliche Begehren. Die Athener der Antike hatten dieses Begehren auch schon. Sie verbrachten ihre Zeit mit nichts anderem, als „etwas Neues zu sagen oder zu hören“ (Apg 17,21). Das Neue reichte eine Weile aus, aber dann wollten sie wieder etwas Neues hören.
Auge und Ohr können nicht von irdischen Dingen und Philosophien gesättigt werden. Nichts, was zu dieser Schöpfung gehört, ist in der Lage, das Herz dauerhaft zu befriedigen und ihm dauerhaftes Glück zu schenken. Egal wie viel Mühe jemand sich auch macht, es gibt keine letztendliche Befriedigung auf der Erde. Die gibt es nur bei dem Herrn Jesus. Das Auge, das Ihn sieht, und das Ohr, das Ihn hört, sind wirklich glücklich (Mt 13,16). Es gibt eine Fülle von Freuden, wenn das Auge Ihn sieht (Ps 16,8–11). Es gibt völlige Freude, wenn es Gemeinschaft mit Ihm gibt (1Joh 1,4).
9 - 11 Es gibt gar nichts Neues unter der Sonne
9 Das, was gewesen ist, ist das, was sein wird; und das, was geschehen ist, ist das, was geschehen wird. Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne. 10 Gibt es ein Ding, von dem man sagt: „Siehe, das ist neu!“, längst ist es gewesen in den Zeitaltern, die vor uns gewesen sind. 11 Es gibt keine Erinnerung an die Früheren; und für die Nachfolgenden, die sein werden, für sie wird es auch keine Erinnerung bei denen geben, die später sein werden.
„Das, was gewesen ist“, sind die Umstände (Vers 9). Ein Mensch befindet sich immer in bestimmten von Gott gegebenen und kontrollierten Umständen (1Mo 8,22), die sein Leben in hohem Maß bestimmen. „Das, was geschehen ist“, sind die menschlichen Anstrengungen. Der Mensch wird immer versuchen, die günstigsten Bedingungen für sein Leben zu schaffen. So war man schon immer in und mit seinem Leben beschäftigt und so wird man immer beschäftigt sein. Was man auch erfindet, um das Leben angenehmer zu machen, ist nur ein Aufbau auf dem, was bereits erfunden wurde (1Mo 4,20–22). Es gibt einfach „gar nichts Neues unter der Sonne“.
Fange jedoch an, Gott in alles mit einzubeziehen, und alles bekommt seine Bedeutung. Alles bleibt den Gesetzen unterworfen, die Gott in der Schöpfung festgelegt hat. Nichts kann diese Gesetzmäßigkeiten durchbrechen. Deshalb kann es nie etwas wirklich Neues geben, nur Variationen dessen, was immer gewesen ist und immer sein wird.
Obwohl es ständig Veränderung gibt, gibt es nichts, was wirklich neu ist (Vers 10). Alles ist eine Wiederholung dessen, was vorher war und was auch wieder bald vorbei ist, während das Herz leer und hungrig bleibt. Eine neue Entdeckung oder Erfindung ändert nichts Grundsätzliches an den Menschen oder der Schöpfung. Es macht ihn nicht glücklicher oder zufriedener.
Wir stellen zudem fest, dass die erzielten Fortschritte auch unvorhergesehene Nachteile haben. Auch dafür muss man sich wieder etwas ausdenken. Alles Streben nach etwas Neuem beweist gleichzeitig die Leere des Menschen. Der Mensch träumt davon, die „Utopie“, die ideale Gesellschaft, zu verwirklichen. Obwohl der Traum immer wieder zerplatzt, glaubt der Mensch immer noch daran, weil er blind dafür ist, dass er keine wirklichen Fortschritte gemacht hat.
Es gibt zwar neue Dinge, aber sie gehören zu einer anderen Welt, der Welt über der Sonne. Es gibt die neue Geburt oder die Geburt von oben (Joh 3,5) und, wer sich bekehrt hat, ist „eine neue Schöpfung“ (2Kor 5,17). „Ein neues Lied“ wird gesungen werden (Off 5,9; 14,3) und auch wird es „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ geben (Off 21,1). Das alles kommt von Ihm, der in sich selbst unveränderlich ist, aber aus sich selbst heraus immer wieder neue Dinge macht. Er wird alles neu machen und eine Situation schaffen, die noch nie zuvor da gewesen ist und nie wieder enden wird (Off 21,5).
Wenn wir von etwas sagen, dass es neu ist, dann deshalb, weil wir uns nicht an „das Frühere“ erinnern (Vers 11). Die alten Griechen sagten es schon: „Alles Lernen ist nur Erinnern“ (mathesis ist anamnesis). Jemand kann durch eine bestimmte Leistung „ewigen Ruhm“ erlangen, aber dieser „ewige Ruhm“ nützt demjenigen nichts, der die Leistung vollbracht hat. Seine Errungenschaft überlebt ihn, aber was nützt es ihm, wenn andere sich nach seinem Tod an ihn erinnern? Kann ihm das eine Linderung bringen, wenn er sich an dem Ort der Qual befindet? Können alle, nach denen Straßen oder Städte benannt sind (Ps 49,12.13), in der Hölle Trost daraus schöpfen? Selbst wenn jemand etwas darüber wüsste, welche Zufriedenheit würde es in jener Welt geben, in der mit einem anderen Maß gemessen wird?
Zukünftige Generationen machen den gleichen Fehler, den alle vorherigen Generationen gemacht haben, nämlich dass sie nichts aus dem Früheren, aus den vergangenen Dingen, aus der Vergangenheit lernen. Sie erinnern sich nicht an die Lektionen, die die Geschichte lehrt. Es wird einfach vergessen, dass jeder technologische Fortschritt keinen Fortschritt und keine Verbesserung der menschlichen Natur bedeutet.
12 Der Prediger stellt sich wieder vor
12 Ich, [der] Prediger, war König über Israel in Jerusalem.
In den vorhergehenden Versen hatte Salomo bereits die Ergebnisse seiner Forschung und seiner allgemeinen Beobachtungen angekündigt. Im nächsten Abschnitt, Prediger 1,12–2,26, wird er uns sagen, was er versucht hat zu tun, um das volle, ungestörte und unaufhörliche Glück des Lebens zu erlangen. Er wird seine Suche nach dem Glück sowie die Methoden, die er angewandt hat, beschreiben. Jetzt sind es nicht mehr nur Beobachtungen, sondern auch persönliche Erfahrungen.
Bevor er dies tut, verweist er auf seine „Berechtigungsnachweise“. Dabei betont er noch einmal, in welcher Funktion und in welcher Position er seine Nachforschungen durchgeführt hat, und was ihm dafür zur Verfügung stand. Was ein solcher Mann zu sagen hat, verdient volle Aufmerksamkeit. Er weist zunächst noch einmal darauf hin, dass er und niemand sonst „ich, Prediger“ ist, der Mann, der zu einer Versammlung von Menschen spricht, in diesem Fall, um sie über die Ergebnisse seiner Nachforschungen zu informieren.
Dann verweist er auf die Position, die er während seiner Nachforschungen hatte. Er sagt, dass er König war. Damit will er nicht sagen, dass er das während der Präsentation der Ergebnisse seiner Forschung nicht mehr ist, sondern dass er als König die Erfahrungen gesammelt hat, die er in diesem Buch beschreibt. Damit unterstreicht er seine Fähigkeiten, seine fast unbegrenzten Möglichkeiten und seine Position. Er regiert über ein ungeteiltes Israel in Jerusalem, der Stadt, die Gott auserwählt hat, dem Zentrum des Gottesdienstes und dem Empfangsort aller Würdenträger der Welt.
Als König nutzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um seine Untersuchungen durchzuführen. Er hat königliche Macht und Weisheit göttlichen Ursprungs. Es zeigt auch den Charakter der Nachforschungen: Es ist eine königliche Tätigkeit. Er wollte untersuchen und testen, ob die Welt etwas von bleibendem Wert und Bedeutung für jemanden zu bieten hat, der ein brillanter Denker und unermesslich reich ist.
13 - 18 Weisheit gibt keine Befriedigung
13 Und ich richtete mein Herz darauf, alles mit Weisheit zu erforschen und zu erkunden, was unter dem Himmel geschieht: eine üble Beschäftigung, die Gott den Menschenkindern gegeben hat, sich damit abzuplagen. 14 Ich habe alle Taten gesehen, die unter der Sonne geschehen; und siehe, alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind. 15 Das Krumme kann nicht gerade werden, und das Fehlende kann nicht gezählt werden. 16 Ich sprach in meinem Herzen und sagte: Siehe, ich habe Weisheit vergrößert und vermehrt über alle hinaus, die vor mir über Jerusalem waren, und mein Herz hat Fülle von Weisheit und Erkenntnis gesehen; 17 und ich habe mein Herz darauf gerichtet, Weisheit zu erkennen und Unsinn und Torheit zu erkennen: Ich habe erkannt, dass auch das ein Haschen nach Wind ist. 18 Denn wo viel Weisheit ist, ist viel Verdruss; und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer.
Ab Vers 13 erzählt Salomo von seinen persönlichen Erfahrungen. Er erzählt auch von der Methode, mit der er alles unter der Sonne erforscht hat: Er hat sein ganzes Herz darauf ausgerichtet, „alles mit Weisheit zu erforschen und zu erkunden“. Er hat einige Wege ausprobiert, um zu sehen, ob einer davon zu dem leidenschaftlich ersehnten Glück führen würde. Er ging den Weg der „Weisheit“, aber dieser endete in „viel Verdruss“ und „Kummer“. Er beschreibt diesen Weg in Prediger 1 (Pred 1,13–18). Dann folgte er der Route „Spaß“, beendete sie aber auch sehr unbefriedigt. Er musste feststellen, dass alles „Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“ war. Er beschreibt diesen Weg in Prediger 2 (Pred 2,1–11).
Sein Herz war aufrichtig und ernst (Vers 13). Das Herz steht der äußeren Erscheinung gegenüber. Es ist das innere Leben, das Zentrum aller intellektuellen, emotionalen und geistigen Fähigkeiten. Er hat sich von ganzem Herzen seiner Forschung gewidmet und dabei die besondere Weisheit genutzt, die ihm von Gott gegeben worden war (1Kön 5,9.10). Es zeigt, dass er kein kaltherziger Ermittler war, der die verschiedenen Lebensweisen seiner Zeit nur auf rationale Art und Weise erforschte. Im Gegenteil, er war wirklich an Menschen und Gesellschaft interessiert und versuchte zu verstehen, „was unter dem Himmel geschieht“, und seinen Wert abzuwägen.
Er hat sowohl erforscht als auch erkundet. Die Erforschung konzentriert sich auf die Tiefe einer Sache, während das Erkunden sich mehr auf die Breite oder Größe einer Sache konzentriert. Beide Aktivitäten zusammen zeigen, dass es sich nicht um eine oberflächliche, sondern um eine gründliche und umfassende Untersuchung handelte. Das Feld seiner Erforschung und Erkundung bezog sich auf alles, „was unter dem Himmel geschieht“. Dies zeigt, dass er nichts bei seinen Nachforschungen ausgeschlossen hat, aber dass seine Studien auf die Erde beschränkt waren. Er hat Gott nicht in seine Untersuchungen mit einbezogen.
Salomo wollte wissen, ob er in der Lage war, mit seiner Weisheit die Welt zu verstehen und zu erklären, um dadurch einen höheren Sinn des irdischen Lebens zu entdecken. Zu diesem Zweck begann er mehrere Erforschungen, in denen er die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens untersuchte. Er kam zu dem Schluss, dass dies „eine üble Beschäftigung“ war, denn keine seiner Untersuchungen führte zu einem wirklich zufriedenstellenden Ergebnis.
Es ist ihm klar geworden, dass Gott diese Beschäftigung „den Menschenkindern gegeben hat, sich damit abzuplagen“. Die Menschen können auf der Erde leben, ohne an Gott zu denken, aber die Probleme, denen sie begegnen, sind die Folgen der Sünde. Gott hat diese Folgen nicht weggenommen, sondern sie existieren lassen. Über der Schöpfung liegt durch die Sünde ein Fluch, sodass es viel Mühe erfordert, um ein Ergebnis zu ernten, ohne dass dieses Ergebnis wirklich befriedigend ist (1Mo 3,17).
Das Herz des Menschen ist hungrig und durstig. Das treibt ihn an, nach dem zu suchen, was seinen Hunger und seinen Durst stillen kann. Wenn er nicht dazu kommt, es in „höheren Dingen“ zu suchen, wird er immer auf die Dinge der Erde zurückgreifen, die nie Befriedigung bringen. Dies führt zu dem Schluss, dass er ewig einen Durst haben wird, der nicht gelöscht werden wird. Er wird um einen Tropfen Wasser betteln, um seine Zunge zu kühlen, aber niemand wird ihn ihm geben können, weil er seine Zeit hat vorübergehen lassen (Lk 16,24; Jer 46,17). Er hat die Einladung auf der letzten Seite der Bibel abgelehnt: „Wen dürstet, der komme; wer will, nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17).
Salomo ist weder oberflächlich noch willkürlich vorgegangen (Vers 14). Er hat keine Probe aus dem großen Ganzen genommen, sondern er hat „alle Taten gesehen, die unter der Sonne geschehen“. Die höchste Erkenntnis, zu der er nach all seinen Erforschungen und Erkundungen gekommen ist, ist, dass „alles Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“ ist und dass es auch immer so bleibt. Haschen nach Wind ist ein nutzloses Unterfangen. Der Ehrgeiz, das Ungreifbare zu ergreifen, kann nur zu Frustration führen.
Der Prediger hat Regelmäßigkeit und Ordnung in der Schöpfung wahrgenommen (Verse 4–7), aber er hat auch eine durch Sünde verursachte Unordnung wahrgenommen. Es gibt krumme und fehlende Dinge (Vers 15). Das gilt für das Denken des Menschen und seine Wege und Werke ebenso wie für die Natur. Wie sehr auch immer der Denker nachdenkt, er ist nicht in der Lage, die Wendungen im Leben zu erklären, geschweige denn, sie zu beseitigen. In seinem Wissen über das Leben fehlt einfach zu viel. Der Einzige, der in der Lage ist, den gekrümmten Menschen und was dieser krumm gemacht hat, gerade zu biegen, ist der Herr Jesus (Jes 42,16; Lk 3,5).
Alles Wissen darüber, wie der Mensch sein sollte, ist nicht in der Lage, den Menschen zu verändern. Wir finden auch nie die Ursache für die „Verkrümmung“ der Menschheit heraus, wenn die wichtigste Information fehlt. Diese Information muss von Gott kommen. Wenn Er aus den Wahrnehmungen herausgehalten wird, bleibt das Krumme krumm, und das, was fehlt, wird nie gezählt werden können. Der Mensch kann das Krumme nicht gerade machen; ihm fehlt die Fähigkeit dazu; und er bemerkt nicht, was fehlt, denn ihm fehlt die Einsicht dazu. Wie auch immer ein Denker nachdenkt, er kann sich nie ein System ausdenken, in dem das Leben gefasst werden kann. Der Philosoph kann mit seiner Weisheit manchmal etwas Hilfe leisten, aber er kann das grundlegende Problem des Lebens nie lösen, weil er immer wieder nur an der Oberfläche kratzt.
Wer wie der Prediger die Augen offenhält, sieht, dass der Mensch gekrümmt ist, während er edel, hilfsbereit und gut sein sollte. Aber nichts kann es ihm ermöglichen, so zu sein. Er gehört nämlich zu „einem verdrehten und verkehrten Geschlecht“ (Phil 2,15). Trotz allen Bemühens, den Menschen gerade zu biegen, bleibt er krumm. Alle Erziehungskurse sind nicht in der Lage, den Charakter des Menschen zu verändern und ihn zu veredeln. Der wichtigste Faktor, der fehlt, um den Sinn des Lebens herauszufinden, ist die Erleuchtung durch den Geist Gottes.
„Ich sprach in meinem Herzen“ (Vers 16) bedeutet: „Ich hielt Rücksprache mit mir selbst.“ Das ist die Grundlage des Buches. Nur er und sein eigenes Herz beraten sich. Dies zeigt, dass die Quelle seiner Untersuchungen, ihre Grundlage, in ihm selbst, einem Menschen, liegt. Er schöpft aus seinem eigenen Herzen. In ihm wohnt zwar die größte denkbare Weisheit (1Kön 5,9–14), die auch noch bei all seinen Erforschungen und Erkundigungen „vergrößert und vermehrt“ wird, aber es bleibt menschliche Weisheit. Es gibt kein anderes Licht als das der Natur um ihn herum, es gibt kein Licht von oben.
Mit „allen, … die vor mir über Jerusalem waren“, weist Salomo nicht nur auf David hin, sondern wahrscheinlich auch auf die kanaanitischen Könige, die in Jerusalem wohnten, bevor David die Stadt einnahm. Wir können an Melchisedek (1Mo 14,18) und Adoni-Zedek (Jos 10,1) denken. Wir können hinzufügen, dass auch alle Philosophen nach ihm – bekannt sind zum Beispiel Aristoteles (384-322 v. Chr.), Sokrates (469-399 v. Chr.) und Platon (428-348 v. Chr.), die als die größten Philosophen der Antike gelten – nicht in seinem Schatten stehen.
Nach all seinen Erforschungen und Erkundigungen kann er sagen, dass sein Herz „Fülle von Weisheit und Erkenntnis gesehen“ hat. Er hat sich intensiv mit allem beschäftigt, womit es sich zu beschäftigen lohnt, und es in sein Herz und seinen Verstand aufgenommen. Was er entdeckt hat, ist kein Gesamteindruck, sondern hat ihm das Wissen um die kleinsten Besonderheiten vermittelt.
Der Prediger sagt, dass er sein ganzes Herz darauf ausgerichtet hat, „Weisheit zu erkennen“ (Vers 17). Alle Bemühungen sind ein lobenswertes Streben nach einem Ergebnis, aber sie sind dasselbe wie der Versuch, nach dem Wind zu haschen. Er wollte auch „Unsinn und Torheit … erkennen“, um Täuschung und Betrug zu erforschen und durch diese Erkenntnis davor bewahrt zu bleiben. Weisheit zu sehen in denen, die die Weisheit nicht nutzen, und Torheit zu sehen in denen, die nicht gegen Täuschung und Betrug kämpfen, ist eine Qual für den Geist.
Das Einzige, wozu Weisheit führt, ist die Entdeckung, dass es bei „viel Weisheit … viel Verdruss“ gibt (Vers 18). Wahre Weisheit erkennt an, dass die wahre Befriedigung, die durch Weisheit angestrebt wird, unerreichbar ist. Das Gleiche gilt für die Erkenntnis, die wir erwerben. Je mehr wir wissen, desto eindringlicher wissen wir, dass wir nichts wissen. Unser Erkennen ist immer nur teilweise (1Kor 13,12).
Der Ausdruck „Wissen ist Macht“ ist ein Ausdruck, den nur kurzsichtige Menschen verwenden. Wahre Erkenntnis liefert niemandem Macht, sondern Kummer. Wirkliche Erkenntnis ist mehr als nur Faktenwissen. Es geht um Verständnis, um Einsicht, um das Entdecken des Zusammenhangs zwischen bestimmten Dingen oder Ereignissen.
Nachdem wir mehr von den Gesetzen der Natur und, wie Gott nach seinem Plan alles regiert, entdecken, spüren wir unsere Unwissenheit und Machtlosigkeit mehr und werden dadurch traurig. Jede Entdeckung führt uns zu der Überzeugung, dass noch viel mehr Dinge verborgen bleiben, die wir nie zuvor vermutet haben. Erkenntnis oder Wissenschaft garantieren kein Glück. Versuche, den Sinn des Lebens durch Weisheit und Erkenntnis zu ergründen und dann das ultimative Glück zu erlangen, verstärken tatsächlich die Überzeugung von der Sinnlosigkeit des Lebens.
Für diejenigen, die Christus kennen, ist das ganz anders. Wer die Erkenntnis Christi vermehrt, vermehrt die Freude. So gibt es „die Erkenntnis des Heils“ (Lk 1,77), die „die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ (Eph 3,19), „die Erkenntnis seines [Gottes] Willens“ (Kol 1,9) und „die Erkenntnis Gottes“ (Röm 11,33). Eines Tages wird „die Erde … voll der Erkenntnis des HERRN“ sein (Jes 11,9). Das wird dann sein, wenn Christus auf der Erde regiert.