1 - 5 Verteidigung des Evangeliums
1 Darauf, nach vierzehn Jahren, zog ich wieder nach Jerusalem hinauf mit Barnabas und nahm auch Titus mit. 2 Ich zog aber hinauf infolge einer Offenbarung und legte ihnen das Evangelium vor, das ich unter den Nationen predige, im Besonderen aber den Angesehenen, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre 3 (aber auch Titus, der bei mir war, wurde, obwohl er ein Grieche war, nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen); 4 es war aber der nebeneingeführten falschen Brüder wegen, die nebeneingekommen waren, um unsere Freiheit auszukundschaften, die wir in Christus Jesus haben, damit sie uns in Knechtschaft brächten; 5 denen wir auch nicht eine Stunde durch Unterwürfigkeit nachgegeben haben, damit die Wahrheit des Evangeliums bei euch verbliebe.
V1. In Kapitel 1 hatte Paulus klargestellt, dass seine Apostelschaft völlig unabhängig von der der zwölf Apostel zustande gekommen war. In Kapitel 2 zeigt er, dass die Zwölf seine besondere Apostelschaft für die Heiden ausdrücklich anerkannten. Das war während des Besuches in Jerusalem geschehen, vierzehn Jahre nach seinem vorhergehenden Besuch. Den Anlass zu diesem Besuch muss man in Apostelgeschichte 15 suchen. Dort liest man von einer Besprechung in Antiochien, die wegen der Streitfrage stattfand, ob die Gläubigen aus den Nationen das Gesetz halten müssten. Genau das ist das Thema, worüber Paulus an die Galater schreibt. Der erste Vers von Apostelgeschichte 15 zeigt uns, worum es ging (Apg 15,1): Aus Judäa waren Leute nach Antiochien gekommen, die den Gläubigen vorhielten, dass sie, um errettet werden zu können, beschnitten werden müssten. Diese Lehre ist in völligem Gegensatz zum Evangelium Gottes, das Paulus predigte. Man fügte dem Evangelium etwas hinzu, und das kann und darf nicht sein. Deshalb widersetzten Paulus und Barnabas sich dem. Dann wird beschlossen, dass diese Streitfrage in Jerusalem behandelt werden soll. Paulus und Barnabas und noch einige andere sollen darüber mit den Aposteln und Ältesten sprechen.
Der Streit sollte in Jerusalem und nicht in Antiochien entschieden werden. In Jerusalem, wo die Apostel und die Gemeinde noch in mancher Hinsicht das Gesetz hielten, sollte die Freiheit der Gläubigen aus den Nationen anerkannt werden. Anderenfalls wäre die Gefahr groß gewesen, dass zwei Arten von Gemeinden entstanden wären: eine Gemeinde, die am Gesetz festhielt, wie in Jerusalem, und eine Gemeinde, die frei war vom Gesetz, wie in Antiochien. Glücklicherweise hat Gott das verhütet. Die Gemeinde ist eine Einheit und für alle örtlichen Gemeinden gilt, in Einheit zu handeln. Dass im Lauf der Zeit – sogar schon bald nach dem Entstehen der Gemeinde – doch Trennungen entstanden sind, ist die Folge davon, dass man das Wort Gottes verlassen hat. Von-einander losgelöste örtliche Gemeinden, jede mit ihrem eigenen Verständnis der Wahrheit, sind nicht nach den Gedanken Gottes.
V2. Dass Paulus hier den Galatern sagt, dass er „infolge einer Offenbarung“ nach Jerusalem ging, scheint im Widerspruch zu Apostelgeschichte 15 zu stehen (Apg 15,2). Es sind jedoch zwei Seiten derselben Sache. Ich kann etwas tun, weil ich weiß, dass es der Wille Gottes ist, während ich auf diese Weise zugleich dem Rat von Brüdern folge, mit denen ich darüber gesprochen habe. Nachdem Paulus in Jerusalem angekommen ist, sucht er zuerst Brüder auf, die eine verantwortliche Stellung inmitten der Gläubigen einnehmen. Er tut das nicht, um sie zu fragen, ob er wohl richtig gehandelt hat; auch nicht, um das Evangelium zur Diskussion zu stellen. Er war von seiner Sache völlig überzeugt, doch es ging ihm darum, dass die Zwölf bei dessen Verteidigung mitwirkten. Wenn sie mit dem Inhalt seiner Predigt übereinstimmten, würde die Gemeinde in Jerusalem vor einer Trennung bewahrt und die Einheit mit den Gemeinden der Nationen erhalten bleiben. Seine Arbeit wäre dann nicht vergeblich gewesen.
V3. Um seine Worte zu bekräftigen, hatte er Titus als eine Art „Prüfstein“ mitgenommen. Titus war ein Grieche, also ein Heide. Es scheint so, dass Druck ausgeübt wurde, ihn zu beschneiden, doch dass das keine Forderung der Gemeinde in Jerusalem war. Dadurch war ein praktischer Fall zur Unterstützung seiner Predigt vorhanden, dass jemand als Gläubiger anerkannt wird, ohne dass man von ihm fordert, dass er das Gesetz hält. Der Fall des Timotheus, der eine jüdische Mutter hatte, war anders gelagert. Paulus beschnitt ihn, und er tat das, um Timotheus einen besseren Eingang bei den Juden zu verschaffen, und nicht, um ihn für Christus zu gewinnen (Apg 16,1–4). Aber die Tatsache, dass die Beschneidung eine Voraussetzung dafür wäre, errettet zu werden, lehnt Paulus entschieden ab. Für uns bedeutet das, dass wir eine Predigt abweisen müssen, in der behauptet wird, dass ein Mensch durch den Glauben an Christus gerettet wird plus noch etwas, z. B. gute Werke oder das Halten der zehn Gebote.
V4. Die Notwendigkeit zur Verteidigung des Evangeliums ergab sich durch die nebeneingeführten falschen Brüder, die Feinde des Evangeliums. Sie wollten den Gläubigen ihre Freiheit in Christus rauben, indem sie sie unter die Knechtschaft des Gesetzes brachten. Wie man es auch dreht oder wendet: Wer sich an das Gesetz halten will, begibt sich selbst unter die Knechtschaft des Gesetzes. Petrus nennt in Apostelgeschichte 15,10 das Gesetz „ein Joch ..., das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten“. Mit dieser Aussage und dem, was er weiter noch sagt, stellt Petrus sich unmissverständlich auf die Seite von Paulus. Es ist unmöglich, das Gesetz mit dem Evangelium zu verbinden, ohne die Freiheit, die in Christus Jesus ist, zu verlieren.
V5. Deshalb gibt Paulus diesen Leuten keinen Millimeter nach. Er verteidigt hier „die Wahrheit des Evangeliums“ als die einzige Wahrheit, in der Gottes Gnade durch das vollbrachte Werk Christi erstrahlt, eine Wahrheit, die für alle Christen bestimmt ist, ob sie nun jüdischer oder heidnischer Herkunft sind. Jeder Wert, den der Mensch meint, dem hinzufügen zu müssen, verdirbt die Gnade. Das tun die Juden, indem sie das Gesetz hinzufügen, und das tun die Nationen, indem sie ihre Philosophien hinzufügen. Letzteres sieht du im Brief an die Kolosser, wo auch von „der Wahrheit des Evangeliums“ (Kol 1,5) die Rede ist, während in Kapitel 2 dieses Briefes vor der Philosophie gewarnt wird (Kol 2,8). Paulus wollte nicht, dass ihnen dieses reiche und einzigartige Evangelium genommen würde. Es durfte unter gar keinen Umständen preisgegeben werden, sondern sollte als ein fester Besitz das Eigentum der Galater (und auch von uns) bleiben.
Lies noch einmal Galater 2,1–5.
Frage oder Aufgabe: Was ist der Anlass für die Besprechung in Jerusalem in Apostelgeschichte 15, und was ist das Ergebnis?
6 - 14 Paulus mit und gegen Petrus
6 Von denen aber, die in Ansehen standen – was irgend sie auch waren, das macht keinen Unterschied für mich, Gott sieht keines Menschen Person an –, denn mir haben die Angesehenen nichts hinzugefügt; 7 sondern im Gegenteil, als sie sahen, dass mir das Evangelium der Vorhaut anvertraut war, wie Petrus das der Beschneidung 8 (denn der, der in Petrus für das Apostelamt der Beschneidung gewirkt hat, hat auch in mir in Bezug auf die Nationen gewirkt), 9 und als sie die Gnade erkannten, die mir gegeben ist, gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen wurden, mir und Barnabas die Rechte der Gemeinschaft, damit wir unter die Nationen, sie aber unter die Beschneidung gingen; 10 nur dass wir der Armen gedenken sollten, was ich mich auch zu tun befleißigt habe. 11 Als aber Kephas nach Antiochien kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er dem Urteil verfallen war. 12 Denn bevor einige von Jakobus kamen, hatte er mit denen aus den Nationen gegessen; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, da er sich vor denen aus der Beschneidung fürchtete. 13 Und mit ihm heuchelten auch die übrigen Juden, so dass selbst Barnabas durch ihre Heuchelei mit fortgerissen wurde. 14 Aber als ich sah, dass sie nicht den geraden Weg nach der Wahrheit des Evangeliums wandelten, sprach ich zu Kephas vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, wie die Nationen lebst und nicht wie die Juden, wie zwingst du denn die Nationen, jüdisch zu leben?
V6. Paulus ist noch immer damit beschäftigt, die Anschuldigung seitens der falschen Brüder, dass zwischen ihm und den zwölf Aposteln keine Übereinstimmung sei, zu entkräften. Ein Bruch zwischen ihm und den Aposteln wäre natürlich Wasser auf die Mühlen dieser Menschen. Bevor Paulus zeigt, wie einmütig sie waren und dass von einem Bruch überhaupt keine Rede sein konnte, betont er noch einmal, dass er von den Zwölfen nichts bekommen hat, was für sein Predigen nötig gewesen wäre. Darum sagt er auch: „denn mir haben die Angesehenen nichts hinzugefügt“. Er will damit sagen, dass die Zwölf oder auch andere am Inhalt des Evangeliums, das er verkündigte, nichts auszusetzen hatten. Sie konnten seiner Botschaft nichts hinzufügen.
V7. Die Autorität zu seinem Predigen leitete Paulus allein von Christus ab und nicht von der herausragenden Stellung, die die Zwölf einnahmen. Damit setzte er sie nicht herab. Er anerkennt sie an dem Platz, den sie von Gott bekommen haben, und sie anerkennen die Stellung, die er von Gott bekommen hat. Paulus und die Zwölf predigten kein unterschiedliches Evangelium, sondern jeder hat für die Verkündigung des Evangeliums ein eigenes Arbeitsfeld, ein eigenes Publikum von Gott bekommen.
V8. Gott gab Paulus eine Aufgabe unter den Nationen, den Unbeschnittenen, und Petrus und den anderen gab er eine Aufgabe unter den Juden, den Beschnittenen (vgl. 2Kor 10,13). Auch du hast von Ihm eine Aufgabe mit einem eigenen Gebiet bekommen, das ist die Umgebung, wo du dich befindest.
V9. Es muss eine prächtige Szene gewesen sein, die fünf Männer dort beieinander. Du siehst sie dort stehen, sie geben einander die Hand und verpflichten sich, zusammen der Welt der Juden und der Nationen das Evangelium zu predigen. Das ist eine echte „Verbrüderung“. Keine Eifersucht, kein Konkurrenzkampf, sondern zusammen dasselbe Ziel anstreben, gemeinsam von der Notwendigkeit überzeugt, das Evangelium zu predigen. (Nebenbei bemerkt: Vier dieser fünf Männer haben zusammen 22 von den insgesamt 27 neutestamentlichen Bibelbüchern geschrieben.) Indem sie sich die rechte Hand reichen, bringen sie die Gemeinschaft im Werk für den Herrn zum Ausdruck. Seitens der Jerusalemer Brüder bedeutet das auch die Anerkennung der speziellen Sendung des Paulus zu den Nationen. Der Unterschied bezüglich des Arbeitsgebietes von Paulus und Petrus ist auch wichtig im Blick auf die Kirchengeschichte. Wie oft wird von Petrus gesagt, dass er das Haupt der Kirche sei, wobei Gott doch durch Paulus seine Kirche (die Gemeinde) unter den Nationen errichtet hat. Der Anspruch der römisch-katholischen Kirche auf Petrus als den ersten Papst ist daher völlig unberechtigt.
V10. Nachdem die „Arbeitsteilung“ bestätigt ist, gehen die Fünf auseinander. Die einzige Bitte, die Paulus mitbekommt, hat mit der Fürsorge für die Armen zu tun. Über die Verkündigung des Wortes wird ihm also nichts gesagt. Hier siehst du, wie der große Apostel nicht nur für die Seele, sondern auch für den Leib des Mitgläubigen besorgt war. In Hebräer 13 und 1. Korinther 16 werden auch wir da-zu angehalten (Heb 13,16; 1Kor 16,2).
V11. Hier liest du von der dritten Begegnung von Paulus und Petrus. Die erste Begegnung ist in Kapitel 1 und die zweite in Kapitel 2 (Gal 1,18; 2,1–10). Diese Begegnung verläuft nicht so freundlich wie die beiden vorigen. Man kann sich fragen, wie es möglich war, dass Petrus so handelte, sodass Paulus ihm öffentlich widerstehen musste. Nach alledem, was Gott ihm in Apostelgeschichte 10 gezeigt hatte, nach seiner eigenen Erklärung in Apostelgeschichte 15 und dem, was er in Galater 2 anerkannt hat, ist es kaum zu verstehen, dass er sich von denen aus den Nationen zurückzieht und Partei für die Judaisten ergreift. Er tut das, so steht es dort, „da er sich vor denen aus der Beschneidung fürchtete“. In Sprüche 29 liest du: „Menschenfurcht legt einen Fallstrick“ (Spr 29,25).
Ich hoffe, dass du dich selbst ein bisschen kennst. Wie oft tun wir etwas gerade oder auch gerade nicht aus Furcht vor dem, was andere dazu sagen werden? Wir dürfen Petrus nur nicht zu hart verurteilen und sollten zugleich für die deutliche Korrektur dankbar sein, die Paulus hier anbringt. Paulus durchschaut, was los ist. Ebenso, wie er keinen Augenblick vor den falschen Brüdern zurückwich, weicht er hier nicht vor einem echten Bruder zurück, wenn dieser denselben Fehler macht.
V12–14. Dass Petrus einen Fehler machte, ist deutlich. Zuerst freut er sich, dass er mit den Gläubigen aus den Nationen essen kann, womit er akzeptiert, dass der Unterschied weg ist, wie er selbst in Apostelgeschichte 15 gesagt hat: „Er [d.i. Gott] machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen“ (Apg 15,9). Doch jetzt macht er diesen Unterschied sehr wohl wieder, indem er sich absondert.
Damit passiert das, was in Jerusalem verhindert worden war: Es entsteht eine Spaltung. Nun gibt es tatsächlich zwei Gemeinden in Antiochien: eine für Christen aus den Nationen und eine für jüdische Christen. Mit der Uneinigkeit, die wir heutzutage in der Christenheit sehen, ist es nicht anders. Man will eine Gemeinde nach eigenem Geschmack. Über diese Uneinigkeit sollten wir ebenso entrüstet sein, wie Paulus es hier ist. Sie lässt der Wahrheit des Evangeliums kein Recht widerfahren, sondern fällt ihr in den Rücken.
Zu der Haltung, die Petrus hier einnimmt, kommt noch etwas hinzu, nämlich dass du den Weg von Gott weg niemals allein gehst. Petrus zieht eine stattliche Anzahl Menschen hinter sich her. Je größer das Ansehen ist, das jemand hat, umso verhängnisvoller sind die Folgen, wenn er fehlgeht. Petrus ist ein warnendes Beispiel. Paulus ist ein ermutigendes Beispiel in seinem festentschlossenen Auftreten gegen den Fehler, der begangen wird, selbst wenn es jemand wie Petrus ist. Dass die öffentliche Zurechtweisung durch Paulus bei Petrus kein böses Blut erzeugt hat, geht aus dem zweiten Brief hervor, den Petrus geschrieben hat. Da sagt er: „unser geliebter Bruder Paulus“ (2Pet 3,15), und richtet die Aufmerksamkeit seiner Leser auf alle Briefe des Paulus, zu denen auch der an die Galater gehört. Das ist sehr löblich an Petrus, und für uns ist es wichtig, dem nachzueifern.
Lies noch einmal Galater 2,6–14.
Frage oder Aufgabe: Welchen Auftrag und welches Arbeitsfeld hast du von Gott bekommen?
15 - 21 Der Sohn Gottes, der mich geliebt hat
15 Wir, von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen, 16 aber wissend, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus, auch wir haben an Christus Jesus geglaubt, damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt würden und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt werden wird. 17 Wenn wir aber, indem wir in Christus gerechtfertigt zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden worden sind – ist also Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, so erweise ich mich selbst als Übertreter. 19 Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt, 20 und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat. 21 Ich mache die Gnade Gottes nicht ungültig; denn wenn Gerechtigkeit durch Gesetz kommt, dann ist Christus umsonst gestorben.
V15. Paulus richtet sich noch immer an Petrus, wenn er sagt: „Wir, von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen“. Der Unterschied zwischen Juden und Nationen war von Gott bestimmt. Doch welchen Vorteil hatte dieser Unterschied den Juden gebracht? Waren sie als Gottes auserwähltes Volk treue Diener Gottes gewesen? Hatten sie getan, was Gott im Gesetz von ihnen forderte? Nein, gerade bei ihnen hatte sich gezeigt, wie sehr sie das Gesetz übertreten hatten. Darum musste dasselbe Gesetz sie verurteilen. Aufgrund von Gesetzeswerken war jedes Recht auf Rechtfertigung verloren. Petrus hatte das eingesehen und wusste es also. Er hatte das in Apostelgeschichte 15 bezeugt (Apg 15,10). Nachdem er das nun anscheinend vergessen hatte, erinnerte Paulus ihn daran.
V16. In einem langen Satz will er es Petrus (aber auch den Galatern und auch uns!) einhämmern, dass kein Fleisch, also wirklich niemand, sei er nun Jude oder Heide, aufgrund von Gesetzeswerken gerechtfertigt werden kann. Dabei geht es nicht so sehr um die zehn Gebote, als vielmehr um alles, was „Gesetz“ genannt werden kann. Bei „Gesetz“ musst du an etwas denken, was ein anderer dir auferlegt, aber auch an das, was du dir selbst auferlegst. Dann denkst du, dass Gott dich durch das Halten oder Vollbringen dieser Dinge gut finden würde. Aber so ist das nicht. „Der Mensch“, das ist jemand vom Menschengeschlecht, ohne Unterschied nach Geschlecht, Herkunft oder Nationalität, kann ausschließlich durch und aus Glauben gerechtfertigt werden. Ein Mensch kann auch nicht durch Glauben und Werke zusammen gerechtfertigt werden. Glaube und Gesetz schließen einander aus.
Was heißt eigentlich „gerechtfertigt“? Jemand, der gerechtfertigt ist, ist freigesprochen von jeder möglichen Anklage. Nicht, weil es an Beweisen mangelt, sondern weil er als jemand angesehen wird, der niemals etwas Verkehrtes getan hat; es ruht keinerlei Verdacht auf so jemand. Wie ist das möglich? Nun, es steht da: „damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt würden“. Gott spricht jeden von jeder Anklage frei, der an Christus als den glaubt, der am Kreuz alle Schuld auf sich genommen hat und die Schuld durch das Vergießen seines Blutes ausgetilgt hat. Gott sieht so jemand als mit seinem Sohn einsgemacht. Die Sünden sind weg, die Sünde ist gerichtet. Der Sünder ist ein Kind Gottes geworden, und Gott sieht ihn nicht mehr als Sünder. Gott verleiht ihm seine eigene Gerechtigkeit. Wie du siehst, geschieht dieses „Gerechtfertigt werden“ gänzlich außerhalb all dessen, was ein Mensch irgend tun kann. Es ist eine Handlung Gottes (und kein Prozess!) aufgrund des Glaubens.
V17. Was geschieht nun, wenn jemand wie Petrus, Barnabas, die Galater und Zehntausende von Christen heutzutage (wieder) das Gesetz halten wollen? Man gibt dadurch zwei Dinge zu erkennen. Erstens sagt man, dass es falsch ist, das Gesetz als Mittel zur Rechtfertigung aufzugeben, das ist dann Sünde. Zweitens sagt man – und wie ernst ist das! –, dass Christus ein Diener der Sünde ist. Ist es nicht Christus, der sie dazu bringt, das Gesetz als Mittel zur Rechtfertigung aufzugeben? Christus bringt sie also zu der Sünde, das Gesetz aufzugeben. Ich hoffe, dass du das verstehst. Paulus weist diese Argumentation mit einem starken „Das sei ferne!“ weit von sich.
V18. „Denn“, so fährt er gleichsam fort, „wenn ich zuerst etwas abbreche, weil es nicht gut war, und baue es später doch wieder auf, weil es eigentlich doch gut war, dann gebe ich zu, dass das Abbrechen falsch war.“
Hiermit sagt er nicht, dass das Gesetz nicht gut ist. In Römer 7 sagt er deutlich: „Also ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut“ (Röm 7,12) Wie könnte etwas, das von Gott kommt, schlecht sein? Was ist denn dann nicht gut? Es ist nicht gut, das Gesetz als Mittel zu gebrauchen, um gerechtfertigt zu werden. Dazu hat Gott das Gesetz nicht bestimmt. Das Gesetz wurde gegeben, damit der Mensch dadurch seine Sündhaftigkeit sehen und erkennen sollte, dass er den Tod verdient.
V19. Genau das ist es, was Paulus weiter zeigt: „Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben“. Damit anerkennt er das Todesurteil, das im Gesetz enthalten ist. Zugleich sagt er, dass das Gesetz von dem Augenblick an nichts mehr über ihn zu sagen hat. Denn welche Wirkung sollte das Gesetz auf jemand haben, der gestorben ist? So jemand kann doch nicht mehr mit „du sollst und du sollst nicht“ angesprochen werden.
V20. Im leuchtenden zwanzigsten Vers erklärt Paulus dann, wie er dem Gesetz gestorben ist und wie es jetzt mit ihm steht. Das gilt auch für jeden Menschen, der ein Kind Gottes ist. Ich hoffe, dass du das von ganzem Herzen nachsprechen kannst. Er sagt: Was meinen alten Menschen betrifft, mein altes „Ich“, bin ich mit Christus gekreuzigt, doch ich habe auch ein neues „Ich“, das ist mein neues Leben, das durch Glauben lebt. Darum „lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ Mit diesem letzten „Ich“ meint Paulus das „Ich“ seiner persönlichen Verantwortung. Im Leben eines Gläubigen gibt es ein beständiges Spannungsfeld zwischen dem alten „Ich“ und dem neuen „Ich“. Das kann nicht dadurch aufgelöst werden, dass man gegen das alte „Ich“ kämpft, sondern dadurch, dass man sich bewusst bleibt, dass das alte „Ich“ mit Christus gekreuzigt ist. Danach darfst du wissen, dass alle Kraft für ein reiches Glaubensleben im Sohn Gottes zu finden ist. Er gab sich selbst. Auf Ihn darf dein Auge beständig gerichtet sein. Er hat dich lieb. Im Aufblick zu Ihm liegt stets die Kraft, „für Gott zu leben“.
V21. Paulus macht die Gnade Gottes nicht ungültig. Wie wäre das möglich! Gerade die Menschen, die am Gesetz festhalten wollen, machen die Gnade Gottes ungültig. Vielleicht sagen sie sogar, dass du Gnade brauchst, um das Gesetz halten zu können. Aber Gnade und Gesetz schließen einander aus, genauso wie Glaube und Gesetz. Gottes unendliche Gnade gab Christus in den Tod. Wäre das Gesetz ein Mittel, wodurch der Mensch zur Gerechtigkeit kommen kann (oder gerechtfertigt werden kann), wäre es nicht nötig gewesen, dass Christus gestorben ist.
Lies noch einmal Galater 2,15–21.
Frage oder Aufgabe: Lerne Vers 20 auswendig!