1 - 7 O unverständige Galater
1 O unverständige Galater! Wer hat euch bezaubert, denen Jesus Christus als gekreuzigt vor Augen gemalt wurde? 2 Dies allein will ich von euch lernen: Habt ihr den Geist aus Gesetzeswerken empfangen oder aus der Kunde des Glaubens? 3 Seid ihr so unverständig? Nachdem ihr im Geist angefangen habt, wollt ihr jetzt im Fleisch vollenden? 4 Habt ihr so vieles vergeblich erlitten – wenn wirklich auch vergeblich? 5 Der euch nun den Geist darreicht und Wunderwerke unter euch wirkt, ist es aus Gesetzeswerken oder aus der Kunde des Glaubens? 6 Wie Abraham Gott glaubte und es ihm zur Gerechtigkeit gerechnet wurde. 7 Erkennt also: Die aus Glauben sind, diese sind Abrahams Söhne.
Paulus beginnt nun mit dem lehrmäßigen Teil des Briefes. Manche Christen denken, wenn sie das Wort „lehrmäßig“ hören, schnell an zähe, trockene Ausführungen, die einem für die Praxis nichts bringen. Lass mich dir dann sagen, dass von einer guten Praxis niemals die Rede sein kann ohne gesunde „lehrmäßige“ Kenntnis oder Bildung. Geht es im gesellschaftlichen Leben nicht auch so? Zuerst lernt man in der Schule, danach wird das Gelernte in der Praxis angewandt. Darum ist dieser Teil des Briefes von großer Bedeutung. Und sogar dieser lehrmäßige Teil beginnt ganz praktisch.
V1. Paulus stellt einige Fragen, um die Galater zum Nachdenken zu bringen. Ist das Praxis oder nicht? Er ist ihretwegen entrüstet, weil sie so unverständig geworden waren. In seiner Stimme klingt keine Verachtung durch, sondern Entrüstung. Wie war es möglich, dass sie in den Bann von Irrlehrern geraten waren? Wenn sie vor Augen behalten hätten, was Paulus ihnen gezeigt hatte, als er ihnen das Evangelium verkündigte, wäre das nicht geschehen. Du siehst, dass es von großer praktischer Bedeutung ist, beim klaren, reinen Evangelium zu bleiben.
Wenn du an die gegenwärtige Situation in der Christenheit denkst, würde Paulus – denke ich – heutzutage zu vielen Christen sagen müssen: „O unverständige Christen“. Auch für uns ist es nötig, dass wir immer wieder neu an den Herrn Jesus als den Gekreuzigten erinnert werden. Siebenmal wird in diesem Brief über das Kreuz gesprochen. Es nimmt einen zentralen Platz ein, um den Irrtum, der bei den Galatern Eingang gefunden hatte, zu bekämpfen. Wer seine Zuflucht zum Kreuz genommen hat, hat bewusst den Platz der Schmach und Verwerfung eingenommen; so jemand hat gesagt, dass von ihm selbst keinerlei Heil zu erwarten war.
V2. In der zweiten Frage kann man eine gewisse Ironie bemerken, weil die Beantwortung der Frage so selbstverständlich ist. Natürlich war der Heilige Geist in ihr Leben gekommen, ausschließlich aufgrund des Glaubens, der ihnen gepredigt worden war und den sie angenommen hatten. Paulus zweifelt nicht daran, dass sie den Geist empfangen hatten. Das stand für ihn fest. Er will nur zeigen, dass der Geist und der Glaube zusammen gehören und nicht der Geist und das Gesetz. Sie hatten den Geist nicht durch eigene Anstrengung empfangen. Man empfängt den Heiligen Geist, wenn man dem Evangelium seiner Errettung glaubt und darin ruht (Eph 1,13). So jemand weiß, wer Gott ist, wer der Herr Jesus ist, wer er selbst ist und was das Gesetz ist.
Hier ist zum ersten Mal in diesem Brief vom Heiligen Geist die Rede. Er wohnt in den Gläubigen auf der Erde. In Kapitel 2 geht es um jemand, der im Himmel ist (Gal 2,20). Der Herr Jesus als Mensch im Himmel und Gott der Heilige Geist auf der Erde bilden den Kern des Christentums. Daran erkennst du, wie fundamental die Darlegung des Apostels ist.
V3. Für die Beantwortung seiner dritten Frage war auch nicht viel Bedenkzeit nötig. Auch diese Frage beginnt er mit einem entrüsteten „Seid ihr so unverständig?“ Sie hatten den Heiligen Geist empfangen und hatten in seiner Kraft und unter seiner Leitung ihren Glaubensweg begonnen. Wie konnten sie dem Gedanken Raum geben, dass das Fleisch das Werk des Heiligen Geistes vollenden könne?
V4. Weiter sollten sie, so sagt er es in seiner vierten Frage, noch einmal daran zurückdenken, was sie erlitten hatten, nachdem sie das Evangelium angenommen hatten. Es hatte sie sehr viel gekostet. War das nun umsonst gewesen? Verfolgung durch die Judaisten (Apg 14,1–5) hatte ihren Glauben nicht zum Wanken gebracht. Sollte das nun doch durch die Verführung dieser Menschen geschehen?
V5. Doch er hält weiterhin an der Echtheit ihres Glaubens fest. Deshalb seine fünfte Frage in Vers 5, die an seine Frage in Vers 2 anschließt. Dort sprach er über den einmaligen Empfang des Heiligen Geistes; hier spricht er über das fortwährende Wirken des Geistes. Er weist hin auf die nicht zu leugnenden Beweise des Wirkens des Geistes. Die Frage, die er damit verbindet, ist: Tut Gott das als Antwort auf das Befolgen der Gebote oder als Folge der gläubigen Annahme des Evangeliums?
V6. Nach der – wie du sie nennen könntest – subjektiven Erfahrung in den Versen 1–5 geht Paulus in Vers 6 zu den objektiven Beweisen der Schrift über. Die Schrift bleibt der vollkommene Prüfstein, sowohl was die Erfahrungen betrifft, als auch, wenn es um die Lehre geht. Die Gegner behaupteten, dass die Galater sich beschneiden lassen müssten. Sie beriefen sich dabei auf 1. Mose 17 (1Mo 17,9–14). Was den Ursprung der Beschneidung betrifft, würde jeder Jude auf Abraham verweisen.
Die Widerlegung des Paulus ist meisterhaft. Er schlägt die Judaisten mit ihren eigenen Waffen und bricht so ihr gesamtes Lehrgebäude ab. Er verweist nämlich auf denselben Abraham, um zu zeigen, dass Abraham die Gerechtigkeit nicht aufgrund der Beschneidung besaß, sondern aufgrund des Glaubens. Von Natur aus war Abraham ein Sünder wie jeder andere und besaß diese Gerechtigkeit nicht. Dass er jetzt doch Gerechtigkeit besaß, war durch den Glauben, den er bereits besaß, bevor er beschnitten war (Röm 4,9.10). Das hatte nichts mit Werken zu tun. Im Gegenteil, Abraham tat nichts anderes, als das zu glauben, was Gott ihm bezüglich einer zahlreichen Nachkommenschaft gesagt hatte, gerade in dem Augenblick, als von ihm selbst und von Sara nichts mehr zu erwarten war. Sein Glaube ruhte auf dem, was Gott gesagt hatte. Dieser Glaube wurde ihm von Gott „zur Gerechtigkeit gerechnet“. Das heißt: Gott erklärte ihn für gerecht. Dadurch konnte er mit dem gerechten Gott in Verbindung stehen.
V7. Nur die, die solch einen Glauben haben, sind Söhne Abrahams. Sie gleichen ihm und stehen in derselben Stellung vor Gott.
Vielleicht ist es so, dass der Brief an die Galater erst in unserer Zeit seine volle Kraft hat. Bei den Galatern konnte dem Bösen noch gewehrt werden, aber die Christenheit hat sich größtenteils unter das Gesetz gestellt. Wie viele glauben doch, aufgrund äußerer Vorschriften wie der Taufe oder der Zugehörigkeit zur richtigen Kirche vor Gott angenehm zu sein. Vor allem für sie hat dieser Brief eine deutliche Botschaft.
Lies noch einmal Galater 3,1–7.
Frage oder Aufgabe: Welchen Gegensätzen begegnest du in diesen Versen?
8 - 14 Segen oder Fluch
8 Die Schrift aber, voraussehend, dass Gott die Nationen aus Glauben rechtfertigen würde, verkündigte dem Abraham die gute Botschaft zuvor: „In dir werden gesegnet werden alle Nationen.“ 9 Also werden die, die aus Glauben sind, mit dem gläubigen Abraham gesegnet. 10 Denn so viele aus Gesetzeswerken sind, sind unter dem Fluch; denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!“ 11 Dass aber durch Gesetz niemand vor Gott gerechtfertigt wird, ist offenbar, denn „der Gerechte wird aus Glauben leben“. 12 Das Gesetz aber ist nicht aus Glauben, sondern: „Wer diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.“ 13 Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!“), 14 damit der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den Nationen käme, damit wir die Verheißung des Geistes empfingen durch den Glauben.
V8. Die falschen Lehrer wiesen als Beweis für ihre Stellung auf Abraham hin. Das war jedoch völlig unangebracht. Paulus macht deutlich, wer die echten Söhne Abrahams sind. Das sind nicht die Juden, die sich rühmten, der Geburt nach von ihm abzustammen. Die echten Söhne Abrahams sind sowohl die Juden als auch die Heiden, die denselben Glauben wie Abraham besitzen. Wer diesen Glauben besitzt, empfängt den Segen. Der Segen besteht u. a. darin, dass der, der glaubt, gerechtfertigt wird. Das bedeutet, wie gesagt, dass so jemand von Gott für gerecht erklärt wird. Gott sagt gleichsam: „Du vertraust mir, deshalb gehörst du mir an, ich gebe dir einen Platz in meiner Gegenwart.“ Für Abraham war es wirklich eine frohe Botschaft, als er zu hören bekam, dass Gott in ihm alle Nationen mit demselben Segen segnen würde, den auch er empfangen hatte. Der Segen war also nicht nur für ihn persönlich, auch nicht nur für seine leiblichen Nachkommen, sondern für alle Völker.
Gott gab Abraham diese Zusage, als noch kein Buchstabe des Alten Testaments zu Papier gebracht war. Das hat Mose erst einige Jahrhunderte später getan. Und doch steht hier: „Die Schrift aber, voraussehend, ... verkündigte“. Daran sieht man, dass die Schrift und Gott ein und dasselbe sind. Das macht die Bibel so außerordentlich bedeutungsvoll. Sie ist in Wahrheit das Wort Gottes.
V9. Alles in allem ist es deutlich, dass nicht die Gesetzeserfüller, die das Gesetz zu halten suchen, den Segen empfangen, sondern die, die glauben. Sie werden mit dem gläubigen Abraham gesegnet und nicht mit dem beschnittenen Abraham. Der ganze Nachdruck liegt auf dem Glauben – das Gesetz hat nichts damit zu tun.
V10. Doch die Gegner sind noch nicht mundtot. Gut, könnten sie sagen, Abraham ist durch den Glauben gerechtfertigt; aber das Gesetz ist doch später hinzugekommen. Das kann man doch nicht wegdenken? Gut, sagt auch Paulus, das Gesetz ist tatsächlich hinzugekommen. Doch lasst uns dann das Gesetz einmal genau beachten. Es ist klar, dass Gott im Gesetz dem Menschen genau sagt, wie Er will, dass man Ihm dient. Gehorsam ist das Schlüsselwort. Verlangt denn ein Mensch danach, sich dem Gesetz zu unterwerfen? Ist er denn in der Lage, das Gesetz zu erfüllen? Nein, sagt Paulus in Römer 8, die Gesinnung des Fleisches „ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Aber, so könnte eine folgende Frage lauten, wenn ich dann gerechtfertigt bin und neues Leben habe, verlange ich dann nicht danach, die Gebote Gottes zu halten? Aber wichtig ist nicht, ob ich danach verlange, sondern ob ich es tue. Das Gesetz anerkennen und es tun gehören zusammen, und zwar mit dem letztendlichen Ziel, dadurch Gott angenehm zu sein und von Ihm belohnt zu werden.
Das bringt uns zu der Frage, ob ich in der Lage bin, mich an alles zu halten, was Gott geboten hat. Wer es wagt, das als Christ zu behaupten, ist ein Lügner (1Joh 1,8.10). Und was, wenn ich es nicht schaffe? Sobald ich in einem Gebot strauchele und es mir nicht gelingt, das Gesetz zu 100 Prozent zu halten, falle ich unter den Fluch (Jak 2,10). Das Gesetz zeigt bei Übertretung keinerlei Mitleid (Heb 10,28). Es gibt kein Pardon!
Das Zitat, in dem der Fluch über jeden ausgesprochen wird, der es nicht erfüllt, kommt aus 5. Mose 27 (5Mo 27,26). Dort spricht Mose über sechs Stämme, die segnen, und über sechs Stämme, die fluchen sollten. Und was liest du über den Segen? Nichts! Und was liest du über den Fluch? Dieser wird in allen Einzelheiten ausgesprochen, und am Schluss steht das Zitat, das hier angeführt wird. Das ist bedeutungsvoll. Das Zitat wird mit den Worten eingeleitet: „Es steht geschrieben.“ Lass diese Worte kräftig auf dich einwirken. Sie schließen die Anerkennung der Autorität der Schriften in sich, womit du den Feind schlagen kannst. Der Herr Jesus tat das in der Wüste, als der Teufel Ihn versuchte (Mt 4,4–10). Paulus tut es hier, um die Irrlehre zu widerlegen. Das „Es steht geschrieben“ ist die einzige Garantie dafür, den Listen des Teufels zu entkommen.
V11. Paulus führt noch weitere Schriftstellen an. Habakuk hat bereits gesagt, dass der Gerechte durch seinen Glauben leben wird. Aufgrund des Gesetzes ist lediglich Gericht zu erwarten. Gesetz und Glaube stimmen in nichts überein. Deshalb ist es auch ein Irrtum, wenn jemand vom Halten des Gesetzes sagt, „er wolle es aus Dankbarkeit tun“.
V12. Zur Widerlegung dieses Irrtums kann das folgende Zitat dienen, das Paulus anführt. Es steht in 3. Mose 18 (3Mo 18,5). Es ist nicht zu leugnen, dass ein Christ durch seinen Glauben lebt. Was hat es dann für einen Sinn, das Gesetz noch mit einzubeziehen? Mit dem Gesetz wird bezweckt, das Leben zu verdienen. Und das Leben verdienst du nur, wenn du „diese Dinge“, das ist das, was das Gesetz sagt, getan hast.
V13. Dass Paulus in seiner Beweisführung das Gesetz nicht verwirft, siehst du gut in diesem Vers. Dort bestätigt er in eindrucksvoller Weise das Gesetz. In dem, was der Herr Jesus am Kreuz getan hat, siehst du den unbarmherzigen Charakter des Gesetzes. Als der Herr Jesus am Kreuz („dem Holz“) die Sünden all derer auf sich nahm, die an Ihn glaubten und glauben würden, wurde Er zu einem Fluch. Im Herrn Jesus hat das Gesetz seine volle Auswirkung gezeigt. Als Er lebte, hielt Er sich vollkommen an das Gesetz und erfüllte es. Doch wir sind nicht durch seine vollkommene Erfüllung des Gesetzes befreit. Wir sind losgekauft, weil Er am Kreuz den Fluch des Gesetzes auf sich nahm. Während seines Lebens ruhte das Wohlgefallen Gottes auf Ihm; am Kreuz, in den Stunden der Finsternis, wurde Er für uns ein Fluch. Dadurch, und nur dadurch, sind wir losgekauft vom Fluch, den wir verdienten. Das ist Stellvertretung im wahren Sinn des Wortes (vgl. 2Kor 5,21). Der Preis, den Er bezahlte, war sein Blut.
V14. Nachdem Er nun den Fluch des Gesetzes von uns abgewendet hat, kann der Segen in vollem Umfang und ungehindert Juden und Heiden zufließen. Beide empfangen aufgrund des Glaubens den Heiligen Geist.
Lies noch einmal Galater 3,8–14.
Frage oder Aufgabe: Was lernst du in diesen Versen über das Gesetz?
15 - 22 Gesetz und Verheißung
15 Brüder, ich rede nach Menschenweise; selbst eines Menschen Bund, der bestätigt ist, hebt niemand auf oder verordnet etwas hinzu. 16 Abraham aber waren die Verheißungen zugesagt und seinem Nachkommen. Er sagt nicht: „und den Nachkommen“, als von vielen, sondern als von einem: „und deinem Nachkommen“, welcher Christus ist. 17 Dieses aber sage ich: Einen vorher von Gott bestätigten Bund macht das 430 Jahre danach entstandene Gesetz nicht ungültig, dass es die Verheißung aufhebt. 18 Denn wenn die Erbschaft aus Gesetz ist, so nicht mehr aus Verheißung; dem Abraham aber hat Gott sie durch Verheißung geschenkt. 19 Warum nun das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen hinzugefügt (bis der Nachkomme käme, dem die Verheißung gemacht war), angeordnet durch Engel in der Hand eines Mittlers. 20 Ein Mittler aber ist nicht Mittler von einem; Gott aber ist einer. 21 Ist nun das Gesetz gegen die Verheißungen Gottes? Das sei ferne! Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das lebendig zu machen vermöchte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz. 22 Aber die Schrift hat alles unter die Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus denen gegeben würde, die glauben.
V15. Paulus wird nicht müde, die Galater davon zu überzeugen, wie töricht und gefährlich es ist, dem Gesetz in ihrem Leben als Christen einen Platz zu geben. Er zieht nun einen Vergleich zwischen dem Gesetz einerseits und der Verheißung anderseits. Es ist wunderschön zu sehen, wie er sie anspricht. Er beginnt mit der ermunternden Anrede „Brüder“, denn das waren sie trotz ihrer Öffnung für die Einflüsse der judaistischen Irrlehrer. Er lässt sie dadurch seine Verbundenheit mit ihnen fühlen. Weiterhin appelliert er an ihren gesunden Verstand und weist sie auf den zwischenmenschlichen Umgang hin. Es ist doch nicht so – legt er dar –, dass man eine Vereinbarung mit jemand so ohne weiteres abändern kann. Schon gar nicht, wenn diese Vereinbarung nochmals schriftlich niedergelegt und mit einer offiziellen Unterschrift bestätigt wurde. Jeder, der ein bisschen logisch denken kann, wird sagen: Natürlich geht das nicht.
V16. Nun, fährt Paulus fort: Abraham und seinem Samen wurden Verheißungen gegeben. Nachdem Paulus an diesem Punkt angekommen ist, geht er kurz auf den Samen Abrahams ein, bevor er den Unterschied zwischen dem Gesetz und der Verheißung weiter ausführt. Das Wort „Same“ bedarf einer Erklärung. In der Mehrzahl bedeutet es „Nachkommenschaft“, in der Einzahl „Nachkomme“. Der Zusatz in Galater 3 macht deutlich, dass es um Letzteren geht. Dazu kommt noch, dass deutlich angegeben wird, wer dieser Nachkomme ist, nämlich Christus. In Ihm werden alle Verheißungen Gottes erfüllt. Doch Christus war in dem Augenblick, als das Gesetz gegeben wurde, noch nicht gekommen. Das bedeutet, dass die Verheißungen uneingeschränkt bestehen bleiben.
V17. Dazu kommt auch noch, dass das Gesetz, wohlgemerkt, mehr als 400 Jahre nach der Verheißung gegeben wurde. Paulus führt dieses Argument an, um die Unsinnigkeit zu zeigen, die bedingungslosen Verheißungen Gottes an das Gesetz zu koppeln, mit dem ja Bedingungen verbunden sind.
Stell dir das vor: Jemand verspricht dir, dir in einem Jahr € 1000,– zu geben. Das ist schön, sagst du dann, und freust dich mit fortschreitender Zeit immer mehr darauf, die € 1000,– zu empfangen. Doch von zehn Monaten bekommst du auf einmal von dem, der dir das Geld so gebefreudig versprochen hat, zu hören, dass er eigentlich eine Leistung von dir erwartet, womit du dir die € 1000,– verdienen kannst. Das ist ja noch schöner, sagst du dann, und wendest dich tief enttäuscht von dem Schönredner ab. So geht man doch nicht miteinander um! Nun, genau so ist es mit dem Gesetz und der Verheißung. Wenn Gott Verheißungen gibt, macht er sie eine Zeit später nicht von Leistungen abhängig.
V18. Du empfindest sehr wohl, dass Gesetz und Verheißung einander ausschließen. Sie haben nichts miteinander zu tun. Deshalb steht hier auch so schön, dass Gott Abraham die Verheißung des Erbes geschenkt hat. Was das Erbe in sich schließt, wird hier nicht erzählt. Du kannst an die ganze Weite des Landes Kanaan denken, wo Israel im tausendjährigen Friedensreich wohnen wird. Hier geht es darum, wie dieses Erbe erlangt wird: durch das Gesetz oder durch die Verheißung. Inzwischen wird wohl klar sein, dass es durch die Verheißung erlangt wird.
V19. Doch dann ist die Frage berechtigt, welche Funktion das Gesetz dann noch hat. Das Gesetz wurde „der Übertretungen wegen“ hinzugefügt. Nun musst du genau lesen. Hier steht nicht „der Sünde wegen“. Wie könnte das auch der Fall sein? Gott gibt nichts, wodurch ein Mensch zum Sünder wird. Das Gesetz macht gerade deutlich, dass der Mensch ein Sünder ist, ohne ihn auf eine Möglichkeit hinzuweisen, wie er der Strafe, die auf der Sünde ruht, entgehen kann. Du kannst das mit einem Spiegel vergleichen, der dir zeigt, dass du schmutzig bist; aber der Spiegel ist keine Seife, womit du diesen Schmutz abwaschen kannst. Das kann nur durch das Blut des Herrn Jesus geschehen.
Es gibt aber noch einen weiteren Unterschied zwischen der Verheißung und dem Gesetz. Bei der Verheißung ist es so, dass Gott diese Abraham direkt gab, ohne jemandes Vermittlung. Beim Gesetz ist das anders. Gott gab das Gesetz durch Vermittlung von Engeln in die Hand eines weiteren Mittlers, Mose. So kam das Gesetz zum Volk. Deshalb ist die Verheißung größer als das Gesetz.
V20. Die Verheißung zeigt einen gnädigen, gebenden Gott, der bedingungslos alles auf sich nimmt, um die Verheißung zu erfüllen. Der Mensch hat darauf keinerlei Einfluss. Deshalb steht hier auch: „Gott ist einer“, und das bedeutet, dass Er als einzige Partei alle Verantwortlichkeiten auf sich nimmt, um seine Verheißungen zu erfüllen. Das Gesetz zeigt einen heiligen, fordernden Gott, der den Menschen an die Verpflichtungen bindet, die er auf sich genommen hat.
V21. Nach dem Vorhergehenden könnte die Frage aufkommen, ob das Gesetz dann im Gegensatz zu den Verheißungen Gottes steht. Das kann natürlich nicht sein. Beide kommen von Gott, und wie könnte Gott zu sich selbst im Widerspruch stehen? Die Antwort auf diese Frage ist, dass beide verschiedene Seiten Gottes vorstellen. Das Gesetz zeigt uns Gottes Gerechtigkeit, und die Verheißung lässt uns Gottes Gnade sehen. Es war niemals Gottes Absicht, durch das Gesetz Leben zu geben. Das Gesetz kann nicht lebendig machen, weil der Mensch ein verdorbener Sünder ist. Das Gesetz verheißt zwar Leben, kann es aber nicht geben. Es zeigt, was im Herzen des Menschen ist.
V22. Deshalb kann gesagt werden, dass die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen hat. Du liest z. B. in Römer 3 von der Sündhaftigkeit des Menschen (Röm 3,9–20). Wer sich seiner Sündhaftigkeit bewusst ist oder wird, kann bei Gott Vergebung finden. Dann treten der Herr Jesus und der Glaube an Ihn in sein Gesichtsfeld. Das Gesetz oder die Schrift stellt ohne irgendeinen möglichen Einspruch die Verdorbenheit jedes Menschen fest. Das entsprechende Ziel ist (das „Damit“ in Vers 22), dass der Mensch seine Zuflucht zum Glauben an Jesus Christus nimmt. Da gibt es keinen Unterschied. Die Verheißung ist für die da, „die da glauben.“
Lies noch einmal Galater 3,15–22.
Frage oder Aufgabe: Nenne einige Unterschiede zwischen dem Gesetz und der Verheißung!
23 - 29 Die Epoche des Glaubens
23 Bevor aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt, eingeschlossen auf den Glauben hin, der offenbart werden sollte. 24 Also ist das Gesetz unser Erzieher gewesen auf Christus hin, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden. 25 Da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Erzieher; 26 denn ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. 27 Denn so viele ihr auf Christus getauft worden seid, ihr habt Christus angezogen. 28 Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus. 29 Wenn ihr aber Christi seid, so seid ihr denn Abrahams Nachkommen und nach Verheißung Erben.
V23. In diesem Abschnitt stellt Paulus zwei Epochen einander gegenüber. Die eine Epoche ist die des Glaubens, nämlich die Zeit, wo Gott mit dem Menschen aufgrund des Glaubens handelt. Die andere Epoche ist die des Gesetzes, das ist die Zeit, wo Gott mit dem Menschen aufgrund des Haltens des Gesetzes handelt, also das tun, was das Gesetz sagt. Die Epoche „des Glaubens“ ist im Grunde die christliche Zeit, also die Zeit, nachdem Christus auf die Erde gekommen war, sein Werk am Kreuz vollbracht hatte und zum Vater zurückgekehrt war. Danach ist der Heilige Geist auf die Erde gekommen und begann das Christentum. Die Epoche des Gesetzes wurde durch strenge Verordnungen gekennzeichnet, die Gott seinem irdischen Volk Israel auferlegt hatte. Für den Juden war das ein Joch, er litt darunter wie ein Gefangener. Es nahm ihm jede Handlungsfreiheit, sein ganzes Leben wurde dadurch geregelt. Bei Todesstrafe musste er sich daran halten. Andererseits schirmte ihn das Gesetz gegen die Vermischung mit den umliegenden Völkern ab (Eph 2,14). Doch die Epoche des Gesetzes hatte nur begrenzte Gültigkeit. Diese Epoche lief „auf den Glauben hin, der offenbart werden sollte“ (Vers 23b), d. h. mit dem Kommen Christi würde eine neue Epoche anbrechen.
V24. Nachdem Paulus das Gesetz wie ein Gefängnis dargestellt hat, benutzt er noch ein Bild für das Gesetz: das eines Erziehers. Beim Ausdruck „Erzieher“ kannst du ganz gut an einen Aufpasser denken, an jemand, der auf das körperliche Wohlbefinden eines Kindes achtet, das seiner Obhut anvertraut ist. Das ist die Funktion des Gesetzes. Es achtet darauf, dass der Mensch sich an die Gebote Gottes hält, die ihm gegeben sind, um dadurch das Leben zu bekommen. Doch weil der Mensch verdorben ist und das Gesetz nicht halten kann, entsteht im Menschen das Verlangen nach einem Befreier. Das Gesetz zeigt nicht den Weg zu Christus, so darfst du Vers 24 nicht lesen. Das Gesetz weist uns darauf hin, dass wir unverbesserliche Sünder sind, die unter das Gericht Gottes fallen. Wer sich das klarmacht, sucht nach einer Lösung, um diesem Gericht zu entgehen. Gott hält diese Lösung in Christus und in seinem Versöhnungswerk bereit, das Er am Kreuz vollbracht hat. Nachdem der Herr Jesus sein Werk am Kreuz vollbracht hat, ist es möglich, aufgrund des Glaubens an Ihn gerechtfertigt zu werden. Diese Möglichkeit gibt es nur durch den Glauben, niemals mehr durch das Gesetz, niemals mehr durch irgendeine Anstrengung des Menschen.
V25. Gott handelt seit dem vollbrachten Werk Christi mit dem Menschen nicht mehr auf der Grundlage des Gesetzes, sondern ausschließlich auf der Grundlage des Glaubens. Deshalb kann gesagt werden: „Da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Erzieher“. Das Gesetz hat seine Zeit gehabt. Die Galater sollten davon tief durchdrungen werden und in diesem Bewusstsein die Lehren der jüdischen Irrlehrer abschütteln.
V26. Dann führt Paulus noch ein kräftiges Argument an, um zu beweisen, dass das Gesetz seine Kraft und Gültigkeit für den Christen verloren hat. Durch den Glauben ist der Christ nämlich in eine neue Stellung vor Gott gekommen: die eines Sohnes. Ja, du hast richtig gelesen: SOHN! Das ist ja etwas ganz anderes, als ein Sklave zu sein, nämlich jemand, der unter dem Gesetz steht oder sich selbst darunter stellt. Wenn du einmal gut auf dich einwirken lässt, was es bedeutet, dass du „zur Sohnschaft“ zuvorbestimmt bist (Eph 1,5), wie wolltest du dann jemals noch das Gesetz in deinem Leben zulassen? Bist du Sohn geworden durch das Halten des Gesetzes oder durch den Glauben an Christus Jesus? Die Antwort steht hier, in Vers 26.
V27–28. Bedenke dazu auch noch einmal, was du bekannt hast, als du dich taufen ließest. (Oder bist du noch nicht getauft? Was hält dich davon ab?) Wenn du dich hast taufen lassen, hast du dich durch deine Taufe mit einem gestorbenen Heiland einsgemacht (Röm 6,3.4a). Im Tod Christi ist jede Verbindung mit dem Gesetz abgebrochen. Er hat den Fluch des Gesetzes getragen (Gal 3,13) und dadurch das Urteil des Gesetzes für jeden, der an Ihn glaubt, weggenommen. Das Gesetz hat keine Autorität mehr über jemand, der gestorben ist (über den Herr Jesus), und auch über niemand, der mit Ihm gestorben ist (über den Gläubigen). Letzteres, dass du mit Ihm gestorben bist, hast du in der Taufe bekannt. Doch der Herr Jesus ist nicht im Tod geblieben und du nicht im Wassergrab. Der Herr Jesus ist auferstanden, und von dir kann erwartet werden, dass du nach deiner Taufe in Verbindung mit Ihm lebst. Dann werden die Menschen sehen, dass du Christus angezogen hast.
Es klingt vielleicht etwas unehrerbietig, aber man kann das mit dem Anziehen einer neuen Jacke vergleichen. Die Menschen sehen, dass du etwas Neues anhast. Wenn du Christus zeigen willst, spielt deine Staatsangehörigkeit, deine soziale oder gesellschaftliche Stellung oder dein Geschlecht keine Rolle. Jeder, der getauft ist, hat Christus angezogen und soll nun Ihn und nicht sich selbst zeigen. Es gibt nur einen, der gesehen wird. Das bedeutet nicht, dass nach der Bekehrung die genannten Unterschiede nicht mehr bestehen. Es geht um die Stellung des Gläubigen, wie Gott ihn in Christus sieht. Aber Sklaven werden in anderen Briefen als solche angesprochen, und für Frauen geziemt es sich, ihren Männern gegenüber die von Gott vorgeschriebene Haltung einzunehmen, und das gilt auch umgekehrt. So will Gott, dass Mann und Frau seine Schöpfungsordnung respektieren, indem sie kurzes bzw. langes Haar tragen und das Haupt nicht bzw. wohl bedecken, wenn sie beten oder weissagen (1Kor 11,1–16). Gott will, dass dieser Unterschied auch während der Zusammenkünfte der Gemeinde beachtet wird (1Kor 14,34.35).
V29. Der letzte Vers macht noch einmal deutlich, was Paulus bereits früher gezeigt hat. Wer Christus angehört, gehört zum Samen Abrahams, denn Christus ist „der Same“ Abrahams (Vers 16). Für so jemand gilt die Verheißung, dass er Erbe ist. Im folgenden Kapitel werden wir sehen, was das bedeutet.
Lies noch einmal Galater 3,23–29.
Frage oder Aufgabe: Welchen Gegensätzen begegnest du in diesen Versen? Welche Segnungen triffst du an?