1 - 3 Der Anfang der Verteidigung des Paulus
1 Agrippa aber sprach zu Paulus: Es ist dir erlaubt, für dich selbst zu reden. Da streckte Paulus die Hand aus und verantwortete sich: 2 Ich schätze mich glücklich, König Agrippa, dass ich mich über alles, wessen ich von den Juden angeklagt werde, heute vor dir verantworten kann; 3 besonders weil du von allen Gebräuchen und Streitfragen unter den Juden Kenntnis hast; darum bitte ich, mich langmütig anzuhören.
Nachdem Festus eine Einleitung gemacht hat, übernimmt Agrippa die Leitung der Sitzung. Er erteilt Paulus das Wort. Paulus hebt zur Begrüßung seine mit Ketten versehene Hand hoch. Bei anderen Gelegenheiten, wenn er das Wort ergriff, streckte er seine Hand auch aus, doch dann geschah es, damit Ruhe einkehrte (Apg 13,16; 21,40; vgl. Apg 19,33). Dann beginnt er seine Verteidigung.
In dieser Verteidigung legt er dar, was ihm widerfahren ist. Er spricht hier ausführlich davon, wie er dem Herrn Jesus begegnet ist. Gegenüber Festus und Felix hatte er das nur kurz erwähnt. Doch hier steht er vor jemandem, der alle Gebräuche und Streitfragen der Juden kannte. Das hebt er anerkennend hervor.
Das ist keine Schmeichelei, sondern eine berechtigte Feststellung. Agrippa würde verstehen, was er sagt. Es würde sogar ein wenig zu seinem Gewissen sprechen. Darüber hinaus war Agrippa ihm günstig gesonnen. Es ist für jeden eine gute Ausgangslage, wenn er etwas zu sagen hat, dass sein Zuhörer ihn jedenfalls versteht.
Paulus spricht im Namen Gottes. Er ehrt durchaus die Stellung der Großen der Erde, zugleich sehen wir, dass er moralisch weit über ihnen steht. Die gut zwei Jahre Gefängnis haben sein Herz oder seinen Glauben nicht schwächen können. Er legt mit Kraft Zeugnis ab von dem, was der Herr an ihm getan hat, auch wenn das nicht die von ihm sehnlichst gewünschte Wirkung auf Agrippa und Festus hat. Doch es waren noch weitere Personen anwesend. Vielleicht hat das auf jemand von ihnen Eindruck gemacht.
Paulus wiederholt nicht einfach seine Bekehrungsgeschichte. In beiden Fällen, wo er die Geschichte erzählt, stimmt er den Bericht auf das Publikum ab, das er vor sich hat. In Kapitel 22 steht er vor den Juden. Hier steht er vor jemandem, der das Judentum kennt. Er sagt später selbst von Agrippa, dass er den Propheten glaube (Vers 27). Dennoch zeigt all das, was wir von Agrippa lesen, dass der Glaube für ihn lediglich eine äußere Sache war.
4 - 8 Die Jugend des Paulus als Jude
4 Mein Lebenswandel nun von Jugend auf, der von früher her unter meiner Nation und in Jerusalem gewesen ist, ist allen Juden bekannt, 5 die mich von Anfang an kennen – wenn sie es bezeugen wollen –, dass ich nach der strengsten Sekte unserer Religion, als Pharisäer, lebte. 6 Und nun stehe ich vor Gericht wegen der Hoffnung auf die von Gott an unsere Väter ergangene Verheißung, 7 zu der unser zwölfstämmiges Volk, unablässig Nacht und Tag Gott dienend, hinzugelangen hofft; wegen dieser Hoffnung, o König, werde ich von den Juden angeklagt. 8 Warum wird es bei euch für unglaubhaft gehalten, wenn Gott Tote auferweckt?
Paulus legt seine Lebensgeschichte dar, das, was er selbst erlebt hat. Er ist bereits in jungen Jahren nach Jerusalem gekommen. Dort hat er sich in der strengsten Sekte, der Sekte der Pharisäer, hervorgetan. Die Pharisäer waren bereits streng, aber er legte noch eins drauf. Sein enormer Eifer war so auffallend, dass alle Juden davon wussten. Er ergänzt auch noch, dass er sie bitten könnte, Zeugnis davon abzulegen – zumindest, wenn sie es wollten.
Er war keine „Eintagsfliege“ gewesen, sondern hatte konsequent danach gelebt. Paulus war also kein gewöhnlicher Pharisäer. Gegenüber Agrippa, der die Pharisäer kannte, beschreibt er seinen Hintergrund als fanatischer Pharisäer, so dass dieser die gewaltige Veränderung, die bei ihm stattgefunden hat, feststellen konnte.
Als Pharisäer glaubte er an die Erfüllung der Verheißungen, die Gott seinem Volk im Alten Testament gegeben hat. Diese Verheißungen waren noch immer nicht erfüllt. Darum warteten die „zwölf Stämme“ noch auf die Erfüllung. Paulus spricht von den zwölf Stämmen. Für ihn ist klar, dass die zehn Stämme, die in der Zerstreuung sind, an den Verheißungen teilhaben werden. Es kann keine Rede davon sein, dass die zehn Stämme verloren sind. Für den Glauben existieren sie; so kam beispielsweise die Prophetin Anna aus dem Stamm Aser (Lk 2,36). Zu Gottes Zeit werden auch diese Stämme zum Vorschein kommen. Mit den zwölf Stämmen, die unablässig Nacht und Tag Gott dienen, meint Paulus nicht die ungläubige Masse des Volkes, sondern das Israel Gottes, das sind die Juden, die an den Messias glauben.
Gerade die Hoffnung, die die Juden selbst als Nation hatten, war der Grund der Anklage gegen ihn. Diese Anklage hatten die ungläubigen Führer dieses Volkes erhoben. Sie haben den verworfen, mit dem die Hoffnung der Zukunft Israels untrennbar verbunden ist. Diese Hoffnung ist der Messias und sie hat sich für die gläubigen Juden im Kommen des Herrn Jesus erfüllt. Das ist der Grund für die Angriffe der ungläubigen Juden gegen sie.
Mit der Hoffnung auf die Erfüllung der Verheißungen ist auch der Glaube an die Auferstehung verbunden. Alle Gläubigen, die im Alten Testament die Verheißungen empfingen, waren gestorben, ohne die Erfüllung der Verheißungen empfangen zu haben. Dennoch werden sie das bekommen, was ihnen verheißen wurde, und zwar in der Auferstehung. Verheißungen und Auferstehung gehören daher zusammen. Darüber hinaus ist das mit dem Glauben an die Auferstehung des Messias verbunden, der gekommen war, um die Verheißungen zu erfüllen, den sie jedoch verworfen und getötet hatten. Paulus spricht über die zukünftige Wiederherstellung Israels und eröffnet damit seinen Zuhörern eine große Perspektive.
Er will mit seinen Worten insbesondere König Agrippa erreichen, was er mit einem „o König“ ausdrückt. Anschließend stellt er allen eine Frage. Er legt allen Anwesenden die Frage auf Herz und Gewissen, warum sie es für nicht glaubhaft halten, dass Gott Tote auferwecken kann. Mit dieser Frage wird die Auferstehung das zentrale Thema dieser Rede des Paulus. Wer an Gott glaubt, muss an Ihn als den Gott der Auferstehung glauben. Das ist der Kern der Meinungsverschiedenheit zwischen den ungläubigen Juden und Heiden einerseits und den Christen andererseits.
9 - 11 Der Eifer des Paulus gegen das Christentum
9 Ich meinte freilich bei mir selbst, gegen den Namen Jesu, des Nazaräers, viel Feindseliges tun zu müssen, 10 was ich auch in Jerusalem getan habe; und viele der Heiligen habe ich in Gefängnisse eingeschlossen, nachdem ich von den Hohenpriestern die Vollmacht empfangen hatte; und wenn sie umgebracht wurden, gab ich meine Stimme dazu. 11 Und sie in allen Synagogen oftmals strafend, zwang ich sie zu lästern; und übermäßig gegen sie rasend, verfolgte ich sie sogar bis in die ausländischen Städte.
Paulus war insbesondere der Mann, für den gilt, was der Herr Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Es kommt aber die Stunde, dass jeder, der euch tötet, meinen wird, Gott einen Dienst zu erweisen“ (Joh 16,2). Er meinte, dass er als Jude dazu verpflichtet war, viel Feindseliges „gegen den Namen Jesu, des Nazaräers“ tun zu müssen. Der Name drückt all das aus, was die Person ist. Paulus hasste diesen Namen, denn dieser Name entsprach nicht seiner tiefsten Glaubensüberzeugung. Jesus, der Nazaräer, der Mann aus Nazareth, war für ihn der große Verführer.
In Jerusalem ging Paulus gegen Ihn wie ein Rasender vor und verfolgte und folterte die, die er jetzt „Heilige“ nennt. Er hatte keinerlei Mitleid mit seinen Opfern. Er zwang sie, dem Namen des Herrn Jesus abzuschwören und hässliche Dinge über Ihn zu sagen. Dass er sie zum Lästern zwang, bedeutet übrigens nicht, dass die Christen das auch getan haben.
Er brannte dermaßen darauf, diese Sekte auszurotten, dass er sich in seinem Eifer dabei nicht auf Jerusalem beschränkte. Die Heiligen waren auch in den ausländischen Städten nicht sicher vor ihm. Sein Verfolgungswahn trieb ihn auch dorthin.
12 - 15 Die Bekehrung des Paulus
12 Als ich dabei mit Vollmacht und Erlaubnis von den Hohenpriestern nach Damaskus reiste, 13 sah ich mitten am Tag auf dem Weg, o König, vom Himmel her ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf, welches mich und die, die mit mir reisten, umstrahlte. 14 Und als wir alle zur Erde niedergefallen waren, hörte ich eine Stimme in hebräischer Mundart zu mir sagen: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es ist hart für dich, gegen den Stachel auszuschlagen. 15 Ich aber sprach: Wer bist du, Herr? Der Herr aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Die Hohenpriester hatten in ihm ein gewaltiges Werkzeug für ihre bösen Absichten. Sie gaben ihm nur zu gern Vollmacht und Auftrag, um diese neue Richtung auch in Damaskus aufzuspüren und auszurotten. Und dann geschah das völlig Unerwartete. Auf dem Höhepunkt seines Fanatismus findet die Umkehr statt. An der spannendsten Stelle seines Berichts erlebt Paulus erneut das beeindruckende Geschehen. Was er damals sah, kann er nicht leugnen. Wie kann jemand eine persönliche Erfahrung, die er selbst wahrgenommen hat, leugnen?
Mit einem „o König“ betont Paulus nachdrücklich vor Agrippa die Erfahrung, die er machte. Er sah mitten am Tag ein Licht, dass den Glanz der Mittagssonne übertraf. Das kann nichts anderes sein als das Licht des Herrn Jesus, der mit der Sonne verglichen wird (Mal 3,20). Bis zu diesem Augenblick war dieser Mann durch seinen gesetzlichen Eifer blind für die Gnade Gottes in Christus. Nun scheint das Licht in seine Seele. Jetzt offenbart dieser Christus sich selbst und fegt damit alles, worauf Paulus sich als Jude etwas eingebildet und worauf er sich gestützt hatte, weg und macht es zu nichts.
Das ist der Augenblick seiner Bekehrung. Paulus kommt am helllichten Tag zur Bekehrung – der Gefängniswärter mitten in der Nacht (Apg 16,25.33). Den Eindruck, den das auf ihn gemacht hat, betont er hier noch viel stärker als beim letzten Mal, als er seine Bekehrungsgeschichte erzählte. Damals sprach er von einem großen Licht aus dem Himmel (Apg 22,6). Nun spricht er von einem Licht vom Himmel her, das den Glanz der Sonne übertraf. Das zeigt, dass sein Eindruck von der Person des Herrn immer größer wird. So sollte es auch bei uns sein. Je länger wir mit dem Herrn leben, desto größer muss Er für uns werden. Von dieser zunehmenden Größe sollten wir auch immer zeugen können.
Das Licht umstrahlte nicht nur Paulus, sondern auch alle, die mit ihm reisten. Alle fielen zu Boden. Was seine Begleiter möglicherweise lediglich für ein Naturereignis hielten, war für Paulus mehr. Er hörte eine Stimme, die ihn auf Hebräisch anredete und ihn mit seinem hebräischen Namen ansprach.
Sein Name Saul erinnert an König Saul. Vielleicht haben seine Eltern ihn so genannt, weil sie von ihm dasselbe erwarteten, was sie von Saul wussten. König Saul war größer als alles Volk, und sie wollten, dass ihr Sohn das auch werden würde. Die Parallele hat sich in geistlicher Hinsicht auch erfüllt und das nicht nur in der Tatsache, dass er in Kenntnis und Eifer über seine Zeitgenossen hinausragte. König Saul wurde ein Verfolger von Gottes gesalbtem König David. Der neutestamentliche Saul wurde ein Verfolger des Messias Gottes (das bedeutet „Gesalbter“).
Gott hat ihn gewarnt auf diesem Weg des Widerstands und der Verfolgung der Juden, die an den Messias glaubten. Gott hat ihn die Stacheln seines Wortes spüren lassen (Pred 12,11). Diese Stacheln sehen wir im Zeugnis des Stephanus und der anderen Gläubigen, die er folterte. Die Worte dieser Gläubigen hat er gespürt, aber er wollte nicht darauf hören. Doch dann kam der Augenblick des Durchbruchs auf dem Weg nach Damaskus.
Die Antwort auf die Frage des Herrn ist eine Frage von Paulus, die seine sofortige Unterwerfung deutlich macht. Er fragt: „Wer bist du, Herr?“ Die Antwort war, dass er „Jesus“ verfolgte und das, obwohl er doch die Gemeinde verfolgte. „Jesus“ ist der Name des Herrn in seiner Erniedrigung auf der Erde, der sich mit seiner verfolgten und erniedrigten Gemeinde einsmacht. Paulus hielt Ihn für tot und betrachtete den Weg, den er verfolgte, als gefährlich. Dieses Bild und all seine daraus resultierenden Aktivitäten, durch die er meinte, Gott einen Dienst zu erweisen, wurden durch diese Begegnung plötzlich umgestoßen.
16 - 18 Der Auftrag des Herrn an Paulus
16 Aber richte dich auf und stelle dich auf deine Füße; denn dazu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen zu bestimmen, sowohl dessen, was du gesehen hast, als auch dessen, worin ich dir erscheinen werde, 17 indem ich dich herausnehme aus dem Volk und aus den Nationen, zu denen ich dich sende, 18 um ihre Augen aufzutun, damit sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind.
Sein Leben bekommt von diesem Augenblick an eine radikale Wende, eine völlig andere Richtung. Der Herr hatte nicht nur zu ihm geredet, um ihn zur Bekehrung und zur Errettung zu führen. Er sollte aufstehen, sich auf seine Füße stellen, denn der Herr wollte aus ihm einen Diener und Zeugen machen. Paulus erfährt sofort das Ziel seiner Bekehrung. Das gilt auch für uns (1Thes 1,9.10; Heb 9,14). Ein großes Werk lag vor ihm. Dazu war der Herr ihm erschienen.
Sein Zeugnis hatte daher auch einen verherrlichten Herrn als Inhalt. Er ist ein völlig anderer Zeuge als es die zwölf Apostel waren, die mit dem Herrn durch Israel zogen. So wie der Dienst des Petrus und Johannes gekennzeichnet wurde durch den Christus auf der Erde, so wird sein Dienst durch einen verherrlichten Herrn, einen Herrn im Himmel, gekennzeichnet. Der Herr sollte ihm noch weiter erscheinen, und zwar im Blick auf die Verkündigung des Geheimnisses: Christus und seine Gemeinde.
Sein Dienst sollte auch gekennzeichnet werden durch die Loslösung aus dem Judentum und von allen anderen Menschen, um abgesondert zu werden zu einem Dienst an ihnen allen. Er nimmt eine auserwählte Stellung ein sowohl im Blick auf das Judentum als auch auf das Heidentum. Er hat für Menschen aus beiden Bereichen eine Botschaft vom Herrn, der ihn zu ihnen sendet. Er muss die Botschaft sowohl den verblendeten Juden bringen als auch den Heiden. Das Judentum hat seine bevorrechtigte Stellung verloren.
So wurden auch wir in vergleichbarer Weise bei unserer Bekehrung aus der Welt herausgenommen (Gal 1,4). Das bedeutet nicht, dass wir isoliert leben sollen, nein, wir werden sofort wieder dorthin zurückgeschickt (Joh 20,21), damit wir den verlorenen Menschen dienen, so dass auch sie zur Bekehrung kommen.
Gott allein kann die Augen öffnen (Ps 146,8). Dennoch bekommt Paulus den Auftrag, das auch zu tun. Das Öffnen der Augen bedeutet, dass jemandem die Augen über seinen Zustand vor Gott geöffnet werden, damit er anschließend sieht, was ihm alles von Gott geschenkt wird. Um die Augen anderer öffnen zu können, müssen wir einen Blick für die Gelegenheiten haben, die Gott dazu gibt. So hat Paulus zum Beispiel die Augen der Athener geöffnet, indem er sie auf den Altar für den unbekannten Gott hinwies (Apg 17,22.23). Hier steht er vor Agrippa, dessen Augen er ebenfalls öffnen möchte. Zu ihm spricht er auf eindringliche Weise.
Die wenigen Worte, die der Herr Jesus darüber zu ihm gesprochen hat und die er nun an Agrippa weitergibt, enthalten die ganze Fülle des Evangeliums. Durch das Evangelium werden die Augen eines Menschen geöffnet, dadurch kommt er ins Licht und zu Gott (vgl Kol 1,12) mit allen entsprechenden herrlichen Folgen. An erster Stelle geht es darum, dass die Menschen sich aus der Macht der Finsternis zum Licht bekehren. Von diesem Licht hat Paulus gerade auf eindrucksvolle Weise ein persönliches Zeugnis abgelegt. Die Macht der Finsternis ist die Finsternis, in der die Seele durch die Sünde eingehüllt ist. Diese Macht der Finsternis herrschte auch in der Seele des Paulus, trotz all seiner Religiosität.
Die Menschen müssen sich auch von der Macht Satans zu Gott bekehren. Die Macht Satans hat mit der äußeren Gebundenheit zu tun, in der Menschen ein Leben führen, bei dem sie sich allein um sich selbst und die Befriedigung eigener Bedürfnisse drehen. Auch dazu hat Paulus Zeugnis abgelegt. Wer sinnvoll leben will, muss sich zu Gott bekehren. Gott ist der Schöpfer und weiß vollkommen, was zu einem Leben zu seiner Ehre erforderlich ist, dazu schenkt Er alles Nötige. Ein solches Leben ist ein Leben der Gottesfurcht, die zu allen Dingen nützlich ist, da sie „die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen“ (1Tim 4,8).
Die Folgen der Bekehrung sind beachtlich. Davon spricht Paulus ebenfalls. Es ist ein Leben, das die Vergebung der Sünden zur Grundlage hat. Dieses Leben bekommt man, wenn man an den Herr Jesus glaubt. Die Vergebung der Sünden führt zu dem Bewusstsein, dass nichts mehr zwischen dem heiligen Gott und dem sündigen Menschen steht, der sich bekehrt hat. Wenn die Sünden vergeben sind, die einen Menschen von Gott trennten, öffnet das dem Herrn den Weg, jeder bekehrten Seele ein Erbteil unter den Geheiligten zu geben.
Das Christentum besteht nicht in der Erfüllung der einen oder anderen Vorschrift des Judentums, sondern geht weit darüber hinaus. Es geht um „ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind“, ein Erbteil, gemeinsam mit allen anderen Heiligen, im Licht. Es ist nicht ein Erbteil auf der Erde, sondern im Licht (Kol 1,12). Es ist ein Erbteil mit Christus (Eph 1,10.11). All diese herrlichen Dinge gründen sich auf den Glauben an Ihn, den Paulus früher derart hasste. Es ist der Herr, der Paulus aufgerichtet hat.
19 - 23 Die Arbeit des Paulus als Apostel
19 Daher, König Agrippa, war ich dem himmlischen Gesicht nicht ungehorsam, 20 sondern verkündigte zuerst denen in Damaskus und auch in Jerusalem und in der ganzen Landschaft von Judäa und den Nationen, Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren und der Buße würdige Werke zu vollbringen. 21 Deshalb haben mich die Juden, als ich im Tempel war, ergriffen und versucht, mich zu ermorden. 22 Da mir nun der Beistand von Gott zuteilwurde, stehe ich bis zu diesem Tag da und bezeuge sowohl vor Kleinen als Großen, indem ich nichts sage außer dem, was auch die Propheten und Mose geredet haben, dass es geschehen werde, 23 nämlich, dass der Christus leiden sollte, dass er als Erster durch Toten-Auferstehung Licht verkündigen sollte, sowohl dem Volk als auch den Nationen.
Mit einem „Daher“ wendet sich Paulus erneut an König Agrippa persönlich. Nachdem der König dies alles so gehört hat, ist es da nicht klar, dass Paulus diesem himmlischen Gesicht nicht ungehorsam sein konnte? Das war für ihn einfach unmöglich. Es geht sowohl um den direkten Gehorsam gegenüber dem, der ihm erschienen ist, als auch um das große Vorrecht, das bekanntzumachen, was er gesehen hat. Davon will man einfach Zeugnis ablegen, denn dazu wird man innerlich einfach gedrängt. Andere können eine solche persönliche Erfahrung ablehnen, aber niemand kann sie ungeschehen machen. Solche persönlichen Begegnungen mit dem Herrn sind auch heute entscheidend für die Art und Weise, wie wir unser Zeugnis ablegen.
Paulus berichtet, was für eine Auswirkung diese Begegnung und der damit verbundene Auftrag für ihn hatten. Er hat sich mit demselben Eifer, mit dem er zuvor das Christentum bekämpfte, für dessen Verbreitung eingesetzt, indem er das Evangelium verkündigte. Er hat damit sofort in Damaskus angefangen. Danach hat er es in Jerusalem verkündigt, dann in der ganzen Landschaft von Judäa und anschließend den Völkern. Er hat das Evangelium in seinen grundlegendsten Elementen verkündigt.
Er spricht weiter davon, was er gepredigt hat. Damit beschreibt er auch Agrippa und allen anderen Anwesenden den Weg des Heils. Es geht darum, dass Menschen Buße tun, das bedeutet, dass sie in ihrem Denken umkehren, zur Einkehr kommen, und ihre Sünden vor Gott bekennen. Mit dieser inneren Veränderung muss zugleich eine Bekehrung zu Gott einhergehen, das heißt, dass Gott Autorität über das Leben bekommt und den Kurs des Lebens bestimmen kann.
Paulus weist seine Zuhörer auch darauf hin, dass es dabei nicht um ein Lippenbekenntnis geht. Er hat auch verkündigt, dass nach der Buße und der Bekehrung Werke folgen müssen, die damit übereinstimmen (Mt 3,8). Der Glaube ohne die Werke ist tot (Jak 2,17). Es geht nicht um Werke, die zur Errettung führen, sondern um Werke, die aus der Errettung hervorkommen.
Diese Predigt war der Grund dafür, dass die Juden ihn im Tempel griffen und versuchten, ihn umzubringen (Apg 21,30.31). Dass ihnen das nicht gelungen ist, schreibt er der Hilfe Gottes zu. Gott hat ihn am Leben erhalten, damit er Zeugnis ablege, was er auch bis zu diesem Augenblick immer noch tut. Er steht hier vor den Großen der Erde, doch sein Zeugnis gilt auch den Kleinen, den gewöhnlichen Bürgern. Klein und Groß müssen ja Verantwortung ablegen und werden nach den eigenen Werken beurteilt (Off 20,12).
In allen Zeugnissen, die er abgelegt hat, hat er niemals etwas gesagt, was mit dem Zeugnis der Propheten und Moses nicht in Übereinstimmung war. Sowohl die Propheten als auch Mose haben das Kommen des Messias und sein Reich angekündigt. Die Juden irrten sich daher auch nicht bezüglich der Erwartung des Messias und seines Reiches, dessen Mittelpunkt Israel sein würde. Blind waren sie jedoch für das Zeugnis des Gesetzes und der Propheten, dass der Messias leiden und getötet werden und aus den Toten auferstehen müsste.
Das bedeutet, dass Paulus nichts verkündigt hatte, was im Widerspruch zum Alten Testament stand. Er bringt nichts Neues, keine entgegengesetzte Lehre, sondern das, was das Alte Testament immer schon als Hoffnung für Israel und auch für die Nationen vorgestellt hat (Jes 42,6; 49,6; 60,1–3). Das erklärte der Herr auch den Emmaus-Jüngern und seinen Jüngern (Lk 24,26.27.44–47). Die Leiden und die Auferstehung Christi bilden den Kern des Evangeliums für Juden und Heiden.
24 - 26 Festus unterbricht die Rede des Paulus
24 Während er aber dies zur Verteidigung sagt, spricht Festus mit lauter Stimme: Du bist von Sinnen, Paulus! Die große Gelehrsamkeit bringt dich zum Wahnsinn. 25 Paulus aber spricht: Ich bin nicht von Sinnen, vortrefflichster Festus, sondern ich rede Worte der Wahrheit und der Besonnenheit. 26 Um diese Dinge weiß ja der König, zu dem ich auch mit Freimütigkeit rede. Denn ich bin überzeugt, dass ihm nichts davon verborgen ist, denn dies ist nicht in einem Winkel geschehen.
Als Paulus von den Leiden und der Auferstehung Christi spricht, fällt Festus ihm ins Wort. Er meint, Paulus sei wahnsinnig geworden und würde wirres Zeug reden. Wie oft wurden Christen im Lauf der Jahrhunderte für verrückt erklärt (1Kor 4,10; 2Kor 5,13). Auch der Herr wurde so beschimpft (Mk 3,20.21; Joh 10,20). Festus sieht die Rede des Paulus als Ausdruck des Aberglaubens eines Juden an, als den Traum eines Mannes, der nichts anderes kann als Lesen und Studieren.
Der Wahnsinn ist die Verzückung, die Festus bei Paulus wahrzunehmen meint, doch er begreift nichts von dem, was Paulus sagt. Festus hat keine Ahnung vom Inhalt der Worte, die er hört. Er gleicht den Reisegefährten des Paulus, die mit ihm nach Damaskus reisten. Sie hörten zwar das Geräusch einer Stimme, jedoch nicht das, was gesagt wurde (Apg 9,7; 22,9).
Paulus ist durch das Werturteil des Festus nicht aus dem Feld geschlagen oder beleidigt. Im Gegenteil, er sieht so einen neuen Anlass für das Evangelium. Der Glaube steht nicht im Gegensatz zur Wahrheit oder zum Verstand. Der Glaube bezeugt gerade die Wahrheit und einen gesunden Verstand. Früher war er wohl von Sinnen (Vers 11), doch jetzt nicht mehr (vgl. Lk 8,35).
Festus hatte wirklich seine Chance. Er spricht nun Agrippa an, der sehr wohl um diese Dinge weiß. Paulus spricht gegenüber Festus – und das im Beisein von Agrippa – die Überzeugung aus, dass Agrippa alles vollständig kennt, was geschehen ist. Es ist ja nicht an einem kleinen Ort in einem zurückgebliebenen Gebiet geschehen. Es sind Weltnachrichten.
27 - 32 Agrippa wird vor die Wahl gestellt
27 Glaubst du, König Agrippa, den Propheten? Ich weiß, dass du glaubst. 28 Agrippa aber sprach zu Paulus: In kurzem überredest du mich, ein Christ zu werden. 29 Paulus aber sprach: Ich möchte wohl zu Gott beten, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Fesseln. – 30 Und der König stand auf und der Statthalter und Bernice und die, die mit ihnen dasaßen. 31 Und als sie sich zurückgezogen hatten, redeten sie miteinander und sagten: Dieser Mensch tut nichts, was des Todes oder der Fesseln wert wäre. 32 Agrippa aber sprach zu Festus: Dieser Mensch hätte freigelassen werden können, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.
Danach richtet sich Paulus ganz direkt an Agrippa. Paulus weiß, dass Agrippa den Propheten glaubt. Allerdings bringt diese Art von Glauben, die Agrippa hat, niemanden zur Bekehrung. Das Kennen der Tatsachen des Christentums reicht nicht aus. Es muss ein Werk des Heiligen Geistes im Herzen stattfinden und das Wort Gottes muss auf Herz und Gewissen angewandt werden, so dass jemand seine Sünden erkennt und Zuflucht zum Herrn Jesus nimmt. Das bedeutet jedoch nicht, dass Paulus das Bekenntnis von Agrippa nicht ernstnehmen würde. Er sieht darin einen Anknüpfungspunkt, ihn für das Evangelium zu gewinnen.
Doch für Agrippa, der wohl sehr aufmerksam zugehört hat, ist diese Konfrontation zu frontal. Mit einem Scheinargument zieht er „seinen Kopf aus der Schlinge“. Er wollte zwar alles über den neuen Gottesdienst wissen, wünscht aber nicht, persönlich angesprochen zu werden. Mit einer womöglich spöttisch gemeinten Bemerkung weicht er dem Druck aus, den Paulus auf ihn legt. Er begreift sehr gut, dass es Paulus darum geht, ihn zu einem Christen zu machen. Er gebraucht den Namen „Christ“, was zeigt, dass dieser Name für die Nachfolger Christi seit Kapitel 11,26 allgemein verbreitet war und gebraucht wurde. Vielleicht benutzt er diese Ausrede, damit er sich nicht vor der erlauchten Gesellschaft blamiert (vgl. Mt 14,9).
In seiner Reaktion darauf ruft Paulus noch allgemeiner auf und spricht alle an. Der sehnliche Wunsch seines Herzens ist es, dass sich nicht nur Agrippa retten lässt, sondern dass sich alle retten lassen. Er ist reich in Gott, und als solcher konnte er sich als Beispiel für Glück nennen. Die Jahre im Gefängnis waren gesegnete Jahre. Die mehr als zwei Jahre, die er ungerechterweise im Gefängnis war, haben aus ihm nicht einen verbitterten Mann gemacht, sondern einen Mann, der die Gnade umso heller erstrahlen lassen kann.
Er gönnt ihnen sein inneres Glück, nicht seine Fesseln. Er wünscht nicht, dass jemand so ungerecht behandelt wird wie er. Das ist Christentum. Die Gnade erhebt sich über alles Böse. Die Gnade wünscht anderen das Beste, sogar denen, die sich der zeitlichen Ergötzung der Sünde hingeben. Für Felix war Paulus der Prediger der Gerechtigkeit (Apg 24,25). Für Agrippa und Festus ist er der, der den Segen besitzt, der weit über alle irdische Herrlichkeit hinausgeht.
Nach diesen Worten des Paulus folgt kein spöttisches Reden mehr, auch kein drohendes Reden. Stattdessen steht die ganze Gesellschaft auf und geht fort. Sie ziehen sich zurück, um sich zu beraten. Diese Beratung ergibt erneut, dass Paulus nichts Unrechtes getan hat. Die Schlussfolgerung ist, dass dieser Mensch hätte freigelassen werden können. Da er sich jedoch auf den Kaiser berufen hat, muss er nach Rom. Sie konnten auch nichts anderes beschließen, denn das ist der souveräne Weg Gottes, den Er für seinen Diener bestimmt hat.