1 Davids Kummer
1 Da wurde der König sehr bewegt, und er stieg hinauf in das Obergemach des Tores und weinte; und so sprach er im Gehen: Mein Sohn Absalom, mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wäre ich doch an deiner statt gestorben! Absalom, mein Sohn, mein Sohn!
Als David die Nachricht vom Tod seines Sohnes hört, bricht er völlig zusammen. Sobald er hört, dass Absalom tot ist, ist er nicht mehr König seines Volkes, sondern nur noch Vater. Er fragt nichts mehr, sondern verfällt in ein leidenschaftliches Weinen. Er zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück und gibt sich seinem Schmerz hin. Sollten wir David dafür hart angreifen? Wie würden wir reagieren, wenn wir einen solchen Sohn hätten und eine solche Nachricht erhielten?
Dennoch können wir einige Dinge daraus lernen. Seine Liebe zu Absalom ist zwar verständlich, aber nicht gut zu heißen. Wie kann jemand eine so große Liebe für einen so gottlosen Sohn haben? Absalom, egal wie schön und klug er war, wandte sich gegen Gott und die von Gott gegebene Autorität. Kein Elternteil sollte sich davon täuschen lassen. Es ist wichtig, dass Eltern immer auf der Seite Gottes stehen, wenn es um die Sünde von Kindern geht.
Spurgeon erzählte in einer Predigt von einer Mutter, die zu ihrem Sohn sagte als er noch ein zügelloses Leben führte: „Wenn Gott dich für deine Sünden richtet, werde ich „Amen“ zu seiner Verurteilung sagen.“ Gott will nicht, dass wir unsere Kinder sanft behandeln, wenn Er wegen ihrer Sünden hart mit ihnen umgeht. Niemand will lieber als Er, dass sie zu Ihm zurückkehren. Wenn sie jedoch nicht wollen, lässt Er sie gehen, und das sollten auch wir tun: „Wenn deine Kinder gegen ihn gesündigt haben, so gab er sie ihrer Übertretung preis“ (Hiob 8,4; vgl. 3Mo 10,1–7).
Wir sollten beten, dass der Herr uns die Realität der Dinge zeigt, das heißt, dass wir die Dinge, auch die Taten unserer Kinder, so sehen, wie Er sie sieht. Dabei sollten wir auch darum beten, dass wir jeden Hinweis, den wir erhalten, besonders über unsere Kinder, mit Ihm verarbeiten. Wir müssen keine starken Männer oder Frauen sein und dürfen unseren echten Gefühlen Raum geben. Doch lasst uns beten, dass dies geschieht, ohne Ihn aus den Augen zu verlieren.
David hat hier den HERRN aus den Augen verloren. Dies ist nicht das erste Mal, dass er über den Tod von jemandem weint. Er hat über den Tod eines Gegners, Abner, geweint (2Sam 3,32). Er hat über den Verlust eines engen Freundes und über den Tod seines Sohnes Amnon geweint (2Sam 1,11.12; 13,33.35.36). Beim Tod von Absalom kennt sein Kummer jedoch keine Grenzen.
Auch die Sprache, die er dabei spricht, ist einzigartig. Der Dichterkönig, der sich in anderen Fällen in einem wortgewandten Klagelied äußert, kann hier nur schluchzen und stammeln: „Mein Sohn Absalom, mein Sohn, mein Sohn Absalom! … Absalom, mein Sohn, mein Sohn!“ Bis zu achtmal kommen aus den Tiefen seiner Seele die Worte „mein Sohn“ hervor (Verse 1.5). Er hat keine anderen Worte, um das Ausmaß seines Kummers auszudrücken. Damit sagt er alles. Es ist, als ob das Leben für ihn keinen Sinn mehr hat.
2 - 9 Joab tadelt David
2 Und es wurde Joab berichtet: Siehe, der König weint und trauert um Absalom. 3 Und der Sieg wurde an jenem Tag zur Trauer für das ganze Volk; denn das Volk hörte an jenem Tag sagen: Der König ist betrübt um seinen Sohn. 4 Und das Volk stahl sich in die Stadt hinein an jenem Tag, wie ein Volk sich wegstiehlt, das zuschanden geworden ist, wenn es im Kampf geflohen ist. 5 Und der König hatte sein Angesicht verhüllt, und der König schrie mit lauter Stimme: Mein Sohn Absalom! Absalom, mein Sohn, mein Sohn! 6 Da begab sich Joab zum König ins Haus und sprach: Du hast heute das Angesicht aller deiner Knechte beschämt, die heute dein Leben errettet haben und das Leben deiner Söhne und deiner Töchter und das Leben deiner Frauen und das Leben deiner Nebenfrauen, 7 weil du liebst, die dich hassen, und hasst, die dich lieben; denn du hast heute deutlich gemacht, dass dir Oberste und Knechte nichts sind; denn heute erkenne ich, dass, wenn Absalom lebendig und wir alle heute tot wären, dass es dann recht wäre in deinen Augen. 8 Und nun mach dich auf, geh hinaus und rede zum Herzen deiner Knechte; denn ich schwöre bei dem HERRN, wenn du nicht hinausgehst, so wird diese Nacht nicht ein Mann bei dir bleiben; und das wäre schlimmer für dich als alles Böse, das über dich gekommen ist von deiner Jugend an bis jetzt. 9 Da machte der König sich auf und setzte sich in das Tor. Und man berichtete allem Volk und sprach: Siehe, der König sitzt im Tor! Da kam alles Volk vor den König.
Joab scheint hier der Anführer des Volkes zu sein und nicht David. Das Volk kommt zu ihm und berichtet, dass David von Trauer über den Verlust seines Sohnes Absalom überwältigt ist. David ist so niedergeschlagen und zerbrochen, dass das Volk nicht wagt, eine Spur von Freude über die Erlösung zu zeigen. Davids Haltung und sein Benehmen beeinflussen das gesamte Volk. Anstatt den Sieg zu feiern, verhalten sie sich wie Verlierer. So groß kann der Einfluss eines geliebten Anführers sein, der von immenser persönlicher Trauer überwältigt wird. David verliert sich in seiner Trauer und verliert dabei auch den Blick für die Bedeutung des Volkes.
David ist ein Vater mit einer besonderen Liebe für einen Sohn, der ein Rebell war. Diese Liebe geht so weit, dass sein Kummer über den Verlust von Absalom auf Kosten der Gefühle anderer geht. Während David unaufhörlich seine tiefe Trauer zum Ausdruck bringt, geht Joab zu ihm hinein. Er nimmt David hart ran, obwohl er selbst die Ursache für Davids Kummer ist. Er, der eigentlich der Letzte sein sollte, der diese Wahrheit ausspricht, sagt dennoch, was richtig ist. Er ist der Einzige, der dies dem König sagen kann. So kompliziert können manchmal Situationen sein.
Joab scheint ein gefühlloser Mann zu sein. Ohne jedes Mitleid, fast kühl sachlich, bricht er in Davids Gefühle ein. Sein Klagen muss jetzt ein Ende haben. David vermittelt durch seine Haltung und seinen Kummer über den Tod seines Sohnes die Botschaft, dass alles, was seine Männer für ihn getan haben, nichts bedeutet. Seine Männer retteten sein Leben und das Leben aller seiner Verwandten.
Anstatt dafür dankbar zu sein und sich bei seinen Männern zu bedanken, tut er so, als ob seine Männer ihm Schaden zugefügt hätten. David dreht die Dinge komplett um, sagt Joab. Absalom, der seinen Vater hasste, liebt er und seine Männer, die sich aus Liebe zu ihm einsetzten, hasst er. Joab zieht daraus den Schluss, dass es David recht gewesen wäre, wenn sein ganzes Heer getötet worden wäre, wenn nur Absalom noch am Leben wäre.
Joab befiehlt (!) David, aufzustehen und zu den Männern zu sprechen. Er warnt ihn auch, dass er nicht damit rechnen kann, dass noch jemand bei ihm bleibt, wenn er es nicht tut. David ändert daraufhin seine Einstellung. Er hört auf Joab und tut, was er sagt. Als David seinen Platz im Tor eingenommen hat, wird das Volk darüber informiert. Daraufhin kommt das ganze Volk zu ihm.
Aus dem Verhalten Davids gegenüber Absalom und der Ermahnung durch Joab können wir eine Menge über unseren Umgang mit unseren Kindern lernen. Es ist verständlich, dass ein „Sorgenkind“ viel von unserer Aufmerksamkeit beansprucht. Diese Sorgen können aufgrund einer Krankheit da sein, aber sie können auch durch einen sündigen Weg verursacht werden, den ein Kind geht. Trotzdem müssen wir versuchen, ein Gleichgewicht in der Zuwendung zu unseren Kindern zu behalten beziehungsweise herzustellen. Es kommt vor, dass das „Sorgenkind“ so viel Aufmerksamkeit bekommt, dass dadurch die anderen nicht die Zuwendung bekommen, die sie auch so nötig haben. Manchmal ist der Seufzer zu hören: „Ich wünschte, ich könnte einmal etwas Verrücktes tun, dann gäbe es auch Aufmerksamkeit für mich.“
Auch in der örtlichen Gemeinde kann es vorkommen, dass einige Jugendliche nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie brauchen. Dadurch können problematische Situationen entstehen, die hätten vermieden werden können, wenn wir als Ältere jedem Jugendlichen das Gefühl gegeben hätten, wie wichtig uns jeder einzelne von ihnen ist. Dann machen wir es so, wie der HERR es will, der sich auch für jedes einzelne Kind Gottes persönlich interessiert.
Nach den dramatischen Ereignissen, die mit Absaloms Griff nach dem Thron und dem Tod des Aufrührers verbunden waren, floh das Volk, das Absalom nachgefolgt war, in seine Häuser.
10 - 16 David auf dem Weg zurück nach Jerusalem
10 Und das ganze Volk stritt miteinander unter allen Stämmen Israels und sprach: Der König hat uns aus der Hand unserer Feinde errettet, und er hat uns befreit aus der Hand der Philister; und jetzt ist er vor Absalom aus dem Land geflohen. 11 Absalom aber, den wir über uns gesalbt hatten, ist im Kampf gestorben; und nun, warum schweigt ihr davon, den König zurückzuführen? 12 Und der König David sandte zu Zadok und zu Abjathar, den Priestern, und sprach: Redet zu den Ältesten von Juda und sprecht: Warum wollt ihr die Letzten sein, den König in sein Haus zurückzuführen? Denn die Rede ganz Israels ist zum König in sein Haus gekommen. 13 Meine Brüder seid ihr, ihr seid mein Gebein und mein Fleisch; und warum wollt ihr die Letzten sein, den König zurückzuführen? 14 Und zu Amasa sollt ihr sagen: Bist du nicht mein Gebein und mein Fleisch? So soll mir Gott tun und so hinzufügen, wenn du nicht alle Tage Heeroberster vor mir sein sollst an Joabs statt! 15 Und er neigte das Herz aller Männer von Juda wie eines Mannes [Herz]; und sie sandten zum König: Kehre zurück, du und alle deine Knechte. 16 Und der König kehrte zurück und kam bis an den Jordan; und Juda kam nach Gilgal, dem König entgegen, um den König über den Jordan zu führen.
Nachdem die Israeliten zu ihren Zelten geflohen sind, kommt im Volk die Diskussion über David auf, den starken und gleichzeitig schwachen Mann. Sie sprechen über die Situation, die entstanden ist. Die Nüchternheit befiehlt ihnen, sich der Situation zu stellen. Sie denken zurück an das, was David in den vergangenen Jahren für sie bedeutet und getan hat. Absalom war keine gute Wahl. Er war schon eine Weile ihr Mann und sie hatten ihn zum König gesalbt, aber die Dinge entwickelten sich anders.
Ihre Überlegungen lassen nicht erkennen, dass sie den HERRN mit einbeziehen und Reue über ihre falsche Wahl empfinden. Es geht ihnen nur um die naheliegendste Lösung. Es führt sie dazu, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, bezüglich des Zurückholens von David und sich gegenseitig der Nachlässigkeit zu bezichtigen.
Direkt im Anschluss lesen wir, dass David befiehlt, die Ältesten von Juda zu drängen, ihn zurückzuholen. Er tut dies als Antwort auf die Überlegungen der zehn Stämme, von denen er gehört hat. Dies ermutigt David, sich Juda anzubieten, um wieder ihr König zu sein. Er lässt seine Botschaft darüber von den Priestern Zadok und Abjathar überbringen. Das zeigt im Bild, dass der priesterliche Dienst eine herausragende Rolle bei dem Aufbau der Herrschaft des Herrn Jesus als Herrn in unserem Leben spielt. Der priesterliche Dienst richtet unsere Herzen auf Ihn. Wenn wir Ihn sehen, werden wir Ihm dienen wollen.
Wenn wir es praktisch betrachten, ist David hier ein schwacher Gläubiger, der den Eindruck erweckt, dass er den Stamm Juda anführt, während die zehn Stämme ebenfalls davon sprachen, zu ihm zurückzukehren. Gibt es hier bei David doch Parteilichkeit? Als König sollte er über allen zwölf Stämmen stehen. Jetzt wird er (ungewollt) zum Parteihaupt.
Er appelliert an das Ehrgefühl von Juda. Zweimal sagt er ihnen, dass sie sicher nicht die letzten sein sollten, die ihn zurückholen. Auf diese Weise drückt er seine klare Präferenz aus. Die zehn Stämme sind ihm untreu geworden. Es scheint, dass er ihnen nicht das Vorrecht gönnt, ihn eher als Juda zurückzuholen, das er „mein Gebein und mein Fleisch“ nennt. Es ist nicht so, dass er nicht mehr ihr König sein will. Er will ihnen zeigen, dass die Beziehung zu ihnen nicht so eng ist wie seine Beziehung zu Juda.
Wir können hier gut eine Anwendung auf uns selbst machen. Wir können zum Beispiel sagen, dass wir alle wahren Gläubigen lieben, während wir doch vielleicht unsere Vorlieben haben. Wir fühlen uns viel mehr mit denen verbunden, mit denen wir übereinstimmen und zeigen das auch. Es kann dann ganz leicht passieren, dass wir unbemerkt eine Partei bilden, von der andere ausgeschlossen sind. Es kann auch sein, dass man sich freiwillig oder unfreiwillig zum Haupt der Partei machen lässt.
David gibt ein besonderes Wort an Amasa mit. Amasa war der Heeroberste von Absalom gewesen und David bietet ihm an, Heeroberster bei ihm zu werden. Auch dies scheint einen taktischen Grund zu haben. Wie kann David ihm diese Zusage geben? Es scheint so, als wolle er ein Familienmitglied auf Kosten eines Mannes begünstigen, den er loswerden möchte. Dabei irrt er sich wieder in Joab. Joab duldet keine Konkurrenz und tötet Amasa (2Sam 20,9.10).
Seine diplomatischen Bemühungen bringen das gewünschte Resultat. Die Herzen aller Männer von Juda sind gewonnen. Sie alle wollen, dass David wieder ihr König wird. Der ganze Stamm kommt zum Jordan, um ihm bei der Überquerung zu helfen und ihn wieder in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Es wäre schöner gewesen, wenn das ganze Volk gekommen wäre.
Im ganzen Verlauf sehen wir David immer noch hauptsächlich als den schwachen Mann. Alles, was in seinem Haus im Laufe der Jahre geschehen ist und in dem er als Vater und König versagt hat, hat sein geistliches Urteilsvermögen beeinträchtigt. Infolgedessen kommt er zu falschen Entscheidungen oder zu Entscheidungen, die nicht das Merkmal des Glaubens tragen.
17 - 24 David zeigt Barmherzigkeit gegenüber Simei
17 Da eilte Simei, der Sohn Geras, der Benjaminiter, der von Bachurim war, und kam mit den Männern von Juda herab, dem König David entgegen; 18 und bei ihm waren tausend Mann von Benjamin, und Ziba, der Diener des Hauses Sauls, und seine fünfzehn Söhne und seine zwanzig Knechte mit ihm; und sie zogen über den Jordan, dem König entgegen. 19 (Eine Fähre aber setzte über, um das Haus des Königs hinüberzuführen und zu tun, was gut war in seinen Augen.) Und Simei, der Sohn Geras, fiel vor dem König nieder, als er im Begriff stand, über den Jordan zu fahren. 20 Und er sprach zum König: Mein Herr wolle mir keine Verschuldung zurechnen; und denke nicht [mehr daran], wie dein Knecht sich vergangen hat an dem Tag, als mein Herr, der König, aus Jerusalem zog, dass der König es zu Herzen nehme! 21 Denn dein Knecht weiß wohl, dass ich gesündigt habe. Und siehe, ich bin heute gekommen, der Erste vom ganzen Haus Joseph, um hinabzugehen, meinem Herrn, dem König, entgegen. 22 Und Abisai, der Sohn der Zeruja, antwortete und sprach: Sollte nicht Simei dafür getötet werden, dass er dem Gesalbten des HERRN geflucht hat? 23 Aber David sprach: Was haben wir miteinander zu schaffen, ihr Söhne der Zeruja, dass ihr mir heute zu Widersachern werdet? Sollte heute ein Mann in Israel getötet werden? Denn weiß ich nicht, dass ich heute König bin über Israel? 24 Und der König sprach zu Simei: Du sollst nicht sterben! Und der König schwor ihm.
Im Zusammenhang mit der Botschaft von der Überquerung des Jordans werden mehrere Begegnungen erzählt, nacheinander mit Simei, Mephiboseth und Barsillai. In all diesen Fällen sehen wir einen schwachen David, aber doch auch mit schönen Charakterzügen. Es ist schwierig, diese Begegnungen richtig zu interpretieren. Wir können vorsichtig einige Dinge von ihnen lernen.
Simei kommt zusammen mit dem Stamm Juda. Er erkennt, dass er schnell sein muss, um seine Haut zu retten. Er erkennt auch, dass er sein Leben nur retten kann, wenn er zugibt, dass er Unrecht getan hat und um Gnade bittet. Als die Fähre ins verheißene Land fährt, wirft Simei sich vor David nieder. Er bekennt seine Sünde und weist gleichzeitig darauf hin, dass er der erste aus dem Haus Joseph ist, der David als König anerkennt und ehrt.
Abisai zeigt deutlich sein Missfallen über das Böse, das dieser Mann seinem König angetan hat. Er fällt sofort das Urteil und plädiert dafür, dass Simei dafür noch getötet wird. Dies ist bereits das dritte Mal, dass Abisai versucht, David dazu zu bringen, jemanden zu töten. Zuerst Saul (1Sam 26,8), dann Simei (2Sam 16,9) und hier wieder. Beim ersten und zweiten Mal hat David gut reagiert. Es ist schwer zu sagen, ob das auch hier der Fall ist. Es mag sein, dass David Simei aus einem falschen Gefühl der Großmut heraus begnadigt. Er verzeiht, weil er wieder König geworden ist.
David erklärt Abisai zum „Widersacher“ (wörtlich: Satan), weil er ihn zu einer Handlung bringen will, die seinem Wunsch, Barmherzigkeit zu zeigen, entgegensteht. Doch wurde Simei später noch wegen seiner Verfluchung Davids getötet. Dies geschieht durch Salomo, aber auf Davids Rat hin (1Kön 2,8.9.44.46).
25 - 31 David trifft Mephiboseth
25 Und Mephiboseth, der Sohn Sauls, kam herab, dem König entgegen. Und er hatte seine Füße nicht gereinigt und seinen Bart nicht gemacht und seine Kleider nicht gewaschen von dem Tag an, als der König weggegangen war, bis zu dem Tag, als er in Frieden einzog. 26 Und es geschah, als Jerusalem dem König entgegenkam, da sprach der König zu ihm: Warum bist du nicht mit mir gezogen, Mephiboseth? 27 Und er sprach: Mein Herr König! Mein Knecht hat mich betrogen; denn dein Knecht sprach: Ich will mir den Esel satteln und darauf reiten und mit dem König ziehen, denn dein Knecht ist lahm; 28 und er hat deinen Knecht bei meinem Herrn, dem König, verleumdet. Aber mein Herr, der König, ist wie ein Engel Gottes: So tu, was gut ist in deinen Augen. 29 Denn das ganze Haus meines Vaters war nichts anderes als Männer des Todes vor meinem Herrn, dem König; und doch hast du deinen Knecht unter die gesetzt, die an deinem Tisch essen. Und was für ein Recht habe ich noch, und um was hätte ich noch zum König zu schreien? 30 Und der König sprach zu ihm: Warum redest du noch von deinen Sachen? Ich sage: Du und Ziba, ihr sollt die Felder teilen. 31 Da sprach Mephiboseth zum König: Er mag auch das Ganze nehmen, nachdem mein Herr, der König, in Frieden in sein Haus gekommen ist.
Der zweite, der David entgegenkommt, ist Mephiboseth. An ihm ist zu erkennen, dass er sich während Davids Abwesenheit nicht um sich selbst gekümmert hat. Alle seine Gedanken sind bei seinem Wohltäter. Mephiboseth ist ein Bild für den Gläubigen, der sich auf das Kommen seines Herrn freut und deshalb nicht mit der „Vorsorge für das Fleisch zur Befriedigung seiner Begierden“ beschäftigt ist (Röm 13,14b).
Mephiboseth mag ein Bild für einen Gläubigen sein, der sich auf das Kommen des Herrn Jesus freut, aber David ist hier sicher kein Bild von dem Herrn Jesus. Er wirft Mephiboseth vor, dass er nicht mit ihm gegangen ist. Mephiboseth erzählt David den wahren Grund dafür und auch von dem Betrug durch Ziba. Er weist auch darauf hin, dass er lahm ist, weshalb er nicht in der Lage war, selbst David hinterher zu gehen. Was Ziba David über ihn erzählte, ist nicht wahr.
Die Einstellung von Mephiboseth ist wunderbar. Er spricht nicht von der Tatsache, dass David Ziba geglaubt hat. Er wartete ständig auf die Davids Rückkehr, während er sich der Gnade, die ihm gewährt wurde, bewusst blieb. Darüber spricht er. Er erinnert sich noch gut daran, wie er, der zum Tod verdammt war, weil er zum Haus Sauls gehörte, von David in den Kreis derer aufgenommen wurde, die an seinem Tisch aßen (2Sam 9,13). Er ist immer noch überwältigt von diesem Beweis der Barmherzigkeit. Welches Recht hat er vor diesem Hintergrund?
Es bleibt zu hoffen, dass wir, denen auch Barmherzigkeit erwiesen wurde, ständig in diesem Bewusstsein leben, und dass dieses Bewusstsein uns immer wieder überwältigt und uns zu großer Dankbarkeit Ihm gegenüber bringt, der uns diese Barmherzigkeit erwiesen hat. Dies wird uns davor bewahren, auf unserem Recht zu beharren und unsere Rechte einzufordern.
Davids Reaktion auf die Worte Mephiboseths lassen uns nicht an den Herrn Jesus denken. David ist sich bewusst, dass er einen Fehler gemacht hat, als er Ziba das Land gab. Dennoch möchte er nicht weiter darüber sprechen. In seinen Worten liegt eine gewisse Verärgerung über den Fehler, den er gemacht hat. Er gibt den Fehler nicht zu, sondern entscheidet, dass das Land geteilt werden soll. Das ist keine weise Entscheidung, im Gegenteil, es ist ein falscher Entschluss.
Davids Befehl, das Land zu teilen, offenbart den Geist von Mephiboseth. Mephiboseth protestiert nicht. Im Gegenteil, er will nichts von dem Land haben, denn er hat David zurück. Es geht ihm nur um David. Die Haltung von Mephiboseth ist bewundernswert und nachahmenswert im Hinblick auf unsere Beziehung zum Herrn Jesus.
Die Antwort von Mephiboseth ist der Beweis dafür, dass er nur an David interessiert ist und keineswegs auf die Rückgabe seines Eigentums aus ist. Es ist die Sprache des Paulus, der sagt: „Aber was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde“ (Phil 3,7–9a).
32 - 41 Abschied von Barsillai
32 Und Barsillai, der Gileaditer, kam von Rogelim herab und ging mit dem König über den Jordan, um ihn über den Jordan zu geleiten. 33 Barsillai war aber sehr alt, ein Mann von achtzig Jahren; und er hatte den König versorgt, als er in Machanaim weilte, denn er war ein sehr reicher Mann. 34 Und der König sprach zu Barsillai: Geh du mit mir hinüber, und ich will dich bei mir in Jerusalem versorgen. 35 Und Barsillai sprach zum König: Wie viele sind [noch] die Tage meiner Lebensjahre, dass ich mit dem König nach Jerusalem hinaufziehen sollte? 36 Ich bin heute achtzig Jahre alt; kann ich Gutes und Schlechtes unterscheiden? Oder kann dein Knecht schmecken, was ich esse und was ich trinke? Oder kann ich noch auf die Stimme der Sänger und der Sängerinnen horchen? Und warum sollte dein Knecht meinem Herrn, dem König, noch zur Last sein? 37 Dein Knecht würde [nur] auf kurze [Zeit] mit dem König über den Jordan gehen; und warum sollte der König mir diese Vergeltung erweisen? 38 Lass doch deinen Knecht zurückkehren, dass ich in meiner Stadt sterbe, beim Grab meines Vaters und meiner Mutter. Aber siehe, hier ist dein Knecht Kimham: Er möge mit meinem Herrn, dem König, hinübergehen; und tu ihm, was gut ist in deinen Augen. 39 Und der König sprach: Kimham soll mit mir hinübergehen, und ich will ihm tun, was gut ist in deinen Augen; und alles, was du von mir begehren wirst, will ich für dich tun. 40 Und alles Volk ging über den Jordan, und [auch] der König ging hinüber. Und der König küsste Barsillai und segnete ihn; und er kehrte an seinen Ort zurück. 41 Und der König ging hinüber nach Gilgal, und Kimham ging mit ihm hinüber. Und alles Volk von Juda und auch die Hälfte des Volkes von Israel führten den König hinüber.
Der dritte Mann, von dem wir lesen, dass er eine Begegnung mit David hat, ist Barsillai. Das Gespräch, das David mit ihm führt, ist wiederum anders als das Gespräch, das er mit Simei führte, und auch als das mit Mephiboseth. Hier geht die Initiative von David aus. Barsillai ist ein wohlhabender Mann und hat seinen Besitz für die Versorgung des Königs eingesetzt.
David hat diese Unterstützung nicht vergessen. Barsillai half ihm zu einer Zeit, als er auf der Flucht vor Absalom war. Damit ging Barsillai ein großes Risiko ein. Er wusste auch nicht, wie der Kampf ausgehen würde. Doch im Glauben wählte er den Mann, den Gott auserwählt hatte. Dafür gibt es jetzt eine Würdigung aus dem Mund von David. Aus Dankbarkeit für alles, was Barsillai für ihn getan hat, bietet David an, dass Barsillai mit ihm geht. Er könnte dann bei David in Jerusalem leben und David würde dafür sorgen, dass es ihm in seinen letzten Lebensjahren an nichts fehlt.
Barsillai aber will David nicht „zur Last sein“ (Vers 36). Er gibt mehrere Gründe dafür an (Verse 35.36). Die Gründe, die er angibt – sein hohes Alter mit den damit dazugehörenden Gebrechen –, könnten negativ ausgelegt werden. Dann wäre es eine Ablehnung, verpackt in plausible Ausreden. Doch dieser Ansatz scheint dem, was Barsillai für David getan hat, nicht gerecht zu werden. Auch die Reaktion von David gibt keinen Anlass zu einer negativen Betrachtungsweise.
Es ist naheliegender, die angegebenen Gründe als Beweis dafür zu sehen, dass er nicht sein eigenes Interesse, sondern das von David im Auge hat. Das hat er immer getan und das tut er auch jetzt. Als er Kimham an seiner Stelle David mitgibt, um mit ihm den Jordan zu überqueren, zeigt sich die gleiche Gesinnung gegenüber David. Davids Wertschätzung für Barsillai ist groß. Er wird Kimham so behandeln, als wäre es Barsillai selbst.
Wir können auch an Barsillai sehen, was Ältere für den Herrn Jesus und die Seinen tun können. Wenn wir daran denken, was er für David getan hat, können wir in ihm das Bild eines Vaters in Christus sehen (1Joh 2,13.14). Väter in Christus haben viel geistlichen Reichtum angesammelt. Sie sind in der Lage, Gläubigen, die keine Kenntnis von den geistlichen Segnungen haben, diesen Reichtum mitzuteilen und ihnen auf dem Weg nach „Jerusalem“ zu helfen, d. h. dem Ort, wo der Herr Jesus inmitten der Seinen wohnt.
Es steckt auch noch eine Lektion darin, dass Barsillai, anstatt selbst zu gehen, dem jungen Kimham – vielleicht seinem Sohn, vielleicht seinem Diener – erlaubt, mitzugehen. Darin sehen wir ein schönes Beispiel dafür, wie ein alter Gläubiger einen jungen Gläubigen seinen Platz übernehmen lässt auf dem Weg mit dem Herrn Jesus.
David geht den Weg zurück, durch den Jordan ins verheißene Land. Auf diese Weise wird auch der Überrest Israels in der Endzeit in das Land zurückkehren. Dann wird das gesamte Volk vereint sein. Hier ist die Trennung noch eine Tatsache. Auf dem Rückweg wird auch Gilgal erwähnt. Es ist der Weg, den das Volk damals nahm, um das Land zu erobern. In Gilgal fand die Beschneidung statt, die von dem Gericht über das Fleisch spricht. Dieser Weg muss wieder gegangen werden, wenn es eine Abweichung gegeben hat. Das Unrecht muss bekannt und weggetan werden. Wenn das geschieht, ist es ein neuer Anfang, der Beginn eines neuen Weges mit dem Herrn, bei dem wieder neue geistliche Erfahrungen gemacht werden.
42 - 44 Israel und Juda streiten um David
42 Und siehe, alle Männer von Israel kamen zum König und sprachen zum König: Warum haben unsere Brüder, die Männer von Juda, dich weggestohlen und den König und sein Haus und alle Männer Davids mit ihm über den Jordan geführt? 43 Und alle Männer von Juda antworteten den Männern von Israel: Weil der König mir nahe steht; und warum bist du denn über diese Sache erzürnt? Haben wir etwa vom König Nahrung empfangen, oder hat er uns irgendein Geschenk gemacht? 44 Aber die Männer von Israel antworteten den Männern von Juda und sprachen: Ich habe zehn Anteile an dem König und habe auch an David mehr [Anrecht] als du; und warum hast du mich gering geachtet? Und ist nicht mein Wort das erste gewesen, meinen König zurückzuführen? Und das Wort der Männer von Juda war härter als das Wort der Männer von Israel.
Danach kommt der Moment, in dem sich die Männer Israels zu Wort melden. Sie beklagen sich über das Verhalten ihrer Brüder, der Männer von Juda. David selbst hat durch seine Bevorzugung von Juda dazu beigetragen. Die Folge ist Eifersucht. Wir sehen, dass der Bruch, der unter der Herrschaft von Davids Enkel Rehabeam stattfinden wird, hier bereits verborgen vorhanden ist.
In der Kirchengeschichte ist Uneinigkeit nicht immer – oder vielleicht besser: meistens nicht – das Ergebnis von Unterschieden in Lehrmeinungen, sondern von Unterschieden im Charakter derjenigen, die bestimmte Lehrmeinungen vertreten. Was unter dem Deckmantel des Unterschieds in der Lehreauffassung geschieht, ist in Wirklichkeit ein Streit zwischen Menschen, die sich einander nicht unterordnen wollen.
Die Männer von Israel reagieren fleischlich. Die Antwort der Männer von Juda ist genauso fleischlich. Das weise Wort Salomos, „eine milde Antwort wendet den Grimm ab, aber ein kränkendes Wort erregt den Zorn“ (Spr 15,1), wird von keiner Seite beherzigt. Die Männer von Israel meinen, dass sie mehr Recht auf David haben, weil sie zahlenmäßig stärker sind. Es entsteht ein Streit unter Gottes Volk zwischen Juda mit einem Teil Israels auf der einen und dem Rest Israels auf der anderen Seite. Der Streit dreht sich um die Frage, wer das meiste Anrecht auf David hat. Ist es richtig, so zu sprechen? Ist David nicht der König des ganzen Volkes?
Wir müssen aufpassen, dass wir den Herrn Jesus nicht für unsere Gruppe beanspruchen. Das kann leicht passieren, wenn wir meinen, dass wir treuere Gläubige sind als andere, oder dass wir mehr Kenntnis haben als andere, oder dass wir denken, dass wir mehr Geistesgaben besitzen als andere. Lasst uns darum beten, dass der Herr uns davor bewahrt, zu unseren Brüdern und Schwestern, wo immer sie sich befinden, von Ihm zu sprechen, in dem Sinn, als hätten wir ein größeres Recht auf Ihn als der andere.
Das ist das Übel, das Paulus bei den Korinthern verurteilt (1Kor 1,12.13). Die Gruppe, die Christus als ihren führenden Haupt beansprucht, ist die schlimmste. Sie sind sogar schlimmer als die Korinther, die Petrus oder Paulus zu ihrem Parteihaupt wählten. Das mag seltsam klingen, aber es ist trotzdem wahr. Paulus listet vier Parteien auf, jede mit ihrem eigenen Führer. Einer dieser Parteiführer ist Christus. Aber kann Er mit irgendeinem Menschen gleichgesetzt werden? Doch genau das ist es, was die Korinther tun. Christus wird zu einem Parteiführer gemacht, neben Paulus und Petrus und Apollos! Was diese Partei damit sagt, ist: „Wir sind die Einzigen, die den richtigen Standpunkt vertreten. Wer sich Paulus oder Apollos oder Petrus anschließt, gehört nicht dazu.“ Jeder Gläubige gehört jedoch zu Christus, auch wenn er sich vielleicht unglücklicherweise einer Gruppe angeschlossen hat, die sich nach einem bestimmten Diener nennt.
Christus lässt sich nicht in eine Schublade stecken – und seine wahren Diener auch nicht, denn sie wollen nicht an der Spitze einer Partei stehen oder in eine Schublade gesteckt werden. Wenn Paulus sagt, dass Christus nicht zerteilt ist, will er damit sagen, dass Christus nicht von der einen oder anderen Gruppe als Parteiführer beansprucht werden kann.
Du erkennst sicher dieses Bild in der Christenheit um dich herum wieder. Was für eine Zerteilung! Die eine Gruppe benennt sich nach Luther, eine andere nach Calvin. Es gibt auch Gruppen und Gemeinden, in denen Menschen zusammenkommen, nur weil sie in bestimmten Teilen oder Themen aus der Bibel übereinstimmen, zum Beispiel der Taufe, während andere, die anders darüber denken, sich nicht dort anschließen können. Die Tatsache, dass der Herr Jesus der Einzige ist, durch den die Christen zusammengehören, gerät zunehmend in den Hintergrund. Lasst uns also Ihn und das, was Er in seinem Wort sagt, wieder in den Vordergrund stellen!