Einleitung
In diesem Kapitel sehen wir, dass ein großes Heer nach Ninive zieht, um die Schmach, die Juda zugefügt wurde, zu rächen und seine Herrlichkeit wiederherzustellen (Verse 1–5). Die Stadt wird erobert, ihre Bewohner fliehen oder werden gefangen genommen und ihre Schätze werden geplündert (Verse 6–11). Die große Stadt mit all ihrer Herrlichkeit geht unter, ohne eine Spur zu hinterlassen (Verse 12–14).
1 Die gute Nachricht für Juda
1 Siehe, auf den Bergen die Füße dessen, der gute Botschaft bringt, der Frieden verkündigt! Feiere, Juda, deine Feste, bezahle deine Gelübde! Denn der Nichtswürdige wird fortan nicht mehr durch dich ziehen; er ist ganz ausgerottet.
Nahum wendet sich wieder an Juda. Während der König von Assyrien und seine Götter begraben werden (Nah 1,14), lebt der Gottesdienst von Juda wieder auf. Der Niedergang und das Ende des Feindes sind rückblickend eine Tatsache. Der Fall von Ninive findet einige Jahrzehnte nach der Prophezeiung Nahums statt. Darüber hinaus spiegelt dieser Fall die Ausrottung der Assyrer in der Zukunft wider. Die gute Botschaft, die verkündet wird, hat mit dem Kommen des Messias zu tun, der den Feind vertilgen wird. Sein Kommen ist eine gute Botschaft, eine Botschaft, dass endlich Frieden kommt (vgl. Jes 52,7; Röm 10,15).
Als Reaktion auf die gute Nachricht ertönt der Ruf zum Feiern. Das Volk wird wieder in den Tempel gehen können, um die Feste zu feiern. Die Verheißungen, die während der Besatzung zweifellos für die Befreiung gegeben wurden, können nunmehr Wirklichkeit werden. Das Volk braucht keine Angst zu haben, dass der Friede und die Freude gestört werden. Der Grund ist, dass Sanherib, der „Nichtswürdige“, nicht zurückkommen wird. Das ist unmöglich, denn „er ist ganz ausgerottet“, es ist nichts mehr von ihm übrig.
Wie schon gesagt wurde, wird die volle Erfüllung erst in der Endzeit stattfinden. Wenn der Messias in Macht und Herrlichkeit erscheint, wird Er die assyrische Armee in der Nähe von Jerusalem vernichten (Dan 11,45). Diese Nachricht wird durch Boten nach Jerusalem gebracht werden. Sie ist zugleich die Ankündigung des Friedensreiches, in dem die Feste des HERRN wieder gefeiert werden.
Gott kündigt Freude an, während die unmittelbare Ursache für die Freude noch nicht da ist. In der Schrift wird öfters das volle Ergebnis von Gottes Handlungen schon von dem Moment an gefeiert werden, an dem Er mit diesen Handlungen beginnt, diese Handlungen aber noch gar nicht abgeschlossen sind (Lk 2,13.14; Off 11,15–17; 12,10).
2 Der Feind kommt
2 Der Zerschmetterer zieht gegen dich herauf. Bewahre die Festung; überwache den Weg, stärke deine Lenden, befestige sehr deine Kraft!
Ninive wird mitgeteilt, dass der „Zerschmetterer“ oder „Zerstreuer“, gemeint sind die Meder und die Babylonier, heraufzieht. Der Feind wird hier nicht Angreifer genannt, sondern „einer, der zerstreut“. Die Assyrer waren Experten darin, eroberte Völker zu entwurzeln und zu zerstreuen, sodass es keinen Zusammenhalt mehr in diesen Völkern gab. Dadurch war es den eroberten Völkern nicht möglich, sich neu zu gruppieren und Widerstand zu leisten. Nun werden sie aber selbst zerstreut werden und erfahren, was sie anderen angetan haben (vgl. Ps 68,2; Jes 24,1).
Die Stadt wird ironischerweise ermutigt, sich zu stärken, um der herannahenden Armee zu widerstehen. Die Worte von Nahum sind ironisch, weil Gott beschlossen hat, die Stadt zu zerstören. Daher wird sich jede Verteidigung als vergeblich erweisen. Die Lenden zu stärken bedeutet, sich stark zu machen, sich wie ein Mann zu verhalten, denn in den Lenden ist die Kraft zum Laufen.
3 Wiederherstellung von Israel
3 Denn der HERR stellt die Herrlichkeit Jakobs wie die Herrlichkeit Israels wieder her; denn Plünderer haben sie geplündert und haben ihre Reben zerstört.
So wie die Zerstörung von Ninive zur Zeit des Propheten als festbeschlossenes Ereignis bevorstand, so steht auch die Wiederherstellung aller zwölf Stämme Jakobs fest. Jakob und Israel ist die gleiche Person, aber mit einem anderen Akzent. „Herrlichkeit“ deutet auf Erhabenheit oder Erhöhung hin. Dieser Begriff beschreibt die Zeit, in der Israel in Kraft und Segen über die Nationen herrschen wird. Dann wird Jakob, also das ganze Volk, seine eigene Herrlichkeit wiedererlangen, die es durch seine eigene Schuld verloren hat.
Der Name Jakob bedeutet „Fersenhalter“. Dieser Name erinnert an Schwäche und Untreue. Jakob ist der Name für das Volk in seiner Abwendung von dem HERRN, durch die es alle Herrlichkeit verloren hat, die es einst besaß. Das Volk erlangt diese Herrlichkeit wieder, wenn es in ihrer Beziehung zum HERRN wiederhergestellt wird. Die Herrlichkeit, die zurückkehrt, ist die Herrlichkeit Israels. Israel – was „Fürst Gottes oder Kämpfer Gottes“ bedeutet (1Mo 32,29) – ist der Name des Volkes in seinen Vorrechten, die es von Gott als sein Volk erhalten hat.
Die „Plünderer“ sind die Assyrer, die Juda geplündert haben. Sie haben auch „ihre Reben zerstört“. „Reben“ ist eine Anspielung auf Israel als den Weinberg, den Weinstock (Ps 80,9–16). Im Weinstock können wir die Familien und in den Reben die Glieder sehen. Die Reben sind ein Bild für die Freude, die der HERR bei seinem Volk sucht. In der Zeit der Untreue Israels war diese Freude nicht da (Jes 5,1–7). Hier werden die Assyrer dafür verantwortlich gemacht, was ein Grund mehr ist, sie zu richten.
4 - 5 Das feindliche Heer
4 Die Schilde seiner Helden sind gerötet, die tapferen Männer sind in Karmesin gekleidet, die Wagen glänzen von Stahl am Tag seines Rüstens, und die Lanzen werden geschwungen. 5 Die Wagen rasen auf den Straßen, sie rennen auf den Plätzen, ihr Aussehen ist wie Fackeln, wie Blitze fahren sie daher.
Hier wird das Heer der Meder und Babylonier beschrieben, das in Vers 1 angekündigt wird. Mit „seinen Helden“ sind die Helden des Heeres der Meder und Babylonier gemeint. Es ist auch möglich, sie als die Helden des HERRN zu sehen, denn Er setzt dieses Heer gegen Ninive ein (vgl. Jes 5,26–30; 10,5.6; 13,3).
Die rote Farbe dominiert in diesem Heer (vgl. Hes 23,14), möglicherweise wegen der Verwendung von roter Farbe oder weil die Waffen mit Kupfer überzogen sind. Es ist die Farbe der Aggression (Grün ist eine beruhigende Farbe). Die militärische Kleidung ist ebenfalls rot, wegen der Verwendung von Karmesin. Das Schwingen der Speere dient dazu, den Feind zu beeindrucken, um zu zeigen, wie geschickt sie im Umgang mit den Speeren sind.
Mit atemberaubender Geschwindigkeit überfällt der Feind Ninive. Im Schein der Sonne ähneln die stählernen Streitwagen brennenden Fackeln. Wegen ihrer großen Geschwindigkeit erinnern sie an Blitze. Die Schlacht findet in den Straßen und auf den Plätzen statt. Die Niniviten können sich gegen diese kraftvolle Übermacht nicht wehren, sie werden von ihnen verzehrt wie vom Feuer der Fackeln. Alles geschieht mit der Geschwindigkeit eines Blitzes.
6 Fortschritt im Kampf
6 Er erinnert sich an seine Edlen: Sie straucheln auf ihren Wegen, sie eilen zu ihrer Mauer, und das Schutzdach wird aufgerichtet.
Hier wird uns gesagt, was der König von Assyrien denkt. Gott kennt die Gedanken der Herzen aller Menschen. Der König von Assyrien denkt, dass er den Angriff abwehren kann und verlässt sich auf „seine Edlen“, auf seine militärischen Führer. Sie eilen auf die Mauer. Der Schutz der Mauer ist bei einer Belagerung von größter Bedeutung. Doch in der Stunde der Wahrheit straucheln sie in ihrer Eile, beim Versuch die Mauer zu erklimmen. Die Edlen kommen zu spät, denn die Angreifer haben bereits das Schutzdach aufgerichtet, um die Mauer zu stürmen.
7 Wasserflut als Waffe
7 Die Tore an den Strömen sind geöffnet, und der Palast verzagt.
Der Fall ist unaufhaltsam. In wenigen Worten wird der Untergang Ninives beschrieben. Dazu benutzt Gott eine Flut von „den Strömen“, die die Mauer zum Einsturz bringt und den Palast zerstört. Bei Ninive kommen drei Flüsse zusammen. Der Tigris fließt nahe an den Mauern, der Khosr und der Tebiltu fließen durch die Stadt. Die „Tore“ an den Strömen können sich auf Schleusen oder Dämme beziehen, die die Wasserströme kanalisieren. Durch das Öffnen der Schleusen und durch das Durchbrechen der Dämme wird einer gewaltigen Wasserflut freier Lauf gelassen. Die Bewohner des Palastes verzagen aus Angst vor dem unaufhaltsamen Wasserstrom.
8 Das Elend von Ninive
8 Denn es ist beschlossen: Sie wird entblößt, weggeführt; und ihre Mägde stöhnen wie das Girren der Tauben, sie schlagen an ihre Brust.
Hier sehen wir das Ergebnis des endgültigen Überrennens in Vers 7. „Entblößt“ bedeutet, dass Ninive all ihres Glanzes beraubt wurde. Die Bewohner der Stadt werden als Mägde gesehen. Sie beklagen ihr Schicksal, was an ihrem taubenähnlichen Girren zu hören ist und daran, dass sie sich an ihre Brust schlagen.
9 Auf der Flucht
9 Ninive war ja von jeher wie ein Wasserteich; und doch fliehen sie! Steht, steht! Aber keiner sieht sich um.
Ninive war seit ihrer Geburt arrogant und stolz. Jetzt, wo ihr Ende gekommen ist, ist davon nichts mehr übrig. Was einen natürlichen Schutz bot, ist ihr zum Verhängnis geworden. Auch hier ist wieder Ironie zu hören. Was sie zunächst in Selbstsucht als Inhalt ihrer Herkunft und ihres Lebens genoss, ist jetzt die Ursache ihres Todes.
Befehle an die Soldaten, auf ihren Posten zu bleiben, werden von ihnen ignoriert. Sie sind alle in Panik geflohen.
10 Aufruf zur Plünderung Ninives
10 Raubt Silber, raubt Gold! Denn unendlich ist der Vorrat, der Reichtum an allerlei kostbaren Geräten.
Wenn die Verteidigungsmauern gefallen und die Verteidiger geflohen sind, können die enormen Schätze, die sich in der Stadt angehäuft haben, geplündert werden. Der Aufruf, dies zu tun, kommt von Gott durch den Propheten. Ninive hat diesen Aufruf immer selbst gemacht, wenn die Assyrer in den Krieg zogen, um Gebiete zu erobern. Dadurch wurde sie zur reichsten Stadt im Nahen Osten. Nun erleidet sie das gleiche Schicksal. Der reiche Vorrat an allerlei Kostbarkeiten scheint unendlich. Die Feinde können sich an ihr sehr bereichern.
11 Aller Reichtum und alle Hoffnung sind weg
11 Leere und Entleerung und Verödung! Und das Herz zerfließt, und die Knie wanken, und in allen Lenden ist Schmerz, und ihrer aller Angesichter erblassen.
Der Sieg über die Stadt wird kraftvoll in den ersten drei Worten dieses Verses zusammengefasst – Leere, Entleerung, Verödung. Im Hebräischen klingen diese Worte wie ein Reim (buqah umebuqah umebullaqah). In Synonymen wird die Verwüstung beschrieben, als gäbe es nicht genug Worte, um anzuzeigen, wie umfassend und gründlich sie ist. Eine Stadt, die einst reich und einflussreich war, ist nun ein erbärmliches Durcheinander, ohne Schätze und ohne Leben. Das ist das, was übrigbleibt von einem Volk, das sich gegen Gott erhebt.
Den geflohenen Bewohnern der Stadt geht es nicht besser. Aller Mut hat sich in Luft aufgelöst, alle Kraft ist dahin. Im Herzen und in den Knien, wo Kraft sein sollte, ist alle Kraft weg. Es herrscht Angst im ganzen Körper. Kraftlosigkeit ist an sich schon hoffnungslos, aber wenn dann noch Angst hinzukommt, ist die Situation völlig aussichtslos. Dazu gibt es keine Aussicht auf ein Ergebnis, im Gegenteil: Die Aussicht, die da ist, lässt alle Gesichter leichenblass werden. Es gibt nur die Aussicht auf Entsetzen und eine Fülle von Elend.
12 Eine Spottfrage
12 Wo ist [nun] die Wohnung der Löwen und die Weide der jungen Löwen, wo der Löwe umherging, die Löwin [und] das Junge des Löwen, und niemand sie aufschreckte?
Im Gegensatz zum schneidenden „Wo?“, das aus dem Mund des Königs von Assyrien kommt (2Kön 18,34), ertönt hier das herausfordernde „Wo?“ aus dem Mund des HERRN. Das Bild des Löwen zeigt die raubende Gier der Führer und des Volkes von Ninive. Der Löwe ist ein Tier, das häufig in assyrischen Inschriften zu finden ist. Die Könige von Ninive verglichen sich mit ihm. Wie Löwen zerrissen sie die Bewohner eroberter Städte.
Im Geiste sieht Nahum die Stadt als ausgelöscht. Er schaut auf den Ort, wo sie einst stand, sieht sie aber nicht mehr. Es war eine Stadt voller räuberischer Herrscher, die wie Löwen die Völker zerrissen, ihre Schätze plünderten und Ninive damit füllten. Von all diesen Schrecken ist nichts mehr übrig.
Um das Bild noch eindrucksvoller zu machen, verwendet Nahum verschiedene Namen und unterschiedliche Alter der Löwen. In den Versen 12–14 wird der Löwe achtmal erwähnt, aber immer in unterschiedlich zusammengesetzten Wörtern. Er spricht etwa vom männlichen Löwen, vom Weibchen, vom jungen Löwen, der schon jagt, oder vom Junglöwen, der dazu noch nicht fähig ist. Alles war unter der Kontrolle Ninives, niemand erschreckte die Stadt, so sicher war sie sich ihrer Macht.
13 Die zerreißende Natur von Ninive
13 Der Löwe raubte für den Bedarf seiner Jungen und erwürgte für seine Löwinnen, und er füllte seine Höhlen mit Raub und seine Wohnungen mit Geraubtem.
In Vers 12 geht es um die Stadt, in diesem Vers geht es nun um die Bewohner. Ninive hat grausam und rücksichtslos getötet und so die Stadt mit Beute versorgt. Die Stadt hat dies reichlich und gierig genossen.
14 Der HERR wird Ninive richten
14 Siehe, ich will an dich, spricht der HERR der Heerscharen, und ich werde ihre Wagen in Rauch aufgehen lassen, und deine jungen Löwen wird das Schwert verzehren; und ich werde deinen Raub von der Erde ausrotten, und die Stimme deiner Boten wird nicht mehr gehört werden.
Mit den einleitenden Worten „siehe, ich will an dich“ kündigt der HERR das Gericht über die grenzenlose Tyrannei Ninives an. Er spricht hier in seiner Majestät als „der HERR der Heerscharen“. Alle Mächte des Himmels und der Erde sind Ihm untertan. Die Streitwagen werden verbrannt. Das ist das Ende ihrer militärischen Macht, darauf haben die Assyrer vertraut.
Auch die ganze Ausstrahlung der Kraft, die in den jungen Löwen gesehen wird, wird verzehrt. Dies geschieht durch das Schwert des Feindes. Wenn der Löwe besiegt wird, wird ihm auch seine Beute entrissen. Die Boten, die königliche Befehle überbrachten und ausführten (1Kön 19,2; 2Kön 19,23; Jes 37,9.14.24), wird es nicht mehr geben (vgl. Hes 19,9).