1 Datierung und Absender
1 Im achten Monat, im zweiten Jahr des Darius, erging das Wort des HERRN an Sacharja, den Sohn Berekjas, des Sohnes Iddos, den Propheten, indem er sprach:
Wie bei Haggai erfolgt die Datierung der Prophezeiung Sacharjas nach der Regierungszeit eines heidnischen Fürsten. Dies deutet, wie bereits bei Haggai 1 (Hag 1,1) erwähnt, darauf hin, dass die Zeiten der Nationen gekommen sind (Lk 21,24; Dan 7,1; 8,1). Durch das Versagen des Volkes verlegte Gott in gewisser Hinsicht seine Regierungswege von Jerusalem nach Babel. Babel war zwischenzeitlich gefallen, und zu dieser Zeit regieren die Meder und Perser Israel mit Darius Hystaspes als Haupt. Deshalb wird sein Name erwähnt.
Sacharja beginnt zwei Monate nach Haggai zu prophezeien. Es kann als besonderer Segen angesehen werden, dass Gott nach Haggai einen zweiten Propheten zu seinem Volk schickt. Es ist das Wort der Prophezeiung, das vom HERRN kommt, von Ihm ausgeht und Sacharja anvertraut wird. Wie dieses Wort des HERRN zu ihm gekommen ist, wird nicht erwähnt. Es kann zum Beispiel durch ein Gesicht mitgeteilt worden sein oder durch einen Traum.
Der Name Sacharja bedeutet „der HERR gedenkt“; Berekja bedeutet „der HERR segnet“; Iddo bedeutet „die bestimmte Zeit“. Wir können anhand der Bedeutung der Namen erkennen, dass der HERR seines Volkes gedenkt und es nicht vergessen hat, wie es manchmal scheinen mag wegen all des Leidens, das über das Volk gekommen ist. Er hat es natürlich nicht vergessen, sondern wird es vielmehr segnen zu der von Ihm festgesetzten Zeit.
In Esra 5 wird Sacharja als Sohn des Iddo bezeichnet (Esra 5,1), während es hier scheint, dass Berekja sein Vater ist. Es könnte darauf hinweisen, dass Iddo sein Großvater ist und dass sein Vater in seiner Jugend starb.
2 Der Zorn des HERRN
2 Der HERR ist heftig erzürnt gewesen über eure Väter.
Der Prophet kommt direkt auf den Punkt. Er will seine Volksgenossen im Gewissen treffen. Sie sind nicht besser als ihre Väter. Der Tempel ist durch die Schuld der Väter zerstört worden. Aber sie selbst sind nachlässig beim Wiederaufbau. Es ist leicht, sich an unsere Umstände zu gewöhnen, ohne auf die Hand des HERRN zu achten, der uns wegen unserer Untreue in diese Umstände gebracht hat.
Der Prophet geht nicht näher auf die Ursache des Zornes ein. Indem er so darüber spricht, bittet er indirekt darum, sich an die Gelegenheiten zu erinnern, bei denen dieser Zorn sichtbar wurde. Dies sollte dazu führen, die Ursache dafür zu entdecken. Das würde sie in ihrer Untreue gegenüber dem HERRN zumindest nachdenklich machen. Der Prophet warnt auf diese Weise deutlich davor, dass Gott sich nicht spotten lässt.
Sie sind in das Land Gottes zurückgekehrt, aber nicht zu Gott selbst. Ihre Wegführung und die Zerstörung der Stadt und des Tempels sind klare Beweise für Gottes Zorn. Aber es gibt einen Weg zurück, und das ist der Weg der Bekehrung zum HERRN von ganzem Herzen. Deshalb folgt im nächsten Vers auf den Zorn das Angebot der Gnade.
3 Kehrt zu mir um
3 Und sprich zu ihnen: So spricht der HERR der Heerscharen: Kehrt zu mir um, spricht der HERR der Heerscharen, und ich werde zu euch umkehren, spricht der HERR der Heerscharen.
Da sie dem Bau des Tempels keinen Vorrang mehr einräumen, muss Sacharja sie nun zur Umkehr auffordern. Es ist ein Auftrag des HERRN der Heerscharen an ihn.
Dreimal spricht Sacharja in seinen einleitenden Versen über Bekehrung (Verse 3.4.6). Er tut dies vor allem jenen gegenüber, die vielleicht denken, dass sie sich bekehrt haben, weil sie aus Babel zurückgekehrt sind. Bekehrung wird gewöhnlich als etwas angesehen, das nur zu einer Botschaft des Evangeliums an Ungläubige gehört. Aber das ist nicht richtig. Hier hören wir von der Notwendigkeit einer Bekehrung für das Volk Gottes. Es ist der Aufruf an das Volk Gottes, von dem eingeschlagenen Weg umzukehren und zum HERRN zurückzukehren und Buße zu tun. Dann wird Er zu ihnen mit Segen und nicht mit Fluch zurückkehren. Zuerst muss das Volk zum HERRN umkehren, dann kann Er sich wieder ihnen zuwenden (Mal 3,7; 2Chr 15,2; Jer 3,12; Hes 18,30; Mich 7,19).
Auch als Gläubige müssen wir uns manchmal bekehren. Dies bedeutet nicht eine „tägliche Bekehrung“, als ob wir jeden Tag als reuige Sünder zu Gott kommen sollten, als ob wir niemals Kinder Gottes geworden wären. Aber das Neue Testament spricht auch von der Bekehrung Gläubiger. Wir sehen dies in den Briefen des Johannes an die sieben Gemeinden in Kleinasien. In den meisten von ihnen sind ihre Empfänger aufgerufen, Buße zu tun, weil in diesen Gemeinden Sünden vorhanden sind (vgl. Off 2,5.16.22; 3,3.19). Wir hören es auch, wenn der Herr Jesus zu Petrus, der sich bereits bekehrt hat, sagt: „Und du, bist du einst umgekehrt, [so] stärke deine Brüder“ (Lk 22,32).
Es ist klar, dass auch Gläubige bekennen müssen, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Er muss vor Gott auf die Knie fallen, und auch vor seinem Nächsten, wenn er gegen diesen gesündigt hat. Es gibt immer einen Weg zurück, sowohl für den einzelnen Gläubigen als auch für eine Gruppe von Gläubigen, einen Weg, der immer über Buße und Bekenntnis führt. Dass es diesen Weg gibt, ist das Ergebnis des Werkes Christi.
Die Weigerung zum Bekenntnis vor Gott und Menschen ist oftmals die Ursache für die große Zerrüttung im Volke Gottes. Niemand kann sich hinter der trügerischen Vorstellung verstecken, für ihn komme eine Bekehrung nicht in Frage. Wenn Gott zur Buße aufruft, beinhaltet das, dass Er die Kraft dazu gibt. Er stellt diese Kraft mit der Aufforderung zur Verfügung. Es liegt an den Menschen, davon Gebrauch zu machen.
Der Name „HERR der Heerscharen“ ist charakteristisch für die letzten drei Propheten und wird von ihnen zusammen mehr als 80-mal verwendet. Schon in diesem Vers wird dieser Name dreimal verwendet.
4 Folgt dem Bösen nicht nach
4 Seid nicht wie eure Väter, denen die früheren Propheten zuriefen und sprachen: So spricht der HERR der Heerscharen: Kehrt doch um von euren bösen Wegen und von euren bösen Handlungen! Aber sie hörten nicht und achteten nicht auf mich, spricht der HERR.
Ihre Väter hörten nicht auf die früheren Propheten (Sach 7,12), die vor der Wegführung die Propheten waren, und taten nicht Buße (Jer 25,3–8; 2Kön 17,13). Ein schlechtes Beispiel führt zu schlechter Nachfolge, und der Prophet warnt davor. Gott identifiziert sich hier mit den Propheten, die in seinem Namen gesprochen haben. Er sagt nicht, dass sie nicht auf die Propheten gehört haben, sondern dass sie nicht auf Ihn gehört haben. Nicht auf Gottes Propheten zu hören ist gleichbedeutend mit nicht auf Gott zu hören (vgl. Mt 10,40).
5 Zwei Fragen
5 Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?
Es ist, als wolle Sacharja mit diesen beiden Fragen die erwarteten Einwände gegen seinen Aufruf widerlegen. Im folgenden Vers wird die Antwort auf diese Fragen gegeben.
Sowohl die Väter als auch die Propheten leben nicht mehr. Für Sacharja und seine Zeitgenossen ist es belangreich, die Lektionen aus der Vergangenheit zu lernen. Im Allgemeinen gibt es auch heutzutage erschreckend wenig Geschichtskenntnisse. Die Lektionen, die man aus der (Kirchen-)Geschichte ziehen kann, finden keinen Eingang in das Denken und Handeln. Natürlich muss die Geschichte im Licht des Wortes Gottes gesehen werden, denn Gottes Hand in der Geschichte kann nur an diesem Wort geprüft werden. So geschieht es in diesem ersten Kapitel.
Das, wovor Gott gewarnt hat, hat sich auch buchstäblich erfüllt. Das Gericht hat die Väter weggenommen, und die Propheten sind getötet worden. Aber sie sind nicht besser als ihre Väter. Die Propheten leben in ihren Worten weiter, denn Gottes Wort geht nicht verloren. Die Worte der Propheten an die Väter sind erfüllt worden. Sie müssen somit anerkennen, dass Gott getan hat, was Er angedroht hat, und dass Er sein Gericht über sie vollstreckt hat (5Mo 28,45; Jes 23,15.16; Klgl 2,17).
6 Bedeutung dessen, was Gott sagt
6 Doch meine Worte und meine Beschlüsse, die ich meinen Knechten, den Propheten, gebot, haben sie eure Väter nicht getroffen? Und sie kehrten um und sprachen: So wie der HERR der Heerscharen vorhatte, uns nach unseren Wegen und nach unseren Handlungen zu tun, so hat er mit uns getan.
Die gepredigte Wahrheit Gottes bleibt unverändert wirksam (Jes 14,24 ). Gottes „Worte“ und „Beschlüsse“ haben immer einen Zweck. Das haben die Väter erlebt, als sie nicht bekehrt waren. Die Beweise dafür sind erbracht, nicht zuletzt durch die Wegführung. Das werden sie auch erfahren, wenn sie nicht umkehren. Das Wort Gottes ist lebendig und bleibend (1Pet 1,23–25). Was Gott sagt, geschieht, ob es nun ein Segen oder ein Fluch ist.
In Tagen der größten Untreue in der Gemeinde bleibt sie unsere Stütze. Die Anerkennung der Wahrheit des Wortes Gottes ist der erste Schritt zum Segen.
7 Ein neues Wort vom HERRN
7 Am vierundzwanzigsten Tag, im elften Monat, das ist der Monat Schebat, im zweiten Jahr des Darius, erging das Wort des HERRN an Sacharja, den Sohn Berekjas, des Sohnes Iddos, den Propheten, indem er sprach:
Das erste Nachtgesicht wird Sacharja drei Monate nach seinen einleitenden Worten gegeben. Er darf nur sprechen, wenn der HERR es ihm aufträgt. Nach drei Monaten kommt dieser Auftrag. Jedes Nachtgesicht trägt zum Gesamtbild der zukünftigen Herrlichkeit Israels bei. Die nächtlichen Gesichte dienen dem Volk als Ermutigung, mit dem Wiederaufbau des Tempels fortzufahren. Insgesamt kann man sagen, dass die Perspektive der Nachtgesichte diese ist: Obwohl Israel noch nicht in seiner verheißenen Position ist, denkt Gott bereits daran.
Die Reihe der Gesichte führt uns durch die Zeit des Umgangs Gottes mit Israel. Diese Zeit läuft von der Zeit ihrer Züchtigung durch Gott unter den heidnischen Mächten bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie in ihr Land mit ihrer wiederaufgebauten Stadt und ihrem Tempel unter ihrem Messias-König zurückkehren. Das erste Gesicht gibt das allgemeine Thema der ganzen Serie, die anderen Gesichte fügen Details hinzu. Während die Welt mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt ist, sind Gottes Augen und das Herz des Messias auf den niedrigen Zustand Israels und auf den Tempel in Jerusalem gerichtet.
8 Der Mann auf dem roten Pferd
8 Ich schaute in der Nacht, und siehe, ein Mann, der auf einem roten Pferd ritt; und er hielt zwischen den Myrten, die im Talgrund waren, und hinter ihm waren rote, hellrote und weiße Pferde.
Was Sacharja zu sehen bekommt, geschieht in der Nacht. Er schläft nicht, er sieht nicht im Traum, sondern ist in einem wachen Zustand. Er sieht einen Mann. Es ist der Herr Jesus (Vers 11), der hier zum ersten Mal im Buch erwähnt wird. Er sitzt auf einem roten Pferd. Hinter Ihm sind weitere Pferde, jedes in einer anderen Farbe. Am Anfang aller Gesichte steht der Herr Jesus. Es geht um Ihn, Er bestimmt die Zukunft und ist ihr Zentrum (Off 19,10b).
Die Aufforderung „siehe“ soll mit Nachdruck die Aufmerksamkeit lenken auf das Wunderbare und zugleich auf die Wichtigkeit dessen, was es zu sehen gibt. Es soll ihn auch dazu bringen, genau hinzusehen.
Rot ist die Farbe des Blutes und des Blutvergießens (Jes 63,2–4). Aber der Mann kämpft nicht. Es ist, als ob Er sich darauf vorbereitet. Die Pferde repräsentieren Mächte und Reiche, die noch kommen werden, aber sie stehen hinter dem Mann auf dem roten Pferd. Ohne Ihn können sie keinen Schritt machen. Alle Macht im Himmel und auf der Erde ist Ihm gegeben (Mt 28,18).
Er steht „zwischen den Myrten, die im Talgrund waren“. Die Myrten in dem Talgrund sind eine Darstellung des Überrestes Israels, mit dem der HERR sich verbindet. Er steht zwischen ihnen. Der Talgrund deutet auf einen Zustand der Erniedrigung hin. Myrten werden immer im Zusammenhang mit dem Friedensreich erwähnt. Sie scheinen auf diese Zeit hinzuweisen. Jetzt ist es noch nicht so weit, sie befinden sich noch in der Tiefe und nicht auf der Höhe.
Myrten sind immergrüne, reich verzweigte Sträucher und gehören zum Laubhüttenfest (Neh 8,15.16) und in das messianische Reich (Jes 41,19; 55,13). Sie verkünden eine Zeit des Segens im Friedensreich. Die Wiederherstellung wird in der Tiefe beginnen, durch Erniedrigung und Buße.
Israel wird immer noch von den Nationen erniedrigt und ist immer noch der Schwanz und nicht das Haupt der Nationen. Doch Gott kann diesen Frieden bereits in den Herzen derer wirken, die ihren Platz demütig im Tal einnehmen unter der Botschaft des Propheten, der das Herz und das Gewissen erreichen will.
Die Pferde sind Engelmächte – oder Winde oder Geister (Sach 6,5) – die die Geschichte der Weltmächte nach Babel kontrollieren. Ihnen wird die Freiheit gegeben, die Erde zu durchziehen. Aber sie stehen hinter dem Mann. Es gibt nichts in unserem Leben oder in der Geschichte, das ohne seine Erlaubnis geschieht (Spr 21,1).
Die Pferde mit den drei verschiedenen Farben repräsentieren die drei Reiche nach Babel, das bereits gefallen ist. Die roten Pferde repräsentieren das medo-persische Reich. Das Reich hat die gleiche Farbe wie das Pferd, auf dem der Mann sitzt, möglicherweise weil das medo-persische Reich damals gegenüber den Israeliten wohlwollend war (Esra 6,1-15).
9 Die Frage nach der Erklärung
9 Und ich sprach: Mein Herr, wer sind diese? Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Ich will dir zeigen, wer diese sind.
Sacharja bittet um eine Erklärung. Er bekommt sie von dem Engel, der mit ihm redete. Seine fragende Haltung ist eine gute Einstellung für einen jungen Mann. Dieser Engel ist wahrscheinlich derjenige, durch den der HERR dem Sacharja seine Mitteilungen weitergibt, und nicht der Engel des HERRN (vgl. Off 1,1; 22,6). Der Engel gibt die Antwort nicht selbst, sondern gibt an, wohin Sacharja sehen muss, um die Antwort zu erhalten.
10 Die Antwort
10 Und der Mann, der zwischen den Myrten hielt, antwortete und sprach: Diese sind es, die der HERR ausgesandt hat, um die Erde zu durchziehen.
Die Antwort auf die Frage Sacharjas gibt „der Mann zwischen den Myrten“, das ist der Herr Jesus. Er ist die Quelle, zu der alle Antworten, egal von wem sie auch gegeben wurden, zurückverfolgt werden müssen. In seiner Antwort zeigt Er sein großes Interesse an allem, was auf der Erde geschieht, insbesondere im Zusammenhang mit seinem Volk Israel und den Seinen (vgl. Hiob 1,7; 2,2). Eine Zeit lang wurde den Nationen die Regierungsgewalt übertragen, aber sie sind Ihm gegenüber rechenschaftspflichtig (Vers 11).
11 Rechenschaft abgelegt
11 Und sie antworteten dem Engel des HERRN, der zwischen den Myrten hielt, und sprachen: Wir haben die Erde durchzogen, und siehe, die ganze Erde sitzt still und ist ruhig.
Der Mann auf dem roten Pferd (Vers 8) scheint hier, im Gegensatz zu Vers 9, der Engel des HERRN zu sein. Dies ist eine besondere Erscheinungsform des HERRN selbst (vgl. 1Mo 16,7–13; 22,11–22; 2Mo 3,2–6; Ri 6,14.22; 13,9–18.22). Es ist eine Offenbarung des Herrn Jesus, bevor er Mensch wurde. Er repräsentiert Gott und ist Gott selbst. Alle (Engel-)Mächte, die in den verschiedenen Pferden dargestellt sind, sind Ihm verantwortlich. Er leitet die Geschichte, Er hat alles unter Kontrolle.
Alle Mächte fühlen sich in Ruhe; international herrscht Frieden. An einem Ort gibt es diese Ruhe nicht und das ist in Jerusalem. Wenn es dort keine Ruhe gibt, wie kann es dann in der Welt Frieden geben? Das soll auch das Gewissen des Volkes ansprechen, denn auch sie sind in Ruhe. Der Himmel ist mit Jerusalem und Juda beschäftigt, aber die Nationen und auch das Volk Gottes sind mit ihren eigenen Interessen beschäftigt, sie suchen ihren eigenen Wohlstand und ihre Bequemlichkeit.
12 Wie lange gibt es kein Erbarmen?
12 Da hob der Engel des HERRN an und sprach: HERR der Heerscharen, wie lange willst du dich nicht über Jerusalem und die Städte Judas erbarmen, auf die du zornig warst diese siebzig Jahre?
Die Antwort des „Engels des HERRN“ gleicht einem Gebet an den „HERRN der Heerscharen“. Hier sehen wir den Sohn Gottes, wie Er auf der Erde zu seinem Gott im Himmel betet. Wenn Er die Nachrichten und Berichte von den Reitern auf den Pferden erhält, bewirkt das bei Ihm Fürbitte. Denn obwohl alles still, in Ruhe und Frieden zu sein scheint, ist es in Wirklichkeit so, dass das Haus und die Stadt Gottes keine Ruhe und keinen Frieden genießen.
Was von nun an im ganzen Buch folgt, kann als Ergebnis der Fürbitte des Herrn Jesus gesehen werden. Eine Erweckung ist oft die Antwort auf das Gebet von treuen Menschen, aber hier ist sie die Antwort auf das Gebet des Herrn Jesus.
„Diese siebzig Jahre“ sind die der Gefangenschaft in Babel (Jer 25,11.12; Dan 9,2). Die Gefangenschaft ist vorbei, aber die Menschen fragen sich, warum Gott immer noch zornig auf sie ist, obwohl die festgesetzte Zeit ihrer Bestrafung zu Ende ist. Die Antwort kommt in den folgenden Versen.
Im Hinblick auf die Gemeinde wirkte Gott im neunzehnten Jahrhundert in einer Reihe von Ländern das Interesse der Gläubigen an der Gemeinde als seinem Haus, in dem der Herr Jesus inmitten der zwei oder drei sein will, die als Gemeinde zu seinem Namen zusammenkommen wollen (Mt 18,20). Dieses Wirken des Geistes Gottes ist eine Antwort auf die Fürbitte des Herrn Jesus. Seine Fürsorge für die Gemeinde ist größer, als unsere jemals sein kann.
13 Gnädige Worte, tröstliche Worte
13 Und der HERR antwortete dem Engel, der mit mir redete, gute Worte, tröstliche Worte.
Die Antwort auf das Gebet wird mit „gnädigen Worten, tröstlichen Worten“ gegeben (vgl. Jes 40,1.2; 57,18; Jos 23,14; Jer 29,10). „Gnädige [wörtlich: gute] Worte“ sind Worte, die ausdrücken, was für jemanden gut ist. „Tröstliche Worte“ sind Worte, die ein Mensch benötigt, weil er sich im Elend befindet.
Das Anbieten einer Perspektive gibt Trost. Jemand, der sich aufrichtig um das Volk Gottes kümmert, bekommt Trost. Er macht das erbetene Mitgefühl sichtbar. Der Trost nimmt Gestalt an in dem, was Gott in Bezug auf seine Wege zu tun gedenkt. Der Trost Gottes wird mit dem Trost eines Kindes durch seine Mutter verglichen (vgl. Jes 66,13). Angst und Unruhe sind weg, es gibt Geborgenheit.
Das gilt auch für uns, persönlich und kollektiv. Leid bewirkt, dass Gott in die Umstände kommt. Er gibt sich uns dann als „der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes“ (2Kor 1,3) zu erkennen. Gott gibt Trost durch die Heilige Schrift und durch die Ermunterung der Schriften haben wir Hoffnung (Röm 15,4). Die Schrift zeugt von dem Herrn Jesus (Joh 5,39), Er ist ihr Inhalt. Gott tröstet auch durch den Heiligen Geist (Apg 9,31). Er ist der Sachwalter oder Tröster. Gottes Geist schöpft in besonderer Weise aus der Heiligen Schrift, um zu trösten.
Gott will uns auch gebrauchen, um andere zu trösten (2Kor 1,4; 7,13). Wahrer Trost ist das Reden zum Herzen (Rt 2,13).
14 Der HERR setzt sich für seine Stadt ein
14 Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Rufe aus und sprich: So spricht der HERR der Heerscharen: Ich habe mit großem Eifer für Jerusalem und für Zion geeifert,
Der Prophet muss verkünden und ausrufen, was der HERR zu ihm gesagt hat. Es ist nicht nur für den Propheten selbst, sondern das ganze Volk soll es hören und dadurch ermutigt werden.
Jerusalem ist der Ort, an dem Gott wohnt und thront, das Zentrum seiner Regierung. Er wird diese Stadt nicht für immer preisgeben. Zion ist der Name Jerusalems im Hinblick auf die Segnungen, die die Stadt im Friedensreich erhalten wird. Zion bedeutet „sonnig“, denn dort wird „die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln“ (Mal 3,20). Zion, das ist der Berg Zion, wird zusammen mit Jerusalem als Standort des Tempels genannt. Damit ist festgelegt und bestätigt, dass nur Jerusalem als Hauptstadt des Reiches des Menschensohnes in Frage kommt.
15 Gottes Zorn über die Völker
15 und mit großem Zorn zürne ich über die sicheren Nationen; denn ich habe ein wenig gezürnt, sie aber haben zum Unglück geholfen.
Gott ist sehr zornig über die Völker, die Er als Zuchtrute für sein Volk benutzt hat. Er hat „großen Zorn“, weil sie sich nicht gemäßigt haben, sondern so vermessen und dreist waren, Israel vernichten zu wollen (Jes 47,6; Jer 50,11–18; 51,24; Hes 25,3.8.12.15; 26,2; Obad 1,10–14). Sie waren sich nicht bewusst, dass sie nur eine Zuchtrute in Gottes Hand waren, sondern wollten die von Gott gegebene Gelegenheit ausnutzen, um sein Volk anzugreifen (Jes 10,5.7). Hier wird auch deutlich, dass trotz eines gewissen Weltfriedens, der trotz mancher Kriege in diesem Moment noch besteht, Gott immer noch zornig auf die Nationen ist und deshalb kann dieser Friede nur ein zeitlich begrenzter Friede sein.
Dass Gott „nur ein wenig zornig war“, bezieht sich auf die Dauer des Zorns (Jes 54,8), Gottes Zorn ist nur für kurze Zeit. In Vers 2 geht es um die Intensität seines Zorns.
16 Der HERR wendet sich Jerusalem wieder zu
16 Darum, so spricht der HERR: Ich habe mich Jerusalem mit Erbarmen wieder zugewandt; mein Haus, spricht der HERR der Heerscharen, soll darin gebaut und die Mess-Schnur über Jerusalem gezogen werden.
Der HERR wendet sich mit Erbarmen seinem Volk wieder zu, von dem Er sich zuerst wegen ihrer Sünden zurückziehen musste (Hos 5,15). Er gedenkt in seinem „Zorn ... des Erbarmens“ (Hab 3,2). So wie Er zuerst mit Gericht nach Jerusalem kam, so kommt Er jetzt mit Erbarmen.
Es gibt keine größere Ermutigung, als sich an einer Arbeit zu beteiligen, die für Gottes von großem Interesse ist und seinem Ziel dient. So wird hier der Wiederaufbau des Tempels dargestellt. Es ist ein Vorrecht, daran mitwirken zu dürfen. Zuerst wird das Haus gebaut, dann Jerusalem. Gottes Wohnstätte kommt zuerst.
Wem „die Mess-Schnur“ gehört, der bestimmt, was gemessen wird (Sach 2,5; Hiob 38,5; Hes 41,3; 45,6). Die Mess-Schnur weist auf Gottes Interesse hin, den richtigen Zustand der Stadt zu beobachten und sie nach seinem eigenen weisen Plan zur richtigen Zeit zu segnen. Die Mess-Schnur ist hier ein Symbol der Wiederherstellung (vgl. Sach 2,5; Jer 31,38–40), während sie früher ein Symbol des Gerichts war (2Kön 21,13; Jes 34,11).
17 Überfließen, Trost und Erwählung
17 Rufe ferner aus und sprich: So spricht der HERR der Heerscharen: Meine Städte sollen noch überfließen von Gutem; und der HERR wird Zion noch trösten und Jerusalem noch erwählen.
Sacharja muss noch mehr predigen auf Befehl „des HERRN der Heerscharen“. Er muss ausrufen, dass nicht nur wieder aufgebaut wird, sondern auch, dass seine Städte noch von Gutem überfließen sollen. Nicht nur Jerusalem, sondern auch die anderen Städte werden wiederhergestellt werden. Gott ist ein Gott der Fülle und er wird die Städte von Gutem überfließen lassen (vgl. Spr 5,16).
Die Erfüllung dieses Verses liegt in einer Zukunft, die auch heute noch auf ihre Erfüllung wartet. Niemals hat das Volk eine Zeit solchen Wohlstandes gekannt. Der Segen, den Gott für sein Volk vorbereitet hat, wird noch kommen.
Das persische Reich wird aus damaliger Sicht noch einige Zeit bestehen bleiben. Dann kommen das griechische und danach das römische Reich. Wie wird sein Volk unter ihnen noch zu leiden haben. Im Jahr 70 n. Chr. wurde Jerusalem von den Nationen verwüstet. Aber wir sehen in unseren Tagen, dass Gott damit beschäftigt ist, seine Worte an Sacharja wahr werden zu lassen. Seit 1948 ist Jerusalem wieder in jüdischer Hand.
Wir selbst, als Glieder der Gemeinde Gottes, haben es mit dem Jerusalem, das „droben ist“ zu tun (Gal 4,26). Gott spricht auch darüber gute und tröstliche Worte. Es ist unsere Aufgabe als Gemeinde, auf der Erde die Wahrheit Gottes über die Gemeinde darzustellen und zu verkünden.