1 - 6 Der Plan, den Herrn Jesus zu töten
1 Es kam aber das Fest der ungesäuerten Brote näher, das Passah genannt wird. 2 Und die Hohenpriester und die Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn umbringen könnten, denn sie fürchteten das Volk. 3 Aber Satan fuhr in Judas, der Iskariot genannt wird, welcher aus der Zahl der Zwölf war. 4 Und er ging hin und besprach sich mit den Hohenpriestern und Hauptleuten, wie er ihn an sie überliefern könne. 5 Und sie waren erfreut und kamen überein, ihm Geld zu geben. 6 Und er versprach es und suchte eine Gelegenheit, um ihn ohne Volksauflauf an sie zu überliefern.
Es ist inzwischen Donnerstag geworden in der letzten Woche des Lebens des Herrn Jesus auf der Erde vor seinem Tod. Die Ereignisse des vorigen Kapitels fanden am Dienstag statt. Vom Mittwoch hören wir nichts. Donnerstag ist der Vorabend des Passahfestes, das am folgenden Tag, dem Freitag, stattfinden wird. Nach jüdischer Zeitrechnung beginnt der Freitag am Donnerstagabend um sechs Uhr.
Das Fest der ungesäuerten Brote wird hier mit dem Passah gleichgesetzt, obwohl es darauf folgt. Das Fest der ungesäuerten Brote, das sieben Tage dauert, ist ein Bild vom ganzen Leben des Gläubigen. Sauerteig ist ein Bild der Sünde, und die darf im Leben des Gläubigen keinen Platz mehr haben. Es kann zu Recht ein „Fest“ genannt werden, so leben zu dürfen.
Die Grundlage ist das Passah, das Opfer, durch das das Volk aus Ägypten befreit wurde. Das Passah war jedoch nicht nur ein Zeugnis für die Befreiung aus Ägypten, sondern auch ein Vorbild auf das große Opfer, das noch kommen sollte. Es weist voraus auf das Opfer, das in Kürze in der Person des Lammes Gottes gebracht werden würde, denn das Passah „war nahe“.
Während des Passahs durfte kein Sauerteig in den Häusern vorhanden sein (2Mo 12,8.15). Das Passah wurde am vierzehnten Tag des Monats Nisan gefeiert (3Mo 23,5), und das Fest der ungesäuerten Brote begann einen Tag später. Aber weil während des Passahs schon kein Sauerteig vorhanden sein durfte, haben die Juden die beiden Feste miteinander verquickt.
Während das Volk sich anschickt, zum Fest zu gehen, schmieden die religiösen Führer Pläne, Christus umzubringen. Hier sehen wir, wie die Bosheit des Menschen und die Ratschlüsse Gottes zusammentreffen. Gott gebraucht die Bosheit des Menschen, um seine Pläne zu erfüllen, ohne dass das etwas von der Verantwortung des Menschen wegnimmt. Satan sieht seine Gelegenheit gekommen und ergreift Besitz von Judas, von dem noch besonders erwähnt wird, dass er auch „Iskariot“ heißt. Er soll nicht mit dem anderen Judas verwechselt werden.
Die höchst tragische Mitteilung ist, dass er „aus der Zahl der Zwölf war“. Er war drei Jahre lang mit dem Herrn Jesus umhergezogen und stellt sich jetzt dem Satan als Werkzeug zur Verfügung, um das größte Verbrechen aller Zeiten zu begehen. Der Gegensatz ist nicht zu begreifen. Judas ist der Beweis, dass ein Mensch in der engsten Beziehung zu Christus stehen und sich doch als sein Widersacher offenbaren kann, weil er kein neues Leben hat.
Er macht sich auf den Weg, um sich den Führern anzudienen und mit ihnen zu besprechen, wie Er Ihn an sie überliefern könnte. Judas, der so viele Werke der Gnade bei Ihm gesehen hat, ist selbst unberührt davon geblieben. Wohlüberlegt will Er die größte Wohltat, die je Menschen erwiesen wurde, in die Hände von Mördern überliefern, um etwas Geld zu verdienen.
Als er zu den Führern kommt und sich andient, freuen die Führer sich teuflisch. Sie sind sich untereinander einig, dass sie die Dienste von Judas gern annehmen, und sie wollen ihn dafür bezahlen. Hier finden zwei Parteien zueinander, die jede ihr eigenes Interesse verfolgt. Judas kennt ihre Mordgier, und sie kennen seine Geldgier. Der Christus Gottes ist das Angebot für sie. Er fördert in jedem Menschen, der sich Ihm in seinem Licht nicht übergibt, das Schlechteste zutage.
Judas ist mit dem Betrag einverstanden, den sie ihm bieten. Das Geld in der Tasche (Mt 26,15), beginnt er, eine Gelegenheit zu suchen, wo er ihnen den Herrn überliefern kann. Das muss geschehen, ohne viel Aufsehen zu erregen, denn man muss schon aufpassen, dass kein Volksauflauf entsteht. Das Volk ist ja noch sehr auf der Seite dieses Wohltäters.
7 - 13 Vorbereitungen, um das Passah zu essen
7 Es kam aber der Tag der ungesäuerten Brote, an dem das Passah geschlachtet werden musste. 8 Und er sandte Petrus und Johannes und sprach: Geht hin und bereitet uns das Passah, damit wir es essen. 9 Sie aber sprachen zu ihm: Wo willst du, dass wir es bereiten? 10 Er aber sprach zu ihnen: Siehe, wenn ihr in die Stadt kommt, wird euch ein Mensch begegnen, der einen Krug Wasser trägt; folgt ihm in das Haus, in das er hineingeht. 11 Und ihr sollt zu dem Herrn des Hauses sagen: Der Lehrer sagt dir: Wo ist das Gastzimmer, wo ich mit meinen Jüngern das Passah essen kann? 12 Und jener wird euch ein großes, mit Polstern belegtes Obergemach zeigen; dort bereitet es. 13 Als sie aber hingingen, fanden sie es, wie er ihnen gesagt hatte; und sie bereiteten das Passah.
Dann bricht der Tag der ungesäuerten Brote an, an dem das Passah geschlachtet werden musste. Die Zeit schreitet fort, und die Ereignisse, auf die man in den vergangenen Jahrhunderten gewartet hatte und die vorhergesagt sind, stehen im Begriff, sich zu erfüllen. Die Schattenbilder verschwimmen, und das, worauf sie hinweisen, tritt ans Licht.
Dass Lukas die Einleitung zu den Briefen von Paulus bildet, findet hier einen erneuten Beweis. Paulus verbindet das Fest der ungesäuerten Brote und das Passah geistlich miteinander. Er spricht von unserem „Passah, Christus“ und von „Festfeier halten … mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit“ (1Kor 5,7.8). Im ersten Korintherbrief spricht er weiter vom Abendmahl, wie Lukas das hier beschreibt (Verse 19.20; 1Kor 11,23–26).
Wenn wir das Passah verstehen, werden wir auch das Abendmahl verstehen. Das Passah hat mit dem Gericht an den Erstgeborenen zu tun, dem Stolz und der Kraft Ägyptens, aber auch dem Stolz und der Kraft der Israeliten. Die Erstgeborenen konnten nur verschont werden, wenn sie hinter dem Blut des Lammes Schutz suchten. Das ist jedoch nicht das Einzige. Verschonen ist nur negativ. Der weitere Verlauf von 2. Mose 12 zeigt, dass Gott verschont, um für sich selbst etwas zu haben. Die Erstgeborenen sollen für Ihn geheiligt werden. Das Passah ist ein Heiligungsfest, ein Fest der Hingabe. Die Gemeinde ist die Gemeinde der Erstgeborenen (Heb 12,23). Wir sind ganz von Ihm und für Ihn. Darum folgt auf das Passah das Fest der ungesäuerten Brote.
Der Herr Jesus ist weder dem Judas noch den religiösen Führern oder der römischen Obrigkeit zu der von ihnen bestimmten Zeit ausgeliefert. Er bestimmt die Zeit, die Form, den Ort für das Passah und damit den Zeitpunkt, wann Er in die Hände der Menschen überliefert wird. Während Er die bösen Pläne, die seine Feinde zusammen mit dem Verräter schmieden, vollkommen kennt, handelt Er völlig abhängig von seinem Vater. In dem Plan seines Vaters ist vorgesehen, dass Er zusammen mit seinen Jüngern das Passah essen soll. Das muss also geschehen.
Um das Passah vorzubereiten, sendet der Herr zwei seiner Jünger, die namentlich genannt werden, Petrus und Johannes, um es für sie zuzubereiten. Es ist bezeichnend, dass gerade sie in ihren Schriften von dem Lamm schreiben (1Pet 1,19; Joh 1,29.36; Off 5,6). Petrus und Johannes fragen, wo Er möchte, dass sie es bereiten. Das ist auch für jeden Gläubigen heutzutage die wichtige Frage, wenn es darum geht, wo er das Abendmahl feiern soll.
Der Herr nennt keine Anschrift, gibt aber wohl Anweisungen. Er möchte, dass sie nach einem Mann Ausschau halten, dem sie begegnen und der einen Krug Wasser trägt. Es laufen nicht unzählige Männer mit Wasserkrügen herum. Wasserträger sind meist Frauen. Es wird also eine außergewöhnliche Erscheinung sein. Ihm sollen sie folgen und in das Haus gehen, in das er hineingeht.
Für uns ist das ein wichtiger Hinweis, wenn es um die Frage geht, wo Gläubige das Abendmahl feiern sollen. Den Platz ausfindig zu machen, wo der Herr mit den Seinen zusammenkommen will, ist mit geistlichen Überlegungen verbunden. Das war auch so, als Gott zu den Israeliten von dem Platz sprach, den Er erwählt hatte, um seinen Namen dort wohnen zu lassen (5Mo 12,5; vgl. Hld 1,7.8; Joh 1,38–40).
Der Mann mit dem Krug Wasser auf dem Haupt bildet jemanden vor, der in seinem Leben (wovon der Krug en Bild ist) das Wort Gottes (wovon das Wasser ein Bild ist) in seiner reinigenden Kraft anwendet und das auch in Bezug auf den Platz tut, wo der Herr ist. Der Herr gebraucht Gläubige, die seinem Wort treu sind, um anderen Gläubigen, die ebenfalls auf Ihn hören und bei Ihm sein wollen, von diesem Platz des Zusammenkommens zu erzählen.
Der Mann bringt das Wasser in das Haus. Mit dem Wasser hat der Herr möglicherweise den Jüngern die Füße gewaschen (Joh 13,1–20). Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, wenn wir zusammenkommen, um das Abendmahl zu feiern, uns der reinigenden Kraft des Wortes zu unterwerfen haben. Der Platz, wo Christus die Seinen versammelt, ist ein reiner Platz.
Als sie hineingegangen sind, müssen sie den Herrn des Hauses im Namen des Herrn nach dem Gastzimmer fragen, wo sie das Passah essen können. Das Wort „Gastzimmer“ ist dasselbe Wort wie in Kapitel 2, wo es mit „Herberge“ übersetzt ist (Lk 2,7). Es kommt weiterhin nur noch einmal im Neuen Testament vor, und zwar in Markus 14, wo der Herr über „mein Gastzimmer“ spricht (Mk 14,14).
Im ersten Gastzimmer (der Herberge, Lk 2,7) war für den Herrn kein Platz. Das ist gewissermaßen die Herberge der Welt, wo nur Platz für Menschen der Welt ist, für Menschen „von unten“. Aber der Herr sucht auch in der Welt keinen Platz zum Wohnen. Im Gegensatz zu dieser Herberge hat Er sein eigenes „Gastzimmer“, wo Er der Gastgeber ist und wo Er die Seinen als seine Gäste zu sich einlädt. Da ist Platz für alle wahren Jünger, wie schwach und ungeistlich sie auch oft sind.
Der Herr sagt den Jüngern im Voraus, dass der Herr des Hauses ihnen ihrem Wunsch sofort entsprechen wird. Er hat im Herzen dieses Hausherrn die Bereitschaft dazu gewirkt. ‒ Genauso hatte Er das ja auch im Herzen der Besitzer des Eselsfüllens getan, das Er benötigte (Lk 19,31–35). ‒ Er würde ihnen ein „großes, mit Polstern belegtes Obergemach zeigen“. Die Unterkunft, wohin Christus die Seinen einlädt, ist ein Obergemach oder Obersaal, ein erhabener Saal, ein Saal über dem Niveau der Welt, ein Saal, der in Verbindung mit dem Himmel steht und nicht in Verbindung mit der Erde. Dort ist eine himmlische Atmosphäre.
Petrus und Johannes machen sich auf den Weg, und es geht alles so, wie der Herr es ihnen gesagt hat. Seinem Auftrag entsprechend bereiten sie das Passah an dem Ort, den Er bestimmt hat. Unterwegs haben sie nicht geschaut, ob sie vielleicht eine Gelegenheit fänden, die ihnen auch passend erschien, sondern sie sind einfach seinem Befehl gefolgt.
14 - 18 Die Passahfeier
14 Und als die Stunde gekommen war, legte er sich zu Tisch, und die Apostel mit ihm. 15 Und er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide. 16 Denn ich sage euch, dass ich es fortan nicht mehr essen werde, bis es erfüllt ist im Reich Gottes. 17 Und er nahm einen Kelch, dankte und sprach: Nehmt diesen und teilt ihn unter euch. 18 Denn ich sage euch, dass ich von jetzt an nicht von dem Gewächs des Weinstocks trinken werde, bis das Reich Gottes kommt.
Zur festgesetzten Stunde legt sich der Herr zu Tisch. Die Apostel dürfen mit Ihm zu Tisch liegen. Er ergreift die Initiative. Er weiß, dass sich jetzt alles erfüllen wird, was über Ihn geschrieben steht. Im Gesetz weist alles auf Ihn hin. Er ist das wahre Lamm. Auch die Propheten haben auf Ihn als den leidenden Knecht des HERRN hingewiesen.
In seiner grenzenlosen und dadurch für uns unbegreiflichen und zugleich überwältigenden Liebe wendet Er sich in diesem Augenblick an seine Apostel. Er drückt das tiefe Verlangen seines Herzens nach Gemeinschaft mit ihnen aus. Er sagt ihnen, wie sehr Er sich gesehnt hat, gerade „dieses Passah“ mit ihnen zu essen.
Es wird das letzte Passah sein, denn während des Passahs wird Er überliefert werden und wird leiden und sterben. Während dieses Passahs wird das Passah in seiner Person erfüllt werden. Das steht vor Ihm. Doch bevor Er leiden wird, möchte Er seinen Aposteln so gern noch etwas darüber sagen, was die wirkliche Bedeutung des Passahs für sie und für Ihn ist. Es geht Ihm nicht darum, ein Ritual zu erfüllen, sondern darum, den Ratschluss Gottes im Hinblick auf das Reich in den Herzen der Seinen zu erfüllen.
Der Herr lässt seine Apostel wissen, dass Er dem Passah als Gedächtnismahl keine Bedeutung mehr beimisst. Die Feier zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten aufgrund des Lammes ist durch seine Verwerfung bedeutungslos geworden. Wenn Er das Reich Gottes aufrichtet, wird Er der herrliche Mittelpunkt dieses Reiches sein. Er wird es aufrichten, nachdem Er sein Volk von dessen Feinden befreit hat, indem Er die richtet, wie das seinerzeit in Ägypten geschah. Im Friedensreich, das dann folgen wird, wird sein Volk Ihn mit seinen Opfern ehren, und Er wird darin Gemeinschaft mit ihnen haben, denn das kommt im Essen zum Ausdruck. Nun warten Leiden auf Ihn.
In einem weiteren Sinn ist das Passah jedoch im Reich Gottes erfüllt, wie es jetzt in den Herzen derer besteht, die an Ihn glauben (Röm 14,17). Durch seine Hingabe am Kreuz kann Er mit uns essen, das bedeutet: mit uns Gemeinschaft haben.
Auch der Kelch, den Er ihnen gibt, gehört zum Passah. Sie sollen ihn unter sich teilen. Der Kelch ist ein Bild der Freude, und diese Freude stellt Er ihnen vor. Sie dürfen sich über die einstige Befreiung aus Ägypten freuen. Wir dürfen uns über die Befreiung aus der Sklaverei der Sünde freuen.
Er selbst wird auf der Erde kein Teil mehr daran haben. Erst wenn das Reich Gottes aufgerichtet ist, wird Er sich mit ihnen über die Grundlage des Reiches freuen, die Er in diesem Augenblick noch legen muss.
In einem anderen Sinn ist das Reich Gottes schon gekommen, und zwar dort, wo Christus im Glauben anerkannt wird. Alle, die aus Gott geboren sind, sind in das Reich Gottes eingegangen (Joh 3,5), und mit ihnen erfreut der Herr sich an den Folgen seines Werkes. Immer, wenn wir zusammenkommen, dürfen wir das erleben. Dann dürfen wir die Freude, die wir im Herzen haben, ausdrücken und mit Ihm teilen.
19 - 20 Einsetzung des Abendmahls
19 Und er nahm Brot, dankte, brach und gab es ihnen und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird; dies tut zu meinem Gedächtnis! 20 Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.
Dann nimmt der Herr Brot und gibt ihm damit eine neue Bedeutung, nämlich die seines Leibes. Bevor Er es seinen Jüngern gibt, dankt Er Gott dafür. Er dankt Gott für die Hingabe seines eigenen Leibes, der bald ans Kreuz gehängt werden würde. Er kennt die wahre Bedeutung des Brotes, und doch dankt Er Gott dafür. Das ist ein Beweis seiner bedingungslosen Hingabe an den Willen Gottes.
Dann bricht Er es und gibt es gebrochen seinen Aposteln. Er setzt damit ein neues Gedächtnismahl ein. Es ist nicht mehr das Passah zur Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten, sondern das Abendmahl als bleibendes Zeugnis seiner Liebe. Der Herr weist darauf hin, dass dieses Brot seinen Leib darstellt, der für sie „gegeben“ wird.
Lukas stellt das Abendmahl in Verbindung mit all dem vor, was uns als Gliedern seiner Gemeinde aufgrund des Werkes des Herrn Jesus gegeben ist. Daran dürfen wir denken, wenn wir am Sonntag zusammenkommen, um das Abendmahl zu feiern. Es geht hier nicht um die „Vielen“ wie in Matthäus, sondern um „euch“, das sind die Jünger als die, welche die Gemeinde bilden werden. Es geht darum, zu sehen, was Gott uns in diesem Menschen ‒ denn es ist sein Leib ‒ gegeben hat. Es ist nicht nur ein gegebener Leib, sondern ein Leib, der in den Tod gegeben ist.
Der Herr erwartet von seinen Jüngern, dass sie an Ihn denken, wenn sie das Abendmahl feiern. Dass wir es zu seinem Gedächtnis tun sollen, finden wir nicht in Matthäus und Markus, sondern nur hier und in 1. Korinther 11 (1Kor 11,23–26). Wir denken an Ihn als den gestorbenen Christus, und zugleich kennen wir Ihn als den lebenden Christus.
Er gibt uns als Gliedern der Gemeinde viel Grund, an Ihn zu denken. Wir dürfen an Ihn als den ewigen Sohn denken, der für uns Mensch werden wollte, und wir dürfen über sein vollkommenes Leben und seine völlige Hingabe am Kreuz nachdenken. Wir können Ihn auch im Himmel sehen, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt (Heb 2,9), und wir dürfen sein Kommen erwarten. Das sind alles Gründe, Ihn zu bewundern und anzubeten.
Auch der Kelch bekommt eine neue Bedeutung. Der Herr Jesus verknüpft mit dem Kelch „den neuen Bund“, der sich auf sein Blut gründet. Damit deutet Er an, dass der alte Bund den Anforderungen nicht entsprochen hat. Der alte Bund hat nicht die verheißenen Segnungen gebracht, weil das Volk die Bedingungen, die damit verknüpft waren, nicht erfüllt hat.
Der neue Bund hängt nicht von der Treue des Menschen ab, sondern von der Treue Gottes und Christi. Christus nimmt alle Verpflichtungen des neuen Bundes auf sich. Er hat sie alle erfüllt, und dazu hat Er sein Blut vergossen. Das Blut ist „mein Blut“. Es ist für die Seinen vergossen, so dass sie von der Strafe frei sind, die der alte Bund nach sich zog. Dadurch können sie nun die Segnungen genießen, die der neue Bund mit sich bringt.
21 - 23 Was Judas tun wird
21 Doch siehe, die Hand dessen, der mich überliefert, ist mit mir auf dem Tisch. 22 Denn der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie es beschlossen ist; wehe aber jenem Menschen, durch den er überliefert wird! 23 Und sie fingen an, sich untereinander zu befragen, wer von ihnen es wohl sei, der dies tun werde.
Dann spricht der Herr über den Verräter. Der gehört nicht zum neuen Bund. Es schmerzt Ihn in sein Herz hinein, dass der Verräter so nahe bei Ihm ist, dass dessen Hand mit Ihm auf dem Tisch ist, dass aber keine wirkliche Verbindung zwischen dem Verräter und Ihm besteht.
Dass Lukas das nach dem Passahmahl berichtet, bedeutet nicht, Judas hätte am Abendmahl teilgenommen. Johannes zeigt deutlich, dass Judas den Obersaal verließ, nachdem er den Bissen aus der Hand des Herrn genommen hatte (Joh 13,30). Lukas ändert die Reihenfolge, wie er das häufiger tut, um nach der Einsetzung des Abendmahls das Verhalten der verschiedenen Jünger zu beschreiben.
Er beginnt mit Judas. Es ist möglich, dass sich ein „Judas“ in die Mitte der Gläubigen, die sich um den Herrn versammeln, hineingeschlichen hat. Der Herr spricht darüber, ohne zu sagen, um wen es geht. Wir sehen, was seine Mitteilung bei den anderen Jüngern auslöst. Er zeigt auch, dass sie sofort nach dieser ernsten Mitteilung darüber streiten, wer der Größte ist. Er ist sich bewusst, dass Er als der Sohn des Menschen alles durchmachen muss, was bestimmt ist. Zugleich fühlt Er den Schmerz, dass einer seiner Jünger darin eine abscheuliche Rolle spielen wird. Er kann nicht anders, als das „Wehe“ über diesen Menschen auszusprechen. So nahe und doch so fern. Der Herr spricht hier einerseits über den Ratschluss Gottes und andererseits über die Verantwortung des Menschen (vgl. Apg 2,23).
Was Er über seine Überlieferung sagt, bewirkt Aufregung unter den Jüngern. Sie befragen sich untereinander, nicht, wer es wohl sein mag, sondern wer von ihnen ein Verräter ist; aber sie haben keine Vorstellung, wer das sein könnte. Das bedeutet, dass Judas nie einen Anlass zu der Annahme gegeben hat, er könnte zu dieser furchtbaren Tat kommen. Er hat sich immer tadellos verhalten und alle Aufträge richtig ausgeführt. Auf ihm ruhte kein Verdacht. Aber was vor den Augen der Jünger verborgen ist, ist für den Herrn völlig offenbar.
24 - 27 Wer ist der Größte?
24 Es entstand aber auch ein Streit unter ihnen, wer von ihnen für den Größten zu halten sei. 25 Er aber sprach zu ihnen: Die Könige der Nationen herrschen über sie, und die, die Gewalt über sie ausüben, werden Wohltäter genannt. 26 Ihr aber nicht so; sondern der Größte unter euch sei wie der Jüngste, und der Führende wie der Dienende. 27 Denn wer ist größer, der zu Tisch Liegende oder der Dienende? Nicht der zu Tisch Liegende? Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende.
Was der Herr über seine Überlieferung gesagt hat, findet kurz ihre Aufmerksamkeit. Sie sind berührt und sprechen darüber, wer von ihnen es wohl tun werde. Aber schon bald nimmt das Gespräch eine Wendung, und es entsteht ein Streit über einen Punkt, der in ihren Augen wichtiger ist und der noch geregelt werden muss. Sie hatten schon früher einmal darüber gesprochen (Lk 9,46). Damals waren sie damit nicht zu Ende gekommen, und der Punkt stand noch immer oben auf ihrer Agenda.
Das zeigt, wie schlimm das Böse der Selbsterhebung ist. Es muss entschieden werden, wer von ihnen wohl für den Größten zu halten sei. Noch immer kreisen ihre Gedanken um das Reich, das ‒ nach ihrer Erwartung in Kürze ‒ aufgerichtet werden würde. Denn dass es jetzt doch wohl sehr nahe ist, davon sind sie überzeugt. Daher wird auch die Frage dringlicher, wer welche Stelllung im Reich bekleiden wird.
Der Herr macht ihrem Streiten ein Ende, indem Er auf die Könige der Nationen hinweist, die über andere herrschen. Das tun sie häufig, indem sie Geschenke austeilen, um mit den Menschen gut Freund zu bleiben. Die Menschen nennen sie darum Wohltäter, und auf diese Weise behalten die Könige und Machthaber das Volk im Griff. Er sagt damit: „So seid ihr dabei, über einander zu herrschen.“ So soll es jedoch unter Gläubigen nicht sein, sondern gerade umgekehrt. Der Größte ist erst wirklich groß, wenn er unter den anderen den Platz des Jüngsten einnimmt.
Es ist der Platz, den Joseph und David inmitten ihrer Brüder hatten. Das brachte ihnen keinen Vorteil, sondern Verachtung, sie wurden nicht beachtet. Doch wo endeten sie? Beide auf dem Thron. Das wird auch für sie so sein, wenn sie den Platz des Jüngsten einnehmen. Und wenn sie Führer sein wollen, dann sollen sie einander dienen. Dienen bedeutet, sich anderen zur Verfügung zu stellen, damit andere Nutzen davon haben.
Die Frage, wer größer ist, der zu Tisch Liegende oder der Dienende, ist nicht schwer zu beantworten, wenn es um die Beurteilung der Verhältnisse unter den Menschen in der Welt geht. Natürlich ist der, der zu Tisch liegt größer. Er kann sich bedienen lassen. Wer dient, hat nur das zu tun, was ihm aufgetragen wird. Aber bei den Untertanen des Reiches Gottes ist es umgekehrt.
Der Herr Jesus ist darin das große Vorbild. Er hat freiwillig den Platz des Dienens eingenommen. Er ist in ihrer Mitte wie der Dienende, und seine Jünger sind es, die zu Tisch liegen. In allem, was Er je von seinen Jüngern verlangt hat, ist Er selbst immer das vollkommene Vorbild gewesen. Er sagt nicht nur, wie es zu gehen hat, Er zeigt, wie es sein muss, und das nicht als ein einmaliges Beispiel, sondern in seinem ganzen Leben. Was Er sagt, das ist Er.
28 - 30 Ermutigungen
28 Ihr aber seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Versuchungen; 29 und ich bestimme euch, wie mein Vater mir bestimmt hat, ein Reich, 30 damit ihr esst und trinkt an meinem Tisch in meinem Reich und auf Thronen sitzt, um die zwölf Stämme Israels zu richten.
Nach dem ein wenig ermahnenden Wort, zu dienen und nicht der Größte zu sein, hat der Herr eine großartige Ermutigung für seine streitenden Jünger. So etwas kann auch nur jemand sagen, der wirklich der Geringste ist und den anderen hoch achtet. Wirklich dienen können wir nur, wenn wir unsere Mitgläubigen hoch einschätzen. Der Herr stellt ihnen ein beeindruckendes Zeugnis aus, ihnen, die so viel Schwachheit und Versagen an den Tag gelegt haben und noch an den Tag legen werden. Er sagt ihnen, dass sie in seinen Versuchungen immer mit Ihm ausgeharrt haben. Wenn wir wirklich wissen, wie die Jünger sind und wie auch wir als Jünger sind, kann ein solcher Ausspruch nichts anderes sein als unvergleichliche Liebe.
Er geht darüber hinweg, dass sie Ihn in Kürze alle verlassen werden und dass einer von ihnen Ihn verleugnen wird. Er hat sie in seinen Dienst gerufen, und Er hat ihnen in ihrem Dienst geholfen, und Er hat sie immer bewahrt. Und doch bewertet Er die Tatsache, dass sie in seinen Versuchungen immer bei Ihm geblieben sind, als Ausharren!
Er hat auch eine großartige Belohnung für sie. Er bestimmt ihnen ein Reich ‒ das ist eine Regierungsaufgabe ‒ und ein Gebiet, über das sie regieren, geradeso wie sein Vater es Ihm bestimmt hat. Hier versetzt der Herr seine Jünger auf dieselbe Höhe vor dem Vater wie die, die Er hat. Das Wohlgefallen, das der Vater hat, ihnen das Reich zu geben (Lk 12,32), ist das Wohlgefallen des Sohnes. Der Vater und der Sohn stimmen darin überein, und dabei geht es um die Jünger. Das Erste ist jedoch nicht das Regieren, sondern die Gemeinschaft mit Christus, was auch im Essen und Trinken an seinem Tisch zum Ausdruck kommt.
Was für ein großes Vorrecht, dass Er uns dazu ruft. Er hat das ganze Werk vollbracht, Er verdient alles, und in seiner großen Gnade lässt Er uns daran teilhaben, weil wir an Ihn haben glauben dürfen. Wie groß ist Er doch!
Aus der Gemeinschaft mit Ihm heraus dürfen seine Jünger auf Thronen sitzen, um die zwölf Stämme Israels zu richten. Der Tisch ist das Symbol persönlicher familiärer Vertrautheit; der Thron ist das Symbol für die öffentliche Entfaltung der Herrlichkeit.
Es gibt einen Thron für jeden, der hier auf der Erde keinen Thron für sich gesucht hat, sondern dem Herrn in seiner Verwerfung gefolgt ist. Die Jünger bekommen die Aufgabe, über Israel zu regieren. Richten bedeutet nicht, das Urteil zu vollstrecken, denn das ist, wenn die Zeit des Regierens für die Jünger anbricht, schon geschehen. Der Zeit des Regierens ist die Zeit der Gerichte voraufgegangen, wie wir sie im Buch der Offenbarung finden. Richten bedeutet hier, mit Einsicht zum Guten, zum Segen führen.
31 - 34 Verleugnung des Petrus vorhergesagt
31 Der Herr aber sprach: Simon, Simon! Siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht aufhöre; und du, bist du einst umgekehrt, so stärke deine Brüder. 33 Er aber sprach zu ihm: Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34 Er aber sprach: Ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, mich zu kennen.
Die Zeit des Regierens ist jedoch noch nicht gekommen. Der Herr Jesus muss noch ans Kreuz, und die Jünger haben noch einen Dienst zu erfüllen. Damit sie dafür passend sind, müssen sie ihr eigenes Herz kennenlernen. Das gilt besonders für Petrus, der den wichtigsten Platz unter den Jüngern einnimmt. Der Herr wendet sich daher auch besonders an ihn, ohne die anderen Jünger zu vergessen.
Der Satan richtet seine Pfeile auf alle Jünger. Er will sie alle nur zu gern sichten wie den Weizen. Sichten ist das, was der Bauer tut, wenn er nach der Ernte auf der Tenne die Spreu vom Weizen trennt. Dem Bauern geht es um den Weizen, denn der liefert Nahrung. Die Spreu wird weggeblasen oder verbrannt. Beim Prozess des Sichtens im Leben des Gläubigen geht es dem Herrn darum, dass aus dem Leben des Gläubigen alles verschwindet, was keine Nahrung ist. Satan will so viel Weizen wie möglich zerstören und die Spreu behalten.
Der Herr weiß, dass sein geliebter Jünger Petrus eine besondere Zielscheibe für die Angriffe Satans ist. Er redet ihn zweimal mit seinem alten Namen Simon an, um Petrus eindringlich daran zu erinnern, wie er von Natur aus ist. Er will ihn davor warnen, seine alte Natur wirken zu lassen, denn darauf zielt der Satan ab.
Er fügt hinzu, dass Er besonders für Petrus gebetet hat. Er kennt seinen schwachen Jünger und weiß, wie dieser mehr als die anderen in der Gefahr steht, auf Fleisch zu vertrauen, auf seine eigene Kraft. Das zeigt sich auch sofort an seiner Reaktion auf die Worte des Herrn. Aber weil der Herr ihm gnädig ist, wird sein Fall das Mittel für seine Kraft werden. Wenn er das Fleisch kennengelernt hat und zugleich die Vollkommenheit der Gnade, wird er fähig sein, seine Brüder zu stärken.
Dass das Gebet des Herrn für ihn erhört worden ist, zeigt sich an seiner Reue und Wiederherstellung. Dass er anschließend den Auftrag des Herrn erfüllt hat, zeigt sich an seinem Dienst in der Apostelgeschichte und vor allem in seinen beiden Briefen, die wir in der Bibel haben. An dem, was Petrus erlebt hat, lernen wir, dass wir, um anderen dienen zu können, unser eigenes Herz kennen müssen.
Petrus verteidigt sich sofort, als der Herr ihm seine Schwachheit vorstellt. Nein, dann kennt der Herr ihn nicht. Er ist bereit, mit seinem Herrn bis zum Äußersten zu gehen. Das ist ein aufrichtiger Ausdruck seiner starken Liebe zu Christus, aber ohne Selbsterkenntnis, und in Wirklichkeit ist es Hochmut, denn der Herr hat ihn auf seine Schwachheit hingewiesen. Dann sagt der Herr Jesus Petrus voraus, dass er Ihn dreimal verleugnen wird, schon ganz bald und schnell nacheinander. Es wird geschehen, ehe der Hahn kräht, vor Anbruch des Tages, also in der Nacht.
35 - 38 Neue Situation ‒ andere Vorgehensweise
35 Und er sprach zu ihnen: Als ich euch ohne Geldbeutel und Tasche und Sandalen sandte, fehlte es euch wohl an etwas? Sie aber sagten: An nichts. 36 Er sprach aber zu ihnen: Aber jetzt, wer einen Geldbeutel hat, der nehme ihn, und ebenso eine Tasche, und wer keins hat, verkaufe sein Oberkleid und kaufe ein Schwert; 37 denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: „Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden“; denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung. 38 Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.
Die Sorge des Herrn galt immer seinen Jüngern. Er hat Sorge um einen Jünger, von dem Er weiß, dass er Ihn verleugnen wird. Er hatte Sorge um sie alle, als Er sie aussandte. Damals sandte Er sie mit dem Auftrag aus, nichts mitzunehmen und im Vertrauen auf Ihn zu gehen (Lk 9,3; 10,4). Jetzt fragt Er sie, ob es ihnen in der vergangenen Zeit wohl an etwas gefehlt hat. Ohne Zögern ertönt es spontan: „An nichts.“
Der Herr kündigt dann eine Änderung dieser Vorgehensweise an. Er wird nicht länger bei ihnen sein. Das erfordert ein anderes Verhalten seiner Jünger. Nun sollen sie den Geldbeutel nehmen, wenn sie einen haben, damit sie für sich selbst sorgen können. Sie brauchen nicht auf die Unterstützung durch andere zu rechnen oder darauf, dass andere für sie sorgen.
Durch seine Verwerfung werden sie die Kälte des Klimas, in dem sie leben, immer stärker empfinden. Wenn sie sich auf den Weg machen, müssen sie das berücksichtigen. Sie müssen dann genügend Wegzehrung mitnehmen. Auch werden sie ein Schwert benötigen, um sich zu verteidigen. Das wird sogar wichtiger sein als ein Oberkleid gegen die nächtliche Kälte.
Letztlich geht es jedoch nicht um buchstäbliche, sondern um geistliche Vorkehrungen. Das sieht man an der Reaktion des Herrn auf das Vorhandensein von zwei Schwertern (Vers 38). Es geht darum, dass sie sich mit geistlicher Nahrung versorgen und für den geistlichen Kampf wappnen müssen. Das Oberkleid spricht vom Schutz, den der Herr ihnen gab, als Er bei ihnen war; der wird in dieser Weise nicht mehr da sein, wenn Er nicht mehr bei ihnen ist.
Dies alles bedeutet nicht, dass Er nicht mehr für sie sorgen oder sie nicht mehr beschützen wird, aber die Situation wird völlig anders sein. Auch wir müssen damit rechnen, dass sich unsere Umstände ändern können. Hören wir auf die Warnungen des Herrn und versorgen wir uns mit dem, was geistlich nötig ist? Der Herr legt uns diese Verantwortung auf. Alle diese Vorsorgemaßnahmen sind die Folge seiner Verwerfung.
Er wird zu den Gesetzlosen gerechnet werden. Das bedeutet, dass dieser gehorsame und abhängige Mensch als jemand betrachtet werden wird, der keine Autorität anerkennt. Die religiösen Führer in Israel werden Ihn als Aufständischen und Gotteslästerer verklagen und Ihn verurteilen. Doch so wird in Erfüllung gehen, was geschrieben steht (Jes 53,12).
Was mit Ihm geschehen wird, hat Folgen für seine Jünger. Sie gehören Ihm an und werden sein Los teilen. Die Jünger fassen die Worte des Herrn buchstäblich auf und bieten Ihm zwei Schwerter an. Sie zeigen damit, dass sie die Bedeutung der Worte des Herrn nicht verstanden haben. Wenn Er es buchstäblich gemeint hätte, was sollten diese beiden Schwerter dann bedeuten? Als Verteidigungswaffen waren sie völlig unzureichend.
Der Herr belässt es dabei und gibt in seiner Weisheit und Liebe keine nähere Erklärung. Mit einem „Es ist genug“ lässt Er die Sache auf sich beruhen und geht nicht weiter darauf ein.
39 - 46 Gethsemane
39 Und er ging hinaus und begab sich der Gewohnheit nach an den Ölberg; es folgten ihm aber auch die Jünger. 40 Als er aber an den Ort gekommen war, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt. 41 Und er zog sich ungefähr einen Steinwurf weit von ihnen zurück und kniete nieder, betete 42 und sprach: Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe! 43 Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel, der ihn stärkte. 44 Und als er in ringendem Kampf war, betete er heftiger. Und sein Schweiß wurde wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen. 45 Und er stand auf vom Gebet, kam zu den Jüngern und fand sie eingeschlafen vor Traurigkeit. 46 Und er sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt.
Der Herr verlässt den Saal, wo Er mit seinen Jüngern das Passah gefeiert und das Abendmahl eingesetzt hat. Er hat sie da auch belehrt über ihre Haltung zueinander und ihre geänderte Stellung in der Welt. Seiner Gewohnheit nach begibt Er sich zum Ölberg. Er lässt sich durch die drohende Verhaftung und alles, was darauf folgen würde, nicht davon abhalten, diesen Ort aufzusuchen. Er geht dort nicht hin wegen der besonderen Situation, die sich ankündigt, sondern weil Er das gewohnheitsmäßig immer getan hatte. Es reicht nicht, dass wir nur beten, wenn die Not groß ist, sondern wir sollen immer beten. Er war gewohnt, diesen Platz des Gebets aufzusuchen.
Auch die Jünger gehen mit Ihm. Sie bleiben nicht im Saal zurück, sondern gehen mit nach draußen und folgen Ihm zum Ölberg. Er will sie lehren, zu beten. Er sagt ihnen auch, sie sollten beten, sonst könnten sie, wenn die Versuchung kommt, nicht standhaft bleiben.
Wir können nur bewahrt werden, wenn wir wachen und beten. Durch Gebet kommen wir in die Gegenwart Gottes, und nur dort bekommen wir einen Blick für das Böse, durch das wir sonst in die Falle gelockt würden. In der Gegenwart Gottes werden wir die Gnade erfahren, standhaft zu bleiben, denn wir in uns selbst sind dem Satan nicht gewachsen. Wir brauchen die Kraft und die Gnade des Herrn. Ohne die Kraft seiner Stärke machen wir unserem Herrn nur Schande. Wenn wir uns auf Ihn stützen, ist der schwächste Gläubige mehr als ein Überwinder. Nur so können wir dem Teufel widerstehen, und nur so wird er von uns fliehen.
Lukas spricht nicht über die drei Jünger, die der Herr ein Stück weiter in den Garten mitnimmt. Was Er gesagt hat, ist für alle Jünger wichtig. Er bittet sie auch nicht, mit Ihm zu beten, aber als der vollkommene Mensch ist Er ihr Vorbild. Er fordert sie auf, zu beten. Dann entfernt Er sich einen Steinwurf weit von ihnen, so weit, wie menschliche Kraft reicht, nicht weiter. Das unterstreicht, dass Er wahrhaftig Mensch ist. Dort kniet Er nieder und betet. Er spricht mit seinem Vater über das, was auf Ihn wartet. Wie Er die kommenden Ereignisse durchstehen wird, ist entscheidend für die ganze Weltgeschichte und alle Pläne Gottes. Dessen ist Er sich vollkommen bewusst.
Von den drei Evangelisten, die den Gebetskampf des Herrn in Gethsemane beschreiben, gibt Lukas die kürzeste Beschreibung. Während der Herr Jesus betet, wird Ihm der Kelch der Leiden vorgestellt. Er weiß, dass es der Kelch voll des Zorns Gottes über die Sünde ist. Er weiß: Dieser Kelch bedeutet, dass Er zur Sünde gemacht werden wird. Daran kann seine heilige Seele nur voller Abscheu denken, und darum spricht Er den Wunsch aus, dieser Kelch möge von Ihm weggenommen werden. Zugleich zeigt sich seine vollkommene Hingabe an den Willen des Vaters, wenn Er sagt, dass nicht sein Wille, sondern der des Vaters geschehen möge. Er ist bereit, diesen Kelch zu trinken.
Der Auftrag, der Ihm vorgestellt wird, verlangt so viel von seinen körperlichen Kräften, dass ein Engel vom Himmel kommt, um Ihn zu stärken. Das bedeutet nicht, Ihm Mut zuzusprechen, sondern Ihn körperlich zu unterstützen. Ein Engel wird niemals etwas davon verstehen, was es für den Herrn Jesus bedeutet hat, im Geist in die Leiden einzugehen, die Ihm hier vor Augen stehen. Christus empfängt diese Unterstützung, weil Er der abhängige Mensch auf der Erde ist. Auch wir dürfen auf diese Unterstützung rechnen, wenn wir in schwerem Kampf sind.
Der Kampf seiner Seele wird immer schwerer, und darum betet Er umso heftiger. Das ist auch für uns die einzige Weise, wie wir in den größten Versuchungen standhaft bleiben und schließlich siegen können. Wie schwer der Kampf ist, zeigt sich daran, dass sein Schweiß wie große Blutstropfen auf seinem Antlitz erscheint und zur Erde fällt.
Es ist schon mal gesagt worden, dass der Satan hier in Gethsemane zurückgekehrt sei, nachdem er nach seiner früheren Niederlage in der Wüste für eine Zeit von Ihm gewichen war (Lk 4,13). Hier sei der Satan dann zurückgekehrt, um dem Herrn den Kelch der Leiden vorzustellen und Ihn, wenn möglich, dadurch vom Weg des Gehorsams abzubringen. Wenn er den Herrn Jesus damals nicht vom Weg des Gehorsams habe abbringen können, indem er Ihm alles Anziehende vorstellte, wolle er jetzt versuchen, den Herrn von seinem Weg des Gehorsams abzubringen, indem er Ihm die Schrecknisse des Leidens vorstellt.
Es kann sein, dass der Satan hier am Werk ist und dem Herrn tatsächlich den Kelch der Leiden vorstellt. Doch die Leiden, die Satan Ihm vor Augen malt, können nicht zahlreicher und nicht anders sein als die Leiden, die Menschen Ihm antun werden, die in der Macht der Finsternis sind. Wie könnte Satan Ihm etwas von den Leiden vorstellen, die Gott Ihm zufügen wird, wenn Er zur Sünde gemacht wird!? Und es sind gerade die Leiden, deren volle Last der Herr fühlt, derentwegen Er mit Abscheu bittet, diesen Kelch nicht trinken zu müssen.
Wenn es „nur“ solche Leiden wären, die Menschen Ihm unter der Anführung Satans antun werden, die Schweißtropfen wie Blut bei Ihm hervorbringen, wäre Er geringer als viele Märtyrer, die singend in den Tod gingen. Nein, was seinen Seelenkampf verursacht, ist das volle Bewusstsein, dass Er zur Sünde gemacht werden wird, weswegen Gott sich Ihm gegenüber als Rächer offenbaren wird. Er, der immer der Genosse Gottes gewesen ist, wird Gott als seinem Widersacher begegnen. Er, der immer in Gemeinschaft mit Gott gewandelt ist, wird von seinem Gott verlassen werden. Das ist es, wovor Er erschaudert, und das ist es, weshalb Er seinen Gott im Gebet sucht, um in seinem Geist alles in Gemeinschaft mit Ihm zu erleben, so dass Er, wenn es so weit ist, alles aus seiner Hand annehmen kann.
Nachdem der Herr gebetet hat und der Kampf gekämpft ist, steht Er von den Knien auf und kommt zu den Jüngern. Er findet sie schlafend. Lukas berichtet bewegend, dass sie vor Traurigkeit eingeschlafen sind. Ihre Traurigkeit war mehr die Folge eines bestimmten Empfindens als ein direktes Mitgefühl mit dem Herrn. Sie liebten Ihn und waren sich des Ernstes der bevorstehenden Ereignisse bewusst, ohne dass sie sagen konnten, was geschehen würde.
Die Frage des Herrn: „Was schlaft ihr?“, soll sie aufwecken, nicht nur körperlich, sondern vor allem geistlich. Er sagt, sie sollten aufstehen und beten. Das bedeutet, dass sie im Blick auf die kommenden Ereignisse in einer Gebetshaltung sein sollen, denn sonst kommen sie in Versuchung, Ihn im Stich zu lassen oder Ihn auf verkehrte Weise zu verteidigen. Sie haben seine Worte nicht zu Herzen genommen, die Er so voller Sorge zu ihnen gesprochen hat. Das soll uns ein warnendes Beispiel sein.
47 - 53 Der Herr wird gefangen genommen
47 Während er noch redete, siehe, da kam eine Volksmenge, und der, der Judas hieß, einer der Zwölf, ging vor ihnen her und näherte sich Jesus, um ihn zu küssen. 48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, überlieferst du den Sohn des Menschen mit einem Kuss? 49 Als aber die, die um ihn waren, sahen, was es werden würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen? 50 Und ein gewisser von ihnen schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. 51 Jesus aber antwortete und sprach: Lasst es so weit; und er rührte das Ohr an und heilte ihn. 52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die gegen ihn herangekommen waren: Seid ihr ausgezogen wie gegen einen Räuber, mit Schwertern und Stöcken? 53 Als ich täglich bei euch im Tempel war, habt ihr die Hände nicht gegen mich ausgestreckt; aber dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis.
Während der Herr seine Jünger auf das, was geschehen wird, vorbereitet, kommt eine Volksmenge. Jemand läuft vor der Menge her, um den Weg zu zeigen. Es ist Judas. Er hebt sich von der Menge ab. Sein Verbrechen ist auch viel größer als das der Menge. Es wird ausdrücklich berichtet, dass er „einer der Zwölf“ ist. Das macht den ganzen Verrat so schmerzlich. Er weiß, wo man den Herrn gefangen nehmen kann, weil er seine Gewohnheiten kennt. Er war ja nach seiner Gewohnheit hier (Vers 39).
Judas nähert sich dem Herrn, um Ihn zu küssen. Seine Heuchelei und der Verrat erreichen hier ihren Höhepunkt. Sein abscheulicher Verrat ist sprichwörtlich geworden für Falschheit, die sich in einem Ausdruck der Liebe verbirgt. Es hat den Herrn tief getroffen, dass Judas Ihn, den Sohn des Menschen, mit einem Kuss überliefert. Er hätte es verhindern können, aber Er lässt es zu. Der Sohn des Menschen erfährt jede denkbare Erniedrigung. Die erste ist, dass Er von einem seiner zwölf Jünger geküsst wird mit einem Kuss, der dazu bestimmt ist, Ihn in die Hände seiner Feinde zu geben. Dieser Ausdruck von Liebe wird auf widerwärtige Weise missbraucht, um Ihn, der die Liebe ist, als Verbrecher hinzustellen.
Der Herr ist von seinen Jüngern umgeben. In ihrer Liebe zu Ihm wollen sie Ihn verteidigen. Sie fragen Ihn, ob sie mit dem Schwert dreinschlagen sollen. Sie haben das, was Er darüber gesagt hat, falsch verstanden. Er hat sie nicht um sich versammelt, damit sie Ihn verteidigen sollen, sondern damit sie von Ihm lernen. Noch bevor Er eine Antwort gegeben hat, ist einer so impulsiv, inzwischen mit dem Schwert auszuholen. Dabei kommt lediglich heraus, dass er das rechte Ohr des Knechtes des Hohenpriesters abhaut. Der Arzt Lukas hat einen Blick dafür, welches Ohr es ist. Eine Anwendung ist, dass wir in unserem Eifer, das Wort Gottes zu verteidigen, nicht Ohren abschlagen sollen; wir sollen es Menschen nicht verleiden, auf das Wort Gottes zu hören, nur weil wir es auf harte Weise auf sie anwenden.
Während alles um Ihn her in Verwirrung und Aufregung ist, strahlt der Herr Ruhe aus. Die Gemeinschaft mit seinem Vater im Garten Gethsemane hat zur Folge, dass Er seiner Umgebung, die voller Feindschaft ist, in Ruhe gegenübertritt. Den Schaden, den Petrus durch sein gewaltsames Handeln anrichtet, macht Er in Gnade ungeschehen. Er gibt dem Knecht ein neues Ohr. Gewalt zu üben, das soll der Menge mit Schwertern und Stöcken überlassen bleiben. Christus fährt fort, Gnade zu erweisen, selbst wenn Er von einer Menge umgeben ist, die Ihm nach dem Leben trachtet.
Nach seiner Wohltat an einem seiner Feinde spricht der Herr die Führer der Volksmenge an, die gegen Ihn herangekommen sind. Sie sind nicht mit der Not um einen Kranken gekommen, aber Er hat Heilung gegeben. Sie sind auch nicht gekommen, um Ihn zu hören, aber Er hat ein Wort für sie. Darauf müssen sie zuerst hören. Er will ihnen ihre Torheit und ihre Ungerechtigkeit vor Augen stellen. Vielleicht ist ja in der Menge noch jemand, der in seinem Gewissen angesprochen wird. Warum sind sie gegen Ihn ausgezogen, als wäre Er ein Räuber? Ist Er solch eine Gefahr für die Gesellschaft? Er ist eine Gefahr für ihre Stellung, und in diesem Sinn ist Er für sie ein Räuber, denn sie fühlen, dass Er sie ihrer Stellung unter dem Volk beraubt. Darum muss Er aus dem Weg geschafft werden.
Der Herr macht deutlich, dass nicht sie es sind, die die Ereignisse steuern, sondern dass Er das tut. Früher hatten sie nicht die Hände gegen Ihn ausgestreckt, wo Er doch täglich bei ihnen im Tempel war. Das taten sie nicht, nicht weil sie es nicht wollten, sondern weil sie es nicht konnten. Dass sie nun ihre Hände nach Ihm ausstrecken, geschieht, weil sie dazu die Vollmacht von Gott bekommen. Es ist jetzt ihre Stunde. Sie dürfen weitermachen, weil Gottes Zeit zur Erfüllung seiner Pläne angebrochen ist. Zugleich ist deutlich, dass diese Leute völlig in der Macht der Finsternis sind. Wie sollten sie sonst dazu kommen, Ihn, der ihnen nur Gutes getan hat, als Räuber gefangen zu nehmen?
54 - 62 Die Verleugnung durch Petrus
54 Sie nahmen ihn aber fest und führten ihn hin und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von weitem. 55 Als sie aber mitten im Hof ein Feuer angezündet und sich zusammengesetzt hatten, setzte sich Petrus mitten unter sie. 56 Es sah ihn aber eine gewisse Magd bei dem Feuer sitzen und blickte ihn unverwandt an und sprach: Auch dieser war mit ihm. 57 Er aber leugnete und sprach: Frau, ich kenne ihn nicht. 58 Und kurz danach sah ihn ein anderer und sprach: Auch du bist einer von ihnen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin es nicht. 59 Und nach Verlauf von etwa einer Stunde behauptete ein anderer und sagte: In Wahrheit, auch dieser war mit ihm, denn er ist auch ein Galiläer. 60 Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und sogleich, während er noch redete, krähte der Hahn. 61 Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an; und Petrus erinnerte sich an das Wort des Herrn, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn heute kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 62 Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
Dann greifen sie den Herrn und bringen Ihn aus dem Garten weg. Ihr Ziel ist das Haus des Hohenpriesters. Dort wohnt der Mann, der die Verbindung zwischen Gott und seinem Volk aufrechterhalten soll. Doch dieser Mann ist das große Instrument in der Hand Satans, der auf diese Weise die Trennung zwischen Gott und seinem Volk radikal zustandebringen kann.
Petrus folgt der Menge, seinen Herrn in der Mitte, von weitem. Er macht sich die Dunkelheit zunutze, um unauffällig zu folgen. Er liebt den Herrn, und darum folgt er. Er hat Angst vor den Menschen, und darum folgt er von weitem. Wenn wir vor Menschen zittern, dann deshalb, weil wir nicht mit Gott gewesen sind.
Die Feinde des Herrn, die Ihn gefangen genommen haben, liefern ihren Gefangenen ab. Sie müssen jedoch in Bereitschaft bleiben. Weil es kalt geworden ist, zünden sie ein Feuer an. Die Kälte draußen gibt zugleich die Temperatur ihrer kalten Herzen wider. Petrus setzt sich mitten unter sie und sitzt damit im Kreis der Spötter (Ps 1,1). Nachdem er dem Herrn auf Entfernung gefolgt ist, kann es nicht ausbleiben, dass er sich am Feuer der Feinde des Herrn zusammen mit diesen wärmt. Wer zum Herrn auf Abstand geht, rückt automatisch vor in Richtung Welt. Petrus ist kein Feind des Herrn, aber in diesem Augenblick wohl ein Feind seines Kreuzes (Phil 3,18).
Das Feuer gibt nicht nur Wärme, sondern auch Licht. Es ist kein helles Licht, und Petrus wähnt sich ziemlich sicher. Doch dann erkennt ihn eine Magd, die ihn unverwandt anblickt. Sie entdeckt in ihm jemanden, der auch „mit ihm“ war, und sagt das laut zu anderen. Petrus erschrickt, als er entdeckt wird. Eine Magd jagt dem Apostel einen Schrecken ein. Statt für den Herrn einzutreten, reagiert er, indem er leugnet, den Herrn zu kennen. Später wird er in seinem Brief schreiben, dass wir jederzeit zur Verantwortung bereit sein sollen (1Pet 3,15). Das schreibt er, nachdem er die demütigende Lektion verstanden hat, die er hier gerade lernt.
Petrus ist zu dieser Verantwortung nicht bereit, weil er im Blick auf die Versuchung, in der er sich jetzt befindet, nicht gebetet hat. Dieser erste falsche Schritt führt zu den folgenden Schritten, die noch schlimmer sind und weiter von Gott wegführen. Kurz danach sieht ihn ein anderer und macht die Bemerkung, dieses Mal an Petrus persönlich gewandt, dass er einer von ihnen sei. Die Frau hatte gesagt, dass er mit dem Herrn gewesen sei, dieser sagt, dass er zu den Jüngern des Herrn gehöre. Nach seiner Leugnung, mit dem Herrn gewesen zu sein, leugnet er nun ganz entschieden, zu den Jüngern des Herrn zu gehören.
Nachdem er den Herrn zum zweiten Mal verleugnet hat, vergeht eine Stunde. Eine Stunde lang hat Petrus sich schon zwischen den Feinden des Herrn aufgehalten und Ihn zweimal verleugnet. Sein Gewissen kann nicht ruhig sein, doch er bleibt, wo er ist, und wärmt sich zusammen mit den Feinden des Herrn an dem Feuer, das sie angezündet haben.
Dann kommt die dritte Konfrontation. Er wird aufs Neue erkannt. Diesmal verrät er seine Herkunft durch seinen Dialekt. Petrus wird sich nicht nur gewärmt, sondern auch mitgeredet haben. Er kann nur bei ihren hohlen Gesprächen mitgemacht haben. Zu einem Zeugnis für seinen Herrn war er durch seine falsche Stellung und seine zweifache Verleugnung nicht in der Lage. Als er zum dritten Mal entdeckt wird, leugnet Petrus wieder, den Herrn Jesus zu kennen. Diesmal tut er so, als begreife er den anderen nicht. Er sagt so viel wie: „Worum geht es eigentlich? Du erzählst mir etwas, wovon ich noch nie gehört habe.“
Nach dieser weitgehenden Leugnung ‒ sogar während er noch redet ‒ kräht der Hahn, wie der Herr gesagt hat. So wie Er Herzen von Menschen lenkt, damit sie Ihm geben, was Er benötigt, so lenkt Er das Tier, das Er benötigt. Er lässt den Hahn zu dieser ungewöhnlichen Zeit krähen, um seinen fehlenden Jünger an sein Wort zu erinnern.
Ein Hahn, der kräht, gibt das Zeichen zum Aufwachen. Der Herr lässt den Hahn krähen, um das Gewissen von Petrus aufzuwecken. Aber da ist nicht nur ein erwachtes Gewissen, auch der Herr ist da. Ohne Ihn führt ein erwachtes Gewissen wie bei Judas zu Verzweiflung und Selbstmord. Wahre Jünger blickt Er an. Er versagt nie, und wie Er zuvor nicht darin versäumt hat, zu warnen, so wendet Er sein Gesicht nicht von Petrus ab, nachdem dieser Ihn verleugnet hat.
Inmitten allen Spottes und aller Misshandlung wendet Er sich um und blickt Petrus an. Die Leiden bemächtigen sich seiner nicht so sehr, dass Er Petrus vergessen hätte. Als Er Petrus anblickt, erinnert dieser sich an das Wort, das der Herr über seine Verleugnung gesagt hat. Die Erinnerung daran bringt Petrus zur Reue. Er geht hinaus und weint bitterlich. Es sind Tränen echter Reue darüber, wer er selbst ist und wozu er gekommen ist. Auch jetzt noch bringt Gott durch sein Wort Menschen zu Reue und Bekehrung. Gottes Wort ist ein Spiegel, der dem Menschen zeigt, wer er in seiner Sündhaftigkeit ist.
63 - 65 Verspottet und geschlagen
63 Und die Männer, die ihn festhielten, verspotteten und schlugen ihn. 64 Und als sie ihn verhüllt hatten, fragten sie ihn und sprachen: Weissage, wer ist es, der dich schlug? 65 Und vieles andere sagten sie lästernd gegen ihn.
Der Herr hat Petrus zur Besinnung gebracht, und Petrus weint außerhalb des Kreises der Spötter bittere Tränen der Reue. Unterdessen wird der Herr von den Menschen, die Ihn festhalten, verspottet und geschlagen. Böse Menschenhände vergreifen sich an Ihm, der der ewige und heilige Gott ist. Ihre Zungen spucken Worte aus, die Ihn mit Spott überschütten.
Lukas erwähnt das Verhör durch Kajaphas nicht. Er beschreibt die anschließende Verspottung und Misshandlung. Sie belustigen sich über Ihn. Sie wollen einmal sehen, was an seinen prophetischen Gaben dran ist. Sie verhüllen das Gesicht dessen, der gekommen war, um Blinden das Gesicht zu geben, und treiben Spott mit Ihm. Sie schlagen Ihn und fordern Ihn auf, zu sagen, wer Ihn geschlagen habe.
Der Herr erträgt all den Spott und die Misshandlung, ohne ein Wort zu sagen. Er ist wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern (Jes 53,7). Lukas fasst alles in dem Satz zusammen: „Und vieles andere sagten sie lästernd gegen ihn.“ Das alles hat den Herrn tief getroffen. Seine Geschöpfe, die Er mit Güte überhäuft hat, erheben sich gegen Ihn, ihren Schöpfer, und demütigen Ihn bis in die Tiefe seiner Seele. Und das ist erst der Beginn der Verspottung und Misshandlung.
66 - 71 Vor dem Synedrium
66 Und als es Tag wurde, versammelte sich die Ältestenschaft des Volkes, sowohl Hohepriester als Schriftgelehrte, und führten ihn weg in ihr Synedrium 67 und sagten: Wenn du der Christus bist, so sage es uns. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich es euch sagte, so würdet ihr nicht glauben; 68 wenn ich aber fragen würde, so würdet ihr nicht antworten noch mich freilassen. 69 Von nun an aber wird der Sohn des Menschen sitzen zur Rechten der Macht Gottes. 70 Alle aber sprachen: Du bist also der Sohn Gottes? Er aber sprach zu ihnen: Ihr sagt, dass ich es bin. 71 Sie aber sprachen: Was brauchen wir noch ein Zeugnis? Denn wir selbst haben es aus seinem Mund gehört.
Nachdem die Diener es während der Nacht so mit Ihm getrieben haben, versammeln sich die Führer des Volkes und bringen Ihn in ihr Synedrium. Sie wollen von Ihm wissen, ob Er der Christus ist. Auf diese Frage gibt Er eine Antwort. Es ist eine Frage zu seiner Person. Er antwortet jedoch in einer Weise, dass Er sie für ihr Handeln verantwortlich macht und ihre Gewissen anspricht. Er macht klar, dass sie doch nicht glauben werden, wenn Er sagt, dass Er es ist. Es hat keinen Sinn, ihre Frage zu bejahen.
Auch eine etwaige Frage an sie, ob sie das glaubten, ist nach Meinung des Herrn sinnlos. Er weiß, dass sie Ihm keine Antwort geben werden, wie sich schon bei anderer Gelegenheit gezeigt hat (Lk 20,7). Sicher ist auch, dass sie Ihn, ganz gleich bei welcher Antwort, nicht freilassen werden.
Dann fährt der Herr fort und erklärt den Platz, den Er als der Sohn des Menschen zur Rechten der Macht Gottes einnehmen wird. Das geht weiter, als dass Er der Christus ist, der Messias seines Volkes. Wenn sie Ihn als den Messias verworfen haben, wird Er als der Sohn des Menschen den Platz der Herrlichkeit einnehmen, aber durch den Tod hindurch.
Sie ziehen aus seinen Worten die richtige Schlussfolgerung, die der Herr bestätigt. Sie beschließen ihre Sitzung mit der Erklärung, dass sie weiter kein Zeugnis mehr brauchen. Das Bekenntnis der Wahrheit, das sie aus seinem Mund gehört haben, ist für sie der Grund für seine Verurteilung.