1 - 7 Vom Unmündigen zum Erben
1 Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem Knecht, obwohl er Herr ist von allem; 2 sondern er ist unter Vormündern und Verwaltern bis zu der vom Vater festgesetzten Frist. 3 So auch wir: Als wir Unmündige waren, waren wir geknechtet unter die Elemente der Welt; 4 als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz, 5 damit er die, die unter Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Sohnschaft empfingen. 6 Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater! 7 Also bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn; wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott.
V1–2. Kapitel 4 schließt unmittelbar an das vorhergehende an, und in den ersten Versen geht Paulus näher auf den Erben von Kapitel 3 ein. Er beschreibt den Kontrast zwischen denen, die Erben unter dem Gesetz sind, und denen, die Erben durch den Glauben an Christus sind. Der Vergleich zwischen einem Kind und einem Knecht macht deutlich, dass es – solange ein Kind noch unter der Autorität seiner Erzieher steht – keinen Unterschied zwischen ihnen gibt. Ein Kind kann zwar reiche Eltern haben, doch von all dem Reichtum hat es nichts, solange es nicht selbstständig über den Reichtum verfügen kann. Bis zu dieser Zeit stand das Kind in früheren Zeiten unter der Autorität von Vormündern (die vor allem auf die Person des Kindes Acht gaben) und von Verwaltern (die vor allem über den Besitz des Kindes wachten). Das geschah bis zu der Zeit, wo sein Vater es als erwachsen genug erachtete, dass es selbstständige Entscheidungen treffen konnte.
V3. Die Zeit, in der das Kind noch nicht selbstständig auftreten kann, ist mit der Zeit zu vergleichen, in der der Gläubige vor dem Kommen Christi lebte. Da regelte das Gesetz sein ganzes Verhältnis zu Gott. Eine Beziehung zu Gott als Vater war nicht möglich und daher auch kein Teilhaben an den Gedanken des Vaters über die Erbschaft. Die Zeit der Unmündigkeit wurde von einer gewissen Form der Knechtschaft unter dem Gesetz gekennzeichnet. Wer unter dem „Gesetz“ ist, was das auch immer bedeutet, ist nicht frei. Unter Gesetz zu sein, bedeutet per Definition Knechtschaft, das Tragen eines Joches, wie Petrus das Gesetz in Apostelgeschichte 15 nennt (Apg 15,10).
Paulus verwendet hier für das Gesetz den Ausdruck „Elemente der Welt“. Das Gesetz gehört zur Welt. Ja, das Gesetz war einem Volk im Fleisch gegeben, einem natürlichen Volk, ohne dass nach dem geistlichen Zustand des Volkes gefragt wurde. Das Gesetz war niemals dazu bestimmt, einen Menschen in eine Beziehung zu Gott zu bringen, wodurch er Ihn als Vater kennen lernen konnte. Das Gesetz ist dazu bestimmt, dass der Mensch sich selbst kennen lernt.
V4. Durch das Kreuz hat sich auf die deutlichste Weise gezeigt, dass das Gesetz den Menschen nicht dazu gebracht hat, Gott als Vater kennen zu lernen und dadurch in den Besitz des Erbes zu kommen. Das Volk, dem das Gesetz gegeben worden war, brachte den Gesetzgeber ans Kreuz. Da war die „Fülle der Zeit“ angebrochen. Das Gesetz hatte ausgedient, was die Möglichkeit betraf, dass das Volk alle Verheißungen Gottes empfangen konnte. Der Mensch hat sich bis in die Tiefe seines Wesens als Sünder erwiesen und hat jedes Recht auf die Erfüllung der Verheißungen verspielt. Doch als der Mensch sich in seiner ganzen Verdorbenheit offenbart hatte, brach der Augenblick an, wo Gott begann, völlig zu offenbaren, wer Er ist.
Gott hatte das Gesetz durch Engel gegeben, doch der Sohn gab sich selbst, ohne irgendwelche Vermittlung. Christus wurde von einer Frau geboren, weil die Sünde ebenfalls durch eine Frau in die Welt gekommen ist. Er wurde von einer Frau geboren, aber durch den Heiligen Geist gezeugt, so dass Er keine sündige Natur hatte. Er war immer in Gestalt Gottes (Phil 2,6), nahm jedoch einen Leib an, einen Leib, den Gott Ihm bereitet hatte (Heb 10,5). Dass Er „von einer Frau“ geboren wurde, beweist seine wahrhaftige Menschheit. Es beweist auch seine wahrhaftige vorherige Existenz als Gott. Was wäre sonst Besonderes an der Tatsache gewesen, dass Er von einer Frau geboren wurde?
V5. Es war auch nötig, dass Er unter Gesetz geboren wurde. Nur so konnte Er die, die unter Gesetz waren, loskaufen. Durch sein Leben verherrlichte Er das Gesetz, denn Er erfüllte es völlig; in seinem Tod trug Er dessen Fluch. Aber durch seine treue Gesetzeserfüllung hätte Er niemals einen Menschen erlösen können. Vielmehr wäre sein Halten des Gesetzes eine Anklage gegen jeden Menschen gewesen, der das Gesetz übertrat. Er ist nicht durch sein gehorsames Leben ein Stellvertreter des Sünders geworden, sondern dadurch, dass Er am Kreuz in den drei Stunden der Finsternis die Sünden jedes Einzelnen trug, der an Ihn glaubt. Und das wunderbare Ergebnis seines Werkes am Kreuz ist, dass wir den Platz von Söhnen vor Gott einnehmen konnten.
Es ist gut, kurz auf den Unterschied zwischen einem Kind Gottes und einem Sohn Gottes hinzuweisen. Ein Kind Gottes zu sein bedeutet vor allem, dass du Leben aus Gott besitzt, dass du an seiner Natur teilhast (2Pet 1,4). Die Natur Gottes ist Licht und Liebe. Das ist es, was ein Kind Gottes in seinem Leben zeigt, es wandelt im Licht und in der Liebe. Sohnschaft hat es vor allem mit einer Stellung zu tun, mit dem Wert, den du für Gott hast. Er will Gemeinschaft mit Söhnen. Söhne sind für Ihn (Eph 1,5). Ein Gläubiger ist sowohl Kind als auch Sohn. Das hat nichts mit einem Wachstumsprozess zu tun, in dessen Verlauf du dem Kindesstadium entwachsen und zum Sohn werden würdest.
V6. Im Folgenden verbindet Paulus mit der Sohnschaft, dass Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt hat. Zuerst sandte Gott seinen Sohn, danach sandte Gott den Geist seines Sohnes. Hier siehst du, wie in diesem Heilsplan Gottes die drei Personen der Gottheit den Segen der Sohnschaft zustande gebracht haben. Gott sandte seinen Sohn, um uns die Sohnschaft zu geben; Er sandte den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, um uns das entsprechende Bewusstsein und die Freude daran zu geben. Der Heilige Geist wird hier der „Geist seines Sohnes“ genannt. Dadurch liegt der Nachdruck darauf, dass Söhne Gottes denselben Geist wie der Sohn Gottes besitzen. Was der Geist des Sohnes in den Söhnen bewirkt, ist dasselbe wie das, was der Geist in dem Sohn bewirkt: die bewusste Beziehung zu Gott als Vater. „Abba“ ist das vertrauliche Wort, womit ein Kind seinen Vater anspricht, so wie wir „Papa“ zu unserm Vater sagen. Der Vater freut sich darüber, wenn wir so zu Ihm kommen.
V7. Wer im Bewusstsein als Sohn „Abba, Vater“ sagt, kann kein Knecht mehr sein. So jemand darf wissen, dass der Vater alles, was Er besitzt, mit seinen Söhnen teilt. Sie sind zusammen mit dem Sohn Miterben (Eph 3,6). Das, und nichts anderes, ist der Platz, den Gott für die bestimmt hat, die seine Söhne sind.
Lies noch einmal Galater 4,1–7.
Frage oder Aufgabe: Nennst du Gott bereits „Abba, Vater“? Was meinst du, was das für Gott bedeutet? Preise Ihn, dass du als Sohn ein Erbe bist!
8 - 15 Die Gefahr, zurückzufallen
8 Aber damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind; 9 jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr aber von Gott erkannt worden seid, wie wendet ihr euch wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt? 10 Ihr beachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre. 11 Ich fürchte um euch, dass ich etwa vergeblich an euch gearbeitet habe. 12 Seid wie ich, denn auch ich bin wie ihr, Brüder, ich bitte euch; ihr habt mir nichts zuleide getan. 13 Ihr wisst aber, dass ich euch einst in Schwachheit des Fleisches das Evangelium verkündigt habe; 14 und die Versuchung für euch, die in meinem Fleisch war, habt ihr nicht verachtet noch verabscheut, sondern wie einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, wie Christus Jesus. 15 Wo ist nun eure Glückseligkeit? Denn ich gebe euch Zeugnis, dass ihr, wenn möglich, eure Augen ausgerissen und mir gegeben hättet.
V8. Paulus hat im Abschnitt von Kapitel 3,1 bis Kapitel 4,7 deutlich gemacht, dass nicht das Gesetz, sondern nur Glaube an den Herrn Jesus der Weg zur Rettung und zu allem Segen ist. Damit verbindet er jetzt die sehr ernste Warnung davor, dass du dich wieder unter das Gesetz stellst oder stellen lässt. Er erinnert die Galater an die Zeit vor ihrer Bekehrung. Damals kannten sie den wahren Gott nicht und waren Gefangene der Götzen, denen sie als Sklaven dienten.
In 1. Korinther 12 blickt er auch so auf die Vergangenheit zurück (1Kor 12,2). Es ist manchmal ganz gut, kurz zurück zu blicken und zu sehen, woher du gekommen bist. Nicht, um dich wieder in die Vergangenheit zu stürzen; davor warnt Paulus in Epheser 4 (Eph 4,17–19). Doch wenn du in deinem Glaubensleben abzuweichen drohst, ist es gut, an das einfache Evangelium zurückzudenken, das dir verkündigt worden ist und das du auch angenommen hast.
V9. Weil die Galater Gefahr liefen, wieder in den Götzendienst zurückzufallen, schaut Paulus einerseits auf das „Damals“ zurück und andererseits auf das Heute, auf „jetzt“. Die, die von Natur keine Götter sind – denn es gibt nur einen Gott und einen Herrn (1Kor 8,4–6) –, hatten ihnen keinen Nutzen gebracht. Jetzt kannten sie den wahren Gott, sie waren mit Ihm in Verbindung gebracht, waren seine Söhne geworden und durften Ihn „Abba, Vater“ nennen. Das ist schon sehr viel. Doch es ist noch größer, von Gott erkannt worden zu sein. Das zeigt, dass alles von Ihm ausgegangen ist. Er hat sie angenommen; Er hat sie auserwählt, noch bevor sie geboren waren; Er hat sie berufen, als sie unter der Knechtschaft der Sünde und des Götzendienstes waren. Wenn du dir dessen bewusst bist, wie ist es dann möglich, dass du dich von Ihm abwendest und zu Dingen zurückkehrst, die an früher erinnern?
Nun wirst du dich fragen, wie das Gesetz, das einst von Gott gegeben worden war, mit einer Rückkehr zum Götzendienst verglichen werden kann. Bedenke dann einmal Folgendes: Das Gesetz wurde früher dem Volk tatsächlich von Gott gegeben. Indem das Volk Gottes allen Vorschriften und Satzungen nachkam, sollten sie den Gesetzgeber ehren. Das Volk Gottes hat jedoch hoffnungslos versagt. Doch wenn sie wirklich allen Vorschriften und Satzungen nachgekommen wären, sogar dann wäre ihre Beziehung zu Gott lediglich die eines Knechtes gegenüber seinem Meister gewesen. Dann kam der Herr Jesus. Er hat alles, was im Gesetz steht, erfüllt. Er tritt sozusagen an die Stelle des Gesetzes als die einzige Möglichkeit, zu Gott zu kommen, wobei Er als Mittler zwischen Gott und Menschen (1Tim 2,5) unendlich viel mehr ist als das Gesetz. Dadurch ist das Gesetz als Mittel, mit Gott in Verbindung zu kommen, beiseite gesetzt. Jetzt kann jemand nur durch Ihn zum Vater kommen (Joh 14,6). Wer in seinem Verhältnis zum Vater dem Gesetz wieder einen Platz geben will, greift auf ein Mittel zurück, das ihn wieder in Knechtschaft bringt. Das Gesetz kann nicht an die Stelle Christi gestellt werden, es kann aber auch keinen Platz neben Christus einnehmen.
Das Gesetz bestand aus allerlei Satzungen und Zeremonien. Wer sich diesen wieder unterwirft, ehrt greifbare Dinge, äußere Satzungen, die der Welt angehören. Solange diese Dinge von Gott im Dienst für Ihn geheiligt waren, war es gut, daran festzuhalten. Da aber nun in Christus die Wirklichkeit gekommen ist und Gott das Existenzrecht des Gesetzes als Erzieher aufgehoben hat, kommt es einer Rückkehr zur Welt gleich, wenn diese äußeren Dinge wieder einen Platz im Dienst für Gott bekommen. Außerdem sind es „schwache und armselige Elemente“. Schwach, weil das Gesetz mit seinen Zeremonien keinerlei Kraft besitzt, einen Menschen von seinen Sünden zu befreien; armselig, weil das Gesetz keinerlei Möglichkeit hat, reich zu machen. Das Evangelium besitzt sowohl die Kraft als auch den Reichtum für jeden, der sich ihm im Glauben übergibt.
V10. Paulus nennt einige Dinge, die die Galater einhielten; dadurch zeigten sie, wie sehr sie schon in den Judaismus verschlagen worden waren. Das Halten einer Reihe spezieller Tage und Feste passt nicht zum Christen. Alle christlichen Feiertage und Heiligentage sind ursprünglich heidnische Feste, die verchristlicht wurden. Der einzige besondere Tag, den der Christ kennt, ist der Sonntag, der erste Tag der Woche, der Tag des Herrn. Dieser Tag spricht vom vollbrachten und von Gott angenommenen Werk Christi. An diesem Tag darf die Gemeinde zusammenkommen, um an alle großen Heilstaten zu denken, vor allem aber an Ihn, der das große Werk am Kreuz vollbracht hat.
V11. Paulus spricht die Sorge aus, dass er wohl vergeblich an den Galatern gearbeitet habe, und diese Sorge hat sich in der Christenheit leider bewahrheitet. Gerade am Halten gewisser Tage ist zu sehen, wie sehr das Böse, das Paulus hier andeutet, in die Christenheit eingedrungen ist.
V12. Nach dieser eindringlichen Warnung, nicht unter den Schattendienst des Gesetzes zurückzukehren, appelliert Paulus jetzt fast noch eindringlicher und auch emotional an ihre Liebe zu ihm. Er fleht sie an, so zu werden wie er, nämlich frei vom Gesetz. Gleichzeitig hütet er sich davor, den Eindruck zu erwecken, als fühle er sich persönlich beleidigt oder gekränkt, als hätten sie ihm persönlich Unrecht getan. Dass sie sich von dem wahren Evangelium abwandten, war sicherlich schmerzlich für ihn, aber er redet ihnen zu mit einem Herzen voller Liebe und Sorge, das über den Weg beunruhigt ist, den sie zu ihrem eigenen Schaden gingen.
V13–14. Er ruft ihnen seinen ersten Besuch ins Gedächtnis. Damals hatten sie ihn und die Botschaft des Evangeliums angenommen, trotz seines körperlich schwachen Äußeren. Wer ihn sah, wäre eher schnell weggelaufen, so unansehnlich sah er aus, als auf die Botschaft zu hören, die er predigte. Trotzdem hatten die Galater zugehört und waren nicht der Versuchung erlegen, vor ihm wegzulaufen. Die herrliche Botschaft des Evangeliums, die dieser Mann brachte, ließ sie sein Äußeres vergessen. Sie nahmen ihn als einen Botschafter aus einer anderen Welt auf und gaben ihm einen Empfang, als empfingen sie den Herrn Jesus selbst (vgl. Mt 10,40).
V15. Wie hatten sie sich selbst glücklich gepriesen! Doch was war davon übrig? Wie hatten sie ihm doch ihre Liebe und Dankbarkeit bewiesen, indem sie ihm ihren kostbarsten Besitz zur Verfügung stellten. Doch ihre Haltung hatte sich geändert. Das war das Resultat davon, dass sie auf die falschen Lehrer hörten.
Lies noch einmal Galater 4,8–15.
Frage oder Aufgabe: Was bedeutet es für dich zu wissen, dass Gott dich kennt?
16 - 23 Abermals Geburtswehen
16 Bin ich also euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage? 17 Sie eifern um euch nicht gut, sondern sie wollen euch ausschließen, damit ihr um sie eifert. 18 Es ist aber gut, allezeit im Guten zu eifern und nicht nur, wenn ich bei euch zugegen bin. 19 Meine Kinder, um die ich abermals Geburtswehen habe, bis Christus in euch Gestalt gewinnt; 20 ich wünschte aber, jetzt bei euch zugegen zu sein und meine Stimme umzuwandeln, denn ich bin euretwegen in Verlegenheit. 21 Sagt mir, die ihr unter Gesetz sein wollt, hört ihr das Gesetz nicht? 22 Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien; 23 aber der von der Magd war nach dem Fleisch geboren, der aber von der Freien durch Verheißung,
V16. Paulus ist dabei, mit einem emotionalen Plädoyer den Galatern klarzumachen, auf was für einem falschen Weg sie sich befanden. Er hatte ihnen die Wahrheit des Evangeliums gebracht, nicht, um sie an sich zu binden, sondern an den Herrn Jesus. Sie hatten sich zum Evangelium bekannt, hatten es in ihr Herz aufgenommen. Wie dankbar sind sie ihm damals gewesen! Doch nun waren andere gekommen. Die hatten ihnen erzählt, dass Paulus sie mit seinem Evangelium hinters Licht geführt hätte. Die anderen wussten bestens über das Gesetz und die Gebote Gottes im Alten Testament Bescheid. Sie sagten, dass Paulus ihnen das verschwiegen hätte. Paulus hätte nicht ihr Bestes im Auge gehabt. Er wäre nicht ihr Freund, sondern ihr Feind. Ja, ja, sagt Paulus, ich sage euch die Wahrheit, durch die ihr errettet worden seid, und dann soll ich euer Feind sein? Was Paulus hier begegnet, wird jeder erfahren, der mit der Wahrheit dienen will. Solange du die Belehrungen des Paulus bringst und damit an die Not anknüpfst, worin jemand sich befindet, wird diese Lehre dankbar als ein Gebot Gottes angenommen werden. Doch wenn jemand diese Lehre unglaubhaft vorkommt, wie z. B. das, was Paulus über das Schweigen der Frau in der Gemeinde lehrt, dann kann er ohne weiteres ein Frauenhasser genannt werden, obwohl es auch dabei um ein Gebot des Herrn geht (1Kor 14,34.37).
V17. Dann weist Paulus die Galater auf die falschen Lehrer hin und auf die Weise, wie sie sich betragen. Sie kommen und bringen ein anderes Evangelium, das Paulus und die Seinen nicht verkündigt haben (Gal 1,8.9; vgl. 2Kor 11,4). Und darauf hören sie gern. Man lässt sie gewähren, ihre Ansichten von sich zu geben. Und wie eifrig die Leute waren! Doch beachtet gut, sagt Paulus, dass sie eine Trennung zwischen uns bringen. Sie beabsichtigen nur, dass ihr euch für sie einsetzt. Paulus versucht den Galatern zu zeigen, dass dort, wo er ihr geistliches Wohl gesucht hatte, die falschen Lehrer darauf aus waren, sie als Nachfolger für sich selbst zu vereinnahmen. Sie waren wie die Pharisäer, die Stadt und Land bereisten, um Menschen für ihre Überzeugung zu gewinnen. Dann konnten sie sich vieler Nachfolger rühmen. Der Herr Jesus spricht über sie das „Wehe“ aus (Mt 23,15).
V18. Nun gibt es sicherlich auch eine gute Art von Eifer. Den hat beispielsweise der Herr Jesus gezeigt. Er eiferte für die Ehre des Hauses Gottes (Joh 2,17). Es scheint so, dass die Galater diesen guten Eifer an den Tag gelegt hatten, als Paulus bei ihnen war. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie auch während seiner Abwesenheit damit fortgefahren wären.
V19. Aber nein, Paulus fühlte, wie die Galater von der Einfalt gegenüber dem Christus abgewichen waren (2Kor 11,3). Das bereitete ihm erneut den Schmerz und die Mühe, die er erfahren hatte, als er ihnen das Evangelium verkündigt hatte. Im Geist erlebte er noch einmal die Schmerzen, die er durchmachte, als er darum rang, die Seelen der Galater zu gewinnen. Damals ging es darum, sie von der Knechtschaft der Götzen zu befreien, nun, sie vom gesetzlichen und äußeren Gottesdienst der Juden zu befreien. Paulus vergleicht sich hier mit einer Mutter. Wie wichtig sind mütterliche Gefühle, wenn du siehst, dass ein Gläubiger abzuweichen droht. Nur mit solchen Gefühlen ist es möglich, den anderen zu gewinnen. Was für ein zu Herzen gehender Beweis seiner Liebe zu ihnen ist das: Er war noch einmal bereit, die Schmerzen „der Geburt“ zu ertragen. Er will alles tun, um sie zurückzugewinnen und sie zum unvermengten Evangelium zurückzubringen. Er spricht sie an als „meine Kinder“. Wie muss das ihre Herzen berührt haben.
Sein einziges Ziel war, dass Christus in ihnen Gestalt bekam. Durch den Einfluss, den die Gesetzlichkeit bekommen hatte, verschwand das Bild Christi immer mehr bei den Galatern. Alles, was der Mensch aus eigener Kraft tun will, um Gott zu dienen, geht auf Kosten des Bildes Christi in seinem Leben.
V20. Ihr Abweichen von der Wahrheit hatte ihm ein Gefühl der Ratlosigkeit gegeben. Wie gern wäre er doch bei ihnen! Wie gern wollte er in einem liebevolleren Ton mit ihnen sprechen (obwohl er seinen Brief gerade deshalb schreibt, weil sein Herz bis zum Rand mit Liebe zu ihnen voll war).
V21. Nach diesem emotionalen Plädoyer, mit dem er ihre Herzen zu gewinnen suchte, beginnt er in Vers 21 einen erneuten Versuch, sie zur Einsicht zu bringen, dass sie sich mit dem Verkehrten beschäftigten. Nun spricht er ihren Verstand oder ihre Einsicht an. In Vers 21 wird zweimal das Wort „Gesetz“ gebraucht. Das erste Mal bedeutet das Wort einen gesetzlichen Grundsatz, etwas, was du dir selbst als Gesetz auferlegst. Du kannst es dir selbst auferlegen, dich an das Gesetz der zehn Gebote zu halten. Das zweite Mal, beim Hören auf das Gesetz, hat „das Gesetz“ eine umfassendere Bedeutung. Hier bezeichnet das Wort die fünf Bücher Mose. Du siehst das an dem Beispiel, das Paulus aus dem Gesetz anführt.
V22. Er stellt Abraham vor, dessen Geschichte im ersten Buch Mose geschrieben steht. Paulus erwähnt Abraham, weil die Irrlehrer ihn auch erwähnten, um ihre Forderung, dass die Galater sich beschneiden lassen sollten, zu unterstreichen.
Paulus leitet sein Beispiel mit den Worten ein: „Es steht geschrieben.“ Damit richtet er die Aufmerksamkeit auf die Autorität der Schrift (siehe auch Mt 4,4.7.10). Er weist auf Isaak und Ismael und deren Mütter hin, deren Namen er nicht nennt. Es geht nämlich nicht um ihre Namen, sondern um ihre Stellungen, denn diese übertragen die Mütter auf ihre Kinder.
V23. Nachdem er die Stellung erläutert hat, weist er auf den Ursprung der beiden Söhne hin. Ismael wurde durch das eigenwillige Handeln Abrahams geboren, doch Isaak empfing er durch eine Verheißung Gottes. Welche geistlichen Belehrungen daraus von den Galatern und auch von uns gezogen werden müssen, kommt in den nächsten Versen zur Sprache.
Lies noch einmal Galater 4,16–23.
Frage oder Aufgabe: Bist du schon einmal um die Entwicklung des Glaubens bei jemand anders besorgt? Wie kannst du dann helfen?
24 - 31 Hinaus mit den falschen Lehrern
24 was einen bildlichen Sinn hat; denn diese sind zwei Bündnisse: eins vom Berg Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches Hagar ist. 25 Denn Hagar ist der Berg Sinai in Arabien, entspricht aber dem jetzigen Jerusalem, denn sie ist mit ihren Kindern in Knechtschaft; 26 das Jerusalem droben aber ist frei, welches unsere Mutter ist. 27 Denn es steht geschrieben: „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und rufe laut, die du keine Geburtswehen hast! Denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als die Kinder derjenigen, die den Mann hat.“ 28 Ihr aber, Brüder, seid wie Isaak Kinder der Verheißung. 29 Aber so wie damals der nach dem Fleisch Geborene den nach dem Geist Geborenen verfolgte, so auch jetzt. 30 Aber was sagt die Schrift? „Stoße die Magd und ihren Sohn hinaus, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“ 31 Deshalb, Brüder, sind wir nicht Kinder der Magd, sondern der Freien.
V24. Was Paulus in den Versen 21 und 22 gesagt hat, hat eine sinnbildliche Bedeutung; das heißt, dass diese Geschichte eine tiefere Bedeutung hat, als du so auf den ersten Blick denkst. Der Heilige Geist hat, als Er Mose inspirierte, diese Geschichte aufzuschreiben, das eben deswegen getan, weil sie diese tiefe Bedeutung hat (1Kor 10,6.11; Röm 15,4). Übrigens nimmt die Tatsache, dass in den alttestamentlichen Begebenheiten oft ein tieferer Sinn steckt, nichts von der historischen Richtigkeit der Geschichte selbst weg. Was ist nun die tiefere Bedeutung dessen, was Paulus hier anführt? Die beiden Söhne Abrahams „sind zwei Bündnisse“, d. h. sie stellen zwei Bündnisse dar. Dasselbe siehst du, als der Herr Jesus das Abendmahl einsetzte und von dem Brot sagte: Dies ist mein Leib (Mt 26,26). Das bedeutet dort auch: „Dies stellt meinen Leib dar“.
V25. Der eine Bund, der erste, ist der Bund, der am Sinai geschlossen wurde. Daran erinnert Hagar. Hagar war die Sklavin Abrahams. Von ihr wurde Ismael geboren. Weil sie eine Sklavin war, war Ismael automatisch auch ein Sklave. Kinder bekommen die Stellung der Mutter. Am Sinai wurde das Gesetz gegeben. Da-durch ist das Volk Israel in Knechtschaft gekommen. Wer sich unter das Gesetz stellt, begibt sich in die Stellung eines Knechtes. Das „jetzige [oder irdische] Jerusalem“ ist das Zentrum des Gesetzes und dadurch „mit ihren Kindern“ – das sind die, die sich unter das Gesetz stellen – „in Knechtschaft“. Wenn sich die Galater daher – oder so viele Christen heute – mit dem Gesetz einlassen, bedeutet das, dass sie Hagar als Mutter akzeptieren und sich an den Bund vom Sinai halten wollen und sich zu Einwohnern des irdischen Jerusalem erklären. Vom Berg Sinai heißt es kennzeichnenderweise noch, dass er in Arabien liegt. Das stellt noch einmal ausdrücklich fest, dass der, der sich damit verbindet, sich mit einem Platz verbindet, der außerhalb des Landes des Segens liegt, also außerhalb Kanaans. Wer sich mit dem Gesetz verbindet, ist aller Segnungen in Christus beraubt (Gal 5,4).
V26. Nach dieser Positionsbestimmung für jeden, der dem Gesetz wieder einen Platz im Leben des Christen geben will, geht Paulus über zur echten „Mutter“ der Christen, dem freien, himmlischen Jerusalem. Das ist der Ort, von wo aus Gott seine Verheißungen in Gnade gegeben hat und wo der Christ sich zu Hause weiß. Das ist seine „Mutterstadt“. Da bekommt er seine Erziehung, und dort wird sein christlicher Charakter gebildet. Es schließt an das an, was im Brief an die Philipper steht: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln“ (Phil 3,20). Die große Frage – auch in der Christenheit heutzutage – ist: Von welcher Mutter wirst du auferzogen, was ist deine Mutterstadt?
V27. Paulus führt den ersten Vers aus Jesaja 54 an, um zu zeigen, was es bedeutet, dem „Jerusalem droben“ anzugehören (Jes 54,1). Dieser Vers ist ursprünglich als Trost für Israel nach einer Zeit unter fremder Herrschaft gedacht. Er besingt die Freude zu Beginn des Friedensreiches, wenn Gott sein Volk, d. h. den Überrest, der sich in Reue über seine Sünden zu Gott bekehrt hat, in seiner Gunst wieder angenommen hat. Dann sind sie frei, alles zu genießen, was Gott ihnen zugedacht hat. Die Bedeutung dieses Ereignisses und die Zeit, in der es stattfinden wird, wendet Paulus auf diese Zeit an und auf das, was jetzt mit den Christen geschehen ist. Wo überhaupt kein Heil durch eigene Anstrengung zu erwarten war und nur Unfruchtbarkeit gefunden wurde, dort hat Gott in Gnaden ein Wunder vollbracht und Menschen zur Bekehrung geführt. Ebenso wie Isaak waren die Galater – und sind alle Christen – auf übernatürliche Weise geboren. Für den Christen gilt, dass er „nicht ... aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren“ ist (Joh 1,13).
Das Wunderbare an diesem aus Jesaja zitierten Vers ist auch noch, dass alle Christen dem Jerusalem zugerechnet werden, das bald das Zentrum des Friedensreiches sein wird. Jerusalem ist jetzt nicht mit Gott in Verbindung. Es ist eine wegen ihrer Untreue verstoßene Frau (Jes 54,6; vgl. Hos 1,2–9). Wie bereits gesagt, wird diese Situation ein Ende haben. Jerusalem wird dann auf eine Zeit zurückblicken, wo sie keine Frucht für Gott brachte. Doch dann wird sie sehen, dass in dieser fruchtlosen Zeit Gott selbst eine zahlreiche Nachkommenschaft erweckt hat, die Er ihr zurechnet. Die Gnade hat in dieser Zeit aus Jerusalem das gemacht, was Gott immer vor Augen hatte: eine Stadt, durch die Er in Freiheit allen Menschen Segen zukommen lassen kann. Es ist dieselbe Gnade, durch die Er in dieser Zeit so viele vom Joch der Sünde erlöst und in die Freiheit gestellt hat.
V28. In diesem Vers geht Paulus davon aus, dass die Galater nur äußerlich zur falschen Seite übergegangen waren und die falschen Lehren innerlich noch nicht angenommen hatten. Er spricht sie in der Überzeugung an, dass sie in ihrem Herzen echte Kinder Gottes waren.
V29. Dazu gehört ein Leben allein aus der Gnade. Danach auch konsequent zu leben, bedeutet Verfolgung seitens der Menschen, die Gott in eigener Kraft dienen wollen. Verfolgung ist unvermeidlich, weil ein Leben aus Glauben eine einzige große Anklage für jede Form der Religion ist, die die eigene Leistung in den Vordergrund stellt.
V30. Doch den Segen Gottes erlangt man nicht durch ein Art Zusammenwirken von Gesetz und Gnade. Alles, was mit dem Gesetz zu tun hat, muss aus dem Leben und Denken eines Christen verschwinden. Diesem Aufruf hat ein großer Teil der Christenheit kein Gehör geschenkt. Viele sind in den Händen der „falschen Mutter“, wodurch sie ständig im Zweifel über ihr Verhältnis zu Gott sind. Und wie sichtbar ist der Einfluss des Judaismus in der Christenheit: Überall siehst du geweihte Gebäude, und es wird auch ein geistlicher Stand aufrechterhalten.
V31. Das passt durchaus zu „Kindern einer Sklavin“, aber nicht zu Kindern „der Freien“. Und das sind wir!
Lies noch einmal Galater 4,24–31.
Frage oder Aufgabe: Von welcher „Mutter“ wirst du auferzogen?