1 Noomi sucht Ruhe für Ruth
1 Und Noomi, ihre Schwiegermutter, sprach zu ihr: Meine Tochter, sollte ich dir nicht Ruhe suchen, dass es dir wohl gehe?
In den fünfzig Tagen, die Ruth in der Nähe des Boas verbracht hat, hat Boas ihr nichts von seiner Liebe zu ihr gesagt. Die Zeit dafür war noch nicht da und auch nicht die Gelegenheit dazu. Ruth war noch nicht soweit. Boas wartet sozusagen darauf, dass sie sich auf seine Gnade beruft. Die Gnade ist zwar vorhanden, aber Ruth kann sie erst empfangen und erfahren, wenn sie darum bittet. Hinzu kommt, dass Boas sie noch nicht bitten kann, seine Frau zu werden, weil es noch einen näherstehenden Löser gibt. Außerdem steht im Gesetz, dass es für einen Angehörigen des Volkes Gottes verboten ist, sich mit jemandem von den Moabitern zu verbinden (5Mo 23,4).
Das eine wie das andere bedeutet, dass alles nur auf der Grundlage der Gnade möglich ist. Wenn man sich auf die Gnade beruft, wird sie triumphieren. Das kommt in einer sehr schönen Weise in dem Appell zum Ausdruck, den eine kananäische Frau wegen ihrer Tochter an den Herrn Jesus richtet (Mt 15,21–28). Wer so zu Gott kommt, den erhört Er.
Noomi weiß, dass es für Ruth nur eine Möglichkeit gibt, Ruhe zu finden: Sie muss dazu den richtigen Mann heiraten. Während Ruth in Kapitel 2 die Initiative ergriffen hatte, um für Nahrung zu sorgen (Rt 2,2), ergreift in diesem Fall jetzt Noomi die Initiative. Die Ruhe, die Noomi sucht, liegt darin, dass Ruth Boas heiratet und Ruhe findet in einem eigenen Haus und einer eigenen Familie mit Kindern.
Diese Ruhe hatte sie Ruth auch schon früher gewünscht, als sie Ruth nach Moab zurückschicken wollte, mit dem unpassenden Wunsch, dort im Haus eines moabitischen Mannes Ruhe zu finden (Rt 1,9). Hätte Ruth damals auf sie gehört, hätte sie Boas niemals kennengelernt und weiterhin den Götzen Moabs gedient, anstatt mit dem wahren Gott in Verbindung zu kommen, dem Gott Israels.
Hieraus können wir im Blick auf den Wunsch nach einem Ehepartner eine praktische Lehre ziehen. Es ist ganz wichtig, dass man in diesem Punkt den Willen des Herrn erkennt und darauf vertraut, dass Er weiß, wer zu wem passt. Wer in diesen Dingen seinen eigenen Willen tut, findet in der Ehe keine Ruhe, sondern Unruhe. Die Ehe soll eine Oase der Ruhe sein, trotz des Trubels, den es da vor allem geben mag, wenn mehrere Kinder zu erziehen und zu versorgen sind. Doch wer dem Willen Gottes in diesem Punkt folgt, wird die innere Ruhe finden, die Gott mit der Ehe verbunden hat.
Es ist wichtig, dass Eltern diese Ruhe für ihre Kinder suchen, so wie es Noomi hier für Ruth tut. Eine egoistische Haltung kann bei Eltern dazu führen, dass sie zwar einen guten Partner für ihr Kind suchen, das heißt jemanden, mit dem sie prahlen können, dass sie dabei aber nicht an die Quelle der Unruhe denken, die sie dadurch möglicherweise für ihr Kind schaffen.
Noch eine Bemerkung im Zusammenhang mit der Aktualität dieses Themas: Allgemein gesehen haben Frauen heute den Drang, außer Haus zu arbeiten. Dann kann man keine Ruhe im eigenen Haus finden! Das passt einfach nicht zusammen. Auch hier gilt: Wer hierin dem Willen Gottes entspricht, wird wirkliche Befriedigung finden.
Dem Wunsch, dass es jemandem „wohl gehe“, begegnen wir auch im Gesetz und besonders in dem Gebot für die Kinder, ihre Eltern zu ehren (5Mo 5,16). Paulus führt dieses Gebot im Brief an die Epheser an, wobei er ausdrücklich darauf hinweist, dass dies das einzige Gebot ist, dem nicht eine Strafandrohung bei Nichtbeachtung folgt, sondern dass dies das erste Gebot mit Verheißung ist. Die Verheißung besteht darin, dass es dem Kind, das seine Eltern ehrt, gut gehen wird (Eph 6,2.3).
2 Noomi weiß, wer Boas ist und wo er ist
2 Und nun, ist nicht Boas, bei dessen Mägden du gewesen bist, unser Verwandter? Siehe, er worfelt diese Nacht auf der Gerstentenne.
Noomi weist Ruth darauf hin, dass Boas „unser Verwandter“ ist. Damit sagt sie, dass sie und Ruth ein gemeinsames Familienmitglied haben. Das lässt uns an den Herrn Jesus denken, der uns Menschen gleich geworden ist (Heb 2,14; Röm 8,3), „ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15). Wenn Noomi auf die Verwandtschaft hinweist, scheint sie dabei auch an die Schwagerpflicht zu denken (5Mo 25,5–10). Zwar kann man sich hier nicht direkt auf die Schwagerpflicht berufen, denn Boas ist kein Bruder von Machlon, Ruths verstorbenem Mann, doch der Gedanke an die Schwagerpflicht kann durchaus eine Rolle gespielt haben.
Wenn es zu einer Ehe zwischen Boas und Ruth kommen soll, kann es nur über diesen Weg gehen. Dabei überbrückt die Gnade die weite Entfernung in der Verwandtschaftsbeziehung. Noomi muss auch von dem Verbot wissen, eine Moabiterin zu heiraten (5Mo 23,4). Sie weiß aber, dass sie ein Gegenstand der Gnade Gottes ist, der sie und Ruth in sein Land zurückgebracht hat. Auch wenn in diesem Fall zwei Gebote miteinander unvereinbar zu sein scheinen, weiß Noomi, dass Gott größer ist und es den Ausweg der Gnade gibt. Das ist der Weg, auf dem sie Segen empfangen können, und diesen Weg stellt sie Ruth vor.
Das Bewusstsein der Verwandtschaft zwischen ihnen und Boas ist der Ausgangspunkt ihres Planes, den sie Ruth vorschlagen wird. Boas hat schon so sehr seine Zuneigung spüren lassen, dass sie sich dadurch regelrecht aufgefordert fühlt, jetzt auch zu handeln. Glauben und im Glauben handeln gehören zusammen. Der Glaube macht nicht passiv, sondern bewirkt ein Handeln. Der Glaube an Gottes Güte ist ein großer Ansporn zur Aktivität. Ein Handeln im Glauben ist kein Sprung ins Dunkle mit einem unsicheren Ausgang. Ein Handeln im Glauben geschieht im Vertrauen darauf, dass Gott den Glauben belohnen wird.
Ruth ist bei den „Mägden“, bei Boas’ Arbeiterinnen, gewesen. Diese Zeit ist vorbei. Sie kehrt nicht zu ihnen zurück. Nun ist sie bereit für ein Treffen und eine persönliche Beziehung mit Boas. Die geeignetste Gelegenheit dafür bietet sich dann, wenn die Ernte eingebracht ist. Die Ernte wird auf die Tenne gebracht, um vom Besitzer geworfelt zu werden. Gleichzeitig wird gegessen und getrunken, um die reiche Ernte zu feiern, und der Besitzer, Boas, freut sich.
Der Herr Jesus wird auch seinen Ernteertrag worfeln (Mt 3,12). Er wird sein Volk in der Zukunft worfeln, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Spreu ist die gottlose, untreue Menge des Volkes, das sich gegen Ihn auflehnt. Der Weizen ist der gottesfürchtige Teil, der in der großen Drangsal zur Läuterung seines Glaubens durch schwere Prüfungen geht.
Wir können das auch auf uns selbst anwenden. Der Herr Jesus sagt zu Petrus, dass der Satan begehrt hat, die Jünger zu sichten (das ist ein anderes Wort für worfeln) wie den Weizen. Es ist klar, dass es dem Satan dabei um die Spreu geht (Lk 22,31).
Eine „Tenne“ kommt mehrere Male in der Schrift vor und ist ein vielsagendes Bild. Dort wird das Korn aus der Ähre geschlagen und von der Spreu getrennt. Eine Tenne spricht deshalb auch vom Gericht, das klärt, wer dem Herrn angehört und wer nicht. In unserem persönlichen Leben muss auch geworfelt werden. Das tut der Herr oder lässt es beispielsweise durch Ereignisse in unserem Leben geschehen, in denen wir seine Hand erkennen. Er beschäftigt sich mit uns, um alle Wesenszüge, die nicht seine Wesenszüge sind, aus unserem Leben zu entfernen. Alle Wesenszüge, die nicht seine Wesenszüge sind, verhindern, dass sein Leben in unserem Leben sichtbar wird.
3 - 4 Noomis Anweisungen an Ruth
3 So bade dich und salbe dich und lege deine Kleider an und geh zur Tenne hinab; lass dich nicht von dem Mann bemerken, bis er fertig ist mit Essen und Trinken. 4 Und es geschehe, wenn er sich niederlegt, so merke dir den Ort, wo er sich hinlegt, und geh und decke zu seinen Füßen auf und lege dich hin; er aber wird dir mitteilen, was du tun sollst.
Bevor Ruth zu Boas gehen kann, muss sie einige Dinge tun: Sie muss sich waschen, salben und ihre besten Kleider anziehen. Man wäscht sich, um schön oder sauber zu werden. Das ist in geistlicher Hinsicht auch so. In geistlicher Hinsicht bedeutet das Waschen, dass man sich durch das Lesen des Wortes Gottes in seinem Herzen und in seinem Denken reinigen lässt (Joh 15,3; Eph 5,26; 1Pet 1,22). Nur wenn jemand gereinigt ist, kann er Teil haben (Gemeinschaft haben) mit dem Herrn Jesus (Joh 13,8). Ruth muss sich waschen, um rein zu sein und dann Gemeinschaft mit Boas zu haben.
Anschließend muss sie sich salben. Man salbt sich mit Salböl. Das Salben mit Öl ist ein Bild von der Salbung mit dem Heiligen Geist. Gottes Kinder sind gesalbt mit dem Heiligen Geist (1Joh 2,20.27). Wer mit dem Heiligen Geist gesalbt ist – und das ist jedes Kind Gottes! –, soll das auch in seinem Leben sehen lassen, indem er die Frucht des Geistes zeigt.
Es geht darum, dass wir mit dem Geist erfüllt werden (Eph 5,18). Das ist ein Auftrag. Es ist unsere Verantwortung, dass wir dem Heiligen Geist in unserem Leben Raum geben. Das bedeutet, dass unser ganzes Leben von Ihm bestimmt ist, dass wir leben und wandeln durch den Geist (Gal 5,16). Dadurch soll das Leben einen angenehmen Duft verbreiten (vgl. Joh 12,3). Bei Ruth bedeutet es, dass nicht mehr der Geruch Moabs an ihr haftet (Jer 48,11), sondern der Duft der neuen Beziehung, die sie eingehen will. Wir sollten uns selbst die Frage stellen: „Welchen Duft verbreiten wir?“
Sie zieht die besten Kleider an, die sie hat. Die Kleider weisen auf das Verhalten hin. Was die Menschen von uns sehen, ist unser Verhalten und sind unsere Taten, genauso wie sie unsere Kleidung sehen. Es ist Gottes Absicht, dass wir durch unsere Taten „die Lehre, die unseres Heiland-Gottes ist zieren in allem“ (Tit 2,10). Was das Wort Gottes und der Heilige Geist in uns bewirken, wird in unserem Äußeren sichtbar, in der Art und Weise wie wir reden und handeln.
Unser Umgang mit dem Herrn, unser Verlangen, bei Ihm zu sein und mit und für Ihn zu leben, wird einen reinigenden Einfluss auf unser Leben haben (1Joh 3,3; vgl. Off 22,11.12). Sehen die Menschen um uns her, dass wir mit dem Herrn Jesus bekleidet sind? Wir stehen vor Gott als „begnadigt in dem Geliebten“ oder, wie es auch übersetzt werden kann, als „angenehm gemacht in dem Geliebten“ (Eph 1,6), mit dem Ziel, das auch sehen zu lassen. Wir werden angespornt, die Kennzeichen des neuen Menschen zu zeigen (Kol 3,12; Röm 13,14). In äußerer Hinsicht geschieht dies, wenn wir uns taufen lassen (Gal 3,27).
Nach diesen drei Handlungen kann Ruth zu Boas gehen. Doch sie soll sich erst von ihm bemerken lassen, wenn er gegessen und getrunken hat. Das weist darauf hin, dass wir erst mit dem Herrn Jesus in Verbindung kommen konnten, nachdem Er den Willen des Vaters vollkommen ausgeführt hatte. Den Willen des Vaters zu tun war seine Speise (Joh 4,34), sein Essen und Trinken. Gleichzeitig ist in diesem Rat auch enthalten, dass sie sich nicht auffallend verhalten soll, um von ihm gesehen zu werden. Alles spricht von Bescheidenheit und Sittsamkeit.
Noomi hat Ruth Ratschläge für ihre persönliche Pflege gegeben. Auch hat sie Ruth darauf hingewiesen, dass sie sich bescheiden verhalten und sich nicht aufdrängen soll. Das ist bei Boas nicht nötig. Auch als sie Ruth nun erklärt, wie sie sich Boas nähern soll, spricht das von Bescheidenheit. Ruth muss zunächst wissen, wo Boas die Nacht verbringen wird. Das bedeutet, dass sie gut darauf achten muss, wo sich Boas aufhält und wo er hingeht. Sie muss ihm mit ihren Augen folgen, sie muss ihn ständig im Auge behalten. Das gilt auch für unsere Beziehung zu dem Herrn Jesus. Der Umgang mit Ihm, jedes Wort, das wir in seinem Wort über Ihn lesen, lässt uns seine Wege erkennen.
Wenn sie ihn dann sozusagen lokalisiert hat, soll sie zu ihm gehen. Das Folgende – zu seinen Füßen aufdecken und sich hinlegen – bedeutet so viel wie ihn fragen, ob er sie heiraten will. Indem sie sich unter dieselbe Decke legt, bietet sie sich an, seine Frau zu werden. Sie legt sich allerdings nicht an seine Seite, dazu hat sie (noch) kein Recht, sondern zu seinen Füßen. Sie will seine Magd sein. Das hat das Bewusstsein seiner Gnade bei ihr bewirkt. Sie ist abhängig von Gnade.
Noomi hat Boas nun schon so weit kennengelernt, dass sie weiß, wie er reagieren wird. Sie erklärt Ruth, dass Boas ihr alles sagen wird, was sie tun soll. Ruth hat die richtige Gesinnung, um dem zu entsprechen, und Boas hat die Weisheit, dies wahrzunehmen.
Was Ruth hier tut, bedeutet in geistlicher Hinsicht, dass sie sich mit dem Tod des Herrn Jesus einsmacht. Es geht hier nicht um den Sünder, der zu Christus kommt, um neues Leben zu empfangen, sondern um den Gläubigen, der immer mehr von der Wahrheit erfasst im Hinblick auf das, was Christus getan hat, und der das in seinem eigenen Leben verwirklichen will. So ist in geistlicher Hinsicht das Ergebnis aller vorausgegangenen Handlungen, in denen sich die Gesinnung des Gläubigen zeigt, dass der Herr Jesus zeigen wird, was sein Wille ist (vgl. Joh 7,17).
5 - 6 Ruths Gehorsam
5 Und sie sprach zu ihr: Alles, was du sagst, will ich tun. 6 Und sie ging zur Tenne hinab und tat nach allem, was ihre Schwiegermutter ihr geboten hatte.
Ruth will in allem gehorsam sein. Sie begreift nicht, was das alles beinhaltet, sie weiß auch nicht, welche Folgen das hat, aber sie hört auf den weisen Rat ihrer Schwiegermutter, die ebenfalls geistlich gewachsen ist. Noomi kennt das Tun und Lassen von Boas. Deshalb kann sie Ruth die richtigen Anweisungen geben.
Wir können hier praktische Lektionen über die gesegnete Auswirkung einer guten Beziehung zwischen Kindern und Eltern lernen. Wenn man durch eigene Schuld keine gute Beziehung zu den Eltern hat, kann man auch keine gute Beziehung zum Herrn haben. Es gibt keine Schriftstelle, die Kinder dazu aufruft, den Eltern ungehorsam zu sein.
Auch im Verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren in der Gemeinde gilt die Anweisung, dass die Jüngeren sich den Älteren unterordnen sollen: „Ebenso ihr Jüngeren, ordnet euch den Älteren unter“ (1Pet 5,5). In einer guten geistlichen Atmosphäre, wo Ältere wirklich um die Jüngeren besorgt sind, wird das für Jüngere kein Problem sein. Aber auch wenn Ältere sich nicht so weise und besonnen verhalten, wie es ihrem Alter und ihrer Lebenserfahrung eigentlich entsprechen würde, bleibt die Aufforderung für die Jüngeren bestehen, sich ihnen unterzuordnen. Unterwürfigkeit ist eine Haltung, eine Gesinnung.
Was Ruth hier zu ihrer Schwiegermutter sagt, erinnert an das, was Maria später bei der Hochzeit zu Kana zu den Dienern sagt (Joh 2,5). Während es hier um Noomi geht, hat es dort allerdings mit dem zu tun, was der Herr Jesus ihnen sagt. Aber die Gesinnung, die in beiden Aussagen liegt, ist gleich. Nur völliges Vertrauen gegenüber dem Auftraggeber führt zu völligem Gehorsam.
Ruth hat keinerlei Vorbehalte. Sie sagt nicht: „Das kann ich nicht.“ Es kommt auch kein „Ja, aber“ aus ihrem Mund. Ohne eine Spur von Selbstsicherheit spricht sie entschlossen aus, dass sie alles tun will, was Noomi gesagt hat. Das liegt daran, dass sie von der Richtigkeit dessen, was Noomi gesagt hat, überzeugt ist und weil sie weiß, dass Noomi Boas kennt.
Ruth sagt nicht nur, dass sie alles tun will, was Noomi gesagt hat, sie tut es auch. Ihre Antwort entspringt nicht einer Gefühlswallung, sondern einer Entschlossenheit, die sie auch schon gezeigt hat, als sie mit Noomi zog.
7 Ruth legt sich an das Fußende des Boas
7 Und Boas aß und trank, und sein Herz wurde fröhlich; und er kam, um sich am Ende des Getreidehaufens niederzulegen. Da kam sie leise und deckte zu seinen Füßen auf und legte sich hin.
Wie bei Vers 3 bereits erwähnt, weist das Essen und Trinken von Boas vorbildlich auf den Herrn Jesus hin, wie Er den Willen des Vaters tat. Das war seine Speise. Bei Boas sehen wir, dass sein Herz fröhlich ist, nachdem er gegessen und getrunken hat. Diese Freude sehen wir auch beim Herrn Jesus. Er hat auf „die vor ihm liegende Freude“ geblickt (Heb 12,2). Nachdem Er das Werk auf dem Kreuz vollbracht hat, spricht Er davon, Gott zu loben (Ps 22,23.26). An dieser Freude lässt Er sein Volk teilnehmen. Diese Freude gehört einfach zur Ernte: „Sie freuen sich vor dir, gleich der Freude in der Ernte“ (Jes 9,2; Ps 126,6).
Kurz bevor Er das Werk vollbringt, singt der Herr mit seinen Jüngern „ein Loblied“ (Mt 26,30). Er kann das tun, weil Er soeben das Abendmahl eingesetzt und seinen Jüngern die Bedeutung des Abendmahls erklärt hat. Paulus spricht deshalb vom „Kelch des Lobpreises, für den wir [Gott] preisen“ (1Kor 10,16 nach der holländischen Übersetzung). Das spricht von den herrlichen Resultaten des Werkes des Herrn Jesus.
Boas legt sich „am Ende des Getreidehaufens“ nieder. Dieser ist das Ergebnis des Worfelns, durch das nur noch das Korn übriggeblieben ist. Korn spricht von der Frucht des Werkes des Herrn Jesus, der selbst das Weizenkorn ist. Er ist in die Erde gefallen und gestorben (Joh 12,24). Dadurch gibt es viel Frucht. Die Frucht besteht aus unzähligen Weizenkörnern. All diese Weizenkörner sind aus dem einen Weizenkorn hervorgekommen, das in die Erde gefallen und gestorben ist. Und all diese Weizenkörner haben dasselbe Wesen wie das eine Weizenkorn. Darin sehen wir bildlich, dass der Herr Jesus das ewige Leben ist und dass alle, die an Ihn glauben, Ihn als das ewige Leben besitzen. Das ewige Leben, das der Gläubige besitzt, ist kein anderes Leben als der Herr Jesus selbst. Um dieses Leben weitergeben zu können, hat Er sein Leben gelassen und ist Er in den Tod gegangen.
Es ist vielsagend, dass Ruth sich an diesem Platz bei Boas niederlegt. Sie identifiziert sich dort mit ihm. Bildlich gesprochen macht sie sich mit dem eins, der in die Erde gefallen und gestorben ist, um mit Ihm zu neuem Leben aufzuerstehen.
8 - 9 Boas entdeckt Ruth
8 Und es geschah um Mitternacht, da schrak der Mann auf und beugte sich vor: Und siehe, eine Frau lag zu seinen Füßen. 9 Und er sprach: Wer bist du? Und sie sprach: Ich bin Ruth, deine Magd; so breite deine Flügel aus über deine Magd, denn du bist ein Blutsverwandter.
Mitten in der Nacht wird Boas wach. Er erschrickt und beugt sich vor. Er erschrickt, weil er mitten in der Nacht bemerkt, dass jemand bei ihm ist. Das weist eigentlich darauf hin, dass Ruth sich an sein Fußende gelegt hat, ohne dass Boas etwas davon gemerkt hat. Es lässt ihre große Behutsamkeit und Geduld erkennen. Noomi hatte nicht davon gesprochen, dass sie Boas wecken sollte. Darum wartet sie geduldig den Verlauf der Nacht ab. Doch Noomi hatte gesagt, dass Boas ihr sagen würde, was sie tun soll (Vers 4). Er würde schon noch wach werden. Sie wird in ihrer Haltung, die in allem die Abhängigkeit von der Gnade zeigt, nicht beschämt.
Boas entdeckt, dass eine Frau an seinem Fußende liegt. Er fragt, wer sie ist. Es ist mitten in der Nacht. Deshalb ist ein genaues Erkennen kaum möglich. Trotzdem ist es auch nicht ausgeschlossen, dass er Ruth erkannt hat. Sie war fünfzig Tage bei ihm auf dem Feld und er hat sie dabei lieb gewonnen. Sein Herz wird voll von ihr gewesen sein. Die Frage „Wer bist du?“ muss darum auch nicht unbedingt bedeuten, dass er sie nicht erkennt, sondern kann auch beinhalten, dass er ein persönliches Geständnis aus ihrem Mund hören möchte.
Ihre Antwort auf seine Frage ist kennzeichnend für ihre Bescheidenheit: Sie ist seine Magd. Anschließend bittet sie, dass er seine Flügel über sie ausbreiten möge. Das ist indirekt die Frage, ob er sie zur Frau nehmen möchte. Boas hatte früher schon einmal zum Ausdruck gebracht, wie sehr er sie schätzte, weil sie unter den Flügeln des HERRN Zuflucht gesucht hatte (Rt 2,12). Ruth greift Boas’ Worte auf, wird aber noch direkter. Sie spricht über die Flügel des Boas und sagt damit gleichsam, dass sie in seinem Schutz den Schutz des HERRN erfahren wird (vgl. Ps 36,8; 57,2; 61,5; 91,4; Hes 16,8).
Dieser Schutz gewinnt für sie dadurch an Bedeutung, dass er der Löser ist. Sie appelliert an ihn, ihr Löser zu sein. Damit übernimmt sie, was Noomi in Vers 2 über Boas gesagt hat, wo sie ihn „unser Verwandter“ nennt. Boas ist auch der Löser der Moabiterin Ruth. Aber es ist keine Rede davon, dass sie deshalb irgendein Recht beansprucht. Sie erkennt einerseits an, dass er der Löser ist, deutet andererseits aber auch an, dass es von ihr aus gesehen keinerlei Möglichkeit gibt, gesegnet zu werden und dass sie alles von ihm erwartet. Sie bezeichnet sich freiwillig als Magd, bekennt ihren hilflosen Zustand und sieht ein, dass es nur Gnade sein würde, wenn er ihre Bitte erfüllt.
Bemerkenswerterweise nennt sie sich selbst nicht Ruth, die Moabiterin. Sie ist sich der familiären Verbindung mit Boas bewusst. Allerdings scheint sie sich nicht darüber im Klaren zu sein, dass es noch einen näherstehenden Löser gibt als Boas, obwohl Noomi in Kapitel 2 darauf angespielt hat, als sie sagte, dass Boas „einer von unseren Blutsverwandten“ ist (Rt 2,20). In geistlicher Hinsicht bedeutet das, dass Ruth sich nicht mehr als arme Sünderin sieht, sondern dass sie weiß, dass sie zur Familie Gottes gehört.
Wer bei der Erkenntnis „Ich armer Sünder“ steckenbleibt, wird kein glücklicher und dankbarer Christ werden und auch nicht im Glauben wachsen. In einer solchen Haltung kommt Gott zu kurz und das Werk des Herrn Jesus wird unterbewertet.
10 - 11 Boas ermutigt und segnet Ruth
10 Und er sprach: Gesegnet seist du von dem HERRN, meine Tochter! Du hast deine letzte Güte [noch] besser erwiesen als die erste, indem du nicht den Jünglingen nachgegangen bist, sei es armen oder reichen. 11 Und nun, meine Tochter, fürchte dich nicht! Alles, was du sagst, werde ich dir tun; denn das ganze Tor meines Volkes weiß, dass du eine tüchtige Frau bist.
Anstatt Ruth vorzuwerfen, dass sie sich verkehrt verhalten habe, wünscht Boas ihr den Segen des HERRN. Sollte einer der Leser meinen, Ruth habe verkehrt gehandelt oder falsche Motive gehabt, dann nimmt Boas diesen Eindruck oder dieses Bild mit seinen Worten weg. Seine Wertschätzung für Ruth geht noch weiter. Er bringt sie in eine persönliche Verbindung mit sich selbst, indem er sie „meine Tochter“ nennt. Damit verschafft er ihr einen Zugang zu Israel. Das muss eine große Ermutigung für sie gewesen sein.
Ihr ganzes Verhalten und die zurückhaltende Weise, in der sie sich angeboten hat, lobt er besonders. Er bezeichnet dies als „letzte Güte“, denn er hat Ruth früher schon wegen einer früheren Liebestat gelobt, für alles nämlich, was sie für Noomi getan hat (Rt 2,11). Die Liebestat, die sie Boas erwiesen hat, äußert sich mehr in dem, was sie nicht getan hat: sie „ist nicht den Jünglingen nachgegangen … armen oder reichen“. So würdigt der Herr Jesus nicht nur das, was wir tun, sondern auch das, was wir aus Liebe zu Ihm nicht tun.
Dass er sie „meine Tochter“ nennt und über „Jünglinge“ spricht, deutet an, dass Boas einiges älter ist als Ruth. Mit „deine letzte Güte“ meint Boas, dass Ruth nicht dem Verlangen ihres eigenen Herzens und ihren Lüsten gefolgt ist, sondern dass sie bei ihm sein wollte. Sie sucht nicht die Attraktivität der Jugend, sondern die ruhige Besonnenheit und den Schutz des Mannes, in dem Stärke ist, denn das ist die Bedeutung seines Namens. Einem armen Jüngling hätte sie wegen seiner natürlichen Attraktivität und einem reichen Jüngling wegen seines Besitzes nachlaufen können. Beides hat sie nicht getan, weil sie Boas liebgewonnen hat. Das geschah nicht aufgrund seines Äußeren oder seines Reichtums, sondern aufgrund dessen, was er für sie geworden ist. Sie will ihn um seiner selbst willen, nicht wegen seines Besitzes.
Boas spricht Ruth Mut zu. Sie braucht sich nicht zu fürchten. Er gibt ihr auch die großartige Zusage, dass er alles, was sie gesagt hat, für sie tun wird. Sein Name lautet nicht umsonst Boas, mit der beeindruckenden Bedeutung „in ihm ist Kraft“. Er ist ein vermögender Mann (Rt 2,1). Er wird alles für sie tun, weil sie „eine tüchtige Frau“ ist, eine wertvolle und würdige Frau, eine Frau, die gut und vertrauenswürdig ist (Spr 31,10.11). Das weiß die ganze Stadt bis hin zur Stadtverwaltung. Darum ist sie es wert, dass er alles für sie tut. Er belohnt ihre Tugendhaftigkeit und lobt sie dafür (Spr 31,28; 12,4). Das ist die Sprache der Liebe, die Boas zu ihr hat. Während Ruth sich selbst seine Magd nennt und damit sagt: „Ich bin nichts“, sagt er gleichsam zu ihr: „Du bist alles“.
12 - 13 Ein anderer Blutsverwandter
12 Und nun, ich bin wirklich ein Blutsverwandter; doch ist auch ein näherer Blutsverwandter da als ich. 13 Bleib diese Nacht [hier]; und es soll am Morgen geschehen, wenn er dich lösen will, gut, so mag er lösen; wenn er aber keine Lust hat, dich zu lösen, so werde ich dich lösen, [so wahr] der HERR lebt! Bleibe bis zum Morgen liegen.
Nachdem Boas Ruth seine Liebe erklärt hat, geht er auf ihre Bemerkung ein, dass er ein Blutsverwandter ist. Das ist er tatsächlich, aber er ist nicht der einzige. Der andere Blutsverwandte ist sogar noch näher mit Noomi und ihr verwandt als er. Aber er überlässt es nicht Ruth, das Problem zu lösen. Mit dem Blutsverwandten, der noch enger mit ihr verwandt ist, hat Ruth nichts zu tun. Boas macht es zu seiner Sache, indem er sagt: „ein näherer Blutsverwandter … als ich“. Er spricht von ihm nicht mit Bezug auf Ruth, sondern mit Bezug auf sich selbst.
In diesem näheren Blutsverwandten können wir ein Bild vom Gesetz sehen. Zuerst muss der Weg des Gesetzes gegangen werden. Wenn das Gesetz lösen kann, dann ist das gut und dann soll es auch lösen. Tut das Gesetz es nicht, dann wird der zweite Löser es tun. Wenn jemand zum Glauben kommt, gibt es in der Entwicklung des Glaubenslebens oft eine Zeit, wo man das Gesetz halten will. Aber schon bald zeigt sich, dass das nicht möglich ist.
Erlösung kann es nur durch Christus geben und Gott dienen kann man nur durch den Geist Christi. Wenn man das erkennt, bricht der Tag im Leben des Gläubigen an. So lesen wir hier, dass Boas sie „am Morgen“ lösen wird, wenn sich gezeigt haben wird, dass der erste Löser sie nicht lösen will.
Es ist deutlich, in welcher Reihenfolge gelöst werden muss: Zunächst ist der andere Löser am Zug, und erst wenn der nicht will, übernimmt Boas das Lösen. Er bekräftigt seine Zusage mit einem Eid und fordert sie auf, bis zum Morgen zu bleiben. Boas ist nicht nur in der Lage zu lösen, er will auch lösen und wird es auch tun. Seine Worte „Bleibe bis zum Morgen liegen“ zeigen, dass dies ganz sicher ist. Sie wirken beruhigend. Ruth kann sich ihm völlig anvertrauen. Bis zum Morgen braucht sie nichts zu tun. Er weiß, was er tun wird.
So beschäftigt sich der Herr Jesus mit der Seele eines Menschen, der sich Ihm anvertraut hat, bei dem aber noch die Ansprüche des Gesetzes geregelt werden müssen. Wer diese Frage selbst regeln will, kommt in große Not. In der Erfahrung eines Gläubigen ist das fast der Normalfall. Wir sehen das in Römer 7 illustriert. Da treffen wir jemanden an, der das Gesetz halten will und dadurch in hoffnungsloses Elend stürzt, sodass er zum Schluss ausruft: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?“ (Röm 7,24). Wenn es zu diesem Verzweiflungsruf gekommen ist, lesen wir im folgenden Vers, wie der Morgen anbricht. Der Gläubige richtet sein Auge auf Gott und dankt Ihm durch Jesus Christus, dem zweiten und endgültigen Löser.
14 - 15 Zurück in der Stadt
14 Und sie lag zu seinen Füßen bis zum Morgen; und sie stand auf, ehe einer den anderen erkennen konnte; denn er sprach: Es werde nicht bekannt, dass eine Frau auf die Tenne gekommen ist! 15 Und er sprach: Gib den Überwurf her, den du anhast, und halte ihn. Und sie hielt ihn, und er maß sechs [Maß] Gerste und legte sie ihr auf; und er ging in die Stadt.
Ruth tut alles, was Boas sagt. Sie bleibt die ganze Nacht hindurch an seinem Fußende. Wir haben bereits gelesen, dass sie „bis zum Abend“ auf dem Feld des Boas Ähren aufgelesen hat (Rt 2,17). Das bedeutet, dass sie den ganzen Tag mit dem Auflesen der Ähren beschäftigt war. Hier sehen wir die zwei Seiten des Christenlebens. Auf der einen Seite sind wir als „Söhne des Tages“ (1Thes 5,4.8) tätig „solange es Tag ist“ (Joh 9,4). Auf der anderen Seite leben wir, in dem Bewusstsein, dass wir mit einem verworfenen Herrn verbunden sind, in der Nacht dieser Welt (Röm 13,12). In der Nacht ist es wichtig, nahe bei Ihm zu sein, zu seinen Füßen. Das deutet auf die Gemeinschaft mit Ihm hin, um auf Ihn zu hören (Lk 10,39).
Bevor die Sonne aufgeht, steht Ruth auf. Sie tut das, weil Boas sie auffordert zu gehen, und er tut das aus Sorge um sie und ihren guten Ruf. Die Verbindung mit Boas wächst, aber sie ist noch nicht vollständig zustande gekommen. Darum kann es seinerseits noch keine öffentliche Erklärung seiner Liebe für sie geben.
Der Herr Jesus muss zuerst sein Werk in einer Seele befestigen, bevor Er sich öffentlich im Leben eines solchen Menschen zeigen kann. Bei jemandem, der keinen Frieden mit Gott durch den Glauben an das vollbrachte Werk des Herrn Jesus hat, kann Er nicht sichtbar werden. Es kann Hingabe und Treue vorhanden sein, aber diese Kennzeichen, so wertvoll sie auch sind, lassen mehr von der eigenen Person sichtbar werden als von Ihm. Und um Ihn allein muss es letztendlich immer gehen.
Wenn Boas sie auch noch nicht öffentlich als mit ihm verbunden anerkennen kann, so sind doch seine Güte und Gnade ihr gegenüber unvermindert. Er gibt ihr sechs Maß Gerste mit. Sechs ist die Zahl des Menschen und weist auf Unvollständigkeit hin, während die Zahl Sieben auf Vollkommenheit hinweist. Das siebte Maß wird sie im folgenden Kapitel mit Boas selbst empfangen. Dann hat sie ihn, nicht nur einen Teil seines Besitzes, sondern ihn selbst und damit auch seinen ganzen Besitz.
Die Gerste, die Boas ihr mitgibt, ist ein ausdrückliches Geschenk für Noomi (Vers 17). Es ist ein Zeichen seines Wohlwollens. Er hat es selbst abgemessen. Was Ruth empfängt, empfängt auch Noomi. Wir sehen hier wieder die Beziehung zwischen Noomi und Ruth, und damit auch ein Bild von der Beziehung zwischen dem alten Israel und dem Überrest, dem neuen Israel. Das alte Israel wird in der Zukunft doch noch gesegnet werden, und zwar in dem neuen Israel.
Dieses alte Israel ist nicht das Israel, das Gott in der Kreuzigung seines Sohnes verworfen hat, sondern das Israel, das Gott immer in denen, die Ihm treu geblieben sind, gesehen hat. Die alten Verheißungen, die ihnen galten, werden in dem Überrest erfüllt, wenn alle, die Ihm aus dem alten Israel vertrauen, alles empfangen werden, was Er ihnen versprochen hat. Wir sehen das auch darin, dass das Kind, das Ruth bekommt, Noomi zugerechnet wird (Rt 4,14.15). Was Ruth bekommt, bekommt auch Noomi. Im neuen Israel bekommt das alte Israel alles, was Gott ihnen verheißen hat.
16 - 18 Ruth kommt zu Noomi zurück
16 Und sie kam zu ihrer Schwiegermutter; und sie sprach: Wie steht es mit dir, meine Tochter? Und sie berichtete ihr alles, was der Mann ihr getan hatte, 17 und sprach: Diese sechs [Maß] Gerste gab er mir, denn er sagte zu mir: Du sollst nicht leer zu deiner Schwiegermutter kommen. 18 Und sie sprach: Bleib, meine Tochter, bis du weißt, wie die Sache ausfällt; denn der Mann wird nicht ruhen, bis er die Sache heute zu Ende geführt hat.
Nachdem Ruth aufgestanden ist, geht sie sofort zu ihrer Schwiegermutter. Diese fragt sie: „Wer bist du?“ Diese Frage hat auch Boas ihr gestellt, als sie nachts zu ihm kam und er sie entdeckte (Vers 9; vgl. Fußnote der EÜ. zu Vers 16: wörtl. „Wer bist du?“). Wir haben schon gesehen, dass dies nicht bedeuten muss, dass er sie nicht kannte. Er wollte von ihr ein persönliches Zeugnis hören. Auf seine Frage antwortet Ruth, wer sie ist und was sie für ihn sein will (seine Magd), aber auch was er für sie ist (der Löser). Als Noomi sie fragt, tut sie das mit Sicherheit nicht, weil sie nicht mehr weiß, wer Ruth ist. Mit ihrer Frage meint Noomi, wie Ruth jetzt zurückkommt, in welcher Eigenschaft: Bist du eine Verstoßene oder bist du die zukünftige Frau des Boas? Darin liegt auch die Frage, ob Ruth die Ruhe gefunden hat, die Noomi für sie sucht (Vers 1).
Diese Frage kann in praktischer Hinsicht auch an uns Gläubige gestellt werden. Haben wir Ruhe im Herrn gefunden, wenn wir irgendwo gewesen sind? Warum geh ich hier oder dort hin? In welcher Eigenschaft bin ich dort? Wie stehe ich vor Gott?
Ruths Antwort ist, ebenso wie die Antwort an Boas, ein Zeugnis. Dieses Mal zeugt sie nicht von sich selbst, wer sie ist. Jetzt zeugt sie von Boas. Sie erzählt Noomi alles, was er „ihr getan hatte“, und das, obwohl alles noch geschehen muss. Es scheint so, dass sie im Glauben das ganze Resultat des Werkes sieht, das Boas für sie tun wird.
Nachdem sie zu Ende erzählt hat, zeigt sie, was Boas ihr mitgegeben hat und berichtet Noomi, was er gesagt hat. Das hat Noomi sehr ermutigt, denn sie begreift die hoffnungsvolle Botschaft, die in dem Zeichen und den Worten enthalten ist. Im Glauben misst sie dem Geschenk den richtigen Wert bei und zieht die richtige Schlussfolgerung. Sie rät ihrer Schwiegertochter, nun ruhig abzuwarten, das heißt auf ihn zu warten.
Der Rat Noomis schließt an das an, was Boas am Ende von Vers 13 gesagt hat. Wir können darin den Rat für jemanden sehen, der auf dem Weg zur vollen Gewissheit des Glaubens ist. Volle Glaubensgewissheit erhält man nicht durch eigene Anstrengung, sondern durch einfältiges Vertrauen auf den Herrn und sein Wort. Es geht darum, still zu sein und die Rettung des HERRN zu sehen (2Mo 14,14). Darin liegt Kraft.
Ruth kann Ruhe finden, weil Boas, wie Noomi sagt, nicht ruhen wird, bevor er die Sache nicht zu einem guten Ende gebracht hat. So ruht auch der Herr Jesus nicht, bis wir Ruhe finden in der Gegenwart Gottes. Er wird es für uns vollenden (Ps 138,8). Wir dürfen in dem Vertrauen leben, dass Er sein Werk vollendet (Phil 1,6). Das können wir auf unsere Bekehrung anwenden, aber auch auf die Praxis unseres Glaubenslebens, wo viel geschehen kann, was uns möglicherweise in Unruhe versetzt. So ist der Herr mit uns beschäftigt, weil Er uns liebt.
Es geht auch um ein Ruhen in dem Ergebnis seines Werkes, das ist seine Gemeinde, für die Er das Werk vollbracht hat. Wenn Er sie bei sich hat, wird Er in seiner Liebe ruhen. Jetzt ist Er noch immer damit beschäftigt, uns als seine Gemeinde zu heiligen und zu reinigen. Darum hat Er sich selbst hingegeben am Kreuz und gibt sich noch immer im Himmel für sie hin, das heißt, dass Er sich fortdauernd für sie verwendet (Eph 5,25.26). Solange wir noch hier sind, gönnt Er sich selbst keine Ruhe. Er vollendet sein Werk – und zwar bald.